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Clarissa Schmitz fällt trotz der aufmunternden Worte Dr. Freudenbergs in ein tiefes Tal der Tränen nach dem sonntäglichen Besuch in der Universitätsklinik von Köln.

Die Sorge um ihr ungeborenes Kind bringt sie fast um.

Erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass sie mit keinem Menschen über die mögliche Entwicklungsstörung ihres Kindes sprechen kann, darf doch niemand von der sonntäglichen Untersuchung wissen, die Dr. Freudenberg durchgeführt hat.

Aber Clarissa muss irgendjemandem ihr Herz ausschütten.

Ihrem Vater kann sie nichts sagen, er würde womöglich Dr. Freudenberg kontaktieren, um aus erster Hand zu erfahren, wie es um das ungeborene Kind steht.

Der Rest der Familie wohnt mehr als tausend Kilometer entfernt, unwahrscheinlich, dass es ein Risiko birgt, Tante Francesca von der Untersuchung und dem Verdacht Dr. Freudenbergs zu berichten. So ruft Clarissa ihre Tante an.

„Ciao zia Francesca.“

„Clarissa! Sono contento, ich freue mich, von Dir zu hören!“

„Wie geht es der Familie?“

„Uns geht es allen gut. Viel wichtiger ist aber, wie es Dir geht.“

„Mir geht es gut, aber....“

„Aber? Um Gottes willen, ist irgendetwas mit dem Kind?“

„Wir wissen es nicht … vielleicht.“

„Was soll das heißen?“

„Es besteht die Möglichkeit, dass das Kind behindert zur Welt kommt.“

„Oh nein“, Francesca fängt laut an zu weinen, „Oh nein.“

Auch Clarissa am anderen Ende der Leitung kann ihre Tränen nicht zurückhalten. Minutenlang weinen beide Frauen ins Telefon.

„Was ist passiert?“, Francesca fängt sich als Erste wieder.

„Ich hatte eine schwere Infektion.“

„Dio mio!“

„Ein Bekannter von Werner arbeitet in der Universitätsklinik. Er hat am Sonntag extra für uns die Klinik geöffnet und eine Ultraschalluntersuchung von dem Baby gemacht. Dabei hat er Auffälligkeiten am Kopf des Kindes entdeckt, die auf Wasser im Gehirn hindeuten können.“

„Das darf nicht wahr sein.“

„Nein, darf es nicht. Wir können nur hoffen, dass er irgendetwas anderes gesehen hat oder dass er sich täuscht.“

„Gibt es denn keinen Spezialisten, den ihr aufsuchen könnt?“

„Nein, die Universitätsklinik ist führend in der Medizintechnik. Wer sonst sollte da helfen können?“

„Ich weiß es nicht, Clarissa. Ich weiß es nicht.“

„Tante Francesca, ich lege jetzt auf. Werner kommt gleich, ich muss ihm schnell was kochen.“

„Ist gut, Kleines, und bitte halt' mich auf dem Laufenden, ja?“

„Selbstverständlich. Gruß an die Familie.“

Francesca Tardea sinkt in Ihrem Sessel zusammen. Gedankenversunken bekommt sie kaum mit, dass kurz darauf das Telefon läutet.

„Si.“

„Ciao Francesca, hier ist Guiseppe. Ich rufe nur kurz an wegen der Sammelbestellung: Wie viele Liter Olivenöl brauchst Du? Und soll ich Dir frische Artischocken mitbestellen?“

„Ein Fünfliter-Fässchen bitte. Artischocken bekomme ich vom Bauern hier vor Ort.“

„Hast Du irgendwas? Du hörst Dich so abwesend an.“

„Ach, Guiseppe. Ich hatte gerade einen Anruf. Clarissa aus Deutschland. Es gibt Probleme mit dem Kind.“

„Probleme?“

„Möglicherweise kommt es behindert zur Welt.“

„Was? Das ist ja furchtbar.“

„Ja, das ist es.“

„Was fehlt dem Kleinen denn?“

„Das habe ich nicht genau verstanden, Guiseppe. Ich war so aufgeregt“

„Das kann ich verstehen.“

„Irgendetwas mit dem Kopf stimmt nicht.“

„Dio mio!“

„Kann man denn da gar nichts tun?“

„Ich weiß es nicht, Francesca. Aber ich werde mich erkundigen.“

„Danke, Guiseppe. Wir haben uns doch alle so auf das bambino gefreut.“

„Ja, Francesca. Lass' uns alle für Clarissa und das Kind beten. Vielleicht wird noch alles gut.“

„Vielleicht, ja.“

„Ich muss jetzt los, ich habe noch einen Termin. Ich werde den Rest der Familie informieren und sehen, was ich tun kann, Francesca.“

„Was willst Du denn da tun? Wie kann die Famiglia Clarissa helfen?“

„Ich weiß es noch nicht. Aber ich lasse mir etwas einfallen.“

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Davor Krupcic lernt schnell. Obgleich er sowohl äußerlich als auch vom Naturell her so anders als Borna ist, in der Fabrik macht er sich beinahe so gut wie sein Bruder.

Davor wird zunächst im gleichen Segment der Fertigung, in dem auch Borna tätig ist, eingesetzt, da dort ein Kollege längerfristig erkrankt ist.

Er hat den Ehrgeiz, seinem großen Bruder, den er mehr verehrt noch als seinen Vater, keine Schande zu bereiten, seinem Ruf in der Firma nicht zu schaden.

Zudem möchte er, dass seine Familie stolz auf ihn ist, er hat das Fest noch gut in Erinnerung, welches Borna anlässlich seines ersten Besuchs in der Heimat bereitet wurde.

Nach Feierabend ist er meist völlig erschöpft. Während Borna ab und an mit Kollegen ausgeht oder Sport treibt, bleibt Davor in der Wohnung in Chorweiler, hört Radio oder liest. Bald soll zudem ein Fernseher angeschafft werden.

An den Wochenenden unternehmen die Brüder meist gemeinsam etwas, regelmäßig besuchen sie zwei Lokale in Köln, die von Landsleuten betrieben werden. Im „Hrvatski Jadran“ in Nippes und „Bei Josip“ in Ehrenfeld fühlt es sich fast so an wie zu Hause.

Bei heimischer Musik, in der Gesellschaft von Landsleuten und bei Pljeskavica und Slivovica kommt Heimweh gar nicht erst auf.

„Ich hätte nicht gedacht, dass Du das hier packst, kleiner Bruder.“

„Und Du weißt nicht, wie schwer es mir manchmal fällt.“

„Meinst Du die Arbeit?“

„Daran habe ich mich gewöhnt, es fängt sogar an, mir richtig Spaß zu machen.“

„Aber?“

„Die Heimat, Borna. Mir fehlt die Familie, mir fehlen Freunde. Wir sind doch ziemlich allein hier, haben nur uns, die Kollegen und...“.

„...und den guten Josip, Davor. Bitte noch zwei Slivovica zum Kölsch.“

„Ja, Du hast gut reden. Dir macht das alles nichts aus.“

„Meinst Du etwa, dass ich Ana und die Kleinen nicht vermisse? Doch, Davor, dass tue ich, und zwar jeden Tag!“

„Du hast wenigstens jemanden, der in der Heimat auf Dich wartet.“

„Dort wartet man genauso auf Dich, Davor. Und jetzt ist Schluss mit der Melancholie.“

„Na zdravje, großer Bruder.“

„So ist es Recht. Na zdravje, Kleiner.“

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Die Jägerstube in Köln-Braunsfeld ist gut gefüllt. Wie jeden Donnerstag, wenn es Reibekuchen gibt.

Woanders nennt man die in Köln so beliebten „Rievkooche“ Reiberdatschi, Kartoffelplätzchen oder schlicht Kartoffelpuffer. Der Kölner meint allerdings mal wieder, er hätte sie erfunden. Ein Teig aus Kartoffeln, Zwiebeln, Eiern und Haferflocken, im heißen Öl knusprig gebacken, serviert mit Schwarzbrot, Rübenkraut oder Apfelmus ist für den Kölschen das ideale Essen am fleischlosen Freitag. Oder als fettige Basis für einen Abend mit viel Kölsch. Oder eigentlich immer, wenn der Hunger kommt. Hauptsache heiß und direkt aus der Pfanne auf den Teller.

So einfach die Zubereitung auch ist, so ungern brät man in Köln seine Rievkooche in den eigenen vier Wänden. Grund: Der Duft hält sich tagelang. Deshalb isst der Kölsche seine Rievkooche gerne außer Haus, am liebsten donnerstags oder freitags.

Werner und Paul Schmitz haben den letzten Tisch ergattert. Nachdem seine Frau Clarissa sich bei ihrer Tante Francesca den Kummer von der Seele geredet hat, tut Werner dasselbe nun bei seinem Bruder.

„Weißt Du noch, der Günter Maubach? Der hat sich umgebracht wegen so einer Geschichte. “

„Du meinst, wegen dem Kind, das seine Frau verloren hat?“

„Ja. Zunächst hieß es, sein Sohn käme womöglich behindert zur Welt, dann kam er als Totgeburt.“

„Aber das ist viele Jahre her, Werner. Seitdem hat sich so viel getan in der Medizin. Diese Untersuchung, die ihr da gemacht habt, die gab es damals doch noch gar nicht. Und neue Medikamente gibt es bestimmt auch.“

„Kann schon sein, Paul. Aber ich habe trotzdem eine furchtbare Angst. Auch um Clarissa. Sie hat sich sehr verändert seit dem Besuch bei Dr. Freudenberg.“

„Wie meinst Du das?“

„Sie ist nicht einfach nur traurig, sie macht sich nicht einfach nur Sorgen. Ich kann das schwer beschreiben. Machst Du uns noch zwei Kölsch, Kurt?“

„Das ist doch klar, dass Clarissa die Ungewissheit schwer belastet. Bedenk' auch, wie jung sie noch ist. Da kommen ja unsere Rievkooche.“

„Man kommt kaum mehr an sie ran. Sie ist manchmal völlig apathisch, redet weniger als sonst und hat ihr Lachen fast verloren. Sie verhält sich so, als WÜSSTE sie bereits, dass dem Kleinen etwas fehlt. Dabei ist es doch bislang lediglich ein Verdacht.“

„Sie hat einfach Angst. Sobald sich herausstellt, dass das Kind gesund zur Welt kommen wird, ist sie wieder die Alte.“

„Dein Wort in Gottes Ohr, Paul. Herrlich, die Rievkooche, was?“

„Ja. Und das Apfelmus ist selbst gemacht, das schmeckt man.“

„Kurt, trockene Luft hier am Tisch bei uns. Kannst Du da etwas gegen unternehmen?“

„Ich eile, Werner. Schmeckt es den Herren denn?“

„Wunderbar, Junge.“

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Guiseppe Scirelli ist ob des Telefonates mit seiner Tante Francesca, er nennt sie so, obgleich kein direktes Verwandtschaftsverhältnis besteht, sehr erregt.

Er bittet seinen Vater Andrea und seinen Onkel Gianni um ein kurzfristiges Gespräch. Auch Luigi Tardea, Cousin von Antonio und einer der mächtigsten Männer im Tardea-Scirelli-Clan, soll anwesend sein. Noch bevor Guiseppe bei seiner Tante Einzelheiten zu erfragen gedenkt, möchte er mit den Mächtigen in der Großfamilie abklären, wie man mit der schlimmen Nachricht aus Deutschland verfährt.

Luigi Tardea trifft als Erster im Cafe Letizia ein.

„Ciao Guiseppe.“

„Luigi, schön, Dich zu sehen!“

„Was gibt es denn so dringendes?“

„Lass uns warten, bis mein Vater und mein Onkel eingetroffen sind, ja?“

„Gut. Wie geht es Dir, mein Junge?“

„Soweit gut. Und wie sieht es bei Euch aus?“

„Alberta geht es gar nicht gut. Sie ist ziemlich durcheinander, vergisst dieses und jenes und verläuft sich ab und an.“

„Das hört sich gar nicht gut an. Ist es etwas ernstes?“

„Wir wissen es nicht. Nächste Woche wird sie gründlich untersucht.“

„Dann hoffen wir mal das Beste“.

„Beten sollten wir. Beten...“.

„Ja, natürlich.“

Ein Auto hält auf dem kleinen Parkplatz des Cafes, Andrea und Gianni steigen aus.

„Da seid Ihr ja schon. Und eine Flasche vino habt ihr auch schon bestellt, fein“, begrüßt Gianni die beiden Wartenden am Tisch.

„Hallo Luigi, ciao Guiseppe, mein Sohn“, Andrea Scirelli umarmt die beiden Männer.

„Schön, dass wir uns treffen. In letzter Zeit haben wir die Familientreffen etwas vernachlässigt.“

„Das stimmt – wir haben halt alle viel um die Ohren“, meint Luigi.

Andrea schenkt allen Wein ein und richtet das Wort an seinen Sohn.

„Nun, Guiseppe, was hat Dich dazu bewogen, uns vier hier zusammenkommen zu lassen?“

„Es ist leider kein schöner Anlass, der uns hier zusammenführt.“

„Was ist passiert, ragazzino?“, fragt Gianni.

„Onkel, nenn' mich bitte nicht mehr kleiner Junge, ja?!“

„Ist in Ordnung, Guiseppe, die Zeit vergeht so schnell, ich sehe Dich immer noch als kleinen Jungen vor mir.“

„Nun mal los, Guiseppe. Worum geht es?“, mischt sich Andrea ein.

„Francesca hat einen Anruf aus Deutschland erhalten. Clarissas Schwangerschaft bereitet Komplikationen.“

„Nein!“, ruft Luigi entsetzt. „Wie schlimm ist es?“

„Das weiß ich noch nicht genau, ich habe nur kurz mit Tante Francesca gesprochen. Bevor ich Näheres erfrage, wollte ich zuerst mit Euch reden.“

„Worüber denn, Guiseppe?“ fragt Gianni

„Nun, darüber, dass das Kind möglicherweise behindert zur Welt kommt.“

„Das ist ja furchtbar“, Andrea senkt das Haupt.

„Ja, das ist es. Nicht nur für das Kind, sondern auch für die Famiglia.“

„Du meinst den Familienstolz, Guiseppe, nicht wahr?“

„Sicher meine ich den. Ihr wisst wie ich, dass es mit dem Ruf und dem Ansehen der Famiglia nicht vereinbar ist, ein behindertes Kind aufzunehmen.“

„Das war vielleicht vor zehn, fünfzehn Jahren mal so, Guiseppe“, wendet Luigi ein. „Aber heute?“

„Da liegst Du falsch, Luigi. Ein Kollege gehört zum Clan der Mazzeolis. Ich habe zufällig ein Telefonat von Alessandro Mazzeoli mitangehört. Auch die Famiglia Mazzzeoli sollte vor ein paar Monaten Nachwuchs bekommen, ein Mädchen, das geistig schwerstbehindert gewesen wäre.“

„Sollte..., gewesen wäre...?!“, wundert sich Gianni.

„Ja, Onkel Gianni. Die Mazzeolis haben sich dafür entschieden, dem Kind ein solches Leben zu ersparen.“

„Sie haben es abgetrieben?“

„Genau.“

„Das ist ja schrecklich!“, Luigi schüttelt den Kopf.

„Aber vielleicht besser so“, wirft Guiseppe ein.

„Mein Sohn, ich glaube nicht, was Du da sagst. Meinst Du etwa, das Kind von Clarissa und Werner sollte niemals das Licht der Welt erblicken?“

„Genau. Denkt an die Famiglia.“

„Guiseppe, wir haben in den Jahren nach dem Krieg viel erreicht. Heute sind wir eine Familie von hohem Ansehen. Wir haben Macht, Geld und Einfluss. Auch, weil wir uns manchmal am Rande der Legalität bewegt haben. Aber Mord? Nein, damit hatte unsere Familie nie etwas zu tun. Und das soll auch so bleiben“, Antonio wird laut.

„Aber Papa, das ist doch kein Mord. Wir tun sowohl den Eltern als auch dem Kind doch einen Gefallen. Was ist das denn für ein Leben mit Behinderung? Und außerdem: Denkt alle an unser Ansehen! Es ist ein Zeichen von Schwäche, ein behindertes Kind in der Familie zu haben, das wisst ihr!“

„Sicher wissen wir das, ragazzino. Aber ich pflichte Deinem Vater bei: Mit so etwas wollen wir nichts zu tun haben!“, vertritt auch Gianni den Standpunkt seines Bruders.

Guiseppe springt von seinem Stuhl auf.

„Und Du, Luigi? Vertrittst Du auch die Meinung der älteren Herren hier am Tisch?“

„Ich kann Dich verstehen, Guiseppe. Aber es muss doch auch eine andere Lösung geben.“

„Gibt es die, ja?“, „Cameriera, bitte noch eine Flasche Wein für die Herren.“. „Ihr könnt ja noch ein wenig über die Alternativen nachdenken. Vielleicht kommt ihr doch noch zur Vernunft. Der Abend geht auf mich!“

Guiseppe knallt ein Bündel Geldscheine auf den Holztisch und verlässt das Cafe.

24

Paul Schmitz macht sich nach dem Treffen mit seinem Bruder Werner große Sogen. Ihm ist bewusst, wie sehr sich Clarissa auf das Baby gefreut hat und dass es sie ungemein treffen würde, käme der Nachwuchs behindert zur Welt.

Paul selbst weiß, bedingt durch seine Kriegsverletzung, in deren Folge ihm ein Beim amputiert werden musste, nur zu genau, was es heißt, ein Handicap zu haben.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat er sich mit seinem „neuen Leben“ als Beamter arrangiert.

Sicher, er wäre viel lieber weiterhin als reisender Verkäufer durch die Lande gezogen, war doch ein Bürojob eigentlich nie das, was er angestrebt hatte. Aber das Schicksal hat es anders gewollt.

Und die Vorteile des Beamtentums, den pünktlichen Feierabend, die finanzielle Absicherung und den krisensicheren Arbeitsplatz, weiß Paul Schmitz mittlerweile durchaus zu schätzen.

Privat indes läuft es weniger gut. Pauls Ehe funktioniert mehr schlecht als recht, auch, weil sich seine Frau Hedwig in den Kriegsjahren verändert hat. Sie hat mehrere Familienmitglieder im Krieg verloren und ist in der Nachkriegszeit nicht mehr dieselbe, die sie vorher war.

Hedwig Schmitz hat durch die Kriegseindrücke einen Großteil ihrer Lebensfreude verloren. Vor allem aber hat sie sich entschieden, entgegen der ursprünglichen Lebensplanung keine Kinder zu bekommen. In eine Welt wie diese, so betont sie immer wieder, in der jahrelange Kriege mit unzählbaren Toten möglich sind, solle man keine Kinder setzen.

Paul hofft zunächst, dass sich die Verstimmung seiner Frau mit der Zeit wieder legen werde, aber auch gute fünfzehn Jahre nach Kriegsende noch ist Hedwig nicht mehr die Alte geworden.

Das Paar streitet sich zusehends öfter, und dies nicht nur wegen der differierenden weiteren Lebensplanung.

Paul ist mittlerweile Ende dreißig, will er noch eine Familie gründen, wird es Zeit.

Wie sehr hat er seinen Bruder um das Glück mit Clarissa und die Vorfreude auf das Baby beneidet. Und jetzt diese schlimme Nachricht.

Paul Schmitz beschließt, für ein paar Tage alleine zum Angeln zu fahren, um den Kopf frei zu kriegen. Die Sorgen um Clarissas Kind, seine eigenen Eheprobleme.

Erst einmal raus, denkt er sich, und macht sich auf zu einem verlängerten Angelwochenende in die Eifel, an den Laacher See. Er hat mittlerweile eine Prothese, Autofahren und Laufen ohne Krücken – beides stellt kaum noch ein Problem für ihn dar.

Während der Fahrt ist Paul sehr unruhig, viele Gedanken schießen ihm durch den Kopf und er kann es kaum erwarten, endlich beim Angeln abzuschalten.

Eigentlich angelt Paul Schmitz lieber am Meer, da er nur ein paar Tage Urlaub hat, waren ihm die 320 Kilometer an die holländische Nordseeküste jedoch zu weit. In die malerische Eifel sind es nur gut 80 Kilometer und auch dort in den Maarseen kann man nicht nur prächtig fischen, sondern es gibt auch sonst so einiges zu sehen.

Über 50 Seen gibt es in der Eifelregion, darunter zahlreiche Stauseen, und natürlich die berühmten Maare mit vulkanischer Entstehungsgeschichte, alle umgeben von wunderbaren Naturlandschaften (31).

Der Laacher See liegt im Osten der Vulkaneifel bei Andernach und befindet sich in der Nähe der Benediktinerabtei Maria Laach. Der See ist mit einer Fläche von rund 3,3 km² und einem Umfang von ca. 7300 m der Größte in Rheinland-Pfalz. Die Wassertiefe beträgt ca. 53 m. Vor etwa 11.000 Jahren erfolgte der letzte Ausbruch des Maria Laach Vulkans. (32).

Paul Schmitz hat ein Zimmer in einer kleinen Pension unweit des Laacher Sees gemietet. Nichts Besonderes, Bett, Stuhl und Tisch, ein kleiner Kleiderschrank. Aber Paul hat ohnehin nicht vor, abgesehen von den Nachtstunden Zeit auf dem Zimmer zu verbringen.

Den ersten Nachmittag am See kann er kaum genießen. Nicht, dass er kaum einen Fisch fängt, sondern die Probleme in Köln sind es, die ihn nicht zur Ruhe kommen lassen.

Kann man Clarissa nicht irgendwie helfen?

Macht es Sinn, seine Ehe weiterzuführen?

Diese Fragen stellt er sich in den nächsten Tagen wieder und wieder – mit unterschiedlichem Erfolg.

Was seine Schwägerin betrifft, ist er ratlos. Im Hinblick auf seine Ehe reift in Paul Schmitz immer mehr die Überzeugung, dass er sich von seiner Frau gütlich trennen sollte.

Der Krieg hat andere Menschen aus seiner Gattin und ihm gemacht – andere Menschen, die nicht mehr so zueinander passen, wie dies vor der großen Völkerschlacht noch der Fall gewesen war.

25

Clarissa Schmitz erholt sich schnell vom Schock dessen, was Dr. Freudenberg auf seinem Ultraschallgerät zu sehen geglaubt hat. Sie ist ein aktiver, ein tatkräftiger Mensch und fest entschlossen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit das Baby gesund zur Welt kommt.

Und selbst wenn das Kind behindert sein sollte: Es ist ihr Baby und sie wird es mit aller nur erdenklichen Liebe großziehen.

Die ersten Möbel für das Kinderzimmer sind geliefert worden, eine Woche früher als angekündigt, sodass das Zimmer noch nicht tapeziert ist.

Clarissa ist handwerklich sehr begabt, es gibt kaum etwas in der Wohnung, was sie nicht selbst in Angriff nimmt.

Sie hat gerade den Tapeziertisch aufgestellt, als das Telefon klingelt.

„Hallo Clarissa, hier ist Guiseppe aus Bella Italia.“

Clarissa ist baff erstaunt, hat sie doch seit langer Zeit nichts mehr von der Verwandtschaft aus Italien gehört.

„Guiseppe, welch' eine Überraschung. Wie lange haben wir wohl nichts voneinander gehört?“

„Beinahe eine Ewigkeit.“

„In jedem Fall viel zu lange!“

„Ich habe von den Problemen in Deiner Schwangerschaft gehört. Das tut mir unendlich leid.“

„Danke, Guiseppe. Da hilft wohl nur warten – und beten.“

„Beten solltest Du, aber warten? Du musst die besten Ärzte aufsuchen, Dich nach neuen Untersuchungsmethoden und Medikamenten erkundigen. Vielleicht gibt es etwas, das dem Kind helfen kann.“

„An der Universitätsklinik hier in Köln sind schon richtige Experten, das kannst Du mir glauben.“

„Sicher, aber was Du brauchst, ist kein Experte, sondern ein Spezialist. Einer, der sich genau mit dem Problem auskennt, das Du hast.“

„Und woher soll ich den nehmen, Guiseppe?“

„Bei uns in Italien, am altehrwürdigen Santa Maria Nuova in Firenze, gibt es einen Arzt, der einen sehr guten Ruf hat, gerade, was Probleme im Mutterleib angeht. Er hat schon viele Risikokinder auf die Welt geholt und schon einige problematische Geburten gemeistert.“

„Meinst Du wirklich, der Dottore weiß mehr als unsere Ärzte in Deutschland?“

„Gut möglich, Clarissa. Ich würde es in jedem Fall versuchen. Ich kenne einen Kollegen von Dr. Baldini aus der gemeinsamen Schulzeit. Er arbeitet im gleichen Ospedale, ich könnte da was arrangieren.“

„Wirklich? Oh, Danke, Guiseppe, Danke! Ich werde heute Abend direkt mit Werner darüber reden.“

„Mach' das, Clarissa. Wir hören voneinander. Und: Kopf hoch, das wird schon!“

„Tausend Dank, Guiseppe!“

Clarissas Puls jagt, ihr Herz klopft bis zum Hals. Sie setzt sich auf einen Stuhl, streichelt sich über den Bauch und sagt:

„Wir kriegen das schon hin, bambino mio, Du kommst gesund zur Welt.“

286,32 ₽
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411 стр. 2 иллюстрации
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9783754170120
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