Читать книгу: «FriesenFlut», страница 4

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In Windeseile hatten Oma Pusch und Hinnerk die restlichen Brötchen geschmiert. Ausgerechnet für die letzten beiden Kunden musste sie einen neuen Eimer Rollmöpse öffnen. Und damit begann das Dilemma.

Auf dem Tisch

Während Bagger und Trecker den Strand in Eikes Auftrag unter die Lupe nahmen, tat Enno es im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Fragment auf seinem Sektionstisch. Er untersuchte die mysteriöse Büste.

Die Rechtsmedizin befand sich im Kellergeschoss des Bestattungsinstitutes Fritsche & Esen. Das war aufgrund der kurzen Wege praktisch.

In diesem Sommer hatte Doktor Enno Esen einen Hospitanten, der ebenfalls Rechtsmediziner werden wollte. Doktor Fokke Petersen war im Gegensatz zu ihm jung und attraktiv. Allerdings konnte diese Augenweide seinen Patientinnen egal sein. Sie waren ja schon tot. Enno hielt es für eine nahezu unzumutbare Verschwendung, dass dieser Mann nicht Gynäkologe oder zumindest Hausarzt geworden war.

Wie viele Frauenherzen hätten ihm offen gestanden? So viele vergebene Chancen, schwelgte er in Erinnerungen an seine Zeit als Modearzt für Touristinnen, die er reihenweise flachgelegt hatte. Ein bisschen trauerte er dieser Zeit immer noch nach, auch wenn er mittlerweile ruhiger geworden war und sich in seine Schwägerin verguckt hatte. Wenn man bei den jungen Dingern nicht mehr landen konnte, musste man seinen Fokus auf andere Werte legen. Auf ein pfiffiges Köpfchen zum Beispiel, falls man sich gerne intelligent unterhielt oder darauf, dass jemand gut kochen konnte. Auch eine gewisse Bettwärme war nicht zu verachten, selbst wenn sie eher vom Kuscheln kam als von genüsslichen gymnastischen Übungen. Im Alter wurde der Mensch bescheiden und gab sich mit dem zufrieden, was sich ihm noch bot. In Oma Pusch vereinten sich für Enno all die Vorzüge, an denen ihm gelegen war. Er konnte sich sozusagen als Glückspilz bezeichnen, falls sie ihn jemals erhörte.

„Ach, guck, was haben wir denn da?“, riss Fokke den älteren Kollegen aus dessen Gedanken.

„Das wirst du mir hoffentlich gleich sagen“, erwiderte Enno und umschiffte so, dass er überhaupt nicht bei der Sache gewesen war.

Mit einem scharfen Löffel förderte Fokke zwei Steine zutage, einen aus jeder Augenhöhle. Enno nahm einen davon in die Hand und wusste sofort Bescheid.

„Bernstein“, konstatierte er. „Soll uns das irgendetwas sagen?“

„Falls ja, hätte ich nicht die geringste Ahnung was“, gab Fokke zu.

„Hmm, Bernstein anstatt Augen“, überlegte Enno laut. „Baumharz ist es, versteinertes.“ Er hielt beide Klunker nacheinander vor die große OP-Lampe, die über dem Sektionstisch hing. „Die funkeln und leuchten richtig. Wie Gold zum Beispiel oder ein Feuer. Geschliffen sind sie auch.“

„Ohne Augen ist man blind“, schaltete sich Fokke in den Denkprozess mit ein, „daran ändern auch die Steine nichts.“

„Blind“, sinnierte Enno, „auf beiden Augen blind. Bernsteine leuchten. Licht, leuchten, Erleuchtung. Ich hab’s. Das könnte es sein.“

„Jemand, der auf beiden Augen blind ist, erlangt durch die Bernsteine Erleuchtung? Meinst du das?“, erkundigte sich Fokke.

„Ganz genau“, freute sich Enno über das helle Kerlchen.

„Bisschen weit hergeholt, finde ich“, erwiderte Fokke und machte jegliche Sympathie, die sein Gegenüber gerade für ihn fühlte, zunichte. „Aber wir können es auf jeden Fall im Hinterkopf behalten.“

„Sehr großzügig“, murmelte Enno.

„Was hast du gesagt?“

„Uns sollte zunächst einmal die Frage beschäftigen, ob wir es hier mit Männlein oder Weiblein zu tun haben“, lenkte Enno ab.

„Na ja“, begann Fokke, „in dem etwas zu üppigen Gesicht sehe ich Bartstoppeln, aber nur partiell. Haare waren auf dem Schädel wohl auch mal drauf, doch irgendjemand hat sie abrasiert, wahrscheinlich posthum. Ein wenig sprießt wieder. Sieht ziemlich schütter aus.“

„Sprießen ist ja wohl zu viel gesagt“, korrigierte ihn Enno. „Dir muss ich doch nicht sagen, dass nach dem Tod überhaupt nichts mehr wächst.“

„Nee, musst du nicht, aber der Mythos hält sich hartnäckig. Ich hab das eher im übertragenen Sinne gemeint“, erklärte Fokke. „Sicher weiß ich, dass lediglich die Haut schrumpft und es deswegen so aussieht, als ob was wächst.“

Enno nickte beruhigt. „Jetzt wissen wir aber immer noch nicht, ob es ein Er oder eine Sie ist. Hast du eine Idee oder Vorschläge, um das schnellstmöglich herauszufinden?“

„Ehrlich gesagt kann ich anhand der Optik auf keinen Fall sagen, welches Geschlecht unser Kopf hat“, gab Fokke zu, „also empfehle ich, ihn zu röntgen. Ich denke, dann kommen wir weiter.“

„Guter Junge“, freute sich Enno, und Fokke verdrehte im Geiste die Augen, hielt aber lieber den Schnabel. Er war ja zu Gast. „Na, dann leg mal los und schlepp unsere Büste unter den Röntgenapparat. Ich mache uns unterdessen einen Kaffee.“

Fokke nickte, packte sich das Leichenteil unter einigen Schwierigkeiten, denn er hatte das Gewicht stark unterschätzt. Es wäre einfacher gewesen, wenn er den Hals in den Schwitzkasten hätte nehmen können, aber er musste vorsichtig mit dem Exponat umgehen, damit keine Ergebnisse verfälscht wurden.

Während Enno die Kaffeemaschine füllte, klingelte plötzlich sein Smartphone. Sofort wusste er, dass das nur seine angebetete Lotti sein konnte – selbstverständlich auf der Suche nach Informationen und leider nicht wegen seiner tollen Ausstrahlung.

„Ennolein“, flötete sie in den Hörer und machte sich daher sofort verdächtig. Sonst sagte sie nie so etwas zu ihm. „Du, Ennolein, sag mal, was machst du gerade?“

„Scherzkeks“, erwiderte Enno. „Woher weißt du das mit der Leiche? Hat es sich schon unter den Urlaubern herumgesprochen? Am Strand habe ich dich nämlich gar nicht gesehen. Muss ich mir Sorgen machen?“

„Ach was“, sagte Oma Pusch, „habt ihr den Rest auch schon gefunden? Zumindest einen Teil?“

Enno schüttelte den Kopf. Diese Frau war unglaublich.

„Nein, Lotti, tut mir leid, da kann ich dir echt nicht weiterhelfen. Ich bin hier mit Fokke in der Rechtsmedizin und versuche, dem Geheimnis der Büste auf den Grund zu gehen.“

„Fokke? Wer ist Fokke? Hieß der Tote so?“, erkundigte sie sich.

Enno stöhnte. „Nein, keine Ahnung, wir wissen doch noch nicht mal“, er unterbrach sich abrupt. Beinahe hätte er ihr wichtige Informationen gegeben. „Also, Fokke ist zurzeit in der Lehre bei mir, einfach ausgedrückt. Er will auch so was werden wie ich.“

„Leichenschnippler?“, fragte sie amüsiert.

„Danke, dass du wenigstens nichts mit Fleddern gesagt hast“, erwiderte Enno erleichtert. „Ja, er möchte auch Rechtsmediziner werden. Das ist nämlich ein höchst anerkennenswerter und nützlicher Beruf.“

„Stimmt, genau wie Bestatter“, konterte Oma Pusch. „Findet die Damenwelt aber genauso ekelig.“

Enno schnaubte. „Hier geht es steriler und akkurater zu als in mancher Küche, glaube mir! Davon können sich viele eine Scheibe abschneiden.“

„Lieber nicht“, kam es prustend von Oma Pusch. „Scheibchen Lende oder Schulter. Nee, darauf kann ich echt verzichten. Ich möchte nur wissen, ob du schon irgendetwas herausgefunden hast, das für die Ermittlungen nützlich ist.“

„Nein, noch nicht, und falls doch, würde ich es dir nicht sagen“, zischte Enno leicht beleidigt in den Hörer.

„Ist wohl eher ’ne Frau“, blökte Fokke mit dem Röntgenbild in der Hand durch die Tür. „Hab aber noch was höchst Interessantes entdeckt.“

„Ja, warte eben, ich komme“, versuchte Enno das Schlimmste zu verhindern. Nicht auszudenken, wenn Fokke aus Versehen weitere Interna ausgeplaudert hätte. Er konnte ja nicht ahnen, mit welchen listigen Weibern man es hier zu tun hatte.

„So, so, also eher eine Frau. Dachte ich mir schon“, berichtete Oma Pusch.

„Warum?“, fragte Enno perplex.

„Wegen des Fingers“, erklärte Oma Pusch.

Enno verstand nun gar nichts mehr.

„Soll ich ihn dir nach Esens bringen oder muss die Spurensicherung herkommen?“, erkundigte sich Oma Pusch.

„Wohin denn um Himmels willen?“

„Na, zu mir in den Kiosk. Mach ich vorhin den Kühlschrank auf und will ganz hinten an die Rollmöpse“, erzählte sie. „Du weißt schon, die kleinen, durchsichtigen Eimerchen vom Großmarkt, und da liegt er da. Oder besser gesagt, er stand da wie ein mahnender Zeigefinger, vielleicht auch wie ein Stinkefinger. Wer will das wissen? Auf jeden Fall nicht schön das Teil. Das sage ich dir.“

„Erstens, was ist es für einer? Zeige- oder Mittelfinger? Zweitens, fass nichts an!“, bat er. „Und was um alles in der Welt soll an einem toten Finger schon schön sein. Vor allem, wie kommt er in deinen Kühlschrank?“

„Moment mal“, sagte Oma Pusch. Es raschelte. „Der steht da am Rand und lehnt an der Wand“, versuchte sie zu beschreiben. „Der ist irgendwie dick und bläulich verfärbt, aber ich kann dir echt nicht sagen, an welcher Stelle der abgetrennt worden ist.“

„Und wie kommst du auf die Behauptung, dass es sich um eine Frau handeln könnte? Ob dein Finger mit unserer Büste zusammenhängt, ist darüber hinaus völlig unklar“, wandte er ein.

„Büste, aha, mehr nicht?“, frohlockte Oma Pusch, denn Enno hatte sich nun doch verplappert. Natürlich wusste sie das längst, aber das würde sie ihm doch nicht unter die Nase reiben.

Enno hingegen hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen.

„Wenn wir Arme mit Händen hätten, wäre es leichter“, überlegte Oma Pusch. „Aber du hast überhaupt noch nicht gefragt, was da so richtig ekelig ist.“

„Dann sag es mir doch“, forderte Enno.

„Ein widerlich langer Kunstnagel!“, erklärte Oma Pusch. „So richtig primitiv. Du weißt schon, wenn man mal rumzappt und aus Versehen bei RTL landet. Da sitzen solche Weiber im Reality-TV: Fett, mit Dreifachkinn, meist tätowiert und noch so Metallgedöns im Gesicht, rote oder grüne Haare und Nägel, mit denen du Saatreihen ziehen könntest. Mir ist schleierhaft, wie man sich damit den Hintern …“

„Lotti“, schimpfte Enno jetzt, obwohl sie durchaus recht hatte. „Du machst sofort deinen Kiosk dicht, und ich schicke dir unseren Bodo Siebenstein von der SpuSi.“

„Wenn’s denn sein muss“, seufzte Oma Pusch. „Wir hatten eh keine Brötchen mehr. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was hier heute los war.“

Doch“, sagte Enno, denn das konnte er sehr wohl, weil er es sich nicht hatte nehmen lassen, auf dem Rückweg vom Strand bei seiner Lotti vorbeizuschlendern. Gerne hätte er auch angehalten, aber als er die lange Warteschlange entdeckt hatte, war er abgeschwenkt und sofort zu seinem Wagen gegangen. Zumindest hatte er sie von Ferne am Tresen gesehen. Und er ahnte, dass er in den nächsten Tagen zu beschäftigt sein würde, um ihr nahezukommen. Darum verabschiedete er sich etwas wehmütig von ihr.

„Hast du jetzt Zeit, Chef?“, fragte Fokke mit einem Augenzwinkern.

„War beruflich“, versuchte Enno allen Spekulationen vorzubeugen.

„Da bin ich mir ganz sicher“, erwiderte Fokke. „Und ich hab jetzt auch was Berufliches. Stell dir vor, was mir beim genaueren Hinsehen noch aufgefallen ist. Du warst ja beschäftigt, da habe ich eigentlich nur mal nachschauen wollen, auf welche Weise die Augäpfel denn entfernt worden sind, und siehe da, ich entdeckte etwas, das ich vorher für vertrocknetes Fleisch gehalten hatte. Ist es aber nicht.“

„Ich verstehe nur Bahnhof“, gab Enno zu.

„Dann will ich nicht um den heißen Brei herumreden. Siehst du das hier?“ Er hielt Enno etwas Rötliches vor die Nase. „Riech mal dran!“

Enno schnupperte. „Kommt mir bekannt vor, aber es fällt mir nicht ein.“

„Tomaten“, sagte Fokke, „und zwar getrocknete.“

„Sehr merkwürdig. Damit kann ich überhaupt nichts anfangen“, antwortete Enno. „Wer steckt denn so was da rein?“

„Keine Ahnung“, kam es von Fokke, „aber ich werde mir jetzt auch noch die anderen Körperöffnungen der Büste genau ansehen. Wer weiß, was wir da noch finden.“

„Ich rechne mit allem“, seufzte Enno, und da sollte er recht behalten.

Heiße Gespräche im Kiosk

Unbarmherzig schien die Sonne auf den kleinen Kiosk am Hafen. Da Hinnerk selbst bei Bäcker Johann Hinrichs keine Brötchen mehr bekommen hatte, war der Weiterverkauf von Spezialitäten mit Rollmops unmöglich geworden. Doch nicht nur dieser Umstand hatte dazu geführt, dass die kleine Bude mittlerweile von Oma Pusch verrammelt worden war. Man wollte auch keine Gaffer. Lieber saß man in einer Sauna und fachsimpelte im Geheimen. Auch Rita war inzwischen wieder mit von der Partie. Der hässliche Finger hatte bei ihr zu Magenbeschwerden geführt, die Oma

Pusch mit entflammtem Friesengeist kurierte. Jeder wusste schließlich, dass Pfefferminze bei so etwas gut war. Na ja, und der Alkohol schadete dabei nicht. Er brannte die Magenwände blitzrein. Hinnerk und Oma Pusch hatten sich solidarisch erklärt und sich selbst vorsichtshalber ebenfalls desinfiziert. Wer konnte schon wissen, ob Leichengift übersprang?

„Herrje“, rief Rita plötzlich. „Was machst du denn jetzt mit dem Kühlschrank? Hicks. Willst du den auch mit Friesengeist ausspülen?“

Oma Pusch schüttelte den Kopf. Rita vertrug wirklich überhaupt nichts. „Den alten Mistbock schmeiße ich weg. Der war mir sowieso zu laut. Außerdem hab ich den schon, seit …“ Sie überlegte. „Ja, den hab ich tatsächlich schon gehabt, als Fridtjof, Gott hab ihn selig, noch lebte. Er kann also weg, zumal er kühlte, wie es ihm passte, egal, was du eingestellt hast.“

„Können wir denn das Ding dann da nicht wieder reinlegen?“, bat Rita. Sie wollte den Anblick nicht länger ertragen. Ihr kam dieser Körperteil wie ein mahnender Zeigefinger vor. „Ich meine, wenn du den Kühlschrank eh entsorgen willst.“

„Wo denkst du hin?“, schimpfte Oma Pusch. „Dieser Teil einer weiblichen Hand muss von allen Seiten abgelichtet werden. Vielleicht erkennt den jemand schon allein aufgrund des überlangen Nagels.“

„Du, sach mal“, schaltete sich Hinnerk ein, „was ist denn das überhaupt für ein Finger? Eher so ein Mittelfinger? Für den kleinen ist er zu groß, finde ich.“

„Was macht das denn für einen Unterschied?“, stöhnte Rita immer noch leicht beduselt.

„Oha, das könnte einen beträchtlichen ausmachen“, wandte Oma Pusch ein, „je nachdem, warum man ihn abgeschnitten hat.“

„Also bei diese Mafiafilme nehmen sie meist erst den lütten Finger zuerst, quasi so als Anfang oder Vorgeschmack auf mehr, weil man auf den am besten verzichten kann, aber Eindruck macht das allemal“, wusste Hinnerk.

„Und wenn’s was zu bedeuten haben, also was ausdrücken sollte, dann könnte man eher den Zeige- oder den Mittelfinger brauchen“, überlegte Oma Pusch und knipste mit ihrem Smartphone drauflos. „Kannst du den mal drehen, Hinnerk?“

Angewidert nahm der alte Fischer ein Stück Küchenrolle, faltete es und legte den Finger in die gewünschten Positionen. „Fühlt sich kalt an“, sagte er, „und komisch. Ganz schön wulstig überhaupt.“

„War ja auch im Kühlschrank, Mensch“, erwiderte Oma Pusch. „Aber er hat recht. Das ist kein zierliches Fingerchen. Denkt ihr, dass dieses Prachtstück zu dem üppigen Schädel gehört?“

„Wäre wohl ein Wunder, wenn nicht“, antwortete Rita. „Sonst müssten wir davon ausgehen, dass mehrere Leichen in Teilen irgendwo herumliegen. Stell dir mal vor, wie das die Menschen erschrecken könnte, wenn sie hier an der Küste Urlaub machen. Gar nicht auszudenken.“

„Sollen sie eben nicht so viel rumbuddeln“, sagte Oma Pusch mit einem Augenzwinkern. „Immerhin wissen wir eins, falls Finger und Büste zusammengehören: Es muss sich um eine Frau handeln!“

„Also, wenn ich alles geglaubt hätte“, entfuhr es Rita. Sie schlug sich vor den Kopf. „Ich war immer von einem Kerl ausgegangen.“

„So kann man sich irren“, frohlockte Hinnerk. „Frauen können auch hässlich sein.“

„Und männlich“, fügte Oma Pusch noch hinzu.

„Puh“, sagte Hinnerk, „ich bin schon wieder ganz durch. Das ist aber auch eine Hitze hier drinnen.“

Mit süffisantem Schmunzeln sah Oma Pusch ihn an. „Das ist doch genau das Richtige für den guten Bodo Siebenstein und seine Spurensicherungsmeute. Die sollen mal schön schwitzen. Ich habe nämlich langsam die Nase voll davon, dass die hier in meinen Sachen herumwühlen.“

„Stimmt“, fiel Rita wieder ein, „die waren doch im letzten Jahr erst wegen der vergif…“, sie verschluckte den Rest des Satzes lieber.

„Erinnere mich bloß nicht daran“, stöhnte Oma

Pusch.

„Mich braucht ja wohl niemand mehr, oder?“, fragte Hinnerk eher rhetorisch. „Es wär aber schön, wenn ihr mich mit ins Boot nehmt, wenn es was Spektakuläres gibt oder wenn ihr einfach wieder mal meine Hilfe braucht.“

„Das ist ja wohl selbstverständlich“, sagte Oma

Pusch. „Schließlich verdanken wir den Fall doch überhaupt erst dir.“

Hinnerk strahlte. „Ja, genau. Dann werde ich jetzt duschen gehen, mir was Manierliches anziehen und nach Lina gucken. Wobei die ganz froh sein wird, ein bisschen Ruhe im Krankenhaus zu haben, schätze ich, bei diese neuen Nachbarn. Stimmt’s, Rita?“

„Zum Glück kriege ich davon nicht so viel mit, aber wer direkt daneben wohnt, der kann schon die Krise kriegen. Da gebe ich dir recht“, antwortete sie.

Nun war Oma Pusch hellhörig geworden. „Wieso weiß ich davon nichts?“

Rita machte ein betretenes Gesicht. „Du hattest immer so viel zu tun. Wir kamen beim Schmieren kaum zum Quatschen, weil immer wer am Tresen stand. Außerdem stecke ich mir meist was in die Ohren, wenn es zu unerträglich wird.“

„Wolltest du deswegen ein Wochenende mit mir verreisen?“, erkundigte sich Oma Pusch.

Verschämt nickte Rita. „Wegziehen will man ja nicht. Das ist wie eine Sturmflut oder ein Tsunami. Man kann nur hoffen, dass es vorbeigeht.“

„Feriengäste reisen doch immer wieder ab“, beruhigte Oma Pusch ihre Freundin. „Da haben wir doch auch schon so manches erlebt.“

„Es sind aber Friesen, Ostfriesen sogar, von Thunum oder so und nun unterhalten die das gesamte Süderriff mit ihren vier Rotzlöffeln“, schimpfte Rita. „Du weißt, ich habe wirklich nichts gegen Kinder, aber diese haben weder eine gute Kinderstube noch irgendwelches Benehmen. Keine Rücksicht auf ältere Menschen – weder jung noch alt. Beschämend ist das!“ Sie hatte sich richtig in Rage geredet.

„Da wird uns schon was einfallen“, versprach Oma Pusch.

Es klopfte. Vorsichtig öffnete Hinnerk die Tür. Er wollte sowieso gerade gehen, und mit den Behörden hatte er nichts am Hut. Also schlüpfte er gleich durch den Spalt und winkte nur noch einmal.

Der Finger hatte jetzt Vorrang. Anschließend würde Oma Pusch sich die Sache im Süderriff mal mit eigenen Augen ansehen. Schließlich hatte sie selbst fünf Kinder und 13 Enkel. Da wusste man Bescheid, wie der Hase lief.

Strandsucher

Zu ihrem Leidwesen mussten die Polizeibeamten Krischan Hansen und Martin Hinrichsen die Arbeiten am Strand überwachen. Schon die Absperrung war ein Fiasko gewesen, weil sie dauernd angesprochen worden waren und doch nichts sagen durften. Auf der Deichkrone standen nun die ganzen Gaffer. Sie glotzten auf die Bagger und Trecker. Dabei ersannen sie die tollsten Geschichten und tratschten sie weiter.

Manche hatten das Glück gehabt, eine Bank ergattern zu können. Andere hatten sich von ihren Campingplätzen Stühle nach oben geholt. Martin dachte bei sich, dass diese Leute einen Sockenschuss haben mussten, denn es passierte rein gar nichts, außer dass schwere Maschinen den Sand umgruben. Ihm war es ein Rätsel, wie man so eine belanglose Tätigkeit stundenlang beobachten konnte. Er selbst fand den ganzen Mist stinklangweilig und darüber hinaus höchst überflüssig, denn wenn man ein bisschen nachdachte, sprach alles dagegen, dass sie hier noch Leichenteile finden würden. Aber er war ja kein Kommissar und hatte nichts zu sagen. Wenn doch der Kopf so auffällig aus dem Sand geguckt und Oma Pusch dieser Finger in ihrem Kühlschrank so ins Auge gestochen hatte, musste man davon ausgehen, dass weitere Leichenteile ebenso sichtbar verborgen lagen. Er musste grinsen. Das hatte er schön gesagt. Es widersprach sich vom Wortlaut her, aber es war wirklich wahr. Jemand versteckte etwas so, damit man es fand, aber nicht so, dass es sofort auffiel. Hinnerk hatte ihm unlängst von dem ekeligen Kunstnagelfinger erzählt. Privat natürlich und außerhalb des Dienstes. Der alte Fischer war da ein bisschen komisch, aber das störte ihn nicht. Im Gegenteil, denn unter der Uniform war Martin Hinrichsen schließlich auch nur ein Mensch.

Oma Pusch hätte ihn und seine Theorie verstanden und ganz bestimmt unterstützt, wenn sie denn etwas von dem Schädel mitbekommen hatte. Wunderbarerweise war sie nirgends zu sehen gewesen. Auch jetzt nicht. Hinrichsen überlegte, ob ihn das stutzig machen sollte. Normalerweise war sie immer mit von der Partie. Das kam ihm komisch vor. Er konnte ja nicht ahnen, wie recht er hatte.

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Дата выхода на Литрес:
26 мая 2021
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9783827184023
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