219
Allgemeine Feststellungsklage/Nichtigkeitsfeststellungsklage
A.Zulässigkeit
I.Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
öffentlich-rechtliche Streitigkeit(Rn. 76 ff.)
II.Statthaftigkeit der allgemeinen Feststellungsklage bzw. der Nichtigkeitsfeststellungsklage, § 43 VwGO
Subsidiarität(Rn. 213 ff.)
III.Beteiligtenfähigkeit, § 61 VwGO
IV.Prozessfähigkeit, § 62 VwGO
V.Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO analog (str.; Rn. 249)
subjektiv-öffentliches Recht des Klägers(Rn. 250 ff.)
VI.Richtiger Klagegegner
VII.Grds. kein Vorverfahren
Ausnahme: Beamtenrecht, § 126 Abs. 2 S. 1 BBG bzw. § 54 Abs. 2 S. 1 BeamtStG (Rückausnahme: § 54 Abs. 2 S. 3 BeamtStG i.V.m. z.B. § 103 Abs. 1 S. 1 LBG NRW)
VIII.Grds. keine Klagefrist
Ausnahme: Beamtenrecht, sofern Vorverfahren durchgeführt, § 126 Abs. 2 S. 1 BBG bzw. § 54 Abs. 2 S. 1 BeamtStG, jeweils i.V.m. § 74 Abs. 1 S. 1 VwGO
IX.Besonderes Feststellungsinteresse, § 43 Abs. 1 VwGO
B.Begründetheit
siehe Rn. 483 f.
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2. Teil Verwaltungsgerichtliche Klage › B. Zulässigkeit › IV. Zuständiges Gericht
220
Welches Gericht der gem. § 2 VwGO dreistufig aufgebauten Verwaltungsgerichtsbarkeit (Rn. 12 ff.) für die Entscheidung über die konkrete Klage zuständig ist, ergibt sich insbesondere aus den §§ 45 ff. VwGO.[187] Diese Vorschriften präzisieren das Recht auf den gesetzlichen Richter i.S.v. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG. Die in den §§ 45 ff. VwGO geregelten Zuständigkeitsvorschriften differenzieren zwischen der sachlichen (Rn. 221), instanziellen (Rn. 222) sowie örtlichen (Rn. 223) Zuständigkeit und sind – abweichend vom Zivilprozessrecht – ausschließlich. Die VwGO kennt weder Gerichtsstandsvereinbarungen (Prorogation, vgl. § 38 ZPO) noch eine Zuständigkeit infolge rügeloser Einlassung (dazu vgl. § 39 ZPO). Das angerufene Gericht prüft seine Zuständigkeit von Amts wegen. Hält es sich für örtlich oder sachlich unzuständig,[188] so verweist es gem. § 83 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 17 bis 17b GVG den Rechtsstreit mit bindender Wirkung an das zuständige Gericht.
221
Die Vorschriften betreffend die sachliche Zuständigkeit beantworten die Frage, welche Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit für das jeweilige Verfahren zuständig sind. Im Regelfall sind dies die VGe, die OVGe bzw. VGHe und das BVerwG. Abweichendes gilt hingegen etwa in Bezug auf das Normenkontrollverfahren gem. § 47 VwGO, für welches die OVGe, nicht aber die VGe, sachlich zuständig sind.
222
Die instanzielle Zuständigkeit regelt, ob das sachlich zuständige Gericht erstinstanzlich oder als Rechtsmittelgericht, d.h. als Berufungs-, Revisions- bzw. Beschwerdegericht, entscheidet. Nach dem in § 45 VwGO enthaltenen Grundprinzip entscheidet im ersten Rechtszug das VG – streitwertunabhängig – über alle Streitigkeiten, für die der Verwaltungsrechtsweg offensteht (Rn. 53 ff.). Abweichend hiervon liegt die erstinstanzliche Zuständigkeit für Normenkontrollen (§ 47 Abs. 1 VwGO), Streitigkeiten betreffend die in § 48 Abs. 1 VwGO genannten Großvorhaben und bestimmte vereinsrechtliche Angelegenheiten (§ 48 Abs. 2 VwGO) beim OVG bzw. in den in § 50 Abs. 1 VwGO genannten Fällen beim BVerwG (welches dann zugleich auch die letzte Instanz ist). Als Rechtmittelgericht entscheidet das OVG über die Berufung gegen Urteile (§ 46 Nr. 1 VwGO) und über Beschwerden gegen andere Entscheidungen (§ 46 Nr. 2 VwGO) des VG (Rn. 8). Das BVerwG entscheidet gem. § 49 VwGO über das Rechtsmittel der Revision gegen Urteile des OVG nach § 132 VwGO sowie in den Fällen des § 134 VwGO (Sprungrevision) und des § 135 VwGO (Ausschluss der Berufung) ebenfalls gegen Urteile des VG (Rn. 8). Ferner ist es für Beschwerden nach §§ 99 Abs. 2, 133 Abs. 1 VwGO und § 17a Abs. 4 S. 4 GVG zuständig, vgl. § 152 Abs. 1 VwGO.
223
Die Vorschrift des § 52 VwGO betreffend die örtliche Zuständigkeit (Gerichtsstand) bestimmt, welches Gericht innerhalb derselben Instanz aufgrund der Zugehörigkeit der jeweiligen Streitigkeit zu seinem Gerichtsbezirk zur Entscheidung berufen ist.
2. Teil Verwaltungsgerichtliche Klage › B. Zulässigkeit › V. Beteiligungsfähigkeit
224
Zu den allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer verwaltungsgerichtlichen Klage gehört, dass die von der VwGO aufgestellten beteiligtenbezogenen Voraussetzungen erfüllt sind.[189] Um deren Vorliegen prüfen zu können, ist es erforderlich, in einem ersten Schritt zu untersuchen, wer überhaupt die Beteiligten des konkreten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sind (Rn. 225 ff.). Erst wenn diese feststehen, kann auf ihre Beteiligten-, Prozess- und Postulationsfähigkeit eingegangen werden (Rn. 231 ff.).
225
Beteiligte am verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind nach der abschließenden Aufzählung in § 63 VwGO:
• | der Kläger (§ 63 Nr. 1 VwGO), |
• | der Beklagte (§ 63 Nr. 2 VwGO), |
• | der gem. § 65 VwGO Beigeladene (§ 63 Nr. 3 VwGO) und |
• | der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht (§ 35 VwGO) oder der Vertreter des öffentlichen Interesses (§ 36 VwGO), falls er von seiner Beteiligungsbefugnis Gebrauch macht (§ 63 Nr. 4 VwGO). |
226
Zwischen den Beteiligten besteht das Prozessrechtsverhältnis und entfaltet sich gem. § 121 Nr. 1 VwGO die Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils.
227
Voraussetzung für die Erlangung der Beteiligtenstellung ist die Einbeziehung der betreffenden Person in den Prozess durch eine entsprechende Prozesshandlung (z.B. durch Klageerhebung oder durch gerichtliche Beiladung). Die rein faktische Betroffenheit in eigenen Rechten oder Kompetenzen allein begründet noch nicht die Beteiligtenstellung. Die beiden Hauptbeteiligten „Kläger“ und „Beklagter“ werden ausschließlich durch die Klage bestimmt. Nach dem insoweit maßgebenden formellen Beteiligtenbegriff ist „Kläger“, wer die Klage erhoben hat. „Beklagter“ ist, wer als solcher in der Klageschrift benannt ist. Ob es sich bei diesen jeweils um den nach materiellem Recht „richtigen“ Kläger (Aktivlegitimation) bzw. Beklagten (Passivlegitimation) handelt, ist für die prozessuale Stellung als Kläger bzw. Beklagter dagegen ohne Bedeutung. Der „Beigeladene“, d.h. der Dritte, der an einem fremden – nämlich dem zwischen den Hauptbeteiligten anhängigen – Prozess teilnimmt, erhält seine Stellung erst mit Zustellung des Beiladungsbeschlusses (§ 65 Abs. 4 S. 1 VwGO) bzw. mit dessen Verkündung in der mündlichen Verhandlung; der Rechtsschutzsuchende hat hierauf jeweils keinen Einfluss. Der Sinn und Zweck der Beiladung besteht darin, dem Beigeladenen die Möglichkeit zur Wahrung seiner Interessen zu geben (Rechtsschutz, vgl. § 66 VwGO) und die Rechtskraft der Entscheidung zugunsten der Prozessökonomie sowie der Rechtssicherheit (keine sich widersprechenden Entscheidungen in derselben Sache) auf ihn zu erstrecken, siehe § 121 Nr. 1 i.V.m. § 63 Nr. 3 VwGO, sog. „,Drittwirkung‚ des Urteils“[190].
228
JURIQ-Klausurtipp
Bei der Beiladung handelt es sich nicht um eine Zulässigkeitsvoraussetzung desjenigen Verfahrens, bzgl. dessen die Beiladung in Frage steht – weshalb diese auch erst im Anschluss an die Zulässigkeit (und vor der Begründetheit) zu prüfen ist. Vielmehr kann die Zulässigkeit eines von einem wirksam Beigeladenen angestrengten Folgeprozesses aufgrund der Rechtswirkung der Beiladung (§ 121 Nr. 1 VwGO) am Prüfungspunkt „keine entgegenstehende rechtskräftige Entscheidung“ scheitern (Rn. 46). Denn der (einfach oder notwendig) Beigeladene wird durch das rechtskräftige Urteil ebenso gebunden wie die Hauptbeteiligten.[191]
229
Sowohl auf der Kläger- als auch auf der Beklagtenseite können nicht nur jeweils eine, sondern durchaus auch mehrere Personen auftreten (subjektive Klagehäufung). Auf diese auch sog. aktive (mehrere Kläger) bzw. passive (mehrere Beklagte) Streitgenossenschaft finden die §§ 59 bis 63 ZPO entsprechend Anwendung, § 64 VwGO.
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JURIQ-Klausurtipp
Bei der Streitgenossenschaft (subjektive Klagehäufung) handelt es sich um eine aus prozessökonomischen Gründen oder aufgrund der Natur der Sache erfolgende Verbindung mehrerer Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung. Trotz dieser Verbindung bleiben die einzelnen Verfahren jedoch prinzipiell selbstständig und müssen die Zulässigkeitsvoraussetzungen hinsichtlich der Klage jedes einzelnen Streitgenossen gegeben sein.[192] „In der Klausur müssen Bearbeiter erkennen lassen, dass es sich hierbei – ebenso wie bei der Beiladung (Rn. 228) – nicht um eine Sachentscheidungsvoraussetzung handelt.“[193] Ist die einfache Streitgenossenschaft gem. §§ 59 f. ZPO nicht zulässig oder zweckmäßig, so muss das Gericht die Verfahren nach § 93 VwGO trennen.[194]
231
Die nach § 63 Nr. 1–3 VwGO am konkreten verwaltungsgerichtlichen Verfahren Beteiligten müssen jeweils die Fähigkeit besitzen, Subjekt eines Prozessrechtsverhältnisses im Rahmen der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit sein zu können. Diese Beteiligten- bzw. Beteiligungsfähigkeit kommt vorbehaltlich bundesgesetzlicher Spezialregelungen (z.B. § 47 Abs. 2 S. 1, 2 VwGO) gem. § 61 VwGO
232
• | natürlichen und juristischen Personen sowohl des öffentlichen Rechts (dies sind neben den [Gebiets-]Körperschaften „Bund“, „Länder“ und „Gemeinden“ ferner noch die rechtsfähigen Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts) als auch des Privatrechts wie etwa der AG, der GmbH, dem e.V. etc. zu, § 61 Nr. 1 VwGO. Den vollrechtsfähigen juristischen Personen gleichgestellt sind solche Einrichtungen, denen durch Gesetz Teilrechtsfähigkeit eingeräumt wird (z.B. der oHG gem. § 124 Abs. 1 HGB, der KG gem. § 161 Abs. 2 i.V.m. § 124 Abs. 1 HGB und nach der BGH-Rechtsprechung[195] auch der GbR); zu ausländischen juristischen Personen siehe Übungsfall Nr. 8. Nimmt hingegen eine natürliche Person als Organwalter die Rechte eines monokratisch organisierten Organs (z.B. Bürgermeister) bzw. eines mit innerorganisatorischen Rechten ausgestatteten Organteils (z.B. einzelnes Gemeinderatsmitglied; siehe Übungsfall Nr. 6) wahr, so folgt ihre Beteiligtenfähigkeit nach umstrittener Ansicht[196] nicht aus § 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO, sondern vielmehr aus § 61 Nr. 2 VwGO analog (Rn. 233). Denn insoweit handele der Beteiligte nicht in seiner Eigenschaft als natürliche Person (so aber z.B. bei der Geltendmachung von Individualrechten, z.B. aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG), sondern vielmehr in seiner organschaftlichen Stellung; |
JURIQ-Klausurtipp
Handelt es sich beim Kläger – wie häufig der Fall – um eine natürliche Person, so ist dessen Beteiligtenfähigkeit in der Klausur knapp mit in etwa folgender Formulierung zu bejahen: „Als natürliche Person ist der Kläger gem. § 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO beteiligtenfähig.“ [197]
233
• | Vereinigungen, d.h. Personenmehrheiten mit einem Mindestmaß an Organisation, zu, soweit ihnen selbst – wie z.B. dem Ortsverband einer politischen Partei (zu deren Gebietsverbänden der jeweils höchsten Stufe siehe bereits § 3 S. 2 PartG) oder einem nichtrechtsfähigen Verein, nicht hingegen etwa der Gesamtheit der Einwohner einer Straße – materiell-rechtlich ein Recht zustehen kann, § 61 Nr. 2 VwGO. Insofern lässt die h.M.[198] allerdings nicht irgendein Recht ausreichen, sondern verlangt vielmehr, dass der Vereinigung das Recht gerade im Hinblick auf den konkreten Streitgegenstand (Rn. 58) zustehen muss, vgl. § 61 Nr. 2 VwGO: „soweit“. Die Prüfung von § 42 Abs. 2 VwGO wird hierdurch nicht überflüssig. Denn während es vorliegend allein um die potentielle Innehabung eines Rechts geht (vgl. § 61 Nr. 2 VwGO: „Recht zustehen kann“), ist im Rahmen der Klagebefugnis zusätzlich noch die Möglichkeit der Verletzung dieses Rechts zu prüfen (Rn. 250 ff.). Aufgrund des Zwecks von § 61 Nr. 2 VwGO, das Prozessrecht an das materielle Recht anzupassen (Entsprechung von Rechts- und Beteiligtenfähigkeit), ist es über den Wortlaut dieser Vorschrift hinaus bereits ausreichend, wenn die Vereinigung Zuordnungssubjekt eines Rechtssatzes ist, durch den für sie zwar nicht ein Recht, dafür aber eine Pflicht begründet wird. Bei dem Recht bzw. der Pflicht i.S.v. § 61 Nr. 2 VwGO muss es sich zudem nicht zwingend um ein(e) solche(s) im Außenverhältnis zwischen Staat und Bürger handeln, sondern es genügen auch innerorganisatorische Rechte bzw. Pflichten („wehrfähige Innenrechtsposition“ als Kontrastorgan). Dies ist v.a. bei Organstreitigkeiten wie dem Kommunalverfassungsstreit von Bedeutung, wo die Beteiligtenfähigkeit sowohl von monokratischen Organen als auch von Kollegialorganen (z.B. Gemeinderat; str.[199] bzgl. der Initiatoren eines Bürgerbegehrens) aus § 61 Nr. 2 VwGO (analog) folgt, siehe Übungsfall Nr. 6; |
234
• | Behörden zu, sofern das Landesrecht dies – für Landes-, aus Gründen der Organisationshoheit nicht aber auch für Bundesbehörden (str.[200]) – bestimmt, § 61 Nr. 3 VwGO. Hat das betreffende Bundesland von dieser Ermächtigung § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO regelmäßig richtiger Klagegegner (Rn. 287 ff.). Von der durch § 61 Nr. 3 VwGO eröffneten Möglichkeit wurde |
235
– einschränkungslos Gebrauch gemacht in § 8 Abs. 1 BbgVwGG, § 14 Abs. 1 AGGerStrG MV und § 19 Abs. 1 AGVwGO Saarl. (jeweils „Behörden“); |
236
– ausdrücklich nur für „Landesbehörden“, d.h. nicht auch für Kommunalbehörden, Gebrauch gemacht in § 79 Abs. 1 NJG, § 8 S. 1 AGVwGO LSA und § 69 Abs. 1 LJG SchlH.; |
237
– in § 17 Abs. 2 AGVwGO RhPf. lediglich in Bezug auf die „Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion“ bzw. „die andere obere Aufsichtsbehörde“ im Fall der sog. Beanstandungsklage Gebrauch gemacht. |
JURIQ-Klausurtipp
„Die Beteiligtenfähigkeit kann […] aufgefaßt werden als prozessuales Pendant der Rechtsfähigkeit.“[201] Es gilt: Wer rechtsfähig ist, ist auch beteiligtenfähig (vgl. § 61 Nr. 1 VwGO), wobei § 61 Nr. 2 und 3 VwGO diesen Grundsatz noch erweitern. Im Ergebnis haben die Regelungen des § 61 VwGO zur Folge, dass im Verwaltungsprozess praktisch jedermann beteiligtenfähig ist.[202]
238
Demgegenüber sind namentlich in Baden-Württemberg, Bayern und NRW Behörden mangels Existenz einer landrechtlichen Bestimmung i.S.v. § 61 Nr. 3 VwGO jeweils nicht beteiligtenfähig.
239
Sofern die Beteiligtenfähigkeit nach § 61 VwGO nicht spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegt, ist der betreffende Kläger bzw. Beklagte zwar Beteiligter des jeweiligen Prozesses. Die Klage ist aber wegen seiner mangelnden Beteiligtenfähigkeit unzulässig und daher durch Prozessurteil abzuweisen. Wird im betreffenden Rechtsstreit allerdings gerade um die Beteiligtenfähigkeit eines Beteiligten (z.B. Verein) gestritten, so ist dieser insoweit als beteiligtenfähig zu behandeln und erst im Rahmen der Begründetheit näher zu prüfen, ob beispielsweise die betreffende juristische Person tatsächlich wirksam aufgelöst wurde, sog. doppelt relevante Tatsache (Rn. 40).
2. Teil Verwaltungsgerichtliche Klage › B. Zulässigkeit › VI. Prozessfähigkeit
240
Um Prozesshandlungen (z.B. Klageerhebung) selbst oder durch einen Bevollmächtigten wirksam vor- oder entgegennehmen zu können, muss der jeweilige Beteiligte (Rn. 225 ff.) prozessfähig sein. I.d.S. fähig zur Vor- bzw. Entgegennahme von Verfahrenshandlungen sind:[203]
241
• | die nach bürgerlichem Recht (§§ 2, 104 ff. BGB) voll Geschäftsfähigen, § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO; |
242
• | die nach bürgerlichem Recht in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten, soweit sie durch Vorschriften des bürgerlichen (z.B. §§ 112 f. BGB) oder öffentlichen Rechts (z.B. § 80 AufenthG, § 10 FeV, § 5 RelKErzG) für den Gegenstand des Verfahrens als geschäftsfähig anerkannt sind, § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO. Darüber hinaus ist die Prozessfähigkeit nach h.M.[204] auch in allen sonstigen Fällen der Grundrechtsmündigkeit von Minderjährigen, d.h. deren Fähigkeit zur selbstständigen Grundrechtsausübung, zu bejahen. Insofern wird mitunter in Bezug auf persönlichkeitsrechtsgeprägte Grundrechte (z.B. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG) auf die tatsächliche Einsichtsfähigkeit – und nicht wie bei solchen mit vermögensrechtlichem Charakter (z.B. Art. 14 Abs. 1 GG) auf die §§ 104 ff. BGB analog – abgestellt.[205] |
Hinweis
„Die Prozessfähigkeit ist die ‚prozessuale Handlungsfähigkeit.‘“[206] Es gilt der „Grundsatz: Prozeßfähig ist, wer geschäftsfähig ist“.[207]
243
Im Fall der rechtlichen Betreuung (§§ 1896 ff. BGB) richtet sich die Prozessfähigkeit nach § 62 Abs. 2 VwGO, im Fall der Pflegschaft (§§ 1911 ff. BGB) nach § 62 Abs. 4 VwGO i.V.m. § 53 ZPO und bzgl. Ausländern nach § 62 Abs. 4 VwGO i.V.m. § 55 ZPO.
244
Fehlt es einer natürlichen Person an der Prozessfähigkeit (nicht jeder Beteiligungsfähige ist auch prozessfähig), so handelt für sie ihr gesetzlicher Vertreter (z.B. die Eltern eines minderjährigen Kindes, § 1629 Abs. 1 BGB) bzw. ein Prozesspfleger, § 62 Abs. 4 VwGO i.V.m. § 57 ZPO.
245
Für die als solche nicht prozessfähigen Vereinigungen – über die Fälle des § 61 Nr. 2 VwGO (Rn. 233) hinaus erfasst dieser Begriff im vorliegenden Zusammenhang auch juristische Personen (§ 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO) – sowie für Behörden handeln nach § 62 Abs. 3 VwGO ihre gesetzlichen Vertreter und Vorstände. So wird beispielsweise der Bund i.d.R. durch den zuständigen Bundesminister, ein Land durch den zuständigen Landesminister, eine Gemeinde entsprechend der jeweiligen Gemeindeordnung durch ihren Bürgermeister (z.B. gem. § 63 Abs. 1 S. 1 GO NRW; siehe Übungsfälle Nr. 3 bis 6) und eine Behörde durch ihren Vorstand vertreten; ferner siehe etwa § 78 Abs. 1 S. 1 AktG zum Vorstand der AG und § 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG zum Geschäftsführer der GmbH.
246
Prozesshandlungen, die von oder gegenüber einem Prozessunfähigen vorgenommen werden, sind unwirksam. Die von einem prozessunfähigen Kläger[208] erhobene Klage ist unzulässig. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass eine zunächst fehlende Prozessfähigkeit dadurch geheilt wird, dass entweder der gesetzliche Vertreter oder der zuvor Prozessunfähige nach Erlangung der Prozessfähigkeit die betreffende Prozesshandlung – ggf. konkludent (z.B. durch rügelose Fortsetzung des Verfahrens) – nachträglich genehmigt und diese dadurch mit Rückwirkung (ex tunc), d.h. bezogen auf den Zeitpunkt ihrer Vornahme, wirksam wird. Im Streit um die Prozessfähigkeit eines Beteiligten ist dieser insoweit stets als prozessfähig zu behandeln.
2. Teil Verwaltungsgerichtliche Klage › B. Zulässigkeit › VII. Postulationsfähigkeit