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2.4. Zum Zeugnis von Tod und Auferweckung Jesu

Jesus wurde in Jerusalem vom römischen praefectus Iudaeae/Praefekt von Judäa Pontius Pilatus zum Tode verurteilt (Mk 15,1–5). Die Kreuzigungsstrafe, die nicht an römischen Bürgern vollzogen werden durfte, spricht als solche dafür, dass Jesus als politischer Aufrührer hingerichtet wurde. Er wird mit »Räubern« zusammen gekreuzigt – so bezeichnet Josephus die Zeloten (zum Ganzen: Kuhn 1982). Die Frage, inwieweit im Vorfeld des römischen Verfahrens jüdische Gruppen und Instanzen beteiligt waren, ist umstritten. Wahrscheinlich hat es ein formales Verfahren vor dem Jerusalemer Synhedrium so nicht gegeben, wie es in Mk 14,53–65 par. berichtet ist. Zugleich konnte die sogenannte »Tempelreinigung« Jesu (Mk 11,15f.), mit der Jesus wahrscheinlich den Tempel zeichenhaft auf die nahe Ankunft Gottes vorbereiten wollte, und das unabhängig hiervon mehrfach bezeugte Tempelwort (Mk 14,58; 15,29 u.a.) eine aggressive Einstellung der Jerusalemer Kultaristokratie gegenüber Jesus fördern.

Die Passionsgeschichten erzählen das Geschick Jesu in enger Anlehnung an das Schicksal des leidenden Gerechten. Von hier aus eröffneten sich für die ersten Jünger Interpretationsmodelle, die helfen konnten, Jesu Hinrichtung zu verarbeiten. Im frühen Judentum hat sich spätestens seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. eine Vorstellung ausgebildet, nach der Gott leidende und gewaltsam getötete Gerechte direkt nach ihrem Tod zu »erwecken« vermag (vgl. 2Makk 7).

|82|Diese martyrologische Vorstellung ist in der ältesten Überlieferung eingebettet in ein reiches und vielfältiges Vorstellungsgefüge von Ostern (siehe Müller 1998). Man teilt die Stoffe in formelhafte und erzählende Ostertraditionen ein. Auch hier gilt (siehe unter 1.): Von den frühen Formeln her, die von Gott aussagen, dass er Jesus von den Toten auferweckt hat (Aussagesatz: Röm 10,9; 1Kor 6,14; 15,15; partizipial formuliert: Röm 4,24; 8,11a.b.; 2Kor 4,14; Gal 1,1; Kol 2,12), lässt sich nicht das neutestamentliche Osterzeugnis insgesamt entwickeln. Die Formeln sind u.a. bedeutsam, da sie festhalten: Die Auferweckungsaussagen gehören insgesamt nicht in das Feld der Anthropologie, d.h. sie antworten nicht auf die Frage: ›Wie kann ein Toter/ein Leichnam in dieses Leben zurückkehren?‹, sondern sie stellen das Osterbekenntnis in den Gravitationsbereich der Theologie.

Unter den narrativen Traditionen ist besonders die Erzählung vom leeren Grab (Mk 16,1–8) in ihrem historischen Gehalt umstritten. Abgekürzt kann festgehalten werden, dass sich der Gesamtverbund frühchristlicher Osteraussagen aus dieser Tradition nicht (mindestens: nicht allein) entwickelt haben kann. Paulus erwähnt in 1Kor 15 das leere Grab nicht, und nach Mk 16,8 kommt es vom Grab her nicht zur Osterverkündigung. Die sogenannten Erscheinungserzählungen der Evangelien lassen sich nach Einzel- und Gruppenerscheinungen differenzieren; in den Gruppenerscheinungserzählungen ergehen Aufträge an die Anhänger Jesu, die Geschichten haben eine legitimatorische Funktion (Mt 28,16–20; Lk 24,36–49; Joh 20,19–23). Die an einer Schnittstelle zwischen formularer und erzählender Ostertradition stehende Aussage, dass Jesus Petrus als dem ersten der Jünger »erschien« bzw. sich ihm gegenüber »sehen ließ« (vgl. 1Kor 15,3–5; vgl. Lk 24,34), darf nicht neuzeitlich als »subjektive Vision« verstanden werden. Sprachlich weist die Formulierung in das Feld von Epiphanien bzw. Theophanien. Auch hier wird nochmals deutlich, dass es in den verschiedenen Kreisen der Osterüberlieferung nicht um ein anthropologisches Mirakel, sondern um die Frage des Handelns Gottes in der Geschichte geht.

|83|2.5. »Implizite Christologie«

Die Frage, inwieweit Praxis und Verkündigung des irdischen Jesus so etwas wie eine »implizite Christologie« zu erkennen geben, an der die nachösterliche(n) Christologie(n) kontinuierlich anschließen konnten, ist in der Forschung bis heute nicht konsensfähig gelöst. Eine historische Betrachtung muss zwei Extreme vermeiden: Zum einen bleibt das Postulat eines totaliter aliter/einer gänzlichen Andersartigkeit der Jesusdarstellungen des 20. Jahrhunderts unbefriedigend. Sollte der Wirksamkeit Jesu z.B. das Interpretament des »Gesalbten« (»Christus«) wirklich so inkommensurabel sein, wie seit Bultmann behauptet wurde (klassisch: Hahn 1995), so wird nicht mehr verständlich, warum sich diese Bezeichnung nach Ostern, dann auch als Eigenname verstanden, so rasch und breit durchgesetzt hat und auch den Ausgangspunkt für die Benennung der Anhänger Jesu bieten konnte (vgl. Apg 11,26; siehe insgesamt: Hengel/Schwemer 2001). Umgekehrt dürfen die Zäsur des Sterbens Jesu sowie der Neueinsatz der Osterereignisse nicht zu gering gewichtet werden. Sollte z.B. Jesus seine Jünger früh darauf vorbereitet haben, dass er nach Jerusalem ziehen wolle, um dort in stellvertretender Sühne sein Leben zu lassen (vgl. Mk 10,45; vgl. die Leidensansagen der Evangelien: Mk 8,31; Lk 24,26 u.a.), so droht die Gefahr, dass die tiefe Krise von Karfreitag, wie sie die ältesten Quellen mit der Tradition der Jüngerflucht, der Verleugnung des Petrus u.a. voraussetzen, harmonisierend eingeebnet wird.

Das Modell einer »impliziten Christologie« Jesu hat die Aufgabe plausibel zu machen, wie nachösterliche Entwicklungen an die älteste Jesustradition anknüpfen konnten. Hierbei handelt es sich zugleich um Prozesse einer dynamischen Transformation; man könnte sagen: Ein »Deutungsüberschuss« wird aufgegriffen und neu gestaltet; »implizite Christologie« bedeutet dagegen nicht, dass das weitere Christuszeugnis als systematische »Explikation« der ältesten Jesustradition darzustellen wäre (zum Problem s.o. 1.).

Jesu Praxis und Verkündigung sind von der Gewissheit einer ganz unmittelbaren Gottesbeziehung getragen (vgl. Lk 10,16; 11,2b par. u.a.); er versteht sich selbst als Agent des eschatologischen Gotteshandelns. In seinem Wirken setzt Gott seine königliche|84| Herrschaft nicht erst in einer erwarteten Zukunft, sondern bereits »jetzt« durch. Von hier aus legte es sich nahe, dass seine Anhänger nach Ostern sein gesamtes Wirken bis hin zu seinem Tod als integralen Bestandteil und Ausdruck des endzeitlichen Handelns Gottes interpretieren konnten. Jesus konnte so als (eingeborener) »Sohn Gottes«, als sein singulärer Repräsentant und Stellvertreter, verstanden werden (vgl. 1Thess 1,10; Röm 1,4; Gal 4,4; Mk 1,1.9–11; 9,7 u.a.). Hierbei konnte der universale Zug aufgegriffen werden, der in der Verkündigung Jesu, insbesondere in seinem Neuansatz beim Willen des Schöpfers, angelegt ist. Bald nach Ostern hat man die Vorstellung eines universal bedeutsamen neuschöpferischen Handelns Gottes in Christus eng mit dem Topos der Geistverleihung bzw. mit der christlichen Taufe verbinden können. In diesem Zusammenhang entstehen die frühen Begründungen für eine beschneidungsfreie Völkermission, welche die Voraussetzungen für das Missionswerk des Paulus darstellen.

Spricht Jesus in seinen Gleichnissen von der Königsherrschaft Gottes in Bildern, die auf eine Dynamik des Wachstums hin angelegt sind (Mk 4,30–32; Lk 13,18–21 u.a.), so ist deutlich, dass er selbst seine Aufgabe auf Fortsetzung und Wachstum hin angelegt gesehen hat. Die dynamische Weiterentwicklung der Vorstellung vom universalen Heilswillen Gottes rekurriert allerdings schon bald nicht mehr ausdrücklich auf bestimmte Jesusworte. Insbesondere die Rede von der Königsherrschaft Gottes tritt im ältesten Christentum bald zurück. Gleichwohl kann man die vielfältigen neutestamentlichen Aussagen über eine himmlische Würde und Machtstellung Christi in eine sachliche Beziehung zur jüdischen Vorstellung der Königsherrschaft Gottes setzen: Diese ist nun nicht mehr unter Absehung von Jesus auszusagen und zu verstehen. Jesus selbst wird in ihre Machtsphäre funktional integriert. Man stellt sich, vielfach unter Rückgriff auf Ps 110,1 vor, dass Jesus in eine himmlisch-herrliche Machtposition (»zur Rechten Gottes«) eingesetzt wird (vgl. Röm 1,3f.; 1Kor 15,25; Eph 1,20.22 [Ps 8,7]; Hebr 1,13 u.a.). Er selbst gilt damit den frühen Christen als erhöhter »Herr(scher)«, als Kyrios (vgl. 1Kor 8,6; Röm 10,9; vgl. Phil 2,9 u.a.). Ihm kommt damit dasjenige Attribut zu, das im griechischen Alten Testament den Gott Israels auszeichnet.

|85|Dass die im ältesten Christentum rasch und mit großer Dynamik entstehenden Deutungen der Person und der Bedeutung Jesu sich bald so vielfältig entwickelten und sich dabei von den Sprachformen des irdischen Jesus entfernen konnten, hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen. Zum einen sind die Übergänge des werdenden Christentums von vorrangig jüdisch geprägten Gruppen in die nichtjüdische Sprach- und Vorstellungswelt zu beachten. Hier verbanden sich mit einzelnen Begriffen oder Vorstellungen z.T. ganz neue Bedeutungen (z.B. »Kyrios«, »Evangelium« etc.), andere Termini wurden dagegen unverständlich und kamen außer Gebrauch (z.B. »der Menschensohn«). Zum anderen machten die frühen Christen neue Erfahrungen mit ihrem erhöhten Herrn, die pneumatologisch begründet wurden. Erfahrungen der geistgewirkten, unmittelbaren Begegnung und Partizipation (vgl. z.B. Paulus in Gal 2,19f.) traten an die Stelle des »Mitseins« der Jünger mit dem irdischen Jesus.

3. Der auferstandene Gekreuzigte als Integral der Liebe Gottes – Christologische Ansätze in den paulinischen Briefen
3.1. Hermeneutische Vorbemerkung

Die Paulusbriefe bieten die ältesten zusammenhängenden literarischen Zeugnisse des Neuen Testaments, die Christusaussagen enthalten. Christologie ist in diesen Schriften Implikat einer je situationsgebundenen Korrespondenz. Die Paulusbriefe setzen sämtlich Adressaten voraus, denen Christus bereits verkündigt worden ist. D.h. sie stellen nicht so etwas wie »Christuspredigt« dar, sie besprechen und reflektieren vielmehr die konkreten soziohistorischen Probleme von Missionsgemeinden im Licht des Christuszeugnisses. Die brieflich-kommunikative Situationsbindung bleibt dabei zwar stets erhalten und erkennbar; zugleich ist aber trotz dieser Situationsgebundenheit von den Anfängen einer christologischen Lehre zu sprechen, in der in äußerst kreativer Weise Begriffe und Unterscheidungen entwickelt werden, die für die weitere Geschichte der Lehrbildung in zwei Jahrtausenden christlicher Kirchen- und Theologiegeschichte eminent wirkungs- und folgenreich geworden sind.

|86|Dieser Befund erschwert zugleich die Aufgabe der Darstellung, denn für ein angemessenes Verständnis der Christologie des Paulus muss man diese zugleich von ihrer späteren Wirkungs- und Auslegungsgeschichte unterscheiden. Die traditionelle deutschsprachige Paulusforschung des 20. Jahrhunderts verstand die christologischen Aussagen des Apostels im Licht der Theologie Martin Luthers. Abgekürzt gilt: Die paulinische Theologie ist nach dieser an Luther orientierten Sichtweise im Kern theologia crucis/Kreuzestheologie bzw. theologia crucifixi/Theologie des Gekreuzigten. Als das entscheidende Interpretament des Todes Jesu am Kreuz gilt die Rechtfertigungslehre. Nach dieser definiert sich Gott im Christusgeschehen so, dass er Menschen nicht nach ihren Leistungen, ihren »Werken«, beurteilt und als Sünder verurteilt (iustitia distributiva/strafende Gerechtigkeit), sondern diese vielmehr (allein) im Glauben an den auferweckten Gekreuzigten gnadenhaft und geschenkweise rechtfertigt (iustitia salutifera/heilschaffende Gerechtigkeit). Hierbei gilt das jüdische Gesetz, die Mosetora, als »Heilsweg« suspendiert. Christus ist nach dieser Sicht in seiner Bedeutung »Ende des Gesetzes«, insofern das Gesetz nicht nur Sünden hindert und aufdeckt, sondern den Menschen zu einem verfehlten Geltungsanspruch vor Gott verleitet. Diese Gesamtsicht bedarf – nicht zuletzt im Licht der jüngsten Fragerunde nach der Theologie des Paulus, der sogenannten »New Perspective on Paul« (hierzu Dunn 2005: 1–88 und passim) – der Modifikation, auch teils deutlicher Korrektur und Erweiterung.

3.2. Der erhöhte Kyrios

Christus gilt Paulus – mit einem zu seiner Zeit bereits weit reichenden common sense im frühen Christentum – zuallererst als der erhöhte Herr (der »Kyrios«), dessen machtvolle Gegenwart es zu erfahren und mit der es zu rechnen gilt. Nicht erst einige sogenannte Spätschriften des Neuen Testaments, sondern bereits Paulus begreift diese Machtstellung des zu Gott erhöhten Christus so konsequent, dass er (freilich nicht oft) die Präexistenz dieses Herrn voraussetzen kann (1Kor 8,6; vgl. 10,4; Phil 2,6–11). Möglichkeitsbedingung und sachlicher Grund dieser himmlischen und vorzeitlich|87| verankerten Würdestellung Christi ist die Auferweckung. Die Bandbreite entsprechender Osteraussagen bei Paulus ist sehr groß. Nach 1Kor 15,25–28 herrscht der Auferstandene solange über die Welt, bis die widergöttlichen Kräfte unterworfen sind und Christus seine Herrschaft an Gott zurückgibt. Im Römerbrief stehen Osteraussagen im Hintergrund, wenn Paulus aufzeigt, wie die Gottesgerechtigkeit sich lebensweltlich bei den Christen Bahn bricht und erfahrbar wird. In gewichtiger Achterstellung führt Paulus in Röm 8,31–39 als conclusio/summierenden Abschluss der Ausführungen von Röm 5–8 einen Katalog von Schicksalserfahrungen und kosmischen Mächten an, die allesamt den Christen nichts mehr anhaben und sie von der Liebe Gottes trennen können, die dieser in Christus, im Heilsgeschehen seines Todes und seiner Auferweckung (Röm 8,34), als gültig erwiesen hat.

Überblickt man die Bandbreite der Texte, so ist es im Ansatz problematisch, bei Paulus eine theologia crucis/Kreuzestheologie gegen eine theologia gloriae/Theologie der (Auferweckungs-)Herrlichkeit ausspielen zu wollen. Der crucifixus/Gekreuzigte ist für Paulus immer der resurrectus/der von Gott Auferweckte. Allerdings hält Paulus durchgängig fest, dass Ostern als Welten- und Zeitenwende gegenwärtig noch unter dem (seit Erik Peterson in der Forschung so genannten) »eschatologischen Vorbehalt« zu betrachten ist. Neben der Auferweckung bietet die Erwartung der Wiederkunft des Kyrios das zweite entscheidende christologische Datum (vgl. 1Thess 1,10; Phil 3,20; vgl. 1Kor 16,22 u.a.). Christen als Glaubende beziehen sich auf ihre Rettung darum im Modus der Hoffnung. So ist bei Paulus stets Widerspruch angezeigt, wenn das Christusgeschehen in einer Weise interpretiert wird, die diesen Vorbehalt überspringt und einen ungebrochenen Zugang zum vollen Heil bereits für die Gegenwart reklamiert und postuliert.

3.3. Der Gekreuzigte – Zum Spektrum der Deutungen des Todes Jesu

Wie zentral für Paulus das Geschehen des Sterbens Jesu ist, zeigt sich nicht nur an der Häufigkeit, sondern auch am Variantenreichtum, mit dem er es anspricht (insgesamt: Dettwiler/Zumstein 2002; |88|Frey/Schröter 2005). Hier haben die verschiedenen Aussagen vom Ausgeliefertwerden, vom Dahingeben und Sterben Jesu ihren Ort. Dabei ist eine wesentliche Differenzierung notwendig, die in der älteren, von Luther her bestimmten Paulusforschung oft zu wenig beachtet wurde: Die ausdrückliche Rede nicht nur vom Sterben Jesu, seiner Selbsthingabe o.ä., sondern von seinem Tod am Kreuz findet sich bei Paulus nur in bestimmten, klar definierten Abschnitten seiner Briefe. Paulus spricht vom Kreuz nicht dort, wo er positive Aussagen über die Heilsbedeutung des Todes Jesu formulieren möchte. Der Kontext ist vielmehr zumeist kritisch bzw. polemisch. Die Kreuzestheologie ist – mit einem Ausdruck von William Wrede – eine »Kampfeslehre«. Paulus thematisiert das besondere Hinrichtungsmittel des Kreuzes vorrangig dort, wo er sich mit Gegnern auseinandersetzt oder Missstände in seinen Gemeinden korrigiert:

a) Im Galaterbrief ist Paulus durch judaisierende Gegner herausgefordert, die nichtjüdischen Gemeindemitgliedern die Beschneidung abverlangen. In dieser Situation stellt Paulus die Unvereinbarkeit von Gesetz und Gnade Gottes heraus, indem er prononciert kreuzestheologische Aussagen einsetzt. Die Worte vom Kreuz rahmen so den Mittelteil des Briefes. Nach Gal 3,1, wo den galatischen Gemeinden Christus als der Gekreuzigte vor Augen gestellt wird, schließt die Verkündigung des Evangeliums die des Gesetzes aus. Der Abschluss des Zusammenhanges findet sich in Gal 5,11, wonach eine Verkündigung der Beschneidung das Ärgernis des Kreuzes beseitigen würde. Nach der zentralen Aussage Gal 3,13f. ist das Kreuz nicht der Ort des Fluches (vgl. Dtn 21,23), sondern die Quelle des Lebens. Damit hat Gott aber der Tora an zentralem Punkt nicht Recht gegeben.

b) Ähnlich kritisch sind die Kreuzesaussagen im Schlussteil des 2. Korintherbriefs, wo Paulus sich mit konkurrierenden Missionaren, sogenannten »Überaposteln« (vgl. 2Kor 11,5; 12,11), auseinandersetzt (2Kor 13,4; vgl. 12,9f.; 4,10).

c) Im 1. Korintherbrief steht das »Wort vom Kreuz« im ersten Hauptteil kritisch in einem Zusammenhang, in dem Paulus die »Spaltungen« und Streitereien in der korinthischen Gemeinde behandelt (1,10–4,21). Die menschliche Wirklichkeit wird hier mit Bezug auf das Kreuz gegen den Augenschein interpretiert. Das |89|Kreuz in der Verkündigung ist die Macht, die alle Verstehensmöglichkeiten des Menschen zerstört, die den Menschen entweder zum Geretteten oder zum Verlorenen macht (1,18–25). So kann das Wort vom Kreuz nicht Gegenstand der menschlichen Spekulation oder Weisheit sein, sondern in den Augen der Juden nur ein Ärgernis (»Skandal«) und in den Augen der nichtjüdischen Menschen nur Dummheit (1Kor 1,23). Das Wort vom Kreuz steht gegen die Weisheit der Welt, gerade so aber entfaltet es seine »Macht« und bringt den Menschen in seiner Wahrheit ins Gericht.

3.4. Rechtfertigung und Gottesgerechtigkeit

Häufig verband sich die Darstellung der Rechtfertigungslehre des Paulus in der Forschung mit einer verzerrenden Sichtweise des Judentums und seines Toragehorsams. Dieses wurde als eine Werk- oder Leistungsreligion missverstanden; von dieser wurde dann Paulus als der quasi erste »Christ« abgesetzt. Dagegen gilt, dass Paulus mit seiner Bekehrung nicht von einem »Juden« zu einem »Christen« wurde; die jüdische Verwurzelung und Rahmung der paulinischen Christologie ist konsequent zu beachten. Paulus verdankte seine primäre religiöse Sozialisation dem pharisäischen Judentum (vgl. Phil 3,5f.; vgl. Apg 23,6 u.a.), viele seiner christologischen Vorstellungen, z.B. seine Ausführungen zur Auferweckung Jesu, sind hiervon bleibend geprägt. Seine Sicht von der sündigen Situation des Menschen und der göttlichen Gnade findet in jüdischen Texten wie den Qumranschriften enge Analogien.

Am entscheidenden Punkt des Gesetzesverständnisses hat Sanders gezeigt, dass die Gabe der Tora an Israel im Judentum innerhalb einer bestimmten »Religionsstruktur« interpretiert werden muss, die eng mit dem von Gott für sein Volk gesetzten Bund zusammenhängt (sog. »Bundesnomismus«; Sanders 1977). Das heilvolle Gemeinschaftshandeln und der Zuspruch gehen so der Forderung Gottes immer schon voraus. Die Tora ist eine Gabe an Israel, die allererst Leben ermöglicht, indem sie z.B. erlaubt, überhaupt zu unterscheiden, was richtig und was verkehrt (»Sünde«; »Schuld«) ist.

Paulus kritisiert das jüdische Gesetz nicht, weil es faktisch (»quantitativ«) niemand halten konnte, und er lastet der Tora auch |90|nicht an, dass sie den Menschen immer tiefer in die Sünde verstricken würde, ja, dass ihr eine Sünden-produktive Funktion zukomme. Insgesamt wird nach Paulus in Christus das Gesetz nicht als ein anthropologisches »Leistungs«-Prinzip abgeschafft, wie es die existentiale Interpretation im 20. Jahrhundert verstand. Die Tora bleibt vielmehr für Paulus qua »Schrift« in Geltung. Das Gesetz selbst bezeugt so (zusammen mit den Propheten) die Glaubensgerechtigkeit, die Gott in Christus eröffnet hat, und läuft auf sie zu (vgl. Röm 3,21.31; Gal 4,21 u.a.). In dieser Richtung ist wohl auch die viel umstrittene Stelle von Christus als der »Ziellinie des Gesetzes« in Röm 10,4 (zur Diskussion der äußerst strittigen Stelle: Wolter 2011: 359–366) zu verstehen.

Allerdings werden so die zum Teil sehr negativen Aussagen des Paulus über die Tora (vgl. 1Kor 15,56; Gal 3,19f.; Röm 5,20f.; vgl. 2Kor 3 u.a.) nur bedingt erklärt. Die »New Perspective on Paul« bringt sie primär mit der spezifischen Aufgabe des Paulus als Heiden-Missionar in Zusammenhang (siehe insgesamt zum Folgenden: Dunn 2005). Paulus stand vor der Aufgabe zu klären, wie Nicht-Juden zusammen mit jüdischen Menschen in einer (universalen) Kirche zusammenkommen und zusammenleben können. Im Blick auf diese Aufgabe beschreibt die Tora die entscheidende Barriere, insofern sie mit Israel als von Gott erwähltem Volk unablöslich verbunden ist und als dessen exklusive Gabe gilt. Die Tora definiert die Identität Israels, sie enthält spezifische Bestimmungen, die darauf ausgerichtet sind, »Heiden« von Israel zu separieren. Diese »Werke des Gesetzes«, d.h. solche Forderungen wie die der Beschneidung, des Sabbatgebots und der Speise- und Reinheitstora, mussten Paulus als Völkermissionar zum Problem werden. Die Lösung dieses Problems hat Paulus mit seiner Rechtfertigungslehre formuliert, die die »Werke des Gesetzes« als für die Glaubenden suspendiert bestimmt.

Die eigentliche Sinnspitze ist damit die Gegenüberstellung der Gerechtigkeit Gottes bzw. seiner Rechtfertigung und der »Werke des Gesetzes«. Die beiden entscheidenden Aussagen finden sich in einem eng vergleichbaren Kontext in der propositio/Hauptthese des Galaterbriefes (Gal 2,16) sowie in Röm 3,28: Menschliche Rechtfertigung kommt demnach nicht aus bzw. ohne »Werke(n) |91|des Gesetzes«, sondern durch Glauben (an Jesus Christus). Die sogenannte particula exclusiva/Exklusivpartikel »allein« – d.h. aus nichts anderem als aus Glauben an Christus – setzt Luther an dieser Stelle hinzu. Der Begriff steht hier im Griechischen nicht, wohl aber an der (von Luther wenig geschätzten) entsprechenden Stelle im Jakobusbrief (Jak 2,24). Die Exklusivpartikel trifft jedoch das, was Paulus sagen möchte. Nach der »New Perspective on Paul« sind die »Werke des Gesetzes« an diesen Stellen in erster Hinsicht auf die sogenannten »identity markers« resp. »boundary markers« zu beziehen, d.h. auf die Tora, sofern sie Juden von Heiden trennt. Dabei zeigt der jeweilige briefliche Zusammenhang jedoch, dass Paulus in der Gegenüberstellung von Gesetzeswerken und Glaube zugleich das Tun der Tora insgesamt meint, über die besonderen identitätskonstituierenden Gebote und den Aspekt der Separierung Israels von den Völkern (»boundary maintenance«) hinausgehend. – Das eine hängt unlöslich am anderen. Wie auch in der »New Perspective on Paul« selbst gesehen wird, löst Paulus an den entsprechenden Stellen nicht nur zufällige Lebensprobleme der frühen Christen. Es geht um die fundamentale und theologisch bedeutsame Frage der Einheit von Nichtjuden mit dem Volk Gottes.

Das gesamte Sprachspiel der Rechtfertigung mit den zugehörigen forensischen (»der Gerichtssituation zugehörigen«) Begriffen wie Schuld/Sünde, Ankläger, Gesetz, Zeugen, Urteil etc. wird schon im Galater- und Philipper-, vor allem aber im Römerbrief zu einer Lehre über die Situation des Menschen coram Deo/vor Gott, die das Christusgeschehen in seiner universal von der Macht der Sünde und des Zorns freisprechenden und freimachenden Wirkung plausibilisiert.

Von Luther her kommend war die Frage, ob es sich bei der »Gerechtigkeit Gottes« um einen »objektiven« (bzw. »relationalen«; 2Kor 5,21; vgl. Phil 3,9) oder einen »subjektiven« (bzw. »auktorialen«) Genitiv handelt (vgl. Röm 1,17; 3,5.21f.[25f.]; 10,3), in der Forschung des 20. Jahrhunderts umstritten.

»Gerechtigkeit« ist für Paulus dort, wo es um das Reden von Gottes Handeln geht, zuerst ein Gemeinschaftsbegriff, der auf die Frage antwortet, woher man das Leben und seine Ordnung empfängt. »Gerechtigkeit« zielt bei Paulus – jüdisch gedacht (vgl. z.B. |92|Ps 98,2; Jes 56,1; vgl. in den Lobliedern aus Qumran: 1QH XIV 15f. u.a.) – auf eine heilvolle Gemeinschaft, die nur Gott herstellen (und die er auch wieder aufkündigen) kann. Dies ist an der Geschichte Gottes mit seinem Volk zu lernen; zugleich richtet sich der Begriff in seinen eschatologischen (»apokalyptischen«; s.u. 6.) Konnotationen über geschichtliche Erfahrungen hinaus auch auf die Zukunft: Die Frage lautet, wie der Einzelne, aber auch die Menschen insgesamt vor dem Gericht Gottes bestehen werden, wenn alle – gemessen am Maßstab der Tora und über sie hinaus – sündig und darum dem Zorn Gottes anheimgestellt sind (vgl. Röm 1,18–3,20). Nach dem Römerbrief gibt es hier auf Seiten der Menschen keine Möglichkeiten mehr. Darum spricht Paulus im Römerbrief (vgl. noch 2Kor 5,21) anders als im Galaterbrief nicht vorrangig von der Rechtfertigung des Menschen und der Gerechtigkeit, die ihm durch das Christusgeschehen im Glauben geschenkt wird, sondern von der Gerechtigkeit Gottes, d.h. seiner eigenen Gemeinschaftstreue, die er im Christusgeschehen durchsetzt und die dann allein im Glauben an Christus anzueignen ist.

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