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2Der innere Zusammenhang zwischen Zen und Systemtheorie
Zen ist praktisches Haltungstraining

Das Zen ist eine im frühen Mittelalter in China unter dem Einfluss des Taoismus entstandene Spielart des Buddhismus. Jahrhunderte später gelangte es nach Japan, von wo es im 20. Jahrhundert in den Westen kam. Wegen seiner Herkunft aus dem Buddhismus könnte der Begriff des Zen beim Leser Assoziationen mit religiösem Gehalt hervorrufen. Vielleicht sehen Sie vor Ihrem inneren Auge kahl rasierte Mönche, die sich in entlegenen Klöstern mit halb geschlossenen Augen reglos im Schneidersitz stundenlang geheimnisvollen meditativen Praktiken hingeben. Vielleicht sehen Sie schelmisch grinsende Buddha-Figuren mit dickem Wanst, oder Sie hören, gewissermaßen mit Ihrem inneren Ohr, sonore Om-Laute aus mönchischen Kehlen. Wenn ich den Zen-Buddhismus im Rahmen dieses Buches als wichtiges Element für mein Beratungskonzept heranziehe, dann geht es nicht um religiöse, rituelle oder kultische Handlungen. Es geht auch nicht um einen Gott oder Götter, nicht um Buddha-Figuren, Mönche in Kutten, heilige Schreine oder Ähnliches. Es geht um keinerlei Äußerlichkeiten. Es geht noch nicht einmal um »östliche Philosophie«. Meinetwegen dürfen Sie den Zen-Buddhismus als Religion oder, wofür viel spricht, als Philosophie verstehen. Es wäre aber genauso gut, wenn Sie noch nie etwas von Zen gehört hätten. Für den hier dargelegten Ansatz spielt das alles keine Rolle. Ich bin sogar der Meinung, dass es zweitrangig ist, ob wir es hier mit fernöstlicher – im Gegensatz zu abendländischer – Philosophie zu tun haben. Aus all diesen Gründen vermeide ich meistens den Zusatz »Buddhismus« und rede nur von »Zen«. Folgendes Zitat könnte einem Zen-Text entnommen sein:

»Das größte Hemmnis des Lebens ist die Erwartung, die sich an das Morgen hängt und das Heute verloren gibt. […] Wohin blickst du? Wonach streckst du die Arme aus? Alles, was da kommen soll, liegt im Ungewissen. Jetzt, auf der Stelle, erfasse das Leben! Auf!« (Seneca 2005, S. 33).

Diese Worte flossen jedoch nicht aus der Feder eines asiatischen Denkers, sondern stammen von dem römischen Philosophen Seneca, der etwa in den ersten sechseinhalb Jahrzehnten unserer Zeitrechnung lebte. Indem dieser unbestreitbar abendländische Denker darauf hinweist, dass der Mensch nur das Jetzt, nur diesen Augenblick besitzen kann, spricht er eine Erkenntnis an, die auch wesentlich für das asiatische Zen ist. Der Mensch möge sich auf eine innere Haltung besinnen, die sich dem Augenblick, also dem Jetzt, hingibt. Es macht einen grundsätzlichen Unterschied in der Einstellung zum Leben und zur Welt, ob wir uns gedanklich, emotional oder seelisch im Gestern befinden, ob wir uns auf das Morgen hin ausrichten oder ob wir uns mit all unseren Seinskräften in diesem Augenblick befinden. Dabei sei nur am Rande erwähnt, dass Seneca, der außerdem Dramatiker und Politiker war, sich auch um die Erziehung des jungen Nero gekümmert hat, der als Kaiser das von seinen Handlangern »entzündete« Rom besang. Ob Nero die Aufforderung Senecas, jetzt auf der Stelle das Leben zu erfassen, dabei im Sinn hatte? Im Zen, ebenso wie bei Seneca, der ein Vertreter der stoischen Philosophie war, geht es vor allem auch um alltagspraktische Fragen und alltagsnützliche Antworten. Das Zen hat diesen praktischen Nutzwert gewissermaßen zum Programm erhoben. Wer Zen praktiziert, soll seine individuellen Erfahrungen vor dem Hintergrund seines eigenen Lebens machen und daraus persönliche Schlüsse ziehen. Dabei spielt die Verbundenheit mit dem Jetzt eine entscheidende Rolle. Eine ganze Reihe westlicher Denker, wie z. B. Albert Camus, Friedrich Nietzsche und eben auch Seneca, haben philosophische Ansätze mit ähnlichen Anklängen verfolgt. Ein besonders sympathisches Musterbeispiel dafür, wie ein Mensch die Präsenz im Jetzt lebt, ist Nikos Kazantzakis Romanheld Alexis Sorbas. Entschlossener Tatmensch, der er ist, tritt er dem Erzähler, ein Poet und Mensch des Geistes überhaupt, an die Seite, woraufhin die beiden eigentlich erst ein Ganzes bilden. Schnell wird klar, dass Sorbas seinen »Chef« die Lebendigkeit des Lebens lehrt: »Kennt der Hintern der Müllerin die Rechtschreibung? Der Hintern der Müllerin ist der menschliche Geist« (Kazantzakis 1995, S. 14).

Die Bedeutung der eigenen Erfahrungen und daraus abgeleiteter Schlussfolgerungen zum Programm zu erheben heißt automatisch, keine Dogmen und keine fremden Autoritäten zu akzeptieren. Auch hier handelt es sich um einen zentralen Grundsatz des Zen. Ganz im Sinne der Aufklärung fordert es mit Immanuel Kant: Bediene dich deines eigenen Verstandes. Mache deine eigenen Erfahrungen, lerne aus ihnen und leite selbst deine Schlussfolgerungen ab. Im Zen gibt es nicht die eine Wahrheit, die alle anderen Lehren ausschließt. Einer solchen Idee zu folgen hieße, sich einer Illusion hinzugeben. So wie die Menschen und ihre Vorlieben, Neigungen und Eigenarten unterschiedlich sind, eignen sich verschiedene Lehren für unterschiedliche Menschen. Zen ist darüber hinaus auch eine Art mentales Training oder Haltungstraining, wobei Haltung im doppelten Wortsinne als Körperhaltung und als Einstellung gemeint ist. Für das sogenannte Zazen, die oben bereits angesprochene Sitzmeditation, gibt es präzise Instruktionen hinsichtlich Beinhaltung, Wirbelsäulenausrichtung, Arm- und Schulterhaltung, für den Hals, den Kopf und das Kinn, aber auch hinsichtlich der Frage, mit welcher Einstellung man diese Übung praktizieren sollte. Dem liegt die, inzwischen auch wissenschaftlich belegte, Erfahrung zugrunde, dass die Haltung unseres Körpers, dass unsere Einstellungen, Emotionen, Gedanken und unsere seelische Verfassung sich gegenseitig beeinflussen. Die wechselseitigen Einflüsse zwischen Körper, Geist und Seele spielen für jeden erfahrenen Coach eine wichtige Rolle. Ganz allgemein könnte man das Zen auch als eine Praxis bezeichnen, die sich mit der Frage beschäftigt, wie wir unser Leben führen sollen. Entsprechend geht es lebenspraktischen Fragen nach: Mit welcher Einstellung begegne ich der Welt um mich herum? Wie stelle ich mich auf Begebenheiten ein, die mir nicht passen? Wie gehe ich mit den Verrücktheiten und Turbulenzen in der Welt um? Der alltagspraktische Bezug des Zen, seine Ablehnung von Autoritäten, sein Verweis auf die persönliche Erfahrung und den eigenen Verstand, die, wenn man so will, »Haltungslehre« – das sind einige Eigenschaften des Zen, die für Zen in der Kunst des Coachings eine wesentliche Rolle spielen. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Umstand, dass die in der Zen-Praxis geübte Haltung in einem tieferen Sinne unsere Dialogfähigkeit stärkt.

Unsere Haltung macht den Unterschied

Als Mahmud Z. das erste Mal zu mir ins Coaching kam, wusste ich nicht recht, wie mir geschah. Er überschlug sich regelrecht vor Mitteilsamkeit und trug eine Fülle an Themen vor, die er zu behandeln wünschte. Das Spektrum seines Bedarfs reichte von bilateralen Führungsthemen bis zur Eheberatung. Natürlich habe ich keinen Hehl daraus gemacht, wo ich ihm helfen könnte und wo nicht. Und selbstverständlich habe ich mit ihm seine restlichen Anliegen nach allen Regeln der Kunst priorisiert, um mit dem auf mich einstürzenden Bedürfnistsunami umgehen zu können. Bei der Priorisierung hat er auch sehr willig mitgemacht, nur um dann bei der Bearbeitung der ersten Priorität innerhalb kürzester Zeit auf andere, zum Teil wieder neue Themen zu sprechen zu kommen. Und schon war die Priorisierung über den Haufen geworfen. Ich fühlte mich so, als hätte ich es geschafft, nach Hereinbrechen einer gigantischen Flutwelle den Kopf über Wasser zu halten, nur um festzustellen, dass ich nun in einem Gebiet schwamm, wo es vor Unterströmungen und Strudeln nur so wimmelte. Immer wieder wurde ich hin und her gewirbelt und unter Wasser gezogen. Nur mit Mühe gelang es mir aufzutauchen, um gelegentlich Luft zu holen. Mich in eine bestimmte Richtung fortzubewegen war einfach illusionär. Am Ende der ersten Sitzung war ich vollkommen erschöpft, während mein Klient recht zufrieden schien. Augenscheinlich hatte er Gefallen daran gefunden, sich einmal ordentlich und mehr oder weniger ungestört aussprechen zu können. Er verabschiedete sich, nicht ohne einen Folgetermin zu vereinbaren, und teilte mir mit, dass er sich schon sehr auf ihn freue. Mir hingegen fiel es schwer, seine Freude zu teilen, wenngleich ich das nicht so deutlich zum Ausdruck brachte. Nach etwa zwei Wochen stand der Folgetermin an, und der Gedanke daran verursachte bei mir leichtes Bauchgrummeln. Ich fragte mich, wie ich Struktur, Orientierung und Produktivität in das Gespräch bekommen könnte, und stellte fest, dass mit Näherrücken des Termins eine leichte Nervosität in mir aufkam. Um es kurz zu machen: Meine Bemühungen scheiterten, und ich fühlte mich auch nach der zweiten Session wieder völlig erledigt. Mahmud Z. jedoch schien noch zufriedener als nach unserem ersten Gespräch.

Hätte ich nicht einfach auch zufrieden mit dem Ergebnis sein können? Während mein Klient vor der Sitzung mit sorgenumwölkter Stirn unser Büro betreten hatte, verließ er es nachher regelrecht fröhlich. Warum sollte ich nicht auch froh sein? Mein Problem war Folgendes: Ich hatte das Gefühl, keinen echten Beitrag zu dem »Erfolg« geleistet zu haben, und fühlte mich dementsprechend überflüssig. Hätte meine »Dienstleistung« nicht genauso gut von einem Freund, der Ehefrau, dem Friseur oder sogar dem Haushund erbracht werden können? Mein Gefühl war, etwas tun zu müssen, aktiv in das Geschehen einzugreifen zu sollen. Mahmud Z. ließ mir dazu in seiner charmantüberwältigenden Weise zu kommunizieren keine Chance. Ich ahnte, dass die dritte Verabredung in ein ähnliches Desaster münden würde. Trotzdem wollte ich es noch einmal versuchen. Diesmal jedoch nicht, ohne vorher den Fall Mahmud Z. in einer Supervisionsrunde mit geschätzten Kollegen vorzutragen. Das Timing war perfekt. Mein Anliegen konnte wenige Tage vor der dritten Coachingsession beraten werden. Die Ratschläge meiner Kollegen erstreckten sich über das ganze Spektrum von »Was willst du eigentlich, lass es laufen, und schreib deine Rechnungen« bis hin zu filigran ausgefeilten Strukturierungsvorschlägen. Es gab sogar einen Kollegen, der mir die autoritative »Ich-hau-mal-auf-den-Tisch«-Variante nahelegte. Eine Kollegin wählte schließlich die entscheidende Intervention, indem sie mir ein Bild mitgab, das intuitiv in meinem Bewusstsein einrastete. Sinngemäß sagte sie mir, dass ich ihr vorkomme wie jemand, der in einem Kajak einen reißenden Strom hinunterfährt und dabei versucht, eine möglichst gerade Linie mit dem Boot zu beschreiben. Statt elegant mit leichten Paddelbewegungen einen Strudel an seinem Rand zu passieren, versuchte ich, ihn mit großem Kraftaufwand schnurgerade zu durchmessen, wenn er nun mal auf meiner vorgestellten Ideallinie läge. Kein Wunder, dass ich nach der Fahrt vollkommen erschöpft sei. Dieses Bild war für meinen Umgang mit Mahmud Z. Gold wert. Meine Gesprächsbeiträge sollten von nun an kleine, elegante Paddelbewegungen sein. Die konnte ich keineswegs planen, denn ich hatte vorher keine Ahnung, auf welchem Fluss wir jeweils unterwegs sein würden. Mit Geschick und Intuition musste ich mich der jeweiligen Situation im jeweiligen Jetzt stellen und den dann angebrachten Paddelschlag ausführen.

Vor meiner dritten Sitzung mit Mahmud Z. nahm ich mir einfach ein paar Minuten Zeit, um vor meinem inneren Auge das Bild von mir im Kajak auf einem reißenden Fluss zu erzeugen, dabei Spaß zu haben und die kleinen, entscheidenden Paddelschläge zu genießen. Dabei fiel mir auf, dass mein Körper unwillkürlich in Bewegung kam. Die Vorstellung von der Kajakfahrt in meinem Bewusstsein hatte einen wenn auch subtilen Rückkoppelungseffekt auf meine Motorik. Interessanterweise stellte sich genau mit diesem Effekt das Gefühl ein, nun gut auf meine Sitzung mit Mahmud Z. vorbereitet zu sein. Die »Paddelschläge« waren in keiner Weise das Ergebnis von Nachdenken, sondern ergaben sich stets im Wege situativer Assoziationen und Intuitionen. Es waren Bemerkungen darunter, für die ich alles andere reklamieren würde, als blitzgescheit zu sein: »Da müssen Sie aber traurig gewesen sein«, »Was wird Ihre Frau dazu gesagt haben?« oder »Jetzt sind Sie doch nicht ehrlich mit sich selbst«. Ich hatte sie nicht in der Absicht artikuliert, bewusst zu intervenieren, eigentlich hatte ich sie in gar keiner Absicht artikuliert. Es waren einfach nur natürliche kommunikative »Paddelbewegungen«, die mir halfen, mich mit meinem »Kajak« sicher fortzubewegen. Am Ende der Sitzung gab mein Kunde mir folgendes Feedback: »Herr Rautenberg, ich finde es schön, dass Sie jetzt endlich aufgetaut sind. Da werden unsere weiteren Sitzungen bestimmt noch besser werden.« Die nächste Session hat er kurzfristig wegen einer Dienstreise abgesagt. Dann hat er sich jahrelang nicht mehr gemeldet. Von unserem Wiedersehen werde ich später berichten.


Mancher Leser wird sich vielleicht wundern, warum ich mit den Coachings von Karin E. und Mahmud Z. keine persönlichen Heldenstorys erzähle. Man könnte ja sogar von einem Versagen meinerseits sprechen, und es gibt vielleicht den einen oder anderen, der denkt: »Du Loser, das hätte ich besser gekonnt!« Und tatsächlich glaube ich, dass andere Berater die Schwierigkeiten in diesen Situationen besser oder schneller hätten meistern können. Gerade solche schwierigen, für mich in der jeweiligen Lage eben auch schwer zu meisternden Situationen sind es jedoch, aus denen ich in der Retrospektive besonders viel über mich gelernt habe, vorausgesetzt, ich habe sie und mich in ihnen ehrlich angeschaut. Ist das nicht das Alpha und Omega für den Coach: Sich selber immer besser verstehen? In kollegialen Beratungen stelle ich immer wieder fest, dass angesichts der Fülle an Interventionsmöglichkeiten in einer herausfordernden Situation nicht der Königsweg zu suchen ist, sondern derjenige, der am besten zu der jeweiligen unverwechselbaren Konstellation zwischen Berater und Klient passt. Ich gehe davon aus und werde das später auch begründen, dass jede Situation einzigartig ist und sich nicht wiederholen wird. Alle Kommentare mit dem Tenor »Ah, das kenne ich, das habe ich auch schon erlebt« laufen also streng genommen fehl.

VUCA makes the world go round

Aus der Perspektive des Zen ist das Leben generell mit einer Kajakfahrt auf einem unbekannten Fluss voller Stromschnellen vergleichbar. Wenn ich mich treiben lasse, werde ich kentern. Wenn ich versuche zu planen, an welcher Stelle des Flusses ich welches Manöver fahre, wird mein Vorhaben schnell von Überraschungen über den Haufen geworfen. Ich kann die Fahrt nur bestehen, wenn ich mich bewusst auf das einlasse, was gerade jetzt ist, und wenn ich an der Schnittstelle zwischen jetzt und gleich erspüre, wohin sich die Situation neigt. Die Kunst besteht darin, die Bedingungen der Situation anzunehmen, wie sie jeweils tatsächlich sind, und zu erahnen, welche Wendung die Situation im nächsten Moment nehmen wird. Mit dem »nächsten Moment« ist wirklich der naheste Moment gemeint, für den es voll da zu sein gilt, möglichst ohne dass man Erwartungen hinsichtlich der weiteren Entwicklung hegt. Kajakfahren ist insofern eigentlich mit der Kunst der Improvisation vergleichbar. Und genau darin besteht auch die Freude am Kajakfahren. Jede Vorhersagbarkeit würde ihr Frische und Lebendigkeit entziehen. Für das Problem der nächsten Stromschnelle kann ich keine Musterlösung anbringen. Ich muss mich ihm in seiner Unmittelbarkeit im jeweiligen Hier und Jetzt zuwenden. Das gelingt mir am besten, wenn ich mich frei mache von allen Gedanken, wie ich es jetzt am liebsten hätte, wenn ich alle Vorstellungen davon, wie es sein sollte, loslasse und meinen Geist ruhig werden lasse. Das Abenteuer der Kajakfahrt ist ohne seine Ungewissheiten und Risiken nicht zu haben.

Seit Beginn der 2010er-Jahre ist das Akronym »VUKA« sehr in Mode gekommen. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die Welt des 21. Jahrhunderts sich ganz besonders durch Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität auszeichne. Einerseits handelt es sich wohl wieder um eine Marketingsau, die da durchs Dorf getrieben wird. Andererseits hat das VUKA-Phänomen geschichtlich immer eine Rolle gespielt und ist oft mit disruptiven Veränderungen einhergegangen. Für die alten Römer muss es sich ziemlich »vuka angefühlt« haben, als die »Barbaren« ihr Reich ins Wanken brachten. Der Buchdruck hat weite Teile der Welt in ein großes VUKA geworfen. Das Florenz der Medici stelle ich mir ziemlich vuka vor. Oder wenn wir ganz weit zurückschauen: Für die Dinosaurier muss es ein echtes VUKA gewesen sein, als das Erdklima sich zu ihren Ungunsten veränderte. Die Bedeutung des VUKA scheint eher in seiner Normalität zu stecken, als dass es etwas Neues wäre. Schauen wir uns die einzelnen Aspekte des VUKA-Begriffs etwas genauer an. Volatilität ist ein vor allem in den Wirtschaftswissenschaften genutzter Terminus, der Schwankungen von zum Beispiel Währungen oder Börsenkursen bezeichnen soll. Indem man Abweichungsrisiken ermittelt, wird der Versuch unternommen, materielle Verlustängste metrisch in den Griff zu bekommen. Mit dem Element der Unsicherheit soll aufgezeigt werden, dass man nicht wissen kann, ob eine Lage oder Situation überhaupt erfasst wird und dass unklar ist, was als Nächstes passieren wird. Bei der Komplexität geht es um das unüberschaubare Wechselwirken unterschiedlicher Komponenten in einer Situation oder Lage. Und die Ambiguität bezeichnet die mögliche Zwei- oder gar Mehrdeutigkeit eines Phänomens. Im Grunde genommen, bedeutet die ganze VUKA-Welle, dass unsere Welt voller Dynamik und Unsicherheit ist, was dazu führt, dass jede Festlegung ein Risiko mit sich bringt. Wenn Sie ein Aktienpaket kaufen, kann es sein, dass ein Zinsmanipulations- oder Abgasmanipulationskandal Ihren Gewinnerwartungen einen volatilitätsmäßigen Tiefschlag verpasst. Wenn ein attraktiver Mensch Ihnen sagt »Ich liebe dich« und Ihre Interpretation dieser Aussage Sie verleitet, darauf mit einem Heiratsantrag zu reagieren, kann es sein, dass Ihre Deutung sich im Nachhinein als nicht tragfähig erweist. Unsere Welt ist keine »triviale Maschine«9, von der wir genau wissen, wie ihre einzelnen Elemente zusammenwirken. In einer aufgeklärten und postmodernen Welt mit ihren relativierenden Perspektiven kommt verschärfend hinzu, dass Mehrdeutigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Volatilität eine prinzipielle Stellung erhalten. Sie sind keine vorübergehende Ausnahme, sondern die Regel. Die mit ihnen verbundenen Risiken können wir nie »in den Griff« bekommen. Der Buchtitel der amerikanischen Managementautoren Hodgson und White bringt wunderbar zum Ausdruck, wie man sich am besten auf diese Welt einstellt: Relax, it’s only uncertainty.


Aber was ist, wenn unser Bewusstsein von ungebetenen Gästen, wie zum Beispiel Ängsten, heimgesucht wird? Die einzelnen VUKA-Elemente verorten wir draußen in der Welt. An Ihnen können wir nichts ändern. Ängste jedoch breiten sich in unserer Innenwelt aus. Das hat den Nachteil, dass sie uns sehr nahe kommen, aber es hat auch den unbestreitbaren Vorteil, dass wir uns mit ihnen auseinandersetzen können, wenn wir es klug anfangen. Kajakfahren auf einem reißenden Strom ist eine VUKA-Mission par excellence, die wir am besten meistern können, wenn wir innerlich ruhig und balanciert, gleichzeitig aber höchst alert sind. Je unruhiger unser Geist ist, je abgelenkter wir vom Jetzt sind – und wenn wir uns ausschließlich auf unser Denken verlassen –, desto weniger wahrscheinlich wird sie uns gelingen. Die Kajakfahrt ist eine stimmige Metapher für das Leben in der großen VUKA-Welt, und diese Metapher trifft auch für das Beraten in der kleinen Coachingwelt zu. Unsere und unserer Klienten Bewusstseinszustände sind hochvolatil, die mit ihnen einhergehenden Stimmungen schwanken dauernd. Stets ist ungewiss, was als Nächstes passieren oder wie der Klient reagieren wird. Die Landschaft der beteiligten biologischen, psychischen und sozialen Systeme ist extrem komplex und die entsprechende Perspektivenvielfalt schließt jede Eindeutigkeit aus. Man sollte schon Freude daran haben, sich auf eine solche Fahrt zu begeben. Wenn ich ängstlich bin zu kentern, werde ich nicht souverän agieren und steige gar nicht erst ins Boot. Wenn ich obendrein wasserscheu bin, komme ich noch nicht einmal auf die Idee, den großen Zeh ins Wasser zu halten.

Wenn wir, etwas verkürzt, ruhig, balanciert und hellwach sein müssen, um gut mit dem Kajak zu fahren, so beschreibt dies Bewusstseinszustände, die eine Art voraussetzenden Charakter haben. Viel scheint also von unserem Bewusstsein abzuhängen. Schauen wir uns nun dieses Phänomen etwas näher aus systemtheoretischer Perspektive an.

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