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Читать книгу: «Monde Masken und Magie», страница 2

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Als sie an den Mann herangetreten war, erkannte sie Erleichterung, ja fast Dankbarkeit auf seinem Gesicht. Er seufzte und schien sich in sein Schicksal zu ergeben.

“Gib mir meine Papiere zurück!”, forderte Amanda ihn auf. Der Fremde reichte Amanda das Bündel. Amanda betrachtete sein Gesicht, versuchte darin zu lesen. Seine Stirn war verschlossen.

“Kommst du von den nördlichen Bergen?”

Ihr Blick zwang den Mann zur Antwort. Er schüttelte den Kopf.

“Aus der südlichen Ebene?”

Wieder schüttelte er den Kopf.

“Von jenseits der östlichen Gebirge?”

Er verneinte die Frage auf dieselbe Weise.

“Schreibe den Namen deiner Mutter in den Sand!”, forderte Amanda ihn auf.

Gepeinigt schlug der Mann die Hände vors Gesicht.

‘Kann er meinem Blick nicht standhalten oder ...?’ Sie hörte unterdrücktes Schluchzen. Wieder fühlte sie Mitleid in sich aufsteigen. Ihre Gefühle verwirrten sich, standen im Widerspruch zueinander, sie musste herausbekommen, wer dieser Fremde war.

“Schreib deinen Namen in auf die Erde!”, sagte sie plötzlich aus einer Eingebung heraus. Der Namenlose ließ seine Hände sinken und schaute Amanda angstvoll an.

“Schreib deinen Namen auf die Erde!”, forderte sie ihn noch einmal auf. Da bückte sich er und schrieb mit einem kleinen Stab: M’ eksam.

“M’ eksam?”, las Amanda mit fragender Stimme und, da der Fremde noch immer auf dem Boden kniete, setzte sie hinzu:

“Steh auf, M’ eksam!”

Er erhob sich, stand aber mit gesenktem Kopf vor ihr, als habe er Schuld auf sich geladen oder einen Verrat begangen.

In Amanda jagten sich die Gedanken. Als sie lange auf das wirre Haar M’ eksams gestarrt hatte, sagte sie plötzlich leise und

beschwörend:

“M’ eksam!”

Er hob den Kopf und schaute ihr in die Augen. Sie trat ganz nahe an ihn heran und strich mit vorsichtigen Fingern sein Haar aus der Stirn und fand, was sie erwartet hatte: Von seiner Erregung tiefrote Narben. Sie folgte ihnen mit dem Finger rund um sein Gesicht bis hin zum Kinn.

“Du bist also Maskanier, ich habe es mir gedacht.”

Mehr sagte sie nicht, obwohl der Mann ihr noch immer Rätsel aufgab. Er konnte schreiben. Dieser Spur war sie gefolgt. Aber in Maskanien hat kein Sklave jemals lesen und schreiben gelernt. Dieser hier musste ein Sklave sein, denn er hatte eine Maske getragen. Der Mann war voller Widersprüche. Sie verschob es, darüber nachzudenken.

“Los, steig auf, wir reiten zurück.”

M’ eksam stieg auf das Pferd, Amanda schwang sich vor ihn in den Sattel und hängte Köcher und Bogen an den Sattelknauf.

Schweigend ritten sie zurück. Der Osthimmel begann sich rötlich zu färben, die Sterne verblassten, bald verschluckte das Tageslicht auch den Glanz des Morgensterns. Die Sonne stieg hinter den Bergen empor, als sie den Wald erreicht hatten. Bald darauf befanden sie sich im Lager, das kein Lager mehr war. Nur zwei Zelte standen noch auf der Lichtung, sonst war der Platz verlassen, das Feuer gelöscht, die Zelte abgebrochen, der Altar mit den verwelkten Zweigen und Blumen von einem geisterbannenden Steinkreis umgeben. Darmons und Amandas Zelte waren verschlossen.

Kopfschüttelnd und mit zusammengezogenen Augenbrauen betrat Amanda die Mitte der Lichtung. Da erst gewahrte sie den roten Kreis mit der braunen Linie darüber auf Darmons Zelt: “Im Kreislauf des Lebens kehrst du zurück zur Mutter Erde.”

Sie vergaß M’ eksam und lief über die Lichtung zu Darmons Zelt, schlug die Zeltbahn zurück und stürzte ins Innere: Darmon lag auf seinem Lager, links und rechts hingen seine Arme über die Kante hinunter. Blut tropfte aus seinen geöffneten Adern auf die Erde. Rasch riss sie zwei Fetzen von Darmons Hemd, band sie um seine Oberarme und zog sie fest an. Dann lief sie zu ihrem Zelt hinüber, rief unterwegs M’ eksam zu:

“Schnell, sammle mir die Blätter des Blutkrauts im Wald!” Sie holte aus ihrer Satteltasche ein paar Salben und Salze. Als sie zurückkam, hatte das Blut aufgehört zu rinnen. Eilig mischte sie in ihrem Handteller einen dicken Brei und strich ihn vorsichtig auf die Schnittwunden an Darmons Handgelenken. Als M’ eksam mit den Blättern hereintrat, löste sie die Binde an den Oberarmen und band die Blätter auf den weißlichen Brei über den Wunden. Sie murmelte ärgerlich:

“Ich hasse das Selbstgericht der Männer, ihre Rachegelüste, ihre Lust nach Blut. Man sollte ihnen die Jagd verbieten, das Blut der Tiere macht sie stumpf und gierig gleichzeitig. Wir sind Menschen. Das Leben ist heilig, unsere Mütter haben dafür ihr Blut gegeben, aber nicht dafür, dass es von ihren Söhnen vergeudet wird!”

Unwirsch wandte sich Amanda an M’ eksam:

“Wer ist Darmons Bruder und Bürge? Es ist natürlich sein Werk. Haben wir euch unser Blut gegeben, damit ihr euer Ehrgefühl darin badet?”

M’ eksam schaute Amanda erschrocken an, nahm einen Stab und schrieb ‘Orpon’ in den Sand, er zögerte und setzte dann das Zeichen für ‘großer Jäger‘ daneben. Amanda wurde nur noch wütender:

“Großer Jäger, großer Jäger, hier siehst du das Werk deines großen Jägers, einen Sohn hat er erlegt. Geh, warte vor dem Zelt! Vielleicht haben wir Glück.”

Amanda legte ihre Hand auf Darmons Stirn.

“Ich grüße das Auge des Lebens, dass sein Glanz zurückkehre.”

Während M’ eksam vor dem Zelt schlief, sprach Amanda Zaubersprüche, um Darmon ins Leben zurückzurufen. Stunden waren vergangen, die Sonne stand hoch. Amanda verlangte nach Wasser. Als M’ eksam das Zelt mit dem Krug betrat, sah er, wie Darmon die Augen öffnete für einen kurzen Augenblick. Amanda hatte ihm das Leben zurückgegeben.

In langen Zügen trank Amanda, sie sah erschöpft aus. Den letzten Zug behielt sie im Mund, beugte sich über Darmon und flößte ihm vorsichtig ein paar Tropfen ein. Dann stand sie auf.

“Nach einer Weile gib deinem Bruder wieder ein wenig Wasser, wie ich es getan habe. Zünde das Lagerfeuer an und hole alle Blätter und Kräuter für eine stärkende Suppe aus dem Wald, lege sie für eine Weile ins kalte Wasser und lasse sie dann erst leise kochen. Schlage drei Kandaroneier hinein. Die Nester des Kandaron findest du auf Eichen. Nimm aus jedem Nest nur ein Ei! Wecke mich, wenn der Mond über den Ostrand steigt!”

Amanda ging in ihr Zelt, legte sich auf ihr Lager und fiel sofort in einen tiefen, erquickenden Schlaf. Die Satteltasche mit den Dokumenten lag unter ihrem Kopf. Sie wusste, M’ eksam würde nicht mehr an Flucht denken. Er würde nicht weit kommen, ohnehin. Und seit sie seinen Bruder Darmon ins Leben zurückgeholt hatte, betrachtete er sie mit stummer Bewunderung, ein wenig Glanz war in seine Augen zurückgekommen.

Einen Tag später flößte Amanda Darmon mit großer Geduld Suppe ein, während M’ eksam eine Art Bahre aus Ästen auf Leiras Rücken befestigte. Amanda brach noch in der Nacht auf, um vor dem hohen Stand der Sonne die Nebelfelder, die gegen Mittag unerträglich schwül wurden, zu durchwandern. Leira ließ sich auf die Vorderknie nieder, so dass M’ eksam und Amanda den sehr schwachen Darmon auf ihren Rücken heben und auf der Bahre festbinden konnten. Dann machten sie sich auf den Weg.

2

Der Wald war voller Nachtleben: Eulen flogen über den Köpfen der Wanderer, Kleingetier raschelte im Laub. Amanda nahm von allem nichts wahr, sie schritt schweigend voran, dann folgte Leira, am Schluss ging M’ eksam. Er dachte an die Waldmenschen, seine Brüder, die er sicher nie wiedersehen würde. Sie waren friedlich, nur wenn sie sich als Tiere verkleideten für ihre Kampfspiele, voller Hinterlist und Gewalt.

In den Monaten, die er bei ihnen gewohnt hatte, hatten sie ihm ihre Sagen und Märchen erzählt, hatten ihn die Trommel schlagen und viele wichtige Dinge des täglichen Waldlebens gelehrt. Er wusste, wo sie jetzt waren, aber Amanda hatte ihn nicht einmal danach gefragt.

‘Ich werde sterben’, dachte er, ‘ohne dass je ein Wort über meine Lippen gekommen ist, dass mich ein Ohr hätte vernehmen können. Dann aber’, und hier erinnerte er sich an die phantasievollen Geschichten der Waldleute über eine merkwürdige Strafe, die der Rat der Fauen aussprechen konnte. ‘Dann aber, wenn mich das Kamel in die Wüste gebracht hat und ich die Einsamkeit kennenlerne, die mich zerstören wird, dann werde ich alles hinausschreien, was ich gesehen und gelitten habe in meinem Leben. Und dass meine Leiden umsonst waren, in Maskanien und in der Wüste. Und dass ich nicht weiß, warum ich durch Leiden und Labyrinthe gegangen bin, um in einer Wüste zu enden, verloren, vergessen, verstoßen ...’

So liefen die Gedanken M’ eksams kreuz und quer zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Leben und Sterben hin und her, als er verzweifelt und müde hinter der Stute hertrottete. Er wusste nicht, warum er nicht einfach tot zusammenbrach, warum er sich noch bis Esoran, der Hauptstadt, schleppen sollte.

Durch Darmons Kopf gingen andere Gedanken, wenn er aus seiner Schwäche zu sich kam und für einen Moment die Augen öffnete, sie aber rasch wieder schloss, da die vorüberziehenden Baumkronen ihm Schwindel verursachten. Sein Gehirn durchzogen erst wirre Bilder der vergangenen Nacht und des darauffolgenden Morgens. Die Gesichter der Waldleute, seiner Brüder, tauchten zu übergroßen und unheimlichen Fratzen verzerrt vor ihm auf. Sie hatten ihn angeklagt, den unbekannten, namenlosen Menschen in ihren Kreis aufgenommen zu haben und dabei vergessen, dass sie selbst seiner Aufnahme zugestimmt hatten.

Wegen Verletzung seiner Aufsichtspflicht gegenüber seinem Bruder hatten sie ihn zum Tode verurteilt. Der für ihn verantwortliche Bruder, Orpon, hatte ihm die Adern aufgeschnitten mit dem scharfen, schwarzen Gerichtsstein, der in Darmons kleiner Truhe mit all den Schätzen seiner Waldleute lag. Nach der Zeremonie waren sie leise davongegangen, Orpon mit der Truhe unter dem Arm. Wahrscheinlich war er schon zum neuen Führer gewählt worden und würde nun die Truhe in seinem Zelt verwahren. ‘Ich bin lebendig und doch für meine Brüder tot und begraben! Der Schrecken dieses Gedankens ließ erneut die erlösende Dunkelheit über Darmons Trauer und Elend fallen.

Amanda schritt gleichmäßig aus, soweit das Unterholz es erlaubte, erst als der Wald lichter wurde, konnte sie ein rascheres Tempo anschlagen. Immer wieder schaute sie besorgt zum Himmel hinauf, der sich jenseits der Wipfel langsam zu röten begann. Noch vor Sonnenaufgang musste sie das Tal der Nebel erreichen.

Während sie durch den Wald der kleinen Karawane vorausschritt, flogen ihre Gedanken in die Heimatstadt. So sehr war sie mit Vorfreude erfüllt, dass sie vergaß, was geschehen war, vergaß, dass sie zwei Männer bei sich hatte, einen halbtoten Anführer einer Waldleutegruppe und einen, der ihr Rätsel aufgab, die vielleicht nie zu lösen sein würden.

Endlich , in der Frühsonne erreichten sie das Tal der Nebel, das die Mütter vor vielen Jahrhunderten errichtet hatten zum Schutz ihres Landes vor La-abs Truppen. Vor ihnen wallten und wogten die weißgrauen Schwaden, die mit der aufsteigenden Sonne ein rötlicher Schimmer überzog. Jenseits der Nebel schwebten die bläulichen Berge, deren oberste Gipfel schneebedeckt waren.

Als sie den letzten Menhir auf den Höhen vor dem Tal erreichten, hielt Amanda an und sprach:

“Weise Mutter, du hast die Täler gefüllt mit undurchdringlichen Nebeln, dass kein Mann unser Land bedrohe, seine Schritte enden hier, will er nicht elend umkommen. Ich aber bin eine Frau und führe diese beiden Männer mit mir wie es das Gesetz erlaubt. Ich bitte dich, meine Schritte zu lenken, und auch die ihren, denn der eine muss geheilt werden, der andere ist ein Rätsel für den Großen Tempel in Esoran. Behüte ihre Schritte!”

Amanda holte einen langen, silbernen Faden aus der Satteltasche unter der Trage. Sie band ihn um M’ eksams Handgelenk und befestigte das andere Ende an der Trage.

Sie ging, Leira hinter sich herziehend, mit hoch erhobenem Kopf auf die Nebelwand zu. Sie wusste, dass Leira diesen Teil der Reise hasste, aber sie sprach ihr gut zu, so dass sie ihren Widerstand aufgab und willig Amanda in die Nebelwand hinein folgte.

Es benahm allen vieren den Atem, als sie gleich von dichten Nebelschwaden umwallt waren. Aber Amandas ruhiger und gleichmäßiger Schritt gab der Karawane einen sicheren Rhythmus. Da Amanda nicht einmal den Boden sehen konnte und sie dazu verleitet war, Anhaltspunkte zu suchen, schloss sie die Augen und stieg auf all ihre anderen Sinne vertrauend zu Tal. Manchmal rief sie Darmon an, der mit leiser Stimme antwortete.

Je länger sie der Talsohle entgegengingen, um so drückender wurde die zunehmende Dichte der Nebel und die Wärme der aufsteigenden Sonne, die den Nebel so gleißend weiß erscheinen ließ, dass M’ eksam nicht nur den Kopf senkte und die Augen schloss, sondern seine Rechte darüber legte, um sie gegen das schmerzende Licht zu schützen. In seinem Haar verdichtete sich der Nebel zu feinen Tropfen, die in seine Stirn rollten und sich mit seinem Schweiß vermischten. Immer schwerer wurde jeder seiner Schritte. Er beneidete Darmon, der so bequem auf dem Pferd durch dieses Höllental getragen wurde.

Als sie die Talsohle erreichten, stöhnte M’ eksam auf, so dass Amanda anhielt und fragte:

“M’ eksam?”

Keine Antwort.

“M’ eksam, ist dir nicht wohl?”

Auch darauf erhielt Amanda natürlich keine Antwort. Sie ging zu Leira, löste die Wasserflasche vom Sattelknauf, ließ Darmon ein paar Schluck trinken und ging dann, vorsichtig sich an Leiras Körper entlangtastend, zu M’ eksam, um auch ihn trinken zu lassen. Erst dann gönnte sie sich selbst von dem Wasser.

“M’ eksam, vergiss nicht während dieses Marsches durch das Nebeltal, dass du bald dorthin kommen wirst, wo dein Herz Frieden finden wird.”

Als M’ eksam den Tod in der Wüste vor Augen, auch darauf nicht antwortete, strich sie ihm die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht, lächelte ihn an und war mit ihrem nächsten Schritt wieder im Nebel verschwunden. Der härtere Teil lag noch vor ihnen, der Aufstieg.

Mit einem Mal vernahm Amanda ein entferntes Brodeln, wie wenn Feuer sich mit Wasser mischt. Sie hielt inne, horchte und spürte die Schwingungen der Erde, ein leises Beben. Darmon stöhnte auf und rief:

“Amanda, sie kommt, die ...!”, seine Stimme verlor sich, er war wieder in seine Ohnmacht zurückgefallen. M’ eksam hangelte sich an seinem Silberseil an Leira heran, er zitterte am ganzen Leib, obwohl er nicht wusste, was Darmon hatte sagen wollen, aber es war, als wäre die Luft nicht nur erfüllt von diesen alles schluckenden Nebeln, sondern auch von einer unbekannten Gefahr, die durch seine Haut drang und sich mit eiserner Faust die Angst um sein Herz legte.

Nur Amanda blieb hochaufgerichtet stehen, ihren Blick in die Richtung gewandt, aus der die schweren Schritte vernahm. Als sich der Nebel rötete und die zischenden Laute zu einem Prasseln geworden waren, fiel Amanda ein, was sie versäumt hatte.

Eine Hitzehelle drang auf ihre Gruppe ein, die Nebel teilten sich und vor ihnen erhob sich der Riesenleib der Drachin Sching-Moo, die angesichts der Karawane nicht nur Feuer spie und mit ihren Füßen die Erde stampfte, sondern ein erschütterndes Brüllen ertönen ließ, so dass die Nebel davonstoben und ein entsetzlicher Wind sich erhob, der die Lohe, die noch immer aus dem Maul des Tieres hervorbrach, über die Gruppe hinwegjagte.

Darmon schrie auf, wandte sich in den Gurten, mit denen er auf die Trage gebunden war und stieß herzzerreißende Laute aus, die niemand in dem schwachen Körper mehr vermutet hätte. M’ eksam klammerte sich in seiner Not an Leira, deren Flanken zitterten und an deren Hals der Schweiß in Bächen herunterlief. M’ eksam verbarg sein Gesicht in ihrer Mähne, seine Narben begannen zu brennen. ‘Heilige Mutter, du hast mir das Feuer prophezeit! Ich stehe mitten drin, so ist doch noch nicht alles verloren.’ M’ eksam drehte sich um, lehnte sich schwer gegen Leiras tiefhängenden Hals und während er verzweifelt in seiner Leinentasche kramte, um die Dose zu finden, fegte ein neuer Feuerstoß über alle hin.

“Sching-Moo, Sching-Moo!”, rief Amanda, “ich habe dein Reich betreten auf meiner Heimkehr. Meine Satteltaschen bergen die Geheimnisse Maskaniens! Sching-Moo, verschone uns zum Heil der Menschen Maskaniens!”

“Du bist zurückgekehrt Jungfrau Amanda, dein Weg ist frei, aber diese hier”, antwortete mit Donnerstimme Sching-Moo, “diese hier, die Männer, die du bei dir führst, sind mein. Bringe sie in meine Höhle!”

In Amandas Kopf jagten sich die Gedanken. ’Wie habe ich nur ohne Opfer für Sching-Moo in die Nebelfelder gehen können!?’ Sie wusste aber auch, dass es nicht Zeit für Vorwürfe war, vielmehr musste sie Darmon und M’ eksam vor dem Heißhunger Sching-Moos bewahren. Diese wurde wütend, weil Amanda nicht sogleich ihrer Aufforderung Folge leistete und spie noch einmal mit weit geöffnetem Rachen zur Unterstützung ihres Befehls Feuer.

Inzwischen hatte M’ eksam die Dose in seiner Tasche gefunden und wie die Drachin wieder das Maul aufriss, warf er das, was er in der Dose fand in hohem Bogen in Sching-Moos Rachen. Da sie bei jedem Feuerstoß die Augen schließen musste, weil sie seit tausend Jahren nicht mehr an Licht gewöhnt waren und der Feuerschein sie geschmertz hätte, konnte sie nicht sehen, dass ihr etwas in den Rachen flog und sie es verschluckte, ohne es auch nur zu spüren.

“Also, Amanda”, donnerte sie noch einmal und ihr erneuter Versuch, Feuer über alle zu speien, endete in einem lang anhaltenden Gähnen.

“OOOOOH”, sagte Sching-Moo, als sie ihr Maul wieder schloss, “ich bin schrecklich müde, wir werden später zu meiner Höhle gehen. Aber glaubt nicht, dass ihr mir entfliehen könnt!”

Und Sching-Moo begann einen großen Kreis um Amandas Karawane zu gehen und erst als ihr Maul ihren Schwanz berührte, fiel sie todmüde zur Erde, was ein kleines Erdbeben verursachte, und schlief sofort laut schnarchend ein.

Amanda schüttelte den Kopf, denn auch sie hatte nichts von M’ eksams Eingreifen wahrgenommen und war völlig erstaunt über Sching-Moos neue Pläne. Wie aber würde sie Leira und die Männer aus diesem schrecklichen Kreis herausführen können? Da stupste Leira sie an und flüsterte:

“Fliegen kann ich nur mit dir, also springe ich mit euch allen auf dem Rücken.”

Amanda schaute Leira entsetzt an:

“Leira, du wirst entweder auf ihrem Panzer landen und seine Stacheln durchbohren uns alle, oder ihr Nebelatem wird dich und uns ersticken!”

M’ eksam, der diese Situation hervorgerufen hatte, war verzweifelt, als er sah, worin er sie alle verstrickt hatte. Wieder stöhnte Darmon, öffnete die Augen und flüsterte:

“Amanda, die Nebel, die Nebel kommen zurück!”

Alle drei schreckten auf, als sie die dichten Nebel aus Sching-Moos Nüstern aufsteigen sahen, Nebel, die sie bald wieder völlig umschließen würden.

“Rasch”, sagte da Leira, “nimm die Trage von meinem Rücken, Amanda, ich schaufle uns den Weg frei mit meinen Hufen!”

In aller Eile lösten Amanda und M’ eksam die Trage und setzten sie auf der Erde ab. Darmon versuchte zu lächeln und hob sich auf seine Ellbogen.

“Schau, Amanda!”, sagte er, “vielleicht kann ich im Sattel sitzen, wenn wir hier herauskommen.”

Leira wieherte laut und begann mit den Hufen den Boden zu bearbeiten, dass die Erdkrumen durch die Luft flogen. Rasch bildete sich ein Tunnel, unter der dünnsten Schwanzstelle Sching-Moos. Amanda und M’ eksam räumten die ausgeworfene Erde mit ihren Händen beiseite. Leira bohrte sich tiefer und tiefer in die Erde, bis sie völlig darin verschwand und nur noch die herausfliegenden Erdklumpen und Steine zu sehen waren.

Als Leiras Wiehern ertönte, machten sich Amanda und M’ eksam daran, Darmon auf der Trage durch das Erdloch zu ziehen. Sie standen mit verschmutzten Kleidern, Händen und Gesichtern auf der anderen Seite Sching-Moos. Auch Leiras blütenweißes Fell war erdverkrustet. Sie schauten sich an und lachten, aber Darmon zeigte auf die Nebelwand, warnte sie und mahnte zum Aufbruch.

M’ eksam lehnte die Trage gegen Sching-Moos kleine Fußkralle und half Amanda, Darmon in den Sattel zu setzen. Leira war froh, dass sie weniger Gewicht auf sich spürte. Sie machten sich an den Aufstieg.

Sie hatten die Drachenhöhle lange hinter sich gelassen, als die Nebel lichter wurden, da und dort aufrissen und endlich den Blick freigaben auf Amandaas Heimat. Voller Freude betrachtete sie die Labdschaft. Sie gingen noch ein Stück, dann brach die Dämmerung herein. Amanda suchte einen Lagerplatz. Nach einem kurzen Mahl saßen die drei beisammen und schauten auf die in der Dunkelheit

verschwimmenden Nebel zurück. Die Wanderung, die Abenteuer hatten alle erschöpft. Bald sanken sie wie sie waren in tiefen Schlaf.

Noch warf das Gebirge lange blaue Schatten, als sie wieder aufbrachen und noch im Frühlicht den Pass erreichten. Vor ihnen lag das breite Tal des Nemanja, in das sie in weiten Kehren hinunterstiegen. Angezogen von dem klaren Wasser, gingen sie rascher zu Tal, erreichten bald das Ufer des auch im Sommer viel Wasser führenden Flusses. Sie folgten seinem Lauf noch eine Weile südwärts, wo er breiter und träger dahinfloss. Als die Abenddämmerung hereinbrach, suchten sie wieder einen Lagerplatz und wuschen sich in den reinen Fluten.

Als Amanda aus dem Fluss gestiegen war und sich ihre Toga wieder angelegt hatte, sagte sie:

“Ich gehe zur Anhöhe dort und bin bald zurück.”

Sie verschwand zwischen den Büschen eines Abhangs, der nach Westen zu lag.

Inzwischen kochte M’ eksam Gemüse und Gerstenbrei,aß zusammen mit Darmon und bereitete für alle drei ein Nachtlager. Er lag lange wach, er war zu müde um einzuschlafen. Er vermisste Amanda. Aber er wagte nicht, ihr zu folgen, sie irgendwo zu suchen, ja nicht einmal, sich um sie Sorgen zu machen.

So stand er wieder auf, ging zum Fluss hinunter und setzte sich ans Ufer. Er hörte nur das leise Murmeln des Wassers, ein paar Nachtvögel, die manchmal grell aufschrieen und wieder verstummten oder die in schwirrendem Flug über den Fluss dahinzogen. Die Nacht war hell, die Sterne verblassten und der Mond warf erst sein diffuses Licht über die Landschaft, bis er hoch stand und alles mit seiner nächtlichen Klarheit übergoss. M’ eksam konnte sich nicht sattsehen am silbernen Funkeln des Mondlichts auf den krausen Wellen und Wirbeln. Immer neue Figuren tanzten die tausend Lichtflecken auf dem Wasser. Ein wenig begann auch M’ eksams Seele wieder zu leuchten. Seit er Sching-Moo in Schlaf versetzt hatte, zweifelte er daran, ob er auf dem Weg in die Wüste war. Vielmehr wuchs das Gefühl in ihm, dass seine Mission jetzt erst richtig begann.

Aber wie konnte er die Dokumente nach Maskanien bringen, wo er sich nun jenseits der Nebel befand? Keine Frau würde ihn je durch die Nebel führen und an Sching-Moo vorbei. Die Dokumente kaufen? M’ eksam lachte sich selbst aus. Sie abschreiben? Waren es überhaupt die Dokumente oder sollte er etwas ganz anderes zurückbringen? M’ eksam holte sich noch einmal ins Gedächtnis, was ihm geweissagt worden war. Würde er jemals das Rätsel lösen?

Er saß ganz still, seine Gedankengänge rissen ab, ihm war, als leerte sich langsam sein Gehirn. Er saß mit geschlossenen Augen am Fluss, spürte das Wasser seine Füße streicheln, seine Hände zerkrümelten die weiche, süßriechende Erde, die für ihn immer noch voller Wunder war. Es war, als sprächen Erde und Wasser zu ihm, Wehmut strich durch seine Seele, als hätte er lange Verlorenes wiedergefunde. Aus der Erde wuchsen ihm unbekannte Kräfte zu: Sie strömten durch seine Finger und Arme, erfassten Körper und Geist. Das Wasser schenkte ihm Ruhe und Harmonie, eine Art Seligkeit, die er nie zuvor in seinem Leben verspürt hatte. Er stand auf, legte seine Kleider ab, schritt zum Ufer, glitt er ins Wasser und schwamm in langen Zügen hinaus in den Fluss.

Amanda hatte eine Weile auf dem Hügel gesessen und ihren Blick über das Land schweifen lassen. Sie fühlte sich gestärkt und machte sich beschwingten Schrittes an den Abstieg, ging hinunter zum Fluss. Sie legte ihre Kleider ab und stieg in die silbernen Fluten. Als sie sich der kleinen schilfumstandenen Insel mitten auf dem Nemanja näherte, sah sie die Silhouette M’ eksams im Mondlicht. Nackt stand da der Mann aus Maskanien und blickte in den Nachthimmel. Sie schwamm heran, bog das Schilfrohr beiseite und betrat das Inselchen.

“M’ eksam”, rief sie leise. Der Angerufenen drehte sich ohne Hast um und schaute Amanda entgegen, als hätte er sie erwartet.

M’ eksam und Amanda standen sich gegenüber, zwei Menschen, die sich ein Rätsel waren. Eingehüllt in das Licht einer Vollmondnacht erlebten sie den Augenblick, in dem die Wunschlosigkeit der Seele den Fluss der Zeit anhält, Sein und Nichtsein eins werden, Leben und Tod sich aufheben.

Der schwere Flügelschlag eines Schwarms wilder Schwäne zog über die Köpfe der beiden hinweg, landete zwischen Insel und Ufer und ließ die Zeit wieder ein, in deren Fluss alles Leben schwimmt.

Amanda ging auf M’ eksam zu, nahm seinen Kopf in beide Hände und küsste ihn auf die Stirn.

“Die Schwester küsst den Bruder”, setzte sie hinzu, “deine Zeichen stehen gut, auch wenn sie mir ein Rätsel sind!”

Sie sah M’ eksam zum ersten Mal lächeln. Seite an Seite schwammen sie ans Ufer zurück.

“Geh schlafen, mein stummer Bruder, und schlaf wohl!”, sagte Amanda.

Als sie am nächsten Morgen aufbrachen, lag die weite Landschaft sonnenüberflutet vor ihnen. Sie ritten weiter den Fluss hinunter, begleitet von Vögeln, kurze Strecken mitflogen und zurück zu ihren Nestern kehrten. Endlich erreichten sie die alte Brücke, die sich kühn über den Fluss schwang. Hell klangen Leiras Hufe auf den kunstvoll zusammengefügten Steinen. Auf der Höhe des Bogens hielten sie an und schauten hinunter auf das Wasser, aus dessen Fluten der Kopf einer Schlange auftauchte, die mit eleganten Schwingungen ihres Körpers gegen den Strom anschwamm.

“Sei gegrüßt, Amanda, Heimgekehrte”, flüsterte eine feine hohe Stimme aus der Tiefe .

“Sei gegrüßt Schamm-schain!”, rief Amanda zurück. Scham-schain hatte ihren Kopf zu ihr emporgehoben, bevor sie unter der Brücke verschwand.

Vorsichtig setzte Leira Huf vor Huf, als sie den Brückenbogen abwärts ging. Friedlich lag das Land vor ihnen; als erwarte es die Heimkehrer mit besonderer Freude, zeigte es seine ganze Buntheit in leuchtenden Farben: tiefgrüne Weiden wechselten mit korngelben Feldern, dazwischen die ziegelroten Dächer der verstreut liegenden Gehöfte.

Darmon fühlte sich an diesem Tag sehr viel besser. Erinnerungen stiegen in ihm auf, sie waren ihm ein Lebenselixier.

‘Wie habe ich nur die Schönheit und den Frieden dieses Landes in den Wäldern drüben vergessen können?’ fragte er sich. ‘Es ist, als hätte ich meine Kindheit und die sieben Jahre mit Elvida vergessen. Als ich in die Wälder zurückgekehrt war, hatte ich keine Sehnsucht, merkwürdig. In den Nebeln mussten sich meine Erinnerungen verfangen haben. Ich wurde einer der Waldleute, und von meinem Leben hier blieb nur ein schöner Traum.’

Darmon nahm sich vor, Amanda um Erlaubnis zu bitten, sein Heimatdorf aufzusuchen, bevor er der Wüste überantwortet würde und vielleicht die Kinder Elvidas zu sehen, die ihn aus den Wäldern geholt hatte und mit der er sieben Jahre verbracht hatte. Die Wüste, das Wort begann sein Hirn zu martern. ‘Wo habe ich zum ersten Mal von der Wüste erfahren? Wer hat mir davon gesprochen?’ Darmon suchte seine Erinnerungen ab, aber es konnten nur die Waldleute gewesen sein, der Alte im Nördlichen Steintempel, bei dem sie sich an Sonnwenden und Tag- und Nachtgleichen versammelten und der sie alles Heilige lehrte. Er hörte den Alten:

“Brüder”, sagte seine weiche, schon brüchige Stimme, “Brüder, wir sind alle füreinander verantwortlich und die Liebe ist unser

höchstes Gebot, wie es uns die Frauen gelehrt haben. Aber wir haben auch die Gesetze des Waldes ...”

Der Alte zählte alle Strafen auf, die für Missetäter vorgesehen waren, die höchste nannte er am Ende:

“Wer die Aufsichtspflicht gegenüber seinem angestammten Bruder verletzt und dieser sich vergangen hat, muss sterben. Des Verbrechers Verbrechen ist auch sein Verbrechen. Jenseits des Tals der Nebel werden ihn die Frauen richten. Und ich sage euch”, und hier hob der Alte die Stimme und flüsterte, den Schrecken in seinen Augen: “Die Wüste, wen die Wüste erwartet im Südland, stirbt den schrecklichsten Tod. Drei Tagesreisen trägt das schwarze Kamel den Verbrecher in die Wüste und dort, Brüder, wo die Hitze des Wüstensands die Fußsohlen versengt, die Stürme dem Verbrecher Augen, Ohren und Mund verstopfen mit heißem Sand, wo in den eiskalten Nächten die Knochen erstarren, dort wird er elend verschmachten.”

Darmon begann zu zittern, Die Wunder der Landschaft verblassten vor den Schreckensbildern seiner Hinrichtung. Immer wieder hatten die Waldmenschen von der Wüste gesprochen, für Darmon war sie nichts als ein fernes schreckliches Märchenland gewesen. Nun aber war für ihn und M’ eksam, seinen Bruder, die Wüste plötzlich so hautnah gerückt, von der er sonst nur an Lagerfeuern einen unwirklichen Schauer gefühlt hatte.

Darmon stöhnte auf, öffnete die Augen und verscheuchte die schwarzen Gedanken. Amanda drehte sich um und schaute in Darmons trauriges Gesicht.

“Müde, Darmon?”, fragte sie und hielt das Pferd unter einem weitausladenden Baum an. Sie half ihm aus dem Sattel. Er setzte sich ins Gras, den Rücken an den Stamm gelehnt. Auch Amanda, die die Wasserflasche vom Sattelknauf abhängte und zu ihm trat, setzte sich und nach ihrer Aufforderung folgte ihr M’ eksam.

Sie ließen die Flasche kreisen, aßen von dem Fladenbrot, das Amanda in der Frühe gebacken hatte und saßen schweigend, in Gedanken versunken unter dem Baum. Die Sonne überschritt den Mittag und senkte sich schon nach Westen. Amanda gab das Zeichen zum Aufbruch.

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9783844233636
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