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|13|Altes Testament

Markus Witte

Jesus Christus im Spiegel des Alten Testaments
1. Grund, Ort und Ziel der alttestamentlichen Thematisierung von Jesus Christus

Die Frage nach Jesus Christus bedingt eine Darstellung der Theologie des Alten Testaments bzw. der in diesem vereinigten vielfältigen Theologien – und dies in dreifacher Hinsicht: erstens, weil die neutestamentlichen Autoren das als letztgültige Offenbarung Gottes geglaubte Leben, Sterben und Auferstehen Jesu im Licht dieser Schriften, die erst mit der Entstehung einer neutestamentlichen Schriftensammlung im Raum der Kirche zum Alten Testament wurden, verstanden und mithilfe alttestamentlicher Bilder, Motive und Vorstellungskomplexe gedeutet haben; zweitens, weil Jesus selbst die später unter dem Namen »Altes Testament« versammelten heiligen Schriften Israels gelesen und interpretiert hat; drittens, weil die Theologie des Alten Testaments das Reden von Gott in den alttestamentlichen Schriften vor dem Hintergrund ihrer geschichtlichen Kontexte reflektiert und im Kontext christlicher Theologie auf die Rede von Gott im Neuen Testament bezieht. Denn das Neue Testament lebt aus der religiösen Sprach- und Denkwelt des Alten Testaments und stellt literaturgeschichtlich eine Fortschreibung desselben dar. Für die neutestamentlichen Verfasser ist der sich in Jesus selbst erschließende Gott identisch mit dem im Alten Testament bezeugten Gott und Jesus die zentrale im Alten Testament erwartete endzeitliche Heilsfigur, der spätestens von den neutestamentlichen Autoren der auch im zeitgenössischen Judentum für eine endzeitliche Heils- und Rettergestalt gebrauchte Titel |14|»Messias/Christus« verliehen wurde. Schließlich versteht sich das frühe Christentum unter Aufnahme der im Alten Testament gesammelten heiligen Schriften des antiken Judentums in Kontinuität und Diskontinuität zum alttestamentlichen Israel als das (neue) Volk Gottes. Wenn aber Jesus Christus als die letztgültige Offenbarung dieses Gottes verstanden wird, dann wird im Horizont christlicher Theologie die Darstellung der Rede von Gott im Alten Testament letztlich zu einem Teil der Christologie (vgl. Gese 1974a: 30).

Der Schriftgebrauch Jesu und der neutestamentlichen Autoren gehört stärker in den Bereich der Auslegungsgeschichte des Alten Testaments und fällt wesentlich in das Gebiet der neutestamentlichen Wissenschaft und der Kirchengeschichte. Die Verhältnisbestimmung der Rede von Gott im Alten und im Neuen Testament ist hingegen genuin ein Teil der Theologie des Alten Testaments im Sinn einer religionsgeschichtlich gestützten Klassifikation der im Alten Testament artikulierten Gotteserfahrungen, einschließlich deren Fokussierung auf im Neuen Testament auf Jesus Christus bezogene Texte, sowie ein Teil biblischer Theologie im Sinn des Versuchs, anthropologische und theologische Basisthemen beider Testamente hinsichtlich ihrer geschichtlichen und sachlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu betrachten.

2. Jesus Christus als Thema der Auslegung des Alten Testaments

Unabhängig von der Frage, ob der jeweilige auf Jesus Christus bezogene Rückgriff auf die Schriften Israels im Neuen Testament auf Jesus von Nazareth selbst oder erst auf die nachösterliche Reflexion der Gestalt Jesu als dem Messias/Christus zurückgeht, lassen sich im Neuen Testament im wesentlichen drei Methoden des Schriftgebrauchs zeigen: die allegorische, die typologische und die eschatologische. Diese drei Arten der Interpretation sind in hellenistisch-römischer Zeit grundsätzlich weder auf die Korrelation von alttestamentlichen Texten mit Jesus Christus noch auf eine christliche Hermeneutik beschränkt. Sie finden ihre Anwendung auch auf andere biblische Themen und sind im antiken jüdischen |15|und paganen Bereich weit verbreitet, teilweise haben sie in diesem sogar ihre Wurzel. Hinter allen drei Hermeneutiken steht die Absicht, die aktuelle Bedeutung eines als normativ angesehenen Textes aufzuzeigen, dessen Gegenwartsrelevanz sich entweder nicht unmittelbar erschließt oder der durch eine neue geschichtliche Erfahrung radikal in Frage gestellt wird.

Im Rahmen des Neuen Testaments wirken diese drei Lesarten in zwei Richtungen: Einerseits zielen sie auf die Interpretation der Schriften Israels im Licht der Erfahrung Jesu Christi, andererseits dienen sie dazu, mithilfe eben dieser Schriften die mit Jesus Christus gemachten Erfahrungen selbst zu deuten.

2.1. Jesus Christus im Spiegel der allegorischen Auslegung des Alten Testaments

Die allegorische Auslegung (abgeleitet von griech. ἀλληγορέω/allēgoreō/etwas anderes sagen, als gemeint ist) basiert auf der Vorstellung, dass ein Text über seinen wörtlichen Sinn (Literalsinn) hinaus eine tiefere (allegorische) Bedeutung besitzt, die sich mittels Entschlüsselung seiner einzelnen Bestandteile (Wörter, Wortfolgen, Etymologien, grammatische Phänomene, Zahlenangaben u.a.) erheben lässt. Demzufolge wird bei der allegorischen Auslegung zwischen der Oberfläche eines Textes und seiner erst zu dechiffrierenden Tiefendimension unterschieden. Letzterer kommt nach der Überzeugung des allegorisch verfahrenden Auslegers die eigentliche Bedeutung zu. Insofern sich bereits innerhalb des Alten und Neuen Testaments Allegorien finden (vgl. Jes 5,1–7; Ez 34 bzw. Joh 10,1–18), hat die allegorische Auslegung einen unmittelbaren innerbiblischen Anknüpfungspunkt. Allerdings verdankt sich die frühchristliche allegorische Auslegung historisch der Hermeneutik des hellenistischen Diasporajudentums, vor allem dem Werk Philos von Alexandria (um 15/10 v. Chr. – 40 n. Chr.), die ihrerseits im Schatten der paganen Homer- und Mytheninterpretation seit dem 6./5. Jahrhundert v. Chr. steht.

Bezogen auf Jesus Christus, bietet Gal 4,21–31 ein charakteristisches (und besonders komplexes) Beispiel allegorischer Schriftauslegung. So bezieht Paulus hier die Erzählungen von Abraham, |16|seiner Frau Sara, deren Magd Hagar sowie den von diesen beiden Frauen geborenen Söhnen Isaak und Ismael (Gen 16; 21) auf das Verhältnis zwischen dem an das Gesetz (νόμος/nomos, hebr. tôrāh, lat. lex) gebundenen Weg zu Gott und dem durch den Glauben (πίστις/pistis, hebr. ʼæmûnāh, lat. fides) an Jesus Christus ermöglichten Heil. Dabei versteht Paulus die Magd Hagar aufgrund einer eigenwilligen arabischen Etymologie als Chiffre für den in Arabien lokalisierten Berg Sinai (Gese 1974b: 59–61), an dem nach Ex 19 die Tora offenbart wurde, während er in Sara als der Freien die Mutter des Sohnes der Verheißung (Gen 18,10), des Sohnes der Freiheit vom »Gesetz«, sieht. Isaak erscheint dementsprechend als Chiffre für Jesus Christus und für die an ihn Glaubenden. Eine Korrelierung von Isaak und Jesus Christus findet sich an weiteren Stellen des Neuen Testaments (Röm 9,7; Hebr 11,18) und hat vor dem Hintergrund von Gen 22 (s.u. 4.3.) auch in der christlichen Kunst eine tiefe Spur hinterlassen.

2.2. Jesus Christus im Spiegel der typologischen Auslegung des Alten Testaments

Eine spezifische Form der allegorischen Auslegung bildet die typologische Interpretation (abgeleitet von griech. τύπος/typos/Form, Vorbild, Beispiel). Gemäß dieser Interpretation erscheinen einzelne Figuren oder Ereignisse der Vergangenheit als modellhafte Vorläufer (τύποι/typoi) späterer Figuren oder Ereignisse. Im Gegensatz zur allegorischen Auslegung werden bei der typologischen Lektüre die ins Verhältnis gesetzten Figuren oder Ereignisse nicht miteinander identifiziert, sondern als strukturelle Entsprechungen verstanden.

Im Blick auf das Neue Testament findet sich nahezu für alle großen Figuren und Ereignisse, die in der alttestamentlichen Darstellung der Geschichte Israels eine zentrale Rolle spielen, eine typologische Auslegung, so, wenn beispielsweise Adam, die Erzväter, Mose, David, Salomo oder Elia bzw. der Exodus oder die Bewahrung Israels auf der Wüstenwanderung als Vorbilder Jesu Christi bzw. als Vorabschattungen des Handelns Gottes in Jesus Christus verstanden und zugleich zur Interpretation von dessen Leben, Tod |17|und Auferstehung herangezogen werden. Dabei sind es jeweils spezifische Funktionen der einzelnen Figuren oder bestimmte Geschehensstrukturen, wie z.B. die universalen Auswirkungen der Sünde Adams (Röm 5,14 mit Rekurs auf Gen 2–3), das befreiende Handeln Gottes im Exodus (Mt 2,15 mit Zitierung von Hos 11,1; vgl. auch 1Kor 10,1–4 in Verbindung mit einer allegorischen Auslegung von Ex 17,6) oder die Rettung Israels in der Wüste durch Mose (vgl. Joh 3,14–16 mit Num 21,4–9), die typologisch auf Jesus Christus hin gelesen werden.

Eine besonders ausgestaltete Typologie bietet der Hebräerbrief mittels des Rückgriffs auf die in Gen 14,18–22 und davon abhängig in Ps 110,4 thematisierte Figur des Melchisedek, die als Urbild des Hohepriesters schlechthin und als Prototyp eines als Priester agierenden Jesus Christus verstanden wird (Hebr 7; vgl. Hebr 2,17; 8,1–6; 9,11) (s.u. 4.6.1.) Dabei zeigt gerade die Melchisedek-Typologie des Hebräerbriefs, wie frühchristliche Autoren an einem im Judentum in hellenistisch-römischer Zeit verbreiteten Auslegungsdiskurs – hier an den auch über das Schrifttum aus Qumran (11Q13) bekannten Melchisedek-Spekulationen (Fabry/Scholtissek 2002: 49–50; von Nordheim 2008: 240–267) – teilhaben und wie sie kultische Vorstellungen (Tempel, Priester, Opfer, Sühne, s.u. 4.5.) des antiken Judentums zur Deutung von Person und Werk Jesu Christi heranziehen.

2.3. Jesus Christus im Spiegel der eschatologischen Auslegung des Alten Testaments

Die sowohl für den Schriftgebrauch Jesu als auch für den der neutestamentlichen Autoren wichtigste Hermeneutik stellt das eschatologische Verständnis der Schriften Israels dar. Entsprechend einer eschatologischen Lektüre (abgeleitet von griech. τὰ ἔσχατα/ta eschata/die letzten Dinge) werden Texte als Weissagungen auf Ereignisse in der Endzeit verstanden. Dabei ist eine eschatologische Interpretation nicht auf die Auslegung futurisch ausgerichteter Texte wie prophetischer Orakel beschränkt, sondern kann sich auch auf gegenwartsbezogene Texte, wie z.B. weisheitliche Mahnungen oder Klage- und Bittgebete, erstrecken. Ebenso wenig ist |18|eine eschatologische Hermeneutik spezifisch christlich. Vielmehr findet sich bereits innerhalb der Schriften Israels spätestens seit dem 4./3. Jahrhundert v. Chr. eine eschatologische relecture älterer Texte. So wurden in die Geschichtsbücher eschatologische Texte integriert (vgl. Gen 49,8–12*; Num 24,15–24*; 1Sam 2,1–10*). Die Prophetenbücher wurden zu einem zwei- oder dreigliedrigen universalen endzeitlichen Drama modifiziert, das über die Stufen des Gerichts an Israel, den Völkern und der gesamten Welt zum endgültigen von Gott gewirkten Heil führt. Alte Jhwh-König-Psalmen (Ps 96–99) wurden zu Liedern von Gottes endzeitlichem Königtum transformiert und einzelne Weisheitstexte (Ps 37; Prov 2) eschatologisiert. Im zeitlichen Umfeld des Auftretens Jesu belegen aus Qumran bekannte jüdische Kommentare (pešær, Pl. pešārîm) zu einzelnen Prophetenbüchern und Psalmen eine eschatologische Interpretation (vgl. z.B. 1QpHab oder 4Q171). Schließlich zeigt sich auch im paganen Bereich in der hellenistisch-römischen Zeit ein eschatologisches Verständnis von Traditionstexten (vgl. z.B. die ägyptischen Texte Das Lamm des Bokchoris und das Töpferorakel; Quack 2009: 176–181).

Charakteristisch für das im Neuen Testament vorliegende eschatologische Verstehen sind zwei Punkte: Erstens hat bereits Jesus seine Person und sein Auftreten mit Metaphern gedeutet, die in den Schriften Israels auf die Endzeit bezogen sind. Dies gilt für die vor allem in den prophetischen Büchern, einzelnen Psalmen und in den apokalyptischen Passagen des Danielbuchs ausgedrückte Vorstellung von der im Anbruch befindlichen endgültigen Königsherrschaft Gottes (hebr. malkût jhwh; griech. βασιλεία τοῦ θεοῦ/basileia tou theou/βασιλεία τῶν οὐρανῶν/basileia tōn ouranōn; Jes 24,23; Mi 4,7; Sach 14,17; Ps 96–99; 145–146; Dan 7,27); und dies gilt für den Titel »Menschensohn« (hebr. ben ʼādām, aram. bar naš, griech. υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου/hyios tou anthrōpou): Dessen traditionsgeschichtliche Entwicklungslinie und alttestamentliches Verwendungsspektrum umfasst die einfache Kennzeichnung eines Menschen in seiner Relation zu Gott (Ps 8,5), die spezifische Bezeichnung des Propheten Ezechiel (Ez 2,1 und weitere 93 Mal in Ez) sowie die Titulierung einer vieldeutigen endzeitlichen himmlischen (Retter-)Gestalt (Dan 7,13; vgl. 1Henoch 46,1–6; 4Esra 13,3–4). Zweitens haben die |19|frühchristlichen Autoren, mit charakteristischen Differenzen im jeweiligen eschatologischen Wirklichkeitsverständnis, Leben, Tod und Auferstehung Jesu als Erfüllung »alttestamentlicher« Weissagungen interpretiert. Wie die unterschiedlichen alttestamentlichen Eschatologien ihr Zentrum im endgültigen Handeln des einen und einzigen Gottes Jhwh finden, so gilt für alle neutestamentlichen Autoren, dass sie in Jesus Christus das irreversible und unüberbietbare Heilshandeln dieses Gottes sehen.

Dementsprechend kennzeichnet die Rezeption der alttestamentlichen Schriften im Neuen Testament der eschatologische Weissagungsbeweis, mittels dessen Jesus mit unterschiedlichen, im antiken Judentum für die Endzeit erwarteten Heilsfiguren identifiziert wird (s.u. 4.6.) und die entscheidenden Situationen seines Lebens von der Geburt bis zum Tod am Kreuz und der Auferstehung als ein schriftgemäßes Handeln Gottes interpretiert werden (vgl. Mt 2,5–6 versus Mi 5,1, bzw. Apg 8,30–36 versus Jes 53,7–8, bzw. 1Kor 15,3–4 versus Jes 53,4–5; Hos 6,2; Ps 16,8–11). Dabei kann sich der auf Jesus Christus bezogene Weissagungsbeweis auf die explizite Zitation von Einzelstellen und auf die gesamte aus Tora und Propheten (Nebiim: Jos – Mal) bestehende, in ihrem dritten Teil (Ketubim) noch im Werden befindliche Sammlung der heiligen Schriften Israels beziehen. So stellt beispielsweise Lukas den auferstandenen Christus als exemplarischen Hermeneuten der Schriften Israels dar (Lk 24,27), woraus zugleich das frühchristliche Bewusstsein einer so erst durch Jesus Christus ermöglichten Lektüre der Schriften Israels spricht (Apg 8,26–40; 2Kor 3,12–18).

Mitunter kann von den neutestamentlichen Autoren im Rahmen der eschatologischen Interpretation eine scharfe Antithetik/Entgegensetzung zwischen dem als endgültige Offenbarung Gottes verstandenen Jesus Christus und den dann als vorläufig oder überholt betrachteten Offenbarungen Gottes vor Abraham und Mose, wie sie in der Tora verschriftet sind, aufgebaut werden. In diesem Fall erscheint Jesus Christus nicht primär als Erfüllung, sondern als Überbietung alttestamentlicher Heilsvorstellungen. Das Alte Testament wird damit zur Kontrastfolie der Darstellung von Leben und Werk Jesu Christi (vgl. Joh 1,17; 7,23; 8,17f.; 10,34–36; Röm 3,21f.; Gal 2,21; Hebr 3,1–6). Auch eine solche Form antithetischen|20| oder überbietenden Schriftverständnisses ist von ihrer Struktur her nicht genuin christlich, wie eine inneralttestamentliche Kritik an der Tora des Mose bzw. am Umgang mit dieser seitens bestimmter weisheitlicher und prophetischer Autoren (Hi 31; Jer 31) sowie esoterische Texte aus Qumran (1Q26/4Q415–418) oder die frühjüdische Henochüberlieferung zeigen, sie hat aber durch die exklusive Bindung an Jesus Christus eine neue Qualität erreicht. Noch deutlicher als bei der Allegorie und bei der Typologie zeigt sich beim eschatologischen Weissagungsbeweis und der antithetischen Gegenüberstellung die Wechselwirkung zwischen dem auf Jesus Christus hin ausgelegten Alten Testament und der Deutung von Person und Werk Jesu mittels des Alten Testaments.

2.4. Jesus Christus im Spiegel der historisch-kritischen Auslegung des Alten Testaments

Die skizzierte Thematisierung Jesu Christi im Kontext der Auslegung des Alten Testaments zieht sich in ihrer grundsätzlichen Struktur und Hermeneutik von der Alten Kirche über das Mittelalter und Martin Luther (1483–1546) bis zu vereinzelten dezidiert christologischen oder christozentrischen Interpretationen im 20. Jahrhundert (vgl. z.B. Wilhelm Vischer [1895–1988] oder Otto Procksch [1874–1947] und dazu Preuß 1984: 85–94; Reimer 1998: 380–400).

Mit dem Aufkommen der historisch-kritischen Bibelwissenschaft im 17./18. Jahrhundert, die im Schatten von Aufklärungsphilosophie und Romantik nach der geschichtlichen Ursprungssituation und Ursprungsintention sowie den Erstadressaten eines Textes fragt, wurde die allegorische, typologische und eschatologische, mithin die christologische Interpretation des Alten Testaments in unterschiedlichen Graden problematisiert und als eine nicht aus den alttestamentlichen Texten selbst gewonnene, teilweise deren ursprünglichen Sinn umkehrende, dabei stark selektive Deutung kritisiert (Reventlow 1982: 1–30).

Die gegenwärtige christliche Theologie steht vor der Herausforderung, angesichts tatsächlicher hermeneutischer Defizite von allegorischer, typologischer und eschatologischer Auslegung und |21|unter den Bedingungen historischen Denkens Jesus Christus als Thema auch des Alten Testaments darzustellen. Entzieht sich die christliche Theologie dieser Aufgabe, werden entweder der traditions- und literaturgeschichtliche sowie sachliche Zusammenhang der Testamente aufgelöst und die Betrachtung der im Alten Testament versammelten Texte an die vorderorientalische und klassische Literatur- und Religionsgeschichte delegiert (so radikal bei Friedrich Delitzsch [1850–1922], vgl. Delitzsch 1924/1926; Hartenstein 2009: 79). Oder die alttestamentlichen Texte kommen in Gestalt der Hebräischen Bibel (Tanach), die aber weder material noch hermeneutisch mit dem Alten Testament identisch ist, nur in der jüdischen Theologie vor. Bei aller Notwendigkeit, den literarischen und religionsgeschichtlichen Eigenwert der alttestamentlichen Texte zu würdigen und die sich auf die Schriften des antiken Israel beziehende jüdische Theologie als eine mögliche und authentische Lesart zu achten, zeigen entsprechende Fehlentwicklungen im Laufe der Auslegungs- und Kirchengeschichte, dass der Verzicht auf eine christliche und christusbezogene Auslegung nicht nur theologisch unsachgemäß ist, sondern regelmäßig zu einer Abwertung des Alten Testaments und in deren Gefolge häufig zu einer Abwertung oder gar Verfolgung des Judentums führte.

Im Rahmen christlicher Theologie muss das Alte Testament aus der Perspektive des Neuen Testaments (und umgekehrt das Neue Testament aus der Perspektive des Alten Testaments) verstanden werden, ohne dass die literatur- und religionsgeschichtliche Besonderheit des Alten Testaments (und des Neuen Testaments) nivelliert und das Judentum diffamiert werden. Dem Thema »Jesus Christus« kommt dabei die Schlüsselrolle zu, weil Jesus Christus die entscheidende Verbindung zwischen beiden Testamenten darstellt (vgl. programmatisch Procksch 1950: 11).

So wird im Folgenden der Versuch unternommen, die Theologien im Alten Testament in ihrer Durchlässigkeit auf das Gottes-, Welt- und Menschenverständnis, wie es sich in den neutestamentlichen Überlieferungen über Jesus Christus zeigt, nachzuzeichnen und dabei exemplarisch auf strukturelle Entsprechungen, konzeptionelle und motivische Parallelen sowie traditionsgeschichtliche Verbindungen in der Rede von Gott im Alten und im Neuen Testament|22| hinzuweisen (vgl. Preuß 1984: 120–140). Einen solchen Zugang möchte ich eine »christo-transparente« Auslegung nennen. Dass dies hier nur in Ausschnitten und beispielhaft geschehen kann, versteht sich von selbst. Dabei müssen, zumal bei der Frage nach dem Hintergrund der Messiasvorstellungen, immer wieder die Grenzen des Kanons überschritten und das nicht kanonisch gewordene jüdische Schrifttum aus hellenistisch-römischer Zeit berücksichtigt werden. Insofern das Thema »Jesus Christus« dem Alten Testament zugewachsen ist, kann eine solche nachzeichnende Darstellung nicht anders als rückblickend geschehen (vgl. dazu die klassisch gewordenen Ausführungen bei Kähler 1965: 5–12; Dohmen 2000: 1649–1651), ohne dass hier der jeweilige neutestamentliche Bezugspunkt immer explizit angeführt werden kann. Das heißt: Auch bei einer historisch-kritischen Lektüre des Alten Testaments ist im Rahmen einer Thematisierung von Jesus Christus als Gegenstand der Theologie der Zirkel von einer Auslegung alttestamentlicher Texte auf Jesus Christus hin und einer Interpretation von Jesus Christus aus der Perspektive alttestamentlicher Texte nicht zu vermeiden, wohl aber methodisch deutlich zu machen (vgl. Barton 1998: 365–379; Waschke 2001: 157–169).

1 529,95 ₽
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9783846342138
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