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Читать книгу: «Žižek in Teheran», страница 5

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Der Zeigefinger und der Daumen am Hals des Nehru

Bewegen sich nicht mehr

Die Schrift ist ein

Gerücht

Zwischen der Erd’

Und dem Meer

Und den himmlischen Höhen gelegen

Mitten im Raum

Ist ein Ort

Wo, was irgend sich zeigt,

Sei noch so groß die Entfernung

Und jeglicher Laut

Zum gehöhleten Ohr dringt

Dieser Vers (ist nicht von mir, LeserIn

Noch auch von Hafes)

Kommt dir womöglich bekannt vor

Einer der Immer-kleiner-Werdenden, rechts vom Nehru, zitiert ihn

Mit dem ganzen Pathos Teherans

Welches im

Hin-und-Herwiegen des Kopfes sich zeigt

Wie junge Bombayanerinnen beim Reden

Jedoch ohne Anmut

Dem Zitierenden seine Hand

Scheint etwas unsichtbares Ovales zu halten

Wie die Hand eines Fürsten, der vom Balkon aus

Auf das Volk hinabwinkt

Nur daß der Rezitierende

Nicht ausschaut wie ein Fürst

Sondern untere Mittelschicht.

Alles hätte ich dem Gefängnisarzt zugetraut, LeserIn

Nur nicht, daß er Ovid zitiert

Letztens auf der Couch hatte er weder Bart, noch Brille

Hinter dieser kreisen ihm

Wie die Hypnose-Augen der Dschungelbuch-Kaa.

Die Augen.

Der Gefängnisarzt ist der einzige Bärtige der Runde

Abgesehen vom Nehru

Ich schätze ihn auf Anfang Vierzig

Den Nehru auf Fünfzig

Die aber keine Runde ist, sondern eine Reihe

Die anderen Immer-kleiner-Werdenden, den Nehru Flankierenden

Sind glattrasierte Yuppies

Dem Gefängnisarzt sein Bart

Ist weiß gesprenkelt wie der des Nehru

Aber ungepflegt.

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Der Gefängnisarzt, ein Agent des Regimes?

Hat er mich verpfiffen?

Mein Analyse-Patient?

Die Analyse abgebrochen, um mich zu verpfeifen?

Aber

Was gibt’s bei mir zu verpfeifen?

Jetzt werde ich –

Ich werde ihn jetzt verpfeifen

Ich bin Analytiker

Er hat, statt zu assoziieren

Die Schrift zu verbreiten versucht.

Wenn er aber Die Schrift zu verbreiten versucht

Kann er doch nicht Geheimpolizist sein, islamischer

(Wenn auch humanistisch gebildet)

Oder doch?

Mein Analysand, mein ehemaliger

Fährt fort Ovid zu zitieren

Fama erkor sich die Statt und wohnt in der obersten Feste

Tag und Nacht ist es offen und ganz

Aus tönendem Erze

Hallet es ganz und erwidert den Laut

Das Gehörte verdoppelnd

Was Die Schrift betrifft, sagt der Nehru

Gibt es Verfasser, Verbreiter und Mitwisser

Und als er Mitwisser sagt

Schaut er mich an

Mit dem ganzen Pathos Teherans.

Ich … weiß nicht, wovon Sie reden

Was ist Die Schrift?

Nehru lächelt

Aber franziskanisch

Wir wissen, daß Sie wissen, und Sie wissen …

Nichts weiß ich, ich war in der Deutschen Schule

Jetzt das Internat Islamischer Mädchen

Der Kardan wurde ermordet

Schirin ist die Mörderin, das süße islamische Mädchen

Das interessiert Sie nicht? Nein?

Kennen Sie Kardan?

Sagen wir so, sagt der Nehru, nicht nur wir

Interessieren uns für Die Schrift

Die Schrift interessiert sich auch für uns

Der Gefängnisarzt nickt

In der Tiefe des Raumes hüpft die Snack auf und ab

Damit ich sie

Trotz der Mauer, bestehend aus Nehru und den Immerkleiner-Werdenen

Sehe.

Die Snack ist klein

Ich mag das

Und sie will mir (beachte den Doppelsinn, LeserIn!) etwas bedeuten

Indem sie die Hände auf- und abbewegt

Ihre Lippen formen seltsame Formen

Die Bewegungen dieser Hände und Lippen sind nicht pathetisch

Sondern hysterisch.

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Sie sind entlassen, sagt Nehru.

Und der Mord?

Die Hände der Snack

Scheinen die Luft zusammenzukehren

Und zum Himmel hinauf

Die Snack ist zum einen begeistert

Ihre Begeisterung will sie, zweitens, auf mich übertragen

Sie strahlt

Sie sind entlassen, sagt Nehru

Die Kollegin wird Ihnen helfen.

Die Kollegin ist natürlich die Snack

Eine Verbeugung respektive die Andeutung einer solchen

Und Nehru und der Rattenschwanz verlassen im Gänsemarsch

Wie sie gekommen sind

Den Warteraum der Polizeiambulanz.

Der Gefängnisarzt

Wendet mir im Weggehen das Gesicht zu

Das mir dämlich vorkommt

Und mysteriös.

Die Snack

Gerade daß sie vor Freude nicht tanzt

Nähert sich wieder

Mit der Bar

Freut sie sich, daß sie mich los ist?

Nein, LeserIn, sie freut sich offensichtlich für mich

Kommen Sie!

In einem Nebenraum, dunkel, entnimmt sie

Einer Lade der Snackbar einen Schlüssel und befreit mich

Während sie fortfährt, zu strahlen

Von den Handschellen

Um meinerseits zur Heiterkeit beizutragen, sage ich Sollte ich

nicht einen Revers unterschreiben?

Das Strahlen verschwindet sogleich

Falls du, LeserIn, männlich bist, kennst du das

Sie scherzt und scherzt und kein Ende

Aber wehe, du scherzt zurück

Schluß mit lustig

In der, ohne das Strahlen der Snack, noch dunkleren Dunkelheit

Legt sie mir eine Augenbinde an

Daß sie mich mit verbundenen Augen hergebracht haben

In einem Kleinbus vermutlich

Sagte ich, LeserIn?

Oder?

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Freunde

Habe ich in Teheran keine

Aber Genossen

Am Tisch

Die meine Kochkunst

Heute Rindfleisch mit Aprikosen und Pflaumen

In der Sprache Teherans unaussprechlich

Genießen.

Zutaten (für vier Personen)

Gelbe Linsen

Die aber keine Linsen sind

Sondern kleine Kichererbsen, geschält und halbiert

Haben die Größe von Linsen, aber dicker

Und lecker

Über Nacht eingeweicht, kochst du sie zwanzig bis dreißig Minuten

Wofür du aber den Dampfdrucktopf nehmen kannst

Getrocknete Hülsenfrüchte solltest du grundsätzlich

In einer Schüssel waschen

Oben schwimmende Teile sind zu entfernen

Rindfleisch

In zwei Mal zwei Zentimeter große Stücke schneiden usw. usw.

Der Greißler

Ist ein andrer als der Greißler

Im Teheran der Kindheit

Der gleiche Gestank

Der hier

Will aber Konversation

Ich liebe die Supermärkte von Teheran

Je größer, je lieber

Er stinkt

Und das Lächeln ist nett

Und erinnert

Und erzwingt Sympathie

An das Lächeln

Des Chefredakteurs jener Zeitung

Des Sprachrohrs des Führers

Der Republik, der Islamischen

Von Teheran

Erzwingt Sympathie

Wie der Vergewaltiger mitunter angeblich

Earth shattering orgasms.

Uns, LeserIn, erinnert dies Lächeln

Dies sympathische, eines Franziskaners aus Rom

Natürlich

An das des Nehru.

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Meine Tischgenossen sind Angehörige

Der Neuen Unterschicht von Teheran

Aus

NachDenkSeiten

Die kritische Website

… diese Menschen wüssten gar nicht mehr, wie das ist, morgens aufstehen, sich rasieren, vernünftig anziehen und zur Arbeit fahren …

… Tattoos und Piercings, dicke Kinder, Bewegungsmangel und Fehlernährung, Videotheken, Gameboy und Premiere-Abonnement, Tabak, Alkohol und Lottospiel, ungezügelte Vermehrung bei Unfähigkeit zur Erziehung („Armut macht Kinder“), Unterschichtenfernsehen.

Das Schlimmste: Sonntags gehen diese Leute nicht mehr in guten Anzügen, sondern in Jogginganzügen auf die Straße …

(Hans Otto Rößer, Krieg dem Pöbel. Die neuen Unterschichten in der Soziologie deutscher Professoren)

Meine Tischgenossen kommen aber

Um Gottes Willen

Nicht täglich

Tischgenosse 1

Eigentlich bildender Künstler

Bildnerische Kunst interessiert mich

Nicht die Bohne

Und produziert braune Handytaschen mit der Aufschrift

Converse All Star

Die sich von den überall in Teheran erhältlichen

Braunen Handytaschen mit der Aufschrift

Converse All Star

Durch nichts unterscheiden.

Tischgenosse 2

Importiert Getränke aus Japan

D.h. er versucht

Getränke aus Japan zu importieren

Scheitert jedoch an den

Von den Revolutionsgarden, den Islamischen, kontrollierten

Teheraner Konzernen

Die sämtliche Importe

Aus

Und die spärlichen Exporte

Nach

Japan kontrollieren.

Tischgenosse 3

Ist Segellehrer

Ausgebildet am Wörthersee

Wo er seine Jugend verbracht hat

Mangels Interessenten arbeitslos

Und wegen des Fehlens natürlicher Voraussetzungen für das Segeln

Im Staate Teheran.

Ihre Tage

Verbringen die Tischgenossen

Beim Greißler

Weit und breit kein Supermarkt im Grätzl

Stell dir das Stehcafé beim Greißler

Wie das Stehcafé bei Tchibo vor

Drei Stehcafé-Tische

Ich kam mit den dreien

Auf der Straße, vor der Greißlerei, ins Gespräch

Über den unbedingten Willen des Greißlers

Zur Konversation.

Die Geburt der Tischgenossenschaft

Aus dem Geist des Unbehagens

Am unbedingten Willen des Greißlers

Zur Konversation.

Ich koche, die Tischgenossen essen

Und schweigen

Aber ich begrüße sie herzlich

Und verabschiede sie

Während ich das Eß-, zugleich Wartezimmer, verlasse

Begebe ich mich durch die Küche

In das Analysezimmer

Wo der Gefängnisarzt

Auf der Couch liegt und wartet

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Daß er, ohne mir den April zu bezahlen, verschwunden ist

Sagte ich, LeserIn, oder?

Dann erscheint er in der Polizeiambulanz

Als Geheimpolizist, als islamischer

Wenn auch humanistisch gebildet (Ovid)

Im Gefolge des Nehru

Wie sind Sie reingekommen?

Durch die Hintertür.

Hätte er den vorderen Eingang benützt

Hätte er den Weg über das Wartezimmer (zugleich Eßzimmer)

Und über die Küche nehmen müssen

Hingegen man durch die Hintertür

Vom Garten aus direkt ins Analysezimmer kommt.

Wir hatten keinen Termin ausgemacht.

Sie werden doch meinen Analyseplatz nicht vergeben haben?

Es ist ein wirklicher, das heißt für mich subjektiv gewisser Vorgang, daß ich die Seele, und zwar wahrscheinlich die ganze Seele des Professors, vorübergehend im Leibe gehabt habe. Es war ein ziemlich umfangreicher Ballen oder Knäuel, den ich am ehesten mit einem entsprechenden Volumen Watte oder Spinngewebe vergleichen möchte, der mir im Wege des Wunders in den Bauch geschleudert worden war, vermutlich um darin seinen Untergang zu finden. Diese Seele im Leib zu behalten …

Aufhören!, brülle ich

Auf-hö-ren! Oder ich …

Noch nie, LeserIn, hat die Analytikerstimme

Sich über die Zimmerlautstärke erhoben

In der Analyse schon gar nicht

Und wie hätte mir, die Grundregel zu unterlaufen

(Daß die PatientIn alles, was ihr in den Sinn kommt, sagen soll)

Je in den Sinn kommen können?

Der Gefängnisarzt lacht

Oder Sie holen die Polizei?

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Über die Zimmerlautstärke

Hat sich die Analytikerstimme noch niemals erhoben

Und schon gar nie hat der Körper des Analytikers

Sich auf den eines Analysanden gestürzt

Ob Geheimpolizist, islamischer, oder nicht

Um ihn zu würgen

Keine Gegenwehr

Und aus einem

Nachträglich nicht mehr zu rekonstruierenden

Grund

Fehlt ihm, LeserIn, jetzt, da ich ihn würge

Die Brille

Der Wegfall der Mikroskopbrille

Wie ich die Brille des Gefängnisarztes nenne

In Anlehnung an eine Erinnerung an das Gymnasium in Graz –

(Schon mal überlegt, LeserIn, warum es ausgerechnet

Erinnerung heißt?

Mit Betonung auf inner?

Wörtlich genommen hieße Erinnerung, mit Betonung auf inner

Daß etwas von außen nach innen gelangt

Er

Inner

Ung

Und dort bleibt.

Wenn wir aber Erinnerung sagen

Meinen wir nicht das.

Wörtlich genommen wäre

Er

Inner

Ung

Das Wahrnehmen und Speichern von etwas

Mit anderen Worten, daß etwas, von außen kommend

Eben nach innen gelangt, also eigentlich die Voraussetzung für Erinnerung

Die Voraussetzung also, daß später das stattfinden kann, was wir meinen, wenn wir Erinnerung sagen.)

Noch einmal

Der Wegfall der Mikroskopbrille

Macht den Gefängnisarzt auf einmal sympathisch

Er schielt ein wenig

Hingegen mit Mikroskopbrille

Weder schielt, noch sympathisch

Vergrößert die Mikroskopbrille doch dem Gefängnisarzt seine Augen

Und sie kreisen mitunter

Die Brille nenne ich Mikroskopbrille

Wie gesagt, in Anlehnung an eine Erinnerung

An das Gymnasium in Graz

Einen der Kameraden

Einer widerwärtiger

Als der andere

Nannten sie Mikroskopbrille

Weil die Brille vergrößerte ihm die schielenden Augen

Die kreisten mitunter wie wild.

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Und schon gar nie

Hat dem Analytiker sein Körper

Sich auf den eines Analysanden gestürzt

Ob Geheimpolizist, islamischer, oder nicht

Um zu würgen.

Geh! Heim! Polizist! Islamischer!

Hätte ich sollen sagen

In Wahrheit drücke ich mich weit unfeiner aus

Über den armen Geheimpolizisten

Ergießt sich a tirade (a protracted speech, usually marked by intemperate, vituperative or harshly censorious language).

Gedicht

Mutterhure

Vaterhund

Vaterhure

Muttermund

Gudrun

Kundry

Radegund

Laßt mich, würge ich, ENDLICH IN RUHE

Mit eurer Schrift, eurer scheißheiligen!

Als ich scheißheiligen sage, knattert es

Aus dem Gefängnisarzt seinem Gesicht

Ein Lachen?

Kann einer lachen, LeserIn, wenn man ihn würgt?

Später wird er sagen

Zu scheißheiligen sei ihm Eisheiligen eingefallen

Als Reim

Darüber er hätte er gelacht.

Scheißheilige Eisheilige

Pankratius, Servatius, Bonifatius

Und danach fehlt nie

Die kalte Sophie

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Laßt mich, würge ich also, endlich in Ruhe

Mit eurer scheißheiligen Schrift

Keine Ahnung, ich bin Analytiker, was es mit eurer

Scheißheiligenschrift auf sich haben soll

Bitte nicht würgen, würgt der Gefängnisarzt aus sich heraus

Ich glaube es Ihnen.

Ich muß alles wissen, sage ich respektive brülle

Und würge

Alles, sage ich, Die Schrift, der Elektrische, und warum ist er tot? Ihr habt ihn getötet, nicht wahr? Und was es mit dem Haus des Vergessens der Bibliothek usw. auf sich hat und mit der Schirin und Narges und …

Alles!, würgt der Gefängnisarzt (wird immer blauer), ja, alles!

Aus sich heraus

Und

Ich bin eh kein

Schweigen

Ja?

Kein Geheimpolizist.

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Klein ist der Gefängnisarzt

Korpulent und kompakt

Es sitzt sich gut auf ihm

Druckelastisch

Ideal für mein Gesäß ohne Sitzfleisch

Je mehr ich würge

Desto orthopädischer sitzt es sich

Auf dem Gefängnisarzt

Jetzt, da ich nicht mehr würge

Und brülle auch nicht

Läßt die Muskelspannung

Nach und nach

Nach

Und versinke, weich

Um nicht zu sagen, daß mein Gesäß

Mit dem Gefängnisarzt seiner Haut zusammenwächst

Zum Einheitsorgan.

Apropos Nicht-mehr-Brüllen

Sagt der Gefängnisarzt

Spricht langsam

Und tief

Es existiert ein fundamentales Mißverständnis, welches darauf beruht, daß Gott den lebenden Menschen eigentlich nicht kannte

NICHT SCHON WIEDER!

und nicht zu kennen brauchte, sondern weltordnungsmäßig nur mit Leichen zu verkehren hatte. Bei jeder Einstellung meiner Denktätigkeit erachtet Gott augenblicklich meine geistigen Fähigkeiten für erloschen, den

Blödsinn

für eingetreten und die Möglichkeit eines Rückzugs für gegeben. Irgendein Geräusch in meiner Umgebung, meist in Roheitsausbrüchen bestehend, wird gewundert. Gleichzeitig tritt, fast augenblicklich, das sogenannte

Brüllwunder

auf, bei welchem meine dem Atmungsvorgange dienenden Muskeln von Ariman dergestalt in Bewegung gesetzt werden, daß ich genötigt bin, den Brüllaut auszustoßen, sofern ich nicht besondere Mühe auf seine Unterdrückung verwende. Zuzeiten erfolgt das Brüllen in so rascher und häufiger Wiederholung, daß für mich ein nahezu unerträglicher Zustand sich ergibt und in der Nacht das Liegenbleiben im Bett unmöglich wird.

Der Zweck scheint ein doppelter zu seineinesteils sich den Eindruck eines vor Blödsinn brüllenden Menschen zu verschaffen und andernteils die vom oberen Gott, Ormuzd, gesetzten inneren Stimmen an dem durch das Brüllen entstehenden Geräusch ersticken zu lassen, damit Ariman auf die in meinem Körper entstehende Seelenwollust rechnen kann, um sich dagegen zu sichern, daß er in meinem Körper ohne Seelenwollust eingehe.

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NICHT SCHON WIEDER!, sag’ natürlich ich, LeserIn

Um in Folge dem Gottesirrsinn respektive Gottes Irrsinn

Gebannt zu lauschen.

Sobald er mit dem Deklamieren der Gottespassage fertig ist

Wendet er mir

Sein mittlerweile hochrotes Gesicht zu

Nein, nicht der Gefängnisarzt

Ist mit der Gottespassage fertig

(Fürs erste jedenfalls)

Sondern

Gott mit ihm

Der Gefängnisarzt scheint nämlich tatsächlich

Aus einer Art Trance aufzuwachen

Als hätte nicht er gesprochen

Sondern der Gottesirrsinn aus ihm

Jetzt spricht er wieder normal

Aber solches vorzuspielen

Lernt man doch als Geheimpolizist, nicht wahr, LeserIn?

Und wozu das alles?

Ich will alles wissen.

Ja, sagt der Gefängnisarzt

Die Schrift, sage ich.

Ja, sagt der Gefängnisarzt, derweil die Gesichtsfarbe wechselt

Von Rot auf Gelb.

Ich habe ihn auswendig gelernt, den Text

Ja?

Um ihn aus dem Gefängnis zu schmuggeln.

Da erst habe ich erfahren, daß der Gefängnisarzt der Gefängnisarzt ist.

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Ich bin der Gefängnisarzt, sagt der Gefängnisarzt

Sozialarbeiter eigentlich, aber im Gefängnis sagen sie Gefängnisarzt zu mir.

Du erwartest eine Erklärung, LeserIn?

Der Gefängnisarzt ist der Gefängnisarzt

Auch wenn er Sozialarbeiter ist, eigentlich

Das sollte reichen.

Der Gefängnisarzt berichtet

In den Sechzigerjahren

War Vater ein Teheraner Hippie

Bei einem Yogi in Bombay lernte er Hypnose

Zurück in Teheran nannte er sich

Kabuk

Und trat im Zweiten Kanal des Teheraner Fernsehens

(U.a.) als Hypnotiseur auf

(Stell dir einen Mann vor, in weißem Anzug, LeserIn

Und Krawatte, in den besten Jahren, und Hitlerbart

Hippies kamen unter dem Kaiser

Im Zweiten Kanal des Teheraner Fernsehens zwar vor

Aber nicht als wissenschaftliche Autorität in Sachen Hypnose zum Beispiel)

In den Siebzigerjahren wirkte Vater als Architekt

Inspiriert durch die

Habitat-Siedlung

Des Tel-Avivischen Architekten

Moshe Safdie

Plante er das berühmte Habitat-Gefängnis

Mit seinem Partner Aschkan Namwar

Im Norden von Nord-Teheran

Ist heute von unserem Gefängnis die Rede

Fällt immer der Name Namwar, nie der Name des Vaters

Als die Islamischen in Teheran die Macht übernahmen

Hat Namwar sich mit der Macht arrangiert

Ich sage unser Gefängnis

Ich war elf, als das Gefängnis gebaut wurde

Im Sommer nahm mich Vater

Oft zur Baustelle mit

Einmal

Bin ich fast verunglückt

Ich will Architekt werden, sagte ich

Ich bin ein politischer Architekt!

Sagte Vater

Mein Gefängnis ist ein Gefängnis für glückliche Menschen!

Kann ein Gebäude glücklich machen?

In meinem Gefängnis kann es keine politischen

Häftlinge geben!

Mein Gefängnis steht im Widerspruch zu jedem Regime!

Morgens

Wenn ich beim Verlassen des Ausgangs der U-Bahn-Station

Die Bauklötze, die zusammengewürfelten, des Habitat-Gefängnisses sehe

Höre ich im Geiste die Stimme des Vaters

Seine Parolen skandieren.

In der Regel verwenden Regime ihre Gefängnisse

Nicht als Denkmäler

Nicht so die Republik, die Islamische, von Teheran

In keinem Prospekt der Teheraner Tourismusbehörde

Fehlt ein Bild des Habitat-Gefängnisses

Des futuristischsten aller Gefängnisgebäude der Welt.

1 993,31 ₽
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351 стр. 3 иллюстрации
ISBN:
9783854359814
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Правообладатель:
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