Читать книгу: «Zen in der Kunst des Coachings», страница 2

Шрифт:

1Einführung
Wie peinlich! – Schopenhauer als Retter aus der Not

Karin E.4, Geschäftsführerin einer Kommunikationsberatung, kam schon seit einigen Monaten zu mir ins Coaching. Sie war eine fachlich versierte, erfahrene Frau mit Charme, die ihr Handwerk verstand und ein gutes Auftreten hatte. Ihr Anliegen kreiste rund um die Frage, wie sie sich in der männerdominierten Topmanagementwelt ihrer Kundenunternehmen noch besser behaupten konnte. Allzu oft erfuhr sie trotz aller Wertschätzung für ihre Professionalität eine wenn auch subtile Herablassung durch ihre männlichen Klienten. Dann lief sie Gefahr, in die Rolle des kleinen Mädchens zu verfallen und nur noch in geringem Maße über ihre professionellen Ressourcen zu verfügen. In der Coachingsitzung, über die ich hier berichten möchte, geschah etwas sehr Unangenehmes. Ich hatte einen längeren Konzentrationsabriss. Etwa 20 Minuten, nachdem wir begonnen hatten, konnte ich mich nur noch daran erinnern, dass sie mir diesmal von zwei Ereignissen erzählen wollte, die kurz hintereinander stattgefunden hatten – eines war super gelaufen und das andere ziemlich schlecht. Davon abgesehen, hatte ich keine Erinnerung mehr, außer an den Small Talk zu Beginn der Sitzung. Sie war diesmal sehr aufgekratzt und redete praktisch ohne Punkt und Komma. Und ich hatte seit geraumer Zeit nichts, aber auch gar nichts mitbekommen. Ich hatte keine Ahnung, wie das geschah. Es war weder Langeweile, noch war es Desinteresse meinerseits. Ich war einfach irgendwie weggetreten. Welch eine peinliche Situation!

Mein Bewusstsein wurde von einem wahren Gedankengewitter heimgesucht. Wie sollte ich mich denn nun mit ihrem Anliegen auseinandersetzen? Wie konnte ich inhaltlich wieder den Faden aufnehmen? Sollte ich versuchen, ihr meine Unaufmerksamkeit zu verheimlichen, oder sollte ich sie gestehen und darum bitten, noch einmal von vorne anzufangen? Oder sollte ich meinen Lapsus verarbeiten, indem ich die Frage aufwarf, ob ihr so etwas öfter passiere? Mir war schnell klar, dass ich ihr offen erklären musste, was passiert war. Jedoch – etwas war merkwürdig. Mein Verstand sagte mir zwar, dass ich mich mit meinem Verhalten in eine unmögliche Situation manövriert hatte, aber innerlich fühlte ich mich ganz ruhig und hatte auch nicht das Gefühl, mich falsch verhalten zu haben. Es lag also eine auffällige Diskrepanz zwischen innerer und äußerer Wahrnehmung der Situation vor. Meine verstandesmäßige Einsicht sagte mir, dass mir etwas Unprofessionelles passiert war, und gleichzeitig signalisierte meine Gefühlslage, dass alles okay sei. Etwas in dieser Situation Ungewöhnliches kam hinzu, das meine seelisch-emotionale Ausgeglichenheit unterstützte. Denn trotz aller situativen Desorientierung war ich mir gewiss, einen hilfreichen Rat für meine Klientin zu haben. Diese Gewissheit speiste sich aus zwei Beobachtungen, die ich aus der Phase meiner Unaufmerksamkeit in Erinnerung hatte. Karin E.s Oberkörper sackte gelegentlich fast unmerklich ein wenig ein, um sich dann nach kurzer Zeit wieder kerzengerade aufzurichten. Immer wenn der Oberkörper einsackte, blinzelte sie häufiger mit den Augen, während sich ihre Augenblinzelfrequenz mit dem Aufrichten des Oberkörpers wieder normalisierte. Zunächst war mir nicht klar, warum, aber ich »wusste«, dass in diesem beobachteten Phänomen eine wichtige Botschaft steckte. Außerdem war klar, dass ich die subtilen Unterschiede ihrer Körperkoordination nicht bemerkt hätte, wenn ich, wie es sich gehört, konzentriert ihrer Erzählung zugehört hätte. So entschloss ich mich, Karin E. zu bitten, von ihrem Stuhl aufzustehen, und auch ich stand auf. Daraufhin imitierte ich etwas übertrieben mit meinem Oberkörper und meinen Augen, was ich zuvor bei ihr beobachtet hatte. Sie schaute mich mit großen Augen an und schien sich zu fragen, was das Ganze solle. Bevor mich nun der Mut verließ, forderte ich sie auf, ihrerseits meine Augen- und Oberkörperbewegungen zu imitieren und mir zu erzählen, was sie dabei empfinde.

Diese Intervention schlug ein wie ein Blitz. Mit eingesunkenem Oberkörper fühlte sie sich genau wie in dem kürzlich erlebten Misserfolgserlebnis. Mit aufgerichtetem Oberkörper fühlte sie sich generell besser, und sie meinte, dass diese Haltung gut zu dem kürzlichen Erfolgserlebnis passe. Selbstverständlich ist diese Erkenntnis als solche vollkommen unspektakulär. Jeder einigermaßen erfahrene Coach kennt die Zusammenhänge zwischen Körperkoordination und Gefühlen. Darum ging es aber auch nicht. Der entscheidende Punkt war, dass mir die subtilen Unterschiede in ihrer Oberkörperhaltung und ihrem Blinzeln wahrscheinlich entgangen wären, wenn ich den Worten ihrer lebhaften Erzählung aufmerksam gefolgt wäre. Nur das Abschweifen meiner Aufmerksamkeit, die vermeintliche Unaufmerksamkeit also, ermöglichte diese wichtigen Beobachtungen, die Karin E.s Oberkörper und Augen erzählten.

Heute verstehe ich, dass mein damaliger Konzentrationsabriss kein beraterisches Fehlverhalten darstellte. Ich war in einen anderen Arbeitsmodus »gerutscht«, den man durchaus als Trance beschreiben könnte. Meine Aufmerksamkeit hatte sich von der Fokussierung auf das gesprochene Wort meiner Kundin gelöst, was dazu führte, dass ich ihr vordergründig nicht mehr zuhörte. Aber eigentlich, nämlich hintergründig, hatte ich doch in einem ganz tiefen Sinne gelauscht. In dieser Trance habe ich mich nicht von Karin E. abgewendet, sondern bin in eine dialogisch-kontemplative Versenkung »gefallen«. Diese Versenkung hat sich letztlich als besonders intensive Form der Zuwendung erwiesen. Die Art der Zuwendung hat es mir ermöglicht, viel mehr zu verstehen, als die bloßen Wörter ihrer Erzählung zum Ausdruck bringen konnten. Das eigentlich Relevante konnte ich also auf ganz andere Weise als durch aufmerksames Zuhören und Nachdenken erfassen. All das geschah allerdings nicht absichtlich, sondern im besten Sinne des Wortes absichtslos. Ich wollte nichts, ich verfolgte kein Ziel, ich wendete keine Methode an. Es geschah! Die Lösung kam mir intuitiv in den Sinn. Ihre Tragfähigkeit war weniger rational, sondern eher emotional begründet.

Später musste ich an diese Coachingsession immer mit gemischten Gefühlen denken. Schließlich hatte sich das Ganze auch ein wenig wie ein Zufallstreffer angefühlt, der mir glücklicherweise aus der Patsche geholfen hatte. Gleichzeitig dachte ich, dass der Lösungsweg ziemlich effizient war. Ohne langes Nachdenken, Analysieren und Erörtern zeigte sich eine Lösung, die mir intuitiv als schlüssig erschien. Mein Hin- und Hergerissensein hörte schlagartig auf, als ich nach langer Zeit eines Tages mal wieder Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung in die Hand nahm und auf folgende Textstelle stieß:

»Wenn man, durch die Kraft des Geistes gehoben, die gewöhnliche Betrachtungsart der Dinge fahren lässt […], nicht mehr das Wo, das Wann, das Warum und das Wozu an den Dingen betrachtet; sondern einzig und allein dasW a s ;auch nicht das abstrakte Denken, die Begriffe der Vernunft, das Bewusstsein einnehmen lässt […], die ganze Macht seines Geistes der Anschauung hingibt, sich ganz in diese versenkt und das ganze Bewusstsein ausfüllen lässt durch die ruhige Kontemplation des gerade gegenwärtigen natürlichen Gegenstandes, sei es eine Landschaft, ein Baum, ein Fels, ein Gebäude […], sich gänzlich in diesen Gegenstandv e r l i e r t ,d. h. eben sein Individuum, seinen Willen, vergisst und nur noch als reines Subjekt, als klarer Spiegel des Objekts bestehend bleibt […], man also nicht mehr den Anschauenden von der Anschauung trennen kann, sondern beide eines geworden sind […], wenn also solchermaßen das Objekt aus aller Relation zu etwas außer ihm, das Subjekt aus aller Relation zum Willen getreten ist: Dann ist, was also erkannt wird, nicht mehr das einzelne Ding als solches; sondern es ist dieI d e e ,die ewige Form […]« (Schopenhauer 1977, S. 231 f.; Hervorh. im Orig.).

Diese Worte des kauzigen Philosophen aus dem frühen 19. Jahrhundert trafen mich wie der Stockschlag eines Zen-Meisters. Plötzlich erkannte ich Versenkung oder Kontemplation als methodische Option im Coaching und die zitierte Textstelle als wenngleich nicht profan durchoperationalisierte Instruktion zur Erreichung dieses Zustandes. Der von Schopenhauer verwendete Begriff der »Idee« ließ mich außerdem ahnen, dass neben das Denken und Fühlen eine dritte Quelle der Erkenntnis in Erscheinung treten könnte. Dieser kontemplative Weg verschafft uns Zugang zu etwas Grundlegendem, zu einer Art Idee. Ich fragte mich, ob es neben kognitiver und emotionaler Erkenntnis so etwas wie eine in diesem Sinne »ideelle Erkenntnis« gibt. Mir ist natürlich klar, dass Schopenhauer wenig ferner lag, als Handreichungen für Berater zu verfassen. Der entscheidende Punkt ist für mich auch nicht, ob meine Lesart die korrekte Interpretation dieses Abschnitts aus der Welt als Wille und Vorstellung ist. Da halte ich es mit Paul Valéry, der sinngemäß gesagt hat, dass, wenn ein Text erst mal veröffentlicht sei, man nicht mehr kontrollieren könne, wie er verstanden werde. Das bedeutet praktisch: Jeder kann nur »seinen« Schopenhauer lesen, und wie man ihn oder jeden beliebigen anderen Text liest, hängt von der jeweils eigenen Lebenssituation mit all ihren Facetten ab. Meine Lektüre des Schopenhauer-Textes hat mich jedenfalls das Geschehen im Coaching mit Karin E. besser verstehen lassen. Dieses hilfreiche Verständnis hat sich wiederum intuitiv eingestellt. Die vermeintliche Unaufmerksamkeit während des Coachings hat sich als kontemplative Versenkung erwiesen, die im Grunde eine tiefe dialogische Beziehungsgestaltung ohne Worte war. Aus der hat sich dann eine neue, wenn man so will: ideelle Erkenntnismöglichkeit ergeben.

Irgendwann ist mir aufgegangen, dass diese Coachingerfahrung bei mir auf einen inneren Boden gefallen ist, der durch die langjährige Beschäftigung mit drei großen Themenfeldern bereitet war. Dabei handelt es sich um einen äußerst merkwürdigen Themenmix, nämlich den Zen-Buddhismus, die soziologische Systemtheorie inklusive der konstruktivistischen Erkenntnistheorie sowie den Dialog. Im nächsten Abschnitt möchte ich diese Vorgeschichte im Zeitraffer nacherzählen.

Es begann vor 30 Jahren

Die erste Hälfte der 1990-Jahre war für mich eine Zeit der Entdeckung des Zen-Buddhismus. Erste Jahre der Berufserfahrung nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre hatte ich hinter mir, und ich spürte das Bedürfnis nach neuen geistigen Anregungen. Die Berufspraxis bot mir dafür anscheinend nicht genug Stoff. Warum gerade Zen? Im Grunde war es ein Zufall, der dadurch begünstigt wurde, dass ich ein gewisses Faible für alles Japanische hatte. Woher diese Neigung wiederum kam, entzieht sich meiner bewussten Kenntnis. Jedenfalls stieß ich beim Stöbern in einer Kölner Buchhandlung auf zwei Bücher von Alan Watts. Sie hießen bzw. heißen Der Lauf des Wassers (Watts 1983) und Vom Geist des Zen (Watts 1986). Von Taoismus oder Zen-Buddhismus hatte ich bis zu dem Zeitpunkt nicht die geringste Ahnung. Aber ich erinnere mich noch genau, dass die schlichte Suhrkamp-Aufmachung der beiden Bücher mit ihren einfachen Einbänden, braun und blau, mich beinahe magisch angezogen hatte. Was für ein merkwürdiger Anfang! Diese beiden Schriften von Alan Watts haben mir den ersten, entscheidenden Kick für meine in der Folge immer tiefer gehende Beschäftigung mit dem Zen-Buddhismus gegeben. Ich war fasziniert von der ihm zugrunde liegenden taoistischen Philosophie, die in jeder Hinsicht diametral zu meinem Leben und meinen Werten, zu meinem Bildungsweg und meiner beruflichen Sphäre schien. Und dennoch, so spürte ich damals, hatte sie viel mit meinen Gefühlen, meinem Erleben und meinen Erfahrungen zu tun. Dazu musste ich aber unter die Oberfläche des Alltagslebens schauen. Wenn ich mir die Muße gönnte, dies zu tun, erschloss sich mir nach und nach eine Welt jenseits von Logik, Konsistenz, Kausalitäten, Zielen und Lösungen. Passagen wie »Was ist das, was immer zurückweicht, wenn man es verfolgt? Antwort: du selbst« (Watts 1983, S. 45) verwirrten und faszinierten mich zugleich. Immer noch sehr geprägt von der Rationalität der im Studium erlernten wissenschaftlichen Methode, war das für mich natürlich auch eine Provokation all dessen, was meinem bisherigen Denken lieb und teuer war. Aber es war eine verführerische Provokation, und ich setzte mich ihr mit Freude aus. Also las ich weiter: mehr von Watts, Sheldon B. Kopp, Aitken und vielen anderen. Ich las Lao Tses Tao-Te-King und war fasziniert von seiner Erklärung, dass man ein Gefäß aus Ton formt, aber erst durch das Nichts in seinem Innern dieses Gefäß auch nutzen kann. Das Nichts war also das Eigentliche. Irgendwann fing ich an, mich in der Zen-Meditation zu üben. Hierbei half mir die exzellente Anleitung von Katsui Sekida (1993). Ich widmete mich dieser Praxis mit Disziplin und Regelmäßigkeit, und es dauerte auch nicht sehr lange, bis sich Erfahrungen einstellten, die mir ein Gefühl dafür gaben, was mit Körper, Geist und Seele im meditativen Zustand geschieht. Der gelernte Theologe und Religionsphilosoph Alan Watts war einer derjenigen, die viel dazu beigetragen haben, das Zen für unseren westlichen Verstand zugänglich zu machen. Ein anderer war Karlfried Graf Dürckheim, auf dessen Schriften und Wirken ich später aufmerksam wurde. Ein weiterer war Eugen Herrigel, der den Klassiker Zen in der Kunst des Bogenschießens (Herrigel 1951) verfasst hat. Als Brückenbauer zwischen der östlichen Zen-Kultur und der westlich-christlichen Welt ist auf jeden Fall noch der Zen-Meister und Jesuiten-Pater Hugo Lassalle zu nennen. Nicht zuletzt muss ich einen ganz besonders inspirierenden Lesegenuss erwähnen. Es handelt sich um das genialische Buch Zen and the art of motorcycle maintenance von Robert M. Pirsig (1999). Dieses Buch entfaltet die Zen-Philosophie in der westlichsten aller westlichen Formen, nämlich in einer Roadstory, die ihr Ende am kalifornischen Pazifischen Ozean nimmt.

In der zweiten Hälfte der 1990-Jahre stieß ich auf die Schriften von Paul Watzlawik, die mir eine grundlegend neue Sicht auf das Wesen der Kommunikation eröffneten, eine Sicht, die seinerzeit noch nicht zum Allgemeingut gehörte. Besonders hatten es mir Lösungen (Watzlawik et al. 1974) und Wie wirklich ist die Wirklichkeit? (Watzlawik 1976) angetan. Watzlawiks Spannungsbogen reichen vom taoistischen Begriff des »Wuwei«5 bis zu spieltheoretischen und militärstrategischen Fragen, und so ganz nebenbei erläutert er auf unterhaltsamste Weise das Phänomen des »Catch-22«6. Die Beschäftigung mit moderner Kommunikationstheorie veranlasste mich, eine Weiterbildung bei Fritz B. Simon am Heidelberger Institut für Systemische Forschung zu besuchen. Sein Buch Meine Psychose, mein Fahrrad und ich (Simon 1990) war in der Kombination aus Tiefsinn, Fundiertheit und Unterhaltung ein weiterer Motivator für mich. Die kommunikationstheoretische Weltsicht à la Watzlawik hat das Genre der prozessorientierten Beratung maßgeblich mit beeinflusst, und sie ist einer der prägenden Faktoren für die sogenannte systemische Beratung. Das waren in meiner persönlichen Entwicklung an sich schon hochinteressante und vielfältige Welten, in denen es viel zu entdecken gab. Mein Doktorvater Rudi Wimmer gab mir jedoch den entscheidenden Impuls, mich mit einer noch viel weiterführenderen und letztlich radikalen Theoriewelt auseinanderzusetzen, nämlich mit der Systemtheorie des Soziologen Niklas Luhmann. Seine Theorie sozialer Systeme (Luhmann 1984) und die daraus entwickelte Organisationstheorie (Luhmann 2000) sind nicht gerade leichte Kost, aber wenn man sich einmal die Mühe gemacht hat, tief in sie einzutauchen, kann es einem gelingen, wahre Perlen zurück an Land zu bringen. Luhmanns Theorie ermöglicht Erklärungen, wo Psychologie und klassisch-betriebswirtschaftliche Organisationslehre für die Sphäre von Management und Organisation mit ihrem Latein am Ende zu sein scheinen. Dies gilt insbesondere für die beharrenden Kräfte einer Organisation im Wandel oder auch für scheinbar irrationale Managerentscheidungen. Die mit der luhmannschen Systemtheorie eng zusammenhängende konstruktivistische Erkenntnistheorie half mir, die soziologische Sicht auf Management und Organisation mit der modernen Kommunikationspsychologie zu einem in sich recht stimmigen und für meine Beratungsarbeit erklärungsstarken Komplex zu verweben. Mit großem Genuss habe ich Schriften und Vorträge des österreichischen Physikers Heinz von Foerster gelesen, der von sich sagte, kein Konstruktivist zu sein, aber zweifellos maßgeblich zur Verbreitung des konstruktivistischen Denkens beigetragen hat. Grundlegend und systematisch hat mich jedoch Ernst von Glasersfelds radikaler Konstruktivismus in puncto Erkenntnistheorie geprägt (von Glasersfeld 1996).

Anfang der 2000er-Jahre fügte sich dann die letzte Komponente zu den geistigen Strömungen, die in das vorliegende Buch münden. Dabei handelt es sich um das in vielerlei Weise inspirierende Leseerlebnis von Martin Bubers Das dialogische Prinzip (Buber 1999). Dieses Werk, eigentlich eine Sammlung von Schriften, die zwischen den 20er- und 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden sind, hat mein Denken und Handeln, aber auch mein Empfinden, als Mensch in dieser Welt zu sein, tiefgreifend beeinflusst. Für mich ist Das dialogische Prinzip eine existenzphilosophische Schrift, die harmonisch und in einem inneren Zusammenhang mit den anderen Denkrichtungen schwingt, die für Zen in der Kunst des Coachings eine wichtige Rolle spielen, also mit dem Zen sowie mit der Systemtheorie und dem Konstruktivismus. Aus diesem gemeinsamen Schwingen ergeben sich für mich erhebliche Konsequenzen für das Coaching und für das Beraten ganz allgemein. Diesem gemeinsamen Schwingen und seinen Auswirkungen werde ich in diesem Buch nachgehen.

Bevor es richtig losgeht, möchte ich aber noch einige Bemerkungen zum Coaching und zu den tieferen Zusammenhängen zwischen den erwähnten Denkrichtungen, Geistestraditionen und Theorien machen.

Coaching macht (nicht immer) Spaß

Zunächst einmal muss ich Folgendes aus tiefster Überzeugung festhalten. Nach meiner Erfahrung ist das Einzelcoaching die wundervollste Arbeitsform für alle, die sich berufen fühlen, Berater zu sein und schnell die Wirksamkeit des eigenen Beitrags spüren wollen. In diesem Setting kann man sich zu 100 % auf die Bedarfe des Klienten konzentrieren, die Auseinandersetzung zwischen Coach und Coachee ist häufig außerordentlich intensiv und spannend, es gibt keine Langeweile, weil immer Themen im Gespräch sind, bei denen der Klient voll dabei ist und, last, but not least: Wer an Menschen interessiert ist und ihnen gerne helfen möchte, wird sich immer wieder über besondere zwischenmenschliche Begegnungen freuen und auch die Dankbarkeit seiner Klienten genießen können. Das bedeutet aber nicht, dass Coaching Sessions stets harmonische Wohlgefühle erzeugen. Ganz im Gegenteil! Der langjährige Coach des Dallas Cowboys Football Teams, Tom Landry, hat mit seinem Coachingverständnis den Nagel definitorisch auf den Kopf getroffen:

»Ein Coach sagt einem Dinge, die man nicht hören möchte, und er führt einem vor Augen, was man nicht sehen möchte, sodass man zu dem werden kann, den man schon immer in sich erahnt hatte« (Schmidt et al. 2019, p. 86; Übers: M. R.).7

Landry betont das Unbequeme und Fordernde am Coaching. Obwohl er ein Footballcoach war, ist seine Aussage meines Erachtens eins zu eins auf das Executive Coaching übertragbar. Wir müssen immer wieder unsere Klienten aus ihrer Komfortzone locken, damit sie sich im geschützten Raum erfahren, erleben und entwickeln können.

Man kann Coaching aber auch sehr viel nüchterner definieren als

»vertrauliche, prozessorientierte Beratung psychisch stabiler Menschen […], die unter Anwendung von Modellen und Interventionen psychotherapeutischer Herkunft in einem bestimmten Lebenskontext durch eine externe Person stattfindet« (Drath 2012, S. 16).

Diese Definition impliziert eine Grenzziehung zwischen Coaching und Therapie anhand der psychischen Stabilität, die den (Coaching-)Klienten auszeichnet und davor bewahrt, zum (Psychotherapie-)Patienten zu werden. Ob die Differenz zwischen »psychisch stabil« und »psychisch instabil« wirklich dazu taugt, den durchschnittlichen Managercoachee vom durchschnittlichen Therapiebedürftigen zu unterscheiden, lasse ich einmal dahingestellt sein. Zumindest spricht viel dafür, dass die Grenzen eher fließend sind. Wahrscheinlich ist gerade das der Grund, warum so viele Konzepte, Modelle und Vorgehensweisen aus dem therapeutischen Feld erfolgreich Eingang in die Praxis des Coachings gefunden haben. Wichtig in dieser Definition ist jedoch der Hinweis auf den prozessorientierten Charakter des Coachings. Für die Qualität des Beraters und seiner Beratung ist es eine notwendige Voraussetzung, dies zu akzeptieren und als grundlegendes Element seines Selbstverständnisses zu integrieren: In jeder Sitzung begibt man sich auf eine Reise mit ungewissem Ausgang. Das Bedeutsame zeigt sich von Moment zu Moment, und die Aufmerksamkeit des Coachs muss sich für das plötzlich aufscheinende Unerwartete, ja sogar das Unerwartbare bereithalten.

Einer der Wegbereiter und Berater der ersten Stunde in der deutschsprachigen Coachingszene, Wolfgang Looss, stellt in den Mittelpunkt seiner Definition, dass Coaching eine »personenbezogene Einzelberatung von Menschen in der Arbeitswelt« (Looss 1997, S. 13) ist. Mir gefällt diese glasklare Sicht sehr gut, steht sie doch einem verwässernden Trend unseres Metiers entgegen, der zahllose Derivate zweifelhaften Werts hervorgebracht hat: »Life-Coaching«, »Frauen-Coaching«, »Konflikt-Coaching«, »Projekt-Coaching«, »Weisheits-Coaching«, »Selbst-Coaching«, »Tele-Coaching«, »Medien-Coaching«, »Werte-Coaching«. Diese Explosion an Coachingformen, laut Looss »Bindestrich-Coachings« (ebd.), ist sicher dem Umstand geschuldet, dass auch in unserer Profession der eine oder andere Geschäftemacher unterwegs ist.

Bei aller Sympathie für die loosssche Definition möchte ich den Coachingbegriff aber doch ein wenig erweitern. Im Sport gibt es Coachs sowohl für einzelne Sportler, seien sie Individual- oder Mannschaftssportler, als auch für Mannschaften. In ganz unterschiedlichen Branchen, Organisationstypen und -formen habe ich seit den frühen 2000-Jahren die Erfahrung gemacht, dass man sich den Teams, insbesondere den Managementteams, widmen muss, um das Leistungspotenzial der jeweiligen Organisation zu erschließen. Ein wirklich gut funktionierendes Managementteam zählt zu den wichtigsten kritischen Erfolgsfaktoren jeder Organisation. Ein solches Team zu coachen zählt zu den vornehmsten Aufgaben in der Beratung. Gleichzeitig sieht es so aus, als würden hier bei den meisten Firmen riesige blinde Flecken angesiedelt sein. Die Analogie zu den Mannschaftssportarten mag abgegriffen sein – aber sie trifft tatsächlich mehr denn je zu. Starke Teams dienen als interner Prozessor für zunehmend komplexe Herausforderungen, auf die Unternehmen antwortfähig sein müssen. Im Teamcoaching kann es um innere Angelegenheiten des Teams (Dynamik, Kommunikation und Zusammenarbeit, Konfliktbearbeitung etc.) ebenso wie um Fragen gehen, die sich mit der Gestaltung der Teamumwelt befassen (Wie führen wir das Unternehmen? Welche Strategie schlagen wir ein? Welches Dienstleistungsportefeuille wollen wir anbieten? Wie wirken wir auf andere? …).

Im Coaching, ob als Einzel- oder als Teamberatung, entsteht ein sozialer Raum zwischen den beteiligten Personen. Schauen wir uns nun einmal etwas genauer an, wie dieser Raum, dieses System eigentlich zustande kommt.

2 776,80 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
300 стр. 17 иллюстраций
ISBN:
9783849782467
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают