Читать книгу: «Die Messermacher», страница 2

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„Wir haben hier eine Vermisstenanzeige!“, rief Hauptkommissarin Magdalena Müller-Harnisch durch die angelehnte Türe, die ihr Büro von dem ihres jungen blonden Assistenten Joska Kiss trennte. Wie üblich machte sie sich nicht die Mühe, aufzustehen und ihrem Angestellten gegenüberzutreten. Wusste sie doch, dass Joska sowieso zu ihr kommen würde, um weitere Instruktionen abzuholen. Heute jedoch war der junge Mann so vertieft in die Recherchearbeiten, die man ihm kurzfristig aufgebürdet hatte, dass er den Ruf seiner Chefin nicht gehört hatte. Erst nach einem lauten Kreischen seines Namens fuhr er erschrocken zusammen und stieß dabei seine Kaffeetasse um. Die schon längst kalt gewordene Brühe ergoss sich komplett über die Tastatur seines Computers.

„Verdammte Scheiße!“, zischte der jüngste Assistent der Göppinger Kripo und versuchte verzweifelt, das Malheur mit seinem Ersatz-T-Shirt aufzuwischen. Dabei warf er auch noch sein Nutella-Glas um, das jetzt so früh am Morgen noch fast voll war. Bis zum Feierabend jedoch würde er es wie jeden Tag wohl wieder ausgelöffelt haben. Ohne diese Ration „Glücklichmacher“ lief bei ihm gar nichts! Während seiner kläglichen Säuberungsversuche legte sich plötzlich eine dunkelbraune Hand mit langen, rot lackierten Fingernägeln auf seinen hektisch wischenden Arm und er fuhr wie ertappt herum. In seiner Aufregung hatte er gar nicht registriert, dass diese wundervollen Hände gar nicht seiner Chefin gehörten, sondern ihrer gemeinsamen Sekretärin Lola Amati, einer rassigen achtundzwanzigjährigen Afrikanerin, deren halblange, dichte und krause Haarpracht stets wirr von ihrem Kopf abstand. Wenn sie nicht im Dienst war, sprach sie breitestes Schwäbisch, was ihre Mitmenschen stets sehr befremdlich fanden. Denn in ihrem Wohnort Krummwälden, einem kleinen Örtchen zwischen Salach und Ottenbach, war sie immer noch etwas Außergewöhnliches, obwohl sie nun schon drei Jahre dort lebte. Auf der Polizeiwache jedoch wurde sie als äußerst zuverlässige Mitarbeiterin von allen geachtet. Wegen ihres exotischen Aussehens verehrten sie die männlichen Mitarbeiter und von den weiblichen wurde sie beneidet. Aber um ihren jungen Kollegen sorgte sie sich besonders und gerade heute zeigte sich wieder, wie sehr er sie brauchte.

Erleichtert ließ sich ihr junger Vorgesetzter gerade auf seinen Stuhl fallen und hätte Lola nicht aufgepasst, hätte er sich wohl danebengesetzt. So landete er wenigstens noch knapp auf der Stuhlkante, doch der inzwischen schon recht heisere und wütende Schrei seiner Chefin ließ ihn augenblicklich wieder in die Höhe schießen. Hektisch fuhr er sich durch seine strubbelige Mähne. Seine bernsteinfarbenen Augen huschten nervös zwischen seinem Chaosschreibtisch und dem Chefbüro hin und her.

„Nun geh schon“, drängte Lola ihn mit ihrer rauchigen Stimme sanft in Richtung Chefbüro. „Ich mach das schon“, setzte sie noch liebevoll hinzu und es klang, als würde eine Mutter mit ihrem kleinen Kind sprechen. Doch der kecke Augenaufschlag und das herzliche Lächeln sprachen eine ganz andere Sprache. Verwirrt schnappte sich der junge Assistent seinen Notizblock, der ganz knapp dem Nässeattentat entgangen war und hastete mit Schwung durch die Türe, sodass diese mit einem lauten Knall gegen die Wand krachte.

„Herrgott Joska!“, wetterte Frau Müller-Harnisch augenblicklich los. „Können Sie nicht wie jeder normale Mensch durch eine Türe gehen?“

Joska jedoch wagte sich keinen Schritt näher und so musste seine Chefin, deren Zorn beim Anblick ihres äußerst hübschen und zerknirscht dreinblickenden Angestellten sofort wieder verraucht war, ihn nun wesentlich freundlicher auffordern, sich doch endlich zu setzen. Erleichtert ließ sich Joska auf seinen angestammten Platz der Chefin gegenüber plumpsen, lehnte sich erwartungsvoll zurück, wobei er seine langen, muskulösen Fußballerbeine von sich streckte, und erst einmal abwartete. Als ihr Assistent nichts sagte, schüttelte die Kommissarin genervt den Kopf und fragte unwirsch:

„Ja, wollen`s denn gar nicht wissen, wer vermisst wird?“

„Sie werden es mir doch sowieso gleich sagen“, antwortete der junge Mann frech, denn es machte ihm Spaß, seine Chefin ab und zu zu necken. Sie war zwar doppelt so alt wie er, doch mit ihren vierundvierzig Jahren sah sie immer noch verdammt knackig aus. Obwohl sie ihre pechschwarzen Haare (die ganz sicher gefärbt waren) stets zu einem strengen Dutt hochgesteckt hatte, konnte ihr junger Angestellter sie sich sehr gut mit offenen, wallenden Haaren und sich lasziv auf ihrem Schreibtisch räkelnd vorstellen.

„Haben Sie nicht gehört, was ich Ihnen gerade gesagt habe, Herr Kiss!“

Oha! Wenn sie ihn mit seinem Nachnamen ansprach, wurde es ernst. Normalerweise sprach sie ihn mit seinem Vornamen, aber dennoch mit „Sie“ an. Was hatte sie gesagt? Hatte er schon wieder einmal von ihren katzenartigen, grünen Augen geträumt und über seine Schwärmerei für seine Chefin nicht richtig zugehört? Nur gut, dass sie nicht wusste, warum er gerade so unaufmerksam gewesen war!

„Äh … es ist eine Vermisstenanzeige eingegangen?“, fragte er leise und versuchte sein unschuldigstes Lächeln, was ihm anscheinend nicht ganz gelang, denn seine Chefin sprang auf und ging langsam – wie eine Raubkatze – auf ihn zu. Joska wurde auf seinem Stuhl immer kleiner und er musste aufpassen, dass er nicht herunterrutschte. Dieser Besucherstuhl hatte in voller Absicht keine Polster, damit sich die Leute, die der Kommissarin gegenübersaßen, beziehungsweise gegenübersitzen mussten, nicht zu wohl fühlten.

„Nun … wer wird vermisst?“, fragte Frau Müller-Harnisch

nochmals drohend und kam ihrem nun doch recht eingeschüchterten Untergebenen so nahe, dass er ihr teures Parfüm riechen konnte.

Mist! Nur nicht noch mehr ablenken lassen! Er hatte wirklich nicht richtig zugehört, aber das wollte er natürlich nicht zugeben und so riet er einfach ins Blaue hinein:

„Ein alter Mann?“

„Ja – Herrschaftszeiten!“, fluchte die Kommissarin, wobei sie als gebürtige Augsburgerin in ihren alten Dialekt verfiel.

„Aber wer genau, will ich von Ihnen wissen!“

„Ich weiß es doch nicht, Chefin! Ich war grad nicht ganz bei der Sache. Sorry – wirklich!“ Und diesmal kriegte er es doch hin, dass die Wut seines Bosses endlich verflog. „Sagen Sie`s mir nochmal … bitte!“, schnurrte er geradezu.

„Bleibt mir ja auch nix anderes übrig“, knurrte Frau Müller-Harnisch, allerdings immer noch etwas widerwillig.

„Na gut – der berühmte Messermacher aus Ottenbach wird vermisst“.

„WAS? Der Jakob?“, entfuhr es Joska, denn er war ein großer Bewunderer der Familie Angerer und deren Handwerkskunst.

„Nein, nicht der Sohn. Der Alte ist weg und seine Frau lag heute Morgen tot im Bett!“, klärte ihn seine Chefin nun endgültig auf. Bevor Joska jedoch darauf reagieren konnte, kam ein Kollege nach kurzem Klopfen und ohne auf Antwort zu warten, ins Zimmer gestürmt. Doch bevor seine Chefin ihn diesbezüglich rügen konnte, plapperte er (es war der Dienstälteste, der Herr Maier) sofort los:

„Wer kümmert sich eigentlich um den Mordfall, wo eine

gelähmte Schlaganfallpatientin ihren Ehemann mit einer Vase erschlagen hat?“

„Das werde ich gemeinsam mit Herrn Kiss übernehmen, wenn das mit der Vermisstenanzeige von dem Angerer läuft. Kümmern Sie sich bitte inzwischen um die Sache mit dem Hofbrand in Ottenbach“.

Mit diesen neuen Instruktionen zog der Dreiundsechzigjährige und somit kurz vor der Pension stehende Hartmut Maier wieder ab. Joska Kiss sah sich schon in den nächsten Tagen derart mit Arbeit zugemüllt, dass er sicher keinen normalen Feierabend machen, und bis spät in die Nacht zu tun haben würde. Kaum war die Türe hinter Maier wieder geschlossen, rückte seine Chefin auch schon mit ihren Anweisungen heraus, die dem jungen Polizisten gar nicht gefielen.

„Sie werden heute sofort zu den Angerers fahren und zuerst mit dem Arzt sprechen, um zu klären, ob es eine natürliche Todesursache war. Es ist davon auszugehen, da die alte Dame sehr krank war. Wenn das abgeklärt ist, kümmern Sie sich um die Vermisstenanzeige. Aber warten Sie damit noch zwei Tage. Immerhin ist dieser Reno Angerer ein erwachsener Mann und kann auch mal ein paar Tage verschwinden, ohne allen gleich Bescheid zu sagen. Der taucht bestimmt bald wieder auf oder meldet sich – Sie werden sehen! Ich hab heute einen Termin beim Staatsanwalt und kann Sie somit leider nicht begleiten. Ich weiß schon, dass das Ihr erster Einsatz ist, den Sie alleine führen“, sagte sie mitleidig, als Joska die Augen entsetzt aufgerissen hatte, „Aber ich gebe Ihnen zur Unterstützung, und damit Sie ihm zeigen können, was Sie schon alles gelernt haben, unseren neuen Praktikanten an die Seite“.

„Nein!“, entfuhr es Joska. „Nicht den! Das können Sie mir nicht antun!“, jammerte er, und es klang wirklich sehr verzweifelt. Seine Chefin schaute ihn amüsiert an und Joska sah ihr an, dass sie sehr gut wusste, warum. Dennoch fragte sie süß lächelnd:

„Warum denn nicht? Herr Clemens ist doch ein tüchtiger Kerl.“

„Aber er ist fast zehn Jahre älter als ich! Der lässt sich doch von mir nichts sagen!“, klagte Joska weiter, obwohl er wusste, dass es nichts nützen würde. Er war in seinem letzten Ausbildungsjahr und der Clemens hatte erst nach zwei Studiengängen entdeckt, dass er eigentlich zur Polizei gehen könnte und nun war er ein ziemlich alter Praktikant. Ständig ließ er das heraushängen und auch, wie viel ungeheuer wichtiges Wissen er sich in seinen Studiengängen angeeignet hatte. Das nervte derart, das konnte man sich gar nicht vorstellen. Aber was sollte er machen? Er musste diesen Idioten mitnehmen, sie hatten niemand anderen zur Verfügung. Das konnte ja heiter werden! Missmutig erhob sich Joska und knurrte seiner Chefin entgegen:

„Ich geh dann mal und such den Clemens. Sicher hängt er wieder irgendwo im Archiv herum“.

Er sah nicht mehr, wie seine Chefin ihm liebevoll hinterherlächelte und das war gut so. Sonst hätte er sich nur noch mehr darüber aufgeregt. Und wenn sich dieser junge ungarisch stämmige Mann aufregte, konnte das ziemlich laut und temperamentvoll werden.

4

Während in dem kleinen beschaulichen Örtchen Ottenbach mit seinen knapp zweitausendfünfhundert Einwohnern der Alltag ganz normal weiterging, stand in der Messerwerkstatt Angerer die Zeit still. Nachdem Jakob die Polizei verständigt hatte, brachte es niemand fertig, zur alltäglichen Arbeit zurückzukehren. Tobias wollte unbedingt noch eine Weile bei seiner toten Mutter sitzen, während sein Bruder seine Kinder tröstete und nebenbei versuchte, seine verschlafene Schwester zu erreichen. Inzwischen war es kurz nach neun und sie müsste eigentlich schon auf sein. Marianne besaß aber nur ein Handy und das schaltete sie meist erst ein, wenn sie um zehn Uhr in die Werkstatt kam. Dennoch war es Jakob den Versuch wert gewesen, sie wegen der schrecklichen Vorkommnisse an diesem Morgen so schnell wie möglich zu informieren. Hätte er es nicht versucht, hätte sich seine Schwester sicherlich beschwert, ob sie es nicht wert sei, dass man sie informierte. So war sie nun selbst schuld, dass sie von alldem, was geschehen war und in der nächsten Stunde noch passieren sollte, nichts mitbekam. Vielleicht war es auch gut so, denn Marianne konnte ziemlich hysterisch werden und darauf konnte die Familie nun ganz sicher verzichten. Vor allem in letzter Zeit war sie oft mürrisch und ungeduldig, was sonst eigentlich gar nicht ihre Art war.

„Wann kommt denn nun endlich ein Arzt?“, ereiferte sich Nora nach einer halben Stunde angespannten Wartens.

„Welchen Arzt die wohl bestellt haben? Hoffentlich nicht die neue Ärztin, die seit ein paar Monaten die Praxis unseres geschätzten Doktors hier in Ottenbach übernommen hat. Die kann ich nämlich gar nicht leiden!“

„Aber Nora, so was sagt man doch nicht“, maßregelte sie ihr Vater. „Sie hat es auch nicht leicht und gibt sicher ihr Bestes, um die Patienten ihres Vorgängers gut zu versorgen“, versuchte Jakob die neue Ärztin in Schutz zu nehmen. Er war bisher nur einmal kurz mit Felix bei ihr gewesen, um ihn vor dem Ausbildungsantritt untersuchen zu lassen. Zugegeben – besonders sympathisch war sie nicht, aber sie hatte Felix gewissenhaft untersucht und ihm dann auch gleich sein Attest ausgestellt. Dass sie ihrem Sohn wegen seiner gelegentlichen Knieschmerzen, die sicherlich vom Wachstum her kamen, gleich eine Akupunktur-Therapie verpassen wollte, verbuchte er unter der Rubrik: geschäftstüchtig. Natürlich hatten weder er noch sein Sohn zugestimmt und sie war dann auch nicht weiter darauf eingegangen. Außerdem hatte Jakob im Ort munkeln hören, dass sie die Praxis demnächst schon wieder aufgeben wollte, weil sie sich angeblich nicht rechnete. Woran sie ganz sicher auch selbst Schuld hatte, denn nur wenige waren nach dem Weggang ihres beliebten Vorgängers zu ihr gekommen.

„Wenn diese Tante kommt, bin ich weg!“, meinte dann auch Felix und erntete von seinem Vater ein genervtes Kopfschütteln. Tobias kam dann einige Minuten später ebenfalls herunter ins Wohnzimmer, wo die anderen in Gedanken versunken oder unruhig herumsaßen. Nora kaute zum ersten Mal seit langem wieder auf den Fingernägeln, obwohl ihre Hände von der Arbeit schmutzig waren. Felix hatte seinen iPod herausgeholt, obwohl sein Vater eigentlich verboten hatte, dass er ihn mit in die Arbeit brachte. Doch heute achtete Jakob gar nicht darauf, er war viel zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Nicht nur der Tod seiner Mutter erschütterte ihn, viel mehr Sorgen machte er sich momentan um seinen Vater.

Wo war Reno?

Wo war er nur hin und hatte sogar den Hund mitgenommen? War er nach Adeles Tod so geschockt gewesen, dass er in Panik einfach davongelaufen war? Bei dieser Überlegung sprang er plötzlich auf und rief:

„Ist Renos Auto überhaupt weg?“ Niemand war bisher auf den Gedanken gekommen, nachzusehen. Nora erbot sich sofort, einen Blick in die Garage zu werfen und rannte mit ihren langen rotblonden Haaren, die wie ein Schal hinter ihr her wehten, aus dem Haus. Sobald klar gewesen war, dass sie heute nicht mehr arbeiten würden, hatte sie sofort ihren Zopf aufgeflochten. Während der Arbeit war es Pflicht, die Haare wenigstens zusammenzubinden … Betriebssicherheit!

Wenig später kam sie keuchend zurück und schrie noch von der Haustüre her:

„Opas Auto ist da, aber sein Motorrad ist weg!“

„WAS?“, schrien alle fast gleichzeitig. „Aber wo ist dann der Hund?“, fragten sich die entsetzt dreinblickenden Angerers. Auf gar keinen Fall konnte man einen so großen Schäferhund auf einem Motorrad mitnehmen!

„Vielleicht ist Moritz mal wieder ausgebüchst und Opa sucht ihn mit dem Motorrad“, warf Nora in den Raum, doch ihr Vater schüttelte sofort den Kopf.

„Das ergibt doch keinen Sinn, Nora. Moritz läuft nicht mehr so weit weg und im Sommer gibt es keine läufigen Hündinnen, oder? Sind die nicht nur im Frühjahr und im Herbst läufig, sodass sie unserem armen Rüden den Kopf verdrehen können?“

„Keine Ahnung. Vielleicht hat sich eine damit verspätet“, meinte Nora und setzte nach einem Augenverdrehen ihres Bruders noch hinzu: „Könnte doch sein, oder nicht?“

„Ich weiß das wirklich nicht – aber wie gesagt, mit dem Motorrad nach ihm zu suchen, ist doch idiotisch. Reno kennt die Freundinnen seines Hundes und sucht ihn immer zu Fuß. Da steckt irgendwas anderes dahinter!“, sagte Jakob mit Überzeugung, obwohl er momentan keine Idee hatte, wo sein Vater abgeblieben sein könnte. Während die ganze Familie nun weiter vor sich hin grübelte, nur ein paar Mal durch geschäftliche Telefonate unterbrochen, die allerdings äußerst knapp gehalten wurden, was sonst gar nicht ihre Art war, knallte plötzlich kurz vor zehn Uhr die Haustüre und Marianne kam hereingestürmt. Ohne guten Morgen zu sagen, fragte sie außer Atem:

„Was ist denn passiert, dass ihr mich gleich fünf Mal versucht habt, anzurufen. Ich hab mein Handy grad erst eingeschaltet, als ich aus dem Auto gestiegen bin“. Marianne wohnte in einem hübschen kleinen Loft in Salach, natürlich ebenfalls mit Blick auf den Hohenstaufen und sie kam jeden Tag mit ihrem schwarzen Porsche 911 Carrera in die Arbeit.

„Setzt dich erst mal hin, Marianne“, sagte Jakob behutsam und seine sonst so resolute Schwester ließ sich beim Blick in die traurigen Augen ihrer Familienmitglieder folgsam zum weißen Ledersofa geleiten. Erst als sie saß, erzählte Jakob ihr die ganze Geschichte. Doch bevor sich Marianne dazu äußern konnte, klingelte es laut an der Türe. Wie seltsam sich das anhörte, wenn der Hund nicht augenblicklich zu bellen anfing.

„Das wird die Ärztin sein“, meinte Tobias und ging hinaus, um diese zum Haus zu begleiten, denn auf einem Schild vorne an der Türe stand neben einem abgebildeten Hund:

Ich brauche 2 Sekunden bis zur Türe und du?

Deshalb traute sich auch niemand, alleine durch den Garten zu gehen. Nur diejenigen, die bereits Bekanntschaft mit dem liebevollen alten Schäferhund gemacht hatten, kamen an die Haustüre, um zu klingeln.

Wie befürchtet, brachte Tobias eine mürrisch dreinblickende Frau Doktor Zeitler mit, die sich auch sofort beschwerte, dass sie ihre Praxis hätte verlassen müssen, ihre Patienten nun warten müssten und sie eigentlich für so was gar nicht zuständig sei.

„Wo ist denn nun die Tote?“, fragte sie genervt und ließ sich im Hinaufgehen die Krankheitsgeschichte von Adele Angerer kurz schildern. Sie untersuchte Adele dann auch nur flüchtig und stellte ohne Umschweife den Totenschein mit einer natürlichen Todesursache aus. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass es anders sein könnte.

Kaum war Frau Dr. Zeitler damit fertig, klingelte es erneut an der Türe. Diesmal erbot sich Nora, nach draußen zu gehen. Wie immer rannte sie durch den Garten, denn normales Laufen war ihr zu langsam. Doch als sie von weitem zwei Männer vor dem Zaun stehen sah, verlangsamte sie ihr Tempo – warum, wusste sie auch nicht. Vielleicht, weil der eine von ihnen so verdammt hübsch war und der andere so streng dreinblickte? Ob das Kunden waren oder etwa ein paar von den Zeugen Jehovas? Was wirklich sehr bedauerlich gewesen wäre, denn für diesen Schwachsinn einen so gutaussehenden jungen Mann zu missbrauchen, wäre geradezu eine Verschwendung gewesen. Doch zu ihrer Freude stellten sich die beiden als Mitarbeiter der Göppinger Kripo vor und Nora atmete erleichtert aus. Amüsiert lächelte der jüngere Polizist und sagte verschmitzt:

„Kommt nicht oft vor, dass die Leute so erfreut sind, die Vertreter des Gesetzes zu sehen“.

„Nun ja …“, stammelte Nora. „Immerhin ist mein Opa weg und Sie werden uns hoffentlich helfen, ihn zu finden, nicht wahr?“, fragte sie hoffnungsvoll, denn das war im Moment ihre größte Sorge. Ihrer Großmutter konnte niemand mehr helfen und sie dachte keine Minute daran, dass jemand ihre Oma umgebracht haben könnte.

„Das hoffen wir natürlich auch, junge Dame“, mischte sich nun der Ältere ein und Nora ging sofort davon aus, dass dieser hier das Sagen hatte und der junge nur der Assistent war.

„Wegen eures Wachhundes müssen wir uns in Ihrem Beisein wohl keine Gedanken machen, oder?“, fragte der Jüngere und stellte sich als Joska Kiss und seinen Kollegen als Sascha Clemens vor.

„Nein, natürlich nicht. Der ist ganz lieb“, fing Nora an, doch dann schaute sie plötzlich ganz traurig drein und fügte hinzu:

„Der Moritz ist übrigens auch weg!“

„Wer ist jetzt der Moritz?“, fragte Herr Clemens dümmlich, doch Joska erwiderte sofort, als wüsste er das ganz genau:

„Das ist der Hund. Stimmt doch, oder?“

„Ja. Das ist unser Schäferhund und der ist schon zwölf, aber immer noch hinter den Weibern her. Wahrscheinlich ist er mal wieder ausgerissen. Weil … also … mein Opa ist mit dem Motorrad weg und da kann er ja schlecht den Hund mitgenommen haben.“

„Das ist wohl richtig. Also sollte man vielleicht zuerst nach dem Hund suchen?“, meinte Joska mehr zu sich selbst und bekam jetzt zu Anfang seiner ersten eigenen Befragung schon Herzrasen und Schweißausbrüche. Welche Reihenfolge wohl seine Chefin gewählt hätte? Zuerst den Tatort und die Tote begutachten, dann mit der Familie sprechen (sind das nicht meist die Hauptverdächtigen?) und dann erst nach dem Hund suchen und danach die Vermisstenanzeige aufnehmen? Oder doch lieber andersherum? Der arme Joska kam immer mehr ins Schwitzen und dieser oberschlaue Clemens hielt heute mal ausnahmsweise den Mund und hielt sich zurück mit guten Ratschlägen. Ob er wohl merkte, wie unsicher Joska war und ob er ihn vor der jungen Dame nicht brüskieren wollte? Oder fand er es ganz amüsant, den lieben Herrn Kiss so zappeln zu sehen?

Jedenfalls rang der jugendliche Kriminalassistent noch mit sich, doch unerwartet kam die junge Frau ihm zu Hilfe:

„Ich glaube ganz sicher, dass Moritz nur seine Freundinnen besucht und da kommt er meist von selbst wieder. Sie sollten sich zuerst meine Oma … äh … die Leiche ansehen, denn die Ärztin ist gerade fertig und schon wieder auf dem Sprung in ihre Praxis. Sie möchten doch sicher noch kurz mit ihr sprechen? Außerdem kommt bald der Leichenwagen“, sprudelte Nora nur so vor Aufregung und Joska hätte sie umarmen mögen, weil sie ihm so einen genauen Ablauf der nächsten Minuten gegeben hatte … und vielleicht auch, weil sie so toll aussah und so voller Energie war? Dankbar lächelte er sie an, doch sogleich setzte er wieder eine gewichtige Miene auf und sagte:

„Selbstverständlich werden wir noch mit der Ärztin sprechen und der Leichenwagen wird schon warten müssen, bis wir mit der Inspektion und Freigabe der Leiche fertig sind.“ Auch Herr Kiss und sein Kollege kamen nicht auf die Idee, dass die Firmenchefin nicht eines natürlichen Todes gestorben sein könnte.

Während Nora draußen mit den Polizisten sprach, fiel Jakob plötzlich ein, dass sie in dem ganzen Trubel vergessen hatten, seine Frau anzurufen. Diese weilte seit vorigem Wochenende in Irland, wo sie einen Malkurs belegt hatte. Nach einer Woche nur mit malen beschäftigt, wollte sie eigentlich noch ein paar Tage durch dieses schöne Land fahren und nach weiteren tollen Motiven Ausschau halten. Jakob erreichte sie dann auch, als sie gerade auf dem Fußweg zu den „Cliffs of Mohair“ war. Er konnte seine Frau kaum verstehen, denn es rauschte ziemlich stark im Hintergrund. Besorgt fragte er:

„Wo bist du denn gerade und was rauscht da so?“

„Du hast ja keine Ahnung, mein Lieber, wie es hier stürmt!“, rief Delfina, die trotz portugiesischer Herkunft fast akzentfrei Deutsch sprach. Jakob kam gar nicht zu Wort, überschwänglich berichtete sie zunächst von ihrem erfolgreichen Abschluss des Kurses. Dann erzählte sie weiter.

„Auf der Fahrt hier rüber zu den Cliffs sind wir auf der

Autobahn an Tara vorbeigefahren und stell dir vor! … Dort steht ein kleiner, unscheinbarer Baum, der angeblich ein Feenbaum sein soll und deshalb haben die irren Iren die Straße um den Baum herum gebaut – ist doch unglaublich, oder?“

Ja, das war wirklich kaum zu fassen, aber in solchen Sachen verstanden die Iren anscheinend keinen Spaß. Jakob rang nun mit sich, ob er seiner offensichtlich sehr gut gelaunten Frau ihren Urlaub verderben und ihr die traurige Nachricht per Handy überhaupt überbringen sollte. Während er noch überlegte, schrie Delfina geradezu ins Handy:

„Ich bleibe noch bis Mittwoch. Eine ganze Woche alleine durch Irland zu fahren ist mir doch zu anstrengend. Dieses Linksfahren bei den engen Straßen ist wirklich nichts für mich. Wenn da auf manchen Schildern steht, man dürfe hundert km/h fahren, dann fahre ich höchstens sechzig und rechne jeden Moment damit, dass ich aus der Kurve fliege! Ich wollte nur unbedingt zu den Cliffs, aber die haben hier alles mit Zäunen versehen und buddeln da gerade mordsmäßig herum – soll wohl eine Aussichtsplattform mit einem Gebäude in die Felsen gebaut werden. Echt schade … das ursprüngliche und schroffe Landschaftsbild wird da total zerstört!“

„Ja, wirklich schade, dass ich das vorher noch nie persönlich gesehen habe … du … ich freu mich, wenn du wieder nach Hause kommst“, fügte Jakob noch schnell an, als er merkte, wie die Verbindung immer schlechter wurde.

„Ist irgendwas?“, fragte die sensible Delfina, als sie trotz des Sturms hörte, wie die Stimme ihres Mannes brüchig wurde. Oder lag das nur an der schlechten Verbindung? Nun ja, in zwei Tagen war sie ja wieder zu Hause, solange würde er es schon noch ohne sie aushalten. Wahrscheinlich fehlte sie eher Marianne, weil die nun alleine das Haus und die Werkstatt sauber halten musste. Denn wegen der vielen herumliegenden Messer wollten die Angerers keine Reinigungskraft einstellen. Das war ihnen dann doch zu gefährlich, denn die teuren Messer wären auch schnell mal zu klauen gewesen. Beim Kochen für die ganze Familie Angerer hatte Marianne gerade auch keine Hilfe. Außer sie konnte Nora und Felix ein bisschen dazu einspannen. Aber das war schon ganz gut so – so würde die Familie ihre Arbeit vielleicht mal mehr würdigen, wo sie jetzt eineinhalb Wochen ohne sie auskommen mussten.

Bevor die Verbindung nun gänzlich abriss, rief Delfina noch:

„Grüß die Kinder und den Rest der Familie von mir und einen dicken Kuss für dich!“ Dann noch ein heftiger Windstoß und das Telefon war tot. Verstohlen wischte sich Jakob eine Träne aus dem rundlichen Gesicht, das neuerdings ein Dreitagebart zierte. Jakob vermisste seine Frau sehr, nicht nur ihre Kochkünste. Obwohl es für ihn vielleicht doch vorteilhaft war, dass er momentan etwas weniger aß – hatte er doch die Chance, etwas abzunehmen. Sein runder Bierbauch war nicht mehr zu übersehen und das missfiel ihm sehr. Doch sich beim Essen zurückzuhalten, schaffte er meist nicht.

Ob es klug gewesen war, seiner Frau die Wahrheit verschwiegen zu haben? Würde sie das verstehen oder ihm Vorwürfe machen? Sie hätte doch sowieso nicht früher zurückfliegen können, also warum sollte er ihr die letzten Tage dieses tollen Urlaubs noch verderben?

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Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
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291 стр. 3 иллюстрации
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9783960147954
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