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Die DS Hatschepsut war weiß mit blauen Zierstreifen, einem weiß-blauen Schornstein und geschwungenen weißen Schaufelrädern. Die beiden langen Unterdecks hatten viele Kajütenfenster und auf dem überdachten Oberdeck standen lauter kleine weiße Korbstühle und Tische. Die Morgensonne färbte das Weiß beinahe golden und ich konnte mehrere Gestalten in Uniform sehen, die uns am oberen und unteren Ende der langen schmalen Landungsbrücke erwarteten.

Ich roch den Fluss, so kräftig und würzig wie die grüne Suppe, die man uns in Kairo serviert hatte – andererseits könnte das auch an den Packeseln und den Pferden, die Kutschen wie unsere zogen, und dem Staub gelegen haben, der von Hufen und nackten Füßen aufgewirbelt wurde.

Unsere Kutschen hielten an und mein Vater sprang herab, um mir seine Hand zu reichen. Ich stieg aus, gefolgt von Amina, Miss Beauvais, Daisy (sie nahm die Hand meines Vaters wie eine Königin, das Kinn hoch erhoben und das goldene Haar im Wind wehend), Pik An, Rose und May. Schlagartig waren wir umringt von einer Gruppe hilfsbereiter Männer, die alle nach unserem Gepäck griffen.

»So viele Töchter!«, sagte einer von ihnen bewundernd zu meinem Vater. »Die Blonde, ist sie verheiratet?«

Mein Vater sah ihn so finster an, dass er mit erhobenen Händen zurückwich.

»Ich werde niemals heiraten!«, verkündete Daisy stolz.

»Wolltest du nicht einen Lord heiraten?«, fragte ich.

Daisy funkelte mich an. »Hazel, ich habe dir bereits gesagt, dass ich es mir anders überlegt habe. Ich werde viel zu beschäftigt sein für eine Ehe.«

»Ach, wie schade«, sagte Amina und zwinkerte Daisy zu.

Ich erlebte Daisy selten sprachlos, doch in diesem Augenblick öffnete sie mehrmals den Mund, nur um ihn wieder zu schließen. Sie rümpfte die Nase und auf ihren Wangen erschien eine zarte Röte. In diesem Moment war ich sicher, dass ich mit meiner Vermutung richtig lag. Daisy war ganz und gar nicht des Abenteuers wegen in Ägypten, egal was sie mir weismachen wollte.

Ihr ging es allein um Amina.

»Hmpf«, stieß sie schließlich aus. »Können wir nun endlich aufs Schiff?«

Zu gern hätte ich mit ihr geredet, sie gefragt, wie es ihr ging – doch ich wusste nur zu gut, dass man Daisy Wells so etwas nicht fragen konnte. Ich musste warten, bis sie es mir gestehen würde.

Mein Vater war schon auf halbem Weg den Steg hinauf, während May aufgeregt um ihn herumwuselte. Sie hopste gefährlich nahe am Rand entlang und mein Vater streckte die Hand aus, um sie am Pferdeschwanz festzuhalten.

»Du bist keine Seiltänzerin, Mei«, sagte er zu ihr, als sie sich beschwerte, und übergab sie Pik An, die sie festhielt.

Ich folgte ihnen. Der schmale Steg der Landungsbrücke wippte und schwankte unter mir, sodass mir der Geschmack unseres Frühstücks erneut in den Mund trat. Bisher hatte ich nicht wirklich darüber nachgedacht, doch selbstverständlich war dies hier ein Schiff – und Schiffe bekommen mir gar nicht.

Endlich, entweder einen Herzschlag oder auch eine Ewigkeit später, betrat ich mit der Unterstützung eines dunkelhäutigen Mannes mit Ringellocken, der in einer schicken Uniform, passend zum Blau-Weiß der Hatschepsut, steckte, die polierten Holzbohlen des Oberdecks.

»Guten Morgen, Miss!«, empfing er mich, bevor er sich mit denselben Worten an Daisy wandte.

»Ich bin eine Ehrenwerte!«, sagte Daisy stolz. Ich schnitt ihr eine Grimasse. Was ihren Titel betraf, war Daisy wirklich komisch.

Ich merkte dem Mann an, dass er beim Anblick von uns allen ins Zögern geriet. Wir waren eine seltsame Gruppe: May, Rose, Pik An, Vater und ich wie man in Ägypten noch niemanden gesehen hatte, dann die goldhaarige und blauäugige Daisy, die müde Miss Beauvais und schließlich Amina, die eindeutig keine Touristin war. »Sie sind Mr Wongs Reisegruppe, vermute ich? Willkommen, hochverehrte Gäste!«

Ein anderer Mann in Livree drückte mir ein Glas in die Hand, in dem sich etwas Dunkelrotes und Süßes befand. Ich fand, es sah ein wenig aus wie Blut, und schalt mich gleich darauf für diesen dummen Gedanken.

»Dies sind nicht alles meine Töchter«, erklärte Vater, woraufhin der Mann mit den Locken erleichtert auflachte – bevor er so tat, als wäre es nie geschehen.

»Ich bin Mr Mansour«, stellte er sich vor und nickte Vater zu. »Ich bin der Manager der Hatschepsut. Während Ihres Aufenthalts bei uns an Bord werden sich meine Mannschaft und ich uns um Ihr Wohl kümmern. Was immer Sie benötigen, was es auch sei, fragen Sie einfach danach. Bitte zögern Sie nicht! Unsere Pagen werden ihr Gepäck nun in Ihre Kabinen bringen, die sich alle auf der Steuerbordseite unseres Salondecks befinden. Mr Wong, Sie haben Kabine acht, ein Zimmer mit eigenem Bad. Miss Rose Wong und Miss May Wong teilen sich Kabine sechs. Miss El Maghrabi und Miss Beauvais sind in Kabine zehn untergebracht und Miss Hazel Wong und Miss Daisy Wells in Kabine zwölf, wie vereinbart. Die Magd hat Kabine vierundzwanzig, ein Deck tiefer.«

»Gut«, sagte mein Vater. »Hazel –«

Plötzlich hielt er wie gebannt inne und starrte über meinen Kopf zu anderen Passagieren, die gerade die Landungsbrücke heraufkamen.

»Gute Güte«, sagte er. »Ich glaube … ich glaube, diesen Jungen kenne ich. Hazel, war er nicht letztes Jahr mit uns im Zug? Ich könnte schwören … Aber das ist unmöglich, oder?«

Mit einem Mal fiel mir das Atmen schwer, so sehr kribbelte ich von Kopf bis Fuß vor Aufregung und Angst gleichzeitig. Ich wollte hinsehen, konnte es aber nicht.

Daisy allerdings schaute durchaus. »Du lieber Himmel!«, sagte sie. Ihr Gesicht leuchtete vor Vergnügen, vermischt mit Ärger. »Ich glaube, Sie haben recht. Wir kennen ihn.«

9


Ich drehte mich um – da waren ein großer blonder Junge und ein dunkelhaariger, die gemeinsam vor einem sonnenverbrannten Mann, beladen mit einem Stapel Bücher und Gepäck, den Landesteg heraufliefen.

»Hazel Wong!«, zischte mir Daisy ins Ohr und mir wurde klar, dass ich in allergrößten Schwierigkeiten steckte. Doch als der blonde Junge meinen Blick erwiderte und mich anstrahlte, war mir ebenso klar, dass es mich nicht im Geringsten kümmerte.

Mein Brief hatte Wirkung gezeigt.

Alexander hob den Arm und winkte, und ich winkte zurück.

»Wong Fung Ying, was um alles in der Welt hat das zu bedeuten?«, wollte mein Vater wissen.

Ich wurde feuerrot, bis in meine äußersten Fingerspitzen.

»So ein Zufall«, sagte ich steif. »Das ist der Junge aus dem Orientexpress: Alexander Arcady. Er scheint mit seinem Freund George hier zu sein.«

»Guten Morgen, mein Herr«, begrüßte George Mr Mansour höflich. »Wir sind zur Nilkreuzfahrt angemeldet: George Mukherjee und Alexander Arcady – und dies ist unser Tutor, Mr Young.«

»Guten Morgen, die Herren«, erwiderte Mr Mansour. »Ein herzliches Willkommen unseren Gästen, Mr Mukherjee, Mr Arcady und Mr Young! Mr Mukherjee und Mr Arcady, Sie haben Zimmer Nummer zwei und Mr Young hat Zimmer vier, beide auf der Steuerbordseite.«

»Steuerbord!«, rief Mr Young, das Gesicht vor Hitze hochrot. »Aber man hat mir geraten, auf dem Weg nach Aswan niemals eine Steuerbordkabine anzunehmen. Dort bekommt man die volle Nachmittagssonne ab – das ist nicht gut fürs Lernen! Wie Sie sehen können … wie Sie sehen, vertrage ich die Hitze nicht allzu gut. Und ich muss in der Lage sein, diesen beiden Jungen Wissen zu vermitteln. Sehen Sie, ich bin ihr Tutor und stelle ihnen die Sehenswürdigkeiten Ägyptens vor. Ihre Eltern haben sie mir anvertraut und erwarten, dass sie von neuem Wissen erfüllt zurückkehren, nicht mit einem Hitzschlag.«

»So leid es mir tut, auf dem Salondeck waren keine Kabinen mehr verfügbar«, erklärte Mr Mansour. »Ich bitte um Verzeihung – diese Kreuzfahrt ist sehr gefragt, wissen Sie? Es gibt eine weitere Reisegruppe – sie hat die gesamte Backbordseite gebucht, bereits vor Monaten, wohingegen Ihre Anfrage recht kurzfristig kam. Ich konnte Sie nur aufgrund einer Absage unterbringen – eine Schriftstellerin und ihr Reisegefährte hatten Zimmer reserviert, die Buchung dann aber auf Februar nächstes Jahr verschoben.«

»Das ist schlicht inakzeptabel«, sagte Mr Young. »Ich werde mich beschweren, das können Sie mir glauben.« Dann bemerkte er, dass wir alle ihn beobachteten, und hustete verlegen. »Guten Morgen«, sagte er laut und langsam. »Erfreut, Sie kennenzulernen.«

Offensichtlich ging er davon aus, dass wir kein Englisch sprechen. Mein Vater funkelte ihn an. »Guten Morgen, Sir. Ich muss zugeben, ich bin überrascht, Ihre Reisegruppe hier anzutreffen«, fuhr er ihn an. »Ich kenne eins Ihrer Mündel: Mr Arcady. Mr Arcady, können Sie sich erklären? Wie kommen Sie ausgerechnet heute auf dieses Schiff? Oder, noch besser, vielleicht kann meine Tochter diese merkwürdige Begebenheit erleuchten. Wong Fung Ying, eine Erklärung

Plötzlich stockte mir der Atem tatsächlich. Ich verhakte die Finger ineinander und versuchte verzweifelt, nicht zu Alexander zu blicken, der verlegen errötete. Daisy grub vor unterdrückter Schadenfreude die Finger in meinen Arm.

»Mr Wong, Sir, ich glaube, ich kann erklären, was geschehen ist«, sagte George unerwartet.

Ich riss den Kopf hoch und sah ihn entsetzt an. Würde er nun alles ruinieren?

Doch dann warf George mir kaum merklich einen Blick zu – ein kurzes Zucken seiner Augen – und ich wusste, dass alles gut werden würde.

»Wissen Sie«, begann George gefasst und lächelnd, »wir alle haben uns vergangenes Weihnachten kennengelernt, in Cambridge. Mein Bruder geht aufs St. John’s College – mein Vater war schon dort und auch ich soll einmal dort meinen Abschluss machen. Wir haben uns angefreundet und als wir im Frühling in London waren, haben wir gemeinsam das British Museum besucht. Die Ägyptenabteilung hat uns alle völlig fasziniert, vor allem die Mumien …«

(Ich zuckte zusammen, Alexander hustete und Daisy blickte absolut sorglos drein – sie kann anderen ebenso gut etwas vormachen wie George.)

»… und danach konnten wir nur noch davon reden, dass wir Ägypten eines Tages mit eigenen Augen sehen wollten. Folglich muss Hazel mit Ihnen geredet haben, Sir, und Alexander und ich mit unseren Eltern – und als Ergebnis sind wir nun alle gleichzeitig hier! Ein wirklich schier unglaublicher Zufall.«

»Zufall«, wiederholte mein Vater langsam, während er von mir zu Alexander, dann zu Daisy und schließlich wieder zu George sah. »Sind Sie nicht die Jungen – Hazel, sind das nicht die Jungen, diejenigen, die bei diesem Mo–«

»Das sind sie«, antwortete ich schnell. »Sie waren dabei, genau wie wir, aber das hat nichts zu bedeuten. Die Dinge sind einfach so geschehen, Vater, wirklich – ich habe dir doch erzählt, dass uns manchmal einfach so etwas passiert –«

»Hm!«, unterbrach mein Vater mich. »NUN JA! Es ist, wie es ist, das Schiff ist gebucht und kurz vorm Ablegen. Ich kann schlecht mit fünf Mädchen im Schlepp wieder von Bord gehen. ABER, Wong Fung Ying, eins sage ich dir: In diesen Ferien passiert euch besser nichts einfach so

»Natürlich nicht, Vater«, sagte ich – und einen Augenblick lang glaubte ich mir beinahe.

10


Das Horn des Schiffes erklang, ein langgezogenes tiefes Heulen, das uns alle aufschreckte.

»Fast Zeit, die Segel zu setzen«, sagte Mr Young zu Mr Mansour. »Von dieser anderen Reisegesellschaft sehe ich keine Spur, daher darf ich Sie um die Kabinen auf der Backbordseite bitten, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

»Ich wünschte, ich könnte Ihnen den Wunsch erfüllen, Sir«, sagte Mr Mansour unglücklich. »Doch ich glaube, da kommen sie gerade.«

Er streckte den Finger aus – und zu meiner Verblüffung hielten in diesem Moment in einer Staubwolke die Kutschen von Theodora Miller und ihrer Gruppe vor dem Schiff. Ich hörte, wie Mrs Miller den Fahrer anbrüllte, einen Mann, der regelrecht verzweifelt aussah.

»SIE HABEN DEN LANGEN WEG GENOMMEN! DEN LANGEN! TJA, DAFÜR WERDE ICH SIE NICHT BEZAHLEN! HEPPY, STEIG AUS! NEIN, NICHT SO! MIT MEHR GRAZIE! DANIEL, HILF IHR!«

Der junge Mann – Daniel – hüpfte leichtfüßig aus der zweiten Kutsche und bot seine Hand der kämpfenden Heppy an, deren Locken wenig elegant aus ihrem Zopf entkamen und in ihr Gesicht fielen, während sie sich mit den Beinen völlig in ihrem Kleid verfangen hatte. Einen Moment lang blickte Heppy verloren und verängstigt zum Schiff und dann zu uns, und erinnerte mich dabei an unsere Freundin Küken, wenn man sie tadelt. Als unsere Blicke sich kreuzten, muss sie den Schrecken in meinem Gesicht erkannt haben, denn schnell zog sie den Kopf wieder ein.

Die Gruppe trat an die Landungsbrücke. Theodora segelte förmlich hinauf, als wäre sie selbst ein Schiff, und stellte sich schließlich vor Mr Mansour.

»Ich bin THEODORA MILLER«, teilte sie ihm mit. »Ich bin mit meiner Gruppe hier, um eine Verbindung zum Alten Ägypten aufzunehmen. Ursprünglich stammen wir nämlich aus diesem Land. In unserem ersten Leben.«

»Seien Sie mir gegrüßt, verehrte Gäste«, empfing sie Mr Mansour kleinlaut, während er von Theodora Millers strengem Gesicht zu seinem Klemmbrett und zurück schaute. »Willkommen an Bord. Sollten Sie irgendetwas benötigen, zögern Sie nicht, uns darauf anzusprechen. Nun wollen wir sehen … Ihre Reisegesellschaft …«

»Ich gehe davon aus, dass ich in einer Kabine mit eigenem Badezimmer untergebracht bin?«, fragte Theodora. »Nun beeilen Sie sich schon – heraus mit der Sprache!«

»Ja, äh, Madam, selbstverständlich«, sagte Mr Mansour, ordentlich aus dem Konzept gebracht. »Sie sind in der Kabine mit Badezimmer auf der Backbordseite, Nummer sieben. Ihre Tochter, Miss Hephzibah Miller, ist in Kabine Nummer eins, Ihr Sohn, Mr Daniel Miller, in Kabine drei. Miss Ida Doggett hat eine Kabine mit Bad: Nummer fünf. Mr Narcissus DeWitt ist in Kabine neun und Miss Rhiannon Bartleby ist in Kabine elf untergebracht.«

»Aber ich brauche ebenfalls ein eigenes Bad«, fuhr der runzlige alte Narcissus DeWitt auf. »Das ist schlicht nicht hinnehmbar, Mann!«

Aus der Nähe fiel mir auf, dass Mr DeWitts goldene Haare so auffällig glänzten, weil sie gefärbt waren. Die Farbe war merkwürdig, fast grünlich und sein Haar klebte wie ein Helm an seinem Kopf. Es kostete mich einige Überwindung, es – und seine Falten – nicht anzustarren. Er war um einiges älter, als ich bisher angenommen hatte.

»Aber es war keines gebucht«, erklärte Mr Mansour versöhnlich. »Ich bedaure sehr –«

»Theodora!«, rief Mr DeWitt. »Wie kannst du Thutmosis das antun?«

»Gib Ruhe, Narcissus!«, entgegnete Theodora Miller. »Man hat dich erst vergangene Woche als Thutmosis bestätigt, viel zu spät, um noch ein Badezimmer für dich zu buchen.«

»Ähm«, sagte Mr Mansour. Er tupfte sich mit einem Taschentuch die Schläfen ab. »Verzeihen Sie, ich bin nicht sicher, ob ich verstehe …«

Nun meldete sich Heppy zu Wort, während sie sich die Haare aus dem Gesicht schob und Mr Mansour anblinzelte.

»Sehen Sie, Mr Mansour«, hauchte sie atemlos und blickte dabei zu Theodora Miller, wie um deren Einverständnis einzuholen, »dies sind sehr wichtige Leute. Mr DeWitt war in seinem vergangenen Leben Thutmosis, der Dritte. Miss Bartleby war Nofretete und Miss Doggett war Kleopatra. Sie sind hier, um mehr über sich selbst zu erfahren, daher müssen Sie ihnen helfen, wo Sie nur können. Und M– … Mrs Miller ist von allen am wichtigsten. Sie ist die Reinkarnation der Pharaonin Hatschepsut, Tochter von Amun-Re. Sie ist eine Göttin auf Erden.«

11


Als wir uns hinter fest verschlossener Tür in unserer holzverkleideten Kabine mit den zwei putzigen ordentlichen weißen Betten zum Mittagessen umzogen, war ich in Gedanken noch immer vollauf beschäftigt mit dem, was wir an Deck miterlebt hatten. Wir waren auf dem Nil mit der Hauch-des-Lebens-Gesellschaft – und ich hatte es im Gespür, dass etwas Verblüffendes und Geheimnisvolles passieren würde.

»Es ist genau wie im Orientexpress!«, sagte ich zu Daisy. Sie bürstete sich die Haare, blickte dabei in die verspiegelten Paneele an einer der Wände und schürzte nachdenklich die Lippen. »Es fühlt sich tatsächlich wie der Beginn eines Abenteuers an. Nur dass diesmal auch George dabei ist, und Amina – und Pik An, May und Rose.«

Daisy schwieg einen Moment. Dann legte sie die Bürste hin, drehte sich schwungvoll um und fixierte mich mit ihren blauen Augen.

»Hazel Wong, hast du Alexander geschrieben?«, fragte sie.

Ich hätte wissen müssen, dass ihr das durch den Kopf ging, genau wie Theodora Miller und deren Anhänger. Verlegen trat ich von einem Fuß auf den anderen – doch anders als meinen Vater kann ich Daisy nicht anlügen. Sie steht mir zu nahe. Manchmal vergesse ich sogar, dass wir zwei Menschen sind und nicht nur einer.

»Ich hätte nie gedacht, dass er tatsächlich kommen würde!«, verteidigte ich mich und merkte, wie ich schon wieder rot wurde. »Aber ja. Ich habe ihm einen Brief geschrieben und erzählt, dass wir hier sein würden.«

»Und er ist gekommen!«, stellte Daisy fest. »Was etwas zu bedeuten hat, nicht wahr, Hazel? Und das gefällt mir gar nicht.«

»Was meinst du?«

»Du weißt genau, was ich meine. Er hat einen ganzen Kontinent überquert – und ich glaube nicht, dass er es für mich getan hat. Oben auf dem Deck hat er mich kaum angesehen. Im Sommer ist es mir zuerst aufgefallen und jetzt bin ich sicher – er hat nichts mehr für mich übrig. Einerseits, welch Glück, dass er sich das endlich aus dem Kopf geschlagen hat! Doch andererseits, Hazel, muss ich noch einmal betonen, dass er schlicht nicht gut genug für dich ist. Seine Arme sind zu –«

»Zu lang, ich weiß!«, fuhr ich sie an. Daisy hatte diesen Punkt wirklich schon viel zu oft erwähnt, dabei stimmt es nicht einmal. Als wir Alexander vorletzten Sommer kennengelernt hatten, war er zufällig gerade aus seinem Hemd herausgewachsen, weshalb er sich in einem komischen Winkel hielt, doch inzwischen trägt er perfekt sitzende Kleidung und bewegt sich nun wirklich nicht mehr tollpatschig. »Ich wünschte, du würdest aufhören, das immer wieder zu sagen. Und es stimmt nicht, dass er nicht gut genug für mich ist. Er ist nett und ich mag ihn. Warum auch nicht? Außerdem erzähle ich dir nie, dass jemand nicht gut genug für dich ist. Über Amina würde ich niemals ein schlechtes Wort verlieren! Ich finde sie hinreißend

Die Worte waren aus meinem Mund, bevor ich etwas dagegen tun konnte. Entsetzt starrte ich Daisy an, die meinen Blick wie versteinert erwiderte, als würden wir beide in einen Spiegel sehen.

»Wovon bitte redest du?«, keuchte Daisy. »Ich bin NICHT verliebt in Amina! Ich … ich … Wie kommst du überhaupt auf so etwas, Hazel?«

Ihre zitternden Finger legten sich so fest um mein Handgelenk, dass meine Knochen knacksten.

»Ich habe es nicht so gemeint!«, verteidigte ich mich. »Es tut mir leid, Daisy. Es ist nur … Na ja, meinetwegen hat sie uns nicht nach Ägypten eingeladen, das ist offensichtlich.«

Daisy schüttelte mit vor Emotionen hochrot gefärbten Wangen den Kopf. »Hazel, ich … Ich werde mich auf diese Unterhaltung nicht einlassen. Es ist weder relevant noch von Bedeutung und – ich will, dass du es nie wieder erwähnst. Können wir nicht über etwas Interessanteres sprechen, zum Beispiel den Umstand, dass wir uns auf einem Schiff mit mindestens vier Pharaonen aufhalten, von denen sich eine Person auch noch für eine Göttin hält?«

»Es sind nicht wirklich Pharaonen oder Götter«, sagte ich. »Sie sind nur ganz gewöhnliche Leute.« Ich war froh, das unbequeme Gespräch über Amina und Alexander beenden und das Thema wechseln zu können. Im Vergleich erschien mir der Hauch-des-Lebens wie ein Kinderspiel.

»Natürlich sind sie das. Als ob die Pharaonen je auf die Idee kämen, als diese Leute zurückzukommen! Wie, äh, Amina schon sagte«, Daisy errötete erneut, »sind sie ja nicht einmal Ägypter. Es ergibt keinerlei Sinn. Aber ist es nicht faszinierend? Wir sind auf einem Schiff mit einem Kult! Oh, Hazel, wie herrlich! Meinst du, sie führen dunkle Rituale mit Menschenopfern durch, beschwören Satan und solche Dinge?«

»Natürlich nicht. Die Alten Ägypter haben keine Menschen geopfert, Daisy, und an Satan haben sie auch nicht geglaubt.«

»Ach, von mir aus, dann eben Osiris«, sagte Daisy.

Ich öffnete den Mund und wollte schon erwähnen, dass Amina sicher einiges dazu anzumerken hätte, wie Daisy sich Hirngespinste über das antike Ägypten ausdachte, doch ich überlegte es mir anders.

»Ist Ägypten nicht wundervoll?!«, fragte Daisy, setzte sich auf ihr Bett und hopste fröhlich auf und ab. »Sämtliche Regeln sind wie vom Winde verweht!«

»Stimmt nicht! Es ist immer noch ein Land, genau wie England. Es ist wie in Hongkong, Daisy: Es gibt Regeln, auch wenn es andere sind, als die, die du gewohnt bist. Genau das ist es, was Mrs Miller und der Hauch-des-Lebens nicht begreifen.«

»Ich weiß.« Daisy seufzte. »Ich habe nur Spaß gemacht. Aber aufregend ist es doch. Auf dieser Reise wird noch einiges Merkwürdiges geschehen, wart’s nur ab!«

Ihre Augen funkelten – trotzdem glaube ich nicht, dass sie auch nur im Geringsten ahnte, wie merkwürdig es werden sollte. Ich für meinen Teil habe es gewiss nicht. Wenn ich mich jetzt an diesen Augenblick zurückerinnere – als noch nichts vorgefallen war, als wir noch glücklich waren und gemeinsam mit unseren Freunden unter der Sonne über den bunten Fluss schipperten – tut es mir im Herzen weh.

Es war Sonntag, der 13. Dezember, und Theodora Miller hatte noch einen Tag zu leben.

Und Daisy Wells hatte zwei.

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