Читать книгу: «Energiesicherheit», страница 2

Шрифт:

Ölsande – Kanadas Saudi-Arabien

Illustrativ ist die jahrzehntelang vorgetragene Saga um das angeblich unerschöpfliche Potenzial der Ölsande Kanadas und Venezuelas. Schon Anfang der siebziger Jahre erschien in der deutschen Illustrierten »Stern« ein mit spektakulären Bildern aufgemachter Artikel über die kanadischen Ölsande. Dort, in der westkanadischen Provinz Alberta, machten die Reporter die Zukunft unserer Energieversorgung jenseits von OPEC und Ölembargo aus.

Öl- oder Teersande bergen potenziell gigantische Reserven an noch unerschlossenen Rohölvorräten. Dabei handelt es sich um mit Öl durchtränkte Erd-, Schiefer- oder Sandschichten, die es in einer Vielzahl von Ländern gibt. Die größten Lagerstätten finden sich in der kanadischen Provinz Alberta, am Orinoko-Fluss in Venezuela und in den Weiten Russlands. Allein die kanadischen Reserven werden größer eingeschätzt als die konventionellen Ölreserven Saudi-Arabiens. Die Ölsand-Großmacht Kanada könnte theoretisch also den Saudis Konkurrenz auf dem Weltölmarkt machen und damit das geostrategische Gleichgewicht massiv verändern.

Natürlich wäre genau das schon längst passiert, wenn es nicht auch ein paar Probleme bei der Sache gäbe. Denn nicht nur die Kosten liegen erheblich über denen der konventionellen Energieförderung, sondern auch der Aufwand an eingesetzter Energie, Wasser und Naturressourcen.

Ölsande werden mit Schaufelbaggern im Tagebau gewonnen. Wer einmal die Braunkohletagebaugebiete von Garzweiler oder in der Lausitz gesehen hat, weiß, dass danach eine wenig romantische Mondlandschaft zurückbleibt. Anschließende Renaturierungsmaßnahmen, so sie denn überhaupt durchgeführt werden, können die verlorene Natur nicht wieder herstellen, sondern produzieren eine arten- und abwechslungsarme Ersatzlandschaft. Aber die ursprüngliche Natur, die es beispielsweise in Kanada noch gibt, kann nicht wieder zurückgeholt werden. Der Ölsandabbau im Westen Kanadas ist außerdem um Dimensionen größer angelegt als der Kohletagebau, wie wir ihn aus Deutschland kennen. Ganze Wälder werden heute dafür abgetragen, Flüsse umgeleitet und Menschen umgesiedelt. Bei Unfällen können Gewässer und Trinkwasser mit Öl verunreinigt werden.

Ein Viertel des Energiegehalts des gewonnenen Rohöls muss für die aufwändige Förderung und Aufbereitung der Teersande sowie die anschließende Renaturierung aufgewendet werden. Das Öl wird durch Wasserdampf aus dem Sand herausgepresst, der durch die Verbrennung von Erdgas erhitzt wurde. Von der kanadischen Regierung wurde sogar schon erwogen, ein eigenes Atomkraftwerk zu errichten, um die notwendige thermische Energie zur Wasserdampferzeugung bereitzustellen. Neben dem hohen Energieverbrauch sind auch die benötigten Wassermengen ein Problem: Das Wasser muss anschließend aufwändig gereinigt und über eigens angelegte Kanäle in das denaturierte Flusssystem zurückgeleitet werden.

In den abgelegenen Fördergebieten Sibiriens oder am tropischen Oriniko wäre die Gewinnung vermarktbaren Öls aus Schiefer und Sand keinesfalls kostengünstiger. Die Umweltauswirkungen des großflächigen Abbaus von Ölsand im Tagebau können dort nur geschätzt werden. Während jedoch in der Demokratie Kanada die Medien und Umweltverbände für ein Mindestmaß an Transparenz und Kontrolle sorgen, spielt sich die Ölexploration an den letzten Grenzen der Tropen oder der Arktis weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab.

Die Ölsande Kanadas sind nur ein – wenn auch besonders illustratives – Beispiel dafür, dass die Erschließung neuer Öl- und Gasvorkommen immer teurer, immer schwieriger und auch immer gefährlicher für Mensch und Natur wird. Die ersten Ölquellen Nordamerikas und im Mittleren Osten wurden noch dadurch entdeckt, dass Öl natürlich an die Oberfläche trat. Viele dieser Quellen waren seit der Antike bekannt: In Mesopotamien wurden Teer und Öl zur Dichtung von Booten und als medizinische Wundersalbe genutzt. Im heutigen Aserbaidschan entstand der Feuerkult des Zarathustra dort, wo sich an der Erdoberfläche austretende Ölquellen selbst entzündeten. Solche leicht zugänglichen Quellen werden heute nicht mehr neu gefunden, und die meisten bekannten sind inzwischen erschöpft. Es muss immer tiefer gebohrt werden, durch härteren Stein, durch Eis oder unterm Meeresboden. Da die globale Ölindustrie auf der Suche nach den letzten Verstecken des Schwarzen Goldes mittlerweile in die letzten Wildnisse vordringt, steigt auch der Preis für die Natur.

Alternative Erdgas

Gleichzeitig wird deutlich, dass auch die lange gefeierte Alternative Erdgas nicht unbegrenzt und billig zur Verfügung steht. Das Peak Gas, also der Scheitelpunkt der weltweiten Gasförderung, liegt allerdings weiter in der Zukunft als der Höhepunkt der Ölförderung. Viele Länder sind gerade erst dabei, Kraftwerke und Wärmeerzeugung von Öl oder Kohle auf Erdgas umzustellen. Erdgas hat eine Reihe von Vorteilen. Es verbrennt schadstoffarm und hat einen geringeren CO2-Gehalt pro Energieeinheit als Kohle und Öl. Viele Umweltpolitiker, die dafür eintreten, langfristig komplett auf erneuerbare Energien umzustellen, akzeptieren Erdgas als Übergangslösung. Für diese umweltpolitische Strategie stellen die neuerdings stark ansteigenden Gaspreise ein massives Problem dar.

Oftmals tritt Erdgas auf schon erschlossenen Ölfeldern auf, wurde bisher jedoch unzureichend genutzt. Vielerorts wird das austretende Erdgas weiterhin abgefackelt und erzeugt damit keine Energie, wohl aber das Treibhausgas CO2. Das Potenzial der Erdgasnutzung aus vorhandenen Quellen ist also erheblich. Seitdem die systematische Erkundung begonnen hat, werden außerdem jährlich mehrere große neue Erdgasfelder entdeckt.

Der Transport von Erdgas zum Kunden erfolgt in der Regel über Pipelines. Da es über längere Strecken immer aufwändiger wird, den Gasdruck in solchen Rohrleitungen aufrechtzuerhalten, gilt als Faustregel, dass Gaspipelines eine maximale Reichweite von 4.000 km haben. Deswegen gibt es bisher keinen globalen Gasmarkt, sondern nur regionale Netzwerke.

Das könnte sich mit dem zunehmenden Trend zur Verwendung von Flüssiggas (Liquid Natural Gas, LNG) ändern. Erdgas kann unter Druck und niedrigen Temperaturen verflüssigt werden. Der Vorteil liegt einerseits darin, dass so das Volumen des Erdgases reduziert wird. Außerdem kann es wie Öl mit Tankern zu seinem Zielort transportiert werden. Die größte Flüssiggasanlage der Welt wird momentan für den ostasiatischen Markt auf der russischen Pazifikinsel Sachalin errichtet. Von der arktischen Jamal-Halbinsel aus soll LNG mit Tankschiffen nach Nordamerika exportiert werden. Neben Europa und den ostasiatischen Staaten hätte Russland damit einen dritten Abnehmermarkt für seine Gasexporte. Auch Nigeria und Algerien setzen auf Flüssiggasexporte nach Europa. Japan und China interessieren sich besonders für den von Pipelines unabhängigen Zugang zum sauberen Erdgas.

Durch die unbegrenzte Transportfähigkeit von Flüssiggas per Tanker wird der Markt für Erdgas zum Weltmarkt. An den Küsten Nordamerikas und Ostasiens werden derzeit überall Flüssiggas-Terminals errichtet. Auf den Werften herrscht ein Auftragsboom für neue Tankschiffe.

Bisher bildet sich der Erdgaspreis nicht am Markt. Die meisten Lieferverträge sehen eine langfristige Preisbindung vor. Nur so waren die immensen Investitionen in das gigantische Pipelinenetz möglich, das beispielsweise Ost- mit Westeuropa verbindet. Enge Bündnispartner Russlands, beispielsweise das diktatorisch regierte Weißrussland, erhalten Preisnachlässe. Der Gaspreis für die Ukraine soll zwar stufenweise erhöht werden, wird aber weiterhin durch die Beimischung billigeren turkmenischen Erdgases niedrig gehalten. Ansonsten ist der an den weltweiten Spotmärkten gehandelte Gaspreis an den Ölpreis gekoppelt. Diese Koppelung wird, wenn beide Produkte zukünftig unabhängig voneinander gefördert und gehandelt werden, über kurz oder lang aufgehoben werden.

Erdgas ist wahrscheinlich der für politische Krisen anfälligste Rohstoff, der auf dem Weltmarkt gehandelt wird. Die festen Pipelines sind teuer, haben lange Bauzeiten und sind danach nicht mehr zu verlegen und umzuleiten wie ein Öltanker. Wer auf Gas setzt, setzt deswegen auf zweierlei: auf die wechselseitige Abhängigkeit von Produzent und Verbraucher sowie auf die Diversifizierung der Quellen. Europa hat das Glück, von erdgasexportierenden Ländern umgeben zu sein. Auch wenn einige osteuropäische Länder ihr Gas fast ausschließlich von Russland beziehen, so hat die EU insgesamt eine diversifizierte Versorgerstruktur. Die EU versucht außerdem, die sie umgebenden Länder nicht nur als Rohstoffimporteure zu betrachten, sondern sie Schritt für Schritt in den gemeinsamen europäischen Markt zu integrieren. Der Grundgedanke dabei ist, dass durch gegenseitige Abhängigkeit politische Zusammenarbeit und letztendlich Stabilität entsteht. Das außenpolitische Konzept der Europäischen Nachbarschaftspolitik, an dem die EU auch ihre finanziellen Hilfen für die Länder Osteuropas und Nordafrikas ausrichtet, stellt deswegen das gemeinsame Management der Energieressourcen in den Mittelpunkt.

Kohle

Am längsten reichen noch die weltweiten Steinkohlevorräte. Neben Russland, den USA, Australien und Südafrika weisen auch China und Indien immense einheimische Steinkohlelager auf, die noch lange nicht ausgeschöpft sind. Die IEA schätzt, dass allein in diesen beiden Ländern der Kohleverbrauch bis 2030 um 60 Prozent steigen wird. Auch in den USA und Russland ist die Kohle mit Abstand die reichhaltigste fossile Energiequelle. Selbst in Deutschland, das sonst kaum eigene fossile Energievorräte besitzt, liegen noch bedeutende Stein- und Braunkohlevorkommen unter Tage. Würde jedoch alle bekannte Steinkohle auf die bisherige Weise in thermischen Kraftwerken und ohne CO2-Filter verbrannt, hätte das unabschätzbare Negativfolgen für das globale Klima. Da jedoch weder die großen Schwellenländer noch Russland und die USA auf die Nutzung dieser preisgünstigen einheimischen Energiequelle verzichten werden, müssen bei der Kohleverbrennung möglichst saubere und effiziente Technologien zum Einsatz kommen, um die Umweltauswirkungen in Grenzen zu halten.

Grundsätzlich stehen drei Möglichkeiten zur Verfügung, um die Kohleverbrennung umweltfreundlicher zu machen. Neben hocheffizienten thermischen Kraftwerken kann die Kohle verflüssigt und als vielfältig verwendbarer Treibstoff eingesetzt werden. Außerdem ist es möglich, das bei der Verbrennung fossiler Energieträger entstehende Kohlendioxid technisch abzutrennen und unter der Erde zu lagern, sodass es nicht in die Atmosphäre gelangt.

Die Steigerung des Wirkungsgrades konventioneller Kohlekraftwerke ist ein erster wichtiger Schritt. Vor allem in Ländern wie Russland, Osteuropa, Indien und China, die alle zu den größten Kohlekonsumenten weltweit gehören, besteht ein enormes Potenzial zur Verbesserung der Energieeffizienz. Der Erhöhung der Energieausbeute pro Einheit Kohle sind jedoch technisch Grenzen gesetzt. Der höchste erreichte Wirkungsgrad liegt bei 65–70 Prozent. Bei der anschließenden Rauchgaswäsche, also dem Herausfiltern von Schwefel und anderen giftigen Stoffen aus den Kaminen, geht ein Teil der gewonnenen Energie wieder verloren. Moderne Kraftwerke mit aufwändiger Abgasreinigung können wirtschaftlich außerdem nur als Großanlagen gebaut werden. Deswegen eignen sie sich schlecht für die Wärmeversorgung von Industrieanlagen und Haushalten durch Kraftwärmekopplungsanlagen. Wärme kann wirtschaftlich nämlich nur über verhältnismäßig kurze Strecken transportiert werden. Die meiste Abwärme aus großen Kraftwerken wird deshalb in die Atmosphäre abgestrahlt.

Die Verflüssigung von Kohle hat in Deutschland einen schlechten Ruf. Im Dritten Reich und später in der DDR wurde im sächsischen Chemiedreieck Treibstoffersatz aus Braunkohle hergestellt. Inzwischen hat sich aber durch den Einsatz von Katalysatoren, Informationstechnologie und moderner Messtechnik die Qualität der aus Kohle hergestellten Mineralölprodukte sehr verbessert. Schadstoffe können in der flüssigen Phase problemlos abgetrennt werden. Der Wirkungsgrad liegt in Versuchsanlagen bei bis zu 95 Prozent. Die Kohleverflüssigung löst außerdem ein Problem, das viele erneuerbare Energien haben: Der flüssige Energieträger kann gut gelagert und auch als Kfz-Treibstoff verwendet werden. Bei bleibend hohen Ölpreisen trägt sich die Kohleverflüssigung auch wirtschaftlich. Sie ist deshalb eine wirkliche Alternative zum Erdöl. Die südafrikanische Firma Sasol, die ihre Methode zur Kohleverflüssigung während des Wirtschaftsboykotts in der Apartheidszeit entwickelt hatte, stellt verflüssigte Kohle für 25 US-Dollar pro Barrel her und liegt damit deutlich unter den zukünftig zu erwartenden Rohölpreisen. Selbst für deutsche Kohle gelten Produktionskosten von etwa 60 US-Dollar pro Barrel als realistisch. Im Jahr 2006 lag der Weltölpreis monatelang über diesem Wert. Kohle kommt auf der Erde so häufig und in solchem Umfang vor, dass der weltweite Kohlemarkt für politische Krisen weit weniger anfällig ist als der Öl- und Gasmarkt. Die meiste deutsche Importkohle kommt heute aus der stabilen Demokratie Australien. Aus klimapolitischer Sicht ist die Kohleverflüssigung allerdings noch ungünstiger als ihre Verbrennung. Schließlich muss für die Umwandlung der Kohle in Treibstoff zusätzliche Energie aufgewendet werden.

Grundsätzlich ist es möglich, die Kohleverbrennung dadurch klimafreundlicher zu gestalten, dass das Treibhausgas CO2 herausgefiltert wird. Dann könnte die Bedeutung der Kohleverbrennung auch in den westlichen Industriestaaten wieder wachsen. Dieselbe Technik der CO2-Ausscheidung und -Lagerung ließe sich bei Öl- und Gaskraftwerken einsetzen. Der Stromkonzern Vattenfall plant in der ostdeutschen Lausitz ein erstes CO2-freies Kraftwerk auf Braunkohlebasis. British Petroleum entwickelt ähnliche Projekte für Kalifornien und Schottland. Doch auf dem Weg zum routinemäßigen Einsatz dieser Technik müssen noch einige Probleme gelöst werden. Bei den bisherigen CO2-Filtertechnologien sinkt die Energieausbeute der Kraftwerke erheblich. Dadurch wird die Technik vor allem für Entwicklungsländer zu teuer. Ein internationaler Klimaschutzfonds könnte jedoch die Kostendifferenz übernehmen. Bei den bisherigen Pilotanlagen des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall in der Lausitz sowie ähnlichen Plänen der RWE für Nordrhein-Westfalen handelt es sich, gemessen an den Tausenden traditionellen Kohlekraftwerken, die derzeit vor allem in China, Indien und anderen Entwicklungsländern gebaut werden, außerdem nur um den berühmten Tropfen auf den heißen Stein. Die entscheidende Zukunftsfrage für die Kohle heißt: Bleibt es bei wenigen CO2-freien Pilotanlagen mit Alibifunktion, oder wird die kostspielige moderne Abscheidetechnik flächendeckend und weltweit in modernen Kraftwerken eingesetzt?

Vor einer Entscheidung über den großflächigen Einsatz dieser neuen Technologie sollte aber das grundsätzliche Problem gelöst werden, wo das abgetrennte CO2 anschließend gelagert wird. Bisher wurde vorgeschlagen, es entweder in alten Öl- und Gaslagerstellen, in Salzstöcken oder unter dem Meeresboden unterzubringen. Über das langfristige Verhalten dieser CO2-Blasen weiß die Wissenschaft jedoch noch zu wenig, um einen großflächigen Einsatz dieser Technik guten Gewissens empfehlen zu können.

Energiearmut

Der neue Fluch, der auf den ärmsten Ländern der Welt liegt, heißt Energiearmut. Unter den 85 Prozent aller Länder, die Öl importieren müssen, befinden sich nicht nur die wohlhabenden Industrieländer oder die Wachstumsökonomien China und Indien, sondern auch die Ärmsten der Armen in Schwarzafrika, Lateinamerika oder Zentralasien. Steigende Preise haben auf diese Länder überproportional hohe Auswirkungen. Steigen die Energiepreise weiter, droht den ärmsten Entwicklungsländern eine neue Schuldenkrise. Nach Berechnungen der Weltbank kostet ein Anstieg der Rohölpreise um zehn US-Dollar die Industriestaaten ein halbes Prozent Wirtschaftswachstum. Für die ärmsten Länder, deren Energiekostenanteil an der Herstellung von Gütern in der Regel erheblich höher liegt, können die Einbußen bis zu dreimal so hoch sein.

Energiearmut trifft nicht nur die Wirtschaft dieser Länder, sondern auch ihre Bürger. Die Mieter in der Ukraine können angesichts steigender Gaspreise bald ihre Heizkosten nicht mehr bezahlen. Wer sich die teure Energie nicht leisten kann, muss frieren. Schulkinder in Afghanistan können abends nicht mehr lernen, weil der Strom abgeschaltet wird. Menschen in energiearmen Ländern, Stadtteilen oder Haushalten haben geringere Chancen, im Leben weiterzukommen. Viele Regierungen der ärmsten Länder müssen am Schul- und Gesundheitssystem sparen, um die Rechnungen für die Ölimporte zu begleichen. Energiearmut versperrt den Weg für Entwicklung.

In manchen Ländern, die auf dem Weltmarkt zu den Energieexporteuren zählen, leiden die eigenen Bürger trotzdem unter Energiemangel. Der Grund sind regionale und soziale Ungleichheiten. In Nigeria, dem größten Erdölexporteur Afrikas, bilden sich vor den Tankstellen der Hauptstadt Lagos lange Autoschlangen. Nigeria exportiert zwar Öl, hat aber keine ausreichenden eigenen Raffineriekapazitäten. Das Nigerdelta, in dem das meiste Öl des Landes gefördert wird, zählt gleichzeitig zu den ärmsten Regionen Nigerias. Die meisten Dörfer haben keinen Stromanschluss. Geheizt wird mit Holz.

Selbst in Russland, dem größten Erdgasproduzenten weltweit, sind zahlreiche Dörfer von der Moderne abgeschnitten. Im Winter stockt in den Städten der Nachschub. In manchen sibirischen Dörfern sieht man die Fackeln der Erdgasbohranlagen in der Ferne leuchten und muss trotzdem mit Holz heizen.

Energiearmut trifft nicht nur die Wirtschaft armer Länder und führt zu einem Verlust an Gestaltungschancen für die dort lebenden Menschen, sondern erschüttert auch die Stabilität fragiler Staaten und junger Demokratien. Die einseitige Entwicklung des exportorientierten Energiesektors geht auf Kosten anderer Sektoren der Volkswirtschaft. Dadurch wachsen bestehende soziale Unterschiede und steigen politische Spannungen. Dabei macht es meist keinen Unterschied, ob private multinationale Konzerne oder staatliche Energieunternehmen die Branche beherrschen. In Russland, dem Iran oder Venezuela ging die Verstaatlichung der Energieindustrie auch mit einem Abbau der Demokratie und einer aggressiven Außenpolitik einher.

Die beste Chance für arme Länder, der Falle Energiearmut zu entkommen, bestünde darin, ihren eigenen nachhaltigen Weg in der Energieversorgung zu gehen. Die ineffiziente Wirtschaft der am wenigsten entwickelten Länder verbraucht heute doppelt so viel Energie pro Einheit wirtschaftlicher Leistung wie die der westlichen Industrieländer. Das Energieeinsparpotenzial wäre enorm, wenn in die entsprechende technische Ausstattung investiert würde. Eine weitere Alternative zum Import teurer fossiler Energieträger wäre es, einheimische Ressourcen besser zu nutzen. In vielen landwirtschaftlich geprägten Entwicklungsländern kann Biomasse zum Heizen sowie zur Elektrizitätserzeugung und Äthanol aus Getreide als Benzinersatz genutzt werden. Wind- und Solarenergie sind vor allem für abgelegene Standorte, die durch das nationale Elektrizitätsnetz nicht erreicht werden können, eine gute Alternative. Moderne Entwicklungszusammenarbeit stellt deshalb den Zugang aller zu erschwinglicher Energie aus erneuerbaren Quellen in ihren Mittelpunkt.

Klimasicherheit

Die neue Energiekrise ist auch eine Klimakrise. Wer von Energiesicherheit redet, wird deshalb zukünftig auch von Klimasicherheit sprechen müssen.

Anfang 2007 soll der neue Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), dem Wissenschaftlerrat, der für die Vereinten Nationen den weltweiten Klimawandel beobachtet, erscheinen. Die Erkenntnisse der Wissenschaftler sind alarmierend. Schon jetzt weiß man, dass die Konzentration der den Treibhauseffekt beeinflussenden Gase Kohlendioxid (CO2), Methan und Stickoxid heute höher ist als zu irgendeinem Zeitpunkt in den vergangenen 650.000 Jahren. Zwischen 1999 und 2004 stieg der CO2-Gehalt der Atmosphäre um jährlich 0,5 Prozent. Insgesamt hat sich die Erdoberfläche seit Anfang des 20. Jahrhunderts um 0,65 Grad Celsius erwärmt.

Jared Diamond, Professor für Geographie an der Universität von Kalifornien und Gewinner des Pulitzer Preises für sein Buch »Guns, Germs, and Steel« über die natürlichen Grundlagen unterschiedlicher menschlicher Zivilisationen, beschäftigt sich in seinem neuen Werk »Collapse« damit, wie unterschiedliche Kulturen auf ökologische Krisen erfolgreich reagieren oder untergehen.

Vor einigen Sommern besuchte Diamond die beiden Milchviehhöfe von Huls und Gardar und stellte verblüffende Ähnlichkeiten fest. Beide gehörten zu den größten und technisch bestausgerüsteten Gütern der Gegend und ihre Besitzer zu den Stützen ihrer Gemeinschaft. Auch die Probleme beider Betriebe ähnelten sich. Beide lagen zu weit im Norden, um das Vieh das ganze Jahr auf die Weide zu lassen, und arbeiteten deshalb lange am Rand der Wirtschaftlichkeit. Der wesentliche Unterschied zwischen Huls und Gardar besteht jedoch in ihrer heutigen Situation. Die Huls Farm im Bundesstaat Montana ist ein prosperierender Familienbetrieb in einem der Landkreise mit dem höchsten Bevölkerungswachstum der USA. Der Wikinger-Hof von Gardar dagegen liegt seit 600 Jahren zerstört und verlassen an der Westküste Grönlands.

An diesen und anderen Fällen vollzieht Diamond nach, wie die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen zur Degradation oder zum vollkommenen Verschwinden historischer Zivilisationen geführt hat. Zum Vergleich beschreibt er Gesellschaften, die dieselben oder ähnliche Herausforderungen erfolgreicher gemeistert haben, und sucht nach Parallelen in modernen Gesellschaften. Seine Grundfrage ist, warum Gesellschaften durch ökonomische und kulturelle Entscheidungen ihre eigenen Lebensgrundlagen unterminieren, auch wenn die Zeichen an der Wand deutlich lesbar sind. Am Ende des Buchs schlägt er vor, aus dem historischen Versagen anderer zu lernen.

Opfer historischer Umweltzerstörung waren auch die Zivilisationen der Osterinseln oder der Maya. Die Wikingerkultur überlebte zwar auf den Färöer, Shetland und Island, passte sich den extremeren Bedingungen auf Grönland jedoch nicht ausreichend an. Andere Kulturen reagierten auf anfängliche Umweltzerstörung mit gesellschaftlichen Innovationen, Beispiele sind die Einführung einer nachhaltigen Forstwirtschaft in Japan und Deutschland im 19. Jahrhundert.

1 531,18 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
302 стр. 5 иллюстраций
ISBN:
9783956140174
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают

Новинка
Черновик
4,9
177