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»Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt« (Wilhelm Busch)

Wie entsteht das soziale System »Coaching«? Ist es selbstverständlich, wenn Berater und Klient zusammenkommen, dass dann, gegebenenfalls nach anwärmendem Small Talk, auch gleich das geschieht, was wir »Coaching« nennen dürfen? Wenn man ganz genau hinschaut, ist dieser Anfang, wie sprichwörtlich aller Anfang, schwer, und es wohnt ihm durchaus nicht immer ein Zauber inne. Für beide Beteiligten ist die Aufnahme eines Coachings voller Ungewissheiten. Niklas Luhmann nutzt den Begriff der »Kontingenz«, um zu erklären, wie soziale Systeme zustande kommen und erklärt ihn so:

»Der Begriff wird gewonnen durch Ausschließung von Notwendigkeit und Unmöglichkeit. Kontingent ist etwas, was weder notwendig ist noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist« (Luhmann 1984, S. 152).

Nichts ist notwendig, und nichts ist, wie Toyota viele Jahre in Werbespots hat verlauten lassen, unmöglich. Die einengende und bestimmende Wirkung von Notwendigkeiten und Unmöglichkeiten ist nicht gegeben, wenn etwas kontingent ist. Das ist eine wunderbare Beschreibung für die Situation, die wir im Coaching antreffen. Das Wesen des Coachings ist kontingent. Erwartungen des Beraters bezüglich des Verhaltens seines (potenziellen) Klienten mögen enttäuscht werden. So kann es geschehen, dass der Klient im ersten Treffen ein methodisches Grundsatzgespräch führen möchte, statt sich vorbehaltlos der beraterischen Kompetenz des Coachs anzuvertrauen. Oder er schwärmt ausführlich von einer früheren, unvergleichlichen Beratungserfahrung mit einem anderen Coach. Welcher Berater hat schon Lust, und sei es nur in der Erinnerung, im Schatten eines Kollegen zu stehen? Das fühlt sich ähnlich an, wie wenn der Ehepartner von einer verflossenen Liebe schwärmt. Umgekehrt kann es sein, dass der Berater sich aus der Sicht des Klienten nicht erwartungskonform verhält, indem er z. B. keinen Rat oder keinen Kaffee anbietet. Wenn solcherart Erwartungen unerfüllt bleiben, sie jedoch aus jeweils subjektiver Sicht die Voraussetzungen für das Angestrebte bilden, kann der Beginn einer Beratung ziemlich holprig werden. Wann und unter welchen Bedingungen beginnt das Coaching? Wie geschieht es, dass die Begrüßung, das Vorgeplänkel, der Small Talk oder die Konversation aufhört und das Beratungsgespräch beginnt? Jedes soziale System, so auch das Coaching, unterliegt nicht nur einer einfachen, sondern der doppelten Kontingenz. Darin ähnelt es dem Schachspiel: Ich bin am Zug und habe aus einer Fülle möglicher Optionen zu wählen, leider auch solcher, die sich als Fehler erweisen können. Dabei bin ich mir bewusst, dass mein Gegner, als Reaktion auf jede meiner Zugmöglichkeiten, wiederum aus einer Fülle von Optionen zu wählen hat, die sich ebenfalls als Fehler erweisen können. Während ich über meinen Zug nachdenke, denkt er darüber nach, wie ich möglicherweise entscheide und was er daraufhin unternimmt. Die Entscheidung für einen Zug, genauer: seine Ausführung, hebt diese Ungewissheit für einen klitzekleinen Moment auf, in der Systemtheorie sprechen wir hier von »Unsicherheitsabsorption«, wobei sofort wieder die Situation der doppelten Kontingenz entsteht. Das Spiel mit der Ungewissheit beginnt gewissermaßen von Neuem. Das ist unbequem und notwendig zugleich, denn was wäre eine Schachpartie, in der von vornherein feststünde, wer wann welchen Zug ausführt? Eine abgekartete Schachpartie ist gar keine echte oder eine bereits gespielte, allenfalls noch nachspielbare Schachpartie. Ohne die Analogie allzu sehr strapazieren zu wollen oder gar zu behaupten, das Coaching sei wie ein Schachspiel, kann man aber doch mit Fug und Recht behaupten, dass gerade die Ungewissheit das geschmackgebende Salz in der Suppe des Lebens allgemein und des Coachings im Besonderen ist. Kein gesunder Mensch möchte ein Leben führen, in dem er stets weiß, was als Nächstes geschehen wird, oder gar die »Ewig-grüßt-das-Murmeltier-Version« eines Lebens erfahren. In dem gleichnamigen Hollywoodfilm wird die Psyche des von Bill Murray dargestellten Protagonisten dadurch strapaziert, dass er jeden Tag ab dem Klingeln des Weckers immer das Gleiche erlebt. Sein Leben ist also durch ein Höchstmaß an Sicherheit und Gleichförmigkeit bestimmt bei gleichzeitig minimaler Ungewissheit. Die Ödnis vollkommener Vorhersehbarkeit lässt das Leben wenig lebenswert erscheinen. Gleichwohl sehnen sich die meisten nach mehr Gewissheit und streben auch danach. Dieses Bedürfnis wird auch unser Coaching beeinflussen. Die Nutzung von Tools, der Versuch, bekannte Muster wiederzuerkennen, Vor-Erfahrungen, die zu entsprechenden Vor-Urteilen führen, und Ähnliches dienen sämtlich dem Zweck, ein bisschen Gewissheit in den Beratungsprozess zu bringen. Mit Zen in der Kunst des Coachings möchte ich einer Haltung den Weg ebnen, die die prinzipielle Unvorhersehbarkeit jedes nächsten Augenblicks anerkennt, wertschätzt und nutzt. Das funktioniert am besten, wenn wir uns auf das Jetzt im Coaching einlassen. Der Vorteil dieser Haltung ist, dass sie unsere Arbeit besonders spannend macht.

Der Vergleich mit dem Schach zeigt uns aber noch einen weiteren wichtigen Aspekt, der dort auftaucht, wo die Analogie anfängt zu hinken. Im Schach gibt es quasideterminierte Sequenzen, wie zum Beispiel die sizilianische oder andere Eröffnungen sowie zahllose Varianten der Fortsetzung des Spiels nach einer Eröffnung. So gehört es unter kundigen Schachspielern dazu, dass sie nach überwundener Eröffnungsungewissheit solche Zugfolgen vollkommen mechanisch durchspielen, um erst dann wieder die prinzipielle Kontingenz walten zu lassen. Das ist im Coaching, streng genommen, nicht möglich. Jede Coachingsituation ist kontingent, so dass es nie zwei gleiche Coachingzüge geben kann. Jede Routine wäre in diesem Sinne dem Coaching unangemessen. Sequenzen von Aktionen und Reaktionen lassen sich nicht standardisieren. Man kann im Wortsinne niemals vorhersehen, was als Nächstes geschieht. Anders als im Schach gibt es in der Beratung keine zwei identischen Situationen. Auch wir als Berater sind zu zwei verschiedenen Zeitpunkten niemals identisch, und dasselbe gilt für unsere Klienten. Auch der Kontext eines Beratungsereignisses kann niemals der Gleiche sein. Diese vollkommene Nichttrivialität ist Wesen und Sinn eines Coachings zugleich. Darin unterscheidet es sich von anderen sozialen Systemen: Die militärischen Organisationen dieser Welt verwenden viel Zeit und Mühe auf Standardisierung und Trivialisierung von Interaktionen. Ein bestimmter Befehl zieht idealerweise eine erwartbare Ausführung nach sich. Ebenso sind die Kommunikationen zwischen Kapitän und Copilot im Cockpit eines Verkehrsflugzeuges weitgehend determiniert. Die Sicherheit einer Flugdurchführung verlangt nicht Kreativität, sondern Prozesstreue. Das Unvorhergesehene ist der Ausnahmefall, den es zu verhüten gilt. Im Coaching hingegen ist das Unvorhergesehene der Regelfall, für den wir uns stets bereithalten müssen und den wir willkommen heißen sollten. Vorhersehbarkeit ist eine Illusion, die wir aufgeben sollten. In der Interaktion zwischen Berater und Klient entsteht das soziale System »Coaching«, wenn beide unter den Bedingungen der doppelten Kontingenz aufeinander Bezug nehmend kommunizieren. Die redlichste Form des Bezugnehmens ist, wenn wir uns als Berater ganz und gar der Einzigartigkeit von Situation und Person in jedem Moment stellen. Konsequent zu Ende gedacht, bedeutet dies, dass wir als Berater jeden Wunsch nach Kontrolle über das Beratungsgeschehen aufgeben sollten. Wir sind uns bewusst: Erstens kommt es anders, zweitens, als man denkt.

Das Besondere ist ja, dass wir bei aller Ungewissheit gleichzeitig in einem engen Abhängigkeitsverhältnis mit unserem Klienten stecken. Wir sind in unserer Beratung abhängig von seinem Tun und Kommunizieren wie er auch von unserem. Nur wenn wir als Coachs ebenso wie unser Coachee in unseren Aktionen und Kommunikationen eindeutig in einer Weise aufeinander Bezug nehmen, die unserer Interaktion die Bedeutung »Beratung« gibt, kann überhaupt Beratung stattfinden. Das soziale System »Beratung« kann also nur entstehen, wenn wir mit unserem Klienten gemeinsam an einem Strang ziehen. Dagegen kann jeder Einzelne es zum Erliegen bringen, indem er nicht mehr eindeutig bezugnehmend kommuniziert.

Die nun folgende kleine Vorschau soll als »Appetithäppchen« für die weitere Lektüre dienen, indem sie aus ersten Hinweisen auf Zusammenhänge zwischen Systemtheorie, Zen, Dialog und Coaching eine wesentliche Konsequenz ableitet.

Vorschau: Beratermut ist Demut

Der Unterschied, der den Unterschied im Sinne der Systemtheorie macht, ist die Grenze zwischen System und Umwelt. Gemäß der luhmannschen Systemtheorie sind Systeme autopoietisch, d. h., sie erzeugen sich selbst, und zwar aus ihren eigenen Elementen. Im Falle des sozialen Systems »Coaching« sind diese Elemente die Kommunikationen zwischen Coach und Coachee. Rund um das Coaching haben wir es dann mit mindestens drei Systemtypen zu tun, nämlich den biologischen Systemen der Beteiligten, mit ihren entsprechenden psychischen Systemen bzw. Bewusstseinssystemen und mit dem bereits angesprochenen sozialen Berater-Klienten-System. In dem Zusammenhang ist natürlich in aller Regel noch das soziale System der Organisation relevant, in dem der Klient Mitglied ist. Aus der Sicht jedes einzelnen Systems gehören alle anderen Systeme zu seiner Umwelt. Nun kommt ein entscheidender Punkt. Systeme, wenn wir sie so verstehen wie Niklas Luhmann, sind nicht nur autopoietisch, sondern auch selbstreferenziell und operational geschlossen. Was das bedeutet, möchte ich an einem Beispiel deutlich machen. Erinnern wir uns an mein Blackout in dem Coaching mit Karin E. Als mir klar geworden war, dass ich ihr eine Zeit lang nicht zugehört hatte, begann ich, Optionen für das weitere Vorgehen abzuwägen. Was sich dabei in meinem (Bewusstseins-)System abspielte, war für meine Klientin nicht erkennbar. Sie hatte keinen Zugriff auf meine Gedanken – Gott sei Dank! Und auch ich konnte allenfalls erahnen, was in ihr vor sich ging. Natürlich war mir daran gelegen, nicht allzu blöd dazustehen. Aber konnte ich das kontrollieren? Nein, ihre Bewertung der Situation wird Karin E. vollkommen eigenmächtig vorgenommen haben. Auf entsprechende Gedanken als Elemente ihres Bewusstseins hatte ich keinen Zugriff und insbesondere keine Möglichkeiten kontrollierbarer Einwirkung. Nebenbei bemerkt, habe ich oft das Gefühl, wenig Kontrolle über die Gedanken meines eigenen Bewusstseins zu haben. Sie scheinen meist eher selbst organisiert in mein Bewusstsein zu treten. Hinzu kommt, dass ein Gedanke immer nur Bezug auf andere Gedanken im eigenen Bewusstsein nehmen kann. Das mag auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, da wir vielleicht meinen, mit unseren Gedanken direkt auf Außenreize reagieren zu können. Probieren Sie es einmal aus, achten Sie zum Beispiel einmal darauf, wie der Gedankenprozess läuft, wenn jemand etwas zu ihnen sagt. Der äußere Reiz kann allenfalls Anstoß für einen Gedanken sein, der keineswegs ein exaktes Abbild des Reizes ist. Was sich in meinem Bewusstsein verarbeitet, ist letztlich immer meins. Das ist ja auch eine beruhigende Erkenntnis. Äußere Phänomene, wie die Worte eines Beraters, aber auch das Läuten der Kirchenglocken oder das Muhen der Kuh, mögen relevante Reize für diesen meinen psychischen Prozess sein, mehr sind sie aber auch nicht.

Alle an einer kommunikativen Situation beteiligten Systeme arbeiten in diesem Sinne grundsätzlich getrennt voneinander. Diese Trennung kann noch nicht einmal durch beraterische Allmachtsfantasien überwunden werden. Folgen wir dem Systemdenken von Niklas Luhmann, dann gibt es keine determinierenden Einflüsse zwischen Systemen und ihren Umwelten, es sei denn, dass es sich um triviale Systeme wie Toaster, Automobile oder Mondraketen handelt. Im Unterschied zu den hier angesprochenen nichttrivialen, autopoietischen Systemen kann man bei trivialen Systemen immer ganz genau wissen, wie der Zusammenhang zwischen Input und Output ist. Das Betätigen der Zündung startet den Motor. Wenn nicht, ist das Auto kaputt. Solche Gewissheit in Bezug auf die Interaktion autopoietischer Systeme und ihrer Umwelten gibt es nicht – und sei der Berater noch so schlau und erfahren. Wir haben keinen direkten Zugriff auf das Bewusstsein des anderen und können entsprechend keine beabsichtigte Wirkung sicher erzielen. Die prinzipielle Geschlossenheit der Selbstorganisation im Klientenbewusstsein sorgt dafür, dass etwaige Wirkungen im Coachingprozess vom Klienten selber erzielt werden und nicht etwa vom Berater. Die Ausgeschlossenheit einer Eins-zu-eins-Manifestation äußerer Reize im Bewusstsein bedeutet, dass wir nie etwas exakt so wahrnehmen können, wie es in der Außenwelt existiert, sondern unsere Wirklichkeit gewissermaßen eigenmächtig konstruieren. Wir sind also »Wahrgebende« statt »Wahrnehmende«. Wenn wir als Berater diese Sicht auf die Coachingkonstellation akzeptieren, wenn wir unser Gegenüber in seiner Selbstorganisation, Autopoiesis, operativen Geschlossenheit und Selbstreferenzialität anerkennen und annehmen, hat das eine radikale Konsequenz für unser Selbstverständnis und unsere Haltung: Wir sollten äußerst demütig sein. Ich gebe zu, »Demut« ist ein gewöhnungsbedürftiges Wort, das zunächst verwirren mag. Deshalb ist es mir umso wichtiger zu erklären, was ich damit meine. Etymologisch geht »Demut« aus dem Althochdeutschen diomuoti hervor, was so viel wie »dienstwillig« oder »mit der Gesinnung eines Dienstwilligen« bedeutet. Damit kommen wir der Rolle des Beraters doch schon näher. Wenn wir diese Haltung mit Matthieu Ricards Aussage8 kombinieren, dass »Demut« nicht heißt, sich geringer als andere zu fühlen, sondern sich von der Anmaßung der eigenen Wichtigkeit zu befreien, dann landen wir bei genau dem richtigen Demutsverständnis für Berater und Coachs. Wir kennen und akzeptieren die Grenzen unserer beraterischen Möglichkeiten, und erst daraus entwickeln sich die wahre Kraft und das wahre Potenzial unserer Arbeit. Genau hier kommt der Dialog ins Spiel.


Die kommunikative Demutshaltung par excellence ist nämlich der Dialog. Im Dialog wird Kommunikation auf Augenhöhe konsequent gelebt, ja sie ist eine notwendige Voraussetzung für sein Gelingen. Der Dialog lässt alles Instrumentelle los und verlangt dafür von den Dialogpartnern, sich auf einen gemeinsamen Prozess einzulassen, der in keiner Weise planbar ist. Man weiß nie, was im nächsten Moment geschehen wird, und nimmt immer genau das an, was tatsächlich geschieht. Wenn wir es wagen, und ich wähle bewusst das Verb »wagen«, uns als Berater in einen Dialog mit unserem Klienten einzulassen, geben wir alle lieb gewonnenen Mittel der Macht und Kontrolle über die Situation aus der Hand. Wenn wir wirklich in einen Dialog eintreten, geben wir prinzipiell die Möglichkeit auf, das Gespräch zu steuern. Ein Dialog steuert sich selbst organisiert, er ist ein System im luhmannschen Sinne – autopoietisch, selbstreferenziell und operational geschlossen. Als soziales System tritt er zwischen die Bewusstseinssysteme der Beteiligten und entwickelt dort ein vitales Eigenleben. Das Zusammenspiel dieser unterschiedlichen Systeme im Coaching lässt sich vielleicht am ehesten als gemeinsame Entwicklung oder koevolutionärer Prozess verstehen. Man kann nicht planen, welche Wirkungen wann in welchem der beteiligten Systeme geschehen. Wenn der Berater seiner Arbeit mit dialogischem Verständnis nachgeht und sich für Wirkungen offenhält, kann es passieren, dass er für sich selbst wertvolle Erkenntnisse aus dem Coaching mitnimmt, vielleicht sogar wertvollere Erkenntnisse als der Coachee.

Andreas H. ist Mitte 30 und ein sehr erfolgreicher Investmentbanker. Er möchte im Coaching eine berufliche Standortbestimmung vornehmen und seinen weiteren Weg gegebenenfalls entsprechend anpassen. Für Liebhaber des Klischees ist er eine dankbare Projektionsfläche: Er ist noch recht jung, von schlanker und sportlicher Statur, sieht blendend aus, hat die mittellangen Haare zurückgekämmt, lächelt meist optimistisch und zeigt die Insignien der Wohlhabenheit in Kleidung und Accessoires, ohne damit zu protzen. Bereits in der ersten Sitzung konnte ich feststellen, dass Andreas H. ein liebenswerter und -würdiger, sehr nachdenklicher und selbstkritischer junger Mann ist, der sich bereitwillig seinen Schatten stellt und seine blinden Flecken ausleuchtet. Soviel zu den Klischees.

Die Gespräche mit ihm waren so anregend, dass ich aus ihnen eher energetisiert als abgearbeitet für mein weiteres Tagewerk herauskam. Jeder Berater kennt diesen Effekt. Es gibt Kunden, die sich positiv, und solche, die sich negativ auf unsere persönliche Energiebilanz auswirken. Zu einem unserer Termine, die stets morgens in meinem Büro stattfanden, kam ich, ich weiß nicht mehr warum, in ziemlich deprimierter Stimmung. Insofern war es gut, nicht einen dieser Energiestaubsaugertermine zu haben. Aber aufgehellt hat sich meine Stimmung auch nicht gerade. Das Gespräch war schon fast vorüber, da geschah etwas, was man eigentlich als beraterische Intervention bezeichnen könnte, wäre es nicht vom Beratenen statt vom Beratenden gekommen. Wir waren mit Fragen des Selbstmanagements und der Tagesgestaltung beschäftigt, als Andreas H. mit dem gewinnendsten Lächeln, das man sich vorstellen kann, sagte: »Ich steh’ jeden Tag auf und freu’ mich auf das, was ich erleben kann.« Das saß! Diese wundervolle positive Selbstaffirmation meines Kunden löste eine Kette von Gedanken und Gefühlen bei mir aus, die mich innerhalb kürzester Zeit raus aus der Deprimiertheit und hinein in einen Zustand der Leichtigkeit versetzte. Ich bin davon überzeugt, dass diese Wirkung in meinem eigenen Bewusstsein, in meiner Psyche nur entstehen konnte, weil ich im Gespräch mit Andreas H. eine dialogische Haltung hatte. So konnte ich zulassen, dass nicht nur mit ihm, sondern auch mit mir etwas geschieht. Hätte ich eine asymmetrische beraterische Distanz aufrechterhalten, wäre dies kaum möglich gewesen. Ist das problematisch oder gar unprofessionell? Ich finde, es ist zunächst nur eine logische Konsequenz aus der oben beschriebenen Systemsicht. Sie führt nun einmal dazu, dass man nicht verhindern kann, auch als Berater von einer Beratung zu profitieren. Damit bekommt der Begriff »Beratung« schon einen etwas veränderten Gehalt, nämlich statt »einer berät den anderen« eher »man berät sich«. Problematisch ist dann allenfalls die Frage, wer wem eine Rechnung stellen darf. Was in dem Gespräch mit Andreas H. geschah, war eine Folge davon, dass ich mich dialogisch auf ihn eingelassen hatte. Und an dieser Stelle kommt auch das Zen ins Spiel.

Bei der Praxis des Zen handelt es sich meines Erachtens genau um dieses dialogische Sicheinlassen. Was den Dialog und das Zen verbindet, ist diese vollkommen untaktische Direktheit. Sicheinlassen im Zen wie im Dialog bedeutet, sich hinzugeben, wie Allen Watts in der folgenden Musikanalogie sehr schön zum Ausdruck bringt:

»Wer die ganz Sinfonie hören will, muss sich konzentrieren auf den Fluss der Töne und Harmonien, wie sie ins Dasein treten und verklingen, und seinen inneren Sinn ständig im selben Rhythmus mitlaufen lassen. Über das Verklungene sich Gedanken machen, neugierig sein auf das Kommende oder die eigenen Empfindungen analysieren heißt: die Sinfonie unterbrechen und sich die Wirklichkeit entgleiten lassen. Die Aufmerksamkeit muss restlos auf die Musik gerichtet und das eigene Ich vergessen werden« (Watts 1986, S. 46).

Hier wird schon deutlich, dass dieses Sicheinlassen im Zen sich keineswegs auf zwischenmenschliche Interaktionen beschränkt. Vielmehr besteht die, wenn man so will, Spiritualität des Zen darin, dieses Sicheinlassen in den profansten Alltagsverrichtungen zu praktizieren. Die Praxis des Zen erstreckt sich auf alles Alltägliche, sie reicht vom Karottenschälen bis zur Meditation und vom Kirschkernweitspucken bis zum Stuhlgang. Welcher Tätigkeit auch immer man gerade nachgeht, man kann dies in einer mechanischen Weise des Erledigens und Abhakens tun oder in der Weise des Zen, die Alan Watts beschreibt, indem er George Herbert zitiert:

»Alles will sich mit Dir erfüllen,

Nichts kann so niedrig sein,

Das, wenn getan um Deinetwillen,

Nicht leuchtend wird und rein.

Ein Knecht, der das erwägt,

Macht göttlich sein Bemühn.

Wer einen Estrich Dir zuliebe fegt,

Adelt damit sein Tun und ihn« (Watts 1986, S. 85).

Durch Zuwendung, Sicheinlassen und Hingabe erzeugen wir eine dialogische Beziehungsqualität der Unmittelbarkeit mit Menschen, aber auch mit Musik, Materialien und Verrichtungen aller Art. Was immer du tust, tu es, indem du die Würde aller beteiligten Wesen und Dinge achtest: Das ist vielleicht die wichtigste Botschaft des Zen. Diese Unmittelbarkeit, diese Direktheit war auch einer der Schlüssel für die überraschende Wendung im Coaching mit Karin E. Was in der angeführten Textstelle von Schopenhauer als »die Idee« bezeichnet wird, ist eigentlich eine aus der dialogischen Beziehungsgestaltung hervorgehende Erkenntnis. Diese Beziehungsgestaltung ist demütig im oben beschriebenen Sinne, sie findet konsequent auf Augenhöhe statt und lässt radikal alles Instrumentelle fallen, denn ihre Qualität ist wichtiger als die Beherrschung und Anwendung professioneller Techniken. Die beraterische Beziehung wird zu einem von Berater und Klient gemeinsam erschaffenen Zwischenraum, in welchem eine beide berührende Begegnung stattfinden kann.

Für das Systemverständnis im Teamcoaching bietet sich eine Analogie zu Schulz von Thuns Konzept des »inneren Teams« (Schulz von Thun 1998) an. So wie bei ihm die verschiedenen Bewusstseinsanteile eines Menschen die Mitglieder des inneren Teams darstellen, bilden in dieser Analogie die Bewusstseinssysteme der Mitglieder z. B. eines Managementgremiums sein inneres Team. Das äußere Team ist das soziale System. Es wird also durch die aneinanderknüpfenden Kommunikationen des Managementteams konstituiert und kann nicht ohne Weiteres auf die Inhalte der Bewusstseinsebenen, also das innere Team, zugreifen. Die Interaktion mit dem Berater sorgt im Team- wie auch im Einzelcoaching letztlich dafür, dass im Wechselspiel zwischen Bewusstseinsebenen und Kommunikation etwas anderes passiert, als es ohne den Berater passieren würde. Und dieser Unterschied wird vom Kunden hoffentlich als nützlich erlebt. Jedoch ist es alles andere als trivial, mit dieser Systemkonstellation produktiv umzugehen. Deshalb ist auch hier Demut des Beraters angezeigt.

Im zweiten Teil möchte ich den Leser auf Tauchgänge in tiefere Gewässer mitnehmen. Welche Aspekte des Zen, der Systemtheorie und des Konstruktivismus spielen für das Coaching eine wichtige Rolle? Wie klingt all dies im dialogischen Raum zusammen? Welche Konsequenzen deuten sich für die Praxis des Coachings und der Beratung an?

4Alle Klientennamen sind zum Zweck der Anonymisierung abgewandelt.

5Eine präzise allgemeingültige Erklärung zu finden dürfte schwerfallen. Bei Theo Fischer heißt es, Wuwei bedeute »Handeln durch Nichteingreifen, durch Geschehenlassen. Es ist die Fähigkeit, das Steuer des Lebens jener Macht zu überlassen, die eine Dimension von uns selbst ist und die Laotse einst das Tao genannt hat« (Fischer 1989, S. 7).

6Der Begriff ist der Titel eines Romans von Joseph Heller (1961, dt. auch Der IKS-Haken), welcher die Absurdität des Krieges aufs Korn nimmt. Er steht sinnbildlich für eine ausweglose, »zwickmühlenähnliche« Situation.

7Orig.: »A coach is someone who tells you what you don’t want to hear, who has you see what you don’t want to see, so you can be who you have always known you could be.«

8Leider weiß ich nicht mehr, woher ich Ricards Aussage habe. Ich hatte sie mir irgendwann aufgeschrieben.

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9783849782467
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