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Das Insolvenzgeld als Mittel zur Fortführung und Sanierung von Unternehmen
im Spannungsfeld zwischen Sanierung und Arbeitnehmerschutz

Nick Marquardt

Fachmedien Recht und Wirtschaft | dfv Mediengruppe | Frankfurt am Main

Zugl.: Halle-Wittenberg, Univ., Diss., 2020

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-8005-1795-4


© 2021 Deutscher Fachverlag GmbH, Fachmedien Recht und Wirtschaft, Frankfurt am Main

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Druck: WIRmachenDRUCK GmbH, Backnang

Printed in Germany

Vorwort

Im Vorwort eines Machwerkes geht es immer um Danksagungen, die verhindern sollen, dass niemand mehr mit dem Autor eines Buches spricht. Ich hoffe, dass meine Danksagungen zumindest bei den Beteiligten ein kleines Schmunzeln auslösen, weil sie ein bisschen persönlicher ausfallen als es üblich ist.

An erster Stelle stehen da meine Eltern. Ohne euch wäre ich nicht hier. Die Kausalität lässt sich schlecht leugnen. Danke dafür, dass ihr mich all die Jahre bedingungslos durchgefüttert habt. Es war nicht immer leicht mit euch (mit mir zum Glück auch nicht), aber am Ende war es gut so, wie es war. Ich war sicher kein einfaches Kind, aber immerhin habe ich jetzt ein Buch geschrieben. Es besteht also noch Hoffnung in dieser Welt! Im Ernst: Ich hätte mir keine besseren Eltern wünschen können.

Neben meiner gesamten Familie bin ich selbstverständlich den Menschen dankbar, die mich fachlich hierher begleitet haben.

An erster Stelle danke ich Herrn Prof. Dr. Stephan Madaus für die Betreuung dieser Arbeit und seine hilfreichen Anregungen und Ideen. Ihre Kritik hat mich immer weitergebracht, auch und vor allem wenn wir nicht einer Meinung waren. Besonderer Dank gebührt Ihnen dafür, dass sie mich davor bewahrt haben, zu hart mit anderen Auffassungen zu sein. Vorsichtige Kritik liegt mir nicht so.

Frau Prof. Dr. Katja Nebe danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die wertvollen Hinweise aus arbeits- und sozialrechtlicher Perspektive. Danke außerdem für die vielen diskussionsfreudigen Stunden im Repetitorium. Ich denke, dass auch diese Zeit mehr Einfluss auf mich hatte als mir bewusst war. Es hat mich nicht nur fachlich weitergebracht, sondern mir auch immer verdammt viel Spaß gemacht.

Herrn Rechtsanwalt Herbert Feigl für die Möglichkeit berufsbegleitend dieses Projekt anzugehen und die unzählbaren fachlichen Anregungen, Erfahrungen und Gespräche. Meine persönliche „Schwäche“ für den „erweiterten Infinitiv mit zu“ konnte ich hier hoffentlich einigermaßen überwinden.

Frau Christin Hartmann; für die vielen fachlichen, aber mehr noch die freundschaftlichen Anmerkungen, Gespräche, Lerngruppen, Stammtische und so ziemlich alles andere, womit ich dich in der Zeit dieser Arbeit belästigt habe. Danke, dass du mir immer dann den Spiegel vorhältst, wenn ich mich nicht sehen will. Ich hasse es, wenn du Recht hast! Aber es gibt nur wenige Meinungen, die ich so schätze, wie deine!

Herrn Rechtsanwalt Philipp Hoffmann für die kritische Durchsicht des Manuskripts und die vielen hilfreichen Anmerkungen. Unsere Gespräche und Diskussionen waren mir stets eine fachliche und menschliche Freude. Mir fällt es schwer, dafür möglichst unverbindliche Worte zu finden. Ich bin mir aber sicher, dass du dich über die Erwähnung freust.

Über Anmerkungen und Kritik zu diesem Buch freue ich mich jederzeit. Im Prinzip weiß ich wahrscheinlich auch heute noch weniger über das Thema als ich glaube. Ich bleibe auch nach der Veröffentlichung auf der Suche nach der besseren Idee und dem besseren Argument.

„Wir müssen kritisch tastend, ähnlich wie es die Käfer tun, in aller Bescheidenheit die objektive Wahrheit suchen. Wir dürfen nicht länger die allwissenden Propheten zu spielen versuchen. Aber das heißt: Wir müssen uns ändern.“1

1 K. Popper, Alles Leben ist Problemlösen, S. 254.

Inhaltsverzeichnis

1  Vorwort

2  A. Einleitung I. Die Krise als Chance II. Der „kleinste gemeinsame Nenner“ III. Anlass der Darstellung 1. Wozu braucht es weitere Überlegungen zum Insolvenzgeld? 2. Die Ausgangsposition des Arbeitnehmers 3. Methodische Vorüberlegungen IV. Insolvenzgeld in der gesamtgesellschaftlichen Betrachtung 1. Der gesellschaftliche Wert des Insolvenzgeldes 2. Sanierung im finanzpolitischen Kontext 3. Überblick über weitere Sanierungsmittel V. Wo ist jetzt eigentlich das Problem? 1. Auslegung der §§ 165ff. SGB III 2. Mehrfache Insolvenzereignisse

3  B. Insolvenzgeld und Sanierung beim Eintritt des ersten Insolvenzereignisses I. Historischer Kontext 1. Sinn und Unsinn einer historischen Darstellung 2. Vom Konkursausfallgeld zum heutigen Insolvenzgeld 3. Die gleichzeitige Entwicklung des Insolvenzrechts a) Die Anfänge des Insolvenzrechts b) Von der Konkursordnung zur Insolvenzordnung 4. Die Vorfinanzierung aus historischer Sicht 5. Historische Betrachtung – was bleibt? a) Auswirkungen sozialrechtlicher Änderungen b) Auswirkungen der insolvenzrechtlichen Änderungen II. Die Insolvenzgeldvoraussetzungen im Regelinsolvenzverfahren 1. Allgemeines 2. Der Tatbestand des § 165 SGB III 3. Allgemeine Voraussetzungen a) Arbeitnehmer aa) Beschäftigungsverhältnis oder Arbeitsverhältnis? bb) Bindungswirkung b) Offene Ansprüche auf Arbeitsentgelt c) Erlöschen der zugrunde liegenden Ansprüche aa) Erfüllung bb) Cashpool und Erfüllung cc) Hinterlegung dd) Treuhandkonten ee) Zwischenfazit d) Inlandsbeschäftigung aa) Kriterien einer Inlandsbeschäftigung bb) Ein- und Ausstrahlung e) Innerhalb des Dreimonatszeitraums aa) Regelfall bb) Gegenauffassung cc) Ausnahme § 165 Abs. 3 SGB III dd) Ruhende Arbeitsverhältnisse 4. Insolvenzereignisse a) Formelle Insolvenzereignisse aa) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bb) Die Abweisung mangels Masse b) Betriebsbeendigung aa) Rechtsnatur der Betriebsbeendigung bb) Vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit cc) Abgrenzung zur Betriebsstillegung gemäß § 111 S. 2 Nr. 1 BetrVG und § 15 Abs. 4 KSchG dd) Der Insolvenzantrag als negative Voraussetzung ee) Sperrwirkung unzulässiger Insolvenzanträge ff) Die Rücknahme eines Insolvenzantrages 5. Umfang des Insolvenzgelds 6. Errechnung und Auszahlung des Insolvenzgelds III. Vorfinanzierung 1. Ausgangslage a) Insolvenzeröffnungsverfahren b) Verzögerung des Insolvenzeröffnungsverfahrens? 2. Prinzip der Vorfinanzierung a) Kreditierungsverfahren b) Forderungskaufverfahren c) Vorschuss statt Vorfinanzierung 3. Zustimmung durch die Bundesagentur für Arbeit a) Begriff der Zustimmung b) Rechtsnatur der Zustimmung c) Umfang der Prognose gemäß § 170 Abs. 4 S. 2 SGB III aa) Bisherige Kriterien der Bundesagentur für Arbeit bb) Prognose des vorläufigen Insolvenzverwalters cc) Anforderungen an eine Prognose d) Verweigerung der Zustimmung e) Lösungsmöglichkeiten 4. Exkurs: Der Einfluss der Vorfinanzierung auf die Vergütung des Insolvenzverwalters a) Einfluss auf die Insolvenzmasse insgesamt b) Zuschläge für die Vorfinanzierung c) Zwischenergebnis IV. Zweck und Funktion des Insolvenzgelds als bestimmende Faktoren 1. Die Finanzierung des Insolvenzgelds 2. Perspektivische Zweckbestimmung a) Insolvenzgeld als Schnittstellenmaterie aa) Sozialrecht bb) Arbeitsrecht cc) Europarecht b) Insolvenzrecht aa) Gläubigerbefriedigung bb) Die Sanierung als Verfahrensziel cc) Vorrang der Sanierung c) Auswirkungen auf das Insolvenzgeld 3. Die Sanierungsfunktion der Vorfinanzierung a) Die Sanierungsfunktion in der Rechtsprechung des BSG b) Die Sanierungsfunktion des Insolvenzgelds c) Sanierungsfunktion und Arbeitnehmerschutz d) Zusammenfassung 4. Auslegungsgrundsätze V. Insolvenzgeld in Planverfahren und Eigenverwaltung 1. Unterschiede der Verfahrensarten a) Eigenverwaltung und Insolvenzplan im Überblick b) Die Rechtsstellung der Beteiligten in der Eigenverwaltung aa) Die Rechtsstellung des Schuldners bb) Die Rechtsstellung des Sachwalters cc) Die Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters 2. Auswirkungen der Rechtsstellung auf die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld a) Organisation der Vorfinanzierung b) Kompetenzen des vorläufigen Sachwalters c) Exkurs: Gefahren für die Unabhängigkeit des Sachwalters d) Zusammenfassung 3. Vorfinanzierung und Eigenverwaltung de lege ferenda a) Probleme der Vorfinanzierung in der Eigenverwaltung b) Lösungsmöglichkeiten de lege ferenda 4. Beendigung des Insolvenzverfahrens durch Insolvenzplan a) Bestätigung des Insolvenzplans und Aufhebung des Insolvenzverfahrens b) Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit c) Weitere Wirkungen des Plans gemäß § 254 InsO d) Überwachung und Planerfüllung

4  C. Der Eintritt eines zweiten Insolvenzereignisses I. Ursachen für den Eintritt eines zweiten Insolvenzereignisses 1. Endogene Faktoren 2. Exogene Faktoren 3. Die nachhaltige Sanierung 4. Der Begriff der nachhaltigen Sanierung a) Herkunft des Wortes b) Normativität des Begriffs c) Der dynamische Sanierungsbegriff d) „Nachhaltigkeit“ der Sanierung e) Der Weg zur nachhaltigen Sanierung f) Die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit g) Die Rechtsprechung des BGH zur wiederhergestellten Zahlungsfähigkeit aa) Die Wiederaufnahme der Zahlungen bb) Widerspruch zur Stichtagsbetrachtung des § 17 InsO II. Die Rechtsprechung des BSG zur erneuten Inanspruchnahme von Insolvenzgeld 1. Die Ausgangslage a) Entscheidung des BSG, Urteil vom 22. Februar 1989 – 10 RAr 7/88 –, SozR 4100 § 141b Nr. 45 b) Entscheidung des BSG vom 17. März 2015 Az: B 11 AL 9/14 R c) Entscheidung BSG, Urteil vom 23. Mai 2017 – B 12 AL 1/15 R –, SozR 4-4300 § 175 Nr. 2 2. Kritische Würdigung a) Ausgangslage in der Literatur b) Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer c) Tauglichkeit des Insolvenzplans aa) Evident untaugliche Insolvenzpläne bb) Ernsthafter Sanierungsversuch cc) Das Argument der „allgemeinen Wiederaufnahme von Zahlungen“ d) Die Bestätigung des Insolvenzplans als Zäsur aa) Zahlungsunfähigkeit als eigener Begriff bb) Sozialrechtliche Zahlungsunfähigkeit, ein Sonderweg? cc) Konfusion der Zahlungsunfähigkeit dd) Historische Auslegung als Rechtfertigung? e) Die Problematik der Freigabe aa) Grundlagen zur Freigabe bb) Auswirkungen der Freigabe auf die Zahlungsunfähigkeit cc) „Abweichende Beurteilung“ im Sozialrecht f) Spannungsverhältnis Insolvenzrecht und Sozialrecht 3. Zwischenergebnis III. Gegenentwurf zur Sperrwirkung 1. Maßgebliche Beurteilungskriterien 2. Arbeitnehmerschutz 3. Vertrauensschutz durch Zeitablauf 4. Sanierungskonzept

5  D. Der Missbrauch von Insolvenzgeld und Vorfinanzierung I. Risiken der Insolvenzgeldvorfinanzierung 1. Risiken des vorfinanzierenden Kreditinstituts 2. Risiken für die Bundesagentur für Arbeit? II. Die rechtswidrige Zustimmung zur Vorfinanzierung III. Grenzen einer erneuten Inanspruchnahme 1. Insolvenzgeldgewährung 2. Vorfinanzierung a) Umfang der Prüfung der Bundesagentur beim zweiten Insolvenzereignis b) Durchführung der Prüfung c) Zweifelsfälle IV. Haftungsfragen bei Vorfinanzierung und Insolvenzgeld 1. Allgemeines 2. Insolvenzgeld als begünstigender Verwaltungsakt 3. Fehlerhafte Vorfinanzierung 4. Zahlung der Arbeitnehmeransprüche durch Dritte 5. Persönliche Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters und des vorläufigen Sachwalters a) Anspruchsgrundlage b) Pflichtverletzungen des vorläufigen Sachwalters c) Pflichtverletzungen des vorläufigen Insolvenzverwalters ohne Verfügungsbefugnis d) Pflichtverletzungen des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Verfügungsbefugnis e) Verschulden f) Schaden einer unterlassenen Vorfinanzierung g) Zusammenfassung zur Haftung

6  E. Zusammenfassung – was bleibt? I. Die Entwicklung des Insolvenzgelds II. Tatbestand und Rechtsfolge III. Vorfinanzierung und Zustimmung durch die Bundesagentur IV. Eigenverwaltung und Plan V. Die gescheiterte Sanierung – Folgen einer erneuten Insolvenz VI. Gegenkonzept zur Sperrwirkung VII. Missbrauch der Vorfinanzierung VIII. Haftungsfragen

7  F. Ende gut – alles gut? I. „To put it in a nutshell“ II. Der Blick in die Glaskugel

8  G. Literaturverzeichnis

A. Einleitung

I. Die Krise als Chance

Ist eine erfolgreiche Sanierung Glück? Eine ketzerische Eingangsfrage! Die meisten erfolgreichen Unternehmer und Sanierungsexperten würden das bestreiten. Wer gibt in einer Leistungsgesellschaft schon gerne zu, dass nicht harte Arbeit oder herausragende Fähigkeiten, sondern allein Glück und Zufall wesentliche Erfolgsfaktoren waren? Wer gibt zu, dass manche Entscheidungen sich nur zufällig als richtig herausgestellt haben? Fast niemand. Aber wie viele medienwirksame Erfolgsgeschichten kommen wirklich auf die ca. 19.000 Unternehmensinsolvenzen pro Jahr? Menschen neigen psychologisch dazu, die Erfolgswahrscheinlichkeit und ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen.2 Survivorship Bias und Overconfidence Effect sind gleichzeitig mitursächlich für neue Krisen.3 Erst das Eingestehen der eigenen Fehlbarkeit ist der Anfang der Problembekämpfung. Gerade das fällt aber Führungspersönlichkeiten besonders schwer.4 Dazu gehört eben auch, die eigene Position als Geschäftsführer kritisch zu hinterfragen.

Insolvenzrecht und insbesondere das Insolvenzgeld sind nur die Werkzeuge, um den Weg aus der Krise zu meistern. Das Insolvenzgeld ist aber kein Allheilmittel. Am Ende entscheidet der richtige Einsatz des Werkzeugs über Erfolg und Misserfolg. Das vorausgeschickt, soll nachfolgend das Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung, erstmalig monografisch, dargestellt werden. Ich habe mich um größtmögliche Verständlichkeit, Einfachheit und Klarheit in der Sprache bemüht, kann aber nicht leugnen, dass Fachtermini eben fachspezifisch sind. Der nicht juristisch vorbefasste Leser möge mir das bitte nachsehen.

2 Elton/Gruber/Blake, Survivor Bias and Mutual Fund Performance The Review of Financial Studies 1996, S. 1097–1120. 3 Elton/Gruber/Blake, Survivor Bias and Mutual Fund Performance The Review of Financial Studies 1996, S. 1097–1120. 4 Vgl. in diesem Zusammenhang Furtner, Dark Leadership Narzisstische, machiavellistische und psychopathische Führung, S. 4ff.

II. Der „kleinste gemeinsame Nenner“

Man fängt also bei einem „kleinsten gemeinsamen Nenner“ an, nämlich einer Situation, mit der jeder Leser etwas Konkretes verbindet. Denn erfahrungsgemäß hatte jeder (bzw. Freunde und Bekannte) schon mal Berührung mit dem Insolvenzgeld, zumindest aber mit vergleichbaren Sozialleistungen (sei es Arbeitslosengeld I oder II, BAföG o.ä.). Die meisten Menschen arbeiten als Angestellte. Manche können sogar ihr ganzes Leben bei einem Unternehmen verbringen. Das ist erfreulich. Doch nicht immer funktioniert das Arbeitsleben so reibungslos. Arbeitgeber sind genau wie Arbeitnehmer fehlbar. Man kann betriebswirtschaftlich „alles richtig“ machen, aber sein Unternehmen dennoch erfolgreich an die Wand fahren. Die jüngsten Ereignisse um die Corona-Pandemie bestätigen diese Analyse eindrucksvoll. Wer zu Beginn der Krise gedacht hätte, dass es ganze Branchen vernichten wird, der wäre nur müde belächelt worden. Die Realität interessiert sich nicht für die Erfolge vergangener Tage. Insolvenzverfahren sind in einer sozialen Marktwirtschaft unvermeidbar. Das mag banal klingen, ist aber in Wahrheit eher ein Aufruf zu ökonomischer und intellektueller Bescheidenheit.

Den Arbeitnehmern drohen in der Krise meist Arbeitslosigkeit und sozialer Abstieg. An diesem Punkt in der Erwerbsbiografie angekommen, werden die Arbeitnehmer zwangsläufig das erste Mal mit dem Insolvenzgeld konfrontiert. Ohne allzu viel vorweg nehmen zu wollen, handelt es sich (noch völlig unjuristisch beschrieben) um eine von anderen Unternehmen vorfinanzierte Geldleistung des Staates an Arbeitnehmer insolventer Unternehmen, die dem Arbeitslosengeld ähnelt. Darunter kann man sich auch ohne juristische Spezialkenntnisse etwas vorstellen. Das Insolvenzgeld hat aber noch wesentlich mehr Funktionen und Effekte. Es ist für die Mehrheit der Insolvenzverwalter die „Mutter“ der erfolgreichen Sanierung. Geschäftsfortführung, Insolvenzplan, „übertragende Sanierung“, alle Sanierungsinstrumente des modernen Insolvenzrechts sind letztlich ohne Insolvenzgeld und Vorfinanzierung undenkbar. Die Einführung des Insolvenzgelds durch den Gesetzgeber hat seinerzeit die „Rettung“ eines Unternehmens gleichwertig neben dessen Zerschlagung und Verwertung treten lassen.5 Doch wie nutzt man das Insolvenzgeld zur Sanierung? Welche Probleme können dabei auftauchen? Wie „sanierungsfreundlich“ ist das Insolvenzgeld? Werden die Arbeitnehmer ausreichend durch das Insolvenzgeld geschützt? Diesen und weiteren Fragen will ich nachgehen, nachdem ich eine weitere Kernfrage beantwortet habe: Braucht es überhaupt eine Auseinandersetzung mit dem Insolvenzgeld?

5 Dazu schon Grub, ZIP 1993, 393, (397).

III. Anlass der Darstellung
1. Wozu braucht es weitere Überlegungen zum Insolvenzgeld?

Das ist die erste Frage, die man gestellt bekommt und sich vor allem selbst stellt, wenn man über eine einzelne Abhandlung zu einem Thema sinniert. Reine Theorie hat nur selten einen über die Wissenschaft hinausgehenden Mehrwert. Es ist nicht mein Anspruch, zufällige theoretische Belanglosigkeiten darzustellen. Selbstverständlich kann man Monografien zu Spezialthemen gerade auch aus praktischer Sicht für überflüssig halten. Ich bin daher bestrebt, auch hin und wieder praktische Abläufe zu erläutern und in die Bearbeitung einfließen zu lassen. Die Antwort, ob das gelungen ist, kann wohl nur der Leser selbst geben. Es ist also nur ein Angebot (oder für Juristen eher eine Art invitatio ad offerendum) an den Leser.

2. Die Ausgangsposition des Arbeitnehmers

Die damals noch unverbindlichen Gedanken zum Thema Insolvenzgeld und Sanierung fußten allesamt auf einer Entscheidung des BSG.6 Damals waren das noch Überlegungen, die eher intuitiv waren. Praktisch (insbesondere aus eigener Tätigkeit in Insolvenzverfahren) waren es die ersten Telefonate mit verunsicherten Arbeitnehmern, die resignierten Blicke einer Belegschaft und am Ende die Entscheidungen darüber, ob Arbeitnehmer freigestellt bzw. gekündigt werden sollen oder eben nicht, die zeigen, dass (soziale?) Gerechtigkeit sich nicht allein durch Theoretisieren herstellen lässt.7 Der Kontakt mit der Wirklichkeit geht über das Lehrbuch hinaus. Ein Arbeitnehmer ist nie nur eine leistungswirtschaftliche Ressource zur Erbringung von Arbeitsleistung. Er ist auch keine Zahl in der betriebswirtschaftlichen Auswertung. Hinter jedem Arbeitnehmer verbirgt sich ein Einzelschicksal. Die Sorgen der Arbeitnehmer sind vielfältig. Ein finanziertes Eigenheim, Kinder oder auch Ehepartner hängen vom Arbeitsplatz ab. Die Corona-Pandemie hat die Krise der Arbeitnehmer noch verschärft. Das weitere Leben eines Menschen ist oftmals mit der Erhaltung oder Vernichtung seines Arbeitsplatzes untrennbar verwoben. Deshalb sind die Arbeitnehmer im Insolvenzverfahren besonders verunsichert und schutzbedürftig.

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9783800594443
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