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Spionage im Zelt

Oma Pusch und Rita hatten beschlossen, sich der Sache von Westen aus zu nähern. Auf der Drachenwiese war im Gegensatz zum Strand weniger los. Während sie auf dem Deich entlangliefen, hatten sie von oben eine gute Sicht auf den Fundort. Doch auch hier standen bereits einige Gaffer, denen sie ausweichen mussten. Unten, wo der Torso vergraben lag, hatte sich eine Traube von Menschen rund um die Absperrung gebildet. Das war Mist, denn es behinderte ihre geplante Aktion. Sie mussten unbedingt auf Hörweite an das Geschehen herankommen und wussten noch nicht wie.

Oma Pusch zog ihr Smartphone heraus und stellte die Kamera ein.

„Was machst du denn da?“, wunderte sich Rita. „Wir wollten doch möglichst schnell da hin.“

„Nur Geduld, meine Liebe“, antwortete Oma Pusch. „Ich will nicht fotografieren, sondern mit dem Zoom nachgucken, wer alles schon da ist.“

„Den Leichenwagen deines Sohnes Nils habe ich vorhin aus den Augenwinkeln gesehen“, informierte Rita ihre Freundin.

„Kein Wunder“, lachte Oma Pusch, „dem hab ich ja auch eine WhatsApp-Nachricht geschickt. Nicht, dass die anderen Geier vor ihm da sind und er keine Geschäfte macht. Er braucht das Geld. Du weißt doch, dass er seit Kurzem eine Perle hat. Endlich!“

„Kennt sie seinen Beruf?“, hakte Rita nach.

„Ja, aber das hat sie nicht abgeschreckt, eher meine Wenigkeit, weil ich kürzlich mal zufällig und aus Versehen bei ihm reingestürmt bin, weil ich dachte, dass es ihm schlecht ging. War aber echt nicht meine Absicht, in so eine delikate Situation . . .“

„Ja, ich erinnere mich an die Geschichte“, fiel Rita wieder ein. „Wenn sie trotzdem noch da ist, könnte das nun doch noch was werden mit den Enkeln. Desinfiziert Nils sich eigentlich hinterher?“

„Nach dem Sex?“, fragte Oma Pusch perplex. Sie war in Gedanken noch in Nils’ Schlafzimmer.

„Nein, nach der Arbeit, Lotti, was sonst?“

„Keine Ahnung, wahrscheinlich ja. Was interessiert mich das denn? Warte, ich erkenne Eike da am Strand und in Uniform den Martin Hinrichsen. Mein Schwager Enno ist auch schon da mit seiner Arzttasche. Er steht aber bei den Gaffern an der Absperrung. Keine Ahnung, warum. Ach, guck, da ist auch die Nele von der Spurensicherung. Wo wohl ihr Chef Bodo Siebenstein rumschwirrt? Den kann ich nirgends entdecken. Aber Nils und Rico sind mit einem schwarzen Leichensack da, glaube ich. Wir müssen uns beeilen, wenn wir noch irgendwas mitkriegen wollen.“

Gesagt, getan. In Windeseile rannten die Seniorinnen über die Wiese. Man sollte nicht meinen, wie fit sie noch waren. Das Radfahren, die Ermittlungen und der Kiosk hielten sie auf Trab. Da blieb einfach keine Zeit zum Älterwerden. Vorsichtig näherten sie sich über das Gras hinweg und stülpten sich dann das Zelt über. Jetzt ging es nur noch im Zeitlupentempo und auf Knien weiter.

„Mensch, wie kommen wir denn da nur ganz dicht ran?“, überlegte Rita flüsternd. „Sehen tun wir ja sowieso kaum was, aber hören wäre toll.“

„Ich hab eine Idee“, wisperte Oma Pusch zurück und lugte durch das kleine Dreieck an der Vorderseite, das nur mit einem Fliegengitter bespannt war. Als sie sich nahe genug an die Menschenmenge herangerobbt hatten, verstellte sie ihre Stimme. „Achtung, Achtung! Aus dem Weg! Bitte Platz machen für die Spurensicherung! Sie behindern sonst die Bodenuntersuchungen.“

Diese Aussage war nicht ganz ungefährlich. Sie musste in der richtigen Lautstärke erfolgen. Leise genug, um die echten Ermittler nicht zu erreichen, aber kräftig genug, um die Gaffer zu beeindrucken. Kurzfristig erwog Oma Pusch, auch die vermeintlichen Kreuzottern erneut ins Spiel zu bringen, aber das hätte möglicherweise zu einer Panik geführt und ungewollt Aufmerksamkeit erregt. Das konnten die beiden Frauen auf keinen Fall gebrauchen. Sie robbten langsam weiter. Aber die Ansage aus dem Dunkel des Zeltes hatte Wirkung gezeigt. Wie ein Heringsschwarm teilte sich die Menge und ließ sie durch, um danach wieder zusammenzuschwappen. Rita und Oma Pusch waren unsichtbar eingeschlossen in den Reihen der Touristen und daher in der besten Deckung, die man sich vorstellen konnte. Als Oma

Pusch jedoch vorsichtig die Nase aus dem Reißverschluss steckte, blickte sie direkt auf den Zipfel eines durchscheinenden Nachthemdes und ein Paar sehr alte, nackige Beine. Der Seewind ließ vermuten, dass sich unter dem geblümten Kleidungsstück nichts weiter befand, aber das wollte Oma Pusch nicht so genau wissen, denn sie hatte bereits erkannt, wer da vor ihr stand und sich auf seinen Rollator in Violett metallic stützte.

„Direkt vor uns steht die alte Marga“, flüsterte Oma Pusch ihrer Freundin zu.

„Wie ist die denn bis hierhergekommen?“, wunderte sich Rita.

„Das weiß ich ehrlich gesagt auch nicht“, wisperte Oma Pusch, „aber ich glaube, sie hat keine Unnerbüx an.“ Dann lauschte die heimliche Ermittlerin in Richtung Fundort, indem sie ihre Hände wie einen Trichter an die Ohren hielt.

„Kannst du denn was verstehen?“, erkundigte sich Rita.

Oma Pusch schüttelte den Kopf. „Aber ich kann ein bisschen was sehen. Warte!“ Sie zog wieder das Smartphone hervor und stellte auf zehnfache Vergrößerung. Dann lachte sie leise. „Du, die pinseln an der Glatze herum. Wahrscheinlich wissen die noch nicht mal, dass da unten kaum was dranhängt.“

„Hast du das Nils denn gesagt? Ich meine, damit er und Rico nicht erst mit so einem großen Transportsarg anrücken“, erklärte Rita.

„Bin ich bescheuert?“, fragte Oma Pusch. „Damit hätten wir uns doch verraten. Ich weiß aber, dass die neuerdings sowieso nur noch mit den schwarzen Säcken rumlaufen. Der Junge kommt auch langsam in die Jahre, weißt du. Ich glaube, er hat es mit dem Knie. Tagtäglich diese Schlepperei! Und oft der Weg durch den Sand, da sinken sie sonst noch mehr ein, wenn dann auch noch das Gewicht vom Sarg dazukommt. Rico hat sich schließlich durchgesetzt. Jetzt haben sie diese Säcke. Okay, die sind sicher praktisch, aber ich finde trotzdem, dass so ein Körper auf diese Weise wie Abfall verpackt wird. Daran werde ich mich nie gewöhnen.“

„Do geiht wat för!“, dröhnte es plötzlich krächzend über ihren Köpfen. „De Düvel is överall!“

Oma Pusch konnte sehen, wie die Ermittler am Strand zusammenzuckten. Jeder kannte die hochbetagte Marga, die der Zahl 100 bereits näher war als der 90. Meist erzählte sie vom Teufel und seinen Heimsuchungen. Wer konnte, wich ihr aus und suchte das Weite, doch oftmals erschien sie direkt bei der Polizei und erzählte ihre unheimlichen Geschichten. Man nahm sie nicht ganz ernst, aber über den Grad ihrer Demenz war sich niemand bewusst. Klar war nur, dass sie nicht mehr alle Lichter am Christbaum hatte. Nichtsdestotrotz hatten Oma Pusch und Rita herausgefunden, dass immer ein Körnchen Wahrheit in ihren Erzählungen steckte. Wenn man ihr genau zuhörte und pfiffig kombinierte, konnte man aus ihren Worten einen Teil herauslesen, der der Realität nahe kam. Das eine oder andere Mal hatte dieser Umstand Rita und Oma Pusch in die Lage versetzt, Fälle zu lösen, bevor die Kripo eine Ahnung hatte.

„De hätt sin Kopp verloren“, wusste Marga und schrie es gegen den Wind.

Nele Freese, die blonde Schönheit von der Spurensicherung, stöhnte. „Nicht wieder die olle Schnepfe!“

„Ist denn da nur ein Kopf?“, erkundigte sich Oberkommissar Eike Hintermoser neugierig. Wer sich über den merkwürdigen Namen wundert, bei dem Vorne und Hinten nicht zusammenzupassen scheint, schaut mal eben schnell ins Personenregister am Ende des Buches.

„Nee, ich sehe auch schon Schultern“, erwiderte Nele genervt. „Insofern hat die Alte unrecht.“

„Sie scheint mir auch schon ein paar Jährchen auf dem Buckel zu haben“, vermutete Oberkommissar Niklas Müller, der seit Kurzem das Team von Eike verstärkte. „Vielleicht ist sie nicht mehr ganz richtig im Kopf. Was hat sie überhaupt an? Ist das nur ein Nachthemd?“

Eike grinste frech. „Glaube mir, du wirst sie noch eher kennenlernen, als dir lieb ist, mein Freund.“

Eike Hintermoser und Niklas Müller hatten zusammen studiert. In dieser Zeit waren sie gute Kumpel geworden. Krischan Hansen, auch „Der Kaiser“ genannt, weil er im Grunde schon vor seiner Pension abgedankt hatte, würde nämlich bald in den Ruhestand gehen, und wegen der häufigen Mordfälle rund um Neuharlingersiel hatten sich die Oberen endlich entschlossen, eine weitere Kommissarenstelle zu bewilligen. Ob Hansens Posten wieder besetzt werden würde, war noch nicht bekannt, aber Eike hoffte es inständig.

„Wo ist eigentlich dein Chef, Bodo Siebenstein?“, fragte Eike.

„Der hat heute Urlaub, weil er im Garten helfen soll“, sagte Nele und grinste frech. „Ihr wisst schon, seine Lieblingsbeschäftigung. Ich wette, er wäre viel lieber hier.“

„Vielleicht tust du ihm einen Gefallen und rufst ihn an?“, schlug Eike augenzwinkernd vor. „Bei einem aktuellen Fall ist seine Anwesenheit doch bestimmt vonnöten, oder?“

„Seine Frau Trude wird mir den Kopf abreißen, aber okay, ich riskier’s, dann hab ich bei ihm was gut.“

Oma Pusch und Rita sahen, wie Nele sich ein Stück vom Fundort entfernte und telefonierte.

„Die brauchen Verstärkung!“, frohlockte Oma Pusch. „Wer weiß, was die noch entdeckt haben.“

„Vielleicht weitere Teile im Sand?“, überlegte Rita.

Neugierig beobachteten sie, dass sich Nele weiter an der Stelle zu schaffen machte.

„Aus dem Weg!“, dröhnte es plötzlich vom gegenüberliegenden Rand der Absperrung.

Die wohlbekannte Stimme gehörte einem älteren Herrn mit halblangem, weißem Haar. Er hatte einige Zeit dort gestanden und das Treiben beobachtet. Aber jetzt hielt er den Moment für gekommen, sich ins Geschehen einzubringen. Doktor Enno Esen hielt sich selbst für einen Müller-Wohlfahrt des Nordens. Doch seine Zeit als Schicki-Micki-Modearzt war längst abgelaufen. Die jungen, hübschen Touristinnen interessierten sich nicht mehr für ihn. Also war er vor einiger Zeit umgestiegen. Seine Praxis hatte er geschlossen, um als Rechtsmediziner an der Küste tätig zu sein. Das hatte gleich mehrere Vorteile. Von seinen Patienten bekam er keine Körbe mehr, sie quatschten auch nicht dumm rum, und seine Arbeitszeiten waren besser. Außer im akuten Fall teilte er sie sich einfach selber ein. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt, dass er ein alter Sack war, auf den die Damen nicht mehr flogen. Also waren andere Prioritäten gesetzt worden. Enno genoss lieber einen schönen Wein bei gutem Essen und hatte ein Auge auf seine Schwägerin Lotti Esen geworfen. Klar, sie war kein knackiger Hüpfer mehr, aber durchaus amüsant, ziemlich intelligent und ließ ihn zappeln. Das liebte er. Heutzutage war es ihm wichtiger, sich in der Gegenwart einer besonderen Frau wohlzufühlen als die schnelle Nummer auf dem Schreibtisch im Arztzimmer. Ja, selbst er war mit den Jahren ruhiger geworden.

Am Leichenfundort kam er genau im richtigen Moment an. Nele Freese stand etwas fassungslos vor dem Torso, der ihr soeben auf die Knie gekippt war. Vorsichtig rutschte sie rückwärts.

„Na, was haben wir denn da?“, fragte Enno mit väterlicher Stimme. „Verbeugt sich da jemand vor dir?“

„Nicht witzig“, erwiderte Nele. „Das war echt nicht schön. Ich wollte nur den Sand entfernen, um die ganze Leiche für dich freizulegen.“

„Verstehe“, sagte Enno nach einem kurzen Blick auf das Unterteil der Büste, „fehlt wohl ein Stück, was? Also, dann lass mich mal ran. Ich schätze, du bist hier fertig. Wo ist denn Bodo?“

„Kommt gleich“, antwortete Nele knapp.

„Wär ganz gut, den Rest vor jemand anderem zu finden“, überlegte Enno laut.

„Was du nicht sagst“, war Neles Kommentar. „Und wenn du mir jetzt auch noch erzählst wo, bin ich hin und weg.“

Eike Hintermoser schaltete sich galant in das kleine Streitgespräch ein. „Ich hätte nicht übel Lust, den gesamten Strand zu sperren, aber wir hätten überhaupt nicht genug Leute, um den ganzen Sand umzugraben.“

„Stell dir mal vor, du würdest hier alle wegschicken“, gab Niklas zu bedenken. „Was meinst du, was das für einen Tumult gäbe. Meiner Meinung nach ist das Absperren auch gar nicht möglich. Meerseitig käme man immer ran, wenn man wollte.“

„Nun ja, man bräuchte zumindest etliche Kilometer Flatterband, wenn man nur den Sandbereich einkreisen wollte. Und wer sollte das bewachen?“, gab Enno zu bedenken.

„Das stimmt natürlich, aber was ist, wenn einer der Touristen auf weitere Leichenteile stößt? Zum Beispiel ein Kind beim Buddeln?“, fragte Eike.

Nele seufzte. „Wenn wir ehrlich sind, wissen wir, dass wir das sowieso nicht verhindern können. Ich glaube allerdings, dass das nicht passieren wird. Und wisst ihr auch warum?“

„Nee“, antwortete Eike.

Die anderen schüttelten den Kopf.

„Ganz einfach“, fuhr sie weiter fort. „Der Kopf guckte doch eindeutig aus dem Sand heraus, damit man ihn findet. Also muss das Absicht gewesen sein. Er sollte auffallen. Man könnte doch davon ausgehen, dass der Mörder das auch mit dem Rest des Körpers gemacht hat. Warum sollte er den verstecken?“

„Eine sehr mutige und zugleich fahrlässige Vermutung“, sagte Bodo Siebenstein plötzlich von hinten. Er hatte sich unbemerkt genähert und zugehört. „Eike hat recht, wir sperren weiträumig ab.“

„Guck mal!“, zischte Rita, „jetzt ist der Siebenstein da. Ich bin gespannt, was jetzt passiert.“

„Wenn du mich fragst, stehen die nur rum und labern“, ärgerte sich Oma Pusch leise. „Enno hat noch nicht mal die Büste untersucht. Was ist das nur für ein Saftladen? Da sind wir schon weiter.“

„Achtung, Achtung“, dröhnte es mit einem Mal vom Deich her. „Bitte verlassen Sie augenblicklich das Strandgelände! Dies ist ein Polizeieinsatz. Der gesamte Bereich zwischen Deich und Wasser wird augenblicklich abgeriegelt.“

„Das ist doch Krischan Hansen“, flüsterte Rita. „Wieso sperren die plötzlich alles? Und was ist mit uns?“

„Rückzug, würde ich sagen und zwar schleunigst“, antwortete Oma Pusch.

„Achtung, Achtung. Passen Sie auf Ihre Kinder auf. Ganze Abschnitte des Sandes sind verseucht. Es besteht Lebensgefahr“, fuhr Hansen fort. „Bei Zuwiderhandlungen wird ein Bußgeld von 300 Euro verhängt.“

„Jetzt trägt er aber viel zu dick auf“, meinte Oma Pusch.

Doch die Menschenmenge reagierte prompt. Familien rafften ihr Hab und Gut zusammen. Strandkorbmieter flohen über den gepflasterten Streifen am Meer, Kinder weinten und wurden von ihren Eltern fortgetragen. Nur Marga blieb wie angewurzelt stehen.

„Wat is denn nu los? Hebbt se ook de Düvel seggen?“, fragte die Alte verblüfft.

„Wir müssen ihr helfen“, sagte Rita. „Sie kapiert doch gar nicht, worum es hier geht.“

„Und wie soll das unauffällig gehen?“, erkundigte sich Oma Pusch. „Ehrlich gesagt hab ich noch überhaupt keine Lösung, wie wir hier überhaupt unentdeckt wegkommen sollen. Es lichtet sich bereits. Zurück bleibt nur unser Zelt. Wir werden auffallen.“

„Warte“, wisperte Rita und nestelte am Stoff ihres Verstecks herum.

„Was machst du denn da?“, erkundigte sich Oma Pusch.

„Das wirst du gleich sehen“, versprach Rita und riss den gesamten Boden heraus, teilte ihn und überreichte ihrer Freundin ein Dreieck.

Oma Pusch verdrehte die Augen. „Nicht dein Ernst. Soll ich das etwa als Kopftuch aufsetzen?“

„Klar, wir gehen im Partnerlook als Betreuerinnen von Marga ganz locker über die Strandpromenade zurück. Besser geht’s nicht!“, erklärte Rita.

Wider Willen musste Oma Pusch zugeben, dass das eine geniale Idee gewesen war. Wieso hatte sie die nicht gehabt? Gemeinsam banden sie sich die Tücher um und mussten grinsen. Das sah echt bescheuert aus, denn es entstellte sie total.

„Okay, dann stehen wir jetzt einfach auf und stülpen das Zelt über unsere Köpfe“, schlug Oma Pusch vor. „Anschließend haken wir Marga unter und schieben ab. Unser Versteck rollen wir ein und packen es in den Korb vom Rollator. Einverstanden?“

„So machen wir das“, stimmte Rita zu.

Niemand bekam die Verwandlung mit. Die Urlauber hatten sich bereits verstreut und befanden sich im Aufbruch. Niemand achtete auf ein Zelt, das plötzlich Beine bekam und verschwand.

„Marga“, sprach Oma Pusch die Alte an, „büschen frische Luft schnappen?“

„Nee, ihr lütten Deerns“, erwiderte sie.

Der Einfachheit halber wird der folgende Dialog auf Hochdeutsch wiedergegeben. Marga spricht nämlich nur Platt.

„Ich muss alles im Blick behalten. Der Teufel treibt hier wieder sein Unwesen“, erklärte sie den beiden Seniorinnen. In ihren Augen blieben die beiden immer kleine Mädchen. „Die Erde hat sich aufgetan“, berichtete sie weiter, „und einer ist zur Hölle gefahren.“

„Nicht so ganz“, wandte Oma Pusch ein, „denn der Kopf ist auf dem Weg nach unten wohl stecken geblieben. Sonst hätte man ihn nicht gefunden.“

„Ja, das ist merkwürdig“, wunderte sich Marga jetzt. „Ich hab mich schon gefragt, was die alle hier wollen. Es ist doch so heiß.“

„Sag mal, Marga, hast du eigentlich nur ein Nachthemd an?“, erkundigte sich Oma Pusch.

„Sicher, was Dünneres hatte ich nicht.“

„Und wo ist deine Unnerbüx?“, bohrte Oma Pusch weiter.

„Die hab ich wohl vergessen“, gab Marga zu. „Ist aber besser, dann kann ich laufen lassen. Merkt hier am Strand ja keiner. Haben wir früher überall so gemacht. Auf dem Weg zur Kirche, beim Bäcker …“

Rita verdrehte die Augen. „Weiß deine Tochter, dass du am Strand bist?“

„Gott bewahre“, sagte Marga mit schreckgeweiteten Augen. „Das darf die auf keinen Fall wissen, sonst komme ich ins Heim.“

„Keine Bange“, versprach Oma Pusch, „bei uns bist du in guten Händen. Aber komm, wir bringen dich jetzt nach Hause. Ist doch zu heiß draußen, selbst im dünnsten Hemd.“

Rechts und links eskortiert, schob die alte Frau von dannen. Sehr zur Beruhigung des Ermittlerteams, das schon befürchtet hatte, selbst tätig werden zu müssen. Wer die beiden unbekannten Frauen waren, die der Hochbetagten halfen, wusste man nicht. Man tippte auf hilfsbereite Touristen.

Wieder im Kiosk

Es hatte eine gefühlte Ewigkeit gedauert, bis Rita und Oma Pusch wieder an der Hafenpromenade angelangt waren. Außer Sichtweite konnten die beiden endlich ihre Kopftücher aus Zeltstoff ablegen. Die Kunstfaser hatte dafür gesorgt, dass ihnen der Schweiß überallhin rann. Inzwischen waren sie klatschnass, denn sie hatten sich auch sportlich betätigen müssen. Marga war einfach zu langsam vorangekommen. Also hatten sie sie kurzerhand auf die Sitzfläche ihres Rollators bug­siert und geschoben. Auf dem Pflaster am Strand war das noch halbwegs gegangen, aber zum Deich hin ging es steil bergan. Nur mithilfe eines freundlichen Rentners hatten sie schließlich den Spazierweg auf der Deichkrone erreicht, der zum Hafen führte. Doch kurz vor dem Parkplatz wartete die nächste Herausforderung auf sie.

„Mist, hier geht es steil bergab“, stöhnte Oma Pusch. „Glaubst du, wir können sie halten?“

„Das wäre mir zu heikel“, gab Rita zu.

„Aber zu Fuß wird sie es auch nicht schaffen“, sagte Oma Pusch, „weder auf den Treppen noch auf der Rampe. Ich frage mich allen Ernstes, wie sie überhaupt da zum Strand gekommen ist.“

Marga grinste. „Das wollt ihr wohl wissen, wie? Ganz einfach. Ich ruf immer den lütten Heinz an. Der hilft mir dann. Hier ist seine Nummer.“ Die Alte hielt Oma Pusch ihren Arm vor die Nase. Darauf stand in großen Lettern eine Nummer. „Siehste, min Deern, da rufste an. Und denn kommt der Heinz mit dem Taxi und holt mich hier oben ab.“

„Einen Versuch ist’s wert“, überlegte Rita laut.

„Um Himmels willen“, rief Oma Pusch plötzlich. „Mach du das mal mit dem Anruf. Ich muss sofort zurück zum Kiosk. Guck bloß, wie lang die Schlange jetzt wieder ist.“

„Kein Wunder“, erwiderte Rita, „die ganzen Menschen mussten doch auch vom Strand runter. Sie werden die Badepause nutzen, um schnell was zu essen.“

„Kann sein, aber ich wette, das wird heute nix mehr mit dem Baden“, wandte Oma Pusch ein, „die werden nämlich den gesamten Strand mit Baggern umgraben, wenn du mich fragst.“

„Da könntest du schon recht haben, aber ich glaube, die Mehrzahl wird rund um den abgesperrten Bereich herum lauern, um anschließend den besten Platz auf der Sandfläche zu ergattern“, sagte Rita.

„Egal, sollen sie machen“, antwortete Oma Pusch, „ich sause jetzt, bis später. Komm nach, sobald ihr Marga ins Taxi verfrachtet habt.“

Rita und Marga winkten ihr noch zu, während Lotti Esen den Deich hinabstürmte und so schnell sie konnte zum Kiosk rannte. Darin stand ein bunter Hinnerk mit rotem Kopf. Er war der Sache nicht gewachsen und versuchte, die Meute mit Ostfriesenwitzen zu erheitern. Eine Katastrophe!

Oma Pusch hörte gerade noch mit halbem Ohr, dass er nach drei Orten für Irrenanstalten fragte und selbst dabei grinste, als hätte er gesoffen. Eine sei natürlich in Ostfriesland, erklärte er, das wäre ja klar und eine im Osten, tja, und Bayern würde komplett überdacht. Nur er kicherte aus vollem Hals, denn der Witz kam bei allen jenseits der Elbe und des Weißwurstäquators überhaupt nicht gut an. Und die machten einen Großteil der Urlauber aus. Oma Pusch musste dringend eingreifen. Er verprellte ihr sonst die ganzen Kunden.

„Kleiner Witzbold, unser Hinnerk“, schaltete sie sich ein und zwinkerte den Wartenden zu. „Das liegt nur daran, dass er so einen platten Hinterkopf hat, was, Hinnerk? Es liegt am Trinken.“

„Ich weiß nicht, was du meinst“, versuchte sich der alte Fischer rauszureden, denn dem kühlen Hellen und dem Köm gegenüber war er weiß Gott nicht abgeneigt, „die paar Glas Bier.“

„Nee, als kleiner Junge, meine ich“, sagte Oma Pusch schelmisch.

Hinnerk machte ein richtig dummes Gesicht, denn er hatte absolut keine Ahnung, wovon sie eigentlich sprach.

„Na ja, Hinnerk, das hast du bestimmt vergessen, dass dir beim Trinken immer der Klodeckel auf den Kopf gefallen ist.“

Mit einem Mal war Stille vor dem Tresen. Diejenigen, die dem Gespräch gelauscht hatten, suchten das Weite und nahmen mit einem Backfischbrötchen von woanders vorlieb oder ihnen war der Appetit vergangen. Doch die lange Schlange rückte einfach auf. Oma Puschs Worte waren glücklicherweise nicht bis nach hinten durchgedrungen.

„Haben Sie keine Rollmopsbrötchen mehr?“, fragte eine junge Frau verwundert. „Wir stehen schon so lange an.“

„Doch, doch“, beruhigte Oma Pusch sie, „es ist genug für alle da. Manch einer will halt nicht warten“, redete sie sich raus.

„An den Strand dürfen wir im Moment sowieso nicht“, erzählte die Kundin. „Sie haben alles abgesperrt. Ob die da wohl eine Bombe gefunden haben?“

„Möglich“, erwiderte Oma Pusch, die es weiß Gott besser wusste, „aber ich glaube eher, dass da ein Verbrechen im Spiel ist“, flüsterte sie verschwörerisch. „Vielleicht sogar Mord …“

„Was?“, kreischte die Urlauberin vor Schreck und beugte sich dann aber neugierig vor. „Woher wissen Sie das?“, erkundigte sie sich leise.

„Ich habe da so meine Quellen“, flüsterte Oma Pusch geheimnisvoll. „Was glauben Sie, warum die jetzt den ganzen Strand abgesperrt haben und dort mit großen Baggern und Treckern umgraben?“

„Ja, aber wenn doch schon eine Leiche gefunden worden ist, warum suchen sie dann noch nach einer zweiten?“, wunderte sich die Kundin und nahm ihr Rollmopsbrötchen entgegen. Sie konnte ja nicht ahnen, dass nur der Teil eines Toten gefunden worden war. „Ich werde unten spionieren gehen. Falls ich was erfahre, komme ich wieder, versprochen. Mhhh, das Brötchen ist so was von lecker.“

„Das freut mich, meine Liebe, und falls Sie tatsächlich Neuigkeiten haben, gibt’s noch eins aufs Haus, versprochen!“, sagte Oma Pusch und winkte ihr hinterher.

„Hab ich da eben was von einer Leiche gehört?“, fragte ein Herr mittleren Alters. Er war als Nächster dran.

„Ja, wundern Sie sich denn nicht über diese groß angelegte Räumaktion?“, wollte Oma Pusch wissen. „Man sperrt doch mitten in der Saison nicht so einfach plötzlich den Strand. Wo kämen wir denn da hin?“

„Es könnte sich auch um eine andere Gefahrenlage handeln“, wandte der Mann ein. „Wenn zum Beispiel etwas angespült worden wäre, etwas Giftiges oder Kontaminiertes, das die Bevölkerung schädigen könnte.“

„Das glaube ich nicht“, antwortete Oma Pusch. „Außerdem reichen mir schon die ganzen Bierdosen und die weggeworfenen Pappen vom Pommesstand. Beim Backfisch gibt es auch so Papiertüten. Alles wird später einfach in die Gegend geschmissen. Darum sind wir dazu übergegangen, unsere Brötchen in Salatblätter zu wickeln. Erstens ist es gesund und zweitens nicht schädlich, wenn es unachtsam in die Natur geworfen wird.“

„So etwas hat es früher nicht gegeben!“, rief eine Seniorin aus der zweiten Reihe. „Keine Erziehung mehr heutzutage. Fressen und wegwerfen, wie es einem passt. Wo kommen wir denn da hin?“

„Manche entsorgen auch Tote“, kam Oma Pusch wieder auf ihr Thema zurück. „Die werden dann ebenfalls giftig, vom Leichengift nämlich. Darum muss der Sand drumrum großzügig abgetragen werden.“

Der Herr direkt vor dem Tresen verdrehte die Augen. „Also, Ihre Brötchen sind wirklich lecker, aber Ihre Fantasie geht mit Ihnen durch. Sie sollten vielleicht lieber Bücher schreiben.“

„Das wäre das Letzte, was ich täte“, lachte Oma

Pusch herzlich. „Im stillen Kämmerlein allein hocken und in die Tasten hauen. Ich brauche Menschen um mich herum!“

„Opa, bist du schon dran?“, rief es neben der Schlange. „Ich muss dir was erzählen.“

„Du solltest doch auf der Drachenwiese bleiben“, schimpfte der Senior.

„Das wollte ich auch, aber sie haben mich weggeschickt, und jetzt habe ich Hunger“, erklärte der kleine Justus.

„Dann nimm hier mal schnell ein Brötchen“, sagte Oma Pusch. Ihr wurde warm ums Herz. Sie liebte Kinder und wollte so gerne noch Enkel von Nils, dem Bestatter.

„Wer hat dich denn weggeschickt?“, wollte der Opa wissen.

„So ein Polizist mit riesengroßen Ohren“, erklärte der Pöks. „Ich habe aber trotzdem gesehen, dass die eine Schaufensterpuppe in den Sack gesteckt haben, aber nur das Oberteil.“

Der Großvater atmete tief durch.

„Ach, das war Martin Hinrichsen“, erklärte Oma

Pusch und kicherte. „Mein Neffe Eike nennt ihn heimlich Rhabarberblattohr, aber das darf er natürlich nicht wissen“, sagte sie mit einem Augenzwinkern zu dem Lütten.

„Nu such dir doch schon mal eine schöne Bank hier am Hafen, wo wir uns hinsetzen können“, schlug er seinem Enkel vor. „Ich komme gleich.“

„Wird gemacht!“, rief der und düste ab.

„Schaufensterpuppe“, seufzte er. „Na, dann haben Sie wohl doch nicht ganz recht mit Ihrer Vermutung, aber sind die nicht immer glatzköpfig?“

Oma Pusch nickte wissend. „Und sie können dennoch aus Fleisch und Blut sein.“

„Nun geben Sie mir schon mein Brötchen, sonst brauche ich gleich keins mehr, wenn Sie weitererzählen“, seufzte er. „Mir scheint, hier spinnen nicht nur Fischer Seemannsgarn.“

Das hatte Hinnerk im hinteren Bereich des Kiosks gehört.

„Nee, da hast du recht, min Jung. Die Weiber sind viel schlimmer mit dem Klönschnack als wir. Sieh dich bloß vor! Aber in dem Fall hat sie recht“, versicherte Hinnerk und winkte ihm zum Abschied zu.

„Dass diese Kerle immer so auf uns Frauen rumhacken müssen“, beschwerte sich die Seniorin. „Ein Rollmopsbrötchen, bitte.“

Hinnerk hatte unterdessen Routine bekommen und konnte sofort liefern. Einen Kommentar sparte er sich. Zufrieden ging die Alte weg.

„Was war das da eben mit der Schaufensterpuppe?“, erkundigte sich ein Mittdreißiger mit Vollbart. „Findet der ganze Zinnober nur statt, weil sie eine Plastikdame aus dem Sand gefischt haben? Hat sich da jemand einen Scherz erlaubt? Falls ja, fühle ich mich um einen

Urlaubstag am Meer betrogen.“

„Mein Lieber“, begann Oma Pusch besänftigend, „sei du mal froh, wenn das bei einem einzigen Tag bleibt, denn falls sich herausstellen sollte, dass wir es hier nicht mit Kunststoff zu tun haben, sondern“, sie räusperte sich, „sondern mit menschlichen Überresten, dann solltest du morgen lieber nach Benser-, Harle- oder Hooksiel fahren, denn ich fürchte, dass dann der Strand noch ein bisschen länger untersucht wird.“

„Danke für den Tipp“, sagte er und schob mit seinem Brötchen ab.

„Hallo, hallo“, rief es aufgeregt von hinten. „Kann mir jemand sagen, was hier los ist? Da hinten steht ein Leichenwagen.“

Nun wurde es Oma Pusch zu bunt. Sie entschloss sich, eine Ansage zu machen.

„Meine lieben Urlauber“, rief sie so laut sie konnte, „Verbrechen machen auch vor den schönsten Urlaubs­zielen nicht halt, aber seien Sie unbesorgt. Der Kommissar hier ist mein Neffe. Wir werden ruckzuck für Aufklärung sorgen, egal, was passiert ist. Wenn es gut läuft, arbeiten sie die ganze Nacht durch, damit der Strand morgen früh wieder freigegeben werden kann. Bis dahin empfehle ich Ihnen einen Besuch der Seriemer Mühle oder des Badewerks. Vielleicht setzen Sie auch nach Spiekeroog über. Da können Sie nahtlos weiterbaden. Oder Sie setzen sich in ein schönes Café hier am Hafen. Wer eine Ferienwohnung mit Balkon oder Terrasse hat, könnte im Schatten auch ein Buch lesen. Hier in der Tourist-Information können Sie zum Beispiel spannende Krimis kaufen, die an unserer Küste spielen. Damit Sie nicht so enttäuscht sind, gibt es jetzt für jeden von Ihnen ein Rollmopsbrötchen gratis, so lange der Vorrat reicht. Wir schmieren, Sie greifen zu!“

Ein Raunen ging durch die Reihe der Wartenden, aber Oma Pusch war nicht nur großzügig, sondern auch extrem neugierig. Hier im Kiosk verschwendete sie ihre Zeit, was mögliche Ermittlungen anging. Den Verdienst hatte sie nicht nötig. Sie lebte von Vermietungen an Feriengäste und von Fridtjofs Lebensversicherung. Ihr Mann, der zugleich Enno Esens Bruder gewesen war, hatte ihr ein schönes Sümmchen hinterlassen. Das Schicksal und die See waren tückisch. Ihn hatte es beim Fischen förmlich auf den Grund des Meeres verschlagen, als der Mast durch eine Windböe umgeschwenkt war und ihn am Hinterkopf getroffen hatte. Wie ein Stein war er in die Tiefe gesunken. Die Fische, die er hatte fangen wollen, kicherten jetzt noch. Er konnte sie seitdem nur noch von unten betrachten. Das vermutete man zumindest, denn er war im wahrsten Sinne des Wortes nie wieder aufgetaucht.

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26 мая 2021
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