Читать книгу: «FriesenFlut», страница 2

Шрифт:

Der Glatzenkopp

Hinnerk, Oma Pusch und Rita taten so, als ob sie normale Touristen wären. Scheinbar sorglos bummelnd und kichernd überquerten sie den Deich, liefen über die Sandfläche und peilten den Platz an, den Hinnerk in Erinnerung hatte. Leider hatte sich dort ganz in der Nähe eine Familie mit einer Strandmuschel niedergelassen. Von Lina, dem älteren Herrn, der hinter Hinnerk hergewesen war, und dessen Gattin fehlte jede Spur.

„Herrje, ich fürchte, man hat Lina ins Krankenhaus gebracht“, sorgte sich der alte Fischer.

„Da ist sie doch in guten Händen“, versuchte Oma Pusch ihn zu beruhigen.

„Schon, schon“, erwiderte er.

„Ja, ganz bestimmt. Sie wird sich dort gut erholen. Und ihr könnt euch ganz in Ruhe um die Angelegenheit im Sand kümmern. Das hat doch auch was“, flüsterte Rita den beiden zu, damit die Leute nebenan nichts mitbekamen.

Sie waren ein bisschen zu dicht an der vermuteten Stelle. Dort zeigte sich ein kleiner Huckel auf dem Boden. Mist, und jetzt steuerte deren nackiger Spross direkt darauf zu.

„Mama, da ist ein Berg, kann ich da buddeln?“, rief der Pöks seiner Mutter zu.

Hinnerk, Rita und Oma Pusch blieb die Luft weg.

„Um Himmels willen, wir müssen ihn aufhalten“, wisperte Rita.

„Mir wär’s lieber, wir könnten die ganze Familie von hier weglocken. Nicht, dass die auch nur das Geringste von unseren Aktivitäten mitkriegen“, flüsterte Hin­nerk.

„Ich überleg mir was“, zischte Oma Pusch, die ein weiteres Pärchen mit Argusaugen fixierte, das sich diesem Ort am Strand näherte. Verständlich im Grunde, denn hier war man etwas weiter ab vom Schuss und musste nicht in der Masse der anderen Leute liegen. Während die Sonne mit fast 30 Grad unbarmherzig von oben brannte, kam Oma Pusch eine Idee, denn der kleine Junge war bereits gefährlich nah.

„Hilfe!“, schrie sie so laut sie konnte. „So helft mir doch! Eine Kreuzotter! Nehmen Sie Ihren Sohn weg! Um Himmels willen, so einen Biss überlebt man nicht unbedingt, vor allem nicht, wenn man noch so klein ist.“

Ringsherum fielen die Menschen in Schockstarre. Kurzerhand packte Oma Pusch den Knirps und trug ihn zu seinen Eltern.

„Es ist am Rand des Strandes nicht ungefährlich. Die Biester halten sich hier gerne zwischen Sand und Erde auf. Besser, Sie gehen etwas weiter nach dort.“ Oma Pusch zeigte in Richtung Hafen.

Die Eltern, die ihre Sprache immer noch nicht wiedergefunden hatten, aber den Jüngsten sich mit Bisswunden windend vor ihren Augen sahen, bauten in Nullkommanichts ihre Strandmuschel ab und suchten das Weite. Das Pärchen mit fester Liegeabsicht im Gefahrenbereich schwenkte sofort zur Seite ab und schaute nach einem anderen Plätzchen.

Hinnerk grinste. „Kreuzotter? Du bist ja echt mit allen Wassern gewaschen. Hier kriecht nicht mal ein Wattwurm vorbei.“

„Ist doch egal“, schmollte Oma Pusch. „Haben wir unser Ziel erreicht, oder nicht? Los, lass das Zelt aufpoppen, damit wir loslegen können. Und du, Rita, geh auf deinen Beobachtungsposten. Von jetzt an darf uns niemand stören.“

„Aye, aye, Kapitän“, sagte Rita und salutierte.

Während Hinnerk kurz an der buckeligen Stelle nach dem Hut grub, um den richtigen Platz für das Zelt zu finden, stand Rita wie ein Zinnsoldat mit Blick Richtung Strand und Hafen. In ihrer Hand hielt sie den Eimer, jederzeit bereit, ihn einem Spanner über den Kopf zu hauen, wenn er zu neugierig wurde. Schaufel und Schere waren unterdessen mit Hinnerk und Oma

Pusch ins Zelt gewandert. Da es draußen schon wahnsinnig heiß vom Himmel stach, kam es den beiden im Inneren zunächst wie eine Erleichterung vor, aber nur, bis die Sonne den dünnen Stoff durchdrungen hatte und die Luft unbarmherzig aufheizte. Dann saßen sie auch hier in ihrem eigenen Saft.

Den Kopf hätte man inzwischen nicht nur optisch finden können. Auch ihm hatte die Wärme zugesetzt, obwohl der Sand das Schlimmste verhindern konnte. Oma Pusch, die erst einmal nur einen Schnitt durch den Boden des Zeltes gemacht hatte, um es über den Schädel zu stülpen, fuhr nun beherzt fort und entfernte das untere Gewebe weiträumig rings um den Hut herum, der schon sichtbar war.

„Ist die Luft rein?“, fragte sie, bevor sie nun das zu untersuchende Objekt freilegte.

„Alles paletti“, erwiderte Rita. „Niemand mag Schlangen. Das wird sich herumsprechen. Falls einer kommt, sage ich, ihr sucht ein ganzes Nest von Kreuzottern.“

„Das ist ein guter Plan“, freute sich Oma Pusch und nahm einen Pinsel aus der Tasche.

„Uh“, sagte Hinnerk, „vorhin hat der noch nicht so gemüffelt.“

„Echt?“, fragte Oma Pusch und rümpfte die Nase. „Bist du sicher, dass es die Glatze ist?“

Beleidigt schwieg der alte Fischer. Was konnte er dafür? Er hatte geschwitzt und zum Duschen war keine Zeit geblieben. Das wusste Lotti doch.

„Kannst du bitte mal mit der Lampe genau auf den Schädel leuchten“, bat Oma Pusch. „Ein schlanker Mensch war das nicht. Eher ein Dickschädel!“ Sie kicherte nervös. „Ich will von allen Seiten Aufnahmen mit dem Smartphone machen.“

Jetzt im grellen Licht sah der Kopf irgendwie gruselig aus. Man sah, dass die Haut teilweise aufgeplatzt war, und da, wo einmal die Augen gewesen waren, klafften nur zwei Höhlen. Wobei Oma Pusch stutzte, als sie mit dem Smartphone noch genauer hineinleuchtete. Da steckte doch irgendwas Blinkendes drin, wenn man es direkt anstrahlte. Das war merkwürdig. Sie hatte keine Ahnung, was es sein konnte.

„Hast du was zum Prokeln?“, erkundigte sich Oma Pusch.

Widerwillig zog Hinnerk sein Schweizer Taschenmesser aus der quietschgelben Hose. Das hatte er immer dabei, ohne Wenn und Aber. Doch eigentlich wollte er nicht, dass sie sein Heiligtum dazu verwendete, um in den Augenlöchern eines Toten herumzustochern. Das war ekelig. Wie sollte er das je wieder sauber bekommen? Richtig sauber, so mit Desinfektionsmittel. So etwas hatte er nicht.

„Nun gib schon her!“, befahl Oma Pusch, die seine Gedanken erriet. „Ich sprüh dir das nachher ein oder wir legen es in Brennspiritus, keine Bange. Das ist nachher so keimfrei wie ein frisch gewickelter Babypopo, versprochen.“

Nicht wirklich überzeugt, aber ohne dass er eine Alternative in petto hatte, reichte ihr Hinnerk das geliebte Werkzeug mit ausgeklappter Klinge. Zuerst hatte er überlegt, ihr den Korkenzieher anzubieten. Den benutzte er nie, weil er immer nur Bier und Köm trank, aber wenn das nicht gegangen wäre, hätte sie zwei Teile beschmutzt. Das wollte er auch nicht. Was für ein Dilemma.

„Sei vorsichtig, das ist scharf“, warnte Hinnerk noch, aber Lotti bohrte schon und förderte zwei Steine zutage, die zu leicht waren für ihre Größe.

„Habt ihr das Schlangennest schon gefunden?“, rief Rita plötzlich laut von draußen.

„Wir graben noch, das müssen mindestens zehn Kreuzottern sein“, brüllte Oma Pusch zurück.

Das Ehepaar mit Baby in der Trage nahm sofort Reißaus.

„Die Luft ist wieder rein“, ließ Rita die beiden im Zelt wissen. „Schon was Neues?“

„Ja“, berichtete Oma Pusch, „anstatt Augen hatte der Bernstein in den Höhlen. Wenigstens glaube ich, dass es welcher ist. Guck du mal!“ Sie reichte Rita zwei Klumpen, die sie in ihrem Seidentuch hielt.

Die kreischte. „Bist du wahnsinnig? Das fasse ich nicht an.“

„Dann nimm halt ein Taschentuch raus und leg sie da rein“, grummelte Oma Pusch. Rita war manchmal umständlich. „Du musst sie ins Sonnenlicht halten, aber ich denke, das Gewicht spricht schon für sich. Sie wiegen fast nichts.“

„Moment“, bat Rita und nestelte in ihrer Jackentasche herum. Schließlich zog sie ein umhäkeltes Spitzentuch heraus und nahm die Steine widerwillig entgegen. Sie würde es auskochen müssen, aber ob die Spitze das aushielt?

„Denkst du echt, das ist Bernstein? Dann ist es wahnsinnig viel wert“, vermutete Hinnerk. Er konnte jeden Cent gebrauchen, und es würde ja niemand wissen, dass da im toten Kopf Kostbarkeiten gesteckt hatten. Sie konnten durch drei teilen.

„Nee, Hinnerk, so viel sind die Klunker heute bestimmt nicht mehr wert“, bedauerte Rita.

„Da muss ich dir aber entschieden widersprechen“, schaltete sich Oma Pusch ein, „denn das Gramm wird teurer als Gold gehandelt. Ich wollte mir neulich Ohrringe machen lassen und bin hinten übergefallen, als ich den Preis hörte.“

„Steck sie ein, Rita“, rief ihr Hinnerk aus dem Zelt zu. „Wir teilen dann.“

„Nix da, die stecken wir schön wieder in die Tiefe, damit alles unversehrt und an seinem angestammten Platz ist, wenn mein Neffe, der emsige Oberkommissar Eike Hintermoser, den Schädel später findet.“

„Mist“, brummte der alte Fischer und sah seine Felle davonschwimmen.

„Wir gucken jetzt erst mal, ob da an dem Kopf noch wer unten dranhängt“, beschloss Oma Pusch, „und dann brechen wir unsere Zelte ab, im wahrsten Sinne des Wortes. Hinnerk, du gräbst, hier ist die Schaufel!“

Der Angesprochene war nicht gerade begeistert, denn er schwitzte trotz der leichteren Klamotten inzwischen wieder wie verrückt. Das Wasser lief ihm den Rücken hinab. Aber Hinnerk schippte natürlich. Er war selbst neugierig.

Während er grub, blieb Oma Pusch mit ihrem Smartphone ständig auf der Lauer. Mittlerweile mussten sie den Sand aus dem Eingang des Zeltes werfen, damit sie sich innen noch bewegen konnten.

„Ich sehe Schultern“, sagte Oma Pusch angespannt. „Scheint wohl doch eine ganze Leiche zu sein.“

Doch da fiel der Kopf mit einem Mal nach vorn um, und sie entdeckten das ganze Dilemma. An dem Schädel waren zwar ein Hals und auch eine Schulterpartie dran, aber mehr nicht. Darum hatte das Stillleben Übergewicht bekommen.

„Ih“, klagte Hinnerk beim Anblick des fehlenden Körpers.

„Ah, nur eine Büste“, freute sich Oma Pusch, „so etwas hatten wir noch nie.“

Vor lauter Neugier steckte Rita ihre Nase durch den Zelteingang. „Das will ich sehen!“

„Bleib draußen“, zischte Oma Pusch, „nicht, dass uns jetzt noch jemand entlarvt. Das wäre eine Katastrophe!“

„Ist ja schon gut“, maulte Rita, „dass du mir das alles aber schön auf Bildern festhältst.“

„Ehrensache“, erwiderte ihre Freundin und drehte den Körperteil mit Hinnerks Hilfe um, damit sie Fotos von allen Seiten machen konnte. „Wo der Rest wohl ist?“, sinnierte sie.

„Stimmt, das wäre interessant“, gab Hinnerk zu, „es fehlt ja ziemlich viel. Könnte sein, dass der Rest an verschiedenen Stellen hier am Strand verbuddelt worden ist. Das braucht weniger Platz, als wenn du einen ganzen Kerl einbuddeln musst.“

„Ist es ein Mann?“, fragte Rita von draußen.

„Schwer zu sagen“, gab Oma Pusch zu. „Das dachte ich zuerst, aber jetzt bin ich mir ehrlich gesagt nicht mehr so sicher.“

„Komm, dann lass uns jetzt Schluss machen und schnell von hier weggehen“, drängte Hinnerk. Ihm war nicht nur heiß von der Sonne. Er hatte auch ein schlechtes Gewissen. „Streuen wir jetzt nur Sand drüber und hauen schnell ab!“, schlug er vor.

„Nee, nee“, kam es von Oma Pusch. „Ihn oder sie buddeln wir feinsäuberlich genau so wieder ein, wie wir ihn gefunden haben. Es soll doch alles ganz Original sein.“

Hinnerk seufzte. Er hatte es befürchtet. Doch das Ganze war nicht so einfach. Wieder und wieder rieselte der Sand nach, sodass es nur mit Oma Puschs Hilfe gelang, die Büste ordnungsgemäß zu vergraben. Nun kam auch sie ins Schwitzen.

„Wer von uns verständigt denn gleich die Polizei?“, fragte Oma Pusch scheinheilig. Sie hatte nämlich keine Lust, sich von ihrem Neffen Oberkommissar dumme Sprüche anzuhören. Das kannte sie zur Genüge. Und sie wusste auch, dass Hinnerk mit Sicherheit nicht dazu bereit war, weil er bisweilen schlechte Erfahrungen mit den Beamten gemacht hatte. Blieb also nur Rita übrig. Sie schien es aber nicht zu kapieren, denn es blieb still. Also legte Oma Pusch nach.

„Ritalein“, säuselte sie, „du bist doch immer so verbindlich und höflich. Diese Aufgabe solltest du übernehmen. Dir kann man einfach nicht böse sein.“

Die Freundin fühlte sich einerseits gebauchpinselt, andererseits hatte sie keine Lust, bei der Kripo anzurufen.

„Ich mach’s bestimmt nicht. Da könnt ihr euch auf den Kopf stellen“, funkte Hinnerk dazwischen und schaufelte Sand über die toten Schultern.

„Wir müssen noch bis zu den Ohren“, überlegte Oma Pusch. „Dann setzen wir ihm oder ihr die Kopfbedeckung wieder auf und fertig. Rita könnte doch so tun, als sei sie am Strand entlanggegangen und hätte den Hut aufgehoben. Dann muss sie nicht mal anrufen. Einfach ein bisschen schreien und zetern. Ich wette, irgendein Depp wird dann schon die Polizei verständigen. Sind ja genug Leute hier.“

Rita stöhnte. „Na gut, wenn ich nicht selbst anrufen muss, mache ich es, aber ich will keinesfalls befragt werden.“

„Dann musst du ganz schnell wegrennen, während du schreist und am besten vorher den Strohhut wegschleudern, damit man die Glatze sieht. Später mischst du dich einfach unters Volk. Das ist die beste Tarnung“, sagte Oma Pusch. „Vorher müssen Hinnerk und ich aber weg sein. Klar?“

„Ja, ja, schon gut“, erwiderte Rita, „dann macht mal, dass ihr wegkommt. Wir treffen uns gleich im Kiosk.“

Das ließen sich die beiden nicht zweimal sagen. Ruckzuck rollte Hinnerk das Zelt ein. Oma Pusch nahm Rita den Eimer ab, legte Schere und Sandschaufel hinein und schlenderte eingehakt mit dem alten Paradiesvogel in Richtung Hafen zurück. Heimlich im Gepäck trug sie eine ganze Menge Fotos des merkwürdigen Torsos. Der Hut blieb auffällig zurück.

Ritas Schauspiel

Sehnsüchtig blickte die Freundin hinter Oma Pusch her. Dies hier war eine Aufgabe, der sie sich nicht wirklich gewachsen fühlte. Eigentlich log sie nicht, sondern sagte immer die Wahrheit, bis auf ein paar kleine Notlügen vielleicht, aber das machte ja jeder. Dafür musste man sich nicht schämen, doch hier am Strand jetzt ein Riesenzinnober zu veranstalten, das war so gar nicht ihre Art. Na ja, es half nichts, mit seinem Schicksal zu hadern. Sie hatte es versprochen und wollte Lotti nicht im Stich lassen. Damit Rita nicht wie Piksieben herumstand, hielt sie ihre Hand über die Augen und tat so, als ob sie aufs Meer starren und nach irgendeinem imaginären Schiff Ausschau halten würde. Als die beiden Totengräber außer Sicht waren, fasste sie sich ein Herz und schlenderte wie zufällig in Richtung Hut, hob ihn auf und fing wie wild an zu kreischen. Dabei trampelte sie auf der Stelle. Es sah eher komisch aus, tat aber seine Wirkung. Die Leute wurden neugierig und wollten ihr zur Hilfe eilen.

„Hilfe, eine tote Leiche!“, schrie Rita, um für noch mehr Tumult zu sorgen. „Mit ohne Augen, ihh!“

Jetzt gab es kein Halten mehr. Die menschliche Natur war im Grunde schlicht. Sensationslust trieb all die Touristen wie von Zauberhand herbei, die in Hörweite am Strand waren. Das wollte man sehen. Nachdem sich eine Traube um den bedauernswerten Schädel gebildet hatte, zog sich Rita unauffällig aus der Affäre, indem sie mit kleinen, leisen Schritten rückwärtsging. Zur Tarnung zog sie sich den Dekoschal, den sie um den Hals trug, wie ein Kopftuch über. Die Enden baumelten über die Schulter. Ihre Brille steckte sie in die Tasche, dann schlüpfte sie aus der Hose. Glücklicherweise war ihre Bluse lang genug. Bisher hatte sie sie in den Bund gesteckt. Jetzt sah es aus, als ob sich eine ältere Dame im Strandkleid vor der sengenden Sonne schützte. Die Verwandlung war perfekt. In einiger Entfernung blieb sie stehen und blickte zurück. Die Menschentraube war noch größer geworden. Sie konnte den Kopf ganz getrost seinem Schicksal überlassen. In Kürze würde er geborgen werden. Damit würde auch die Suche nach dem Mörder beginnen. Denn eins war ja wohl sonnenklar: Niemand, der keinen Dreck am Stecken hatte, wäre auf die Idee gekommen, einen Torso am Strand zu vergraben.

Konspirative Sitzung im Kiosk

Als Rita am Kiosk ankam, hatte Oma Pusch alle Hände voll zu tun. Hinnerk stand hinten an der Anrichte und schmierte Brötchen, während ihre Freundin einen großen Eimer mit Rollmöpsen öffnete. Die Schlange vor dem Kiosk war lang. Dass Oma Pusch die besten Rollmopsbrötchen in Neuharlingersiel anbot, war längst kein Geheimtipp mehr. Mit einem Spritzer aus der Honigflasche verlieh sie den Snacks einen besonderen Pfiff. Außerdem geizte sie nicht mit dem Fisch und legte ein Röllchen mehr drauf. Jetzt, so kurz vor Mittag, regte sich der Appetit der sonnenhungrigen Strandlieger.

Aber heute konnte man behaupten, dass sich eine wahre Invasion vor dem Tresen tummelte. Das war einerseits gut, weil Oma Pusch viele Menschen ausfragen konnte, andererseits sprengte die Masse an Touristen schon fast die Kapazität ihrer Ressourcen.

„Rita, hol mal bitte schnell noch 20 Brötchen bei Hinrichs“, bat Oma Pusch. „Wir sind gleich ausverkauft.“

„Schick doch Hinnerk und ich schmiere weiter. Das geht mit Sicherheit schneller“, schlug Rita vor.

„Auch wieder wahr“, gab Oma Pusch zu. „Du hast mehr Routine.“

„Hab’s schon kapiert“, sagte Hinnerk und schmunzelte. „Ihr Weiber wollt unter euch sein, aber glaubt ja nicht, dass ihr mich ausbooten könnt. Ich bin gleich wieder mit von der Partie, dass das klar ist.“

„Ja, ja, du oller Meckerheini“, zischte Oma Pusch, ohne dass der Fischer es hören konnte. Dann drückte sie ihm einen Zehneuroschein in die Hand.

„Das sind ja mindestens 20 Mann, die da anstehen“, wunderte sich Rita. „So was hatten wir noch nie.“

Oma Pusch machte ein nachdenkliches Gesicht. „Das liegt alles an der Klimaerwärmung, weißt du. Bei über 40 Grad hältst du es im Inland ja auch nicht aus. Darum flüchten jetzt alle entweder in die Berge oder an die Nordsee. Ans Mittelmeer will überhaupt niemand mehr. Wer möchte sich schon grillen lassen! Du hast es doch vorhin gesehen. Der ganze Strand war bunt von Touristen. Ich mag es ja, wenn viel los ist, aber das ist mir ehrlich gesagt schon einen Schlag zu viel. Wo soll das noch hinführen?“

„Ich hoffe, Hinnerk beeilt sich, sonst sitze ich hier bald auf dem Trockenen. Nur drei Brötchen sind noch da“, seufzte Rita. „Wie sieht es denn mit den Rollmöpsen aus?“

„Keine Bange, alles andere ist reichlich da, auch der Honig“, beruhigte Oma Pusch ihre Freundin.

Doch mit einem Mal lief jemand auf die Warteschlange zu, gestikulierte wie wild und die Leute liefen in Richtung Strand. Nur zwei Hartgesottene blieben am Tresen stehen. Der Rest hatte sich verflüchtigt.

„Oha“, stöhnte Oma Pusch. „Was ist das denn jetzt? Wo sind die alle hin?“

„Wir hörten was von Polizei“, erklärte die Kundin, die mit ihrem Mann auf zwei Rollmopsbrötchen wartete.

„Echt? Hoffentlich kein Badeunfall“, sagte Oma

Pusch scheinheilig. „Mit vollem Magen sollte man ja nicht ins Wasser, und jetzt zur Mittagszeit hält sich vielleicht nicht jeder dran.“

„Das ist gut möglich“, erwiderte die Frau, „aber dass die da alle gleich hinrennen müssen.“

Oma Pusch zuckte mit den Schultern und reichte dem Ehepaar zwei Teller. Sie wollten direkt am Kiosk speisen. Darum war nur ein ganz leises Gespräch mit Rita möglich.

„Unser Plan ist aufgegangen“, freute sich Oma Pusch, „und wir sind fein raus. Wenn Hinnerk wieder hier ist, soll er die Stellung halten. Ist ja nix mehr los. Höchste Zeit für uns, schnell zum Strand runterzudüsen. Wo ist das Zelt? Wir könnten uns von der Drachenwiese her anschleichen. Ich hab ja den Boden rausgeschnitten. Wenn wir uns klein machen und langsam auf

Knien ranrobben, sieht niemand, dass das Zelt wie von Geisterhand immer mehr in Richtung Fundort wandert. Möglicherweise gelingt es uns, meinen Kommissar­neffen Eike zu belauschen oder Enno zuzuhören, wenn er aus dem rechtsmedizinischen Nähkästchen plaudert.“

Hinnerk stutzte, als er zurückkehrte. „Huch, wo sind die denn alle hin?“

„Die Polizei ist am Strand“, erklärte Oma Pusch und hatte damit die beste Garantie, dass Hinnerk lieber im Kiosk bleiben würde. „Was hältst du davon, wenn Rita und ich schnell mal spionieren gehen? Anschließend beratschlagen wir zu dritt, was zu tun ist. Einverstanden?“

„Ja, ja, geht ihr ruhig, ich bleibe lieber hier. Mir ist so heiß. Der Weg zum Bäcker hat mich richtig geschafft“, ächzte Hinnerk zur Untermalung.

„Okay, bis gleich“, erwiderte Oma Pusch.

Mit dem Zelt in der Hand liefen die beiden Frauen an Hinnerk vorbei.

„Was wollt ihr denn damit?“, fragte er.

„Keine Zeit, erklären wir dir später“, rief Rita ihm zu.

Dann waren die zwei Hobby-Ermittlerinnen schon außer Sicht.

240,10 ₽
Жанры и теги
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
26 мая 2021
Объем:
290 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783827184023
Издатель:
Правообладатель:
Автор
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают