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Читать книгу: «Monde Masken und Magie», страница 3

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Als die kleine Karawane in die Stadt einzog, schlossen sich ihnen eine Menge Frauen, Männer und Kinder an.

Sie entzündeten die Fackeln, die an den Wänden der Häuser steckten und so schritten die Ankömmlinge durch die hell erleuchteten Straßen hinauf zum Tempelplatz.

Als Amanda mit ihren Begleitern und Leira an den Stufen, die zum Tempel hinaufführten, angekommen war, half sie wieder Darmon vom Pferd und übergab ihn der Fürsorge der älteren Jungen der Stadt. M’ eksam begleitete ihn zum Kleinen Tempel am Ostrand des Platzes. Dort warteten sie geduldig, auf die Dinge, die kommen sollten. Leira aber blieb an den Stufen des Tempels zurück, wo Mädchen sie tränkten und fütterten.

Amanda schritt klopfenden Herzens, die Dokumente in den Händen, die Stufen des Tempels hinauf. Sie war bewegt von der einzigartigen Schönheit dieser Stätte. Sie war umgeben von hunderten von Menschen, eingehüllt in eine Wolke von Lachen und Freudenschreien. Die Tore zur großen Tempelhalle standen weit offen. Amanda über die Schwelle getreten und hineingegangen war bis zum Zentrum der runden Halle, und die Dokumente niedergelegt hatte, verharrte sie und Stille entstand für Amandas Gebet.

Die Priesterinnen in ihren langen silbernen Gewändern und ihren schwarzen, roten und weißen Stirnbändern bildeten einen Kreis um Amanda und stimmten den Hymnus an:

“Willkommen, Schwester, aus der Ferne, zu Ende ist deine Reise …!”

Zwei der Priesterinnen traten neben Amanda, auf die aus der hohen Kuppel des Tempels magisches Licht fiel, das sie einhüllte in bläulichen Schimmer, So dass ihre weiße Toga erklang. Dann geleiteten die Priesterinnen sie zu einem silberbeschlagenen Sessel mit hoher Rückenlehne und einem weichen mit Ornamenten bestickten Kissen.

Amanda setzte sich und sah, wie der Boden im Zentrum der Halle sich öffnete. Das marmorne Becken, in das mit hellem Klang das Wasser sprudelte kam, wie sie es erwartet hatte, zum Vorschein. Zu ihrem Erstaunen stand Daphoine daneben. Sie trug ein langes weißes Gewand und das rote Stirnband der Mütter. Amanda erwiderte Daphoines Blick, das Herz beider Frauen schlug schneller.

Im Schein der dreizehn Fackeln im innersten Kreis erhob sich Amanda und wurde von den beiden Priesterinnen entkleidet und ins Becken geleitet. Sie erfuhr nach so vielen Monden überglücklich wieder die rituelle Waschung, die ihr immer Glauben an sich selbst und Mut gegeben hatte, wenn ihr die Studien zu schwierig vorgekommen waren oder ihr größter Wunsch niemals in Erfüllung zu gehen schien.

Heute war es ein einziger Strom der Erlösung, der sie durchfloss, als sie im heiligen Wasser gebadet wurde. Daphoine leerte mit zarter Hand das heilige Wasser über Amandas Hände und Arme, über ihre Brüste, ihren Bauch und ihren Rücken; sie goss das Wasser über ihre Beine und Füße und wusch am Ende ihr Haar.

Nachdem die Priesterinnen Amanda in saubere Gewänder gekleidet hatten, dankten alle sich in der Halle drängenden Menschen Atargatis für die glückliche Heimkehr Amandas.

Inzwischen war die im Süden des Tempels liegende Esshalle geschmückt und die Tische von den Frauen reichlich gedeckt worden. Dorthin zogen alle, um das zu genießen, was Selenien hervorbringt: Köstliche Früchte, reiches Gebäck, allerlei Brote mit Käsen verschiedenster Art, erfrischende Salate und Getränke aus Ziegen-, Schafs- und Kuhmilch, gemischt mit allerlei wilden Kräutern. Die Musikantinnen waren versammelt, spielten Weisen der Freude. Die Esshalle war geschmückt mit Blumen, und die Fackeln an den Wänden waren mit schwarz-weiss-roten Bändern umflochten.

Die lange Tafel in der Mitte des Raumes war den Priesterinnen und den Ältesten vorbehalten, natürlich hatte auch Amanda ihren Platz hier.

Daphoine ging um den Tisch herum und setzte sich neben Amanda. Der Teller, voll der herrlichsten Dinge, stand lange Zeit unberührt zwischen ihnen. Ihre Blicke waren ineinander versunken, konnten sich für eine kleine Ewigkeit nicht voneinander lösen. Rund um die beiden war fröhliches Schmausen und Lachen und Musik.

Als sie ein wenig gekostet hatten, hob Daphoine ihr Glas und sagte leise mit ihrer noch immer gleich verführerischen Stimme von früher:

“Willkommen, Amanda, willkommen zu Hause!”

Sie hatten kaum etwas getrunken oder gegessen, als der Reigentanz begann und sie aufstanden und sich im Takt mit den anderen langsam vor und zurück und nach links und rechts bewegten, aufeinander zu, voneinander weg. Die Luft zwischen ihnen begann zu vibrieren. Der süße Schmerz des noch unerfüllten Verlangens wuchs in beiden, weil beide vom selben Rhythmus getragen waren.

Als Daphoine Amanda an der Hand aus der Großen Esshalle führte, stand der Mond hell über den Dächern Esorans. Leira wartete noch immer an den Stufen. Amanda ergriff den Zügel und sagte:

“Komm, Leira, nach Hause!”

Die Stute folgte den beiden Frauen, die langsam, als wollten sie die endgültige Heimkehr zu ihrer eigenen Lust noch hinauszögern, durch die leeren Straßen der Stadt gingen, denn noch war das Fest in vollem Gange.

Als sie Daphoines Rundhaus erreicht hatten, führte Amanda Leira in den Garten. Dann folgte sie Daphoine, die die Fackel aus der Wand genommen hatte und nun ins Innere trat. Herrliche Düfte wallten Amanda entgegen, nur drei kleine Fackeln erhellten den Raum, der in so vielen Tagträumen Amandas eine Rolle gespielt hatte. Es war ihr noch immer, als wäre auch dies nur ein Traum.

“Ist das alles Wirklichkeit?”

Daphoine antwortete nicht, sondern legte ihre Hand noch einmal auf Amandas Schulter.

“Es ist Wirklichkeit, Daphoine, es ist die Wirklichkeit”, flüsterte Amanda und spürte dem Strom nach, der aus Daphoines Hand in sie einfloss.

“Setz dich hierher, Amanda”, sagte Daphoine nach einer Weile, “ich will dein Haar kämmen.”

“Du erinnerst dich?”, fragte Amanda und setzte sich auf ein Kissen vor Daphoines Spiegel . Diese kniete hinter Amanda nieder. Wieder gab sie keine Antwort, ergriff vielmehr den Kamm und strich zärtlich damit durch Amandas schwarzes, dichtes Haar.

“Silberfäden”, sagte Daphoine leise, “Silberfäden in deinem Haar, Geliebte.”

“Ja, dreizehn Monde nur und Silberfäden, aber ich habe ja auch Schreckliches gesehen!”

“Nicht heute, bitte nicht”, sagte Daphoine flehend mit der Stimme eines jungen Mädchens. Amanda lachte.

“Ich werde uns nicht die Nacht mit den Schauergeschichten Maskaniens vertreiben, glaube mir!”

Sie suchte in dem bronzenen Spiegel vor sich nach Daphoines Blick. Als sich ihre Blicke trafen, hielt Daphoine inne, ließ Amandas Haarsträhne aus ihrer Hand fallen und legte den Kamm beiseite.

Ihre Lippen berührten Amandas Haar und ein Feuerstrom durchfuhr die Heimgekehrte. Sie erhob sich langsam und trat Daphoine, die sich ebenfalls erhoben hatte, gegenüber. Wieder standen sie lange in ihre Blicke versunken da, bis endlich Daphoine Amandas Schulterspange löste. Das Tuch fiel, ihre rechte Brust entblößte sich. Daphoine stand sinnend in den Anblick vertieft, lächelte dann Amanda an und drückte rasch, fast schüchtern und wie zum ersten Mal einen Kuss auf den braunen Hof. Dann sahen sich die beiden Frauen wieder in die Augen, ihre Kleider langsam lösend und abstreifend, bis sie einander unverhüllt gegenüberstanden.

“Du bist wunderschön geworden, Daphoine”, sagte Amanda. “Du bist runder geworden und deine Brüste sind immer noch ein bisschen zu klein.”

“Ja, Amanda, ich habe eine Tochter geboren, bin kein junges Mädchen mehr.”

“Aber herrlich anzusehen”, entgegnete Amanda. “Und weißt du, was mir am besten gefällt an dir?”

“Du hast immer meine Ohren bewundert”, sagte Daphoine.

“Nicht mehr”, erwiderte Amanda. “Du bist noch immer schlank, aber du hast den schönen runden Bauch, wie ihn nur Mütter haben können. Den liebe ich am meisten.”

Daphoine strich über ihren Bauch und lachte leise.

“Und du, Amanda, bist ganz die Alte, als ob nicht dreizehn Monde vergangen wären. Ich liebe noch immer besonders deine

Hände. Sie sind noch kräftiger geworden in der Fremde. Haben sie dort etwa ihre Weichheit verloren?”

Jetzt war es Amanda, die lachte und auf ihre Freundin zutrat. Als sie ihre Hände auf deren Schultern legte, lächelte diese und sagte:

“Sie sind so weich wie damals!”

So ließ Amanda mit geschlossenen Augen ihre Hände über Daphoines Körper gleiten, sie erinnerte sich an den Samt ihrer Haut voller Freude, kniete vor Daphoine nieder, legte ihre Wange an ihren runden Bauch und sagte:

“Er ist nicht nur rund, dein Bauch, er redet auch! Du hast zuviel gegessen!”

Jetzt lachten beide.

“Komm,” sagte Daphoine und ergriff Amandas Hand, “komm!” flüsterte sie und führte sie zu ihrem weichen Lager auf dem Boden in der Mitte des Raums. Blumen dufteten rund um die vielen bunten Kissen und Decken, die Daphoine zu ihrem Lager zusammengetragen hatte. Räucherwerk verströmte süßen Duft, und die Lichter flackerten leise. Sie lagen nebeneinander und tauschten lange die Zärtlichkeiten, die ihre Hände erinnerten, fanden neue, küssten die verborgensten Höhlen und sangen füreinander das höchste Lied der Liebe.

Als die ersten Sonnenstrahlen durch die hochgelegenen Fenster fielen, erwachte Amanda, lag lange still, mit geöffneten Augen, schaute hinauf in die kleine Kuppel, die Daphoines Haus überwölbte, und sie sah M’ eksams Gesicht.

‘M’ eksam?’ dachte sie, ‘mein erster Gedanke gilt M’ eksam?’

Wieder hatte sie das Gefühl, dass dieser Mann sie in seltsamer Weise beschäftigte, ihr Interesse auf sich lenkte.

Daphoines Arm tastete sich langsam über Amandas Brust, und sie glaubte den Gedanken an M’ eksam beiseite schieben zu können. Aber als Daphoine, sich auf ihren Ellbogen stützend, auf sie hinunter lächelte, war doch noch immer er in ihren Gedanken. Selbst als sie ihre Augenlider küsste, stand sein Bild vor ihr. Daphoine schaute forschend in Amandas Gesicht und fragte mit Zärtlichkeit ihrer Stimme:

“Was ist es, Amanda, was dich besorgt macht?”

“Du wirst es nicht glauben, Daphoine, ein Mann.”

Daphoines Augenbrauen gingen fragend nach oben, dann zog sie sie zusammen und sagte:

“Welcher von beiden?”

“Der Jüngere, der, der beschlossen hat, nicht mehr zu sprechen.”

“Haben deine Gefühle damit zu tun, Amanda? Oder dein Kopf?”

“Beides, es ist ein seltsames Gemisch: Zuneigung, Wärme, Neugier.”

“Er sieht nicht gerade anziehend aus”, kommentierte Daphoine mit dem Unterton, mehr erfahren zu wollen. Amanda lachte:

“Du hast recht. Trotzdem, es ist seine Geschichte, die ich nicht kenne, das Rätsel, das er mir aufgibt und das ich lösen werde. Selbst wenn nie mehr ein Wort über seine Lippen kommen sollte.”

“Ein Rätsel? Ein Mann, ein Rätsel? Komm, Amanda. Wo hast du ihn denn gefunden?”

Amanda antwortete nicht auf ihre Frage, sondern stellte eine dagegen:

“Hast du die Bücher des Wissens studiert, Daphoine?”

“Liebe Amanda, du weißt, dass ich nie viel Zeit in der Tempelbibliothek verbracht habe und dass mir Bücher nie soviel bedeutet haben wie dir.”

“Hör also, es gibt da einen Teil in den Büchern des Wissens, der überschrieben ist: Unsere Namen und ihre Namen.”

“Und?”,fragte Daphoine verständnislos.

“Wart ab, Daphoine. Der Mann heisst M´eksam. Nun sprich das rückwärts”, forderte Amanda ihre Freundin auf.

“MASKE M!”, schrie Dapoine und richtete sich auf. Dann lachte sie schallend und rief:

“Ein Witz der Waldleute! Es wird ein Spitzname sein, nicht wahr?!”

Amanda schwieg.

“Du willst damit nicht sagen, dass du einen Mann aus Maskanien hierhergebracht hast, Amanda!?”

“Nein, ich fand ihn – wie du sagst – in unseren Wäldern.”

“Und glaubst du wirklich, er kommt von – drüben?”

“Ich weiß es.”

“Warum kannst du so sicher sein?”

Jetzt setzte sich auch Amanda auf und sagte:

“Wenn du seine Haarsträhnen, die er sich ins Gesicht kämmt, hebst und genau hinschaust, wirst auch du wissen, warum: Narben, rund um das Gesicht.”

“Aber ich dachte, Amanda, nur Frauen müssen Masken tragen?”

“Nein, Daphoine, wir haben keine Ahnung von Maskanien, glaube mir. Sie haben Sklaven.”

Daphoine schaute Amanda an, als spräche sie eine fremde Sprache.

“Ja, du weißt natürlich nicht, was das ist. Es ist ganz leicht zu erklären und sehr schwer zu verstehen: Es gibt dort Menschen,

männliche und weibliche, die man kaufen und verkaufen kann. Ich meine ... ja, was ist kaufen? Jetzt muss ich dir auch das erklären. Manche Männer, wenige Frauen haben goldene und silberne Stücke, sie nennen sie ‚Geld‘. Und wenn du etwas willst, dann gibst du die Goldstücke weg und nimmst, was du brauchst. Also zum Beispiel einen Sklaven. Weil sie riesige Häuser haben und Fabriken ... ja, also Fabriken, das sind noch grössere Häuser, in denen sie zum Beispiel Kleider oder Brot in Massen herstellen. Überall lassen sie diese Sklaven, die für sie keine richtigen Menschen sind, arbeiten. Wenn ein Sklave stirbt, kaufen sie einen neuen, wenn sie keine Goldstücke mehr haben, verkaufen sie ...” Hier stockte Amanda und musste noch einmal ansetzen: “Sie verkaufen ihre Töchter. ”

In Daphoines Gesicht stand Entsetzen. Es gab undenkbares jenseits der Mauer.

„Ich muss euch allen so vieles erzählen, Daphoine, was schrecklich sein wird. Dies ist nur ein ganz kleiner Teil. Aber dieser M‘ eksam, frage ich mich, wie ist er von Maskanien nach Selenien gekommen? Ich frage mich dies, seit ich ihn eingefangen habe.

„Eingefangen?“

„Ja, er lief mit meinen Dokumenten davon in Richtung Energiemauer, wollte nach Maskanien damit entkommen, solange ich mit den Waldmenschen meine Rückkehr feierte.“

„Das sieht ganz aus, als wäre er ein ... na, Amanda, wie nennt man das? Es ist eins von den uralten, die außer Gebrauch sind!“

“Dieb”, antwortete Amanda, „ja, es sieht ganz nach Diebstahl aus. Jemand in Maskanien hat ihn hierher geschickt, um mir die Dokumente abzujagen, wo ich sie sicher glaubte. Aber wer hat ihn durch die Mauer gebracht? Hat er sie allein überwunden? Und wie? Hat er magische Kräfte? Welche? Woher? Sie kennen sie doch gar nicht in Maskanien. Warum sollten wir nichts über Maskanien erfahren? Viele Fragen und nicht eine Antwort.“

Lange schwiegen beide Frauen, dann sagte Amanda unvermittelt:

„Aber er ist mir wie ein Bruder. Ich verstehe es nicht. Ich werde alles dem Rat der Heiligen Frauen erzählen, vielleicht erschließt Atargatis ihnen das Rätsel in der Meditation.“

Leiras Wiehern holte Amanda aus ihren trüben Gedanken. Sie umarmte und küsste Daphoine, stand auf, ging zur Wasserstelle an der Südwand und wusch sich kalt, laut prustend, hörbar die Frische genießend. Als sie fertig angezogen war, fragte sie Daphoine:

„Lass mich schon losgehen und den Tisch decken, was möchtest du zum Frühstück? Oder nein, warte mal, ich weiss es: Kanrewo-Joghurt, ein Stück gesüßtes Fladenbrot mit Honig, ein Stück gesalzenes Fladenbrot mit Bergziegenkäse. Stimmts?“

„Du hast was vergessen, Amanda, aber du hast ein unglaubliches Gedächtnis.“

„Erstens, stärkt die Liebe das Gedächtnis, und zweitens, was habe ich vergessen“

„Den Bergwiesentee!“

„Ja, natürlich“, rief Amanda und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn, „wie konnte ich das vergessen, du bist von den Bergen und kannst ohne deine Bergkräuter nun mal nicht leben. Gut, ich decke den Tisch in der Esshalle für uns, komm nach!“

Amanda traf nach ihrem Frühstück die beiden Männer in einer Runde Halbwüchsiger, die gespannt Darmons Geschichten aus dem Wald lauschten. Als er Amanda kommen sah, hielt er in seiner Erzählung inne, schaute sie mit fragenden Augen an. Amanda lächelte und fragte:

„Was ist Darmon?“

Darmon senkte seinen Blick, schöpfte Mut aus Amandas steter Freundlichkeit und schaute ihr dann offen ins Gesicht.

„Amanda, wenn du eine kleine Weile übrig hast, möchte ich mit dir im Innern des Tempels allein sprechen.“

„An einem Morgen, wenn die Sonne den Osthimmel rötet, will ich zu dir kommen, Darmon.“

Amanda fühlte, dass das nicht alles war, was Darmon auf dem Herzen hatte. Sie forderte ihn noch einmal auf zu sprechen. Diesmal schien es ihm weniger schwer zu fallen, die Lippen zu öffnen, so als hätte er sich mit der Antwort schon abgefunden.

„Amanda, sage mir, wann Gerichtstag ist, damit ich mich vorbereiten kann auf das Kommende und damit ich für meinen Bruder sorgen kann, so gut es mir möglich ist in dieser Lage.“

„Darmon, du weisst viel, aber es ist doch nur das Wissen des Waldes und seiner Menschen. Habe Geduld mit uns und mit dir selbst. Und vergiss nicht, dass unsere Gesetze andere sind, als die der Waldleute. Es gibt keine Gerichtstage im Land der Frauen, Darmon!“

Damit wandte sie sich um und ging. Verwirrt blieben Darmon und M‘ eksam zurück.

„Im Nördlichen Tempel“, murmelte Darmon, “haben sie uns von Gerichtstagen und der Wüstenstrafe in Selenien erzählt. Werden sie uns in die Wüste schicken, ohne uns überhaupt angehört zu haben?“

4

Amanda beschloss, noch nicht in den Tempel zu gehen, sondern erst die Meditationshalle am Ostrand des Platzes aufzusuchen, um über das Vergangene nachzudenken und Klarheit in ihrem Kopf zu schaffen. Sie saß in dem kleinen Rundbau, in dem nicht viele Frauen zu dieser Tageszeit weilten, mit dem Gesicht nach Osten gewandt. Lange dachte sie über alles nach, was sie in Maskanien erlebt hatte. Bilder des Schreckens zogen an ihrem inneren Auge vorbei, und einen Augenblick lang kam ihr vor, als seien sie aus einem Alptraum. Bei ihren Studien im Tempel, als sie die alten Pergamente so sorgfältig durchgearbeitet hatte, war ihr die Geschichte Maskaniens fern und unwirklich erschienen. Nun hatte sie die unglaubliche Wirklichkeit kennengelernt, die vor tausend Jahren ihren Anfang genommen hatte und von der sie wünschte, sie möge so schnell wie möglich zu Ende gehen. Der Anfang lautete:

‘Einmal war alles Land ein Land. Und Atargatis hatte es geschaffen, sie war die Mutter der Erde, des Wassers, der Luft und des Feuers, das sie ihren Geschöpfen, den Menschen, schenkte. Die Frauen bauten ihr einen Tempel aus kostbarem Holz und verehrten sie. Die Männer lebten in den Wäldern und kamen nur an Feiertagen in die Städte, die die Frauen gebaut hatten. Manche aber blieben sieben Jahre, bevor sie zurückgingen in die Wälder. Und die Erde ernährte alle, und Friede herrschte unter den Menschen.

Aber es zog ein Unstern herauf über dem Lande, und keiner wusste, woher er gekommen war. Manche sagen, er sei über das Meer gekommen, andere von den Gipfeln der Berge, wieder andere, La ab sei im Feuer gekommen, das im Westen gewütet habe. Als aber das Licht des Unsterns auf auf das Land fiel, beschloss er, die Macht an sich zu reißen. Er rief alle Männer zusammen und sprach also:

„Männer, Leute des Waldes! Ihr habt die Pfeile geschaffen und die Beile, die Lanze geschnitzt und das Fangnetz geknüpft für die Tiere. Ich aber sage euch, ihr werdet das Land erobern und die Städte. Ihr werdet den Frauen den Pflug aus der Hand nehmen und selbst pflügen. Ihr werdet in den Häusern wohnen, die sie gebaut haben, sie aber werden auf der Erde schlafen und alle Arbeit tun, um euch und mir zu dienen!“

Als die Männer des Waldes La-ab dies sagen hörten, flohen manche vor ihm, da sie glaubten, sein Geist habe sich verwirrt, andere aber folgten ihm und redeten so irre wie La-ab selbst. Sie ließen dem Bären seine Freiheit und der Hirsch der Wälder blieb unverletzt, das Wildschwein mästete sich an den Früchten der Felder und kein Vogel fiel mehr tot vom Himmel.

Die Lanzen und Beile und Pfeile waren auf die Dörfer gerichtet und die sieben Tempel. Das Blut von Frauen und Kindern tränkte die Erde, und wie die Kunde von dem Unerhörten, das La-ab mit seinen Männern anrichtete, sich in Windeseile verbreitete, beschlossen die Frauen, ihre Kinder zu nehmen und gen Osten zu fliehen, Schutz suchend vor dem Wahnsinnigen, dem Unbekannten, dem Fremden.

Viele Männer, die nicht vom Unstern getroffen waren, folgten ihnen in Treue und Liebe. Ströme von Frauen, Kindern und Männern flohen zum achten Tempel im Osten. Bevor aber die wilden Horden La-abs das Land gänzlich verwüsteten, errichteten die Priesterinnen rund um das noch unbesetzte östliche Land das Tal der Nebel, das kein Mann durchdringen konnte, aber keiner Frau ein Hindernis war. La-ab stellte seine Männer auf am Tal der Nebel und sie hielten viele Menschen zurück, die ins Land der Frauen fliehen wollten. Das Land La-abs wurde trotzdem öder und verlassener, da die Frauen den Weg fanden mit vielerlei Hilfsmitteln, die sie von ihren Müttern gelernt hatten.

Wie die Männer schon begannen zu zweifeln am Werk des La-ab, da das Land seit vielen Jahren Frauen verlor und die Männer sich zankten um die verbliebenen, da befragten sie den Weisesten der Männer und baten ihn um Hilfe.

Ken-su aber hatte sein Wissen von den Heiligen Frauen und fürchtete ihre Rache. La-ab erfand grausame Mittel der Folterung und Ken-su - aus vielen Wunden blutend - verriet das Geheimnis der Frauen.

„Baue eine Mauer, die keine Frau übersteigen kann!“, hatte La-ab gefordert. Ken-su, der nur noch auf Knien und Händen sich vorwärts bewegen konnte, denn La-ab hatte ihm die Füße zu blutenden, eiternden Klumpen geschlagen, sammelte alle Energie des Landes und legte sie als Mauer quer durch das Land. Und er sprach zu La-ab:

„Ihr müsst diese Mauer ernähren, sie mit Energie speisen, die aus euren Gedanken kommt, damit sie undurchdringlich bleibe. Sie wird Kraft und Energie verschlingen, wie ein Tiger seine Jungen. Aber hindurchfinden wird niemand, auch du nicht La-ab. Mehr kann ich nicht tun. Jetzt aber, La-ab, töte mich, denn ich bin ein Verräter an der Weisheit geworden, die sich von Mutter zu Tochter vererbt hat, an der auch ich habe teilhaben dürfen und die ich in den Dienst deiner Schreckensherrschaft gestellt habe. Töte mich, La-ab!“

La-ab aber lachte schrecklich und sagte:

„Kein Mann kommt weiter als zum Tal der Nebel, vergessen wir das Land der Frauen. Aber keine unserer Frauen soll mehr fliehen können in dieses für ewig verdammte Land. Und dir, Ken-su, will ich deinen Wunsch erfüllen, wie du mir den meinen erfüllt hast!“

Mit diesen Worten hob La-ab das Beil und spaltete das Haupt des weisen Mannes.

Da nun aber gerade die Frau niederkam, die er im Dorf Sebron sich genommen hatte, und sie ein Mädchen gebar, sagte La-ab:

“Kommt Männer und Frauen meines Landes und seht!”

La-ab griff über sich in den Baum, der da stand und riss ein Blatt ab, es war aber der Feigenbaum, von dem er das Blatt genommen hatte und sprach:

“Weib, nimm deinen Zwirn und nähe das Blatt auf das Angesicht deiner Tochter, die du eben geboren hast!”

Die Mutter aber fiel auf die Knie und flehte La-ab an, nicht diese Grausamkeit von ihr zu verlangen.

“Ich habe nicht nähen gelernt”, schrie La-ab lachend.

“Weib, widersetze dich nicht meinem Befehl und nähe das Blatt auf ihr Gesicht!”

Die Mutter aber in ihrer Verzweiflung ergriff schnell La-abs Beil, zerschlug den Kopf ihres Kindes und hieb sich das Beil in die eigene Brust, bevor La-ab sie daran hindern konnte.

Wütend schrie er auf:

“Verräterin! Verräterin! Du wirst die Maske tragen und dieses Land wird Maskanien heißen nach meinem Befehl!”

Und La-ab ergriff eine der Frauen und schrie:

“Dieser Toten hier nähst du ein Blatt dieses Baumes aufs Gesicht. Ich werde sie in die Hauptstadt bringen, die ich erobert habe, und sie wird auf dem Marktplatz ausgestellt werden, denn das Land braucht eine Mutter! Und ich werde sie ehren und ihr sollt sie verehren auf ewig in meinem Lande. Und das wird das Volk lernen: Diese hier hat für das Land gefochten, sie ist die Mutter, ich aber habe es geschaffen, ich bin der Vater! Die andere aber, die Tochter, werft namenlos in eine namenlose Grube! Nichts soll die Tochter sein, der Sohn alles!”

Und sie nähten der Frau, die sich La-ab in Sebron genommen hatte, die erste Maske aufs Gesicht, die Tochter aber warfen sie in die Grube. Als dies geschehen war, schrie La-ab:

“Schreiber, schreibt auf: Sie ist uns im Kampf vorausgegangen, und während des Kampfes hat sie geboren, nicht eine Tochter, nein, eine Nation! Maskanien! Schreibt es auf Männer! Haben sie euch nicht schreiben gelehrt, die Frauen? Also Schreiber, schreibt unsere Geschichte auf, wie ich es sage! Unser Land ist geboren von der einen Großen Mutter, die all ihre Stärke nur einem Ziel verschrieben hat: Der Gründung und Größe Maskaniens. Heilige Mutter hilf deinem neugeborenen Maskanien und seinen Söhnen! Verehrt sie! Los, auf die Knie mit euch! Betet sie an! Sie ist der Fels, auf den wir unseren Staat aufbauen werden, heut und in alle Ewigkeit! Schreibt es auf, Männer, der wahre Anfang unserer Geschichte, und vergesst die edlen Worte unserer Mutter nicht, die da zu mir sprach, bevor sie von uns ging:

‘Du, mein Sohn, bist das Maß aller Dinge, ich aber gemacht, um dir zu dienen, dem Allerhöchsten in dieser Welt. Meine Niedrigkeit soll der Allerhöchste nicht anschauen, für ewig soll mein Gesicht bedeckt sein. La-ab, Geliebter, bedecke mein Angesicht, denn es ist hässlich und fordert zur Sünde heraus.’

Und zu ihrem Andenken sollt ihr Frauen euer Gesicht bedecken, dass ich, der Allerhöchste, und kein Mann euch ansehen muss! Heilige Mutter hilf deinem neugeborenen Maskanien!”

Amanda fror, als sie den Bericht erinnerte, der sie nie in Ruhe gelassen hatte, bis ihr Entschluss, nach Maskanien zu gehen, in ihr herangereift war. Lange Zeit verwandte sie darauf, ihre Seele wieder ins Gleichgewicht zu bringen, dann erst erhob sie sich, verließ die Meditationshalle und ging zum Tempel hinüber.

Als sie die Torflügel öffnete, sah sie im Raum die Priesterinnen auf den buntbestickten Kissen im Halbkreis auf dem Boden sitzen. Im Zentrum, in dem sie gestern gestanden hatte, lagen die Dokumente ausgebreitet und der geheimnisvolle Strahl von oben tauchte sie in sein magisches Licht.

Amanda ging auf die Mitte des Raumes zu und setzte sich auf das bereitgelegte Kissen den Frauen gegenüber. Sie grüßte die Priesterinnen schlug die Dokumente auf und las:

“Atargatis, Mutter der Menschen! Mit deiner Hilfe werde ich diesen Bericht schreiben und Zeugnis ablegen von Maskanien, dem Land, das ich bald betreten werde. Sollte deine Weisheit mich zu dir rufen, ohne dass ich meinen Schwestern diesen Bericht habe überbringen können, dann wird das Geschriebene verblassen, bis die richtige Hand die Seite aufschlägt und das richtige Auge zu lesen vermag. Atargatis, ich erflehe deinen Schutz.

Schwestern, gestern habe ich euch zum letzten Mal gesehen. Und heute schon ich habe die Mauer überwunden; sie hat mir nichts antun können, wenngleich das Entsetzen mich ergriff. Wie heiße Riemen legte sich der Sog um meinen Rücken, und dann war ich allein in einer grausamen Dunkelheit, aus der heraus Blitze auf mich herunterfuhren und mit schrecklichem Donner sich entluden, so dass ich zu Boden geworfen wurde, und da dieser zu schwanken begann, konnte ich mich nur schwer wieder auf die Füße kommen. Es war das Brüllen von zehntausend Stieren, das meine Ohren betäubte und mein Gehirn erschütterte.

Dann kamen die Winde, heiß bliesen sie mir ins Gesicht, trieben mich mit schrecklichen Stößen bald hierhin, bald dorthin, so dass ich gänzlich die Richtung verlor. Aber da war Methode in den Hieben, die mir die Winde versetzten: Sie trieben mich einem Abgrund entgegen. Tief öffnete sich der Grund und im Lichtschein des Blitzes erkannte ich die Finsternis, die mich in die Tiefe zu ziehen versuchte. Ich nahm meinen magischen Stein und streckte ihn dem Abgrund entgegen, damit die Finsternis erblinden möge. Mit Schreien und Heulen schloss sich der Grund vor mir, und ich konnte meinen Fuss darauf setzen ohne Gefahr.

Wie aber Feuerbälle auf mich zuflogen, da rief ich Atargatis um Hilfe an. Sie riet mir, die Pfeile aus meinem Köcher auf die Feuerbälle zu schießen, die mit Höllengelächter zerbarsten und im Nichts verschwanden. Ich wähnte mich gerettet und lief vorwärts, dorthin, wo ich glaubte, Maskaniens Grenzen zu finden. Aber ein Wirbelsturm riss mich in die Höhe, tausendmal schneller als ein Pfeil schoss ich ins Unendliche. Ich fühlte, wie mein Körper sich aufblähte wie ein mattes Segel sich füllt im Sturmwind. Da richtete ich den Heiligen Stein gegen das Unendliche in die Höhe und langsam schwebte ich auf den Grund zurück.

Wieder lief ich, aber die Luft wurde so schwer, dass ich ankämpfen musste dagegen, als watete ich durch brusthohes Wasser. Nur langsam kam ich vorwärts. Das Atmen wurde mühsamer, eine schreckliche Müdigkeit überkam mich. Immer schleppender wurden meine Schritte, ich glaubte, nicht die geringste Strecke mehr zurücklegen zu können.

Bevor ich der Müdigkeit völlig verfiel und mich hinsinken ließ in Erschöpfung, nahm ich den Stein in beide Hände, hielt ihn fest und seine Kraft strömte in mich ein. Ich schritt aus, um endlich die Energiezone hinter mich zu bringen, da erschien ein blendendes Licht, hüllte mich ein und nichts war mehr zu hören, jeder Laut erstarb. Ich stand in einer entsetzlichen Leere, ich war allein. Mein Herzschlag war so laut, dass ich erschrak, tiefe Angst griff nach meinem Herzen und wollte es erdrücken. Mein Atem war so dröhnend wie das Schnauben Sching-Moos. Sekundenlang wagte ich nicht zu atmen, aber die Stille war entsetzlicher, als das Dröhnen meines Atems.

Dieser Angriff lähmte mich und es bedurfte der tausend Feuerzungen, die von Ferne heranschlichen, mich aus meinem Schrecken zu erlösen und zum Handeln zu treiben. Ich lief auf die Feuerzungen zu, warf mich ihnen entgegen, und sie wichen, sie wichen zur Seite, mussten mir den Weg freigeben! Ich hetzte dem eisigen Licht entgegen, dort musste Maskanien sein!

Die Anstrengung war unmenschlich gewesen, hatte alle meine Kräfte aufgebraucht. Als mich die Wand mit schrecklichem Getöse aus sich heraus auf maskanischen Boden schleuderte, muss ich sofort erschöpft niedergesunken sein, ich habe keine Erinnerung daran. Dann erwachte ich in diesem unheimlichen Land, von dem wir fast keine Kenntnis haben, nur was unsere Analen verzeichnen, und was uns die geflohenen Frauen vor tausend Jahren berichtet haben.

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ISBN:
9783844233636
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