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Identität
Claudia Breger
Einleitung

Der Begriff der Identität ist aus dem lateinischen idem: „(ein und) derselbe / dasselbe“ abgeleitet. Meyers Großes Taschenlexikon definiert ihn allgemein als „vollkommene Gleichheit oder Übereinstimmung (in Bezug auf Dinge oder Personen); Wesensgleichheit“, „Echtheit“ einer Person.1 Entwickelt worden ist der Begriff zunächst in der antiken Logik, deren Rezeption in der neuzeitlichen Philosophie ihn in die Wissenschaft der Moderne hineingetragen hat. Hier allerdings hat sich die Bedeutung des Begriffes im Laufe der Zeit verschoben: In der aktuellen Diskussion lässt sich Identität vielleicht am besten als Antwort auf die Fragen ,wer bin Ich? Wer sind Wir?‘ beschreiben. Dabei geht es nicht um die „absolute Selbstgleichheit“ der Logik, sondern um die Herstellung von Kohärenz, sei es historisch bzw. biographisch (als Kontinuität, Gedächtnis etc.) oder horizontal (als Konsistenz des Ich bzw. sozialer Zusammenhang).2 In diesem Sinne lässt sich die Frage der Identität als zentrale, wenn nicht die zentrale Problematik der neuen Frauenbewegung und der aus ihr hervorgegangenen Geschlechterforschung beschreiben. Denn einerseits funktioniert Identität hier als grundlegender Bezugspunkt politischer Aktivität wie wissenschaftlicher Arbeit: Wer / was sind die Frauen und Männer, um die es geht? Andererseits aber ist Identität in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als immer schon pro­blematische, als Medium von Herrschaft und Gewalt diskutiert worden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts allerdings lässt sich kon­statieren, dass Identität aktueller denn je zu sein scheint. Dass sich das Wort „in unserer Alltagssprache geradezu epidemisch ausgebreitet“ hat,3 kann im Hinblick auf die (wissenschaftliche wie politische) Kritik des Konzepts in den letzten Jahrzehnten als [<< 55] backlash erscheinen: In Reaktion auf die umfassenden Verunsicherungen von Identität durch ,Postmoderne‘, Feminismus, Migration und Globalisierung sind individuelle wie kollektive Identitäten augenscheinlich wieder dringlich gefragt, nicht zuletzt in den ,alten‘ Formen z. B. ,starker‘ Männlichkeit oder nationalen Gedächtnisses. Zugleich ist festzuhalten, dass die gegenwärtige Konjunktur des Identitätsbegriffes teilweise auch als Resultat gerade seiner kritischen Diskussion in der Geschlechterforschung und parallelen Feldern (z. B. den postcolonial studies) angesehen werden kann.4 Sie reflektiert den transdisziplinären Triumphzug eines Themas, das auf komplexe Weise diskutiert wird: Die wissenschaftliche Frage nach Identität schließt heute die nach Differenzen ein. Es geht in der Regel nicht länger um stabile ,Wesenheiten‘, sondern um Prozesse der Identifizierung und der Herstellung von Zugehörigkeiten, die (z. B. in der kognitivistischen Theorie) wieder verstärkt positiv konturiert, aber auch als nicht-voraussetzbare und oft brüchige gedacht werden.

Vor dem Hintergrund dieses zwiespältigen Aktualitätsbefunds ist die Geschichte des Redens über Identität im Folgenden näher zu beleuchten. Zwei Hinweise sind einleitend noch erforderlich: Erstens sind Geschichten immer ein bisschen zu einfach. Wenn ich davon erzähle, dass Identität in der Theorie der Moderne eher positiv besetzt, in der der Postmoderne kritisiert worden ist – und ,nach der Postmoderne‘ vielleicht ein comeback erfährt, so ist ergänzend festzuhalten: Die gleiche Geschichte lässt sich auch als Geschichte andauernder Verhandlungen zwischen zwei Polen beschreiben. Historisch gesehen, stellt die Wende zum 19. Jahrhundert den Moment dar, in dem Identität auf neue, für die Moderne prägende Weise ins Spiel des Wissens gelangt ist. Die Zeit um 1800 ist die Geburtsstunde des Denkens in ,Geschlechtscharakteren‘, ,Rassen‘ usw., die als unveränderlich-,essentielle‘ gedacht und in der Natur der Menschen begründet wurden.5 Zugleich aber lässt sich auch der Beginn moderner Identitätskritik auf diesen Moment datieren: Kant, der als Anthropologe selbst an der Aufteilung der Menschen in ,Rassen‘ beteiligt war, formulierte als Erkenntnistheoretiker, dass Identität erst durch die Konstruktionsleistung eines denkenden Ich entsteht.6 Ähnliche historische und theoretische Verschlingungen der Bewegungen ,pro‘ und ,contra‘ Identität werden auch für die verschiedenen Momente des Nachdenkens über gender zu zeigen sein. Leicht zu [<< 56] Irritationen führen kann, zweitens, dass der Identitätsbegriff der Bezeichnung individueller ebenso wie kollektiver Formationen dient (einerseits der „Ich-Identität“, andererseits z. B. der gemeinsamen Identität von Frauen als Frauen). Beide Formen sind analytisch selbstverständlich unterscheidbar, fungieren in den Debatten um Identität über weite Strecken aber auf so eng verflochtene Weise, dass es mir nicht als sinnvoll erschien, sie für den Rahmen dieser Darstellung kategorisch zu trennen. Aufschlussreich ist vielmehr die Art und Weise, in der das ,Ich‘ und das ,Wir‘ jeweils miteinander verbunden werden.

Die folgende Kurzdarstellung wichtiger Stationen und Aspekte des Redens über Identität in der Geschlechterforschung schließt jeweils Verweise auf zentrale wissenschaftsgeschichtliche, d. h. hier philosophische und sozialwissenschaftliche Bezugspunkte ein. Sie geht von der Prämisse aus, dass die Identitätsdebatten in der Geschlechterforschung nicht von anderen wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen der Zeit getrennt werden können: Auf exemplarische Weise zeigt die Identitätsfrage, wie Gender@Wissen, d. h. als Schnittstelle jeweils aktueller inter / disziplinärer Konfigurationen funktioniert. Nicht weniger eng verflochten sind die Diskussionen um Identität mit den anderen theoretischen Feldern, die die folgenden Beiträge besprechen. So wurde bereits darauf verwiesen, dass Identitäten in der Moderne maßgeblich mit ,Natur‘ begründet worden sind und dass Gedächtnisprozesse einen zentralen Aspekt von Identitätsbildung darstellen. Nicht weniger grundlegend ist z. B., dass – vor allem individuelle, aber auch kollektive – Identitäten in der westlichen Tradition maßgeblich im Rekurs auf Körper(bilder) imaginiert worden sind (die wiederum eng mit ,Natur‘ zusammengedacht wurden). Die Liste wird fortzusetzen sein: Dieser und die folgenden Beiträge werfen einander ergänzende, unterschiedlich akzentuierte Blicke auf ein theoretisches Feld, auf dem sich die jeweils besprochenen Konzepte in komplexer Weise überlagern.

Das ,andere Geschlecht‘ auf dem Weg zur Subjektwerdung:
Simone de Beauvoir

Simone de Beauvoirs Klassiker Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau (zuerst 1949) wurde Ende der 1960er zu einem zentralen Referenzpunkt der neuen Frauenbewegung. Auch hier kann ein Blick auf ihn helfen zu verstehen, worum es in Sachen Identität in der Geschlechterforschung geht – und woher diese Problemkonfiguration wissenschaftsgeschichtlich kommt. Schon der Titel von Beauvoirs Werk benennt die grundlegende Asymmetrie, die ihr zufolge das Verhältnis der Geschlechter [<< 57] charakterisiert: „Er ist das Subjekt, er ist das Absolute: sie ist das Andere.“ 7 Diese Begriffe entstammen dem Wortschatz G. W. F. Hegels, des einflussreichsten ,Identitätsphilosophen‘ des 19. Jahrhunderts. Bezugnehmend auf die Begriffe der antiken Logik, hat Hegel ein Denk,system‘ entworfen, in dem Identität, salopp formuliert, der Anfang und das Ende von allem ist. So erweist sich der Mensch, anthropologisch gedacht, im Unterschied zu Natur und Tieren dadurch als Mensch, dass er seine (virtuell immer schon gegebene) Identität als Bewusstsein seiner selbst, sich selbst in der ,reflektierten‘ Beziehung auf sich erfasst.8 Hegels idealistischer Philosophie zufolge besteht auch der Gang der Weltgeschichte in der Entfaltung dieses Selbstbewusstseins, das untrennbar mit ,Freiheit‘, Hegels zweitem Lieblingskonzept, verknüpft wird. Dieser Prozess aber erfordert eine Konfrontation des Selbst mit dem Anderen: Durch Differenzierung von ihm suchen das Subjekt wie der ,Weltgeist‘ ihre Selbstidentität zu beweisen. Auf der individuellen Ebene beschreibt Hegel diesen Prozess als Kampf zweier ,Selbstbewusstseine‘, durch den ein Herr-Knecht-Verhältnis etabliert wird. Beauvoir paraphrasiert: „das Subjekt setzt sich nur, indem es sich entgegensetzt: es hat das Bedürfnis, sich als das Wesentliche zu bejahen und das Andere als das Unwesentliche, als Objekt zu setzen.“ 9 Sowie: „Keine Gemeinschaft definiert sich jemals als das Eine, ohne sofort das Andere sich entgegenzusetzen.“ 10

Die Begriffe des Subjekts und des Anderen aber sind geschlechtlich codiert: Er identifiziert das Weibliche mit dem Anderen (und damit u. a. mit Natur und Körperlichkeit). So wird der ,Herr‘ durch Unterscheidung von ,der Frau‘ zum ,Menschen‘. Beauvoir verweist einleitend darauf, dass der Begriff homme im Französischen (wie man im Englischen) den „Mann“ mit dem „Menschen“ gleichsetzt.11 Ihr Werk ruft zur Überwindung dieser Kopplung auf, die der Frau den Zugang zur ,menschlichen‘ Kondition verstellt: Auch die Frau muss Subjekt werden. Dass dies möglich ist, begründet Beauvoir, indem sie sich – teilweise – von der Philosophie der Identität abgrenzt: Mit Hegels Worten akzentuiert sie gegen ihn, dass das ,Sein‘ der Geschlechter nur „geworden sein“ ist, Reaktion auf eine „Situation“ eher als „unbeweglich fixierte[…] Wesenheit“.12 Das heißt nicht, dass die Differenz der Geschlechter in der Gegenwart nicht real wäre. Doch – in den Worten, für die [<< 58] Beauvoir berühmt geworden ist – „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ 13 In diesem Sinne ist Beauvoirs Theorie ,anti-essentialistisch‘, nur sehr bedingt allerdings in dem Sinne, mit dem dieser Begriff in den Debatten der letzten Jahrzehnte meistens verknüpft worden ist: Die biologistische Argumentation, die seit dem 19. Jahrhundert das ,Wesen‘ des Geschlechts begründet hat, wird von ihr nicht (wie von vielen gender-Theo­retikerinnen heute) direkt angegriffen, sondern nur in ihrer Bedeutung relativiert: Die „biologischen Voraussetzungen“ bilden kein „unausweichliches Geschick“, denn „die Definition des Menschen ergibt, dass er nicht ein gegebenes Wesen ist, sondern eines, das sich zu dem macht, was es ist.“ 14 Hier zeigt sich Beauvoirs Zugehörigkeit zur Philo­sophie des Existentialismus (Sartre, Merleau-Ponty und andere). Aus der Perspektive der „existentialistischen Ethik“ setzt sich das Subjekt in einem Akt der ,freien Wahl‘.15

Die ,Wahl‘ macht die ,biologisch gegebene‘ Geschlechtsidentität des Subjekts irrelevant, indem sie die ihm gegebene „autonome Freiheit“ 16 verwirklicht. Diese Freiheit aber bleibt, wie bei Hegel, auch hier mit der Vorstellung von Ich-Identität verknüpft: Die „ursprüngliche Intentionalität“ der Selbstsetzung garantiert, dass das „Seelenleben […] kein Mosaik, sondern „etwas Ganzes in jedem seiner Augenblicke“ ist.17 Das hier formulierte ,Identitätspostulat‘ wird in den Debatten der Geschlechterforschung eine zentrale Rolle spielen – ebenso wie die zweite Kopplung, die das ,Subjekt Ich‘ mit dem ,Subjekt Wir‘ verbindet: Im Vergleich mit der Situation der Schwarzen und Proletarier erklärt Beauvoir die spezifische Problematik der Frauenunterdrückung damit, dass „[d]ie Frauen“ nicht „wir“ sagen, sich nicht „zu einer Einheit […] sammeln“.18 Kurz: „sie setzen sich nicht eindeutig als Subjekt.“ 19

Auf der Suche nach (weiblicher) Identität: Die neue Frauenbewegung

Die Frauenbewegung der späten 60er und 70er, die sich in den USA nicht zuletzt im Kontext der afro-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, in der Bundesrepublik etwas später aus der Studentenbewegung heraus entwickelte, wird in der feministischen [<< 59] Historiographie in der Regel in zwei Phasen eingeteilt: Zuerst stand (radikale) Gleichheit, dann (radikale) Differenz im Zentrum der Aufmerksamkeit. In beiden Kontexten aber waren Identitätsfragen von zentraler Bedeutung – wenn auch auf unterschied­liche Weise: Während ,weibliche Identität‘ zum prägenden Konzept der zweiten Phase werden sollte, waren die Gleichheitsforderungen der ersten Phase – im Anschluss an Beauvoir – eher auf Vorstellungen ,menschlicher Identität‘ bezogen. Zu kritisieren aber waren zunächst die ,gewordenen‘ Identitäten: In jener Rede von Helke Sanders im September 1968, die als Auftakt der neuen Frauenbewegung in der Bundesrepublik gilt, war von der „Identität“ die Rede, die Männer „durch das Patriarchat“ gewonnen und durch die Abtrennung des ,Privaten‘ vom ,Politischen‘ bewahrt haben.20 ,Das Private ist politisch‘: Mit diesem Leitslogan konzentrierte sich die neue Frauenbewegung auf Fragen der Repräsentation, Rollenverteilung und sexistischen Gewalt, der Sexualität und Reproduktion. Einen zentralen theoretischen Referenzpunkt bildeten dabei – neben Beauvoir und anderen frühen Feministinnen – verschiedene Versionen der Kritischen Theorie (Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Herbert Marcuse, Wilhelm Reich etc.). Ihre Verknüpfung marxistischer mit psychoanalytischen Ideen brachte wiederum Hegel ins Spiel – wenn auch in neuer kritischer Wendung. ,Identität‘ fungierte dabei als ebenso zentraler wie ambivalenter Begriff.

Berühmt geworden sind Horkheimer und Adorno für ihre scharfe Kritik der Identität: „Furchtbares hat die Menschheit sich antun müssen, bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen geschaffen war, und etwas davon wird noch in jeder Kindheit wiederholt.“ 21 In der während des Zweiten Weltkriegs im amerikanischen Exil geschriebenen Dialektik der Aufklärung, die zu erklären versucht, wie Faschismus und Holocaust möglich werden konnten, wird der Prozess der Geschichte ,posthegelianisch‘ als Herrschaftsprozess beschrieben. Das Selbst erscheint hier als Produkt einer gewaltsamen Unterwerfung von Natur, Körperlichkeit und der mit ihr assoziierten Weiblichkeit (ebenso wie ethnischen Minderheiten). Der ,Zwangseinheit‘ dieses Selbst gegenüber besetzen Horkheimer und Adorno das ,Nicht-Identische‘, Vielfalt und Individualität positiv. Dabei halten sie allerdings auch normativ an dem Begriff einer (,anderen‘, eben individuellen sowie ,natürlichen‘) Identität fest.22 Gegen die „Selbstbehauptung“ wird – frei nach Hegel – die (positiv konnotierte) [<< 60] „­Selbstbesinnung“ gesetzt,23 und auf der psychologischen Ebene akzentuiert Adorno in The Authoritarian Personality, dass ein entwickeltes ,Ich‘ und ein ,starker Sinn für persönliche Autonomie‘ Bollwerke gegen Antisemitismus und Rassismus bilden.24 An dieser Stelle wird ein weiterer theoretischer Einfluss sichtbar: der der zeitgenössischen amerikanischen ,Ich-Psychologie‘. Hier wurde die ,(Ich-)Identität‘, wie paradigmatisch von Erik Erikson ausformuliert, als subjektive „Wahrnehmung der eigenen Gleichheit und Kontinuität in der Zeit“ 25 ins Zentrum psychoanalytischer Theorie gestellt. (Freud hingegen arbeitete mit dem Begriff der ,Identifizierung‘, der den Prozess der Identitätsbildung akzentuiert: Durch ihn wird das Ich als „Niederschlag der aufgegebenen Objektbesetzungen“ gebildet.26) Zusammen mit ähnlichen Entwicklungen in der Soziologie – insbesondere bei Herbert Mead, der in Deutschland z. B. von Habermas rezipiert wurde – hat die Ich-Psychologie dazu beigetragen, dass die Grundannahme, derzufolge es „für menschliche Wesen von grundsätzlichem Interesse“ ist, „sich selbst als ,eins‘ zu verstehen“, in weiten Teilen der Sozialwissenschaft auch des späteren 20. Jahrhunderts mehr oder minder explizit vorausgesetzt wurde.27

Zusammen mit der Kritik der Identität als Herrschaftsprozess haben diese sozialwissenschaftlichen Neuformulierungen identitätsphilosophischer Grundsätze auch die neue Frauenbewegung geprägt: Sie wurde durch das doppelte Projekt der Kritik ,patriarchaler‘ Identitäten einerseits, der Entwicklung ,befreiter‘ Identität von Frauen andererseits geprägt.28 Mit der Veränderung der politischen Kultur im Laufe der 1970er-Jahre – die Studentenbewegung zersplitterte sich; Frieden und Ökologie wurden zu neuen Schwerpunktthemen – verschob sich dabei der Akzent zunehmend vom ,Subjekt Frau‘ auf das ,weibliche Subjekt‘. Die ,Neue Subjektivität‘, die nun im Zentrum des feministischen Projekts stand, sollte im Zeichen der Differenz von den herrschenden Standards der Zerstörung gesucht werden. So orientierte sich der ­cultural feminism an einer als universal imaginierten – und teilweise biologisch fundierten – Weiblichkeitsvorstellung, derzufolge Frauen friedlicher und mehr im Einklang mit [<< 61] der Natur seien als Männer (z. B. bei Mary Daly). Wie kritisch eingewandt worden ist, beruhten diese Vorstellungen allerdings im Wesentlichen auf einer Aneignung hegemonialer Konzepte, die weibliche Identität schon im 19. Jahrhundert genau so definierten.29 Anspruchsvollere Versionen dieser Theorieströmung wurden von psychoanalytischen, Moral- und Erkenntnistheoretikerinnen (Nancy Chodorow, Carol Gilligan, Nancy Hartsock) entworfen.30 In den Literaturwissenschaften prägte sie das Konzept der gynocritics (Elaine Showalter) und die frühe deutsche Diskussion um eine ,weibliche Ästhetik‘.31 Diese Suche nach ,der‘ Weiblichkeit macht nicht den ,ganzen‘ Feminismus der 1970er und frühen 1980er aus: Schon bald protestierten Schwarze und andere minorisierte Frauen gegen die Verallgemeinerungen, die dem Reden von ,der Frau / den Frauen‘ eingeschrieben waren, und einzelne Autorinnen und Künstlerinnen wandten sich mit ihren Projekten gegen den feministischen mainstream. Nichtsdestotrotz ist im deutschsprachigen Raum insbesondere ein – literarischer – Text zum Signum dieser Zeit geworden: Verena Stefans Häutungen, die Geschichte einer Frau, die sich in der Erkundung ,ihres‘ Körpers ,selbst findet‘.32

(Weibliche) Differenz: Der ,französische‘ Feminismus

Auf etwas andere Weise hat die Vorstellung von Weiblichkeit im Zeichen der Differenz von der männlichen Norm / alität auch den sogenannt ,französischen‘ Feminismus geprägt, der insbesondere mit den Namen von Hélène Cixous, Luce Irigaray und Julia Kristeva verknüpft ist.33 Obgleich die wichtigsten Schriften dieser Autorinnen schon in den 1970er-Jahren zeitlich parallel zu den eben diskutierten Feminismen entstanden, wurde die Theorierichtung im anglo-amerikanischen und deutschsprachigen Raum erst in den 1980er-Jahren auf breiter Basis rezipiert und – in den Literatur-, weniger den Sozialwissenschaften – vorübergehend zum hegem [<< 62] onialen Paradigma. Der grundlegende Unterschied dieser Theorierichtung von den eben besprochenen Ansätzen besteht in der Zugehörigkeit der Autorinnen zum Poststrukturalismus. Dieser nimmt erneut Bezug auf die philosophische (eher denn die aktuellere sozialwissenschaftliche) Tradition des Nachdenkens über Identität, macht dabei aber die Kritik der Identität als solcher zum Leitmotiv: Im Zeitalter der ,Postmoderne‘ wird die abendländische Philosophiegeschichte auf ihre Identitätsphantasmen hin befragt. Paradigmatisch für dieses Projekt steht insbesondere der Name Jacques Derridas, als eine wichtige Station auf dem Weg zu ihm ist aber zuvor Jacques Lacan zu besprechen.

Lacans Psychoanalyse konstituierte sich in der Mitte des 20. Jahrhunderts in Abgrenzung von der zeitgenössischen amerikanischen Ich-Psychologie, deren Akzentuierung personaler Identität für ihn einem Verrat an Freud gleichkommt. Lacans eigene Theorie ist ihm zufolge eine Rückkehr zu Freud 34 – allerdings auf strukturalistischer Grundlage: Anstelle der Biologie tritt die Sprache, anstelle des Penis, der bei Freud die Wahrnehmung der Geschlechterdifferenz prägt, der ,Phallus‘ als ein Signifikant (d. h. ein ,Bezeichnendes‘, oder: ,Wortkörper‘). Lacan knüpft hier an Ferdinand de Saussures strukturalistisches Zeichenmodell an, das Bedeutung (sprich: ,Identität‘) als den Effekt differentieller Anordnung von Signifikanten beschreibt. Dabei verunsichert Lacan allerdings den Prozess der Bedeutungskonstitution, indem er den Signifikanten anders als Saussure über das Signifikat (das ,Bezeichnete‘) setzt und die Instabilität der Beziehung zwischen beiden im – andauernden – Spiel der Signifikation akzentuiert. Identität ist für Lacan auf der Ebene dessen zu verorten, was er ,das Imaginäre‘ nennt. Frei nach, einmal mehr, Hegel akzentuiert er, dass sich der Mensch nur in der Beziehung zu einem anderen als Einheit wahrnimmt, bzw. in der Lacanschen Radikalisierung: verkennt. Lacan beschreibt diesen Prozess als das ,Spiegelstadium‘, wobei in der kleinfamiliären Sozialisation z. B. die Mutter als Spiegel funktioniert. In anderen Worten: Identität ist notwendig phantasmatisch. Das gilt auch für die Geschlechtsidentität, die Lacan im Zeichen der ,Maskerade‘ bespricht – einerseits. Andererseits behauptet er, dass die Geschlechterdifferenz im unbewussten Sprechen des Subjekts (wo ihm zufolge dessen ,Wahrheit‘ liegt) eine entscheidende Rolle spielt, und schreibt dem Phallus im Spiel der Signifikation eine privilegierte, strukturierende Rolle zu. Auch wenn Lacan darauf beharrt, dass der Phallus nicht mit dem Penis zu verwechseln ist, lässt sich dieser ,Herrensignifikant‘ doch gedanklich nicht ohne weiteres vom Bild des [<< 63] männlichen Organs lösen.35 Wie bei Freud spielen so auch bei Lacan Vorstellungen von der biologischen Differenz zwischen den Geschlechtern – und die korrespondierenden Identitätsphantasmen des ,männlichen‘ Phallusbesitzes – eine entscheidende Rolle für die Struktur unserer Wahrnehmung und unseres Begehrens.

Dass dem Phallus bei Lacan nicht zu entkommen ist, hat Derrida als Ausdruck des ,abendländischen Phallogozentrismus‘ kritisiert (logos: griech. u. a. ,Gedanke‘, ,Vernunft‘, auch ,Wort Gottes‘). Seine poststrukturalistische Theorie radikalisiert die Idee des andauernden, nie Bedeutungen fixierenden Spiels der Signifikation im Namen der (mit seinem Kunstwort) différance, die jeden Sprechakt markiert.36 Die abendländische Philosophiegeschichte verbleibt Derrida zufolge demgegenüber im Bann der Identität – oder, wie er auch formuliert, der ,Metaphysik der Präsenz‘. Er untersucht diese Identitätsproduktion als Prozess, der auf einer Reihe binärer, hierarchischer Oppositionen beruht: Begriffspaare wie Mündlichkeit und Schrift sowie – uns mittlerweile vertraut – Geist und Natur bzw. Körper, Selbst und Anderes, Männlichkeit und Weiblichkeit dienen einer Ordnungswut, die bei Derrida allerdings letztlich nicht gegen die überlegene Macht des Spiels der différance ankommt. Für seine eigene Praxis der ,Dekonstruktion‘ des Identitätsdenkens spielt die Geschlechterdifferenz wiederum eine tragende Rolle: Derrida plädiert für eine strategische Inanspruchnahme des abgewerteten, am ,anderen‘ Pol der hierarchischen Oppositionen verorteten Weib­lichen. Dieser Vorschlag basiert auf der Annahme, dass dieses ,Andere‘ aufgrund seines Ausschlusses aus der ,phallogozentrischen‘ Ordnung als ,Drittes‘, nämlich Kraft der Zerstörung des oppositionellen Systems funktionieren kann. Derrida entwickelt diese Idee anhand von Nietzsches Weiblichkeitskonzept, wo Weiblichkeit u. a. mit ,Hysterie‘ assoziiert wird. Die so charakterisierte ,weibliche Schreibweise‘ ist nicht mit dem Schreiben realer Frauen zu verwechseln. Auch Derrida aber arbeitet – unter Verkehrung der Vorzeichen – mit ,herrschenden‘ Vorstellungen von Geschlechterdifferenz, die so gedanklich fortgeschrieben werden.

Hélène Cixous knüpft am direktesten an Derrida an. Aus feministischer Perspektive richtet sie den Blick vor allem auf die Opposition ,Männlichkeit – Weiblichkeit‘ und akzentuiert die ,phallogozentrische‘ Kulturgeschichte derart als Geschichte der Unterdrückung des Weiblichen. Als kritisches Gegenprinzip arbeitet Cixous die [<< 64] Vorstellung einer weiblichen Ökonomie des Begehrens – und Schreibens – aus, die das Regime der Identität destruiert.37 Charakterisiert durch Sinnlichkeit ebenso wie eine Ethik der Gabe, macht diese Ökonomie im Ich „die Vielheit von Stimmen des Anderen“ hörbar.38 Wie bei Derrida ist diese écriture féminine erklärtermaßen nicht mit dem Schreiben realer Frauen zu verwechseln. Zugleich aber wird sie hier doch essentialistisch begründet: Cixous bindet sie eng an weibliche Erfahrung und die ,dezentrierte‘ Libido von Frauen zurück.

Luce Irigaray nimmt stärker auf die Psychoanalyse Bezug als Cixous, stellt das Denken Freuds und Lacans dabei aber mit Hilfe poststrukturalistischer Überlegungen auf den Kopf: In Speculum analysiert sie die psychoanalytische, und allgemeiner: abendländische Ökonomie der Repräsentation als eine, die vom „Begehren nach dem Selben“, einem „Traum von Identität“ beherrscht ist.39 In dieser Ökonomie (sprich: unter der Vorherrschaft des Phallus) kann sexuelle Differenz nicht repräsentiert werden; Weiblichkeit erscheint nur im Zeichen des (Penis- / Phallus-)Mangels. Gerade als das ,Nicht-Repräsentierbare‘ jedoch wird Weiblichkeit hier, analog zu Derridas und Cixous‘ Überlegungen, im zweiten Schritt zu einer ,dritten‘ Kraft, die die ,phallogozentrische‘ Sinnproduktion verstören kann. Im Rekurs auf anatomische Metaphern (,zwei sich berührende Schamlippen‘) beschreibt Irigaray das weibliche Geschlecht als ,das Geschlecht, das nicht eins ist‘.40 Auch diese essentialistische Bestimmung von Weiblichkeit ist als biologistisch kritisiert, von anderer Seite allerdings als ,strate­gische‘ verteidigt worden.41 In jedem Fall bleibt festzuhalten, dass die (über alle anderen Differenzen privilegierte) Geschlechterdifferenz auch im Zeichen poststrukturalistischer Identitätskritik hier letztlich wieder zur Basis eines „Identitätskonzept[s]“ 42 wird. [<< 65]

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