Читать книгу: «Perlen vor die Schweine», страница 4

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»He!«, sage ich, als sie irgendwann Luft holt. Nie um ein schlagfertiges Witzchen verlegen, der Büb.

»Sei still«, legt sie mir kurz die andere Hand über den Mund, »wollt’ dir nur sagen, dass ich das nicht vergessen habe, damals.« Lässt mich los, dreht sich um und verschwindet in ihrem Zimmer.

Da stehe ich, weder bestellt noch abgeholt, der Rum pocht von hinten gegen meine Augäpfel wie der Sekundenzeiger einer Bahnhofsuhr, während mein kleiner Zeiger vorwitzig auf ihre Zimmertür deutet. Und frage mich, wie ich das nun wieder interpretieren soll.

Nö, doch keine Einladung, sagt das Klacken, mit dem von innen ein Schlüssel herumgedreht wird. Ich ziehe mich wieder komplett an und wanke in die Küche, wo der Schrat ungerührt schon fünfzehn Kugeln in ein Dreieck sortiert hat.

Weiber, grunzte auch Mr. Pitiful, drehte sich ebenfalls um und verschwand aus meinem Spiegel und aus meinem Badezimmer. Sind eben nicht immer nur die Frauen, die merkwürdige, undurchschaubare Dinge tun.

Und ich schnitt mir doch noch ins Kinn.

Na, wenigstens hatte ich zum guten Schluss meinen Job noch zufriedenstellend hinter mich gebracht. Hing zwar immer noch eine Weile auf der Kippe, aber am fünften Tag hatte sich dann auch Raimund endlich mal blicken lassen – er ließ sich im heimischen Tübingen von Muttern pflegen, und mit seiner unverletzten Hand wälzte er den ganzen Tag Motorradkataloge.

»Geil, Alder!«, meinte er neidlos, nachdem wir die Aufnahmen durchgehört hatten, und knallte mir seinen Gipsarm ins Kreuz. »Hätt’ i net besser mache’ könne’. Wuscht’ i’s doch, dess du die richt’ge Verdredung bischt.« Hansi machte große Augen und schmale Lippen, Paul grinste bestätigend, Selmer baute einen.

»Chottverdickie!«, schrie der Schrat und machte mir ein Bier auf, was Billa nicht mal mit einem Wimpernzucken kommentierte. Ich hielt es mit Elvis und mich bescheiden zurück.

»Hätt’s net nur net besser mache’ könne’«, erklärte Raimund der erstaunten Versammlung, nachdem der Joint seine letzte Runde gedreht und wir uns das Ganze noch einmal angehört hatten. »Am liebschte würd’ i jetscht die andere Nummere noch emol trommele.« Das war in der Tat ein Kompliment. Elvis zwinkerte mir zu, und ich prostete zurück. Sie würden allerdings beim Mischen ein bisschen Mühe haben, mit ihren Kompressoren und Equalizern so zu tun, als hätte Raimund meinen Bums.

Auf jeden Fall war das Ergebnis so ausgefallen, dass ich sie beruhigt meinen Namen aufs Cover schreiben lassen konnte, und ich würde auch nicht rot werden müssen, wenn mich jemand auf die Platte ansprach.

Okay, meine Kollegen Veedelnoh und Eiermann würden ein paar Wochen lästern, aber damit konnte ich leben.

Nachdem ich mir ein paar Fuhren kaltes Wasser ins Gesicht geschmissen hatte, konnte ich auch mein Spiegelbild wieder halbwegs als meins erkennen. Aber ich kam mir vor wie ein verwackeltes Foto, die Sorte, die nicht im Album landet, sondern in einem Schuhkarton oben auf dem Schrank. Zu schade zum Wegschmeißen – konnte man ja gelegentlich eines feucht-fröhlichen Abends noch mal rauskramen: Guck ma’, der Büb bei der Dingens-Feier – sieht doch echt komisch aus, oder?

Zurück in Köln, für ein paar Wochen meine Geldsorgen los, musste ich dann erfahren, dass die hiesige Kripo im Zusammenhang mit dem Fall Kathrinchen drei österreichische Zuhälter festgenommen hatte. Und nach zweitägiger U-Haft wieder laufen lassen – Tatverdacht nicht bestätigt, Fluchtgefahr nicht gegeben. Also ging ich erst mal zu Ferdi und ließ mich von ihm ein bisschen abfüllen, während ich mich was umhörte, bevor wir auf eine Runde um die Häuser zogen, die Donnerstag Abend begonnen und irgendwann vorletzte Nacht geendet hatte. Knirschend kramte ich in meinem Gedächtnis herum, kam auf vielleicht sieben oder acht Kneipen, aber dem Geschmack meiner Rülpser und dem Geruch meines Urins nach mussten es ein paar mehr gewesen sein – Bier natürlich, jede Menge, Apfelkorn, Ouzo, Gin, veredelt von einem Hauch von Magenbitterkräutern.

Kein Wunder, dass der Büb echt komisch aussah. Fragt erst mal, wie er sich fühlt …!

Nein. Fragt nicht.

***

5 Tote in Bonn!, blökte der Express mich an, als ich endlich so weit war, dass ich am Küchentisch sitzen, ein Glas frische Milch bei mir behalten und vorsichtig an einer Rollmopsstulle kauen konnte. Ich konnte sogar die Buchstaben entziffern, ohne dass meine Augen mir immer wieder nach links innen oder rechts außen wegrutschten.

Aus Verzweiflung darüber, dass seine Ehe völlig zerrüttet war, hatte ein 45-jähriger Familienvater seine Frau, seine 16-jährige Tochter, seine Schwiegereltern und anschließend sich selbst mit Kopfschüssen ins Jenseits befördert. Ob er an ein besseres Leben nach dem Tod glaubte? Das würde sich wohl auch den Rest seines Lebens sein jetzt 14-jähriger Sohn fragen – den hatte Papi nicht richtig getroffen, der war jetzt bloß blind.

Noch mehr Schüsse waren an der Schweizer Grenze gefallen – dort hatte ein vorbestrafter deutscher Rechtsradikaler einen Grenzer erschossen, bevor er im darauf folgenden Feuergefecht tödlich getroffen wurde. Das BKA vermutete, dass er in der Schweiz Waffen für eine unserer einheimischen Wehrsportgruppen besorgen sollte. Einfach nur Kreuzchen bei NPD zu machen, reichte denen nicht.

Auf dem linken Flügel randalierten Jugendliche in Berlin und Zürich. Die Berliner versuchten mit Brandsätzen auf Sparkassen und Banken inhaftierte Hausbesetzer freizupressen, während Jung-Zürich protestierte, weil sein berühmtes AJZ geschlossen werden sollte, das Autonome Jugendzentrum. Geschieht euch recht, fand ich – was beschmeißt Ihr auch harmlose deutsche Rockbands auf Benefiz-Konzerten mit Milchtüten? Vollen Milchtüten! »Weil Ihr hier doch bloß Werbung für eure Platten machen wollt!«, kreischen sie empört zurück. Da kann ich mir bessere Methoden vorstellen, entgegne ich ungerührt, nehmt euch ein Beispiel an den Punks im AJZ Hannover – die haben uns wenigstens mit Bier beschüttet! Oder an den militanten Mädels in Frankfurt, die unseren gelben Bandbus über und über mit Schokolade beschriftet haben! Mit diesem süßen Werbeträger für deren gerechte Sache (»SCHWANZ AB, DUMPF-CHAUVIS!« Aber dann doch: »NEUE MÄNNER BRAUCHT DAS LAND!« – ohne Schwanz, Mädels?) waren wir dann fünf Wochen – bis zum nächsten kräftigen Regen nämlich – landauf und landab gefahren. Und fragten uns heute noch, ob das nicht den Feminismus in der BRD ein gutes Stück vorwärts gebracht hatte – immerhin hatten wir nach diesen fünf Wochen siebzehn Auftritte und sechstausenddreihundert Kilometer mehr auf dem Tacho. Und unser Opel Blitz hieß nur noch »die Bussin«.

In Teheran wurde laut Express noch nicht geballert, da drohte man nur mal wieder, den seit dem vierten November festgehaltenen zweiundfünfzig amerikanischen Geiseln den Spionageprozess zu machen. Noch-Präsident Jimmy Carter fand das »beleidigend«, während der künftige, Ronald Reagan, die Iraner als »kriminelle Kidnapper« beschimpfte.

Verstorbener des Tages war Großadmiral Karl Dönitz, mit neunundachtzig Jahren in Hamburg einem Herzversagen erlegen. Nach Hitlers Selbstmord war er dreiundzwanzig Tage lang Reichspräsident gewesen, hatte dann, weil Hitler ja nicht auf ihn gehört und die U-Boot-Flotte ausgebaut hatte, die Kapitulation genehmigt. Ein Jahr später noch verkündete er den Richtern des Nürnberger Prozesses, man »habe den Eid halten müssen, solange immer anständig war, dem die Loyalität galt. Dass der Führer nicht anständig war, das habe ich nicht erkannt.« Deswegen auch: Nicht über Los, zehn Jahre Haft.

Von toten Frauen in Kühlkellern stand nirgends etwas, auch nichts von einem schlichten schwarzen Grabstein auf dem Nordfriedhof, auf den in zierlichen goldenen Lettern Katharina Maria Löhr graviert war, 12. 11. 1952 – 4. 12. 1980. Lieber ein Augenblick mit einem Engel als ein Leben mit einer Heiligen stand nicht darauf, obwohl das der Epitaph war, den Kathrinchen sich gewünscht hatte. Aber vielleicht war ich der einzige Mensch gewesen, der das wusste. Und mich hatte niemand gefragt.

Mich hatte niemand fragen können, selbst wenn sie es gewollt hätten – am Tag ihrer Beerdigung hatte ich schließlich auf einer Bühne von der Größe einer Tischtennisplatte in einer Kellergalerie in einem Kaff bei Karlsruhe gesessen, um mal wieder ein paar Mark für die Miete nach Hause zu bringen. Also hockte ich mit meinem Schlagzeug in eine Ecke gepfercht, als hätte ich Angst vor unserem Publikum, eingekesselt von zwei Verstärkern, vor mir Tom Sack mit seiner 50er-Jahre-Guild und in der anderen Ecke unser Bassist Eiermann, der auf seiner Box saß, weit vornüber gebeugt, damit man erstens nicht sein permanentes Kichern sah und er zweitens hören konnte, was aus seiner Box überhaupt raus kam – eigentlich spielte er eher nach Gefühl als nach Gehör, nach den Schwingungswellen, die er unterm Hintern spürte, während ich meine Besen so locker gespannt hatte, dass ich genauso gut mit halbgaren Makkaroni hätte trommeln können. Toms Slide klang, als käme sie aus einem handlichen Diktiergerät; sein Mikrophon war quasi ausgeschaltet, und er bellte seinen Mississippi-Blues fast unverstärkt über die weißgedeckten Tische, an denen unser Publikum in Vernissage-Klamotten Schildkrötensuppe schlürfte, mit Kennermiene auf französischem Chateau de la Vachequirit herumkaute und sich in kultiviert-gedämpftem Ton an einem gelungenen Abgang freute, etwas, das uns dreien heute wahrhaftig nicht vergönnt war.

Zwischendurch zeigten sie sich gegenseitig die Gemälde an den grob verputzten, kalkweißen Wänden – très mediterranée –, Quadratmeter große Geschmacksachen in Gelb, Grau und NSU-Prinz-Farben für viereinhalb Mille das Stück, klopften sich gegenseitig, also sich selbst, auf die Schulter für ihre tolle Entdeckung – noch ein Abgang –, freuten sich über ihre Schnäppchen und nickten gelegentlich anerkennend zu dem vergeistigten Künstler hinüber, den all die roten Punkte, die an seinen Rahmen klebten, und wohl auch das eine oder andere Gläschen Geschäftsabschluss-Sekt so aus der Bahn geworfen hatten, dass er fröhlich, beidhändig und laut den Takt mitschnippte – schade, dass es nicht der unsere war. Und nach jeder Nummer applaudierte er lautstark und verlangte fachmännisch nach dem Hoochie Coochie Man, yeah! – wahrscheinlich die einzige Bluesnummer, die er kannte. Ich wusste, wie gerne Tom Sack diesen abgenudelten Song spielte, aber als er sich animiert zu uns herumdrehte, machte ich ihm dezent und diplomatisch klar, dass so ein zweiundzwanziger Ride-Becken, auf kurze Distanz umgekippt, doch ganz schön unschöne Kopfverletzungen verursachen kann. Auch wenn es sein Gig war und wir nur die Begleitmucker.

Woraufhin Eiermann mit hochrotem Kopf prustend drängelte, wir sollten doch schleunigst mal zur letzten Nummer kommen, sonst müsse er sich noch in die Hose pissen; da erst entdeckte ich, dass neben seiner Box drei Flaschen von dem Chateau la Dingens standen, wovon allerdings zwei schon zum Leergut gehörten.

Also torkelten wir noch somnambul durch eine Bleiadler-Version von Stormy Monday und hofften, uns eine Zugabe zu ersparen, indem wir für T-Bone Walkers Sail On Boogie ein paar Briketts nachlegten. Aber obwohl das der einen oder anderen Zuhörerin ihr Tiramisu vom Löffel blies, mussten wir doch noch mal ran, nicht zuletzt, weil der Künstler inzwischen so weit war, dass er sich auf die Bühne schwang, sein geblümtes Halstuch schwenkte und seine Mäzene energisch aufforderte, nach mehr zu klatschen.

Zur Strafe kriegten sie als Encore Shake Your Moneymaker in der Haut-rein-Jungs-da-draußen-steht-schon-der-Wagen-des-Sheriffs-Version. Tom sägte ihnen mit seinem Bottleneck die Frisuren ein bisschen durcheinander, und während er sich nach seinen schweißtreibenden achtzehn Chorussen in blumigen Worten bedankte, seine tollen Mitmusiker noch mal vorstellte und sich verabschiedete, stand ein Drittel der Band bereits auf dem Klo – heute kein Bass-Solo –, und ich nutzte mein Schlagzeug-Solo, um schon mal die Hälfte von meinem Schrottplatz abzubauen. Fanden sie ganz schön Avantgarde. Na ja, Applaus ist das Brot des Künstlers.

Nix gegen vier Blaue bar auf die Kralle und ein paar Flaschen La Dingens für knapp fuffzig Minuten Matinee-Mucke.

9


Um Asche

Um Asche ging es natürlich letztendlich auch bei der Express-Meldung, dass Heiraten wieder in! sei: schließlich mache es nicht nur glücklich, den richtigen Partner zu haben – dank Steuerersparnis lohne es sich doch auch. Sollte ich vielleicht Vera mal ausschneiden.

So eine funktionierende Familienpartnerschaft war ja wirklich was wert, wie man auch an dem Fall des 29-jährigen Fensterputzers Walter P. sehen konnte. Der hatte am Sonntagnachmittag mit seinem Schwiegervater stundenlang Schach gespielt und Kräuterschnaps gesoffen, bis es einen erst lautstarken, dann handfesten Streit um einen fragwürdigen Damenzug gegeben hatte. Walter bugsierte den Alten in dessen Schlafzimmer, damit der sich dort beruhigen und seinen Rausch ausschlafen könnte. Als der aber nicht aufhören wollte zu randalieren, warf sein Schwiegersohn ihn kurzerhand aus dem Fenster des dritten Stocks. Hals- und Beinbruch, Schädeltrauma. Erschrocken und halb wieder nüchtern schleppte Walter ihn wieder nach oben, Frau und Schwiegermutter beseitigten alle Spuren des Streits, riefen nach über einer Stunde den Notarzt und behaupteten einmütig, den Papa so vor der Haustüre gefunden zu haben, nachdem er ewig nicht vom Bierholen zurückgekehrt sei.

Aber natürlich gab es in dem ganzen Vorweihnachtsrummel genug Nachbarn, die mit Päckchen beladen umher wuselten und den wahren Hergang bezeugen konnten, so dass Walter sich schließlich zu einem Geständnis gezwungen sah. It’s a family affair*

Draußen war es schon eine ganze Weile stockdunkel. Gelegentlich huschten die Reflexe eines Autoscheinwerfers über die kahlen schwarzen Bäume auf dem Mittelstreifen, zuckten die Blitze einer elektrischen Entladung hoch, wenn die Straßenbahn vom Rheinufer kreischend auf den Ubierring bog. Gegenüber, durch die Scherenschnitt-Äste hindurch, konnte ich zwei recht korpulente Mädels in weißen Unterröcken einen Rock and Roll tanzen sehen, kichernd, mit wippenden Locken und Brüsten. Wirkte sehr merkwürdig, schon weil bei mir Pearls Before Swine gerade ihre Miss Morse anbeteten. Das kleine gelbe Auge meines Plattenspielers blinkte träge, das fette grüne des Verstärkers glotzte unbewegt ins Zimmer. Die Uhr läuft! schien das gelbe zu signalisieren, komm in die Gänge, Büb!, während das grüne gleichgültig tat: Ah ja, die Zeit vergeht … Was juckt es mich? Was geht es dich an? Aber ich konnte das Gefühl nicht mehr loswerden, dass ich mich das jetzt schon lange genug gefragt hatte.

Kill all the echoes / Still around / From the sound / Of calendars crumbling*, nuschelte Thomas Rapp, und die anderen Perlen klimperten um ihn herum, als ginge auch sie das alles gar nichts an, als horchte jeder von ihnen nur auf die Echos in seinem eigenen Schädel, von weit weg, von lang her, verdammt lang her; und auch mein Kalender zerbröselte, mürbe von süßer Wehmut.

Ich zog mir meine Lederjacke an und die Tür hinter mir zu und machte mich auf den Weg ins Session. Ließ die Echos in der leeren Wohnung umher zirpen, wo sie auf der Suche nach Harmonie verklangen, während ich die Treppe runter stapfte, den Kragen hochgeklappt, die Hände tief in den Taschen vergraben, die Schultern schon bis an die Ohren gezogen, mich gegen die Kälte wappnend, die mich erwartete, gegen die Stadt da draußen, das Gewusel und Geschiebe, das Gehabe, Getue und Gefeilsche, die Schnorrer, die Sünder, die Säufer, den Suff. Die Mörder?

10


Im Session

Zehn Jahre gab’s den Schuppen jetzt schon. Ein düsteres Loch mit schwarz gestrichenen Wänden, über die die pastellfarbenen Reflexe von gleich drei Glitzerkugeln huschten wie Leuchtkonfetti; vierzehn Stufen in den Keller hinunter, wo die Nacht niemals zu gehen schien und der Tag niemals zu kommen. Und Johnny Walker hing eh rund um die Uhr da rum.

An dem Tisch auf dem ersten Treppenabsatz, an dem früher mein Freund Twiggy mit seinem Freund Jack Daniels gesessen und fröhlich seine Haschischklümpchen gekaut und Witze gerissen hatte, saß jetzt Bomar, finster brütend wie immer, die dunklen Falten in seinem harten slawischen Gesicht wie mit einem verrußten Schürhaken eingeritzt. Ein einziges Mal in den drei Jahren, die er jetzt diesen Job machte, hatte ich ihn lächeln sehen; das war, als irgend so ein italienischer Jungloddel ihm ein Messer an den Hals gehalten hatte, wutschäumend und voll Koks bis in die geölten schwarzen Locken – Bomar hatte ihn nicht reinlassen wollen. Er kam auch nicht rein. Nirgendwo mehr, außer in die Ambulanz der Uni-Klinik. Der Russe hatte sich, lächelnd, völlig unerwartet, einfach gegen das Messer gelehnt, mit angespannten Halsmuskeln fast in die Klinge hineinfallen lassen, und als das Blut spritzte und der Itaker erschrocken die Hand mit dem Messer zurückzog, hatte Bomar mit seinen beiden mächtigen Pranken dessen Handgelenk geschnappt, ihm mit einem lauten, unappetitlichen Knacksen den Arm aus dem Schultergelenk gedreht, sich auf seinen Fuß gestellt und ihm, immer noch lächelnd, den Arm umgebogen und ihm das eigene Messer in’s linke Auge gedrückt.

Fassungslos starrte das andere Auge auf dieses unheimliche Lächeln, in dem verqualmten Foyer umher, auf die blutverschmierte Waffe in seiner immer noch verkrampften Faust, dann klappte der Itaker zusammen wie eine schlampig gebaute Gliederpuppe und rutschte an der Wand runter, auf den schmutzig-grauen Teppichboden mit den verschlissenen gelben Sternchen, die sich dunkler und dunkler färbten von dem Blut, das in heftigen Stößen aus seiner Augenhöhle gepumpt wurde. Erst als Bomar der Messerhand mit einem verächtlichen Schnauben einen Tritt versetzte, dass das Messer zu Boden flog, fing der Junge an zu schreien; ein hohes Kreischen, das die Laute schon vorwegzunehmen schien, mit denen sich seine Mutter und Tanten in seiner Heimat über seinen Sarg werfen würden. Als würde ihm das selbst peinlich bewusst, brach er nach wenigen Sekunden wieder ab, mit einem tiefen, kindlichen Schluchzen, verlor das Bewusstsein und klatschte mit dem Kopf auf den nassen Teppich.

Keiner dieser italienischen Jungloddels geht nachts alleine aus. Das schien auch Bomar plötzlich einzufallen, doch als er sich abrupt zu den beiden Begleitern umdrehte, geduckt, auf einen Angriff gefasst, konnte er sich gleich wieder entspannen – der eine hockte würgend über einer Lache halb verdauter Pasta, und das kreidebleiche Gesicht und der unmissverständliche nasse Fleck auf einer engen weißen Jeans zeigten, dass auch dem anderen alle Angriffslust vergangen war.

Über das Haustelefon bestellte Bomar eine Flasche Wodka, ein paar Handtücher und einen Krankenwagen, kippte dem Itaker den Wodka über die Wunde und stoppte notdürftig die Blutungen, aber drei Tage später konnten wir im Express lesen, dass der Junge schon viel zu viel Blut verloren hatte und auch all der gute Wodka eine Infektion nicht hatte verhindern können. Und all das Koks in seinem Kreislauf war einer Heilung auch nicht gerade förderlich gewesen – jedenfalls wachte er am zweiten Morgen nicht mehr auf – ciao, ragazzo, ciao*

Na ja, Ende der Siebziger, Köln fing gerade erst an, die Multi-Kulti-Stadt zu werden, die manche heutzutage so zu feiern versuchen. Oder Jede Jeck es anders*, wie der Kölner eh schon lange erkannt hat.

Immerhin kam Bomar glimpflich davon – die Sache wurde als unglückseliger Unfall, an dem der Italiener quasi selbst schuld war, zu den Akten gelegt.

»Moin!«, grüßte ich freundlich. Bomars unbewegte Miene schob sich ungefähr einen halben Millimeter nach oben und sackte langsam wieder zurück. Ist doch immer wieder schön, sich als Gast so willkommen zu fühlen.

»He!«, beschwerte sich ein Typ mit Fritz-Teufel-Brille, der gerade einen Zwanziger auf Bomars Tisch geblättert hatte. »Wieso muss der denn nix zahlen?« Ungerührt schob der Russe ihm zwei rote Bierbons rüber.

»Is’ sich Chlubmitglied«, brummte er. Fritzchens Begleiterin musterte mich skeptisch von oben bis unten. Dann sah sie ihren Männe an. Bist du sicher, dass wir hier rein wollen?, las ich in ihren hübschen braunen Augen.

»Und wie wird man Clubmitglied?«, fragte der.

»Dsuffall.«

»Wie – Zufall?«

»Jetzt lass uns endlich runtergeh’n, Horst«, drängelte Braunauge, »ich muss mal aufs Klo.«

Da würde sie erst recht ihren Spaß haben – das Damenklo war komplett in glitzerndem Lila gestrichen, Wände, Decke, Fußboden, Türen, Becken, alles; nur auf der Innenseite der Kabinentür prangte in schönstem fleischfarbenen Realismus das meterhohe Ölbild eines schrumpeligen, unbeschnittenen Pimmels, der über einem haarigen Hodensack hing und eine schicke 50er-Jahre-Schmetterlingssonnenbrille trug. Leider war das Bild nicht signiert – heute wäre die Tür ein Vermögen wert; der inzwischen als »deutscher Malerfürst« gehandelte Künstler hatte damals mit dem Werk seinen Deckel abgearbeitet. Damit und mit dem nicht weniger realistischen Bild des senkrechten Lächelns auf der Innenseite der Herrenklotür.

Ich musste noch nicht, also hängte ich mich in die Westkurve der Theke, wo Emerson, einen Kopfhörer über seinen wilden Afro gestülpt, Platten auflegte. Time loves a hero* behaupteten Little Feat. Das ließ mich hoffen.

Zumindest Sylvia hatte was für mich übrig – schon hatte ich ein Bier vor mir stehen. Eine Sekunde lang – na gut, fünf – war ich in Versuchung, dann schüttelte ich den Kopf:

»’n Wasser.« Ihr Lächeln zerbröckelte.

»Krank, Büb?«

»Nur nüchtern. Und das soll auch so bleiben.«

»Sag bloß, du hast ’nen Plattenvertrag.«

»Nö. Woher?«

»Du heiratest?«

»Nö. Wen?«

»’ne Beerdigung.«

»Ich geh’ nich’ auf Beerdigungen – wofür?« Worauf sie nur missbilligend den Mund verzog. »Ein Kreuzzug, Sylvia. Und jetzt gib mir endlich ’n Wasser. ’n großes.« Kopfschüttelnd erfüllte sie mir meinen ausgefallenen Wunsch. Brutal, aber passend blendete Emerson die Helden der Feat in die von Bowie über und zog an seinem Joint. Dann registrierte er mich. Und mein Getränk.

»Krank, Büb?« Ich schüttelte bloß den Kopf.

»Sag bloß, du hast –«

»Nein, ich hab’ keinen Plattenvertrag. Und ich werd’ auch morgen nich’ heiraten. Und auch übermorgen nich’. Eigentlich hab’ ich überhaupt nich’ vor, noch mal zu heiraten.«

»Regste dich denn so auf?«

»Ich reg’ mich nich’ – und nein, ich kiffe immer noch nich’«, als er mir einen Zug anbot. Jetzt war er dran mit Kopfschütteln. Schien heute ansteckend zu sein – drüben kam Braunauge aus der Toilette, ebenfalls kopfschüttelnd. Du, könntest du schwimmen …, wünschte Bowie sich.

»Is’ denn dein Problem, Büb?«, fragte Emerson. »Hat dir der Doktor endlich das Saufen verboten?«

»Den Doktor gibt’s nich’.« Wie Delphine es tun …

»Also?«

»Kathrinchen.« Er verzog das Gesicht, als hätte ihm jemand Zwiebelschalen in den Joint gewickelt.

»Lass die Finger davon, Büb. Man hört nix Gutes.«

»Ach. Was hört man denn?«

»Nix Gutes.« Niemand gibt uns eine Chance …

»Sondern?« Erneutes Kopfschütteln. Und ein ausdrucksloser Blick über meine Schulter. Nach ein paar Sekunden drehte ich mich langsam ein bisschen auf meinem Hocker um. Einen knappen Meter hinter mir standen die Kesslers und spielten Endzahl darum, wer mit Bestellen dran war.* Kessler verlor, fragt mich nicht, welcher. Die beiden waren dermaßen eineiige Zwillinge, dass nicht mal ihre Mutter sie auseinanderhalten konnte – sie nannte beide einfach »Jung’«. Kessler hießen sie auch nicht, so wurden sie nur genannt, weil sie eben Zwillinge, einander so ähnlich und unzertrennlich waren. Als der eine mal zu drei Jahren verknackt worden war, weil er einer widerspenstigen Nutte das Gesicht mit Salzsäure präpariert hatte, war der andere zum Staatsanwalt gegangen und hatte behauptet, er habe seinem Bruder dabei geholfen, nur damit sie zusammen einfahren konnten.

Der Verlierer stellte sich neben mich, bestellte bei Sylvia zwei Bacardi-Cola, legte einen Fuffi auf die Theke und winkte verächtlich ab, als sie »Vierundzwanzig Mark« sagte. Als sie nach dem Schein griff, packte er ihre Hand, zog sie hoch und leckte kurz an ihrem Zeigefinger.

»Für dich, Süße. Willste dich nich’ gelegentlich mal bedanken?«

»’ke, Jung’«, sagte sie trocken, entzog ihm ihre Hand und steckte sie mit einer angeekelten Grimasse ins Gläserspülbecken. Er lachte.

»Wat könnten wir zwei Spaß haben, Schätzchen. Oder wir drei …?« Sylvia schüttelte sich und goss sich einen Cognac ein, kippte ihn angewidert hinunter.

»Eher würd’ ich mit einem Wurf Kanalratten ins Bett gehen.« Kessler versteifte sich, sein Lächeln verschwand, seine Augen wurden kalt.

»Übertreib’s nich’, Schätzchen! Vergiss nich’, mit wem du redest.«

»Und du vergiss nicht, wo du bist.«

»Klar«, grinste er wieder, »noch isses dein Laden. Noch, Süße.«

»Dein Drink wird warm.«

»Wirst du au’ noch, Süße, wirst du au’ noch. Und wie.« Sie verdrehte die Augen und ließ ihn stehen, ging zum Zapfhahn, um ein paar schwarze Jungs zu bedienen.

»Und dann sind wir Helden / für einen Tag«*, schluchzte ich mit Bowie.

»Is’ was, Büb?«, drehte Kessler sich bedrohlich zu mir um. Schon stand sein Bruder halb hinter mir. Die Härchen in meinem Nacken richteten sich auf. Am unteren Ende meines Rückgrats bildeten sich ein paar Schweißtröpfchen, während mein Säckchen sich zusammenzog, als hätte ich mich in eine Wanne mit Eiswasser gesetzt. Das fehlte mir jetzt noch – noch einen Schädel von einer dreitägigen Sauftour, nix als Sprudelwasser vor mir, und dann eine Klopperei mit diesen Arschgesichtern. Die berüchtigt waren für die Art, mit der sie einen Gegner fertig machten, auch wenn er schon am Boden lag. Besonders wenn er schon am Boden lag. Und beide grinsten, als freuten sie sich bereits darauf, mich als Helden für einen Tag über die Tanzfläche zu treten. Jemand tippte mir auf die Schulter.

»He, Büb, kannste mich mal ’n Moment ablösen – muss mal Bier anschlagen geh’n.« Wütend starrten die Kessler-Zwillinge Emerson an. Er grinste ganz unschuldig zurück, während er das Brett hochklappte und hinter der Theke hervorkam.

»Klar, Mann«, sagte ich und nahm seinen Platz ein. Wühlte ein bisschen im Plattenregal und legte Jango Edwards auf. If I had a face like yours, I’d shave my ass an’ walk backwards*. Ich schenkte den Kesslers ein freundliches Zwinkern. Sie hoben ihre Gläser und prosteten mir lässig zu, aber in ihren Visagen lag alles andere als Saufkumpanengefühle. Auch wenn sie Jango mit Sicherheit nicht verstanden – in den höchstens sechs Jahren Volksschule, die sie geschafft hatten, war Englisch kein Thema gewesen. Dann wanderten sie rüber zum Breakout-Automaten und kramten ein paar Markstücke aus ihren Hosentaschen. Mein Säckchen entspannte sich wieder. Aber ich musste mich schwer zusammenreißen, um mir nicht ganz schnell drei Bier zu zapfen.

***

Die Gespräche, die ich auf mehreren Runden um die Tanzfläche und die beiden Theken entlang mehr oder weniger mühsam in Gang bekam, nüchtern, wie ich war, brachten wenig Neues. Davon abgesehen, dass ich mindestens ein Dutzend Mal gefragt wurde, ob ich krank sei. Aber das fragte ich mich auch selber schon – beim mittlerweile zehnten oder elften Wasser. Der Geruch der gewachsten Zitronenschalen stach mir in die Nase, andauernd war mir nach Rülpsen, und meine Kippen schmeckten wie einer von Oma Klütschs Trockenblumensträußen.

»Ich hab’ die Geschäftsidee!«, sagte ich zu Sylvia bei einem Zwischenstopp. Sie blickte von einem Deckel hoch zu mir, dann auf mein Glas, dann wieder zu mir. Wenn du ’ne Geschäftsidee hast, die was taugt, Büb, melde ich mich zur nächsten Wahl der Miss Universum an, sagte ihr Blick. »Meine Stimme hättest du«, versicherte ich ihr.

»Was für ’ne Idee?«

»Alkoholfreies Bier«, verkündete ich stolz. Sie verdrehte die Augen. Bückte sich zu einem Fach unter der Theke und stellte mir eine kleine Flasche vor die Nase.

»Wenn dein Timing als Schlagzeuger auch so gut ist, solltest du dich vielleicht mal nach einem Gesangslehrer umgucken. Das gibt’s schon seit über ’nem Jahr, Junge.«

»Schade.« Na ja – woher sollte ich das auch wissen. Aber das Zeug zu probieren brachte ich dann doch nicht übers Herz – Clausthaler! Das klang doch schon nach Kurhotel und Schlammpackungen und forschen, langen Spaziergängen in Frühnebeln! Mit Rumpfbeugen als Pausenfüllern!

Langsam wurde es ruhiger. Die Mädels waren fast alle weg oder versorgt, die Freaks torkelten nach Hause, die Loddels wanderten ins Colosseum – dienstlich – oder ins Pinoccio, um zu zocken, die Kneipenarbeiter aus der Umgebung saßen geschafft vor ihren Absackern, die Bimbos waren in ihren Club in der Altstadt verschwunden, um endlich zu richtiger Musik tanzen zu können, und auf die Italiener und Türken wartete das Fließband mit dem neuen Stummelheck-Escort.

Sylvia saß auf ihrer Ecke und rauchte mit zwei Mädels aus ihrer WG etwas schwer südländisch Duftendes, Emerson sparte sich das Plattenwechseln und hatte sich zu seinem Feierabend-Cognac eine Kassette mit Otis Redding eingelegt. I’ve been loving you too long, croonte der, während ich zusah, wie Witta versuchte, den Faden unseres Gesprächs nicht zu verlieren.

»Du hast doch keine Ahnung, Büb«, sagte sie, wenn auch mit etlichen Sätzen und einigen Pausen mehr. »Warum sollte ein Zuhälter eine Frau halb tot schlagen, die gar nich’ anschaffen geht?«

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9783862871896
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