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Kritische Energieinfrastruktur

Die Energieinfrastruktur gehört zu den verletzlichsten Teilen moderner Gesellschaften. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ist vielen bewusst geworden, wie schnell ein mit relativ bescheidenen technischen Mitteln durchgeführter Angriff die wirtschaftlichen Grundfesten der größten Industriemacht der Welt beschädigen kann. Der Flugverkehr in den gesamten USA kam eine Woche lang zum Stillstand. Die Verkehrsverbindungen der Millionenstadt New York waren erst zwei Jahre später wieder vollständig instand gesetzt. Die Börse in der neben dem World Trade Center gelegenen Wall Street wurde mehrere Tage geschlossen – nicht zuletzt deshalb, weil Zugangswege und Datenleitungen schwer beschädigt worden waren. Die Energieinfrastruktur moderner Industriegesellschaften ist mindestens genauso verletzlich wie Verkehrswege und Datenleitungen. Was würde passieren, wenn sich der nächste Anschlag gegen eine der großen internationalen Öl- und Gaspipelines richtet?

Besonders gefährdet durch terroristische Anschläge und militärische Auseinandersetzungen sind atomare Anlagen und Atomtransporte, ob auf dem Wasser, zu Lande oder in der Luft. Nach dem 11. September 2001 gab es konkrete Hinweise darauf, dass Terroristen auch Anschläge auf westliche Atomanlagen geplant hatten. Die AKWs in den USA und einigen westeuropäischen Ländern wurden daraufhin für mehrere Tage bis Wochen heruntergefahren.

Der Neujahrstag 2006 lieferte ein anschauliches Beispiel dafür, wie es zu einer Unterbrechung unserer scheinbar sicheren Öl- und Gasversorgung kommen könnte. Für zwei ehemalige Sowjetrepubliken, das Kaukasusland Georgien und die Ukraine, begann das Jahr 2006 mit einer Gasversorgungskrise. Während die russische Lieferfirma Gazprom der Ukraine den Gashahn zudrehte, weil diese den sprunghaft erhöhten Preis für russisches Erdgas nicht zahlen wollte, beschädigten oder zerstörten fast zeitgleich drei Sprengstoffexplosionen die wichtigsten Versorgungsleitungen, die von Russland aus Richtung südlicher Kaukasus liefen. Die russische Gasversorgung für Armenien und Georgien wurde damit vollständig unterbrochen. Hinzu kamen Sabotageakte an einigen wichtigen Überlandleitungen in Georgien selbst, sodass die Hauptstadt Tiflis und weite Landesteile während der kältesten Wintertage nicht beheizt werden konnten. Universitäten und Schulen blieben geschlossen. Das wirtschaftliche Leben kam weitgehend zum Stillstand, da Produktionsanlagen nicht betrieben werden konnten. Während das mit Russland politisch verbündete Armenien den Engpass mit eigenen Gasvorräten überbrücken konnte, gelang es Georgien nur dank eilig abgeschlossener Lieferverträge mit Aserbaidschan und dem Iran, die Versorgung der eigenen Bevölkerung nach mehreren Wochen wiederherzustellen. Bis heute bleibt unklar, ob islamische Separatisten, kriminelle Organisationen oder der russische Geheimdienst hinter der Anschlagserie standen. Die georgische Regierung beschuldigte den russischen Geheimdienst der Sabotage mit dem Zweck, das Land im Streit um die Separatistenrepublik Südossetien unter Druck zu setzen. Gut ins Bild passt außerdem, dass die russische Energiewirtschaft plant, sich massiv in Georgien einzukaufen. Georgien geriete so dauerhaft in die Abhängigkeit russischer Staatsbetriebe und damit des Kreml.

Der Konflikt zwischen Russland und Georgien hat auch eine überregionale Dimension. Um sich gegen Russlands regionale Dominanz zu wehren, möchte Georgien, so schnell es geht, der NATO beitreten. Die USA unterstützen die Regierung Saakaschwili in diesem Anliegen. Schließlich wurde in den vergangenen Jahren mit amerikanischer Unterstützung eine wichtige Ölpipeline vom Kaspischen Meer durch Georgien – und an Russland vorbei – in die Türkei gebaut. Die europäischen NATO-Partner sind skeptischer, wollen in die regionalen Konflikte im Kaukasus nicht hineingezogen werden und sind an einem Konfrontationskurs mit Russland, ihrem Hauptgaslieferanten, keinesfalls interessiert.

Öl- und Gaspipelines verlaufen oft über lange Strecken durch kaum besiedeltes und deswegen nur mangelhaft überwachtes Gebiet. Viele der wichtigsten Pipelines, ob im russischen Osten, den chinesischen Provinzen Tibet und Xinjiang, im südlichen Tschad oder im Norden des Irak, verlaufen durch Krisen- und Kriegsregionen. Die Gefahr von Terroranschlägen durch Rebellengruppen und separatistische Bewegungen ist also nicht von der Hand zu weisen, und die Wiederherstellung zerstörter Pipelines und Energieversorgungseinrichtungen ist nicht nur langwierig, sondern auch teuer. Ist der Schaden erst einmal angerichtet, so dauert es auch nach Beendigung der Kampfhandlungen oftmals erhebliche Zeit, bis der vorherige Zustand wieder hergestellt ist. Die iranische Ölindustrie leidet immer noch an den Folgen des Krieges gegen den Irak in den achtziger Jahren. Im Irak selbst brach die Ölproduktion nach dem Sturz Saddam Husseins zusammen und kommt erst mühsam wieder auf die Beine. Während des Kosovokrieges versuchte die NATO, bei ihren Luftangriffen die Energieinfrastruktur Serbiens intakt zu lassen. Trotzdem führte die Zerstörung mehrerer Brücken durch Luftangriffe dazu, dass der Schiffsverkehr entlang der Donau über einen längeren Zeitraum lahmgelegt wurde. Der Treibstofftransport per Schiff wurde dadurch auch für benachbarte Staaten wie Ungarn unterbrochen.

Auch der Transport von Öl und zukünftig Flüssiggas per Schiff über See birgt Gefahren. Während des iranisch-irakischen Krieges in den achtziger Jahren beschossen beide Seiten regelmäßig auf dem Persischen Golf verkehrende Tankschiffe, auch wenn sie unter neutraler Flagge fuhren.

Im unmittelbaren Radius des Krisenherdes Nahost befinden sich die Seefahrtsstraße von Hormuz, über die Öltanker aus dem Irak, Saudi-Arabien, Iran und Kuwait den Persischen Golf verlassen, sowie die wichtigste Schifffahrtsroute der Welt, der Suez-Kanal. Über 80 Prozent der japanischen und koreanischen sowie die Hälfte der chinesischen Ölversorgung gehen über die Straße von Malakka, eine Meerenge zwischen Indonesien und Malaysia. Alle diese Schifffahrtsrouten werden von der US-Flotte überwacht. Die USA haben nach dem Zweiten Weltkrieg faktisch das britische Empire als Polizist der Weltmeere abgelöst. Andere Länder, die ebenfalls von Ölimporten aus dem Nahen Osten abhängig sind, beispielsweise China, sehen diese dominante maritime Rolle der USA mit Unbehagen.

Die Europäische Kommission stellte – in einer nicht veröffentlichten Studie zur Vorbereitung ihres Grünbuchs Energie – deswegen besorgt fest: »Die Konkurrenz mit Japan um Öl und Gas aus dem Persischen Golf und Russland wird zukünftig härter werden. Japan und China werden ihren maritimen Versorgungsrouten mehr Aufmerksamkeit widmen und ihre Marine in der Region einsetzen. Auch Indien wird stärker in den Konkurrenzkampf um diese Ressourcen eintreten und mit seiner Marine Einfluss auf die Region nehmen.«

Neuausrichtung der Militärstrategie

Wegen dieser besonderen Gefährdung steht der Schutz der Energieinfrastruktur bei allen großen Mächten im Zentrum ihrer Militärstrategie.

Das wichtigste Ölexportland der Welt, Saudi-Arabien, wurde in den vergangenen Jahren systematisch mit US-Militärtechnik ausgerüstet, um seine umfangreiche Ölinfrastruktur gegen terroristische Anschläge verteidigen zu können. Nach ihrem absehbaren Abzug aus dem Irak wollen die USA weiterhin Truppenkontingente im Land stationiert lassen. Die bisher geplanten Kasernenstandorte befinden sich nicht zufällig in der Nähe der großen Ölförderanlagen des Irak. Die neue Ölpipeline vom aserbaidschanischen Baku bis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan wird durch AWACS-Flugzeuge der NATO beobachtet. Neben NATO-Partner Türkei wurde auch Georgien mit moderner US-Militärausrüstung, angeblich sogar mit unbemannten Militärflugzeugen – sogenannten Drohnen – ausgerüstet. Besonders brisant ist sowohl im Fall Saudi-Arabiens als auch beim Irak und Georgien, dass damit neue Waffen in Krisengebiete geliefert werden, die im Zweifelsfall nicht nur zum Schutz der Energieinfrastruktur, sondern auch für andere Zwecke eingesetzt werden können.

Auch die Bundeswehr soll zukünftig vermehrt Aufgaben der Sicherung der deutschen Energie- und Ressourcenversorgung und der freien Handelswege übernehmen. Die nach den Anschlägen vom 11. September vom Deutschen Bundestag beschlossene Operation »Enduring Freedom« beinhaltet bereits, die Seefahrtswege am Horn von Afrika – einer der wichtigsten weltweiten Tankerrouten – militärisch abzusichern. In dem 2005 an die Öffentlichkeit gelangten Entwurf des neuen Bundeswehrweißbuchs zur Sicherheitspolitik heißt es etwas holprig: »Sicherheitspolitik muss auch auf geografisch entfernte Regionen zielen, um Spannungen und Feindschaften zwischen Ethnien, regionalen Krisen, Staaten, in denen sich organisierte Kriminalität und Terrorismus ausbreiten, sprunghaft wachsenden Gesellschaften, die keine Zukunftsperspektive bieten, entgegenzuwirken. Die Vertiefung und Entwicklung guter Beziehungen zu strategischen Schlüsselstaaten in den verschiedenen Regionen, Beiträge zur Bewältigung von Krisen und Konflikten sowie zur Förderung regionaler Stabilität sind wichtige Handlungsfelder deutscher Sicherheitspolitik. Hierbei gilt es wegen der Import- und Rohstoffabhängigkeit Deutschlands, sich insbesondere den Regionen, in denen kritische Rohstoffe und Energieträger gefördert werden, zuzuwenden.« Diese lange Liste von Aufgaben gehört bisher nicht zum Auftrag der Bundeswehr. Um eine Militarisierung der deutschen Außenpolitik abzuwenden, sollte es so auch bleiben.

Die hochkomplexe Energieinfrastruktur unserer globalisierten Wirtschaft kann nicht militärisch verteidigt werden. Dagegen können sowohl unsere Energieversorgungssysteme als auch die politischen Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass das Risiko militärischer Angriffe und terroristischer Anschläge minimiert wird. Statt die Wachmannschaften von Kraftwerken zu verstärken, paramilitärische Einheiten entlang wichtiger Pipelines zu postieren, sollte die zukünftige Energieinfrastruktur von vornherein so ausgerichtet werden, dass sie weniger verletzlich ist. Das bedeutet eine Abkehr von zentralen Großtechnologien hin zu dezentralen Netzwerken. Durch die Stärkung einheimischer Energiequellen, beispielsweise aus erneuerbaren Energien, und eine Diversifizierung der Einfuhren kann die Abhängigkeit von wenigen Versorgungsrouten vermindert werden. Die beste Rückversicherung gegen die Bedrohung unserer Energieinfrastruktur bietet allerdings eine Politik, die politische Spannungen reduziert und die regionale Zusammenarbeit fördert.

Blut für Öl?

Als die USA und ihre Verbündeten 1991 gegen den Irak Krieg führten, lautete die Parole der Friedensdemonstrationen in ganz Westeuropa »Kein Blut für Öl«. Wurde der erste Irakkrieg wirklich geführt, um das besetzte Kuwait von der irakischen Armee zu befreien, oder ging es in Wirklichkeit um amerikanische Ölinteressen? Letztere haben sicherlich eine Rolle gespielt. Hätte der irakische Diktator Saddam Hussein die Kontrolle über die kuwaitische Ölproduktion erlangt, wäre Irak zum größten Ölförderer der Welt aufgestiegen. Die hochgerüstete irakische Armee hätte außerdem die nahe gelegenen saudischen Ölfelder bedroht. Nicht nur für die USA, sondern für alle Öl importierenden Länder wäre diese Dominanz unerträglich gewesen.

Der Kuwaitfeldzug war nicht der erste Krieg, in dem der Faktor Öl eine entscheidende Rolle spielte. Als Winston Churchill, Großbritanniens Marineminister im Ersten Weltkrieg, die britische Flotte von Kohle auf Öl umrüstete, erzielte er dadurch einen kriegsentscheidenden Vorteil. Großbritannien konnte diese Strategie nur deswegen erfolgreich verfolgen, weil es kurz zuvor in Persien ein großes Ölvorkommen entdeckt hatte. Parallel dazu gelang es den Briten, den deutschen Ölnachschub aus Rumänien erfolgreich zu sabotieren.

Im Zweiten Weltkrieg wollte Hitlers Wehrmacht mit dem Russlandfeldzug auch die Ölfelder im Kaukasus für die deutsche Kriegsführung sichern. Einer der Gründe, warum Nazideutschland den Alliierten schließlich im Krieg unterlag, war die angloamerikanische Seeblockade, die die deutsche Wirtschaft effektiv von der Rohstoffeinfuhr, und nicht zuletzt Ölimporten, abschneiden konnte.

Während der Suezkrise 1956, als die ehemaligen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien versuchten, in Ägypten ein ihnen gewogenes Regime zu errichten und den Suezkanal unter ihre Kontrolle zu bringen, stellten sich die USA gegen ihre westlichen Verbündeten und auf Seiten des ägyptischen Diktators Nasser. Seitdem haben die Amerikaner die Rolle der Schutzmacht des Kanals und der gesamten Tankerrouten vom Persischen Golf bis ins Mittelmeer inne. Seit der Suezkrise und dem Wegfall der ehemaligen Kolonialmächte sind die USA der Garant der politischen Ordnung im Nahen Osten. Lange bestand die amerikanische Politik darin, prowestliche Diktatoren wie den Schah von Persien und das saudische Königshaus zu stützen und gegen sowjetischen Einfluss zu schützen. Seit dem Aufstieg der Islamisten und den Terroranschlägen des 11. September ist offensichtlich, dass diese politische Strategie langfristig zur Destabilisierung der Region, zur Delegitimierung der USA in der islamischen Welt und zum Aufstieg terroristischer Bewegungen führt.

Auch der zweite Irakkrieg, mit dem die Amerikaner – und eine diesmal deutlich kleinere »Koalition der Willigen« – Saddam Hussein 2003 auch ohne UN-Mandat endgültig stürzten, wurde nicht wegen der Gräueltaten des irakischen Diktators oder seiner vermeintlichen Massenvernichtungswaffen geführt, sondern um auf diese Weise den ganzen Nahen und Mittleren Osten unter amerikanischer Führung politisch neu zu ordnen. Diese neue Ordnung sollte zwei Zielen dienen: die Quellen des Terrorismus auszutrocknen und die Ölquellen weiter sprudeln zu lassen. Seitdem herrscht im Irak Bürgerkrieg, und die Ölproduktion ist auf einen tieferen Stand gesunken als zur Zeit des UN-Embargos gegen den Irak nach dem ersten Golfkrieg.

Der wirtschaftliche Nutzen einer militärischen Sicherung der Ölquellen ist ohnehin zweifelhaft. So berechnete das amerikanische Energieministerium schon vor dem Ausbruch des zweiten Golfkriegs, dass unter Einbeziehung der Kosten für das militärische Engagement der USA in der Region der Ölpreis eigentlich bei 100 Dollar pro Barrel liegen müsste.

Waffe Energie

In der heutigen globalisierten Welt ist es offensichtlich nicht möglich, die eigene Energieversorgung mit militärischen Mitteln allein zu sichern. Wie sieht es aber mit einer Strategie aus, die Kontrolle über wichtige Energieressourcen oder zentrale Elemente der internationalen Energieinfrastruktur als Waffe zu nutzen?

Seit der ersten Ölkrise 1973, als die arabischen Ölstaaten die Lieferungen für die westliche Welt erst unterbrachen und dann die Preise anhoben, wird Öl als politische Waffe verwendet. So zündete Saddam Hussein nach der amerikanischen Invasion im Irak 1991 die Ölfelder im Süden des Landes an. Momentan droht der Iran im Streit um sein Nuklearprogramm damit, eine weltweite Ölkrise auszulösen. Zumindest die Märkte nehmen die Drohung ernst. Nach jeder Rede, in der der radikalreligiöse iranische Präsident Ahmadinejad den Ton im Konflikt mit den USA verschärft, steigt der Preis pro Barrel Rohöl an, da die Analysten an den internationalen Rohölbörsen eine Zuspitzung der politischen Lage im Nahen Osten und daraus erwachsende Turbulenzen auf den internationalen Energiemärkten fürchten.

Schon 1980 sagte US-Präsident Carter unter dem Eindruck der sowjetischen Invasion in Afghanistan und des islamistischen Umsturzes im Iran in seiner jährlichen Rede an die Nation: »Jeder Versuch, die Kontrolle über den Persischen Golf zu erlangen, wird als Angriff auf die nationalen Interessen der Vereinigten Staaten betrachtet. Ein derartiger Versuch wird mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, inklusive militärischer Gewalt, abgewehrt.« Die sogenannte Carter-Doktrin war geboren. Seitdem taucht das Thema Energiesicherheit in jeder Neuauflage der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA an zentraler Stelle auf.

Das US-Verteidigungsministerium hat schon lange erkannt, dass die Abhängigkeit der USA von Ölimporten die Sicherheit des Landes nicht erhöht, sondern verringert. Nicht nur ist die Energieversorgung der größten Wirtschaftsmacht der Welt anfällig für Preisschwankungen, Ressourcenverknappung und politisch motivierte Embargos der Ölstaaten; auch der außenpolitische Preis, den die USA für die Sicherung ihrer weltweiten Ölversorgung zahlen müssen, ist in den letzten Jahren ständig gestiegen. Im politischen Washington ist es inzwischen ein Glaubenssatz, dass die wirtschaftliche Abhängigkeit von der saudischen Theokratie, die immerhin Osama bin Laden hervorgebracht hat, reduziert werden muss. Die Sicherung von Ölressourcen steht außerdem in einem ständigen Widerspruch zu anderen Zielen der US-Außenpolitik, wie der Förderung der Demokratie und der Eindämmung des russischen Einflusses in Osteuropa und Zentralasien. Schließlich sind die USA im Run auf das letzte Öl und Gas in einen gefährlichen Wettlauf mit dem Konkurrenten China geraten.

James Woolsey, unter US-Präsident Clinton kurzzeitig Direktor der CIA und inzwischen einflussreicher Strippenzieher in Washington, hat eine Organisation aus dem Kalten Krieg wiederbelebt, das »Committee on the Present Danger (CPD)«. Damals diente die Organisation der Enttarnung von Kommunisten und der propagandistischen Unterfütterung des amerikanischen Rüstungswettlaufs mit der Sowjetunion. Heute hat sich das CPD vorgenommen, das Thema Energiesicherheit auf die Tagesordnung zu setzen. Nach Woolseys Einschätzung erfordert die nationale Sicherheit eine völlig neue Energiepolitik und einen sparsameren Umgang mit Öl. Die Sicherheit Amerikas sei dadurch bedroht, dass die US-Energieimporte radikalislamischen Regimes wie Saudi-Arabien zufließen.

Es ist deswegen kein Zufall, dass das Pentagon die letzte Studie des Energiesparpapstes Amory Lovins teilweise finanziert hat. Das Buch heißt »Winning the Oil Endgame« und beschreibt ein ganz anderes Großes Spiel als dasjenige, das auf dem geopolitischen Schachbrett Zentralasiens stattfindet. Die Regeln des Spiels heißen Innovation und Energieeffizienz. Dieses Ziel soll erreicht werden, indem die Kräfte des freien Markts sich gegen die Interessen der etablierten Energiemultis durchsetzen. Lovins beweist damit, dass strategisches Denken auch anders aussehen kann, als Bohrtürme und Soldaten auf einer großen Landkarte hin- und herzuschieben. Auch der einflussreiche »New York Times«-Kolumnist Tom Friedman argumentiert, dass die energiepolitische Abhängigkeit inzwischen zur zentralen Sicherheitsfrage der USA geworden ist.

Das Desaster im Irak hat in weiten Teilen des außenpolitischen Establishments der USA zu einem Umdenken geführt. Der Glaube an die zentrale Rolle militärischer Stärke ist verloren gegangen. Das Erklärungsmodell der Clinton-Administration für die Veränderungen in der Welt war die wirtschaftliche Globalisierung. Nach dem 11. September 2001 begann die Bush-Regierung, die Welt ausschließlich durch die Brille des Krieges gegen den Terrorismus zu betrachten. Heute schwingt das Pendel zurück. Langsam, aber sicher setzt sich auch in den USA die Einsicht durch, dass die großen Herausforderungen des globalen Wandels nur durch internationale Kooperation und eine Vielfalt politischer Instrumente bewältigt werden können. Die wichtigste Waffe gegen die Waffe Energie ist, folgt man den Argumenten von Amory Lovins, Tom Friedman oder des ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore, eine nachhaltige Umgestaltung unserer Energiepolitik.

Am nachdrücklichsten verfolgt das neue Russland unter Präsident Putin seine außenpolitischen Ziele unter Einsatz der Waffe Energie. Die Rote Armee hat sich aus Osteuropa und Zentralasien schon längst zurückgezogen. Stattdessen wird Russlands Einfluss in seinem alten Herrschaftsgebiet durch Investitionen der großen Ölkonzerne im benachbarten Ausland und durch das Pipelinenetz von Gazprom garantiert. Russlands Energiekonzerne versuchen, begleitet durch politische Abkommen und die Stationierung russischer Truppen, Einfluss und Marktanteile in Zentralasien und im Südkaukasus hinzuzugewinnen. In den westlichen Nachbarländern Weißrussland und Ukraine übt Russland Druck aus, um die Öl- und Gastransitleitungen zu erwerben, die durch diese Länder in Richtung Westen verlaufen. Russland möchte sich als größter Energielieferant für den Westen unverzichtbar machen und dadurch wieder zur Weltmacht aufsteigen.

China ist inzwischen der zweitgrößte Energiekonsument nach den USA. Dem wachsenden Bedarf stehen jedoch nur beschränkte nationale Energieressourcen gegenüber. Die chinesische Führung selbst macht sich zunehmend Sorgen darüber, dass eine Unterbrechung der Energieversorgung zu einer Schwächung des Wirtschaftswachstums und – dadurch ausgelöst – zu sozialen Unruhen und einer Bedrohung des Regimes führen könnte, das sich vor allem durch die gute wirtschaftliche Entwicklung legitimiert. Auf diese Herausforderung reagiert China mit einer breit angelegten internationalen Energiestrategie. Kern dieser Strategie ist es, über eine direkte Kontrolle der Ölproduktion in wichtigen Exportländern durch staatliche chinesische Ölfirmen den Direktexport nach China zu sichern. Auf dem Weltölmarkt kollidieren die chinesischen Interessen schon heute mit denen der USA. Zwischen China und den USA hat inzwischen auch ein Wettlauf um geopolitische Einflusssphären und Lieferverträge begonnen. Die staatlichen chinesischen Energiekonzerne sind in der Frage, mit wem sie sich einlassen, nicht zimperlich: China kauft auch von Pariastaaten wie dem Sudan und hat langfristige Lieferverträge mit politischen Antagonisten der USA wie dem Iran und Venezuela geschlossen. Im Wettbewerb mit den USA dringen chinesische Ölfirmen nach Afrika und Lateinamerika vor. Begleitet wird der wachsende wirtschaftliche Einfluss Chinas durch diplomatische Initiativen, mit denen China sich als regionales Gegengewicht zu den USA positionieren möchte. Besondere sicherheitspolitische Brisanz entwickelt Chinas Energiehunger in seiner eigenen Nachbarschaft. Vor seinen Küsten möchte China Öl- und Gasvorkommen erschließen – und gerät so in territoriale Konflikte mit seinen Nachbarländern Japan, Vietnam oder den Philippinen. Über das Bündnis mit Russland soll die Lieferung über Land, über die Rückgewinnung Taiwans der Seeweg gesichert werden. Bei all diesen Bemühungen stößt China an amerikanische Einflusszonen.

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302 стр. 5 иллюстраций
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9783956140174
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