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Читать книгу: «Die Rede von Gott Vater und Gott Heiligem Geist als Glaubensaussage», страница 7

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|59|Gottesverehrung und Gottesbekenntnisse im religionsgeschichtlichen Horizont

Reinhard Achenbach

1. Theologie im Horizont der Religionsgeschichte

Die alttestamentlich jüdische und damit auch die christliche Jhwh-Gottes-Verehrung hat ihren historischen Ursprung in der Religionsgeschichte des Alten Orients. Daran haben auch die symbolischen und metaphorischen Zuschreibungen an Wesen und Wandel der Gottheit des Abend- und des Morgenlandes ihren Anteil. Der Gedanke einer die Religionsgeschichte umgreifenden Wirklichkeit, die den Aspekt des Metaphysischen mit einschließt,[1] wird in der alttestamentlichen Gedankenwelt nicht abstrakt systematisch erfasst, wie auch ein Geschichtsgedanke nicht abstrakt gefasst wird. Anstelle dessen tritt im biblischen Hebräisch die Benennung von Vorgängen und Erzählungen als devarîm: Beide sind allein in der Gestalt eines Narrativs zu haben.[2] Die systematische Erfassung solcher Narration erfolgt einerseits in den Sinnstrukturen der Natur, die von dem Göttlichen wortlos Rechenschaft geben (Ps 19,2–5).[3] Diese wird als |60|Schöpfung aus einem göttlichen Reden verstanden. Der Gedanke der Erfassung von Wirklichkeit durch Narration stammt seinerseits aus der Tradition weisheitlicher Erziehung in Gestalt mündlicher und schriftlicher Lehren: Die väterlichen oder mütterlichen Reden nehmen Gestalt an durch Schriftgelehrte, sopherîm. Es sind also die Erzählungen, die die Wirklichkeit erschließen, und die in einer für den Menschen transzendenten Erschlossenheit des Wirklichkeitsbezugs ihren Ursprung erkennen.[4] Diese Identifikation wirkt sich im religiösen Bewusstsein bis heute aus, wenn nämlich in der Narration selbst die referenzielle Unterscheidung von Textebene und Sachebene changiert. Unterscheidet man aber zwischen dem Vorgang und der Erzählung, so bleibt doch das, was vom Vorgang erfassbar wird, wiederum lediglich der Stoff des Erzählten, der gleichwohl nun der historisch kritischen Betrachtung genauso unterliegt wie die Narration selbst.

Dennoch gibt es bekanntlich im Alten Testament eine Narration, die zwischen allgemeinmenschlichen religiösen Vorstellungsgehalten von der Welt des Göttlichen und der spezifischen Erfassung derselben in der Epoche der Ursprünge der Religion Israels unterscheidet. Somit wird innerhalb der religiösen Narration selbst eine Erzählung von den Ursprüngen der Religion in einem allgemeinen humanen Sinne möglich in Gestalt der Elohîm-Theologie des Pentateuch. Hinzu kommt, dass der – auch für das Bewusstsein der jüdischen Weisheit – infinite Charakter der vorfindlichen Wirklichkeit und der dahinterstehenden Gottheit (Prov 8; Hi 28)[5] auch für den Prozess |61|weisheitlich-gedanklicher Erschließung bedeutet, dass dieser zwangsläufig infinit sein muss. Der Pluralität der im Universum zu erfassenden Phänomene, die das »Spiel der Weisheit vor Gott« hervorgebracht hat, entspricht darum selbst im Horizont der alttestamentlichen Schriftensammlung eine Pluralität der Narrationen, die nun ihrerseits das Universale nur dadurch abbilden kann, dass sie sich selbst im Horizont der Gegenwart, des Angesichts Gottes expliziert und so sich selbst und die Welt versteht und deutet, also in demütiger Ehrfurcht wie in lustvoller Abbildhaftigkeit, und dass dabei die Erfassung von normativen Aussagen allein auf der Grundlage nur einer Aussage in einer Perspektive überhaupt nicht möglich ist. Vielmehr erschließt sich die Wirklichkeit des Besprochenen stetig neu in einem Diskursverfahren komplementärer Denkungsarten, das Widersprüchliches nicht nur aushält, sondern geradezu als notwendig zur Erfassung der Wirklichkeit und »wahrer«, d.h. Bestand habender Aussagen (hebr. ’æmæt), empfindet. Es ist dies ein Denken, das seinerseits infinit ist und darum ja in der jüdischen Tradition auch in der haggadischen und halachischen Auslegungsliteratur mündet, die schon in den Spätschriften der Bibel ihren Anfang nimmt.

Da diesem Denken der Gottesbegriff und der Gottesname selbst ja schon in letzthinniger Weise nicht fasslich erscheint, verbleibt es in Bezug auf seinen Gegenstand immer in einer spannungsvollen Korrelation von Interiorität und Exteriorität, Benennung und Umschreibung, Metapher und Symbol, und verweist somit stets auf den Umstand, dass der Mensch von der Wahrheit ergriffen sein kann, ohne doch dabei die Grenzen des Aussagbaren und des Unsäglichen je vollkommen zu erreichen. Die Illusion, hieraus eine systematische Theologie gewinnen zu wollen, die nicht im Moment ihrer Fixierung schon immer auch in sich überholt sein muss, lässt sich vor diesem Gegenstand nicht halten.

Wie aber innerhalb eines solchermaßen gearteten Prozesses dennoch Orientierung, ja tiefste Überzeugung einer Orthopraxie entsteht, wie Identität, ist die Frage. Die Antwort besteht eigentümlicherweise darin, dass in dem aus ökonomischer Pragmatik und religiöser Überzeugung gewonnenen Kanon selbst die Spannung zwischen Heiligem und Profanem, zwischen Gottesnähe und Gottesferne, zwischen |62|Gotteswirklichkeit und Negation derselben, zwischen Inklusivität und Exklusivität integriert ist. Die von Friedhelm Hartenstein in seinem Aufsatz über »The Beginnings of YHWH and ›Longing for the Origin‹«[6] beklagte Spannung zwischen religionsgeschichtlichen und theologischen Aussagen hat hier ihren Ort. Die Frage ist also, welche Faktoren bei der Generierung der biblischen Narration und der darin zutage tretenden Gottesbekenntnisse eine Rolle gespielt haben.

2. Gottesverehrung und Gottesbekenntnis

Der Begriff der Gottesverehrung umfasst auch im Blick auf die Geschichte des Alten Israel die Vielfalt und Vielgestaltigkeit von Gottesvorstellungen und religiösen Praktiken, mit der sich in unterschiedlichen sozialen Kontexten die Gottesbeziehung der Menschen Ausdruck und Form gibt. In ihr bleiben Elemente der Mythen wie der heilsgeschichtlichen Narrationen einer ständig neuen Aktualisierung und Transformierung unterworfen.

Gottesbekenntnisse bilden indes Kern und Fokus einer identitätsbildenden Darstellung eines Vorstellungskomplexes, der von der sie initiierenden und explizierenden formbildenden Generation Schriftgelehrter in einer bestimmten historischen Auseinandersetzung formuliert und verschriftet wird, und, seine gemeinschaftsstiftende Deutungskraft vorausgesetzt, fortan als weithin durch die Religionsgemeinschaft anerkannte normative Gestalt erhält. Die Phasen der Ausbildung solcher Gestalten können annäherungsweise benannt und beschrieben werden. Gleichwohl nimmt bekanntlich die Religionspraxis, also die Gottesverehrung selbst, auf diese Gestalten keineswegs überall und zu allen Zeiten gleichermaßen Bezug, sodass immer ein Hiatus zwischen formulierter und erzählter Religion und gelebter und praktizierter Religion besteht. Da nun aber der diskursive Charakter der schriftgelehrten Fortschreibungsarbeit an dem Fluss der Auseinandersetzungen um beides immer Anteil hat, ergibt sich aus dem alttestamentlichen Schrifttum auch schon aus formalen Gründen keine gedanklich geschlossene religiöse und philosophische Systematik und Lehre, sondern vielmehr eine Sammlung von anerkannten |63|Leittexten,[7] die ihrerseits nach stets neuer Deutung verlangen, welche wiederum auch nur auf diskursive Weise und strittig gewonnen werden kann. Die Einheit dieses Diskursfeldes ist durch den Gegenstand bestimmt und durch die Übereinkunft der gemeinsamen Orientierung auf diesen Gegenstand. Dass Jhwh der Gott Israels ist, muss darum immer wieder neu erkannt werden, so wie die andere Seite, dass und in welcher Hinsicht die Gemeinschaft der im Diskurs Stehenden das Volk des Gottes Israels sind. Es steht im Zeichen der Verschmelzung der alttestamentlichen Bundesformel und der Erkenntnisformel, wie sie die Priesterschrift in Ex 6,7 formuliert: »Und ich nehme euch an als mein Volk und ich werde euer Gott sein, und ihr sollt erkennen, dass ich Jhwh, euer Gott, bin, der euch herausführt aus der Fron Ägyptens.«[8]

Hinzu kommt die Heterogenität der Gottesaussagen selbst. Die Zuschreibungen bestimmter Wirkmächtigkeiten und Eigenschaften an eine Gottheit, die mit dem Epitheton des »Vaters« verbunden sind, hat es in unterschiedlichsten Gestalten in den Religionen des Alten Orients gegeben, also auch in der alttestamentlichen Religion. Religionsphänomenologisch gibt es keine differencia specifica der Jhwh-Religion gegenüber den nicht-jahwistischen Religionen. |64|Gleichwohl war es im Überlebenskampf der Stammesgesellschaften der Levante im Verlauf der Geschichte des 1. Jahrtausends v. Chr. notwendig für Israel, um die Identität des Volkes zu wahren, eine mosaische Unterscheidung zu formulieren, was zu der durchaus sehr spezifischen Ausprägung der israelitischen Religion geführt hat.[9] Diese hat die Phasen ihrer Ausbildung in einem Narrativ ausgeprägt, der die eigene Religionsgeschichte als gestufte Offenbarungsgeschichte beschreibt, was dazu geführt hat, dass die Tradenda aus diesen Phasen jeweils in neuer differenzierter Rahmung und Neudeutung integriert werden konnten und keinesfalls alle abgestoßen werden mussten. Es ist auch nicht möglich, mythische Elemente der religiösen Metaphorik als eine frühe, unausgeprägte Entwicklungsstufe späterer systematisch-philosophischer Konzeptionen auszugrenzen. Auch unter den Bedingungen eines ausgeprägten monotheistischen Gottesbildes bleiben die Elemente des Mythischen als offensichtlich notwendige symbolische Formen religiöser Aussage erhalten und werden nur teilweise retuschiert oder umgedeutet.

Die Theologie wird also dazu tendieren, die Leitgedanken der konzeptionellen Formen der Gottesbekenntnisse zur Orientierung aufzunehmen und dabei die wechselhaften Impulse integrativer und exklusiver Prozesse in unterschiedlichem Gewicht zu verarbeiten. Für eine Theologie, die konsequent aus der Perspektive kontextueller Herausforderungen arbeitet, sind dabei integrative Prozesse meist interessanter als für eine Theologie, die nach Leitsätzen gemeinschaftsstiftender Narrative sucht. Keine Form der Theologie ist dabei frei davon, selbst Teil einer Religionsgeschichte zu sein und an deren Dynamiken mitzuwirken. Theologie ist selbst Teil einer bestimmten Form der Religionskultur, insofern aber diese von ihr auch reflektiert werden muss, bildet Theologie selbst auch eine reflexive kritische Systematik gegenüber der Religionskultur aus, an der sie gestaltenden Anteil hat.

Dies war schon eine Eigentümlichkeit der alttestamentlichen Schriftgelehrtheit und bestimmt insofern die normativen Texte, die |65|den Ausgangspunkt im Diskursgeschehen der jüdischen und christlichen Religionskulturen und Theologien bilden. Traditionsgeschichtlich sind an den Narrativen, die sie uns vermitteln, unterschiedlichste Ursprungselemente altorientalischer und israelitischer Gottesverehrung erkennbar, dennoch versuchen die Schriftgelehrten in immer neuen Anläufen, diese Elemente in eine einheitliche, sinnstiftende Erzählung zu gießen, die ihrerseits mit Mitteln der Mythenbildung operiert, um aus dieser hinwiederum Gottesbekenntnisse zu formen, die der Identitätsstiftung in ihrer jeweiligen Entstehungszeit dienen und in Verbindung von Ritus und Bekenntnis soziale und religiöse Integration ermöglichen. Dabei verarbeiten die Narrative historische und religiöse Erfahrungen in metaphorischen Gestalten und ermöglichen so die Generierung einer geschichtsbezogenen Verantwortung von theologischer Rede. Die Technik, die die Schriftgelehrten dabei anwenden, ist sowohl mit Hinsicht auf die einzelnen Elemente der heterogenen Gottesaussagen als auch mit Hinsicht auf die heterogenen Ausformungen ihrer Narrative die der komplementären Lesung, gleichsam der narrativen Gestalt eines Diskurses, in welchem harmonisierbare und widersprüchliche Elemente in ein narratologisches Verweissystem gebracht werden, aus welchem dann die Rezipienten ihrerseits anwendungsbezogene Auslegungen gewinnen können.[10] Wie auf diese Weise Religionsgeschichte und Theologie in ein diskursives Dienstverhältnis zueinander treten, möchte ich anhand des Beispiels der Diskussionen um die Ursprünge des Jahwismus veranschaulichen. Dazu soll zunächst die Vielfalt der gegenwärtigen Theorien über den Ursprung des Jahwismus (1) dargestellt werden. Sodann ist zu zeigen, dass der Pentateuch selbst eine Theorie von den Ursprüngen und der Entfaltung des Jhwh-Glaubens bietet, dabei allerdings die Form einer Narration über die stufenweise Selbsterschließung Gottes (2) ausbildet. Schließlich ist zu zeigen, wie sich spätere Schriftgelehrte in ihrer |66|Bearbeitung des Stoffes (3) zu dieser Theorie verhalten haben und wie sowohl hinsichtlich einer Protologie der Menschheitsgeschichte als auch hinsichtlich einer Eschatologie eine universale Offenheit der kanonischen Texte entsteht. In einem Ausblick sollen dann einige Folgen für das Verhältnis von historischer und theologischer Exegese bedacht werden.

3. Theorien über die Ursprünge der Jhwh-Religion und der Rede von Gott als Vater: Mythos, Metaphorik und Narration

Wie immer eine christliche Theologie die metazeitliche und metasubjektive Wahrheit ihres Gottesgedankens begründet, sie muss sich darüber Rechenschaft geben, dass die der historischen Forschung zugänglichen Hinweise auf die Ursprünge des Jhwh-Glaubens nur annäherungsweise Rückschlüsse auf die hierin beteiligten Prozesse der Generierung und Ausformung der Jhwh-Religion zulassen und dass zweitens diese Religion menschheitsgeschichtlich eine ausgesprochen junge Gestalt repräsentiert. Das gilt nicht nur angesichts der Ausprägung der altorientalischen ägyptischen, sumerischen und mesopotamischen Hochkulturen und ihrer Religionen, sondern schon angesichts der monumentalen Zeugnisse neolithischer Kultanlagen aus dem 10. Jahrtausend v. Chr., beispielsweise vom Göbekli Tepe, die machtvoll zur Geltung bringen, dass die israelitische Religion zunächst einmal ein Spätling in der antiken Religionsgeschichte war. Sie muss also einen Weg finden zu plausibilisieren, dass sich in einer relativ spezifischen Religionsgeschichte eine Erfahrung manifestiert, die mit Hinsicht auf Ewiges und Infinites zu gültigen Aussagen führt. Der von Jürgen van Oorschot und Markus Witte edierte Sammelband über »The Origins of Yahwism«[11] bietet einen höchst instruktiven Einblick in die gegenwärtige Diskussion. Das bisher älteste Zeugnis einer Namensform YHW findet sich auf Inschriften in einem nubischen Amun-Tempel von Soleb aus der Zeit Amenhoteps III (ca. 1386–1349 v. Chr) und in einem Tempel in Amarah-West aus der Zeit Ramses II. (ca. 1279–1213) sowie in weiteren Namenlisten aus Medinet Habu aus der Zeit Ramses III (ca. 1221–1156). In diesen wird der Name in einer Reihe mit anderen lokalen Namen in Verbindung mit dem Beduinenstamm der Shasu aufgeführt, sodass er |67|zunächst einmal in einem lokalen Konnex zu verstehen ist. Neben den »Yahu-Shasu« gibt es noch »Se’îr-Shasu«, »Laban-Shasu« etc.[12] In welcher Beziehung diese lokalen Bezeichnungen zu einer Gottheit YHW stehen, lässt sich aus dem Material nicht erkennen. Gleichwohl wird es von einer Reihe von Exegeten als ein Indiz zur Unterstützung der Annahme angesehen, dass es eine solche Gottheit im Gebiet südlich des Negev und des Seïr im 13. und 12. Jahrhundert gegeben hat, dass somit das Narrativ von der Begegnung einiger aus Ägypten entwichener Hebräer im 12. Jahrhundert mit dieser Gottheit möglicherweise hier einen Anhalt hat.[13] Das Etymon Jhwh wird meist von einem verbalen Ursprung hergeleitet und als Gottesname i.S. eines Wettergottes oder auch eines Berggottes deutbar ist (»Er weht«).[14] Allerdings sind die ältesten Schichten der literarischen Überlieferungen, die von der wundersamen Errettung der Hebräer am Schilfmeer erzählen (Ex 14,21b)[15] als auch der literarische Kern der Erzählung von einer Theophanie des Wettergottes am Gottesberg |68|(Ex 19,16) nur noch annäherungsweise zu erahnen,[16] ein traditionsgeschichtlicher Zusammenhang des Etymons mit dementsprechenden Urerfahrungen von Rettung und Gottesbegegnung ist denkbar, die literarische Gestalt, in welcher dieser Konnex hergestellt wird, kann nur annäherungsweise in der vorexilischen Königszeit datiert werden.

Dass Jhwh der Gott der im ostjordanischen Gebiet ansässigen Israeliten war, bezeugt die moabitische Meschastele für die Mitte des 9. Jahrhunderts.[17] Älteste Stufen der Psalmen lassen hingegen Jhwh in Analogie zu nordwestsemitischen Wettergottheiten des sog. Baal-Hadad-Typos als einen ebensolchen Wettergott erscheinen (vgl. Ps 29,3–5*.7–9; 18,8–16*; 77,17–20; 65,10–14), der analog dem Baal im siegreichen Kampf gegen die Chaosmächte den Thron über Götter und Menschen erringt (Ps 24,7–10) und sodann auch als Königs- und Kriegsgottheit verehrt wird (Ps 29,1–2.9–10; Ps 93,1–5*), dessen Züge und Eigenschaften dem von Kanaanäeren verehrten Göttervater El gleichen.[18] Die Zuschreibung und Amalgamierung von Motiven des El-Mythos und des Baal-Mythos an die Jhwh-Gestalt sowie die ikonographische Assoziierung Jhwhs mit Cherubenthron, Stier, Götterberg (Zaphon, Sinai, Zion), Regentschaft im göttlichen Thronrat, die Rede von Jhwh als dem Gott der Zebaot, die analoge Prädizierung Jhwhs als ‘Elyôn, ausgestattet mit einem feurig leuchtenden Kavôd-Lichtglanz, ja, möglicherweise auch die Übernahme von ursprünglich an Baal oder El gerichteten Gebetstexten in den Jhwh-Kult,[19] all das zeigt allerdings, dass die Jhwh-Religion ihre charakteristische Ausprägung, wie sie in den ältesten literarischen Schichten des Alten Testaments zutage tritt, erst im Kulturraum der Königreiche |69|Israel und Juda und mit zunehmender Ausprägung einer israelitischen und judäischen Stadtkultur erhalten hat.[20] Mit der Überformung lokaler Traditionen und ihrer ursprünglich kanaanäischen Kulte kommt es zur Adaptation weiterer mythologischer Motivgruppen. So hat etwa Othmar Keel die umfängliche Prägung der Jerusalemer Tempel- und Lokaltradition durch solare Motivik aufgezeigt, die Glyptik bezeugt etwa die Übernahme der Symbolik der geflügelten Uräusschlangen, der Serafim, als deren Herr die Gottheit Jhwh gilt. Die Ausprägung einer Präsenzsymbolik durch die sphingischen Mischwesen des Cherubenthrones ist Anzeichen für eine umfängliche Ausprägung der mit dem Jhwh-Kult verknüpften Bildwelt, in deren vor-deuteronomistischen Gestalt die rettende Göttin Aschera Jhwh zur Seite getreten ist.[21] Kosmische Tempelideologie und göttliche Herrschaftslegitimation führen zu einer Anreicherung des mit Jhwh verknüpften mehrfach konnotierten Metaphern-Repertoires, auf das die hymnischen und narrativen Deutungstexte in immer neuen Varianten zugreifen.

Das gilt natürlich auch für das Motiv der göttlichen Vaterschaft, das in der Königsideologie Ägyptens am stärksten ausgeprägt ist, aber auch im hethitischen, sumerischen, babylonischen, assyrischen, ugaritischen und ptolemäischen und seleukidischen Kulturraum unterschiedliche Ausformungen erfährt.[22] Wie in Ugarit El so gilt auch |70|im judäischen Jerusalem Jhwh, der ja die Position des El Israels einnimmt, als Vater von Göttersöhnen (Ps 82,6; Gen 6,1–4) und Vater des Königs.[23] Im Kontext der Orakel zur Herrschaftslegitimation und Inthronisation spielt das Motiv eine wichtige Rolle (2 Sam 7,14–15; Ps 89,27f.31–34; 1 Chr 17,13; 22,10; 28,6f.). In Ps 2,7 haben sich über Jahrhunderte hinweg vermutlich aus frühester Zeit Anklänge an Einflüsse eines kanaanäisch-ägyptisch geprägten Königsprotokolls erhalten, die in dem aus makkabäischer Zeit stammenden Psalm 110,3 noch um solare Motive erweitert sind.[24] Die Deutung und Legitimierung neuer Herrschaftssituationen und damit der Neukonstituierung gesellschaftlicher, politischer und kultureller Konstellationen bedarf jeweils auch einer Neuformierung des mythologischen Repertoires im Sinne einer Reaffirmation und Transformation der religiösen Erfahrung und der mit ihr verbundenen Einsichten. Das führt zu einer Reihe jeweils neuer, programmatischer Königspsalmen, die dann – viel später – sogar zur Strukturierung der Psalmensammlung herangezogen werden können.

Ein Motiv der Königsideologie ist die göttliche Auffindung und väterlich-mütterliche Adoption eines Herrschers. Schon Sargon I., der Begründer des altassyrischen Reiches, nennt die Gottheit Enlil seinen Vater,[25] Gudea von Lagasch betet zur Göttin Gatumdu mit den Worten (Gudea Cyl. A IIII,6–7): »Für den, der keine Mutter hat, bist du die Mutter, für den, der keinen Vater hat, bist du der |71|Vater.«[26] In der sumerischen Gebetsliteratur wird der Himmelsgott Anu als abu shamê – himmlischer Vater – angeredet, in einem Shu-íl-lá Gebet an den Mondgott Sin heißt es: »Barmherziger, gnädiger Vater, in dessen Hand erfasst ist das Leben der Gesamtheit der Erde.«[27] Götter, Menschen, Könige und sozial Schutzbedürftige verehren in den Hochgöttern väterliche und mütterliche Aspekte und suchen bei ihnen Lebenskraft und Hilfe. In einem Hymnus des Assurbanipal an Ishtar von Arbela bekennt dieser etwa: »Ich kannte weder einen Vater noch eine Mutter, im Schoß meiner Göttinnen wuchs ich auf und die großen Götter erzogen mich wie einen Säugling.« (SAA 3,3 Z. 4. 13f.; V. 14–16).[28] Die Analogien der Auffindungsmythe Sargons und Moses sind hinlänglich aufgezeigt worden.[29] Bekannt ist das Motiv der Suche nach einem Herrscher durch Marduk im Kyroszylinder und durch Jhwh im Kyrosorakel (Jes 45,1–7).[30] In den Spruchsammlungen, die die Grundlage des Hoseabuches gebildet haben, wird – nach dem Verlust des Königtums von Ephraim – das Motiv der Erwählung des Sohnes auf Ephraim selbst übertragen: »Als Israel ein Knabe war, da liebte ich ihn und rief meinen Sohn aus Ägypten […]« (Hos 11,1). Von hierher findet es Eingang in die weitere Deutung der Geschichte Israels als erwähltes Volk, so in Verbindung mit der Einführung des Glaubensmotivs in Dtn 1,31–32, als Gegenstand der Gotteserkenntnis (Dtn 8,2–6). Sodann findet es Eingang in die redaktionelle Ausformung der nachexilischen Exoduserzählung im Motiv der Rettung des »Erstgeborenen Jhwhs« (Ex 4,22) und als Teil der Geschichtsreflexion in der schriftgelehrten Ausgestaltung der Prophetie (Jer [2,27]; 3,4.14.19.27; 31,9; Jes 63,8–9.16; 64,7; Mal 1,6; 2,10; 3,17). Im Horizont der Gebetsfrömmigkeit tritt Jhwh in den Blick als Schutzmacht der personae miserae: »Vater der Waisen, Richter der Witwen ist Elohîm in seiner heiligen Wohnung!« (Ps 68,6a).

|72|Der Gedanke der Vaterschaft Gottes wird zudem verschmolzen mit der Vorstellung einer Erschaffung des Einzelnen durch die providenziell wissende väterliche Gottheit im Dunkel der Erde, im Uterus der Frau (Ps 139,13–16): In dem Prophetengedicht des Mose Dtn 32,6 ist darum Jhwh Israels Vater und Schöpfer, der gleichwohl seine abtrünnigen Söhne und Töchter im Zorne verwirft (Dtn 32,19), doch sodann die Macht der fremden Götter bricht und sich als einziger, lebendig machender ewiger Gott erweist (Dtn 32,39–40), indem er Israel errettet. Mose blickt hier über das Ende des Exils hinaus in eine alles weitere Prophezeien umspannende eschatologische Zukunft, in der Israel als Mitte und Exemplum der Völkerwelt die Universalität des Wirkens des Gottes Israels veranschaulicht. So vermag an die Stelle des Königs den Ps 47,7 als Elohîm bezeichnet, von Gott selbst gesalbt und gesegnet, der Mensch in seiner Gottesebenbildlichkeit und Gottesnähe treten (Ps 8,6f.). Nicht das metaphorische mythische Repertoire der genannten Texte steht in einer differencia specifica zu den Gottesvorstellungen der Umwelt, sondern die je und dann aktualisierte und kontextualisierte Anordnung desselben im kulturellen, sozialpsychologischen, religiösen, metaphysischen und theologischen Deutungsraum Israels.[31]

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881 стр. 3 иллюстрации
ISBN:
9783846352687
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
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