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49 Butler, Gender Trouble, S. 7, 25.

50 Ebd., S. 46.

51 Vgl. z. B. ebd., S. 17, 47 ff.; ausführlich dann J. Butler, Bodies that Matter, New York 1993.

52 Ebd., vgl. insbes. S. 14 f. und S. 136 ff.

53 S. Benhabib, Feminismus und Postmoderne. Ein prekäres Bündnis, in: dies. / J. Butler / D. ­Cornell / N. Fraser, Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Frankfurt / M. 1993, S. 9 – 30, hier S. 14 f.

54 S. Benhabib, Selbst im Kontext. Kommunikative Ethik im Spannungsfeld von Feminismus, Kommunitarismus und Postmoderne, übers. v. I. König, Frankfurt / M. 1995, S. 219 f. (im Rekurs auf Hannah Arendt).

55 Ebd., S. 27.

56 Butler, Gender Trouble, S. 147 f.

57 J. Butler, Kontingente Grundlagen. Der Feminismus und die Frage der ,Postmoderne‘, in: Benhabib / Butler / Cornell / Fraser, Der Streit um Differenz, S. 31 – 58. Als nicht zuletzt sprachliches ,Missverständnis‘ zwischen Benhabib und Butler hat N. Fraser die Auseinandersetzung gelesen (Falsche Gegensätze, in: ebd., S. 59 – 79, insbes. S. 69 f.).

58 Butler, Kontingente Grundlagen, S. 45.

59 Vgl. J. Butler, Excitable Speech. A Politics of the Performative, New York 1997, S. 141 ff.

60 Butler selbst nähert sich dem Modell der Erzählung in Giving an Account of Oneself an (New York 2005). Für einen Einblick in die andauernde Debatte um Identität und Narration vgl. z. B. D. D. Hutto (Hg.), Narrative and Understanding Persons, Cambridge 2007.

61 Für eine vorsichtige Relativierung des Kohärenzparadigmas vgl. P. V. Zima, Theorie des Subjekts. Subjektivität und Identität zwischen Moderne und Postmoderne, Tübingen 2000.

62 E. Kosofsky Sedgwick, Tendencies, Durham 1993, S. 7 f. Für die Profilierung von queer als Gegenbegriff zu normal vgl. M. Warner, Introduction, in: ders. (Hg.), Fear of a Queer Planet. Queer Politics and Social Theory, Minneapolis 1993, S. xxvi; ders., The Trouble with Normal. Sex, Politics, and the Ethics of Queer Life, Cambridge, Mass. 2000.

63 Sedgwick, Tendencies, S. xii.

64 H. K. Bhabha, The Location of Culture, New York 1994.

65 Vgl. M. Hardt / A. Negri, Empire, Cambridge 2000, S. 150; aber auch schon Bhabha, Location of Culture, für vergleichbare Argumentationen zum kolonialen Herrschaftsraum.

66 R. J. C. Young, Colonial Desire. Hybridity in Theory, Culture and Race, London 1995.

67 Vgl. die Darstellung der Begriffsgeschichte bei C. B. Balme, Theater im postkolonialen Zeitalter. Studien zum Theatersynkretismus im englischsprachigen Raum, Tübingen 1995, S. 18 ff.

68 C. Mouffe, Democratic Politics and the Question of Identity, in: J. Rajchman (Hg.), The Identity in Question, New York 1995, S. 33 – 45, hier S. 41.

69 Ebd.; vgl. E. Laclau / C. Mouffe, Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus, hg. u. übers. v. M. Hintz u. G. Vorwallner, Wien 1991.

70 Vgl. z. B. Friese, Identität, S. 42.

71 L. Adelson, Making Bodies, Making History. Feminism and German Identity, Lincoln 1993, S. 64; vgl. schon Alcoff, Cultural Feminism, S. 428 ff. (im Rekurs auf Teresa de Lauretis).

72 Vgl. z. B. L. Nakamura, Race in / for Cyberspace. Identity Tourism and Racial Passing on the Internet, in: D. Bell / B. M. Kennedy (Hg.), The Cybercultures Reader, New York 2000, S. 712 – 720.

73 Vgl. A. Badiou, Saint Paul. The Foundation of Universalism, Palo Alto 2003 und z. B. die einflussreiche Konzeptualisierung der Spiegelneuronen durch den Kognitionswissenschaftler Vittorio Gallese, die über die Spiegelmetapher hinaus (trotz gegenläufiger Akzente auf gelingender Intersubjektivität statt Verkennungsphantasma) verblüffende Ähnlichkeiten mit Lacans universalisierendem Modell aufweist: V. Gallese, Empathy, Embodied Simulation, and the Brain. Commentary on Aragno and Zepf / Hartmann, in: Journal of the American Psychoanalytic Association 56 (2008), S. 769 – 781.

74 So z. B. J. Butler, Precarious Life. The Power of Mourning and Violence, London, New York 2004.

75 Vgl. z. B J. Puar, Queer Times, Queer Assemblages, in: Social Text 23.3/4 (2005), S. 121 – 139; S. Ahmed, Queer Phenomenology. Orientations, Objects, Others, Durham 2006.

76 J. Puar, „I would rather be a cyborg than a goddess“. Becoming-Intersectional in Assemblage Theory, in: philoSOPHIA 2.1 (2012), S. 49 – 66.

77 Vgl. z. B. D. Spade, Resisting Medicine, Re / modeling Gender, in: Berkeley Women’s Law Journal 15 (2003), S. 15 – 37.

Körper
Irmela Marei Krüger-Fürhoff
Einleitung

Der Begriff ‚Körper‘, der vom lateinischen corpus abgeleitet ist, bezeichnet einen wahrnehmbaren Gegenstand oder die begrenzte Menge eines bestimmten Stoffes (Physik), eine Körperschaft (Rechtswissenschaft, Politologie), meist jedoch Gestalt und materielle Erscheinung eines Lebewesens (Biologie, Anthropologie). Im Kontext dieses Beitrags bezieht sich ‚Körper‘ auf die physische und psychosexuelle Konstruktion des Menschen in seiner geschlechtlichen Markierung, eine Konstruktion, die außerhalb diskursiver und sozialer Kontexte weder existiert noch wahrgenommen werden kann. Obwohl der männliche und vor allem der weibliche Körper schon seit den 1960er-Jahren zu den zentralen Gegenständen von Feminismus und Geschlechterforschung gehören, zeichnet sich seit Mitte der 1980er-Jahre ein regelrechter ‚Körperboom‘ bzw. – vergleichbar mit dem früheren linguistic turn – ein body turn in den von unterschiedlichen politischen Zielsetzungen und wissenschaftlichen Theorieansätzen geprägten Gender Studies ab. Dabei gehört es zu den bleibenden Herausforderungen, die Vielfalt ‚des‘ Körpers (z. B. als junger, behinderter, einer bestimmten Hautfarbe oder Ethnie zugeordneter Körper) ebenso zu reflektieren wie seine Zugehörigkeit zum (historisch, sprachlich und visuell konstruierten) Symbolischen sowie seine Abhängigkeit von physiologischen Phänomenen wie Lust, Schmerz und Sterblichkeit.

Entwicklungsgeschichte des Begriffs

Im Rahmen der Gender Studies erweist es sich als sinnvoll, den Körper in seiner individuell-persönlichen und seiner kollektiven Dimension zu untersuchen, denn auf beiden Ebenen materialisieren sich Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Kulturanthropologie und Geschichtswissenschaft haben gezeigt, dass eine Wechselwirkung zwischen der Wahrnehmung von Individual- und Gesellschaftskörper [<< 77] besteht.1 Die historisch sich wandelnden Körperkonzeptionen prägen die (geschlechtsspezifische) Selbstwahrnehmung, beeinflussen religiöse, sexuelle und politische Weltbilder und dienen der Herausbildung kollektiver (z. B. nationaler) Identitäten.2 Dabei wird gerade der weibliche Körper bevorzugt für (allegorische oder symbolische) Darstellungen des Gemeinschaftskörpers eingesetzt, weil er in der (abendländischen) Tradition als ‚natürlich‘ imaginiert wird und deshalb als privilegierte Matrix kultureller Zu- und Einschreibungen fungieren kann.3

Die Assoziation von Weiblichkeit und Natur bedeutet jedoch auch, dass beide zum Objekt der Unterwerfung und Austragungsort (wissenschaftlicher) Macht werden. Zwar richtet sich seit Descartes’ Gegenüberstellung von res extensa und res cogitans die Abwertung des Materiell-Animalischen nicht allein gegen den weiblichen, sondern auch gegen den männlichen Körper, doch kann Letzterer in der philosophischen Tradition leichter von der Aufwertung des Geistes profitieren. Vor dem Hintergrund der Auffassung, dass der männliche Körper die Norm darstelle und der weibliche Körper dessen Abweichung, bildet sich im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts eine ‚weibliche Sonderanthropologie‘ heraus. So wird das sogenannte ‚Ein-­Geschlecht-Modell‘, demzufolge der weibliche Körper genauso ausgestattet ist wie der männliche, wenngleich mit nach innen gekehrten Geschlechtsteilen, allmählich vom ‚Zwei-Geschlecht-Modell‘ abgelöst, das männliche und weibliche Sexualorgane als grundsätzlich unterschiedlich auffasst und in ein hierarchisches Verhältnis zuein­ander setzt.4 Auch die philosophisch-moralische Begründung für den Ausschluss von Frauen aus der öffentlichen Wissensproduktion zugunsten ihrer Reduzierung auf Reproduktions- und Familienarbeit wird zunehmend mit biologisch-anatomischen Argumenten geführt, so dass die Vorstellung von je spezifischen „Geschlechtscharakteren“ 5 in eine naturwissenschaftlich fundierte „Ordnung der Geschlechter“ 6 mündet. Mit Blick auf die Konstruktion des weiblichen Körpers bedeutet dies – um auf [<< 78] ein Begriffspaar zurückzugreifen, auf das im nächsten Abschnitt noch eingegangen wird –, dass gender zu sex gemacht wird.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts kursieren unterschiedliche Körperkonzeptionen in den Gender Studies: Neben der Auffassung, der Körper sei ein quasi-natürlicher Garant für Identität oder Differenz steht die Überzeugung, der Körper müsse nicht nur als Objekt kultureller Überformungen und Einschreibungen verstanden werden, sondern werde überhaupt erst diskursiv hervorgebracht.7 Die wissenschaftshistorischen und politischen Hintergründe dieser divergierenden Konzepte werden im Folgenden dargestellt.

Einordnung in die Wissenschaftsgeschichte

Die Frauenbewegung der 1970er-Jahre wendet sich in Selbsterfahrungsgruppen, politischen Arbeitskreisen und wissenschaftlichen Diskussionszusammenhängen vor allem dem weiblichen Körper zu. Sie fordert Selbstbestimmung und Verfügungsgewalt über den eigenen Körper (u. a. in der Debatte um die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und Alice Schwarzers PorNO-Kampagne), argumentiert gegen die Medikalisierung weiblicher Sexualität (Menstruation, Schwangerschaft, Geburt und Menopause)8 und widmet sich der Rekonstruktion und Aufwertung weiblicher Körpererfahrungen und Wissensbestände 9 sowie der Suche nach neuen Ausdrucksformen weiblicher Lust jenseits von patriarchalen und heterosexuellen Zuschreibungen.

Vor allem in Frankreich verbinden sich dabei linguistische, philosophische und psychoanalytische Perspektiven, die sich kritisch mit abendländischen Denktraditionen bzw. den Weiblichkeitskonzepten von Sigmund Freud und Jacques Lacan auseinandersetzen.10 So entlarvt Luce Irigaray in parodistischen Relektüren die logozentrische und spekuläre Logik von westlicher Philosophie und freudscher Psychoanalyse und plädiert für eine Feier weiblicher Autoerotik und des mütterlichen Körpers sowie für die Entwicklung eines spezifisch weiblichen Sprechens bzw. Schreibens, das der rhythmisch-klanglichen [<< 79] Seite der Sprache besonderen Raum gibt.11 Julia Kristeva ergänzt Lacans Konzept des Symbolischen um die Kategorie des Semiotischen, das die ­präödipale Mutter-Kind-Dyade mit ihren primären Trieben und pulsierenden Bewegungen bezeichnet; auch nach der Ablösung des sich entwickelnden Kindes vom mütterlichen Körper destabilisiere das Semiotische in Form von rhythmischen und klanglichen Besonderheiten die sprachlichen Sinnbildungsprozesse der symbolischen Ordnung.12

Obwohl Theoretikerinnen wie Irigaray und Kristeva die écriture féminine nicht ausschließlich an Weiblichkeit binden, stehen sie im Verdacht, naturalistisch-essentialistische Vorstellungen fortzuführen. Ähnliche Vorwürfe richten sich gegen jene Differenz-Feministinnen, die überhistorische weibliche Erfahrungen rekonstruieren und positiv besetzen, weil sie damit die hierarchischen Dichotomien von Körper und Geist bzw. Natur und Kultur nicht überwinden, sondern eine „Geschlechtermetaphysik mit umgekehrten Vorzeichen“ betreiben.13

Auch über den französischen Feminismus der 1970er-Jahre hinaus erweist sich die kritische Verbindung von Psychoanalyse und Geschlechterforschung gerade für die Körpertheorie als fruchtbar. So verdeutlicht die umfangreiche Forschung zur Hysterie nicht nur die Verknüpfung von Weiblichkeits- und Krankheitsvorstellungen, sondern – über das Moment der ‚Lektüre‘ uneindeutiger Krankheitssymptome – auch die komplexen Wechselwirkungen zwischen Körper und Zeichen.14 Grundlegend bleibt auch Lacans Konzept der Subjektkonstitution im sog. Spiegelstadium. Laut Lacan glaubt das Kleinkind, in seinem Spiegelbild bzw. im anerkennenden Blick der Mutter seine eigene Gestalt als Ganzheit zu erkennen, ignoriert dabei jedoch seine tatsächliche Abhängigkeit und motorische Ohnmacht. Die Herausbildung eines Körperbildes qua Identifikation ist also laut Lacan ein Ergebnis von Verkennungen und verweist – trotz der Illusion von Autonomie und Ganzheit – auf den grundsätzlichen Mangel [<< 80] und die unhintergehbare Gespaltenheit des Subjekts, eine These, die in den Gender Studies zur kritischen Hinterfragung idealisierender Körperkonzepte beigetragen hat.15

Die Differenzierung in sex und gender, also in ein biologisches und ein soziokulturell konstruiertes Geschlecht, eröffnet im Verlauf der 1970er-Jahre neue Perspektiven auf den Körper.16 Etwa zeitgleich werden Michel Foucaults Studien rezipiert, die ebenfalls die historische ‚Gemachtheit‘ körperlicher Kategorien thematisieren. Die Arbeiten des französischen Philosophen untersuchen das Zusammenwirken von Macht und Wissen, durch das der Individualkörper, aber auch der Bevölkerungskörper auf historisch je spezifische Weise sowohl produziert als auch diszipliniert bzw. reguliert werden.17 Dies bedeutet, dass (Selbst- und Fremd-)Wahrnehmung von Körper und Geschlecht nicht biologisch konstant und mithin geschichtslos bzw. überhistorisch sind, sondern sozial und kulturell wandelbar. In der Folge haben sich die Geisteswissenschaften mit unterschiedlichen Körperkonzeptionen beschäftigt (z. B. der Körper der Säftelehre, der durchlässige bzw. groteske Körper, der Körper als Räderwerk, Maschine, Nervengeflecht oder Netzwerk)18 sowie mit der historischen und geschlechtsspezifischen Wahrnehmung verschiedener Körperzustände (z. B. der schöne, verführerische, (un)fruchtbare, kranke, verwundete, sterbende Körper).19

Weitere Impulse erhält die Körperforschung in den 1980er-Jahren durch die Historische Anthropologie, wenngleich gender-Perspektiven dort nicht leitend sind. In frühen Veröffentlichungen erhebt die „Wiederkehr des Körpers“ im Namen authentischer Erfahrungen Einspruch gegen die zunehmende Instrumentalisierung und Technisierung des Körpers; spätere, eher kultursemiotisch ausgerichtete Arbeiten [<< 81] untersuchen den Körper v. a. als Gegenstand und Gedächtnis (gewaltsamer) kultureller Einschreibungen.20

Andere Wege gehen seit Mitte der 1980er-Jahre Studien am Schnittpunkt von Geschichtswissenschaft, Geschlechterforschung und Ethnomethodologie, die mit der Unterscheidung zwischen Körper und Leib arbeiten, welche in der Phänomenologie und philosophischen Anthropologie von Maurice Merleau-Ponty, Helmut Plessner und Hermann Schmitz entwickelt wurde. Dabei steht die Kategorie des Leibes für Innenwahrnehmung, Selbsterfahrung und Ganzheitlichkeit, während der Körper als von außen wahrnehmbar, kulturell überformt, objektiviert und instrumentalisiert aufgefasst wird. Diese begriffliche Unterscheidung und die Rekonstruktion früherer Leibeswahrnehmungen zielen auf die Überwindung des cartesianischen Dualismus sowie auf die Freilegung ehemals unentfremdeter, aber durch Sexualwissenschaft und (Bio-)Medizin verschütteter Wissensbestände.21 Die Arbeiten der Körperhistorikerin Barbara Duden argumentieren überzeugend gegen die Rückprojektion gegenwärtiger Körperauffassungen auf frühere Zeiten, neigen jedoch dazu, vergangene Leiberfahrungen als ‚eigentlich‘, ‚natürlich‘ und vordiskursiv zu proklamieren. Die Soziologin Gesa Lindemann entwirft Leib und Körper als gleich ursprünglich, privilegiert in ihrer Studie zur Transsexualität allerdings insofern die Ebene des Leibes, als sie danach fragt, auf welche Weise ein gesellschaftlich-kulturell konstruierter Körper ‚unmittelbar‘ als geschlechtlicher Leib erfahren wird.22

Trotz seiner erkenntniskritischen Stoßkraft läuft das Begriffspaar sex und gender Gefahr, auf unterschwellige Weise überkommene Dichotomien von Natur / Biologie und Kultur fortzuschreiben. Vor diesem Hintergrund erhalten Körpertheorie und Gender Studies in den 1990er-Jahren wichtige Anregungen durch Judith Butlers radikal-konstruktivistische Infragestellung der Kategorie des biologischen Geschlechts (sex) als ebenso kulturell konstruiert wie gender. Butler fordert, den Körper nicht als (bereits vorhandene) Einschreibefläche kultureller Prägungen und Zurichtungen zu verstehen, sondern als Effekt, der durch diskursive, also sprachliche und kulturelle [<< 82] Operationen überhaupt erst produziert wird.23 Weder die Wahrnehmung von Körperteilen und -grenzen noch die Geschlechtlichkeit des Körpers können demnach als vorgängig gelten, sondern sie sind Sedimentierungen sozio-kultureller Prozesse bzw. müssen durch performative Praktiken des Zitierens beständig neu hervorgebracht werden.24 Dies bedeutet, dass auch die feministische Rede vom Körper keinen Ort unmittelbarer Erfahrung beanspruchen kann.

Vor allem Butlers Das Unbehagen der Geschlechter wird aus unterschiedlichen Richtungen kritisiert. So sehen Seyla Benhabib, Drucilla Cornell und Nancy Fraser die Handlungsfähigkeit des Subjekts bedroht und politische Perspektiven, z. B. im Kampf gegen Geschlechterdiskriminierung, Rassismus und Militarismus, vernachlässigt.25 Einige Körperhistorikerinnen sprechen dagegen von ‚Entkörperung‘ und ‚Verdrängung des Leibes‘, weil die Materialität des Körpers sowie die leibliche Selbstwahrnehmung unberücksichtigt blieben.26 Obwohl Butler in Körper von Gewicht das Verhältnis zwischen Performativität und Materialität des Körpers genauer bestimmt, hält sich die Kritik der 1990er-Jahre zum Teil hartnäckig.27

Insgesamt setzen sich jedoch seit den 2000er-Jahren Arbeiten durch, die eine Polarisierung zwischen essentialistischen und konstruktivistischen Ansätzen, die ja selber an der Fortschreibung des cartesianischen Dualismus beteiligt ist, zu überwinden suchen.28 Entsprechend problematisieren Begriffe wie derjenige der ‚Verkörperung‘ sowie von Butler ausgehende Forschungen im Kontext der Queer Studies die Privilegierung von gender gegenüber sex.29 Zahlreiche Studien argumentieren, dass die Konzepte von Performativität und Diskursivität nicht auf eine rein sprachliche Ebene reduzierbar [<< 83] sind, sondern sehr wohl (geschlechterpolitische) Fragen nach regulierenden Normierungen sowie den Möglichkeiten und Grenzen von agency, also der politischen Handlungsmächtigkeit des Subjekts stellen.30 Eine vermittelnde Position nehmen auch jene historischen Arbeiten ein, die von der diskursiven Konstruktion des Körpers ausgehen, sich aber zugleich gegen eine Aufgabe der Kategorie des ‚Subjekts der Geschichte‘ wenden und darauf beharren, dass Erfahrungen wie Lust und Schmerz die Grenzen der Diskursivität überschreiten und damit gewissermaßen widerständige Phänomene darstellen.31

Anbindung an allgemeine politische und wissenschaftliche Debatten

Die unterschiedlichen Theoretisierungen des Körpers entsprechen der Entwicklung und Ausdifferenzierung von Feminismus, Geschlechterforschung und Gender Studies. Aus (sozial-)politischer und juristischer Perspektive stehen der weibliche und der männ­liche Körper weiterhin im Zentrum zahlreicher Debatten (u. a. zur Vergewaltigung in der Ehe, Prostitution von Frauen und Männern, sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz und zu den Auswirkungen moderner Medizin- und Reproduktionstechnologien auf Körpervorstellungen und -funktionen) sowie internationaler Problemfelder (u. a. weibliche Beschneidung, Gesundheitsfürsorge und Familienplanung, gezielte Massenvergewaltigungen und andere Kriegsverbrechen, Sextourismus, Migration, Organ- und Menschenhandel).

Im wissenschaftlichen Bereich sind Frauen zunehmend nicht länger nur Objekte, sondern auch Subjekte der (akademischen) Forschung. Eine der Grundlagen der gender-orientierten Wissenschaftskritik ist die Aufwertung des (weiblichen) Körpers gegenüber dem (männlichen) Geist. So formulierte bereits der Feminismus der 1970er-Jahre den Anspruch, spezifisch weibliche Erfahrungen zum Ausgangspunkt für eigene theoretische Methoden und Forschungsfragen zu machen. Zudem kritisierte er den Androzentrismus bisheriger Wissensbestände und befragte gängige Vorstellungen von Rationalität, Objektivität und Universalität, die die Bildung wissenschaftlichen [<< 84] Wissens beeinflussen, auf die ihnen zugrunde liegenden gender-Aspekte.32 Auf welche Weise feministische Wissenschaftlerinnen im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert die vergeschlechtlichten Grundlagen von Erkenntnis und Wissensproduktion aufdecken, gender-Perspektiven einbringen und die Bedeutung des Körpers untersuchen, soll an vier Beispielen aus unterschiedlichen Disziplinen erläutert werden.

Ausgangspunkt der kritischen Befragung der Naturwissenschaften und ihrer Geschichte ist die Einsicht, dass die Metaphorik von ‚männlicher Kultur‘ und Körperlosigkeit bzw. männlichem Geist auf der einen und ‚weiblicher Natur‘ bzw. Körperhaftigkeit auf der anderen Seite alle Wissensdiskurse prägt und sich in einem hierarchischen Verhältnis zwischen männlichem Forschungssubjekt und weiblichem Objekt der Forschung (sei dies die Natur, die Frau oder ihr Körper) niederschlägt.33 Demgegenüber fordern feministische Wissenschaftlerinnen, die Erzeugung von Wissen als sozialen Prozess zu begreifen, dessen Akteure niemals neutral sind, sondern eine je partiale Perspektive einnehmen; die Chancen und Grenzen dieses ‚situierten Wissens‘ gelte es zu reflektieren.34 Dass geschlechtsspezifische Körpervorstellungen auch die sogenannten ‚harten Naturwissenschaften‘ beeinflussen, verdeutlicht z. B. die Wissenschafts- und Technikhistorikerin Nelly Oudshoorn in ihrer Sozialgeschichte der Sexualhormone.35 In ähnlicher Stoßrichtung zeigt die Medizinanthropologin ­Margaret Lock in einer kulturvergleichenden Studie zu den weiblichen Wechseljahren, dass der scheinbar universale menopausale Frauenkörper erst im Zusammenspiel zwischen einem westlich-medizinischen Körpermodell und einer durch Medizinkonsum sozia­lisierten Frauenwahrnehmung entsteht.36

In Rechtswissenschaft und Rechtsprechung stellt sich die Frage nach der vermeintlichen gender-Neutralität juristischen Denkens und Handelns z. B. im Kontext von Pornographiedebatten 37 oder bei Strafverfahren in Vergewaltigungsdelikten, die auf kulturelle Vorstellungen einer geschlechtsspezifischen Täter-Opfer-Verteilung zurückgreifen und männlichen und weiblichen Zeugenaussagen (bzw. den darin vermitte [<< 85] lten Körpererfahrungen) häufig eine unterschiedliche Glaubwürdigkeit zumessen.38 Andererseits transportieren und perpetuieren Konzepte vom ‚Rechtssubjekt‘ oder ‚Bürger‘, aber auch Vorstellungen von Öffentlichkeit und Privatheit, Gleichheit und Freiheit sowie Politik und Staat bereits auf der Ebene von Rechtstheorie und Legislative geschlechtsspezifische Vorannahmen.39

Die sozial- und kulturwissenschaftlichen Disability Studies, die sich seit 1980 in Großbritannien und den USA und seit 2000 auch in Deutschland etablieren, untersuchen Behinderung als kultur- und zeitgebundene Kategorie, die als ‚Schattenseite‘ der Moderne verstanden werden kann, weil sie das Komplement von Vernunft und Normalität darstellt.40 Grundlage dieser Forschungsrichtung, die auf gesellschaftspolitische Intervention zielt und sich kritisch von den anwendungsbezogenen Rehabilitationswissenschaften absetzt, ist die (von der sex-gender-Differenzierung inspirierte) Unterscheidung zwischen „impairment“ und „disability“,41 also zwischen der medizinischen Kategorisierung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung und der gesellschaftlichen Praxis sozialer Ausschließung (vgl. den Slogan „behindert ist man nicht, behindert wird man“).42 In ihren auf historische und aktuelle Phänomene bezogenen Analysen bleiben die Disability Studies nicht bei Debatten um diskursive Effekte stehen, sondern gehen von konkreten Körpererfahrungen und den Selbstrepräsentationen von [<< 86] Betroffenen aus. Sie verbinden Diskursanalyse und Phänomenologie, erinnern an die Verletzbarkeit und Sterblichkeit jedes menschlichen Körpers, stellen philosophische und bioethische Fragen nach den Möglichkeiten der Anerkennung von Differenz und argumentieren, dass die mangelnde ‚Passung‘ keine Eigenschaft behinderter Körper sei, sondern als relationaler Begriff verstanden werden müsse.43

Die Literatur- und Kulturwissenschaften wenden sich seit Mitte der 1990er-Jahre verstärkt dem Körper als Träger kultureller Erinnerungen, als Material (künstle­rischer) Inszenierungen und als Bestandteil der Konstruktion nicht nur von Weiblichkeit, sondern auch von Männlichkeit zu. So thematisiert eine an Foucault und Butler geschulte gender-orientierte Gedächtnisforschung den Körper als Medium und Effekt kultureller Einschreibungen, an dem sich individuelle und kollektive Prozesse der Erziehung und Sinnstiftung vollziehen.44 Konzepte körperlicher Inszenierung oder Performativität werden u. a. in Studien zur Theorie des Tanzes, der Fotografie, des Films sowie der Video- und Performance-Kunst fruchtbar gemacht, z. B. mit Blick auf die zeitgenössischen Künstlerinnen Marina Abramovic, Valie Export, Orlan und Cindy Sherman, die durch ihre Arbeiten am eigenen Körper traditionelle Vorstellungen von Weiblichkeit, Authentizität und Identität angreifen.45 Auch die Selbstinszenierungen und -zurichtungen des Körpers z. B. durch bodybuildung, Piercing und Tätowierungen werden zum Gegenstand von Analysen. Schließlich verdeutlichen jüngere kultur- und literaturwissenschaftliche Arbeiten, dass nicht nur der Frauenkörper, sondern auch der normstiftende und darin scheinbar unsichtbare Männerkörper – sei es als heroisch-soldatischer, sportlicher, viriler oder kreativer Körper – bzw. die historisch sich wandelnden Vorstellungen von Männlichkeit als Ort und Ergebnis von Rollenzuweisungen, Maskierungsprozessen und (durchaus auch vom Scheitern bedrohten) Konstruktionsvorgängen verstanden werden müssen.46 [<< 87]

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9783846339268
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