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Читать книгу: «Zweiundsiebzig», страница 3

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5

Durch die geschlossene Bürotür drangen gedämpft die Stimmen der Mädchen, die im Vorraum miteinander redeten. Laura nahm die Handtasche aus der Schreibtischschublade und zog ein Eau de Toilette hervor. Ein paarmal sprühte sie in die Luft, dann auf ihren Hals. Der Duft war nicht billig, aber um den unangenehmen Geruch aus dem Raum zu vertreiben, war ihr jedes Mittel recht. Sie hörte die Wohnungstür ins Schloss fallen und riss die Tür zum Nebenraum auf.

Gilda sah vom Computer hoch. „Du riechst aber gut.“

„Was man von deiner Freundin leider nicht behaupten kann.“

Gilda zuckte die Achseln. „Sie sind eine große Familie und teilen sich die Waschmaschine mit den anderen Mietparteien im Haus. Diese Synthetik-Mäntel müffeln leider ziemlich schnell. Sie hat zu Schulzeiten schon so gerochen. Das kam natürlich nicht gut an bei den Mitschülern. Ich habe sie darauf angesprochen, weil ich dachte, es würde ihr das Leben in der Klasse leichter machen, wenn sie etwas dagegen unternähme. Aber sie hat gesagt, ich würde spinnen und solle mich um meinen eigenen Scheiß kümmern.“

Laura ging in die Küche, um sich Kaffee nachzuschenken. „Ihr seid merkwürdige Freundinnen. Sehr viel raue Herzlichkeit. Und die Betonung liegt auf rau“, rief sie über die Schulter.

„Wir sind keine Freundinnen. Ich habe mich nur manchmal mit ihr unterhalten oder sie gefragt, ob sie bei Gruppenarbeiten mitmachen möchte. Das ist alles. Sie war immer allein. Das hat mir leidgetan.“

Laura lehnte sich an den Türrahmen und nippte an der dampfenden Kaffeetasse. „Du bist eine Heilige. Ich hätte ihre patzige, dickfellige Art nicht lange ertragen. Und erst recht nicht den Geruch.“

„Doch, hättest du“, Gilda lächelte. „Wenn du miterlebt hättest, wie oft sie von den anderen verarscht worden ist und wie einsam sie war, dann hättest du dich auch um sie gekümmert.“

Laura nahm einen Schluck Kaffee, um sich eine Entgegnung zu sparen. Sie freute sich, dass ihre Assistentin so ein positives Bild von ihr hatte, aber sie befürchtete, dass sie es in diesem Fall nicht verdient hatte.

„Merve scheint es dir nicht zu danken.“

Gilda lachte. „Nein, tut sie nicht. Du hast recht. Ich glaube, sie verabscheut mich sogar dafür. Oft hatte ich das Gefühl, sie hat mich noch mehr gehasst als die anderen, die sie jeden Tag geärgert haben. Bei denen hatte sie wenigstens einen Grund, auf sie sauer sein zu können. Ich bot ihr keine Angriffsfläche. Im Übrigen riecht sie nicht so schlimm. Du hast nur deine empfindlichen Tage, an denen du an allem herumschnupperst wie ein Hund, der einen Knochen wittert.“

Laura lachte. „Habe ich? Ist mir gar nicht aufgefallen.“ Aber es stimmte. Sie war wieder in der Phase, in der sie abgestandenes Blumenwasser quer durch die Wohnung riechen konnte, menschliche Ausdünstungen schon von weitem wahrnahm und positiv auf bestimmte Rasierwasser reagierte. Daher wohl auch die Lust, sich wieder ins Nachtleben in Köln zu stürzen und möglicherweise ein Abenteuer zu riskieren. Hormone. Fruchtbare Tage. Gut, sich dessen bewusst zu sein, dann konnte man gegensteuern. Wenn man wollte.

„Was ist mit Yasin? Kennst du ihn näher? Warum ist er wohl verschwunden?“

„Nein, ich kenne ihn nur vom Sehen. Er war in der Schule zwei Klassen unter mir. Kleinere Jungs beachtet man nicht. Ich wusste nur, dass er Merves Bruder war. Dass er mich gefragt hat, ob ich mit ihm ausgehen will, lag wahrscheinlich daran, dass ich als Einzige nett zu seiner Schwester war. Aber ich war viel zu alt für ihn.“

„Manche Männer stehen auf ältere Frauen.“

„Er war damals fünfzehn. Das geht kaum als Mann durch.“

„Geschenkt. Was ist er für ein Typ?“

„Er ist ok. Eigentlich ganz süß. Sollte man nicht glauben, wenn man Merve so sieht. Immer gepflegt, gute Figur, fast ein bisschen zu schmal. Schöne Augen mit langen Wimpern. Und coole Klamotten. Nicht gerade die teuersten Marken, aber er hat ein Gefühl für Stil.“

„Das klingt nicht nach jemandem, der gemobbt wird. Wobei das ja Quatsch ist“, verbesserte sich Laura hastig, „jeder kann Mobbing-Opfer werden. Die Klugen, die Dummen, die Schönen, die Hässlichen. Das weiß ich.“

Gilda nickte. „Stimmt. Frag mich, ich kenne mich da aus. Eine Zeit lang war ich selbst Zielscheibe solcher Aktivitäten. Mobbing war an unserer Schule ganz großer Sport.“

Laura musterte das hoch aufgeschossene, grazile Mädchen mit den dunklen Bambi-Augen und dem strahlenden Lächeln.

„Doch, glaub mir, ich war auch Opfer. Was denkst du, warum ich so gut mit Computern umgehen kann? Es war eine wunderbare Möglichkeit, mich zurückzuziehen. Und mich zu wehren, wenn sie über mich in den Chatrooms herzogen. Aber es macht mir natürlich auch unheimlich viel Spaß.“

„Apropos Spaß“, hakte Laura ein, „offiziell weiß ich ja von nichts. Aber inoffiziell sage ich dir hiermit ausdrücklich: Ab jetzt gibt es keine krummen Computer-Recherche-Touren mehr. Unsere Detektei ist mittlerweile so bekannt, dass jemand auf die Idee kommen könnte, hinter uns herzuspionieren, um herauszufinden, welch genialen Schachzügen wir die spektakulären Ermittlungserfolge verdanken. Du bist nicht die Einzige, die mit dem Computer umgehen kann. Ich darf gar nicht darüber nachdenken, was passiert, wenn uns jemand auf die Schliche kommt. Das wäre ein Desaster. Für uns alle.“

Gilda nickte brav. „Ist ok. Mach dir keine Sorgen, es kommt uns keiner drauf.“

Ihr zufriedenes Lächeln gefiel Laura nicht. Trotzdem beließ sie es dabei. „Zurück zu Yasin. Du bist so andeutungsvoll. Was hast du mir bisher verschwiegen?“

„Ich denke, dass er schwul ist. Bin mir sogar ziemlich sicher. Das ist alles.“

„Das ist alles?“

„Mehr weiß ich nicht. Ich glaube, er hat mich damals nur aus Alibi-Gründen gefragt, ob ich mit ihm ausgehen möchte. Damit jeder denkt, er wäre Hetero. Er hat ein riesen Bohai darum gemacht. Seht alle her, ich habe ein Date mit einer Frau. Das hat er danach noch oft gemacht. Bestimmt, um sich seine Peiniger vom Hals zu halten. Angeblich hat er es sogar mal heimlich gefilmt, als er eine flachgelegt hat, und es überall herumgezeigt.“

„Ein Sex-Video mit einem Mädchen? Das klingt nicht sonderlich schwul. Eher nach Arschloch.“ Laura runzelte die Stirn.

„Du weißt nicht, wie sehr sie ihn davor gepiesackt haben. Es begann damit, dass sie ihn auf dem Schulhof zwingen wollten, es mit einer Klassenkameradin zu treiben. Die hat sogar freiwillig mitgemacht. So eine blöde Kuh aus seiner Stufe. Ich wollte ihm helfen, aber allein konnte ich nichts ausrichten. Sie haben mich weggeschubst, auf den Boden geworfen und da festgehalten. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie die Geschichte ausgegangen ist. Wahrscheinlich hat ihn die Schulklingel gerettet. Jedenfalls ist er noch mal davongekommen. Doch seitdem hat er sich alle Mühe gegeben, als Frauenheld aufzutreten.“

„Eigentlich unvorstellbar, dass Homosexualität ein Grund zum Mobben ist. Jedenfalls hier in der Umgebung. Köln ist direkt nebenan: Dort hat man in manchen Vierteln fast den Eindruck, dass es keine Heteros gibt.“

Gilda lachte freudlos auf. „Man merkt, dass du auf ein Gymnasium in einer guten Gegend gegangen bist. Sonst würdest du das nicht sagen. Auf meiner Realschule waren viele, die hätten mitten in Köln wohnen können, sie hätten trotzdem keine Schwulen akzeptiert. Das war ein absolutes No-Go für die. Erst recht für die muslimischen Jungs. Von denen ist sowieso keiner schwul. Das sind bloß die Ungläubigen. Haha.“

Laura stellte den leeren Kaffeebecher klirrend auf einen schmutzigen Teller im Spülbecken. „Ist das nicht ein bisschen sehr über einen Kamm geschoren? Alle Muslime sind Schwulen-Hasser? In anderen Religionen wird Homosexualität auch abgelehnt. Ich wüsste nicht, in welcher Kultur das gefeiert wird. Außer bei den alten Griechen vielleicht, da gehörte es ja fast zum guten Ton.“ Sie konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, wurde aber schnell wieder ernst. „Ich habe auch muslimische Freunde aus Schulzeiten. Die sind genauso unkompliziert und tolerant wie alle anderen Freunde. Da gibt es überhaupt keinen Unterschied. Tatsächlich müsste ich ziemlich lange überlegen, um dir sagen zu können, wer von ihnen Muslim ist und wer nicht. Religionszugehörigkeit war bei uns nie ein Thema.“

Gilda nickte. „Du hast recht. Und ich hätte das nicht verallgemeinern sollen. Aber es gab eine Gang in meiner Schule, die war total toxic. Und die hat sich auch bestimmt nicht verändert.“

„Was denkst du darüber, dass Yasin so religiös geworden ist? Und dieser Briefentwurf? Könnte es sein, dass er mit Extremisten Kontakt aufgenommen hat?“

„Ich habe keine Ahnung. Zu Schulzeiten war ihm davon nichts anzumerken. Er war nicht politisch. Und als Islamist kann ich ihn mir nicht vorstellen. Schon das Outfit würde ihm nicht gefallen, dazu ist er viel zu sehr Ästhet.“ Sie streckte die Hand mit abgespreiztem kleinen Finger aus und legte sie dann geziert auf ihr Dekolleté. „Er hat sehr auf sein Äußeres geachtet, wehe, seine Jeans bekam einen Fleck. Beim Sport immer der Letzte und wenn sich jemand das Knie aufgeschlagen hatte, kippte er gleich um, weil er kein Blut sehen konnte. Er ist bestimmt nicht zum IS gegangen, hat sich einen Rauschebart wachsen lassen, trägt einen dreckigen Kaftan und ausgetretene Schlappen, enthauptet Leute und posiert mit den blutigen Köpfen vor der Kamera.“

„Man muss ja nicht gleich übertreiben. Es gibt auch Helfer, die bei organisatorischen Sachen unterstützen, Spenden sammeln, Leute anwerben oder den Koran verteilen. Was auch immer, ich bin in der Materie nicht sonderlich bewandert. Wäre das möglich?“

Gilda zuckte die Achseln. „Wer weiß. Aber die nehmen bestimmt keinen Schwulen.“ Sie lachte, als hätte sie einen Witz gemacht.

„Jajaja“, Laura warf einen Blick auf die Armbanduhr. „Wie wäre es, wenn du den Fall übernimmst? Die Auftraggeberin ist deine Bekannte, du weißt am besten, wo man ansetzen kann, um Yasin zu finden. Falls du nicht weiterkommst, oder sich der Verdacht erhärtet, dass er ein Extremist geworden ist, müssen wir Marek mit ins Boot holen. Bei so einer heiklen Kiste gehen wir kein Risiko ein.“

6

Laura ging in ihr Büro, setzte sich an den Schreibtisch, legte die Füße hoch und schlug die erste Zeitung auf. Es war bereits Mittag, aber bislang hatte sie nicht die Zeit gefunden, die Nachrichten über den Mord in Bad Godesberg zu lesen. Am Sonntagmorgen war in der Nähe des Godesberger Bahnhofs ein Junge ermordet aufgefunden worden. Ein oder mehrere Unbekannte hatten dem Opfer in der Nacht aufgelauert und es heimtückisch aus dem Hinterhalt attackiert. Er hatte keine Chance gehabt. Nun suchte die Polizei Zeugen, die die Tat möglicherweise beobachtet hatten.

Laura spürte Unbehagen wie eine böse Vorahnung in sich heraufdämmern.

So oft war sie an dem Tatort vorbeigekommen, spät in der Nacht, oder eher am frühen Morgen, wenn sie nach einem durchtanzten Abend den letzten Zug aus Köln genommen hatte. Sie schüttelte sich. Das Opfer war ein junger Mann gewesen, keine Frau. Trotzdem nahm sie sich vor, stets etwas zu ihrer Verteidigung dabei zu haben. Ein Küchenmesser. Oder wenigstens Pfefferspray.

Die lokale Zeitung schrieb, dass es sich bei der Tat um eine Übertötung handelte. Denn auch, als es längst tot war, war noch weiter auf das Opfer eingeprügelt worden. Die Zeitung zitierte ein Mitglied der eigenen Redaktion als Experten, dass dies auf einen rauschhaften Zustand des Täters schließen lassen könnte.

No shit Sherlock.

Er führte aus, dass so ein Zustand auf Drogen zurückzuführen sein könne, möglicherweise aber auch auf übersteigerte Angst, extreme Wut oder ein durch Zurückweisung verletztes Ego. Somit könne die Tat sowohl zufällig passiert als auch eine Beziehungstat sein.

Laura seufzte und faltete die Seiten zusammen. Die Analyse hätte sie auch hingekriegt. Ohne nachzudenken.

Aber die Vorstellung, dass es eine oder mehrere Personen in Bad Godesberg gab, die zu einem Mordrausch fähig waren, war beunruhigend.

7

Es war fast Mittagszeit, als es an der Tür klingelte. Gilda angelte vom Schreibtisch aus nach der Klinke und Barbara, Lauras beste Freundin, betrat den Vorraum.

„Hi Gilda. Alles ok bei dir? Ist Laura da?“

„Ja. Sie ist in ihrem Büro.“ Gilda sprang auf, um Barbara zu begrüßen. „Wie geht es dir? Möchtest Du Kaffee? Belegte Brötchen oder ein Croissant?“

Barbara schüttelte den Kopf. „Ich habe nicht viel Zeit und bin nur auf einen Sprung vorbeigekommen, um kurz mit Laura zu sprechen. Sei mir nicht böse, ok?“

Ehe Gilda etwas erwidern konnte, stürmte Barbara in das benachbarte Büro und warf die Tür hinter sich zu. Enttäuscht sah Gilda hinter ihr her. Aus dem Nebenraum konnte sie Gemurmel hören, offensichtlich wollten die beiden Freundinnen sie bei dem Gespräch nicht dabei haben. Sie machte sich wieder an die Arbeit und starrte auf ihren Notizblock. Außer ein paar Dreiecken und Spiralen, die sie beim Nachdenken auf das Papier gekritzelt hatte, hatte sie bisher nichts zustande gebracht. Sie riss das Blatt ab, knüllte es zusammen und pfefferte es in den Papierkorb.

Wie konnte sie Yasin finden?

Der Familie einen Besuch abzustatten, war Merve nicht recht. Sie behauptete, die muslimische Gemeinschaft habe ihre eigenen Methoden, um mit Problemen fertig zu werden. Ihre Eltern würden garantiert nicht mit Gilda reden. Frühere Schulkameraden zu kontaktieren, war ebenfalls sinnlos. Yasin war schon damals nicht mit ihnen befreundet gewesen. Warum sollten sie heute wissen, wo er war? Blieben die Schreinerei, wo er seine Ausbildung machte, und sein Gebetskreis. Sie griff zum Handy und wählte Merves Nummer.

„Ja?“

„Hi, Merve, hier ist Gilda.“

„Ja?“

„Wie heißt die Firma, in der Yasin arbeitet?“

„Nemez.“

„Ok. Besitzt dein Bruder einen Computer?“

„Klar hat er einen Computer. Denkst du, wir leben hinter dem Mond?“

„Schon gut. Jetzt geh nicht gleich wieder an die Decke. Wie lautet seine E-Mail-Adresse?“

Merve nannte sie ihr, Gilda schrieb hastig mit.

„Und hat er einen Social Media Account? Also Facebook, Twitter, Snapchat oder irgendetwas in der Art?“

Merve schnaubte: „Ich weiß, was Social Media Accounts sind. Und natürlich hat er so etwas nicht. Außerdem geht dich das nichts an.“

Gilda hatte den Eindruck, dass Merve ohne ein weiteres Wort auflegen wollte. „Warte. Wo trifft sich Yasins Gebetskreis?“

„Keine Ahnung. Irgendein Café in der Nachbarschaft.“

„Wohnt ihr noch in Lannesdorf in der Nähe der Moschee?“

„Ja.“

„Und wann treffen die sich immer?“

„Weiß nicht, Mann. Drei-, viermal die Woche. Irgendwann am späten Nachmittag.“

„Kannst du mir einen Namen nennen von jemandem, der auch dorthin geht?“

„Nein. Du kriegst doch die Kohle, um das herauszufinden.“ Die Verbindung wurde unterbrochen. Gilda schaute auf das Display, Merve hatte aufgelegt.

Sie verzog den Mund und schluckte einen Fluch hinunter. Merve zahlte Geld, da war Höflichkeit anscheinend überflüssig. Die Klassenkameradin hatte ihr immer leidgetan, weil viele Mitschüler sie ignoriert oder sogar schlecht behandelt hatten. Doch mittlerweile musste man eher die Leute bedauern, die Merves Weg kreuzten.

Sie konnte wirklich gut austeilen.

8

Laura hörte die Klingel, dann eine Stimme, die ihr sehr vertraut war. Die Tür wurde aufgerissen, Barbara stürmte ins Zimmer.

„So eine Überraschung. Wieder zurück in der Heimat. Das war eine lange Tournee.“ Laura stand auf und schlängelte sich um den Schreibtisch herum.

Barbara ließ die Tasche in einen Sessel fallen und umarmte sie stürmisch.

„Holla, das nenne ich mal eine Begrüßung.“ Leicht verlegen befreite sich Laura aus der Umklammerung.

Sie trat einen Schritt zurück und begutachtete die Freundin mit zusammengekniffenen Augen. Barbara trug einen schwarzen Jumpsuit mit Spaghetti-Trägern, ein silberner Gürtel war um die Taille geschlungen. Weiße Sneakers als gewollter Stilbruch, silberne Kreolen und ein dicker Armreif komplettierten das Outfit. Doch die Freundin sah blass aus und war schmal geworden. Schatten lagen unter den Augen.

„Du siehst müde aus. War die Konzerttournee so anstrengend? Oder ist etwas passiert? Alles in Ordnung?“

„Heinolf will sich scheiden lassen“, fiel Barbara mit der Tür ins Haus und strich sich eine lockige, blonde Strähne aus der Stirn.

„Nein!“ Laura konnte sich gerade noch bremsen, herzlichen Glückwunsch zu sagen.

Sie war nie warm geworden mit dem hochnäsigen Herrn Professor, der sie bei den wenigen Malen, wo sie aufeinandergetroffen waren, nach Kräften ignoriert hatte. Es war ihr ein Rätsel, was Barbara an ihm gefunden hatte.

„Was ist passiert?“

„Er hat auf seiner Amerika-Reise eine sexy Studentin kennengelernt, die ihn anhimmelt. Das ist passiert.“

„Ok.“ Laura presste die Lippen aufeinander und überlegte, was sie als Nächstes sagen sollte.

Barbara nahm ihr die Entscheidung ab.

„Es ist in Ordnung für mich. Wir haben schon lange separate Leben geführt und waren eigentlich nur noch Freunde. Ich mache ihm keinen Vorwurf.“

„Das ist gut“, sagte Laura lahm. „Außerdem hattest du ja auch was am Laufen. Deinen Phantom-Verehrer.“

„Ja.“ Barbara hielt den Kopf gesenkt und starrte auf die kurz geschnittenen Fingernägel.

Sie hatte sich letztes Jahr in einen Mann verliebt, der sie mit kryptisch-romantischen Nachrichten bombardiert, sich ansonsten aber lange Zeit nicht zu erkennen gegeben hatte. Er war in den zweiten großen Fall der Detektei Peters verwickelt gewesen und die Romanze hätte Barbara fast das Leben gekostet. Es hatte lange gedauert, bis sie wieder auf die Beine gekommen war. Die Freundinnen hatten das Thema seitdem nicht mehr angesprochen, obwohl es immer wie ein Elefant im Raum stand.

„Wie geht es jetzt weiter? Ziehst du aus?“

„Nein, Heinolf geht in die USA. Er hat einen Lehrstuhl an einer renommierten Uni angeboten bekommen und fängt nach den Sommerferien an. Ich bleibe in der Wohnung. Oder ich suche mir etwas Neues, für eine Person ist sie ganz schön groß. Andererseits beschwert sich bei mir im Haus niemand, wenn ich Klavier übe. Und der Flügel braucht viel Platz. Ich weiß es noch nicht. Hat ja keine Eile.“

„Und du bist wirklich ok?“

Barbara nickte. „Ja, kein Problem. Etwas ungewohnt vielleicht, schließlich waren wir ein paar Jahre zusammen.“

„Kennst du seine Neue?“ Laura konnte ihre Neugier nicht zügeln.

„Ich habe sie kurz getroffen. Sie ist gerade zu Besuch in Bonn und die beiden machen die Tour durch die Universität und unseren Bekanntenkreis. Ein nettes Mädchen, sehr hübsch. Amerikanisch eben. Zahnpasta-Lächeln, braun gebrannt, exaltiert, selbstbewusst. So ein Beach-Girl. Und sehr viel jünger als er.“

„Das bist du auch.“

„Ja, aber sie ist noch viel jünger. Es war seltsam für mich, die beiden zusammen zu sehen. Sie wirkten wie Vater und Tochter.“

„Phantomas war auch wesentlich jünger als du. Da hat es dich nicht gestört.“ Laura hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Warum spielte sie ständig auf Barbaras Affäre an? Sie war doch froh, dass das vorbei war. Und warum verteidigte sie Heinolf?

„Findest du? So wild ist der Altersunterschied doch nicht.“

Dass Barbara im Präsens sprach, fiel beiden gleichzeitig auf. Mit großen Augen starrten sie sich an.

„Du hast noch Kontakt.“

Barbara zuckte mit den Schultern und wich Lauras Blick aus.

„Bist du völlig verrückt geworden? Nach ihm wird überall gefahndet. Wahrscheinlich wird dein Telefon überwacht, um ihn aufzuspüren. Die Polizei wird es nicht lustig finden, wenn sie spitzkriegt, dass du einen Kriminellen schützt. Und was glaubst du, wie sich die Zeitungen drauf stürzen werden, wenn die herausfinden, mit wem du ein Verhältnis hast? Du bist eine bekannte Pianistin.“

„So berühmt bin ich nicht. Und wir passen auf. Mach dir keine Gedanken. Das kommt nicht raus.“

„Selbst wenn du einfach nur Lieschen Müller wärest, eine Affäre mit einem international gesuchten Mafioso ist für die Presse immer ein gefundenes Fressen.“ Laura hob hilflos die Hände und verdrehte die Augen. „Warum machst du das? Das hat doch keine Zukunft? Ihr werdet niemals zusammen sein können. Das ist alles vertane Zeit und viel zu gefährlich.“

„Laura, wer braucht denn Zukunft? Wir sind glücklich, wenn wir einen Augenblick gemeinsam haben. Mehr wollen wir nicht. Und Glücklichsein ist keine Zeitverschwendung. Ganz im Gegenteil. Das sind die Momente, in denen ich mich lebendig fühle, voller Energie.“ Barbara machte eine Pause und schien zu überlegen, ob sie noch etwas hinzufügen sollte. Es blitzte in ihren Augen. „Und du bist mir die Richtige. Bist Detektivin und regst dich darüber auf, dass mein Kontakt zu Valentin gefährlich ist. Wenn ich daran denke, wie oft deine Fälle dich, das Team und mich schon in Lebensgefahr gebracht haben, kann ich mich über deine Einwände nur wundern.“

„Das bringt der Job eben manchmal mit sich.“ Laura verschränkte die Arme vor der Brust.

„Also ich riskiere mein Leben lieber für die Liebe als für ein bisschen Geld“, konterte Barbara spitz.

Die Freundinnen funkelten sich an, dann zuckte es in Lauras Gesicht.

Sie lachten gleichzeitig los.

399
683,89 ₽
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0+
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330 стр.
ISBN:
9783742750938
Издатель:
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