Читать книгу: «Elduria - Runa oder das Erwachen», страница 4

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Der Weg zum Haus im Wald

Runa bleibt nach einigen Schritten stehen, um den Anblick des Frühlings im Wald zu bestaunen. Doch Dragon zieht sie vorwärts.

»Du siehst, dass hier ein nur kaum erkennbarer Pfad verläuft. Wir konnten es im Nebel nicht bemerken, aber die Straße von Homarket wird lange vor Erreichen des Waldrandes abgebogen sein und wir bewegten uns demzufolge auf einem abzweigenden Weg. Die Verfolger waren uns weit voraus und werden sicher zuerst dem breiten Verkehrsweg gefolgt sein. Ob sie dann im Nebel umgekehrt sind? Sie hatten auch vorher kaum erkennen können, wo wir gelaufen sind. Das ist aber anders, wenn ein Magier nachträglich zu ihnen gestoßen ist.«

Runa erschauert. Weshalb sollte ein Zauberer versuchen, sie zu fangen? Kann das mit ihrer Aktion vor dem Rathaus zusammenhängen? Dabei hat sie lediglich einem jungen Mann das Leben gerettet. Die Erkundigung auf dem Marktplatz mag vielleicht verdächtig erscheinen, ist nach ihrem Empfinden aber harmlos. Es ist doch natürlich, wenn sie sich nach dem Mann erkundigt, dessen Name sie dort gehört hat. Andererseits blickte sein Sohn verwundert auf ihr Mal am linken Unterarm. Könnte das der Grund sein? Owain hatte Atropaia entführt, könnte dieser Brendan nicht genauso …

»Wir müssen schneller gehen!«, wird sie aus ihren Gedanken gerissen. »Kannst du noch etwas Regen herbeirufen? Es ist nicht so, dass ich unbedingt auf Wasser stehe, aber die Tropfen können helfen, unseren Weg zu verschleiern. Und das ist überlebenswichtig!«

Runa will aus Verärgerung stehenbleiben. Doch der kräftigere Junge zieht sie weiter. Dabei entgeht ihr, dass Dragon niemals zuvor derart viele Worte gesprochen hat, wie seit ihrem Aufbruch im »Fuchs und Gans«.

»Was fällt dir ein? Ich kann und will allein laufen!« Sie kraust die Stirn und widersetzt sich mit aller Macht seinem Bestreben, sie weiterzuziehen.

»RUNA! Das ist KEIN Spiel!« Seine eindringlichen Worte erzeugen ein Kribbeln auf ihrem Rücken. In seinen hellbraunen Augen, mit denen er sie beschwörend und ernst anschaut, bewegt sich etwas. Sollte das eine lodernde, kleine Flamme sein? Das Mädchen grübelt. Wo hat es beim Blick in eine dunkle Pupille bereits Derartiges gesehen? Die Wärme in ihrem linken Unterarm bemerkt sie kaum. In Gedanken prüft sie die Worte ihres Gefährten. Alles spricht dafür, seinem Vorschlag zu folgen. Wortlos nimmt sie ihre wetterfeste Jacke aus dem Rucksack. Sie zieht das Kleidungsstück aber nicht an, sondern will es über sich und Dragon halten.

»Uisge!«, murmelt sie, ohne die Reaktion von vor wenigen Momenten zu erwarten. Doch sofort fallen dicke Regentropfen auf sie herab. »Ich kann zaubern!«, stellt sie erstaunt fest.

»So sieht es aus!«, bestätigt der Junge. »Das sollte dir der Beweis sein, dass es Zauberer gibt. Nach unserem vorhin Erlebten ist zu folgern, dass sich ein böser Magier auf unserer Spur befindet, zumindest einer.« Er folgt der Aufforderung des Mädchens, sich unter den Schutz der Jacke zu begeben.

»Aber warum sollte das so sein? Ich habe doch nichts verbrochen!« Runa legt die Stirn in Falten und versucht, eine logische Erklärung zu finden. Sie widersetzt sich dem Jungen nicht mehr. Wegen des Regens laufen sie dicht nebeneinander tiefer in den Wald hinein. Sie halten jeder eine Seite der Jacke über sich, die dadurch wie ein breiter Schirm wirkt. Ob sie noch dem Pfad folgen, können sie nicht erkennen. Nach längerer Zeit, die Arme sind inzwischen lahm und gefühllos geworden, fragt Dragon:

»Kannst du den Dauerregen abstellen? Ich denke, das ist genug Wasser gewesen.«

»Wenn ich wüsste wie, würde ich das machen. Am Waldrand hörte er doch schon auf, sobald wir die ersten Schritte in den Wald gemacht hatten.«

»Das hatte den Grund, dass von außen nichts Magisches in ihn eindringen kann. Alte Schutzzauber vermutlich.«

Runa schaut den Jungen erstaunt an. Woher weiß er das? Parallel dazu geht sie in Gedanken erneut die Liste der Zaubersprüche durch.

»Inhibeo!«

Dieses Wort beendet tatsächlich den Regen. Erleichtert senken beide die Arme und Runa schüttelt die Jacke aus. Ob die anderen Sprüche in ihrem Buch auch von Erfolg gekrönt sein werden, wenn sie sie spricht? Etwas Wärme wäre jetzt nicht schlecht. Die große Luftfeuchtigkeit lässt sie frösteln. Im Wald dringen die Sonnenstrahlen nicht durch das hohe Blätterdach. Soll sie versuchen, ein wärmendes Feuer zu entzünden? Doch Runa schüttelt den Kopf. Sie ahnt instinktiv, dass das Probieren der verschiedenen Sprüche in einer Katastrophe enden könnte. Bewegung wird zu dem gleichen Ergebnis führen, ist sie überzeugt, und dabei völlig ungefährlich.

Die Wanderung durch den Wald geht schon über Stunden. Die Vogelstimmen, die zu Beginn wie eine Begrüßung geklungen hatten, haben nur kurzzeitig durch den Sturm eine Unterbrechung erfahren. Doch sie hörten mit Einsetzen des Regens auf. Seitdem der vorbei ist, sind sie nicht wieder zu hören. Liegt das an der einsetzenden Dämmerung? Der Junge horcht in wechselnden Abständen nach hinten. Zuerst irritiert ihn das Geräusch, wenn Tropfen von den Blättern zu Boden fallen, doch das ändert sich schnell. Wenn hinter ihnen Reiter kommen, könnten sie die Huftritte erst spät wahrnehmen, weil der Waldboden sie dämpfen wird. Deshalb ist größte Vorsicht angebracht!

Runa hat bei diesen Gedanken sofort wieder das Ereignis von vor sieben Jahren vor Augen. Damals erfolgte das Eindringen der Entführer ins Haus nur wenige Augenblicke später, nachdem die Huftritte im Inneren zu vernehmen waren. Sie sieht den grellen Blitz und die berstende Tür, und wie ein silbern glänzendes Netz über die Amme geworfen wird. Erst jetzt fällt ihr auf, dass sich zu dem Zeitpunkt ihre Gestalt bereits geändert haben musste. Die Sicht auf das Geschehen war aus einer niedrigeren Position heraus erfolgt. Atropaia muss sie in die Haselmaus verwandelt haben! Also besaß ihre Amme magische Kräfte! – Warum konnte sie sich dann nicht gegen die Eindringlinge wehren? Die Erkenntnis über Atropaias Fähigkeit einerseits, aber deren nahezu widerstandslose Fesselung andererseits, trifft sie wie ein Schlag.

Da sie stehenbleibt, dreht sich Dragon nach ihr um.

»Bist du müde?«

»Nein. – Wenn ich ehrlich bin, aber doch. Ich weiß aus der Erinnerung, dass wir das Haus heute nicht mehr erreichen werden. Mit fünf Jahren waren meine Schritte sicher kleiner als die, die wir jetzt machen. Das wird jedoch dadurch ausgeglichen, dass ich damals die ganze Nacht wanderte. Ich traute mich nicht, den Abstand zu den Reitern zu groß werden zu lassen. – Wir sollten abseits von unserer bisherigen Wanderrichtung ein Plätzchen im Laub suchen.«

Bis hierher hat das Regengebiet offenbar nicht gereicht. Der Boden ist trocken. Die auch hier wachsenden Buschwindröschen scheinen ihnen im schwachen Restlicht den Weg zu weisen. Sie entdecken schon bald eine kleine Lichtung, auf der zwei große Laubhaufen liegen. Das wirkt wie für sie vorbereitet. Sie zögern trotzdem nicht, sie zu nutzen, dafür sind sie zu müde. Derart viel Laub in einem sonst frühlingshaften Wald müsste ihnen seltsam fehl am Platz erscheinen. Sie überlegen nicht, ob das eine für sie aufgestellte Falle sein könnte, sondern wühlen sich jeweils eine Vertiefung in einen der Haufen. Am Lichtungsrand rupfen sie zusätzlich einige Farnwedel ab und breiten sie als Unterlage in die Mulden. Völlig erschöpft legen sie sich darauf und häufeln die Blätter von den Rändern über sich.

»Schlaf gut!«, flüstert Runa. Doch das hört Dragon schon nicht mehr. Er ist bereits eingeschlafen. Die Auseinandersetzung mit dem Zaubernebel hat ihn stärker in Anspruch genommen, als er zu erkennen gegeben hat. Er wollte aus Vorsicht möglichst schnell einen großen Abstand zum Waldrand gewinnen, sonst hätte er schon eher eine Rast vorgeschlagen.

Ob eine Wache in ihrer Situation nicht dringend angebracht wäre, hat er noch kurz überlegt. Sollten die Reiter bemerkt haben, dass sie ihnen nicht mehr auf der Spur waren, würden sie bestimmt umkehren und auf den abzweigenden Wegen suchen. Er ist nicht sicher, ob der Regen alle Hinweise auf ihre Anwesenheit am Waldrand genügend verwischt hat. Er will sich erheben und die Reihenfolge der Wachablösung mit Runa besprechen. Zuvor muss er sich nur kurz ausruhen, aber dann will er sofort zu ihr hinübergehen. Nur schnell etwa fünf oder besser zehn Atemzüge im Liegen? Das sollte seine Kraftreserven etwas erneuern. Doch die Müdigkeit ist übermächtig und lässt ihn bereits beim zweiten Einatmen in tiefen Schlummer sinken.

Runa liegt dagegen noch eine Zeit lang wach. Sie vernimmt das »Schuhu« einer Eule, der aus entgegengesetzter Richtung eine zweite antwortet. Das Knacken im Unterholz deutet auf kleinere Tiere hin, die dort nach Nahrung suchen. Weitere nächtliche Tierstimmen versetzen sie in ihre Kindheit zurück. Sie meint, das vertraute Angesicht ihrer Amme zu sehen, die sie an ihrem Bett sitzend zudeckt.

»Paia«, murmelnd, schläft auch sie ein.

Runa erwacht vom Zwitschern eines Vogels. Sie weiß im ersten Moment nicht, wo sie ist. Sie wähnt sich in ihrem Bett, aber warum sollte das in Atropaias Haus stehen? Ein Sonnenstrahl kitzelt sie in der Nase, schaut der durchs Fenster herein? Sie schlägt die Augen auf und erblickt einen kreisförmigen, blauen Himmel über sich. Auf einem der unteren Zweige der Bäume, die den runden Ausschnitt des Firmaments bilden, sitzt ein Buchfink. Die leuchtend rote Brust ist vorgestreckt und sein fordernder Gesang soll offenbar eine Partnerin herbeirufen. Das wirkt so friedlich, dass Runa nicht fassen kann, sich noch gestern vor Reitern versteckt und gegen einen Zaubernebel gekämpft zu haben.

Sie will mit einem Satz aus ihrem kuscheligen Lager aufstehen, doch das misslingt. Sie purzelt mehr seitlich aus der tiefen Kuhle, als dass sie sich hinausschwingt. Das Mädchen richtet sich lachend auf. Es ist nur gut, dass Dragon das nicht mitbekommen hat! Bei dem Gedanken an ihn kraust es die Stirn. Sollte er noch schlafen? Ohne ihn schon weiterzugehen, kommt nicht infrage. Er würde sie vermutlich kaum finden.

Auf dem Weg zum zweiten Laubhaufen grübelt Runa darüber, weshalb der Junge gestern nicht aus eigener Kraft den Elfenwald betreten konnte. Könnte ein Zauber das verhindert haben? Er deutete im Zusammenhang mit dem heraufbeschworenen Regen an, dass Magie nicht von außen in den Wald eindringen könne, sollte etwas an ihm magisch sein? Besitzt er vielleicht einen Zauberstab oder Ähnliches? Sie erschrickt. Wer garantiert ihr, dass der Junge sie nicht in eine Falle locken will? Er könnte sich als ihr Freund und Helfer ausgeben, dabei aber irgendeinem Geheimnis folgen, mit dem nur sie …

Weiter kommen ihre Grübeleien nicht. Sie ist nicht besonders vorsichtig gelaufen. Der eine oder andere Zweig knackte unter ihren Füßen und hat ihn vermutlich aufgeweckt. Dragon versucht offenbar, wie sie aus dem Laubhaufen aufzustehen, und rollt mit Schwung auf sie zu. Ehe sie sich vorsehen kann, stößt er gegen ihre Beine, und beide liegen am Boden. Der Junge reibt sich die Seite, auf die das Mädchen unsanft gefallen ist.

»Ich wollte dir eigentlich einen guten Morgen wünschen!«, beschwert sich Runa.

»Das scheint nicht so funktioniert zu haben, stimmt’s«, grinst Dragon. Er steht auf, reicht ihr die Hand und zieht sie hoch.

»Ein Frühstück wäre nicht schlecht. Du hast doch Proviant von der Köchin …« Den Satz beendet er nicht. Seine suchenden Augen ruhen auf dem Rucksack des Mädchens. Den hatte es neben seinen Laubhaufen gestellt. Er ist umgestürzt und etwas bewegt sich darin! Runas folgt seinem Blick, dann nähern sie sich vorsichtig. Mit einem schnellen Griff dreht Dragon den Leinenbeutel um. Ein gefährliches Fauchen ertönt aus dem Inneren. Er schüttelt kurz und heftig und befördert dadurch den ungebetenen Gast hinaus. Es ist eine Wildkatze. Gleichzeitig rollen zwei unversehrte Äpfel und einige Reste von dem Essen heraus.

»Ist das ein Shepherds Pie gewesen?« Der Junge kann es kaum glauben. Die Köchin aus dem »Fuchs und Gans« hatte von einem Gast das Rezept erhalten und das Gericht seitdem für besondere Gelegenheiten zubereitet. Welche das gestern gewesen sein könnte, ist Runa unbekannt. Einmal muss Dragon etwas davon bekommen haben, denn er deutet enttäuscht auf die Reste. Es ist offensichtlich, er hätte das gern gegessen.

Das Mädchen nickt und grinst dann breit.

»Offenbar gibt es unter den Waldbewohnern auch einige, die Neuem nicht misstrauisch gegenüberstehen. Ich hoffe, es bekommt dir«, ruft sie der kleinen Wildkatze zu, die am Waldrand hockt und sich die Pfoten leckt. Sie mauzt einmal kurz. Soll das ein Dank sein? Dann verschwindet sie auf leisen Pfoten von der Lichtung.

Runa bückt sich und hebt die Äpfel auf, von denen sie Dragon einen reicht.

Eine Falle

In den vergangenen sieben Jahren ist Runa gewachsen. Auch wenn sie nicht so groß wie die meisten ihres Alters ist, schaut sie aus einem anderen Winkel auf das Gebäude als früher. Sie steht am Rand einer Lichtung. Der Blick auf das alte Haus versetzt ihr einen Stich ins Herz. Es wirkt viel kleiner, als sie es in Erinnerung behalten hat. Jetzt scheint es sich auf den Boden zu ducken, um sich vor einer Gefahr zu verbergen. Dieser Eindruck drängt sich sofort auf, da das mit Reet gedeckte Dach weit hinunterreicht. Es ist stark gewellt und an vielen Stellen mit dunklem Moos bewachsen. Die Außenwände sind mit dunkelrotem Putz versehen. Die Fenster besitzen Sprossen, die ursprünglich grün gestrichen waren. Jetzt blättert die Farbe in breiten Streifen davon ab. Das Haus zeigt erkennbare Spuren, die darauf hinweisen, dass es unbewohnt und lange nicht genutzt worden ist. Die Scheiben wirken stumpf und es fällt nicht wie früher warmes Licht durch sie nach draußen. Und aus dem Schornstein, der aus dem Dach aufragt, steigt keine sich kräuselnde Rauchsäule in den Himmel. Trotzdem erwartet Runa, im nächsten Moment Atropaia durch die offene Eingangstür treten zu sehen.

»Paia, ich komme!«, ruft sie beinahe, doch sie unterdrückt den Impuls. Sie erkennt und weiß, die Tür steht nicht einfach offen. Sie wurde herausgerissen. Reste davon liegen weiter im Inneren. Sie sieht erneut das helle Licht, bevor die Männer ins Haus eindrangen. Das muss eine Art Sprengzauber gewesen sein, vermutet sie. Runa läuft Dragon etwas voraus und kommt an dem Beet vorbei, in dem damals verschiedene Blumen und Stauden wuchsen. Sie erinnert sich für einen kurzen Moment daran, dass die vielen Blüten früher einen heimeligen Eindruck vermittelten, wie von einem besonderen Zauber zum Leben erweckt. Jetzt ist der Bereich verwildert und wirkt trostlos. Lediglich einzelne Margeriten recken trotzig ihre weißen Blütenköpfe in den Himmel.

Runa betrachtet sie und muss unwillkürlich lächeln. Sie nimmt die Blüten als positives Zeichen. Beim Weitergehen bleibt sie auf der Schwelle der Haustür stehen. Hier hatte sie das Blut und Fetzen von Puschels weichem Fell gefunden. Sie blinzelt die Tränen fort, die sich in ihre Augenwinkel drängen.

Sie muss einen klaren Blick bewahren, da ist Herumgeheule wenig hilfreich. Runa überlegt. Die Sonne taucht die Lichtung zwar in helles Licht, doch davon fällt kaum etwas ins Innere. Die stumpfen Fenster lassen nur wenig hindurch, deshalb wirkt es im Innenbereich dunkel. Trotz der fehlenden Eingangstür wird die Helligkeit nicht ausreichen. Sollen sie versuchen, die Fensterflügel zu öffnen? Der Junge läuft stattdessen zurück, bückt sich zu den Resten der Tür und hebt ein abgesplittertes und armlanges Stück auf. Er betrachtet das fingerdicke Holz mit gerunzelter Stirn. Ob es als Fackel einsetzbar ist? Dafür müsste es angezündet werden.

»Hast du Streichhölzer dabei?«

Die Frage beantwortet das Mädchen mit einem Kopfschütteln. Es vermutet sofort, was der Junge beabsichtigt.

»Nein. Und ich glaube nicht, dass die reichen könnten, diese provisorische Fackel anzuzünden. Vorher müsste das Holzstück mit einem Stofffetzen umwickelt und möglichst auch in Pech getaucht oder mit Harz bestrichen werden.«

»Hey, die Idee ist gut. Nur schade, dass wir die Zutaten nicht dabeihaben!«

»Mit genügender Vorsicht kommen wir ohne zu stolpern hinein. Ich kenne mich noch ganz gut aus, so dass mir das Durcheinander nicht den Weg versperren oder gefährlich werden kann.«

»Was soll das heißen? Wenn, dann gehe ich voraus. Du weißt schon, ich bin schließlich dein Beschützer. – Jetzt musst du aber nicht lachen. Ich hatte doch das Versteck im Straßengraben ausgesucht, weshalb die Verfolger uns nicht fangen konnten.«

Runa dreht sich erstaunt in seine Richtung.

»Dann war es deine Absicht, mich hinunterzustoßen? Ich hatte einen anderen Eindruck.«

»Ähem, nein, äh ja. Jedenfalls so ungefähr! Genau. Und jetzt habe bitte etwas Geduld. Ich werde dafür sorgen, dass wir ausreichend Helligkeit haben.« Der Junge tritt vor die Tür und blickt sich suchend um. Sobald er eine Bewegung des Mädchens vernimmt, das leise Rascheln ihrer Hose reicht offenbar, schaut er zurück. Runa hat einen Schritt weiter ins Innere gemacht. »STOPP!«, hält er sie auf. »Du kannst ruhig warten, bis ich Licht habe. Was nützt es, wenn du dir ein Bein brichst?«

»Dann beeil dich endlich. Was suchst du überhaupt?«

»Feuersteine und etwas trockenes Gras.«

Ein jubelnder Aufschrei deutet an, dass er gefunden hat, wonach er suchte. Er hockt sich nieder und zeigt dadurch dem Mädchen seinen Rücken. Ist das Zufall oder will er verbergen, was er macht? Es wirkt so, als wickele er etwas um das Holz. Er ist dabei, die Fackel vorzubereiten, schlussfolgert Runa. Kurz darauf vernimmt sie, wie er zwei Steine gegeneinanderschlägt.

»Au!« Der Aufschrei wird von lautem Schimpfen abgelöst, doch die Schläge hören nicht auf. Dragon beugt sich vor und pustet hörbar. »Einen Moment, ich bin gleich soweit!« Er bläst erneut auf das beginnende Feuer und ist erfolgreich. Mit breitem Grinsen tritt er mit einer lichterloh brennenden Fackel zu Runa. Seine angesengten Augenbrauen beweisen, dass er der aufzüngelnden Flamme zu nah gekommen ist. »Die Lackreste sind schuld. Sie führten dazu, dass es plötzlich ganz schnell ging«, fügt er kleinlaut als Erklärung an. »Dafür ersetzen sie Harz oder Pech.«

»Letzteres hast du ja wohl gehabt, das Pech meine ich. Du hast dir hoffentlich nicht weh getan?« Sie blickt ihn fragend an. »Wenn du jetzt einen gebrochenen Finger hast, ist die Alternative nicht erfolgreich gewesen.«

»Im Verhältnis zu einem angeschlagenen Bein schon. Aber keine Angst, ich habe kaum etwas abbekommen!« Er streckt ihr beide Hände hin und zeigt Innen- und Außenflächen. Dabei wechselt er die Fackel geschickt von eine in die andere Hand. »Jetzt sollten wir hineingehen. Die Flamme wird nicht ewig brennen! – Wonach suchst du eigentlich?«

»Ich bin nicht sicher. Ich hoffe, dass Atropaia irgendetwas Schriftliches für mich versteckt haben wird. Sie schien besonders in den letzten Jahren sehr um meine Sicherheit besorgt zu sein. Ihr Verhalten wirkte damals völlig normal, da ich nichts anderes kannte. Aber im Nachhinein vermute ich mehr dahinter. Wenn ich das mit den Ereignissen vor dem Rathaus und auf dem Marktplatz verbinde, bekommt es eine neue Bedeutung. Dann kommen noch unsere Verfolger hinzu. Ich kann mir das nur so erklären, dass andere ein heftiges Interesse an mir haben. Warum das so ist, hoffe ich, aus Atropaias Notizen zu erfahren. Ich vermute, es könnte mit meinen Eltern zu tun haben. Da ich sie nie kennenlernte, habe ich aber keine Ahnung, was das sein wird. Hoffentlich finde ich in den Aufzeichnungen einen Hinweis, wer sie waren. Darüber hat sie nichts gesagt. Ich weiß nur, dass sie Mutter bei meiner Geburt unterstützte und die Aufgabe einer Amme übernahm, als diese kurz darauf starb. Alles Weitere wollte sie mir bestimmt erzählen, sobald ich älter geworden wäre.«

»Dann suchen wir jetzt nach einem oder mehreren Blatt Papier?«

»Richtig. Die werden vermutlich nicht lose, sondern eine Art gebundenes Tagebuch, zumindest eine Kladde sein.«

Runa macht einen weiteren Schritt ins Innere des Hauses und sieht dort eine Bewegung. Etwas Glänzendes fällt von der Decke herab, etwa in dem Bereich, wo der Weg um den Tisch herum am Kamin vorbeiführt. Was bedeutet das? Soweit hinein reicht ihr Blick doch gar nicht. Sollte das erneut eine der Sequenzen sein, die sie doppelt sieht, oder ist es eine Erinnerung aus der Kindheit? Dragon blickt sie fragend an. Er hat ihr plötzliches Zögern bemerkt. Ob sie jemanden gesehen hat?

»Bist du sicher, dass hier niemand sein wird?«

»Woher soll ich das wissen? Früher hatten wir nur selten Besuch. Aber wer kann schon sagen, ob sich hier nicht gelegentlich irgendein Wanderer oder auch ein Tier eingerichtet hat?« Sie machen im Schein der Fackel einen zögernden Schritt in den ehemaligen Wohnbereich. Runa ist überlegend stehengeblieben. Was mag das Glitzern gewesen sein? Dragon geht weiter zum Kamin.

»Wenn wir eine Aufzeichnung oder Notiz suchen, wird sie eher in einem Regal als auf dem Kaminsims zu finden sein. An der Stelle könnte das Notizbuch Gefahr laufen, unbeabsichtigt ins Feuer zu fallen.«

Der Junge umrundet den Tisch und steht jetzt vor dem Kamin. Trotz seiner Worte will er offenbar doch mit der Suche dort beginnen. Die Figur eines Drachen, an dessen Vorhandensein sich das Mädchen nicht erinnert, steht mittig auf dem Kaminsims. Es wundert sich, woher diese Figur stammen könnte und warum sie nicht wie die anderen Dinge am Boden liegt. Der Junge betrachtet sie und nähert dabei die Fackel der metallisch schimmernden Gestalt. Die scheint sich in dem flackernden Schein zu bewegen. Sofort knurrt Dragon sie an. Die Töne wirken anders als die, die er gegenüber dem Nebel ausgestoßen hat. Sie fragt sich, ob das Worte sein könnten. Doch wenn es welche sind, für das Mädchen klingen sie wie das Knurren eines Hundes.

In diesem Moment staunt Runa. Sie hat bisher noch nie erlebt, etwas zweimal zu sehen, was offenbar in der Zukunft geschieht. Sie sieht erneut, wie etwas Glänzendes von der Decke herabfällt. Das ist erneut dort, wo der Weg zwischen Tisch und Kamin verläuft, etwa am hinteren Ende der Feuerstelle. Sie schaut genauer dorthin, kann aber kein Netz oder Ähnliches auf dem Boden entdecken. Sie hat sofort das Bild vor Augen, als etwas Vergleichbares über Atropaia geworfen wurde.

»Sei vorsichtig!«, warnt sie schnell den Jungen, als sich dieser dem Bereich nähert, in dem sie soeben erneut ein silbernes Netzt von oben herabfallen sah. Dass es sich darum handelt, ist sie sich urplötzlich sicher.

»Was? Hier liegt nicht einmal ein Möbelstück im Weg!« Dragon schaut sie herausfordernd an und macht einen Schritt in die bisherige Richtung. Durch sein Gewicht bewegt sich dabei leicht knarrend eine Bodendiele. Das entgeht seinem feinen Gehör zwar nicht, doch das ist in einem alten Haus nicht ungewöhnlich. »Siehst du, nichts passiert«, will er gerade sagen, als etwas von der Decke auf ihn herabfällt. Runa erkennt mit Erstaunen, dass es tatsächlich ein ähnliches Netz ist, wie das, in das Atropaia gewickelt worden war. Das silberne Gewebe hat kein geringes Gewicht und drückt den überraschten Dragon zu Boden. Das Mädchen fordert ihn auf, sich zu erheben, und dreht sich gleichzeitig schnell um ihre eigene Achse. Kommen im nächsten Moment erneut Männer hereingestürmt, um sie beide gefangen zu nehmen? In ihre Gedanken dringen die Verwünschungen des Jungen. Er schimpft lautstark.

»Still, keinen Mucks!«, fordert sie voller Angst. Falls hier jemand auf sie lauert, wird er durch die Rufe nur herbeigelockt. Dann weiß er, dass seine Falle erfolgreich zugeschnappt ist.

»Warum?«, signalisiert Dragon ihr ohne Worte. Sein erstaunter Gesichtsausdruck spricht für sich. Das Netz hat ihn zu Boden geworfen. Er versucht, sich aufzurichten, kommt jedoch nur halb hoch. Das Gewicht des silbernen Gewebes ist nicht der Grund, es ist mit unzähligen Messern an seinem Rand auf dem Holzboden festgenagelt. Er zerrt wild an den Maschen und versucht sie zu zerreißen. Sein Grollen wird lauter, weil das misslingt.

Runa sieht das voller Staunen, steht aber immer noch an gleicher Stelle. Sie legt einen Finger vor ihre Lippen. Sie will horchen, ob sich draußen jemand nähert. Dabei stört sogar das Knurren. Doch der Junge beachtet sie nicht in seinem Bemühen, freizukommen. Das Mädchen schleicht deshalb zurück zum Eingang. Es blickt vorsichtig über die Lichtung vor dem Haus, kann jedoch keine Bewegung entdecken. Äußerst langsam verlässt sie den scheinbaren Schutz des Gebäudes.

»Achtung. Gefahr!« Dragons Warnruf erklingt, kurz bevor sie einen heißen Lufthauch im Nacken spürt und hinter sich das Geräusch von splitterndem Glas vernimmt. Sie fährt mit zu Fäusten geballten Händen herum. Die Männer, die Atropaia entführt haben, sollen sie nicht ohne Gegenwehr bekommen!

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