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Die Neuerung, die besten Stücke eines Opfertiers für den menschlichen Verzehr zurückzubehalten, war, zumindest in der griechischen Mythologie, hart erkämpft, und die Figur, der dies zu verdanken war, musste einen hohen Preis dafür bezahlen. Normalerweise wird die Prometheus-Sage als eine Geschichte über die Hybris der Menschen, die die Götter herausforderten, ausgelegt, und der Diebstahl des Feuers steht dabei für die Anmaßung göttlicher Privilegien – ein Diebstahl mit Konsequenzen, aber dennoch ein Segen für die Zivilisation. Diese Interpretation hat sicher ihre Richtigkeit, in der frühen Version von Hesiod wird die Geschichte aber ein wenig anders erzählt: Dort geht es nicht nur um den Diebstahl des Feuers, sondern auch um den Diebstahl von Fleisch.

In Hesiods Theogonie erregt Prometheus den Zorn des Zeus erstmals, als er ihn beim rituellen Opfer eines Ochsen in Mekone betrügt. Prometheus versteckt die besten Fleischstücke im hässlichen Ochsenmagen und hüllt die Knochen in eine verführerische Schicht Fett. Dann lässt er Zeus seinen Teil des Opfers wählen. Getäuscht durch das »glänzende Fett«, entscheidet sich der Herrscher des Olymp für die Knochen und überlässt die schmackhaften Rindfleischstücke den Sterblichen. Dieses Ereignis setzte bei Tieropferritualen neue Standards. Von nun an behielten die Menschen die besten Stücke für sich und verbrannten Knochen und Fett für die Götter. Eine Sitte, die in der Odyssee, die Fielding »Homers wunderbares Buch über das Essen« nannte, mehrfach beschrieben wird.

Außer sich vor Wut übt Zeus Rache, indem er den Menschen das Feuer nimmt und es ihnen so schwerer, wenn nicht gar unmöglich macht, Fleisch zu genießen. Ohne Feuer zum Kochen waren die Menschen fortan nicht besser als Tiere, die das Fleisch ebenfalls roh fressen mussten.2 Dann stiehlt Prometheus das Feuer jedoch zurück, indem er die Flammen im Mark des Stängels eines Riesenfenchels verbirgt. Zur Vergeltung kettet Zeus ihn auf ewig an einen Felsen, wo seine rohe Leber immer wieder aufs Neue von einem Adler verspeist wird. Den Sterblichen schickt Zeus zur Strafe eine Welt voll Leid durch seine Botin Pandora, der ersten Frau.

Hesiods Prometheus-Sage kann als Mythos über die Ursprünge des Kochens gelesen werden. Es wird berichtet, wie sich, dank des mutigen Prometheus, der das Fleisch der Opfertiere zugunsten der Menschen neu aufteilt, das rituelle Tieropfer zu einer Art Festmahl wandelt. Bei der Schilderung, wie wir Menschen uns durch den Besitz des Feuers vom Tier abgrenzten, geht es aber auch um menschliche Identität. Dieses Feuer, das uns über die Tiere erhebt, ist bei Hesiod ausdrücklich ein Kochfeuer. Das zuvor streng geregelte religiöse Ritual des Brandopfers, bei dem den Göttern als Zeichen der Verehrung ein ganzes Tier dargebracht wurde, ist zu einem völlig neuen Ritual geworden: zu einem Brauch, bei dem die Menschen zu einem köstlichen gemeinsamen Mahl zusammenkommen.

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Der Gastraum des Skylight Inn hat alles andere als eine zeremonielle Anmutung: grelles Neonlicht, wahllos verstreute Resopaltische in Holzoptik, an den Wänden die Porträts der Restaurantgründer und vergilbte Zeitungsberichte. Über dem Tresen hängt eine Tafel, auf der altmodische Plastikbuchstaben die angebotenen Gerichte anzeigen, und in einem Glaskasten neben der Tür wird stolz der James Beard Award von 2003 präsentiert.

Ein Einrichtungsgegenstand hat aber doch etwas Zeremonielles: Direkt hinter dem Tresen steht ein riesiger Hauklotz, eine Art Barbecue-Altar. Hier waltet während der Essenszeiten einer der Jones-Männer oder ein auserwählter Untergebener seines Amtes und zerstückelt vor den Augen der versammelten Gäste mit schweren Hackbeilen ganze Schweine. Dieser Ahornholzblock ist gut fünfzehn Zentimeter dick, allerdings nur noch am Rand. Es wurde schon so viel Schweinefleisch auf ihm zerhackt, dass er sich in der Mitte auf drei oder vier Zentimeter abgenutzt hat.

»Ungefähr ein Mal im Jahr drehen wir ihn um, und wenn die Seite dann auch durch ist, müssen wir einen neuen kaufen«, erklärte mir Samuel mit einem Glitzern in den Augen, das ich inzwischen als Vorzeichen eines neuen, kernigen Barbecue-Spruchs erkannte. »Manche unserer Gäste schauen sich den Hauklotz an und meinen, hey, da muss ja jede Menge Holz in eurem Fleisch sein. Und wir sagen dann, na klar, aber unser Holz schmeckt immer noch besser als die meisten Barbecues von andern!«

Im Skylight Inn hört man im Hintergrund unaufhörlich das eintönige tock-tock-tock der Hackbeile auf dem Hauklotz. »An diesem Geräusch erkennt man ein frisch zubereitetes Barbecue«, meint Onkel Jeff. Die knapp gehaltene Speisekarte hängt direkt über dem Kopf des Fleischhackers: Barbecue-Sandwich (2,75$); Barbecue in der Box (klein, mittel oder groß, zwischen 4,50$ und 5,50$) oder ein Pfund Barbecue (9,50$). Am unteren Rand verspricht das Schild: »Jedes Gericht wird mit Krautsalat und Maisbrot serviert.« Ein paar Softdrinks gibt es, und das war’s. Das Einzige, was sich auf dieser Karte seit 1947 geändert hat, sind die Preise, und selbst die sind nur leicht gestiegen. Überdies kostet ein Barbecue-Sandwich im Skylight Inn weniger als ein Big Mac – 2,99$ – bei McDonald’s in Ayden: einer der wenigen Fälle, in denen Slow Food mal die Preise von Fast Food schlägt. Samuel gab den nächsten Skylight-Inn-Spruch zum Besten: »Hier gibt’s Barbecue, Krautsalat und Maisbrot. Sonst nichts. Wer hierher kommt, muss sich nicht entscheiden, was er will, nur, wie viel er will.«

Ich stellte mich an den Tresen, um meine Bestellung, ein Barbecue-Sandwich und einen Eistee, loszuwerden, und schaute Jeff dabei zu, wie er das Fleisch klein hackte und würzte. Die Würze bestand aus Salz, Paprikapulver, einem großzügigen Schuss Apfelessig und ein paar Spritzern Texas Pete, einer scharfen roten Soße, die, obwohl ihr Name etwas anderes vermuten lässt, in North Carolina hergestellt wird. Vermutlich ist »Texas« ein besserer Indikator für »scharf« und »unverfälscht«. In jeder Hand ein Hackbeil schwingend, haute Jeff grobe Stücke aus unterschiedlichen Partien des Schweins, und genau das macht die Besonderheit dieser Form von Barbecue aus.

»Schau her, hier ist der Schinken, der ist mager, kann aber auch ein bisschen trocken sein, dann die Schulter, die ist fetter, aber zart und weich, und dann gibt es noch das Bauchstück, das ist sicher der saftigste Brocken. Und zwischendrin natürlich immer wieder ein paar nette Stückchen ›Rinde‹.« Darunter versteht der Barbecue-Experte die angesengte äußerste Fleischschicht. »Und dann noch die Schwarte, die verleiht dem Barbecue den knusprig salzigen Geschmack. Das alles wird zusammen zerhackt, nicht zu fein, Würze drauf, und dann wird das Ganze gut durchgemischt. Fertig. Ein echtes Barbecue aus einem ganzen Schwein.«

Onkel Jeff bestand darauf, dass ich mir auch eine Portion ungewürztes Barbecue nahm. Ich sollte selbst sehen, dass Qualität und Geschmack der Gerichte im Skylight Inn in keinster Weise einer Soße geschuldet sind. Bei dem Wort »Soße« rümpfte er mit einem abfälligen Schnauben die Nase. Für Onkel Jeff waren Barbecue-Soßen bestenfalls eine armselige kulinarische Krücke und schlimmstenfalls moralisches Versagen.

Das ungewürzte Barbecue probierte ich zuerst, und es war eine Offenbarung: saftig, erdig, mit einer dezenten, aber unverkennbaren Rauchnote. Das Fleisch hatte ein sehr viel feineres Aroma, als der Ort seiner Herkunft, das qualmende Inferno aus Eichenholz und Schwein im Hinterhof, hätte vermuten lassen. Die unterschiedliche Konsistenz von Schinken, Schulter, Bauch und »Rinde« war ausgesprochen interessant, was das Gericht jedoch wirklich außergewöhnlich machte, waren die in der Mischung enthaltenen mikroskopisch kleinen Krustenstückchen: kompakte, krosse, geschmacklich vollkommene Krümel aus Salz, Fett und Holzrauch. Gebratener Speck vermittelt einem eine Idee davon, aber wirklich auch nur eine Idee. Plötzlich begriff ich tief in meinem Innersten, was im jungen Bo-bo vorgegangen sein musste, als er diesen unwiderstehlichen Geschmack auf der Zunge hatte: Schweinekruste kann tatsächlich ein Leben verändern.

Das Sandwich mit dem gewürzten Barbecue schmeckte mir aber noch besser. Die Säure des Apfelessigs bildete einerseits den perfekten Kontrast zum süßlichen Geschmack des Fetts, mit dem das Fleisch reichlich gesättigt war, und glich andererseits die Schwere der Rauchnote aus. Gemeinsam polierten und werteten Essig und Paprikapulver dieses Gericht, das ansonsten vielleicht ein wenig zu derb gewesen wäre, deutlich auf.

Das war also ein Barbecue! Mir war sofort klar, dass ich nie zuvor in den Genuss eines echten gekommen war. Ich war bekehrt. Das hier war eines der saftigsten und leckersten Fleischgerichte, die ich je gegessen hatte, und noch nie war die Investition von zwei Dollar fünfundsiebzig in ein Sandwich lohnender gewesen. Barbecue: Schon beim ersten Bissen wurde mir schmerzhaft bewusst, dass ich als Nordstaatler dieses Wort mehr als ein halbes Leben lang immer wieder missbraucht hatte. Ich war ein Hinterhofbrutzler, der Steaks und Rippchen auf zu heißem Feuer – auf Flammen! – in Kohle verwandelte und dazu auch noch unter einer bedauernswerten Abhängigkeit von Grillsoßen litt. Noch bevor ich mein Sandwich aufgegessen hatte, wollte ich herausfinden, wie man ein solches Barbecue hinbekommt. Ich wollte die Ehre dieses noblen Wortes wiederherstellen, und zwar bei mir zu Hause.

Dieses Sandwich war unwahrscheinlich vielschichtig. Was nicht nur an den unterschiedlichen Fleischteilen lag, die jeden Bissen so interessant machten, sondern auch an all dem Holz, der Zeit und den alten Traditionen, die darin steckten. Im Osten North Carolinas wurden Barbecues seit Generationen genau so zubereitet, und da ich meine Barbecue-Lektüre aufmerksam gelesen hatte, wusste ich dieses Sandwich, das die Vergangenheit und Gegenwart dieses Restaurants perfekt verkörperte, sehr zu schätzen. Sofern man bei einem Sandwich überhaupt von »Terroir« sprechen kann, von diesem besonderen Etwas, das Wein und Käse in der Überzeugung der Franzosen durch ihre Herkunft aus einem bestimmten Landstrich erhalten, dann bei diesem. Man schmeckte seine Herkunft und Tradition.

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Seit die Europäer zum ersten Mal den Fuß in diesen Teil des Landes gesetzt hatten, ist das Schwein der wichtigste Fleischlieferant. »Fleisch« und »Schwein« sind für die Geschichte der Südstaaten fast zu Synonymen geworden. Die ersten Schweine brachte der spanische Eroberer Hernando De Soto im 16. Jahrhundert in den Süden Nordamerikas, danach streiften die Nachfahren dieser dreizehn Tiere jahrhundertelang frei durch die Eichen- und Hickorywälder der Carolinas und fraßen sich an der üppigen Mast statt. Die Aromen der östlichen Hartholzwälder gelangten also auf zweierlei Weise ins Fleisch der Schweine, zumindest bevor man diese auf Farmen verbannte: in Form von Eicheln und Hickory-Nüssen und über den Rauch der Holzfeuer. Rechnet man das Holz der Hauklötze auch noch dazu, eigentlich sogar auf dreierlei Weise. Diese verwilderten Schweine wurden nach Bedarf gejagt oder im Herbst von Cowboys, oder besser »Pigboys«, zusammengetrieben. Schweine gab es damals im Überfluss, sodass selbst die Sklaven hin und wieder eines davon verspeisen durften. Jedes einzelne Tier gab so viel Fleisch, dass das »Braten eines Schweins« in den Südstaaten schon immer mit einem besonderen Anlass verbunden war, mit einem Festmahl, das die Menschen zusammenbrachte.

Die Sitte, ein ganzes Schwein auf einem Holzfeuer zu grillen, war mit den Sklaven in die Südstaaten gelangt. Viele von ihnen kamen über die Karibik hierher, wo sie die Eingeborenen dabei beobachtet hatten, wie sie ganze Tiere aufschlitzten und auf grünen Zweigen liegend in einem Erdofen grillten. Die Sklaven brachten von den Inseln aber nicht nur die Zubereitungsmethode mit – die die Karibikbewohner übrigens barbacoa nannten, zumindest klang es für afrikanische und europäische Ohren so –, sondern auch die Samen der roten Chilipflanze, die später zu einem zentralen Barbecue-Gewürz wurde.

In den Carolinas gehörte das Grillen eines Schweins schon immer zu den festen Ritualen der Tabakernte, zu der für ein paar entscheidende Wochen im Herbst die gesamte Gemeinde antrat. Nachdem die Männer den Tabak geerntet und in die Trockenschuppen gebracht hatten, wurden die großen Blätter von den Frauen sortiert und dann an Stangen befestigt, die man in spezielle Rahmen hängte. Danach wurde ein Eichenholzfeuer entzündet, um die Blätter über Nacht langsam zu trocknen. Es entwickelte sich zu einer herbstlichen Tradition, die heißen Kohlen dieser Feuer in eine Grube zu schaufeln und ein Schwein in diesem Erdofen zu grillen. Damit feierte man das Ende der Ernte und bedankte sich bei den Arbeitern für ihre Mühen. Der bedächtige Rhythmus des Aufhängens und Trocknens der Tabakblätter stand in perfektem Einklang mit dem langsamen Braten des Schweins über der Holzkohle. In North Carolina habe ich einige schwarze Grillmeister getroffen, in deren Kindheitserinnerungen das Einbringen der Tabakernte im Herbst fest mit einem Barbecue verwoben war. Dies war einer der seltenen Anlässe, bei dem Schwarze und Weiße Seite an Seite arbeiteten und feierten.

Obwohl das Barbecue in erster Linie ein afroamerikanischer Beitrag zur amerikanischen Kultur ist, wurde es auch von weißen Südstaatlern stets hoch geschätzt. Die meisten Weißen geben bereitwillig zu, dass die besten Grillmeister schon immer Schwarze waren. Bis vor beschämend kurzer Zeit nannte man sie sogar noch »pit boys«. Die Arbeitsteilung im Skylight Inn – weiße Besitzer, schwarzer Grillmeister im Hinterhof – ist da keine Ausnahme. Geht es um ein »gutes Barbecue«, sind sich Schwarz und Weiß in den Südstaaten jedoch seit jeher einig. Die ausgewogene Mischung der Gäste im Skylight Inn ist der beste Beweis dafür. Selbst in dunkelsten Zeiten der Rassentrennung waren Weiße und Schwarze Stammkunden derselben Grillrestaurants, auch wenn sie vor der Durchsetzung des Civil Rights Acts 1964 ihr Barbecue nicht im selben Raum essen durften. War der beste Barbecue-Imbiss im Besitz von Schwarzen, stellten sich die Weißen im Freien an und wurden durch ein Fenster auf die Straße bedient, war der Laden weiß, standen die Schwarzen draußen Schlange. Laut John Shelton Reed und Dale Voldberg Reed, den wichtigsten Barbecue-Historikern North Carolinas, sind Grillrestaurants heutzutage »deutlich integrativer als die meisten Gotteshäuser«.

Hier wird einem einfachen Essen freilich ein extrem hoher kultureller Stellenwert beigemessen, aber in diesem Gericht ist einfach alles vereint: das geliebte Schweinefleisch, die rauchigen Spuren der heimischen Wälder, der behäbige Rhythmus des arbeitsamen Südstaatenlebens und ein rassenübergreifendes Einvernehmen. All das, und wahrscheinlich noch vieles mehr, das ich nicht kannte, würzte dieses köstlichste und demokratischste aller Sandwiches, ein Sandwich, das sich einfach jeder leisten konnte.

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Und dennoch muss erwähnt werden, dass auch hier im Skylight Inn nicht alles eitel Sonnenschein war. Der schneeweiße, fein geschnittene Krautsalat war zuckersüß, genau wie der Tee, und das Maisbrot beeindruckend schwer und fettgetränkt, aber durchaus lecker. Dennoch wurde diese köstliche Mahlzeit von etwas überschattet, das mir erst wieder mit Nachdruck klar wurde, als ich mich an Jeff Jones’ Geschichte über das in diesem Maisbrot enthaltene Schweineschmalz erinnerte. Die stolzen Bemühungen der Familie Jones, sich gegen den Strom der Moderne zu behaupten, waren in einem wesentlichen Punkt gescheitert. Denn seit 1947 hatte sich sehr wohl etwas verändert, und selbst wenn es nicht ganz so offensichtlich war, übersehen konnte man es nicht.

In der Grillhütte hatte Jeff erwähnt, früher habe er unter die auf dem Grill brutzelnden Schweine eine Schale gestellt, in der sich bis zum Morgen genügend Schmalz für das Maisbrot gesammelt hatte. Das war vorbei. Heutzutage hätten Schweine nur noch so wenig Fett, dass das Restaurant das Schmalz fürs Maisbrot zukaufen muss. Laut Jeff lag das daran, dass in den letzten Jahren mithilfe von Gentechnik, modernen Futtermitteln und Pharmazeutika das Schwein zu einem deutlich magereren und schneller wachsenden Tier umgezüchtet wurde, das inzwischen schon wenige Monate vor Ablauf des ersten Lebensjahrs schlachtreif ist. Jeff mochte die modernen Schweine nicht besonders – sie seien nicht annähernd so aromatisch wie die Schweine in seiner Kindheit –, meinte aber, das ließe sich wohl nicht mehr zurückdrehen.

»Schweine verbringen heutzutage ihr ganzes Leben in Ställen. Sie stehen auf Betonböden und fressen nur, was man ihnen füttert. Kein Wunder, dass sie nicht mehr so schmecken wie früher«, mischte sich Samuel ein. »Außerdem werden sie mit Steroiden vollgepumpt.« Das sind Hormone, die die Farmer für ein schnelleres Wachstum der Schweine einsetzen.

Die Jones-Männer waren offensichtlich genauestens im Bilde über die grausame Effizienz der industriellen Schweinezucht, wenn man hier in der Küstenebene North Carolinas lebte, ließ sich dieses Thema allerdings kaum ignorieren. In den Zuchtbetrieben, die rund um Ayden wie Pilze aus dem Boden geschossen waren, fristeten Abertausende von Schweinen ihr kurzes Leben zusammengepfercht in vergitterten Stahlverschlägen, die über Jauchegruben mit ihren Exkrementen hingen. Dabei sind diese Tiere genauso sensibel und intelligent wie Hunde. Damit man sie leichter besamen kann, stehen Zuchtsäue ihr Leben lang in Metallboxen, die so eng sind, dass sie sich darin nicht einmal umdrehen können. Zudem ist es gängige Praxis, den Ferkeln den Schwanz »zu stutzen« – er wird mit einer Zange abgezwickt –, um einen hochempfindlichen Stummel zu bekommen, sodass die mutlosen Geschöpfe sofort protestierend aufquieken, wenn ihre vom Stress verrückt gewordenen Mithäftlinge versuchen, sie aufzufressen. Nicht weit von Ayden hatte ich einem solchen Betrieb einmal einen Besuch abgestattet, und diesen Ort werde ich so schnell nicht wieder vergessen: eine Hölle für Schweine, deren Gestank und gellende Schreie mir lebhaft in Erinnerung geblieben sind.

Wahrscheinlich war es der Familie Jones und all den so liebevoll bewahrten Werten vergangener Zeiten zu verdanken, dass ich diese Bilder und Gedanken lange genug verdrängen konnte, um mein Sandwich zu genießen. Der moderne Mensch ist sehr gut darin, Dinge zu trennen und sich abzuschotten, vor allem, wenn er hungrig ist. Aber eine Frage, die ich ignorieren wollte, seit ich erfahren hatte, dass das Skylight Inn handelsübliches Schweinefleisch servierte, musste nun doch gestellt werden: Wie authentisch kann ein »echtes Barbecue« sein, wenn das Objekt der hingebungsvollen Zubereitung heute ein genetisch verändertes und gequältes Tier ist – ein Geschöpf der modernen Wissenschaft, der Industrialisierung und des menschlichen Profitstrebens? War der im Skylight Inn verehrte Fetisch der Tradition – die Holzfeuer, die die ganze Nacht hindurch brannten, die so gewissenhaft unter dem Grill platzierten glimmenden Kohlen und Grillmeister wie aus alten Zeiten, die sich um die Schweine kümmerten – zum Deckmantel für etwas ganz anderes geworden, nämlich für die moralische und ästhetische Entsprechung einer Barbecue-Soße?

Die Familie Jones glaubte, gegen die moderne Schweinezucht könne nicht viel unternommen werden, und diese Auffassung teilt sie mit den meisten anderen Barbecue-Restaurantbesitzern. »Handelsübliches Schweinefleisch« ist beim Barbecue in den Südstaaten heute die Regel, und Menschen, die wie Jeff Jones alt genug sind, um sich an besseres Fleisch zu erinnern, sind selten geworden. Natürlich gibt es auch in North Carolina eine Handvoll Farmer, die ihre Schweine wie früher im Freien halten und Fleisch produzieren, das, wie ich noch feststellen sollte, in jeglicher Hinsicht besser war als das handelsübliche, die Schmalzausbeute inbegriffen. Aber ein Lokal kann sich dieses Schweinefleisch unmöglich leisten und dennoch nur zwei Dollar fünfundsiebzig für ein Barbecue-Sandwich verlangen. Dieses demokratischste aller Sandwiches wird heute nur noch durch die grausamste aller landwirtschaftlichen Produktionsweisen möglich gemacht.

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Aber ich befürchte, mit genügend Rauch, Zeit und ein bisschen Barbecue-Soße lässt sich jedes Schweinefleisch wieder reinwaschen. Dieses Sandwich schmeckte jedenfalls verdammt gut. Man kann das Kochen, insbesondere die Zubereitung von Fleisch, auch als einen psychologischen und chemischen Umwandlungsprozess betrachten, der zumindest den meisten von uns dabei hilft, etwas zu genießen, das wir zuvor nicht hätten verdauen können, sei es nun im wörtlichen oder im übertragenen Sinn. Das Kochen schafft einen Abstand zwischen den brutalen Fakten (»totes Tier zum Abendessen«) und dem mit weißem Leinen und poliertem Tafelsilber gedeckten Tisch. Das Fleisch aus Zuchtbetrieben ist hierbei nur ein extremes Beispiel für etwas ganz Alltägliches, das noch nie sonderlich appetitlich war. Ralph Waldo Emerson schrieb: »Sie haben soeben zu Mittag gegessen, und wie sorgfältig auch immer das Schlachthaus in einer taktvollen Entfernung von einigen oder vielen Kilometern verborgen sein mag: Sie sind mitschuldig.«

Das Problem ist nicht neu, und wir würden uns etwas vormachen zu glauben, wir wären die Ersten, die moralische oder ethische Skrupel hätten, wenn sie Tiere töten, um sie zu essen. Der alte und weitverbreitete Brauch ritueller Tieropfer legt nahe, dass die Menschheit seit sehr, sehr langer Zeit von diesen Skrupeln befallen wurde. Griechische Priester etwa spritzten dem Opfertier Wasser ins Gesicht, bevor sie ihm die Kehle durchschnitten, damit es den Kopf schüttelte und sie diese Geste als Einverständnis deuten konnten. Nüchtern betrachtet sind viele Teile eines Opferrituals eine willkommene Ablenkung von Handlungen, die uns zwar unangenehm sind, die wir aber dennoch ausüben wollen oder müssen. Das Ritual erlaubt es, uns einzureden, wir töteten die Tiere nicht zu unserem kulinarischen Vergnügen, sondern weil Gott es so von uns verlangt; wir braten das Fleisch nicht auf dem Feuer, um es schmackhafter zu machen, sondern weil der aufsteigende Rauch unser Opfer in den Himmel trägt; und die besten Stücke essen wir nicht deshalb selbst, weil es die saftigsten sind, sondern weil die Götter ohnehin nur den Rauch fordern.

Der Mensch ist das einzige Tier, das Wert darauf legt, dass seine Nahrung nicht nur »gut zu essen« ist (wohlschmeckend, ungiftig und nahrhaft), sondern, wie Claude Lévi-Strauss es ausdrückt, auch »gut zu denken«. Denn mit allem, was wir so zu uns nehmen, essen wir auch bestimmte Vorstellungen, und das Fleisch der Tiere vor dem Verzehr zu opfern, war eine Möglichkeit, es uns »gut zu denken«: Das Opfer half den Menschen, sich beim Töten, Braten und Essen von Tieren – einem Vorgang, der schon immer bedeutsam, spirituell befrachtet und höchst ambivalent war – besser zu fühlen. Das könnte auch eine Erklärung dafür sein, weshalb das Schlachten, Zerlegen und Zubereiten von Fleisch als heilige, von einem Priester auszuführende Tätigkeiten beschrieben wurden, sei es nun bei Homer oder im dritten Buch Mose. Heute halten wir Opferrituale für primitiv und amüsieren uns über die ihnen zugrunde liegenden Rationalisierungen. In Kulturen, in denen man derartige Rituale praktizierte, bevor es ans Essen ging, war den Menschen aber immerhin bewusst, dass es sich dabei um etwas Bedeutsames handelte, das die Aufmerksamkeit aller verdiente. Nur weil dem Verzehr von Fleisch heute nicht mehr die gleiche Beachtung geschenkt wird wie damals, heißt das noch lange nicht, dass er nicht noch immer etwas Bedeutsames hätte: Schließlich wird ja noch immer etwas geopfert. Fragt sich, was nun tatsächlich »primitiver« ist, denn indem wir moderne Menschen dem Vorgang, der das Fleisch auf unsere Teller bringt, keinerlei Beachtung mehr schenken, sind wir den Tieren doch sehr viel ähnlicher, als es die Menschen der Antike waren.

Hier tritt ein weiterer Aspekt von rituellen Opfern zutage: Sie markierten einerseits den klaren Unterschied zwischen Mensch und Tier, andererseits aber auch zwischen Mensch und Gott. Tiere verschleiern das Töten und Fressen anderer Tiere nicht mit einem Ritual, und sie braten das Fleisch auch nicht auf einem kontrollierten Feuer. Mit einem Opferritual verortet sich der Mensch genau zwischen den Göttern, deren Macht er durch das heilige Opfer anerkennt, und den Tieren, mit deren zeremoniellem Töten er wiederum die eigene, gottgleiche Macht demonstriert. Der Ablauf des Rituals zeigt uns unseren Platz im Kosmos.

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Jede Form von Kochen kann als säkulare, leicht abgeschwächte Version eines Rituals gesehen werden, das uns hilft, unseren Platz in der Natur zu finden und uns mit dem Unbehagen beim Verspeisen anderer Lebewesen auszusöhnen. So wie das Feuer alles zerstört, was durch Fotosynthese entstanden ist, beinhaltet auch jede Form des Kochens größere oder kleinere Akte der Zerstörung: Töten, Schneiden, Hacken, Zerstampfen. In diesem Sinne ist es in seinem Kern ein Opfer. Zugleich hilft es aber auch dabei, Emersons »taktvolle Entfernung von einigen oder vielen Kilometern« herzustellen. Zeit, Rauch, Gewürze, das Zerkleinern oder eine Soße distanzieren den Esser von den Speisen, und die verschiedenen Umwandlungsprozesse helfen uns, die Brutalität des initialen Akts zu vergessen oder zu verdrängen. Die ausgefeilte Alchemie, die wir heute in unseren Küchen praktizieren, zeigt indessen auch, wie weit wir es als Spezies gebracht haben. Sie bestätigt uns, dass wir die bluttriefende Natur tatsächlich abgelegt und eine Art Überlegenheit erreicht haben. Das Kochen hebt uns ab. Es hilft uns, uns gegen die anderen Bewohner dieser Welt – Wesen, die nicht kochen können – abzugrenzen.

James Boswell definierte den Menschen einst als »kochendes Tier« und behauptete, Tiere besäßen zwar ein Gedächtnis, Urteilsvermögen und bis zu einem gewissen Grad auch alle anderen Fähigkeiten und Leidenschaften unseres Verstandes, aber kein Tier sei ein Koch. Boswell war nicht der Einzige, der im Kochen eine Fähigkeit sah, über die wir uns als Menschen definieren. Die Unterscheidung zwischen dem »Rohen« und dem »Gekochten« ist laut Lévi-Strauss in vielen Kulturen zu einer Metapher für den Unterschied zwischen Mensch und Tier geworden. In seinem Buch Das Rohe und das Gekochte schreibt er, das Kochen definiere nicht nur den Übergang von Natur zu Kultur, sondern auch das menschliche Dasein in seiner ganzen Vielgestaltigkeit. Durch das Kochen verändern wir einen natürlichen Zustand, erheben uns also über die Natur und werden dadurch menschlich.

Geht man davon aus, dass das Bestreben der Menschheit unter anderem darin besteht, die »rohe« Natur in »gekochte« Kultur zu verwandeln, dann zeigen sich in den diversen Methoden, die wir zu diesem Zweck entwickelt haben, unterschiedliche Haltungen sowohl gegenüber der Natur als auch gegenüber der Kultur. Nachdem Lévi-Strauss, der offenbar jeden Dualismus schätzte, die Ernährungsweise Hunderter von Völkern auf der ganzen Welt untersucht hatte, unterschied er zwei grundlegende Methoden zur Umwandlung von Naturstoffen in etwas, das nicht nur wohlschmeckender und besser verdaulich war, sondern auch menschlicher (»besser zu denken«): das Kochen über einem offenen Feuer und das Kochen in einem Topf mit Flüssigkeit.

Grillen oder Schmoren? Braten oder Sieden? Das ist anscheinend die Frage, und von der Antwort hängt viel ab: nämlich wofür wir uns halten. Im Vergleich zum Kochen über offenem Feuer erscheint das Schmoren, Dünsten oder Sieden als eine zivilisiertere Methode, Natürliches in Essbares zu verwandeln. Durch beides verändern wir das Tier, auch das Tier in uns, grundlegender als durch Grillen. Bei Letzterem bleibt das Grillgut teilweise oder auch vollständig intakt, und häufig bleiben Spuren von Blut erhalten – eine sichtbare Erinnerung daran, dass wir ein ehemals lebendiges Wesen verspeisen. Diese unterschwellige Barbarei ist dennoch nicht zwingend ein Argument gegen das Grillen. Im Gegenteil glauben manche, der Verzehr eines blutigen Rindersteaks verleihe Kraft. In Mythen des Alltags schrieb Roland Barthes: »Wer davon isst, nimmt Stierkräfte an.« Ein Schmorbraten oder Eintopf stellt im Gegensatz dazu eine viel stärkere Sublimierung oder auch ein Vergessen der brutalen Realität dieses sehr speziellen Vorgangs zwischen verschiedenen Arten dar, vor allem, wenn das Fleisch in geometrische Würfel geschnitten und in einem Topf stundenlang weich gekocht wurde.

Dieses Vergessen hat natürlich seine Vorteile, gerade im Alltag, wo in der Regel in Töpfen gekocht wird. Wer sieht sich schon gerne Tag für Tag mit derart existenziellen Fragen wie der nach Leben und Tod oder der menschlichen Identität konfrontiert? Dennoch gibt es immer wieder Momente, in denen wir, wenn auch nur ein kleines bisschen, daran erinnert werden wollen, was unter dem dünnen Firnis der Zivilisation tatsächlich vor sich geht. Vielleicht verspüren wir in diesen Situationen denselben Impuls, der manche Menschen auch dazu treibt, trotz aller Unannehmlichkeiten eine Nacht im Wald zu verbringen, sich ihr Fleisch unnötigerweise selbst zu jagen oder die eigenen Tomaten zu ziehen. All diese Beschäftigungen sind Spiele für Erwachsene, gleichzeitig aber auch feierliche Akte des Erinnerns: daran, wer wir sind, woher wir kommen und wie die Natur funktioniert. (Und vielleicht auch an eine Zeit, in der richtige Männer noch unentbehrlich waren.) Fleisch über offenem Feuer zubereiten – ob es sich dabei nun um ein paar Steaks auf dem Gartengrill oder, etwas spektakulärer, um ein über Nacht auf einem Holzfeuer gegartes ganzes Tier handelt – ist einer der reizvollsten dieser rituellen Akte, der in der Regel vor anderen Leuten, im Freien, zu besonderen Anlässen und von Männern vollzogen wird. Aber was genau wird bei solchen Kochritualen zelebriert? Zweifellos so einiges, ganz sicher aber männliche Stärke (eine erfolgreiche Jagd wird ja zumindest impliziert) und ein rituelles Opfer (denn diese Kochvorstellung übt jene Art Anziehungskraft aus, die Menschen aus ihren Häusern lockt, um zuzuschauen). Mehr noch als alles andere wird heutzutage aber vermutlich die transformative Kraft des Kochens selbst dabei zelebriert. Denn nur beim Grillen, wenn sich Holz, Feuer und Fleisch zu einem von Aromen erfüllten »Königreich von Rauch« vereinen, treten diese Kräfte so klar und deutlich zutage.

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9783888979897
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