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Читать книгу: «Eine Teufelsaustreibung und andere Geschichten», страница 8

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XVI

Gegen alle Gesetze der Architektonik und Ökonomie im Aufbau der Erzählung, habe ich zum Schluß diese neue Person auftreten lassen und muß ihr nun einige Worte widmen, damit Sie wissen, wie giftig sie war. Als ihr Gatte noch lebte, bekamen sie einmal Besuch von einer hochgestellten Persönlichkeit, der sich ihr Mann in seinem ganzen Glanze zeigen wollte; sie verachtete aber den Mann ebenso wie alle andern Menschen, vielleicht auch etwas mehr. Der Mann wußte es und bat sie, ihn wenigstens bei dieser Gelegenheit nicht bloßzustellen. Er bat sie nur um den einen Gefallen: »Widersprechen Sie mir wenigstens in Gegenwart des Gastes nicht.« Sie sah ihn an und versprach es ihm:

»Ich bin sogar bereit, Sie zu unterstützen.«

Der Mann dankte ihr dafür mit einer Verbeugung. Der hohe Gast war gutmütig und gab sich gerne einfach. Diesmal wollte er den Vortrag des ihm unterstellten Würdenträgers im häuslichen Kreise, am Teetische hören, wo ihm die Hausfrau selbst den Tee kredenzte. Der Hausherr begann nun zu prahlen, wie gut er alles wisse, kenne, voraussehe und zum allgemeinen Wohle ordne … Er sprach und sprach und verschnappte sich zuletzt und sagte auch etwas Wahres. Die »Schlange« fiel in diesem Augenblick ein und bestätigte:

»Voilà ça c’est vrai!«

Nur dieses sagte sie. Dem Gast genügte es aber; er lachte auf, küßte ihr die Hand und sagte ihrem Gemahl:

»Es ist genug: ich will annehmen, daß tout ça est vrai!«

Als der Gemahl nach diesem Vorfall starb, ließ sie sich hier mit ihrer Engländerin nieder und widmete sich ganz der Lektüre ausländischer Bücher.

Sie erschien sonst niemals in der Öffentlichkeit. Als sie nun mit ihrer Engländerin in die Kirche trat, in der Saschas Leiche eingesegnet wurde, erregte sie allgemeines Aufsehen, und alle machten ihr Platz. Die Menge selbst schob die beiden Damen nach vorne, gleichsam um sie besser sehen zu können. Dem Himmel war es aber nicht genehm, daß etwas Nebensächliches die allgemeine Aufmerksamkeit von den Dingen ablenke, die den Verstorbenen am nächsten angingen.

Im gleichen Augenblick, als diese beiden imposanten Damen sich durch die Menge bewegten, erschien in der Kirchentüre eine dritte weibliche Gestalt, eine bescheidene Dame in schwarzem Pelzmantel, der noch von der Reise verstaubt war. Ihr Gesicht war der Kummer selbst …

Niemand kannte sie, alle hatten sie aber sofort erkannt, und durch die Menge tönte das eine Wort:

»Die Mutter!«

Man ließ ihr eine breite Straße zu dem ihr so teuren Sarge frei.

Sie ging schnell, beide Arme vor sich ausgestreckt, durch die Menge, die vor ihr gewichen war, und als sie den Sarg erreichte, umschlang sie ihn mit beiden Armen und erstarrte …

Und alles fiel nieder und erstarrte zugleich mit ihr. Alle sanken in die Knie, und es wurde so still, daß, als die Mutter sich erhob und den toten Sohn bekreuzigte, wir alle ihr Flüstern hörten:

»Schlaf, mein armer Junge … du bist als Ehrenmann gestorben …«

Sie hatte diese Worte ganz leise, mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung der Lippen gesprochen, und doch drangen sie allen ins Herz, wie wenn wir alle ihre Kinder wären.

Nun erklang der Hammer des Sargtischlers, man trug den Sarg zur Ausgangstüre; der Vater führte die unglückliche Mutter am Arm, während ihre stillen Blicke in die Höhe gerichtet waren … Sie wußte wohl, woher sie die Kraft, solches Leid zu tragen, schöpfen sollte, und sie merkte garnicht, wie junge Frauen und Mädchen sich um sie drängten und ihr wie einer Heiligen die Hände küßten …

Auf dem Wege vom Grabe bis zum Friedhofstore gab es wieder das gleiche Gedränge, die gleiche Bewegung.

Vor dem Tore, wo der Wagen auf sie wartete, schien die Mutter zur Besinnung gekommen zu sein; sie wandte sich um und wollte allen »Danke!« zurufen, wurde aber beinahe ohnmächtig. Die »Schlange«, die neben ihr stand, stützte sie und küßte ihr die Hand.

So sehr hatte unser armer Sascha alle Herzen gerührt und gefangen genommen; so wurde sein einfacher und vielleicht gar nicht ordentlich überlegter Entschluß, »die Frau nicht zu verraten« belohnt und geehrt.

Niemand fragte sich, was das für eine Frau gewesen und ob sie dieses Opfers auch wert sei. Das war allen gleich. Was war das auch für eine Liebe, und worauf war sie gegründet? Alles hatte im Kinderzimmer, wo sie »Vater und Mutter« spielten, begonnen; dann trennten sich ihre Wege; sie ist ja so leer, daß sie mit ihrem Mann vielleicht auch glücklich ist; er hat sich aber irgendeinen Fetzen aufgehoben und tötet sich dieses Fetzens wegen … Das ist ja ganz gleich! Er ist schön, er ist allen interessant! Es ist so leicht und so süß, um ihn zu weinen.

Mit einem Worte: hier ist niemand durch gesperrten Druck besonders hervorzuheben; alle spielen ihre Rollen mit gleichem Ernst und Talent, wie die Mitglieder der Meiningenschen Hoftruppe, die vor kurzem ganz Petersburg in Entzücken versetzt hat. Alles war mit so tiefem Ernst inszeniert!

Die Engländerin, die ich vorhin erwähnte, stand uns doch sicher am fernsten. Saschas Tat mußte sie ja mit ganz anderen Augen betrachten, als die Varieté-Zigeunerinnen, die ihn beweinten; man könnte annehmen, daß sie sich die Sache nur ansehen und sich dann wieder in ihr Gehäuse zurückziehen würde. Aber nein: auch sie mußte ihren Pinselstrich dem allgemeinen Gemälde beisteuern. Sie schrieb Notizen über Rußland und machte die Sache sehr gründlich an Hand der bereits erschienenen Werke über unsere Heimat. Sie vervollständigte die von Anderen gemachten Beobachtungen über unsere Sitten durch ihre eigenen Wahrnehmungen. Den älteren Werken entnahm sie die Behauptung, daß »die Weiber nirgends so gemein behandelt werden wie in Moskowien«. Um die von ihr gemachte neue Wahrnehmung zu ergründen, wählte sie einen passenden Zeitpunkt und wandte sich an Saschas Vater selbst. Sie schrieb ihm einen sehr gemütvollen und höflichen Brief, in dem sie ihrem Mitgefühl Ausdruck gab und der großen Würde, mit der er und seine Gattin das schwere Leid trugen, hohe Bewunderung zollte. Zum Schluß richtete sie an ihn die Frage, wo sie ihre Erziehung genossen hätten, der sie diese würdigen Gefühle verdankten?

Der Alte antwortete, daß seine Frau ein französisches Pensionat besucht hätte, während er selbst von einem Monsieur Ravel aus Paris erzogen worden sei.

Die Engländerin fand dies sehr seltsam, die »Schlange« gab ihr aber die Aufklärung:

»Wenn sie von einem Seminaristen erzogen worden wären, so hätten Sie wohl überhaupt keine Antwort bekommen.«

Damals war man nämlich der Ansicht, daß alles Rohe und Plumpe aus den Priesterseminaren komme.

XVII

Nun muß ich auch noch die kriminelle Seite der Angelegenheit erledigen. Ob das Geld wirklich gestohlen worden war oder nicht, jedenfalls wurde, wie Sie sich wohl erinnern, beschlossen, dem Polen seinen Verlust zu ersetzen. Auch dies hatte noch seine Fortsetzung.

Außer den Regimentskameraden gab es noch einen freiwilligen Schuldner, und zwar einen sehr hartnäckigen – ich meine Saschas Vater. Den Polen kostete es große Mühe, das Geld, das er ihm unbedingt aufdrängen wollte, zurückzuweisen. Awgust Matwejitsch benahm sich in der ganzen Affäre überhaupt außerordentlich korrekt und vornehm, und wir hatten ihm auch nicht das Geringste vorzuwerfen. Niemand zweifelte mehr daran, daß er das Geld gehabt hatte und daß es verschwunden war. Warum hatte er denn sonst auf die ihm angebotene Zahlung verzichtet und was brauchte er überhaupt die ganze unangenehme Geschichte mit dem blutigen Ende?

Die ganze Einwohnerschaft der Stadt, vor der wir unser nächtliches Erlebnis natürlich nicht geheim halten konnten, war der gleichen Ansicht; ein einziger Mensch sah aber die Sache doch ganz anders an und gab uns damit eine harte Nuß zu knacken.

Es war der sonst wenig interessante, von mir schon einigemal erwähnte Zimmerkellner Marko. Er war nicht so leicht zu durchschauen: obwohl wir unsere Bekanntschaft mit Awgust Matwejitsch nur ihm zu verdanken hatten, stand er jetzt durchaus nicht auf seiner Seite, was er uns auch selbst gestand.

»Ich bin bereit,« sagte er, »jede Kirchenbuße auf mich zu nehmen, weil ich Sie mit dem Herrn bekannt gemacht habe; jetzt glaube ich aber, daß es weniger meine Schuld als Gottes Wille war. Und Ihre ganze jetzige Sympathie für ihn beruht nur darauf, – nehmen Sie es mir nicht übel! – daß er nicht russischer Abstammung ist; er aber hat es verschuldet, daß unser Geschäft jetzt in schlechtem Rufe steht und daß die Polizei unsere Angestellten unter allen möglichen Vorwänden einsperrt und überall nach dem Gelde forscht … Es ist nur Sünde und nichts als Sünde …« schloß Marko und zog sich in seine finstere Kammer zurück, wo er einen mächtigen Heiligenschrein hatte, vor dem ein ewiges Lämpchen brannte.

Marko tat uns irgendwie leid. Manchmal stand er stundenlang vor den Heiligenbildern und dachte über etwas nach.

»Was denkst du immer, Marko?«

Er zuckt die Achseln und antwortet:

»Wie sollte ich nicht denken, meine Herren? So ein Unglück, so eine Schande … eine Christenseele ist zugrunde gegangen!«

Diejenigen, die mit ihm öfters sprachen, kamen zuerst auf einen neuen Gedanken, in den sie nach und nach auch die Anderen einweihten.

»Marko ist ein einfacher Mensch,« pflegten sie zu sagen, »aus dem Bauernstande; ist aber klug und hat den gesunden Menschenverstand eines einfachen russischen Bauern.«

»Und ist obendrein ehrlich.«

»Ja, auch ehrlich. Sonst hätte ihm der Hotelbesitzer das Geschäft garnicht anvertraut. Er ist eben ein zuverlässiger Mensch.«

»Ja, ja, ja,« bestätigte der Pfarrer, den Rauch durch seinen breiten Bart blasend.

»Er sieht die Dinge ganz einfach an und merkt darum manches, was wir nicht merken. Er beurteilt die Sache so: wozu hat der die ganze Sache eingebrockt? Das Geld will er ja nicht nehmen. Also braucht er das Geld gar nicht …«

»Es ist klar, daß er es nicht braucht, wenn er es nicht nimmt.«

»Natürlich! Er hat ja das Ganze auch nicht des Geldes wegen eingebrockt …«

»Wozu denn sonst?«

»Fragen Sie danach Marko und nicht mich.«

Auch der Pfarrer sagte:

»Ja, ja, ja, wollen wir Marko hören.«

»Und was sagt Marko?«

»Marko sagt: traue dem Polen nicht.«

»Warum denn?«

»Weil er eben Pole und Ketzer ist.«

»Aber erlauben Sie doch! Ketzer ist eine Sache für sich, und Dieb wieder eine Sache für sich. Die Polen sind ein Volk mit großer Ambition, und es ist nicht ganz anständig, von ihnen so zu denken.«

»Aber erlauben Sie, erlauben Sie!« unterbricht der von Marko inspirierte Kamerad: »Sie sagen: man darf von ihm nicht so denken; Sie wissen aber gar nicht, was für ein Denken ich meine … Von einem Diebstahl ist nicht die Rede, nicht der geringste Verdacht liegt gegen ihn vor; der Pole hat aber das, was Sie vorhin selbst sagten: Ambition.«

»Was für ein Interesse hat er dann, daß das Geld verschwunden sein soll?«

»Was für ein Interesse er daran hat?«

»Jawohl!«

»Fällt Ihnen denn selbst gar nichts ein?«

Alle dachten angestrengt nach: Was kann mir dazu einfallen?

»Nein, uns fällt nichts ein.«

»Das kommt eben davon, daß Ihre Köpfe mit Adel vollgestopft sind. Der einfache russische Bauer sieht aber, was der Pole will.«

»Nun was will er denn? Sagen Sie es einmal, es geht uns doch alle an!«

»Ja, es geht uns alle an … Es liegt im Interesse seiner Heimat, uns diese Schande anzutun.«

»Mein Gott!«

»Selbstverständlich! Nun kann er überall verbreiten, daß in der Gesellschaft russischer Offiziere ein gemeiner Diebstahl möglich ist ..«

»Wenn es sich so verhält, wie Sie es meinen …«

»Natürlich verhält es sich so!«

»Hol ihn der Teufel!«

»Was für ein tückisches Volk die Polen doch sind!«

Auch der Pfarrer war der gleichen Ansicht und sagte:

»Ja, ja, ja!«

Wir überlegten uns die Sache noch weiter und kamen zum Entschluß, daß man Markos Kombination auch dem Kommandeur mitteilen müsse; man dürfe ihm aber nicht verraten, daß die Idee von Marko stamme, weil es den Eindruck abschwächen könnte; man müsse sich vielmehr auf eine andere Quelle von größerer Autorität und geringerer Verantwortlichkeit berufen.

»Jemand hat es im Wirtshaus beim Billardspiel erzählt …«

»Nein, das klingt nicht gut. Der Oberst wird darauf sagen: Sie haben so etwas gehört und sind nicht eingeschritten? So einen Kerl hätten Sie doch auf der Stelle verhaften müssen!«

»Man muß eben etwas anderes ausdenken.«

»Was denn?«

Hier half uns der Pfarrer:

»Sie sagen einfach, daß Sie es im Dampfbade gehört haben.«

Dieser Vorschlag gefiel allen. Das war ja in der Tat klug erdacht: das Dampfbad ist ein öffentlicher Ort, da reden und schreien alle durcheinander, und alle sind nackt. Wer hat es gesagt? – Geh einer hin und stelle es fest; da müßte man doch alle verhaften, denn im Dampfbade sind alle Menschen nackt und gleich.

Man nahm diesen Vorschlag an und ersuchte den Pfarrer, ihn auch auszuführen.

Der Pfarrer ging am nächsten Tag zum Obersten und erzählte es ihm.

Der Oberst zeigte für das Gerücht Interesse und sagte:

»Das Schlimmste dabei ist, daß es schon zu einem allgemeinen Gerede geworden ist … Selbst im Bade sprechen die Leute schon davon.«

Der Pfarrer fiel ein:

»Ja, ja, ja! Ich habe es selbst im Bade gehört.«

»Und Sie konnten wirklich nicht feststellen, wer das gesagt hat?«

»Nein, ich konnte es beim besten Willen nicht.«

»Das ist sehr schade.«

»Ja … Ich hätte es selbst gerne festgestellt, konnte es aber nicht, weil im Bade alle Menschen gleich sind. Uns geistliche Personen kann man noch einigermaßen unterscheiden, weil wir zwar Männer sind, aber Zöpfe tragen. Doch die anderen Menschen sehen einander vollkommen gleich.«

»Sie hätten ja den, der es gesagt hat, bei der Hand packen können.«

»Bedenken Sie doch, ein eingeseifter Mensch kann mir leicht entschlüpfen! Außerdem befand ich mich gerade auf der obersten Dampfbank und konnte den Betreffenden nicht einmal mit der Hand erreichen.«

»Na ja, – wenn Sie ihn nicht erreichen konnten, so ist eben nichts zu machen … Nun glaube ich, das Beste wäre, die Sache jetzt auf sich beruhen zu lassen … Es ist ja schon einige Zeit verstrichen, und der Pole hat uns das Wort gegeben, nach einem Jahre wieder herzukommen … Ich glaube, daß er sein Wort halten wird. Sagen Sie mir jetzt bitte folgendes: was halten Sie, als Geistlicher, von den Träumen? Sind die Träume Unsinn oder nicht?«

Der Pfarrer antwortete:

»Das hängt von den Überzeugungen ab …«

»Von was für Überzeugungen?«

»Nein, ich wollte etwas anderes sagen … Es gibt Träume, die von Gott kommen und den Menschen erleuchten; es gibt auch natürliche Träume, die von der Verdauung kommen; es gibt auch verderbliche Träume, und diese sind vom Bösen.«

»So ist es eben,« antwortete der Oberst. »Aber das ist wohl noch nicht alles. Wo würden Sie folgenden Traum einreihen: Meine Frau ist, wie Sie wissen, jung, und der verstorbene Kornett war ihr Vetter und Jugendfreund; sein Tod hat sie daher sehr erschüttert und abergläubisch gemacht. Außerdem ist unser Kind gestorben. Kurz vorher hatte sie aber einen Traum.«

»Was Sie nicht sagen!«

»Ja, ja, ja. Was die Träume betrifft, so beurteilt sie diese so, wie Sie eben sagten. Ich stehe nicht auf diesem Standpunkte, will aber dem auch nicht widersprechen. Obwohl ich aus eigener Erfahrung weiß, daß man schlechte Träume hat, wenn man spät zu Abend ißt; solche Träume kommen offenbar vom Magen.«

»Ja, vom Magen«, stimmte der Pfarrer zu. »Die meisten Träume kommen vom Magen.« Der Oberst ließ ihn aber noch nicht los.

»Jawohl«, fuhr der Oberst fort, »das ist eben die Sache, daß sie keinen Traum, sondern eine Vision gehabt hat …«

»Was, eine Vision?«

»Ja, eine Vision: sie sieht und hört es nicht im Schlafe und nicht mit geschlossenen Augen, sondern im Wachen …«

»Das ist seltsam.«

»Sehr seltsam, – umsomehr, als sie ihn noch nie gesehen hat!«

»Ja, ja, ja … Wen hat sie nicht gesehen?«

»Den Polen natürlich!«

»Ach so! .. ja, ja, ja! Ich verstehe.«

»Meine Frau hat ihn niemals gesehen, weil sie während jenes unglücklichen Ereignisses zu Bett lag. Sie konnte nicht einmal von der Leiche des Unglücklichen Abschied nehmen, – wir verheimlichten vor ihr seinen Tod, damit ihr die Milch nicht in den Kopf steige.«

»Behüte Gott!«

»Gewiß … Natürlich wäre schon der Tod besser als das … Es ist wohl Wahnsinn. Aber denken Sie sich nur: er verfolgt sie auf Schritt und Tritt!«

»Der Verstorbene?«

»Aber nein – der Pole! Ich bin jetzt sogar sehr froh, daß Sie mich nach dem Bade aufgesucht haben und ich mit Ihnen darüber sprechen kann … Vielleicht können Sie mir dazu auf Grund Ihrer geistlichen Praxis etwas sagen.«

Und der Oberst erzählte dem Pfarrer, daß unsere junge, rosige Kommandeuse immer den Polen vor sich sehe … Sie schildere unseren Awgust Matwejitsch wie er leibt und lebt, und er komme ihr wie eine altmodische englische Standuhr vor …

Als der Pfarrer das hörte, sprang er förmlich auf.

»Das ist ja einfach unglaublich!« rief er aus: »Alle Offiziere nennen ihn ja ‚die Standuhr‘!«

»Darum erzähle ich es eben, weil es so unglaublich ist! Stellen Sie sich nun vor, daß wir in unserm Salon just eine solche altmodische Standuhr, obendrein eine mit einem Glockenspiel stehen haben; wenn man sie aufzieht, so hört das Bimmeln gar nicht auf. Meine Frau fürchtet sich sogar, in der Dämmerung durch den Salon zu gehen. Wir können aber die Uhr nirgends fortschaffen; sie soll auch sehr wertvoll sein, und meine Frau hat sie jetzt auch selbst lieb gewonnen.«

»Warum eigentlich?«

»Sie sinnt gerne … sie glaubt, im Pendelschlag etwas zu hören … Sie hört darin immer die Worte: ‚Ich – such! – Ich – such!‘ Jawohl! Sie fühlt sich dadurch irgendwie angezogen und hat zugleich unheimliche Angst … Sie schmiegt sich immer an mich und will, daß ich sie in den Armen halte. Ich glaube sogar, daß sie wieder in Umständen ist.«

»Ja, ja … das ist ja bei einer verheirateten Frau wohl möglich … Sogar sehr möglich!« platzte der Pfarrer heraus. Mit diesen Worten lief er davon und kam zu uns, so verschwitzt, wie wenn er tatsächlich aus dem Dampfbade käme. Er erzählte uns alles in einem Zug, ersuchte uns aber, alles geheim zu halten.

Der Verlauf seiner Unterredung mit dem Obersten gefiel uns übrigens nicht. Wir waren der Ansicht, daß der Oberst der ihm mitgeteilten Entdeckung nicht die gebührende Beachtung geschenkt und sie auf eine ganz unpassende Weise mit seinen eigenen Eheangelegenheiten in Verbindung gebracht habe.

Einer von uns, ein Kleinrusse, fand dafür sofort eine Erklärung.

»Die Mutter des Obersten«, sagte er, »heißt Veronika Stanislawowna.«

Die anderen fragten ihn:

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Nichts weiter, als daß seine Mutter Veronika Stanislawowna heißt.«

Man deutete es natürlich in dem Sinne, daß die Mutter des Obersten Polin sei und er daher ungern derartige Ansichten über die Polen höre.

Unsere Offiziere beschlossen, den Obersten gänzlich aus dem Spiele zu lassen, und wählten einen Kameraden, der imstande war, jeden beliebigen Menschen tätlich zu beleidigen. Dieser Kamerad nahm Urlaub und begab sich auf die Suche nach Awgust Matwejitsch, um ihn zu zwingen, das Geld anzunehmen; im Falle er die Annahme verweigern sollte, würde er ihn aber ins Gesicht schlagen.

Er hätte diesen Beschluß auch sicher ausgeführt, wenn er ihn gefunden hätte. Nach der Fügung des Himmels kam es aber ganz anders.

XVIII

An einem heißen Tag Ende Mai kam ganz unerwartet Awgust Matwejitsch in eigener Person angefahren. Er lief schnell die Treppe hinauf und rief:

»He, Marko!«

Marko, der in seiner Kammer war, wo er wohl vor den Heiligenbildern betete, kam sofort herausgesprungen.

»Awgust Matwejitsch«, ruft er: »nun sind Sie endlich wieder einmal hier!«

Jener aber antwortet:

»Ja, mein Lieber, ich bin wieder hier. Und du, Schurke, gießt noch immer deine Kirchenglocken und verbreitest, damit sie besser läuten, unsinnige Gerüchte über anständige Menschen?«

Und mit diesen Worten schlägt er ihn ins Gesicht.

Marko fällt um und schreit:

»Was ist denn das? .. Wofür? ..«

Wir alle, die gerade zu Hause waren, sprangen aus unseren Zimmern heraus und wollten schon für Marko eintreten. Was hat er denn für ein Recht, Marko zu schlagen: Marko ist ja so ehrlich!

Awgust Matwejitsch aber sagt:

»Ich bitte Sie, einen Augenblick zu warten: mir folgen auf dem Fuße noch andere Gäste, in deren Gegenwart ich Ihnen seine Ehrlichkeit beweisen werde. Ich bitte Sie nur, ihn nicht anzurühren, damit ich ihn für keinen Augenblick aus den Augen verliere.«

Wir traten etwas zurück, und im nächsten Augenblick kam schon die Polizei.

Awgust Matwejitsch wandte sich an die Beamten und sagte:

»Wollen Sie ihn verhaften: ich übergebe Ihnen hiermit einen völlig überführten Dieb, und hier sind die Beweise.«

Und er legte eine Bestätigung vor, aus der hervorging, daß die Glockengießerei von Marko eine Banknote erhalten hatte, deren Nummer mit einer der Banknoten, die Awgust Matwejitsch am Tage vor dem Diebstahl ausbezahlt bekam, übereinstimmte.

Marko fiel in die Knie und gestand, wie die Sache war. Awgust Matwejitsch hatte gleich nach seiner Ankunft die Banknoten aus der Tasche genommen und unter das Kopfkissen gesteckt. Diesen Umstand hatte er später vergessen und sich eingebildet, das Geld befinde sich noch in seiner Rocktasche. Als Marko ihm das Bett machte, fand er das Geld und eignete es sich an, in der Hoffnung, daß es ihm gelingen würde, jemand anderen in die Sache zu verwickeln, was ihm, wie wir gesehen haben, auch wirklich gelang. Um seine Sünde vor Gott wieder gutzumachen, bestellte er zu der bereits vorher angeschafften Kirchenglocke noch ein ganzes abgestimmtes Glockenspiel, das er mit einer der gestohlenen Banknoten bezahlte.

Die übrigen Banknoten fand man auch sofort im Kasten unter dem Heiligenschreine.

Und nun begannen bei uns unsere eigenen »Glocken von Corneville« zu läuten. Alle schlugen die Hände über den Köpfen zusammen, weinten dem unglücklichen Sascha noch eine Träne nach und beschlossen zuletzt, die erfreuliche Entdeckung gebührend zu feiern.

Alle waren Awgust Matwejitsch dankbar, und der Kommandeur veranstaltete, um ihm seinen Dank und seine Achtung zu zeigen, einen großen Abend ihm zu Ehren, zu dem er den ganzen Adel einlud. Selbst seine Mutter, die bereits erwähnte Veronika – sie war schon in den Siebzigern – kam zu dieser Festlichkeit gefahren; es stellte sich aber heraus, daß sie gar nicht »Stanislawowna« sondern Veronika »Wassiljewna« hieß; auch stammte sie aus dem geistlichen Stande und war die Tochter eines Protopopen; der Name »Veronika« kommt aber auch im russischen Kalender vor. Warum man sie vorher für eine »Stanislawowna« gehalten hatte, blieb unaufgeklärt.

Die Kommandeuse zeichnete Awgust Matwejitsch ganz besonders aus: sie stand auf, ging ihm entgegen und reichte ihm beide Hände; er bat sie, ihm seine »polnische Manier« zu entschuldigen, und küßte ihr beide Hände. Am nächsten Tage schickte er ihr aber einen Brief in französischer Sprache, in dem er ihr sagte, daß er das Geld gar nicht des Geldes wegen, sondern nur der Ehre wegen gesucht habe … Obwohl es nun gefunden worden sei, wolle er es nicht annehmen, »weil daran Blut klebe«. Und er bat die Frau Oberst, ihm die Gnade zu erweisen und mit diesem Gelde ein armes kleines Waisenmädchen groß zu ziehen, das er ausfindig gemacht habe; es sei just in derselben Nacht zur Welt gekommen, in der Sascha aus dem Leben geschieden. »Vielleicht wohnt in dem Kinde seine Seele.«

Die junge Kommandeuse war sehr gerührt und erklärte sich bereit, das Kind anzunehmen. Awgust Matwejitsch überbrachte es ihr persönlich in einem sauberen weißen, mit Tüll und weißen Bändern garnierten Korbe.

»Der schlaue Pole!« Alle beneideten ihn, daß er es in einer so schönen, zarten und einschmeichelnden Form einzurichten verstand. Ja, dieser Mystiker!

Sie soll beim Abschied von ihm geweint haben; wir aber verabschiedeten uns von ihm unter Trinksprüchen und Schmollistrinken im Wäldchen vor der Stadt. Das war ganz zufällig gekommen: wir zechten gerade draußen, als er vorbeifuhr. Wir entschuldigten uns zuvor, zogen ihn dann vom Wagen, tranken ohne Ende und erzählten ihm ganz aufrichtig, was für eine schlechte Meinung wir von ihm gehabt hatten.

»Erzähle uns nun, wie du das so eingerichtet hast!« drangen wir in ihn.

Er sagte:

»Ich habe gar nichts eingerichtet, meine Herren, es ist alles ganz von selbst so gekommen …«

»Mache keine Ausflüchte«, sagten wir ihm, »du bist ja Pole, und wir können dir daraus keinen Vorwurf machen. Wie hast du es aber fertig gebracht, ein Kind zu finden, das just in der Nacht auf die Welt kam, in der Sascha gestorben ist, so daß es das gleiche Alter hat wie das verstorbene Kind der Kommandeuse? ..«

Der Pole lachte:

»Meine Herren, wie habe ich das einrichten können?«

»Das ist es eben! Ihr Polen seid so fein, daß sich der Teufel in euch auskennt!«

»Glauben Sie mir: ich höre heute zum erstenmal, ich sei so fein, daß ich mich selbst nicht sehe. Lassen Sie mich aber weiterfahren, sonst spannt der Postkutscher, wie es seine Pflicht ist, die Pferde aus.«

Wir ließen von ihm ab, halfen ihm in den Wagen und riefen dem Kutscher zu: »Los!«

Er versuchte, sich vor uns möglichst graziös zu verbeugen, die Pferde zogen aber in diesem Augenblick an, und er verbeugte sich höchst zweideutig mit dem Rücken. So endete unsere traurige Geschichte. Sie finden darin keine Ideen, die irgendeine Beachtung verdienten; ich erzählte sie nur, weil sie mir interessant erscheint. Vor Zeiten war es so, daß jede noch so unbedeutende Sache leicht zu etwas Großem und Interessantem anwachsen konnte. Heute ist es aber umgekehrt: eine Geschichte läßt sich Gott weiß wie groß an; wie sie aber den Leuten in die Hände kommt, wird sie immer kleiner und kleiner, bis von ihr schließlich nichts mehr zurückbleibt … Gar mancher fängt zu lieben an und gibt es plötzlich auf, weil es ihm zu langweilig wird. Worauf mag das beruhen? Ich glaube, daß es viele Gründe hat. Und ist nicht einer der Hauptgründe unsere Gleichgültigkeit gegen das, was man persönliche Ehre nennt?

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
13 октября 2017
Объем:
230 стр. 1 иллюстрация
Переводчик:
Правообладатель:
Public Domain

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