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Читать книгу: «Monde Masken und Magie», страница 4

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Mein Rücken schmerzte, als ich die Augen aufschlug. Über mir stand der Mond und ich war glücklich. Für lange Zeit wird mir die Mondsichel das einzige Vertraute in Maskanien sein, und meine liebste Freundin. Ich fühle mich mit euch vereint, betrachte ich sie.

Ich hatte auf hartem, künstlichem Stein gelegen, deshalb schmerzte mich mein ganzer Körper. Als ich mich umsah, bemerkte ich lichte Wälder, in der Ferne glänzte ein See. Keine Menschenseele war zu sehen, alles schien wie tot. So wählte ich aus den Masken, die ich in meiner Tasche bei mir trug, die einer Bauersfrau: Einfach, aus rohem Leinen und ohne Verzierung. Ich legte ein Wolltuch über meine Toga und ging dem Wald entgegen.

Bald taten mir meine Füße weh, die sich nach der Weichheit der Erde sehnten, aber ich konnte keine entdecken, kein Fleckchen davon. Überall trat ich auf harten Stein. Ich eilte, denn ich freute mich auf den Waldboden, aber auch da war nur glatter Stein, der bei jedem Schritt Schmerzen bis ins Gehirn treibt. Ich wollte den Atem der Bäume spüren, trat von diesem zu jenem. Nichts. Ich flüsterte ihnen von ihrer baldigen Errettung zu, aber es war kein Säuseln in ihren Blättern. Keine Antwort. Da legte ich meine Hand auf die Rinde, sie war kalt und unnatürlich.

Schwestern, in Maskanien wachsen keine Bäume mehr! Was ich sah, war aus künstlichem Stoff gemacht und tot. Ich riss mir die Maske vom Gesicht und brach in Tränen aus. Plötzlich fühlte ich mich so unsagbar einsam und verlassen. Ich schaute zurück in die feindselig tosende Mauer hinter mir. Mir war so elend beim Anblick all des toten Stoffes, aus dem dies Land gemacht scheint, dass ich am liebsten sofort wieder umgekehrt wäre. Besser in der Mauer umkommen, als in einem solchen Lande leben!

Erst als ich zu Atargatis gebetet und sie um Hilfe angerufen hatte, konnte ich weitergehen. Der Mond leuchtete mir auf meinem traurigen Weg.

Als ich aus dem Kunstwald trat, lag vor mir ein grosser See, unbeweglich die Oberfläche. Ich ging näher, um zu sehen, ob ich mich im Wasser erfrischen konnte, aber da war kein Wasser, nur ein silbrig glänzendes Etwas bedeckte die weite tote Fläche. Ich erschrak bis ins Innerste. Eine Sekunde lang war ich überzeugt: Ich bin im Lande der Toten. Hier ist kein Leben, hier können keine Menschen sein.

Als hätte mich einer gehört und wollte mir das Gegenteil beweisen, stand vor mir, wie aus dem Boden gewachsen, eine Gestalt. Ein Mann hielt ein Metallrohr vor seinen Bauch und schrie:

“Halt, keinen Schritt. Was sucht eine Bäuerin mitten in der Nacht am See?”, fragte der Mann in der Uniform aus schwarzem Kunstleder. “Ich befehle dir zu sprechen!”

Ich wusste, dass aus dem Rohr, das er in seiner Faust vor dem Bauch hielt, der Tod kommen konnte.

“Ich will zur Stadt”, antwortete ich und hoffte, er würde mich gehen lassen.

“Den Schein! Zeige mir deinen Passierschein!”, schrie er, “los, oder du bist auf der Stelle tot.”

Ich öffnete meine Tasche, als suchte ich nach dem Verlangten, als mein Wolltuch verrutschte und meine weiße Toga bläulich im Mondlicht glänzte, wie unser heiliges Licht hier im Tempel.

Meine Mission wäre da zuende gewesen, hätte nicht das Licht meine Toga zum Tönen gebracht: Ein leises Klingen, fast wie unsere Tempelglöckchen. Ich bin an Naturwunder gewöhnt und war nicht sonderlich darüber erstaunt, der schwarze Mann vor mir aber, ließ sein Metallrohr sinken, steckte es mitsamt seiner Faust in die Tasche und wich Schritt für Schritt zurück. Als er einigen Abstand von mir gewonnen hatte, drehte er sich um und rannte davon. Ich dankte dem Himmelslicht und setzte meinen Weg zur Stadt fort. Als die Sonne heraufkam, legte ich mich in eine kleine Mulde in sehr grünes, totes Gras, zwischen ewig blühende, tote Blumen.

Zu meiner Verwunderung riecht es rund um mich nach Verwesung, wo es doch nichts gibt, was verwesen könnte. Ich habe hier diesen ersten Bericht geschrieben. Atargatis sei Dank! Du hast mich beschützt in der Gefahr.

Als ich am Spätnachmittag erwachte, war ich ausgeschlafen und fühlte mich von der Anstrengung erholt. Ich ging weiter in Richtung Westen. Nicht lange danach begegneten mir ein paar Frauen, die lachten und schwatzten und mir unbekannte Masken trugen. Als die Frauen mich bemerkten, kicherten sie, doch dann blieb ihnen jeder Laut im Halse stecken. Sie flüsterten zusammen, die Augen mir zugewandt.

Ich ging auf die Frauen zu und fragte:

“Was seid ihr für Frauen, bitte?”

“Bäuerin”, antwortete mir eine, “erstens, wir sind Arbeiterinnen und zweitens, gehörst du wohl nicht hierher. Dich gibt’s doch in dieser Gegend gar nicht. Du kommst mir vor wie aus einer der Geschichten, die sie erzählen, aus früheren Zeiten. Dich gibt’ s doch gar nicht mehr, hab ich gedacht.”

Ich wunderte mich über ihre Worte, aber dann war mir klar: Diese Gegend war ja ganz aus Stein und alle Bäume und Blumen und sogar das Gras aus Kunststoff. Hier gedieh nichts, was einer Bäuerin Arbeit gegeben hätte. Rasch fragte ich zurück:

“Was ist eine Arbeiterin?”

Diesmal schauten sich die Frauen an und wussten nicht, was sie von mir halten sollten. Dann sagte eine:

“Dich haben sie wohl nicht mal ein Jahr in die Schule gelassen, ja?”

Ich antwortete nicht, wartete.

“Eine Arbeiterin ist eine, die dort arbeitet”, sagte sie und zeigte hinter sich, wo ich schon ein riesiges Gebäude mit dünnen Türmen wahrgenommen hatte, mir seinen Zweck aber nicht hatte erklären können.

“Wir alle arbeiten in der Fabrik, wir stellen Blumen her.”

“Die Blumen, die dort wachsen - äh, die dort stehen?”, fragte ich.

“Genau”, antwortete sie, “Gras, Blumen, Äste, Blätter, all das stanzen wir. Wir verschönern Maskanien, wir haben den schönsten Beruf unseres Landes, wir sind sehr glücklich. Auf Wiedersehen, Bäuerin!” Sie lachten und gingen davon.

“Halt”, rief ich, “Arbeiterin, bitte hast du vielleicht eine alte ...” Ich zögerte, wollte mich nicht verraten.

“Ein altes Gesicht?” meinte eine von ihnen.

“Ja, ein altes Gesicht.”

“Bettelst du vielleicht? Das ist verboten!!”, sagte eine andere und machte ein paar drohende Schritte auf mich zu.

“Nein”, sagte ich schnell, “ich bettle nicht, ich frage nur.”

“Willst du vielleicht Arbeiterin werden und Blumen machen?”, fragte eine andere, und es klang auch nicht sehr freundlich.

“Ach, lasst doch die dumme Bäuerin aus dem Südland, die ist doch nur schrullig,” entgegnete eine andere und öffnete ihre Tasche, zog eine alte, zerschlissene Maske daraus hervor und rief, indem sie sie mir zuwarf:

“Da, nimm die, Mutter macht mir sowieso eine neue.”

Als ich die Maske ohne Schwierigkeiten auffing, staunten sie, lachten verlegen und gingen ihrer Wege.

So kam ich zu einer Maske, die wir nicht im Tempelschatz haben. Fabriken gab es damals nicht. Als die Frauen verschwunden waren, tauschte ich rasch die uralte Bäuerinnenmaske gegen die der Arbeiterin. An vielen Gruppen ging ich vorbei, ohne Schwierigkeiten. Niemand beachtete mich. Es ist traurig zu sehen, wie die Menschen hier aneinander vorübergehen, ohne sich zu grüßen. Sie gehen graue Betonstreifen entlang. Auf dem Hauptstreifen fahren Wagen ohne Pferde. Ich habe heute drei davon gesehen. Es ist unheimlich und gefährlich. Es sind schwarze Metallbehälter auf Rädern, in denen sitzen meistens vier Männer, mindestens aber einer. Wenn ich dieses Selbstfahrgerät genauer untersucht habe, werde ich darüber berichten.

Als der Abend hereinbrach, ging ich zu einer Siedlung mit ungefähr hundert Häusern, die aber nicht rund sind, wie unsere, sondern viereckig. Immer denke ich, ich stoße an einer Ecke an. Aber ich habe mich an den Anblick schon gewöhnt, gehe den Ecken aus dem Weg. Ich klopfte an eine Tür, wie wir es tun, aber nichts rührte sich. Ich versuchte es an einem anderen Haus, aber niemand öffnete.

So wanderte ich durch die Siedlung, gab auf und suchte einen Platz vor der nächtlichen Kälte. Ich stieg über eine Abgrenzung, legte mich unter die kalten, künstlichen Blätter eines Strauches, nachdem ich beim Schein eines Kunstlichtes, das oben an einem Pfahl hängt, diesen Bericht verfasst hatte. Es wird nicht richtig dunkel in der Siedlung, denn das Kunstlicht scheint die ganze Nacht zu brennen. Warum sie nachts die Wege beleuchten, ist mir noch nicht klar. Jetzt werde ich schlafen, so gut ich kann. Atargatis sei gelobt. Ich lebe!

Ich hatte keine ruhige Nacht, denn Männer mit Eisenrohren im Gürtel zogen immer wieder ganz nah an mir vorbei und weckten mich mit dem schrecklichen Knallen ihrer schweren Stiefel auf dem harten Boden. Ich verließ mein Versteck, wanderte weiter durch die Siedlung. Die Gassen lagen einsam, wo sollte ich schlafen?

Als ich sinnend stand, hörte ich von ferne wieder die harten Schritte von Stiefeln auf dem Pflaster. ‘Gut, dass ihre Häuser Ecken haben‘, dachte ich und verbarg mich im Schatten. Eins-zwei-eins-zwei hämmerten die Stiefel ihren Rhythmus in die Nacht. Hart, bedrohlich. Zehn schwarze Männer marschierten an mir vorüber. Bei ihrem Anblick blieb mein Herz stehen, es war, als legte sich ein eiserner Ring darum. Ich warf meinen Kopf zurück und dachte, eines Tages werdet ihr euch auflösen in Nichts oder aber Menschen werden.

5

“Arbeiterin”, sagte eine leise Stimme neben mir. Ich erschrak zu Tode.

“Arbeiterin, folge mir!”

Ich beruhigte mich sofort wieder, denn die Stimme war weich und klang vertrauenserweckend. Ich ging der Gestalt nach, die ebenfalls die Maske einer Arbeiterin trug. Wir gingen schmale Gassen entlang, um viele Ecken, leise, geheimnisvoll. Lautlos öffnete sich die Tür eines niedrigen, grauen Hauses. Ich folgte der Frau und dem Lichtschein, stieg Treppe um Treppe hinunter in einen Schacht.

“Warte hier”, sagte die junge Stimme und die Gestalt verschwand. Ich ging auf die Tür zu, sie war verschlossen. Ich versuchte die andere Tür zu öffnen: verschlossen. Ich war in einer Falle, aus der es keinen Ausweg gibt. Und plötzlich über mir wieder die Schritte: eins-zwei, eins-zwei, eins-zwei. Mein Herz schlug rasend, dann ging das kleine Licht aus, das über mir in einer gläsernen Kugel gebrannt hatte. Ich war umgeben von Nacht.

Bange Minuten vergingen. Die Schritte kamen zurück. Hartes, Metallenes schlug gegen eine Tür über mir. Ein Geräusch, wie Donnerschläge, Schreie, Stille, und dieselben Schritte eins-zwei, eins-zwei, eins-zwei. Plötzlich ein Kratzen an der Tür, ein Luftzug und ein kleines Licht, flackernd wie eine Fackel.

“Komm!” rief die Stimme, “folge mir, rasch!”

Die dunkle Gestalt verschwand in einem dunklen Gang. Ich folgte, hatte keine Wahl. Wir liefen lange viele Gänge entlang, um unzählige Ecken. Ich wurde müde, bat sie:

“Bitte langsam!”

“Rasch, rasch, wir dürfen keine Zeit verlieren”, antwortete sie freundlich aber doch sehr bestimmt. Es war nicht dieselbe Frau, die mich jetzt führte, sie trug aber ebenfalls die Maske einer Arbeiterin.

Stundenlang liefen wir durch halbdunkle Gänge, deren Wände mit mir ganz fremden Zeichen bedeckt waren.

Endlich stiegen wir viele Stufen hinab, bogen mal nach rechts mal nach links ab und erreichte endlich einen Raum, der keinen Ausgang zu haben schien. Die Frau zeigte auf ein paar Kissen und sagte:

“Ruh dich aus!”

Ich bat:

“Lass mich allein, bitte, Arbeiterin, nur wenig Zeit!”

“Gut, gut”, sagte sie und verschwand. So schrieb ich dies. Sie muss jeden Augenblick zurückkommen. Verlässt sie mich, bin ich verloren in diesem Labyrinth, aus dem kein Mensch herausfindet.

Ich vermochte in einem kurzen, aber tiefen Schlaf rasch neue Kräfte zu schöpfen. Eine Schiebetür in der Decke des Raums wurde geöffnet, eine Leiter wurde nach unten gelassen und herab stieg eine Frau, die wieder die Maske einer Arbeiterin trug, ihre Stimme war die einer älteren Frau. Sie brachte eine Art Tee und rundes, Brot, ohne jeden Geschmack. Furchtbar!

“Iss”, sagte sie, “du brauchst noch viel Kraft!”

Ich aß und trank, fühlte mich auch tatsächlich gestärkt. Dann folgte ich ihr wieder viele Stunde, ich weiß nicht wie lange und nicht in welcher Himmelsrichtung. Ich hatte keine Orientierung, sah weder Sonne noch Mond. Ich habe auch jetzt keine Ahnung, ob die Sonne scheint oder der Mond, ob ich nach Westen gegangen bin oder nach Osten. Die Erde in ihrem Innern kennt keine Richtung.

Als die Frau einmal ihren Blick auf mich heftete, sah ich glänzende schwarze Augen tief hinter den übereinandergelegten Masken schimmern. Wir schauten einander eine Weile an, und mir war, als lächelte sie. Das gab es mir den Mut eine Frage zu stellen:

“Wohin gehen wir?”

Sie legte ihren Finger auf das Mundloch ihrer Maske und machte:

“Sssss!”

Bald danach standen wir auf und wanderten weiter. Schlafen, essen, wandern, tagelang. Oder war es nächtelang? Vorbei an abzweigenden Gängen, Schächten, Treppen und Türen. Oft fragte ich mich, wie sie sich zurechtfinden konnte. Aber ich hatte bis jetzt niemals Angst, wusste von irgendwoher, dass geschehen musste, was geschah und folgte meiner Führerin voll Vertrauen.

Die Gänge wurde noch steiler, unsere Schritte langsamer. Der Weg, den meine Begleiterin zuletzt gewählt hatte, endete in einem Raum ohne Fortsetzung, ohne Tür noch Luke in der Decke. Sie verlangte, dass ich mich in der Mitte des Raums niedersetze und zwar mit dem Blick den Gang hinunter, den wir gekommen waren.

“Bleib hier”, sagte sie leise. Ich saß da, wartete, dass sie an mir vorüber den Gang wieder hinunter gehen würde. Nichts geschah. Als ich mich umdrehte, fand ich mich allein. Wo war sie hingegangen? Zum ersten Mal hatte sie mich allein zurückgelassen. War das mein Ende? Aber sie musste ja irgendwie den Raum verlassen haben. Durch welche Falltür im Boden? Ich konnte nichts finden. Durch welche geheime Luke war sie in einen weiterführenden Gang geschlüpft? Ich klopfte die Wände ab, nichts.

Nach geraumer Zeit erlosch die Lichterkette im Gang, den wir gekommen waren,Ich sitze verlassen im Dunkel, am toten Ende eines Ganges, irgendwo tief unter der Erde, schreibe auf, was ich erlebt habe, erleuchte die Seiten meines Tagebuchs mit dem magischen Stein.

Atargatis, schütze mich!

Als ich mit dem Bericht fertig war, hatte ich lange tief in Gedanken im Dunkeln gesessen, dann aber beschloss ich, noch einmal die Felsenkammer genau zu untersuchen. Irgendwo musste eine geheime Öffnung sein. Als der Schein, der von meinem magischen Stein ausging, ein Stück schwärzlich glänzenden Stein traf, spürte ich den Boden unter mir zittern, ein tiefes Grollen war zu hören, als spräche der Berg zu mir. Steine und Staub fielen von der Decke. Aus den Wänden brachen Felsbrocken und rollten mir vor die Füße. Der Berg bebte, das Innere der Erde ächzte, als schmerzte sie der Strahl meines Kristalls. Aber ich musste den Ausgang finden. Die Mauer stürzte tatsächlich vor mir ein. Zwischen Staub und Steinen stand ich geblendet von Sonnenlicht, das mir entgegenflutete. Ich musste die Augen schließen und sie mit meinen Händen schützen, denn das Licht schmerzte.

Mühsam stieg ich über Felsbrocken und Geröll und erkannte jenseits davon eine hochwandige Höhle, die sich weit öffnet und den Blick freigibt über herrliches Land, weit sich hinziehend, bewaldete Berge, Ebenen in der Ferne und die silber glänzende See. War ich zurückgekehrt in die Heimat? So friedlich lag die Landschaft vor mir und wirklich und lebendig. Dies konnte nicht Maskanien sein! Ich war auf die aus der Höhle hinausragende Felsplatte getreten, hatte den Anblick genossen, der mir so erholsam war nach dieser Fahrt durch die Erde, als ich hinter mir eine Stimme hörte.

“ Sei willkommen im Vergessenen Land!”

Langsam drehte ich mich um und erblickte in der Dunkelheit der Höhle ein kleines Feuer, dessen Rauch an der hohen Felswand entlang lief und zwischen den über den Höhleneingang herabhängenden Wurzeln hinaus ins Freie gelangte. Ich ging auf das Feuer zu, und gewahrte nicht etwa meine Begleiterin, sondern eine steinalte Frau mit langem weißem Haar und nacktem Gesicht.

Als ich näher trat, redete sie mich wieder an:

“Setz dich zu mir ans Feuer!”

Ich tat, was sie mich geheißen hatte. Sie schaute mich lange an. Dann sagte sie:

“Nimm deine Maske ab!”

Wieder tat ich, was sie verlangte.

“Du bist schön”, sagte sie , “die Zeit ist gekommen.”

Sie sprach verwirrt, die Alte, sie schien zu lange allein in dieser einsamen Gegend zu leben. Als sie mich anlächelte, wusste ich, dass sie meine Gedanken erraten hatte. Auf ihrem Gesicht spielten tausend Falten mit dem wunderbarsten Lächeln, das ich je gesehen habe. Ihre weisen Augen glänzten vor Glück. Aber als die Bewegung auf ihrem Gesicht plötzlich wieder zum Stillstand kam, sah sie aus wie in Stein gemeißelt. Ein seltsamer Schleier lag über ihrem Blick. Lange verharrte sie bewegungslos, starrte mich nur wortlos an.

Mein Herz begann schneller zu schlagen, ich wusste um die Nähe eines Geheimnisses und seiner Enthüllung. Das Feuer zwischen uns begann unerwartet hochzuzüngeln, als hätte es Nahrung gefunden in dem Vibrieren der Luft.

Sehr langsam hob die Alte ihre Hände aus dem Schoß, Rücken an Rücken. Als sie ihr Gesicht erreicht hatte, legte sie die Handflächen vor ihre Augen und - an ihrer Linken glänzte der magische Schwesterstein.

“Barran”, flüsterte ich überwältigt, “Barran!”

Barran lebt, wie es in unserer Chronik verzeichnet steht! Und die Frauen haben mich gefunden, mich zu ihr geführt, als hätten sie und Barran mich erwartet.

Erst nach einer Weile vermochte ich meinen Stein aus der Tasche zu holen und Barran hinzuhalten.

“Nur e i n Stein konnte die Mauer zum Einstürzen bringen, der magische Stein aus Land hinter der Mauer!”

Sie nahm meinen Stein, hielt ihn zu dem ihren und ein wunderbares Licht erfüllte den Raum.

Dann führte mich Barran in das Innere der Höhle, wies mir einen Platz in einer Nische an, die mit Kissen ausgelegt und mit einem niedrigen runden Tisch in der Mitte ausgestattet ist. Hier sitze ich nun und schreibe diesen Bericht.

Atargatis! Gelobt seist du! Ich lebe! Ich habe Barran gefunden!

Ich wohne jetzt seit einiger Zeit schon in Barrans Höhle, ich studiere die Jahrhunderte alten und neueren Schriften, die die Bewohnerinnen dieser Höhle und einige mutige Maskanierinnen verfasst haben. Es sind Epen über die Geschichte aus vormaskanischer Zeit, denn gleich nach der Machtübernahme La-abs begannen die Frauen all ihr Wissen zusammenzutragen und aufzuschreiben.

Oft sitze ich draußen auf der Plattform und schaue hinaus in das weite Land nach Osten. Manchmal glaube ich, dass ich unsere Gebirge erkennen kann. Vielleicht liegt die Höhle höher, als die Mauer reicht? Denn Barran lebt wirklich auf maskanischem Boden, aber im Vergessenen Land. Wir sind hier auf einem hohen Gebirgsstock, zu dem kein Weg führt, außer dem geheimen durch den Berg.

Die maskanischen Herren haben den unwegsamen Berg aufgegeben und alle Zugänge in den Niederungen versperrt mit Zäunen, die, so sagt Barran, töten, wenn man in ihre Nähe kommt. Beim Anblick der Natur und in der Hoffnung, meine geliebte Heimat wiederzusehen, erhole ich mich von den Schrecken, die ich aus Barrans Pergamenten über die Geschichte Maskaniens erfahre. Oft lege ich meinen Kopf in Barrans Schoß und weine bitterlich.

Eines Abends sagte ich zu ihr:

“Viel habe ich in den Pergamenten gefunden über Maskanien und seine Geschichte, aber nirgends fand ich deine Geschichte, Barran.”

Lange schaute sie mir in die Augen, das Feuer loderte auf und warf einen seltsamen violetten Lichtschein über ihr Gesicht, der Schatten ihrer Gestalt huschte unruhig über die Felswand.

“Vor fast tausend Jahren, Amanda”, so begann die alte weise Frau, “verließ Barran Selenien, denn wir hatten eine Weissagung erfahren, dass Maskanien nur dann erlöst werden könne, wenn einer der beiden Zwillingssteine, die im Innersten des Tempels verwahrt wurden, sich in Maskanien befände.

So machte sich Barran auf, durchquerte die Mauer wie du, um den Heilige Stein zur Befreiung Maskaniens in das Land La-abs zu bringen. Das steht alles in euren Annalen, nicht wahr, du hast sie gut studiert, Amanda? Aber was dann geschah, hat niemand in Selenien erfahren. Höre also, Amanda, und schließe in dein Gedächtnis ein, was ich dir heute sage!

Die schwarzgekleideten Männer Maskaniens, die maskanische Polizei, nahmen Barran gefangen. Sie haben sie ins Haus der eisernen Fenster gebracht. Sie haben sie sich genommen viele Male und als sie sie schlugen und folterten, um die Weisheit deines Landes zu erfahren, da haben sie auch den magischen Stein gefunden, den Barran bei sich trug. Sie entrissen ihr den Stein und - er zerfiel zu Asche! Die Männerhände konnten den Stein nicht halten, er zerbröselte und rann durch ihre Finger wie Sand.

Da schlugen sie Barran noch einmal und schrieen:

“Der Stein, los, wir wollen den Stein haben!”

Und Barran ging hin, schob die Asche zusammen und legte sie auf ihre Hand, die sie ihr zerschlagen hatten. Da glänzte der Stein in seiner ganzen Schönheit erneut auf, sie rissen ihn ihr weg, aber er zerfiel sogleich wieder zu Staub. Noch einmal nahm Barran die Reste in ihre blutenden Hände und der Stein bildete sich unter aller Augen neu. Schnell entrissen sie ihn ihr erneut, aber dasselbe geschah.

Da riefen sie die Gefängniswärterin, die sie Nameda nannten. Sie musste die Asche zusammenkehren, und sie befahlen ihr:

“Geh hin und zerstreue die Asche im Wind! Niemals soll sie wieder die Macht des Steins in ihren Händen halten. Und morgen wird die freche Hexe verbrannt!”

Und Nameda kehrte die Asche zusammen. Als sie sich aufrichtete von ihrer Arbeit, und gerade den Raum verlassen wollte, da traf sie Barrans Blick, der sie durchfuhr wie der Blitz einen nachtschwarz verhangenen Himmel und ihn erleuchtet zu bizzarer Klarheit. Dann verließ Nameda den Raum.

Barran wurde in ihre Zelle gestoßen, wo sie all ihre Kraft sammelte, um die Wege Namedas zu lenken. Dann galten Barrans Gedanken ihrem aus vielen Wunden blutenden Leib, um ihn zu stärken für was immer kommen sollte am folgenden Tag. In den frühen Morgenstunden war Barran bereit für beides: Leben und Tod. Ihr schwacher Leib hatte sich durch Meditation ein wenig gestärkt, ihr Geist aber war hell, so hell, dass es Nameda, die wenig später leise die Zelle Barrans betrat, schien, als sei die Zelle erleuchtet von einem geheimnisvollen Licht.

Eine lange Zeit wagte sie nicht, die Frau in ihrer Meditation zu stören und harrte geduldig aus. Noch war der Tag nicht angebrochen, da hörte Barran die Wärterin flüstern:

“Komm, heilige Frau, schnell!”

Barran erhob sich, schaute verwundert Nameda an und wusste: Sie war gekommen zu ihrer Rettung. Rasch folgte sie der Wärterin, legte sich im Laufen die Maske einer Straßenreinigungsfrau an und trat in den frischen Morgen hinaus.

Plötzlich hielt Nameda inne, drückte Barran vorsichtig die verkrüppelte Hand und sagte:

“Geh nach Süden, hoch oben in den Bergen befindet sich eine Höhle. Dort versteck dich, bis der Tag kommt, an dem wir Maskanien befreien werden!”

Dann verschwand sie in der Menge, reichte aber aber Barran wortlos ein Bündel, das diese ebenso schweigend entgegennahm, um sich unverzüglich auf den Weg nach Süden zu machen.

Als sie die Stadt hinter sich gelassen hatte, machte sie sich zur Bäuerin, denn diese waren dort in der damals noch fruchtbaren Ebene häufig, dann zur Waldarbeiterin, als sie die Wälder erreichte, sie lebte von Beeren und Wurzeln und erreichte nach vielen Monden endlich die Höhle, in der du, Amanda, dich jetzt befindest. In dem Bündel Namedas hatte Barran nicht nur vielerlei Masken gefunden und Brot, sondern auch - den Stein. Da wusste sie, dass Nameda eine der ihren geworden war, hat aber von ihrem schrecklichen Schicksal erst lange später erfahren.

Nameda nämlich wurde beschuldigt, Barran die Flucht ermöglicht zu haben. Sie erhielt die Strafe der Öffentlichen Entkleidung. Sie schleppten Nameda zum Öffentlichen Strafplatz und rissen ihr Maske um Maske vom Gesicht: Die, die sie sieben Jahre getragen hatte, und dann die, die sie schon vierzehn Jahre trug und schließlich die, die sie ihr gleich nach der Geburt aufgenäht hatten. Nameda war 24 Jahre alt, als dies geschah. Dann aber hängten sie sie kopfüber an einen hohen Pfahl, so dass das Blut aus allen Wunden über ihr Gesicht strömte, das nicht mehr zu erkennen war.

Als sie endlich im Angesicht hunderter von Frauen, die sie auf dem Platz zusammengetrieben hatten, verblutet war, holten sie sie herunter, schnitten ihr den Kopf ab und nagelten ihn an den Pfahl, wo er viele Jahre hing, bis er nur noch ein Schädel war, denn die Würmer hatten ihn rein gefressen und die Vögel ihnen geholfen.

Noch immer feiern jedes Jahr die Gefängniswärter und die Hohen Herren des Gerichts Namedas Bestrafung. Dann streichen sie den Schädel an mit Blut und treiben die Frauen und Sklavinnen über den Platz. Selbst aber halten sie unter dem Pfahl ein Gelage die ganze Nacht hindurch.

Barran hatte ihre Zufluchtsstätte erreicht und lebte lange in der Einsamkeit. Eines Nachts hatte sie ein Gesicht. Sie hörte eine Stimme sagen:

“Du wirst eine Tochter gebären, du wirst sie Barran nennen, denn noch lange wird deine Gefangenschaft währen in den Bergen.”

Und im Frühling entband sich Barran von einer Tochter, die sie Barran nannte und großzog. Sie lehrte sie alles, was sie selbst wusste und ihr Kind zum Überleben brauchte.

Als sie aber ihr Ende nahen fühlte, rief sie ihre Tochter zu sich und sprach:

“Barran, meine Tochter, auch du wirst eines Tages eine Tochter gebären und sie Barran nennen. Lehre sie alles, was ich dich gelehrt habe und vergiss niemals die Worte, die ich jetzt zu dir spreche und die ich im Schlaf vernommen habe aus dem Mund Namedas, die mich gerettet hat und die auf dem Öffentlichen Strafplatz verblutet ist: ‘Über den Berg wird er zu dir kommen! Du, Barran, meine geliebte Tochter, wirst ihn empfangen und zurückschicken! Und hier: Nimm den Stein der Errettung und verwahre ihn gut!’

Dann verschied Barran in den Armen ihrer Tochter, die jammerte und wehklagte und ihre Mutter begrub am Eingang der Höhle. Barrans Tochter erwartete den Mann und so deren Tochter und alle Töchter, die ihr folgten. Aber immer mehr Zugänge zum Berg wurden geschlossen. So musste sich die Frauen Maskaniens einen Gang durch die Erde graben, es entstand das Labyrinth, das die Frauen der Stadt mit Barran im Berg verbindet.

Als die Frauen den unterirdischen Gang zu der Höhle fertiggestellt hatten und es Zeit war für die Barran jener Zeit eine Tochter zur Welt zu bringen, wählten die Sklavinnen einen Sklaven, der eine Maske trug wie sie, führten ihn in den Schoß der Erde, wohnten ihm bei, bis die Nacht gekommen war, die zwei Tage vom Vollmond trennt. Da kam Barran in die Halle der Heiligen Hochzeit, und der Sklave wohnte ihr bei. Als sie aber empfangen hatte, gaben sie ihm den Trunk der Heimkehr, trugen ihn in das Grabmal des Heros, den sie errichtet hatten und betteten ihn in die Erde.

Als die Stunde für Barran gekommen war, gingen die Frauen in das Labyrinth, durchquerten die Halle der Heiligen Hochzeit, eilten weiter zur Halle der Heiligen Geburt. So geschah es Jahrhunderte lang, bis ich geboren wurde.”

Hier hielt Barran inne und schaute lange mit geschlossenen Augen in ihr Inneres, um erst nach einer Weile wieder zu sprechen:

“Amanda, du siehst mich hier alt und mit vertrocknetem Schoß. Mein Blut ist versiegt, ich habe keine Tochter geboren. Jedes Jahr habe ich zu meiner besten Stunde einem maskanischen Sklaven beigewohnt und niemals empfangen. In mir hat sich die Prophezeiung erfüllt: Ich bin die letzte Barran, die Zeit ist gekommen, die Rettung nahe. Du, Amanda, bist da, der zweite Stein hat Maskanien erreicht.

Vierzig Jahre lang, seit mein Blut versiegt ist, habe ich die Frauen auf dein Kommen vorbereitet. Großes ist dir aufgetragen, Amanda, Großes auch den geknechteten Frauen Maskaniens.”

Nachdem mich Barran in ihre Geschichte eingeweiht hatte, lag ich lange wach und dachte über meine Sendung nach. Ich war aufgebrochen, um Maskanien zu erforschen, meinen Wissensdurst zu stillen, aber alles war nach einem geheimen Plan Atargatis’ verlaufen, ihre Töchter und Söhne Maskaniens zu erretten. Die Göttin war immer anwesend gewesen in Barrans Seele, nun füllte sie die meine mit Begeisterung. Ich wusste, dass ein schwerer Weg vor mir lag, dass ich manche Gefahr würde bestehen müssen, ganz allein auf mich gestellt. Ich brachte Barrans Antlitz vor mein inneres Auge, sprach: ‘Atargatis, sei gelobt! Ich habe mich selbst gefunden!’ und schaute in ihre weisen, ruhigen Augen, fand so endlich Schlaf.

Die Tage vergehen mit dem Studium alter Schriften. Viele Dinge erfahre ich, Oft ergreift mich ein geheimer Schauer, wenn ich daran denke, dass ich einmal den Schutz dieser Höhle werde verlassen müssen, um hinaus in dieses schreckliche Land zu gehen, zu sehen und zu erfahren, was mir jetzt beim Lesen wie ein Alptraum erscheint.

Dies werden die letzten Zeilen für lange Zeit sein: Die Frauen des Labyrinths sind gekommen, sie haben meinen Namen gerufen, um meine Seele zu stärken, sie haben mich hoch über ihren Köpfen dem wachsenden Mondlicht entgegengehalten. Jetzt werde ich mich zum letzten Mal in dieser Höhle hinlegen und der Worte Barrans gedenken:

“Niemals wirst du zurückkehren, Amanda, aber du wirst hier sein in dem, den du wählen wirst, unwissend, dass du wählst.”

Als ich Barran fragend anschaute ob dieser seltsamen Worte, schloss sie die Augen und sagte leise:

“Habe Geduld, Amanda, und du wirst erkennen.”

Atargatis! Sei gelobt! Beschütze mich, dass ich das Werk glücklich beginne!

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9783844233636
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