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Bis Anfang der 1970er Jahre wächst die Zahl der nach Deutschland kommenden Gastarbeiter weiter an.

Das Konzept besteht ursprünglich darin, überwiegend junge Männer aus rückständigen Regionen zu rekrutieren und sie befristet zu den vergleichsweise hohen deutschen Löhnen arbeiten zu lassen. Anschließend würden sie als die sprichwörtlichen gemachten Männer in ihre Heimat zurückkehren.

Wenngleich viele nach Ablauf ihres Vertrages heimkehren, nimmt die Zahl derjenigen zu, die bleiben. Sie holen ihre Familien nach Deutschland.

Für einen wachsenden Anteil der Arbeitseinwanderer steht eine kurzfristige Rückkehr in die Heimat nicht mehr auf der Tagesordnung.

Auch und nicht zuletzt, weil die Gastarbeiter in Deutschland überproportional gut verdienen.

Ihre Erwerbsquote liegt daher deutlich über und ihre Arbeitslosenquote unter dem deutschen Durchschnitt.

Mit Bezug auf die Entlohnung ist es für die Gastarbeiter in den 1960ern von Vorteil, dass sie überproportional häufig in Großbetrieben beschäftigt sind, welche üblicherweise höhere Stundenlöhne zahlen als Kleinbetriebe. Das liegt daran, dass die Gastarbeiter vor allem in Branchen wie zum Beispiel der Eisen- und Metallerzeugung, dem Bergbau und der chemischen Industrie beschäftigt sind, welche von Großbetrieben dominiert sind (23).

Auch Borna Krupcic profitiert von den guten Löhnen bei Ford, Monat für Monat kann er einen beträchtlichen Betrag zurücklegen. Was die Zukunft für sich und seine Familie betrifft, kann er es sich mittlerweile durchaus vorstellen, in Deutschland sesshaft zu werden.

Wenngleich die Illusion, eines Tages zurückzukehren, bei ihm, wie bei vielen anderen Gastarbeitern auch, wach bleibt, sucht er bereits nach kurzer Zeit ein Zuhause und zieht schließlich aus der Gastarbeiterbaracke in eine Wohnung nach Köln-Chorweiler.

Nach und nach richtet er sein neues Heim ein und hat dabei immer im Hinterkopf, dass seine Familie bald zu ihm zieht.

Noch bleiben ihm nur die Telefonate nach Jugoslawien.

„Hallo Papa, was gibt es Neues in der Heimat?“

„Hier wird im Moment viel gebaut, Du würdest unser Viertel kaum wiedererkennen.“

„Na, so schlimm wird es wohl nicht sein.“

„Gut, das war vielleicht ein bisschen übertrieben. Aber es tut sich was in der Heimat.“

„Das muss es auch.“

„Tante Dunja kommt die Tage zu Besuch. Wir haben ihr Dein Zimmer hergerichtet.“

„Ihr habt mich wohl schon vergessen, was?! Das ging aber schnell.“, lacht Borna.

„Aus den Augen, aus dem Sinn...“

„Ja, ja. Ich habe meine Wohnung schon ein wenig eingerichtet und mir einige kleine Möbel gekauft. Zum Teil auch gebrauchte Stücke von einem Kollegen, der nach Jugoslawien zurückgegangen ist.“

„Schön.“

„Trotzdem – Ihr fehlt mir alle so, Papa.“

„Du fehlst uns auch, Junge. Deine Frau schläft schon, soll ich sie wecken?“

„Nein, lass mal. Ich habe gestern kurz mit ihr telefoniert, als Du unterwegs warst.“

„Ja, ich weiß.“

„Ich werde jetzt auch ins Bett gehen, morgen um 04:30 klingelt der Wecker.“

„Ich wünsche Dir eine gute Nacht, mein Sohn.“

„Danke Papa. Laku noc.“

10

Alfredo Bugno sitzt im Speisesaal der Casa di Cura. Zwölf Uhr, Mittagessen. Eine kleine Minestrone, dann Spaghetti all' arrabiata, als Dessert ein Erdbeereis.

Mit dem Essen im Pflegeheim ist er durchaus zufrieden. Auch die Arbeit in der Behindertenwerkstatt macht ihm Spaß.

Mit seiner Tätigkeit bei Fiat zwar nicht zu vergleichen, aber immerhin ist er weiter handwerklich tätig.

Er repariert Fahrräder aus dem Fundus des Heims, wird auch bei Reparaturen im Heimgebäude ab und an miteingebunden und entwickelt sich im Laufe der Monate quasi zum „Hausmeister“ des Heims. Alfredos vielfältige handwerkliche Fähigkeiten werden durchaus geschätzt.

Die Tics, die ihn immer häufiger heimsuchen, fallen hier nicht weiter ins Gewicht, dass er infolge der Zuckungen länger für seine Arbeit braucht, ist in der Werkstatt des Heims egal.

Die Umstände seines Umzugs ins Pflegeheim hat Alfredo Bugno noch keinesfalls überwunden.

Er hat die letzten Monate so erlebt, als wäre ihm der Boden unter den Füßen weggezogen worden.

Seinen Arbeitsplatz bei Fiat hat er verloren. Hatte sein Chef, Mario Stroppa, nach Ausbruch der Erkrankung nicht mehrmals betont, dass er Möglichkeiten sieht, ihn anderweitig in der Firma einzusetzen? Was hat Stroppa wohl zum Umdenken bewegt?

Alfredos Vermieter hat wie aus heiterem Himmel Eigenbedarf angemeldet und ihm die Wohnung gekündigt. Obwohl der Mann mehrere Mehrparteien-Miethäuser besitzt. Sehr ungewöhnlich, denkt sich Alfredo.

Dass Guiseppe Scirellis hinter all' dem steckt, ahnt Alfredo Bugno nicht einmal.

Dieser hat ganze Arbeit geleistet. Als bei seinem Cousin das Tourette-Syndrom diagnostiziert wird, setzt er alle Hebel in Bewegung, den jungen Mann aus dem öffentlichen Leben zu entfernen.

Nachdem er Fiat-Fertigungsleiter Mario Stroppa unmissverständlich klar gemacht hat, dass er seinem Cousin die Kündigung auszusprechen hat, setzt er Alfredos Vermieter unter Druck, indem er ihm damit droht, sämtliche Objekte, die er besitzt, im Hinblick auf Beschädigungen und Sicherheitsrisiken zu kontrollieren.

Beide beugen sich der Macht des Scirelli-Clans und funktionieren so, wie es in Guiseppes perfiden Plan passt.

Alfredo Bugno wird das Ansehen, wird den Ruf der Famiglia nicht beschmutzen.

11

Werner Schmitz nimmt der Aufbau der neuen Sportredaktion sehr in Anspruch. Er führt viele Gespräche, ist sehr akribisch in der Auswahl seiner potenziellen Mitarbeiter.

Trotzdem bleibt die Zeit, sich intensiv um eine Wohnung für seine neue, junge Bekanntschaft und deren Vater zu kümmern.

Er beschränkt sich dabei auf Objekte in den westlichen Stadtteilen Köln – schließlich wohnt er in Ehrenfeld und wer weiß: Vielleicht wird es sich ja irgendwann als praktisch erweisen, dass Clarissa Kramer in einem angrenzenden Stadtteil lebt...

Dank der Kontakte des aufstrebenden Journalisten ist schon bald etwas Passendes für die Kramers gefunden: eine schöne Zweizimmerwohnung in der Piusstrasse in Köln-Lindenthal. Eine Genossenschaftswohnung zwar, die eigentlich nur die Mitglieder der Genossenschaft mit preisgünstigem Wohnraum versorgen soll, aber der kölsche Klüngel ist in den 60er Jahren in der Domstadt allgegenwärtig.

Für alle Nicht-Kölner: Als Kölner Klüngel, Kölscher Klüngel oder einfach Klüngel wird in Köln ein System auf Gegenseitigkeit beruhender Hilfeleistungen und Gefälligkeiten bezeichnet.

"Man kennt sich und man hilft sich." So definierte der ehemalige Bundeskanzler und Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer den kölschen Klüngel (24).

Der Begriff Klüngel ist im Kölner Raum durchaus positiv besetzt, im Sinne von "eine Hand wäscht die andere", über Beziehungen verfügen oder "vernetzt" sein.

Werner Schmitz jedenfalls ist in den 60er Jahren in Köln bestens vernetzt: Ein Anruf bei der richtigen Stelle und er kann Horst und Clarissa Kramer die freudige Nachricht überbringen. Zwei Monate Wartezeit nehmen die Kramers für die günstige wie gemütliche Wohnung gern in Kauf.

Nachdem das Wohnungsproblem gelöst ist, intensivieren Werner und Clarissa ihren Kontakt. Sie treffen sich regelmäßig, er nimmt sie mit auf diverse Sportveranstaltungen, zunehmend wird Clarissa auch Werners Begleitung bei gesellschaftlichen Anlässen.

Werner lebt noch in einem kleinen Appartement in der Lichtstraße, einem alten Arbeiterviertel in Ehrenfeld, im Nebenhaus seines Elternhauses.

Er hat sich nach dem Krieg vornehmlich um seine Karriere als Journalist gekümmert und genießt darüber hinaus nach wie vor die Kochkünste seiner Mutter im Nebenhaus, die ihm auch die Wäsche macht. Als er diese einmal mehr in einem großen Kopfkissenbezug abholt, stellt ihn Mutter Elsa zur Rede.

„Und, hast Du das Mädchen von der Domplatte wiedergesehen?“

„Clarissa? Aber ja doch!“

„Das freut mich. Du wirst auch nicht jünger und so langsam wird es Zeit, dass Du mal mit einer jungen Dame sesshaft wirst. Oder willst Du ewig in dem kleinen Appartement neben Deinen Eltern wohnen bleiben?“

„Wollt ihr mich loswerden?“

„Aber nein, das weißt Du doch. Nur, jetzt, wo Du einen sicheren Arbeitsplatz hast und gutes Geld verdienst, denk' doch auch einmal an Dein Privatleben.“

„Das tue ich, Mama. Und gerade in den letzten Wochen umso mehr.“

„Wegen Clarissa?“

„Sei nicht so neugierig, Mama.“

12

Als Borna Krupcic in Novisad aus dem Zug steigt, staunt er nicht schlecht: Beinahe die gesamte Familie erwartet ihn. Sicher, mit seinen Eltern, seinen Geschwistern und natürlich mit seiner Ana und den zwei Kindern war zu rechnen. Aber dass auch seine Tanten, Onkel Cousins und Cousinen samt ihren Familien nahezu komplett erschienen sind, um ihn zu begrüßen, lässt Borna Krupcic beinahe die Fassung verlieren. Er weint hemmungslos, nimmt einen nach dem anderen in den Arm und hat Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. „Zahvaliti“, „Danke.“ schluchzt er mehrmals.

Bornas Eltern haben den Hinterhof ihres kleinen Häuschens bunt geschmückt, das Radio spielt heimische Musik, aus der Küche riecht es herrlich nach regionalen Köstlichkeiten.

Nach und nach gesellen sich auch Nachbarn zu der feiernden Familie, es wird ein langer Abend.

„Borna, erzähl' doch mal, wie es Dir so ergangen ist“, ergreift Zlatko, ein guter Freund Bornas, das Wort.

„Wo soll ich anfangen, Zlatko? Es sind so viele neue Erfahrungen, so viele neue Menschen, die ich kennengelernt habe.“

„Und die Arbeit?“, fragt ein Freund der Familie.

„Ich arbeite bei Ford, einem großen Werk in Köln. Jeden Tag bis zu zehn Stunden. Schichtdienst, mal fange ich früh an, mal spät. Ich bin da in der Fertigung beschäftigt, ich montiere Autoteile. Man muss dort sehr schnell arbeiten, das kannte ich bisher nicht. Ich habe mich aber ganz gut daran gewöhnt mittlerweile.“

„Und wie gefällt Dir die Stadt?“, möchte ein anderer Gast der Krupcics wissen.

„Die Stadt...wie soll ich sagen, irgendwie besonders ist sie. Die Leute sind sehr offen und es wird viel gelacht. Man feiert auch viel. Und an Karneval...“

„An was ?!“ fragt Zlatko.

„Karneval. Das ist ein Fest in Köln, einmal im Jahr, meistens im Februar. Da verkleiden sich die Leute und ziehen durch die Straßen, sechs Tage lang!“

„Warum machen die das?“

„Das weiß ich auch nicht, aber die ganze Stadt feiert diesen Karneval sehr ausgiebig, Jahr für Jahr.“

„Und wie hältst Du es ohne Dein geliebtes pivo aus? Ozujsko wirst Du ja in Deutschland kaum bekommen...“

„Wisst Ihr, es ist mir beinahe unangenehm, es so deutlich zu sagen, aber in Köln gibt es ein Bier … dafür lasse ich selbst mein Ozujsko stehen.“

„Nicht Dein Ernst?!“ echauffiert sich Onkel Nenad.

„Es nennt sich Kölsch und man trinkt es aus kleinen Gläsern.“

„Kleine Gläser?“

„Ja, nicht mal die Hälfte von unseren Gläsern.“

„Hahaha, Borna, bestellst Du dann immer drei auf einmal?“, Onkel Nenad gibt keine Ruhe.

„Lacht Ihr nur, Ihr wisst nicht, was Ihr verpasst. Ich bringe nächstes Mal, wenn ich heimkomme, ein paar Flaschen mit, wenn ich mit Filip Krastic im Auto statt mit dem Zug fahre, vielleicht sogar ein „Pittermännchen.“

„Ein was?!“ rufen gleich mehrere Zuhörer aus.

„Ein Pittermännchen. Ein Zehnliterfass Kölsch.“

„Und warum heißt das so?“

„Keine Ahnung. Aber auch das werde ich bestimmt noch erfahren.“

Es ist spät geworden auf dem Hinterhof der Krupcics.

Borna geht in die Küche und hilft seiner Frau beim Aufräumen.

So gut Borna die überraschende Feier anlässlich seiner Rückkehr auch gefallen hat – endlich ist er mit Ana allein.

Er umarmt seine Frau mit Inbrunst, welche dieser ein leises „Aua“ entlockt.

„Wie habe ich das vermisst.“

„Und ich erst.“

„Sobald es den Kleinen zuzumuten ist, kommt ihr nach.“

„Ja, aber lass' sie erst einmal in ihrem gewohnten Umfeld ein bisschen größer werden.“

„Natürlich, das haben wir ja so abgesprochen.“

Borna küsst seine Frau leidenschaftlich und freut sich auf die bevorstehende Nacht im Ehebett.

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Francesca Tardea, ältere Schwester von Amanda, reist alleine zur Beerdigung Amandas an.

Der Rest der Familie bleibt in Italien – auch aus Trotz. Die Famiglia war wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass Amanda in der Heimat ihre letzte Ruhe finden soll, doch Horst Kramer hat sich anders entschieden.

Der Kontakt Francescas zu ihrer Schwester hatte sich über die Jahre zunehmend reduziert. Seit Amanda in Deutschland lebte, telefonierten die beiden höchstens einmal im Monat miteinander, ab und an schrieben sie sich einen längeren Brief.

Dass Francescas Schwester Italien für immer verlassen hat, konnten viele Mitglieder der Familie nicht verstehen.

Der Clan der Scirellis und Tardeas ist wohlhabend, in Norditalien hoch angesehen, man verfügt über Grundbesitz und viele Familienmitglieder arbeiten in bedeutenden Positionen in Politik und Wirtschaft.

Trotzdem hat sich Francescas Schwester Amanda dafür entschieden, ihr Leben an der Seite Ihres Mannes in Köln zu verbringen.

Horst Kramer ist Inhaber eines Malereibetriebes, eines kleinen Familienbetriebes, gegründet von seinem Vater Friedrich. Er ist der einzige männliche Nachkomme Friedrich Kramers und bringt es nicht über das Herz, den Betrieb aufzugeben und seine Heimatstadt zu verlassen.

Der Melaten-Friedhof ist der Zentralfriedhof von Köln. Er liegt im Stadtbezirk Köln-Lindenthal.

Der „hoff to Malatan“, der 1243 erstmals urkundlich erwähnt wird, ist ursprünglich ein Heim für Kranke und Aussätzige, Am 29. Juni 1810 weiht der Dompfarrer Michael Joseph DuMont den Melaten-Friedhof ein. Das erste Begräbnis findet hier am 1. Juli 1810 statt (25).

Francesca Tardea steht nach der Beisetzung noch eine Weile am Grab ihrer Schwester. Sie möchte allein von ihr Abschied nehmen und hat die Einladung Horst Kramers zum obligatorischen Trauerkaffee nach der Beerdigung abgelehnt.

Gesenkten Hauptes betet Francesca für die verstorbene Schwester. Sie muss an gemeinsame Kindheitserinnerungen denken, an die Urlaube am Lago di Garda oder auf dem Bauernhof, an manche Streiterei um Nichtigkeiten, an die ersten Männerbekanntschaften, die beide machten.

Amanda war erst 57 Jahre alt – kein Alter zum Sterben eigentlich.

Behutsam legt Francesa Tardea eine Gerbera, Amandas Lieblingsblume, auf das frische Grab.

„Dio ti benedica. Gott segne Dich“, verabschiedet sich Francesca ein letztes Mal von ihrer Schwester.

14

Werner Schmitz hat die Sportredaktion der Kölnischen Umschau neu strukturiert. Zunehmend etablieren sich in der Nachkriegszeit Fußball- und andere Sportvereine in Köln und Umgebung, das Ausmaß der Sportberichterstattung wächst stetig.

Jetzt, wo die Zeitung neue Mitarbeiter eingestellt hat, hat Werner endlich die Zeit, sich auch um sein Privatleben zu kümmern, und hier vor allen Dingen um seine „Domplattenbekanntschaft“ Clarissa.

Die beiden unternehmen viel zusammen, kommen sich schließlich näher und genießen ihr noch junges Glück.

Clarissa interessiert sich durchaus für Sport, Werner freut es sehr, auf seinen Besuchen von Fußballspielen, Boxkämpfen und anderen Sportereignissen eine attraktive, interessierte und durchaus kompetente Begleiterin präsentieren zu können.

Der beträchtliche Altersunterschied von gut zwanzig Jahren macht beiden nichts aus. Clarissa hat reife Männer schon immer interessant gefunden und Werner fühlt sich lange noch nicht so alt, wie es ihm sein Personalausweis glauben machen will.

Horst Kramer sieht die Beziehung seiner jüngeren Tochter zum Zeitungsmann mit gemischten Gefühlen. Einerseits freut er sich für seine Tochter, andererseits befürchtet er, dass Clarissa mit Werner zusammenziehen könnte. Alleine zu leben kann er sich nach dem Tod seiner Frau Amanda kaum vorstellen. An den Wochenenden sieht Horst Kramer seine Tochter ohnehin kaum noch, weil sie ständig mit ihrem neuen Freund auf Sportveranstaltungen unterwegs ist. Schon dieser Verzicht fällt ihm schwer.

Zumal Horst Kramer auch seine ältere Tochter Antonella kaum noch einmal zu Gesicht bekommt.

Auch diese hat ihr Glück in Köln gefunden.

Antonella Kramer hat stets konkrete Vorstellungen, ihren künftigen Ehemann betreffend, gehabt: Gut betucht sollte er sein, eine repräsentative Stellung in der Gesellschaft innehaben, zu den 'oberen zehntausend' gehören.

In einem Cafe in der Innenstadt trifft sie schließlich eines Tages auf den windigen Vertreter Bernhard. Eigentlich ist der so ganz anders als es Antonella vorschwebt, Ruf und Ansehen sind ihm nicht wichtig. Bernhard ist eher der Typ Lebemann, gibt nichts auf Etiketten, ein bisschen Abenteurer, ein klein wenig Rebell. Nicht unbedingt der Typ Mann, der einem eine sichere Zukunft verspricht. Trotzdem heiratet Antonella Bernhard, den Bedenken ihres Vaters, der nicht allzu viel vom neuen Schwiegersohn hält, zum Trotz.

Bernhard und Antonella ziehen gemeinsam in eine Wohnung am Rathenauplatz, nur gute zwei Kilometer entfernt von der Wohnung ihrer Schwester in Braunsfeld.

Trotz der räumlichen Nähe hält sich der Kontakt der Schwestern in Grenzen. Von Kindesbeinen an stehen sich die beiden nicht sonderlich nah, zu verschieden sind ihre Wesenszüge. Während Antonella sich als gern als „Grand Dame“ präsentiert, viel Wert auf Kleidung, Kosmetika und gesellschaftliche Reputation legt, und gerne hofiert wird, ist Clarissa eher der natürliche Typ Frau, sie liebt die Natur, packt gern im Haushalt mit an, interessiert sich für Sport, liebt Hunde und Pferde und bewegt sich auch selbst viel.

Antonella versucht hin und wieder, den Kontakt der beiden ein wenig zu intensivieren. Ab und an lädt Sie ihre Schwester und deren Mann zu sich nach Hause ein. Nur selten jedoch sagt Clarissa zu.

Sie wird nicht müde, zu betonen, dass ihre Schwester und sie einfach kaum etwas gemeinsam hätten.

Und entgegen Ihrer Empfindungen und Überzeugungen zu handeln, regelmäßigen Kontakt zur Schwester nur zu halten, weil es halt ihre Schwester ist, widerstrebt Clarissa.

So leben beide ihr Leben, ohne viel vom Befinden der jeweils anderen mitzubekommen.

Schon in der elterlichen Wohnung, in der sie knappe zwanzig Jahre gemeinsam lebten, hatten sie sich wenig zu sagen. Jetzt, wo sie beide einen eigenen Haushalt führen, ist es noch weniger.

15

In Jugoslawien wird derweil der nächste Umzug ins „gelobte Land“ vorbereitet. Davor Krupcic, Bruder des sechs Jahre älteren Borna, wird gleichfalls seine Zelte in der Heimat abbrechen und dem Ruf Deutschlands nach Arbeitskräften folgen. Die Produktion im Ford-Werk Köln läuft blendend, Borna Krupcic hat sich durchaus bewährt, sodass Kurt Fröhlich, Produktionsleiter und Chef Bornas, dessen Wunsch, seinen Bruder nach Köln zu holen, nachkommt und Davor Krupcic eine Stelle anbietet.

Davor kann es kaum erwarten, mit seinem Bruder in der großen deutschen Firma zu arbeiten. Er vergöttert Borna, ist dieser doch genau so, wie er gern wäre, aber nicht ist. Groß und stark, ein guter Sportler, selbstbewusst, bei allen beliebt, beruflich erfolgreich.

Davor selbst ist eher schüchtern und zurückhaltend und hat bislang im Leben nicht viel erreicht. Er lebt mit sechsundzwanzig Jahren noch bei den Eltern, hat keine Freundin und vor kurzem den Job verloren.

Lange hat sich Davor geziert, seine Heimat zu verlassen und als Gastarbeiter in Deutschland sein Geld zu verdienen. Jetzt, wo er in der gleichen Firma wie sein Bruder arbeiten und sogar erst einmal bei diesem in der Wohnung leben darf, ist er endlich dazu bereit.

Enver Krupcic hilft seinem Sohn, die Sachen für den Umzug zu packen.

„Davor, willst Du diese Kiste mit den Büchern wirklich mitnehmen?“

„Borna hat einen Keller!“

„Denkst Du wirklich, Du findest die Zeit, zu lesen?“

„Papa...“ „Fühlt sich das für Dich nicht an, als würden wir Dich verlassen, einer nach dem anderen“.

„Ihr tut das Richtige, glaub' es mir. Das ist das Beste für Eure Zukunft.“

„Vielleicht zwei, drei Jahre, Papa, dann kommen Borna und ich zurück.“

„Ich bin mir gar nicht sicher, dass Borna zurückkehren wird.“

„Wie kommst Du darauf?“

„Er will ja Ana und die Kinder nach der Grundschule zu sich holen. Deutschland hat viel zu bieten, gerade auch für junge Menschen. Gut möglich, dass die Kinder und auch Ana am Ende gar nicht zurückwollen.“

„Aber Borna will zurück – bestimmt!

„Er hat einen guten Job bei Ford. Den gibt man nicht so einfach auf.“

„Mag sein. Aber ich – ich komme zurück, Papa. Auf jeden Fall.“

„Warts mal ab. Vielleicht gefällt Dir die Arbeit so gut, Du lernst in Deutschland auch ein Mädchen kennen und willst gar nicht mehr weg.“

„Nein, Papa. Ich komme zurück nach Hause.“

„Die Tür steht Dir jederzeit offen, mein Sohn.“

286,32 ₽
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9783754170120
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