Читать книгу: «Shana», страница 9

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Verblüfft registrierte Shana, wie aus den Luken des zweiten Schiffes weißer Rauch quoll, als gleich darauf der Boden unter ihren Füßen einen gewaltigen Schlag bekam und beinahe gleichzeitig ein dumpfes Grollen erklang, das ihren gesamten Körper erfasste. Holz splitterte, Bruchstücke und zerfetzte Teile jeder Größe pfiffen durch die Luft, und zwischen alles mischten sich fürchterliche Schreie. Shana warf sich zu Boden. Belly!, schrie sie, aber sie merkte es nicht, denn jetzt ging es nur noch um das eigene Überleben. Die Luft war erfüllt vom Schreien und Rufen der Männer und von beißendem Pulverdampf, der herüberwehte. Keuchend und nach Luft ringend lag Shana auf den harten Bohlen und presste die Augen zusammen. Hoffentlich hören sie auf … hoffentlich hören sie auf …, dachte sie immer wieder. Sie wusste nicht, ob sie verletzt war, aber der Schock unterdrückte jede Wahrnehmung. Gerade als sie dachte, der Kampf wäre vorüber, hörte sie eine tiefe, Macht und unerschütterliches Selbstbewusstsein ausstrahlende Stimme, die von halbhoch hinter ihr zu kommen schien. Obwohl sie es nicht wollte, hob sie ihren Kopf vorsichtig an und schaute auf. An eine Balustrade auf dem oberen Deck gelehnt stand ein Riese von Mann und schaute furchtlos zu seinem Gegner hinüber. Auch er trug wie der Dicke vorhin einen Vollbart. Dieser aber war sorgfältig gestutzt. Die gesamte Erscheinung drückte Stolz und Autorität aus. Es gab keinen Zweifel. Das war der Anführer des Haufens an Bord hier. Aber Shana blieb keine Zeit zum Überlegen. Gerade wollte sie sich nach Belly umschauen, da schüttelte der Kerl über ihr die Faust in Richtung des zweiten Schiffes und brüllte einen Befehl.

Jeeeeetz! Feuuuuuuerrrr!“

Nahezu gleichzeitig feuerten die beiden Schiffe die nächsten Salven ab. Und es sollten die letzten sein. Ein Inferno aus Donnerschlägen, zerberstendem Holz, kreischendem Metall und dem Schreien Verwundeter durchdrang die Luft. Das Schiff schien sich unter den Einschlägen der Kanonenkugeln zu winden. Shana war vollkommen klar, dass sie jetzt sterben würde. Sie rollte sich auf Deck zusammen und wartete darauf, dass sie eine Kugel zerfetzen oder ein Splitter aufschlitzen würde.

Wie durch ein Wunder geschah das nicht. Einige Sekunden verstrichen. Der Lärm ebbte ab, nur hier und da hörte Shana ein Rufen, das aber nur gedämpft in ihr Bewusstsein drang, da ihre Ohren durch den Geschützdonner beinahe taub waren. Dann, mit einem Mal, war es vollkommen still. Totenstill. Es war eine grausige Stille, denn Shana wusste, dass es nicht so bleiben würde.

Und so war es. Urplötzlich ertönte ein Knarren, das selbst durch Shanas taube Ohren so unheilverkündend klang, dass sie aus ihrer Starre erwachte und sich herumrollte. Jetzt war es kein Knarren mehr, jetzt ertönte ein Knirschen, das in ein nervenzerfetzendes Krachen überging. Shanas Kopf flog nach oben. Der Mast! Der Mast kam runter!

Wie gelähmt musste Shana zusehen, dass der Großmast in etwa fünf, sechs Metern Höhe einen Volltreffer abbekommen haben musste. Wie in Zeitlupe begann er, an der Bruchstelle abzuknicken und gab dabei furchtbare Geräusche von sich. Metergroße Splitter drängten nach außen, aber seltsamerweise fiel keiner auf Deck. Dann war es soweit. Mit einem letzten grausamen Knacken brach der Mast endgültig und rauschte mitsamt der Takelage und den vom Beschuss verbliebenen Segeln aufs Vordeck. Shana durchfuhr ein eisiger Schreck. Belly! Wo war Belly?

Ohne Nachzudenken kam sie auf die Füße und blickte gehetzt um sich. Überall herrschte das blanke Chaos. Das Deck war verwüstet, riesige Lücken klafften in der Reling. Mit Schaudern sah Shana zwei Männer reglos daliegen. Wo waren die anderen, die sie vorhin an der Bordwand hatte kauern sehen? Ein Schaudern durchfuhr sie. Vermutlich waren sie über Bord gegangen. Verzweifelt hielt sie Ausschau nach Belly, aber sie konnte ihn nirgends entdecken. Tränen überströmtem ihre Wangen. Belly durfte nicht tot sein. Er durfte einfach nicht tot sein! Shana biss sich auf die Lippen. Dann warf sie einen Blick über das Meer. Das zweite Schiff war ein gutes Stück entfernt dabei, ein Wendemanöver einzuleiten. Es würde eine Weile dauern, ehe es zurück war. Sie musste Belly finden! Nur das zählte. Das Deck war so mit Trümmern übersät, dass es Shana schwerfiel, voranzukommen. Verbissen kämpfte sie sich hin zu der Stelle, an der der Großmast gestanden hatte. Keine Spur von Belly. Aber sie hatte auch nicht gedacht, dass er bei dem Angriff am Mast stehen geblieben war. Sicher hatte er sich auch hingeworfen und irgendwo Schutz gesucht. Panisch suchten ihre Augen das Deck rings um sich ab. Keine Spur von Belly. Dafür registrierte sie etwas, das ihre Hoffnung endgültig zerrinnen ließ. Das Deck neigte sich zur Seite!

Oh nein!“, durchfuhr es sie eiskalt. Das Schiff war leckgeschlagen! Plötzlich nahm sie Rufe wahr. Panische Rufe. Sie fuhr herum. Aus der Luke, aus der sie vorhin gekommen war, drang dichter Rauch. Auch das noch! Unter Deck musste Feuer ausgebrochen sein! Die Luke spuckte einen fluchenden Mann nach dem anderen aus. Als der letzte heraussprang, zählte Shana zehn zerlumpte und rußgeschwärzte Halunkengesichter. Auch der Käptn und der Dicke waren darunter. Grimmig schauten sie sich um. Plötzlich trafen sich die Blicke des Dicken und Shanas.

Hey! Die Göre da! Die hab ich vorhin unter Deck gesehen! Da war noch einer! So’n Dicker! Ich hab gewusst, dass die Unglück bringen! Los, hol’n wir sie uns!“

Shana hatte keine Kraft mehr, wegzurennen. Wohin auch? Und wozu? Wie sie starb, war eigentlich egal. Ob nun verbrennen, weil das Schiff abbrannte, ertrinken, weil sie über Bord springen musste oder ermordet durch diesen hasserfüllten Piraten, es war egal. Ihr Schicksal war besiegelt.

Der Dicke begann, sich durch die Trümmer einen Weg zu ihr zu bahnen, da hielt ihn eine herrische Stimme zurück.

Halt!“

Keine zwei Meter mehr waren der Typ und Shana voneinander entfernt. Shana konnte sein Klaviergebiss sehen, als er sie bösartig angrinste. Aber der Ruf des Käptns hielt ihn zurück.

Bleib, wo du bist! Das ist ein Kind! Und ihr seid selbst Schuld an eurem Untergang! Ihr habt zwei Salven verschossen, anstatt die verdammten Aristokraten zur Hölle zu schießen! Die Kleine da stirbt sowieso, also halt dein Maul und hilf, das Boot klarzumachen! Verstanden?“

Der Dicke brummelte etwas Unverständliches in seinen Bart, gehorchte aber. Er warf Shana einen wütenden Blick zu und kletterte dann zurück über die Trümmer zu seinen Kumpels. Während die Männer achtern verschwanden, vermutlich um ein dort vertäutes Beiboot loszumachen, musste Shana mit ansehen, wie das ehemals stolze Schiff immer mehr Schlagseite bekam. Dazu kam dichter, schwarzer Rauch aus der Luke. Mittlerweile war es unmöglich, zurück ins Innere zu gelangen.

Das Schiff war verloren.

Belly! Wo war Belly? Verzweifelt suchte Shana das Deck ab, zog Trümmerteile beiseite, grub mit den Händen im Schutt und schrie immer wieder seinen Namen, aber sie fand ihn nicht. Tränenüberströmt richtete sie sich auf. Ihre Schultern zuckten, und sie gab auf. Trotz der Erkenntnis, dass es nun zu Ende war, musste sie daran denken, dass ihre Eltern doch recht gehabt hatten, sie nicht in die verbotene Zone gehen zu lassen. Aber der Reiz war zu groß gewesen. Und nun musste sie dafür den Preis bezahlen.

Abwesend registrierte sie, wie das zweite Schiff langsam wieder näher kam, aber das würde ihr auch nicht mehr helfen. Sie wusste, dass das Piratenschiff dem Untergang geweiht war und dass es sinken würde, bevor die Engländer es erreichten. Und selbst wenn sie sich an einem Stück Holz festhalten konnte, der Strudel des untergehenden Schiffes würde sie mit in die Tiefe reißen. Belly hatte das Schicksal schon ereilt.

Shana kapitulierte. Wie in Trance nahm sie wahr, dass das Schiff immer mehr Schlagseite bekam. Und dann ging es schnell. Ohne Vorwarnung rollte der Dreimaster um die eigene Achse. Shana wurde herumgeschleudert, ruderte mit den Armen, versuchte panisch, irgendwo Halt zu finden, aber vergeblich. Während das Schiff sich auf den Kopf stellte, um seine letzten Minuten kieloben zu verbringen, stürzte Shana das kippende Deck hinab, knallte mit dem Hinterkopf gegen irgendein Hindernis und fiel ins Meer.

Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie den wunderschönen azurblauen Himmel. Dann wurde es schwarz um sie herum.

* * *

Der Geschmack war grauenvoll. Fisch, Tang, Dreck, Salz. Als Shana dieses Mal zu sich kam, geschah es ohne Übergang. Sie lebte! Aber diese Erkenntnis trat augenblicklich zurück, denn ein unglaublicher Hustenreiz überkam sie. Sie hustete und krampfte sich zusammen, als sie Seewasser hoch würgte, das derart in ihrem Hals brannte, dass es kaum auszuhalten war. Als es endlich vorbei war, hatte sie kaum noch genug Spucke, um den ganzen Sand, der in ihrem Mund war, auszuspucken. Keuchend lag sie da und spürte, dass ihr die Sonne auf den Rücken brannte. Gleichzeitig umspülten seichte Wellen ihre Beine. Sie riss die Augen auf. Sie lag im Sand! Sie war nicht tot! Was sie erblickte, war wunderschön. Blendend weißer Sand erstreckte sich vor ihr. Dahinter ein Palmenhain, und noch etwas weiter zurück dichtes Buschwerk. Ein leichter Wind ließ die Palmwedel aneinander reiben, und im Hintergrund lärmten unbekannte Vögel.

Shana stützte sich auf den Ellbogen und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. Sie blinzelte. Ihre Beine lagen halb im Meer, und die Wellen des türkisfarbenen Wassers spielten träge mit ihnen. Shana überkam ein furchtbares Gefühl. Sie hatte überlebt. Doch was war mit Belly? Was mit den anderen? Verzweifelt stemmte sie sich hoch und rutschte ein Stück den Strand hoch. Sie fühlte sich schwer, und sie überkam ein furchtbares Gefühl von Einsamkeit. Was nutzte es, wenn sie allein überlebt hatte und alle anderen waren tot? Sie kniff die Augen zusammen und suchte das glitzernde Meer ab. Am Horizont entdeckte sie die Segel eines Dreimasters. Im ersten Impuls wollte sie aufspringen und losschreien, aber dann erkannte sie, dass dieses Schiff nicht auf sie zuhielt, sondern stetig kleiner wurde. Tränen schossen ihr in die Augen. Bestimmt waren das die Männer, die die Piraten besiegt hatten. Die fuhren einfach weg! Shana machte sich nichts vor. Warum sollten die Engländer oder wer auch immer den Kampf gewonnen hatte, Piraten aus dem Meer fischen, die ihnen vorher nach dem Leben getrachtet hatten? Nein, das Piratenschiff war in tausend Stücke geschossen und versenkt worden. Nichts hielt die Sieger hier noch. Shana ließ die Hand sinken und begann hemmungslos zu schluchzen. Sie hatte überlebt, aber um welchen Preis? Belly war tot. Sie selbst gefangen auf einer Insel, auf der sie niemals allein überleben konnte, und das Allerschlimmste war, dass sie allein die Schuld daran trug.

Shana gab sich auf. Sie wollte auch sterben. Das alles war zuviel für sie.

Plötzlich vernahm sie ein Knirschen hinter sich, und ein Schatten fiel auf sie. Shana erstarrte. Der Schatten war groß. Und es war der eines Mannes. Sie fuhr herum und sah auf ein paar derbe Lederstiefel, auf denen getrocknetes Meerwasser hässliche Salzflecken hinterlassen hatte. Ungläubig hob sie den Kopf und blickte in das grinsende Gesicht des Käptns der Piraten. Der sah sie nachdenklich an und warf dann einen Blick zum Horizont.

„Da segeln sie dahin“, grunzte er grimmig. „Sie haben nicht einmal nachgesehen, ob einer von uns auf die Insel gespült wurde. Tja, selbst dran Schuld. Hätten sie ein bisschen mehr Anstand, hätten sie ein gutes Geschäft machen können.“ Er schaute auf Shana herab. „Vielleicht kannst du mir ein Schiff verkaufen?“

Shana wollte antworten, aber heraus kam nur ein heiseres Krächzen. Sie hustete und schluckte und probierte es dann noch einmal.

„Ich könnte eins malen, wenn ich Traumfarbe hätte, aber die hab ich nicht. Tut mir Leid.“

Die Augen des Piraten verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Willst du mich auf den Arm nehmen? Hm, ich weiß nicht, wozu du zu gebrauchen bist, aber man kann ja nie wissen. Tja, Mädel, willkommen auf Death Island!“

Er reichte ihr die Hand, und nach einem kurzen Moment des Zögerns schlug Shana ein und ließ sich hoch ziehen. Irgendwie verspürte sie keine Angst vor diesem Riesenkerl. Schon auf seinem Schiff hatte er sie gegen den Mann mit dem Klaviergebiss verteidigt. Ein so übler Kerl schien er nicht zu sein.

„Hast du … hast du meinen Freund gesehen? Den Dicken mit der komischen Frisur?“

Der Käptn schüttelte den Kopf. „Nein, hab ich nicht. Mit dir sind wir jetzt sieben Leute hier auf diesem verdammten Stück Land. Fünf meiner Jungs haben es auch geschafft. Na ja, und noch zwei, aber die wurden angeschwemmt, ohne wieder aufzustehen.“

Er brauchte nichts weiter zu erklären. Shana wusste auch so, was das bedeutete. Sie weinte lautlos. Belly war tot. Entweder ertrunken oder schon an Bord getötet.

„Hey, Mädel“, grummelte der riesige Mann. „So schlimm sind wir auch wieder nicht.“ Er blickte an sich herab. „Na ja, im Moment sehe ich nicht gerade aus wie ein feiner Pinkel, und … ja, okay, wir sind Piraten, aber wir verschonen die, die sich ergeben. Wer uns nicht bekämpft, den bekämpfen wir auch nicht. Wir rauben halt hier und da ein bisschen was. Aber keine Sorge, Kinder lassen wir in Ruhe. Und wenn der dicke Bennie dich ärgern sollte, dann bekommt er’s mit mir zu tun!“

Shana wusste nicht, wer der dicke Bennie war, aber das war ihr auch vollkommen egal.

„Ich möchte Belly wiederhaben …“, flüsterte sie.

Der Käptn legte ihr eine Hand auf die Schulter und wollte etwas sagen, besann sich dann aber. Stattdessen ließ er seine Hand eine Weile dort, wo sie war. Etwas hilflos stand er neben Shana und wusste nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte.

„Willst du ’n Schluck Rum?“

Shana schüttelte heftig den Kopf.

„Hab auch keinen. Aber weißt du, was? Wenn man traurig ist und nicht weiß, wie es nun weitergeht, muss man handeln. Mädel … ähh … wie heißt du eigentlich?“

„Sh … Shana.“

„Gut, also Shana, wir müssen einiges tun. Holz sammeln für ein Feuer, Wasser holen, ein bisschen jagen und fischen, damit wir was zwischen die Kiemen kriegen, und dann brauchen wir einen Plan, wie wir von hier wegkommen. Also, was ist, willst du uns helfen?“

Shana zog geräuschvoll die Nase hoch. „Hmm.“

„Okay, dann los. Ich hab den Jungs Aufgaben gegeben. Weißt du, ganz so schlimm ist unsere Lage nicht. Hätte schlimmer kommen können. Diese verdammten Engländer haben uns ausgerechnet erwischt, als wir von hier wieder losfahren wollten.“

„Ihr kennt die Insel?“, schniefte Shana.

„Ja, die kennen wir“, grinste der Käptn. „Verrecken werden wir hier nicht. Bennie besorgt Wasser. Wenn du ein Stück zurücktreten könntest, würdest du sehen, dass die Insel ziemlich bergig ist. Da gibt es Quellen und Bachläufe. Viel Wild gibt es allerdings nicht, nur Echsen und ein paar Affen. Dafür Kokosnüsse und Früchte. Werden wir halt mehr fischen müssen.“

„Ihr habt keine Waffen mehr, kein Werkzeug und keine Netze“, sagte Shana leise.

„Sieh mal an, eine ganz Schlaue!“, grinste der Käptn. „Tja, da muss ich dich enttäuschen. Ich sagte doch, dass wir die Insel kennen. Und der hier …“ Er zeigte auf seinen Kopf. „… ist nicht blöd. Wo immer ich einen Unterschlupf finde, statte ich ihn mit dem Nötigsten aus. Man weiß nie, wozu das gut ist.“

„Was soll ich tun?“, fragte Shana und versuchte, sich zusammenzureißen.

„Erstmal einfach mit mir mitkommen. Ein Netz haben wir wirklich nicht. Vielleicht kannst du uns eines flechten. Das heißt, kein Netz, sondern eine Reuse. Die kann man nämlich aus den Palmblättern machen und Hummer fangen.“

Von Ferne drangen Rufe zu ihnen herüber. Der Käptn und Shana wandten die Köpfe in die Richtung, aus der sie erklangen. Ein gutes Stück entfernt standen zwei Männer am Strand und winkten heftig.

„Da liegt was“, brummte der Käptn, zog seine Hand von Shanas Schulter zurück und straffte sich. „Lass uns nachschauen!“

Shana hatte Mühe, mit dem riesigen Mann Schritt zu halten, zumal sie noch immer nicht ganz bei Kräften war und das Laufen im Sand schwerfiel. Als sie näher kamen, erkannten sie, weshalb die Männer winkten.

„Das Beiboot!“, entfuhr es dem Käptn. „Siehst du, Shana, manchmal meint es der liebe Gott genau dann gut mit dir, wenn es dir am schlechtesten geht!“

Die letzten Meter überbrückten sie im Laufschritt. Und als sie das ans Ufer gespülte Beiboot erreichten, sollte noch eine Überraschung auf sie warten. Für Shana war es die schönste ihres Lebens.

Belly!“

Mitten im Boot lag Belly auf dem Rücken und starrte angstvoll in die auf ihn herunterschauenden bärtigen Männergesichter. Als er Shana erblickte, sah man richtig, wie ihm ein Felsen vom Herzen fiel.

Shana! Shana! Gott sei Dank, du lebst!“

Shana lachte und weinte zugleich. „Ich lebe? Du lebst! Mann, bin ich froh! Du … du … Mistkerl! Warum bist du an Deck gegangen? Warum hast du dieses blöde Bild gemalt? Warum hast du mir nicht gesagt, dass du lebst? Du … du …“

Belly rappelte sich hoch, stützte sich mit den Händen auf einer der Ruderbänke ab und hievte sich schließlich mit dem Po hinauf.

„Shana, es tut mir Leid. Wirklich. Das hab ich alles nicht gewollt. Ich wollte nur auf mein Schiff.“

„Du hast ein eigenes Schiff?“ Der Käptn runzelte die Stirn.

„Nein, nein, ich meine, auf das Schiff, von dem ich immer geträumt habe. Die Adventure.

„So, so, die Adventure.“ Der Käptn schien Belly nicht ernst zu nehmen. „Komm mal da raus, Junge. Dimitri, Bengale, zieht das Boot ein Stück den Strand rauf, und zwar ein gutes Stück! Ich will nicht, dass es über Nacht verschwindet und wir unsere einzige Chance verlieren.“

Die beiden angesprochenen Männer nickten und warteten, bis Belly aus dem Boot geklettert war. Dann zogen sie es einige Meter vom Meer weg, wo es sicher lag. Plötzlich raschelte es im Gebüsch, und heraus trat der Kerl mit dem Klaviergebiss. Über der Schulter trug er eine prall gefüllte Tierblase. Als er Shana und Belly erblickte, klappte ihm der Kiefer runter. Dann fing er sich wieder, stapfte die paar Meter zu den anderen herunter und warf die Tierblase in den Sand.

„Hier, Käptn. Frisches Wasser. Hey, wenn das nicht die Gören sind, die ich auf dem Schiff entdeckt hab!“

Der Kerl wies mit dem Finger auf Shana. „Das ist ein Mädchen! Käptn, die haben sich an Bord geschlichen und uns Unglück gebracht! Frauen dürfen niemals mit an Bord sein! Ich hab gleich gewusst, dass die uns ins Verderben ziehen!“

Er vollführte eine schnelle Bewegung mit zwei Fingern an seinem Hals entlang und stierte den Käptn an. „Soll ich?“

Belly wurde bleich. Aber der Käptn schüttelte unwirsch den Kopf.

„Du wirst die beiden nicht anrühren, hast du verstanden? Im Gegenteil, du bist verantwortlich dafür, dass ihnen nichts geschieht! Und weißt du auch, warum?“

So groß und breit der Kerl auch war, er schien bei den Worten seines Käptns förmlich zu schrumpfen.

„Nein“, murmelte er.

„Dann werd ich’s dir sagen!“, zischte der Anführer der Piraten. „Du warst für die erste Salve verantwortlich! Du hast die Ausrichtung der Geschütze vermasselt! Und demnach hast du die Adventure auf dem Gewissen. Eigentlich müsste ich dich an der nächsten Palme aufknüpfen. Aber ich brauche hier jeden Mann. Du bekommst also eine Chance von mir.“

Der Käptn schüttelte den Kopf. „Und die Kleine hier hat mehr Grips als du. Sieh sie dir an! Was fällt dir auf?“

Der Kerl musterte Shana ohne sonderliches Interesse. „Was soll mir auffallen? Is halt ’n Mädchen.“

Der Käptn schaute Shana belustigt an und zwinkerte ihr zu. „Siehst du, so einen brauch ich zum Wasserholen. Und dich zum Unterhalten. Aber es wird Zeit, ein Feuer zu machen. Wir haben noch zwei Stunden, dann wird es dunkel.“

Er wandte sich an Belly und grinste. „Du siehst so aus, als könntest du was zu essen vertragen! Mal sehen, was die Jungs so organisiert haben.“

„Ähh … Käptn …“ Der mit dem Klaviergebiss hob die Tierblase wieder auf und warf sie sich über die Schulter. „Was is ’n nun mit der anders?“

Der Käptn seufzte und schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf. „Sie trägt Sachen, die ich noch nirgendwo auf der Welt gesehen habe. Und der lustige Dicke hier auch. Aber so was fällt einem Holzkopf wie dir nicht auf. Los, kommt, lasst uns zu unserer Bucht gehen. Ich glaube, das Boot können wir hier liegen lassen. So schnell wird hier keiner mehr vorbeikommen.“

Die seltsame Gesellschaft aus drei Piraten und zwei Kindern machte sich auf den Weg. Zielsicher wandte sich der Käptn nach rechts. Etwa zwanzig Minuten wanderten sie am Ufer entlang, bis sie eine Landzunge umrundeten und eine wunderschöne Bucht vor ihnen lag. Der Käptn wandte sich an die Kinder und breitete die Arme aus.

„Das ist unsere Bucht!“, sagte er stolz. „Sie liegt geschützt, man kann gut ankern, und von See aus ist sie erst im letzten Moment aus zu sehen. Und wie ihr seht, ist der Rest von uns nicht untätig geblieben.“

Shana und Belly erblickten die restlichen drei Piraten, die offensichtlich Holz gesammelt und auf einen großen Haufen geworfen hatten. Daneben lagen Kokosnüsse, und als sie näher kamen, entdeckten sie fünf erlegte Echsen. Sie waren so groß wie kleine Krokodile. Shana stieß Belly an.

„Unser Abendessen!“

Belly schüttelte sich. „Die da? Du glaubst doch nicht, dass wir die essen sollen? Ich hab Riesenhunger, aber das krieg ich nie im Leben runter! Lieber nehm ich ab!“

Shana musste lachen und blickte Belly von der Seite an. „Weißt du was? Du hast schon ganz schön abgenommen! Kann dir doch nicht schaden, oder?“

Belly schaute an sich herab. „Meinst du wirklich? Trotzdem hab ich Hunger!“

Shana zuckte die Schultern. „Hier gibt’s keine Multiwand. Weißt du was, Belly? Ich bin einfach nur froh, dass du lebst. Du hast uns dieses Schlamassel hier eingebrockt, aber ich wollte vorhin sterben, weil du nicht mehr da warst. Und wenn du jetzt nicht zu McBeam gehen kannst, ist das deine gerechte Strafe!“

Die kleine Gruppe hatte inzwischen die drei anderen Männer erreicht, die ihnen neugierig entgegengeschaut hatten.

Belly seufzte und zuckte die Schultern. „Du hast recht. Aber ich hab trotzdem Hunger!“

„Isst du halt eine Kokosnuss mit Schale! Aber erstmal müssen wir sehen, dass wir helfen können. Irgendwie mag uns der Anführer, aber drauf schwören würde ich nicht.“

Shana musste sich unterbrechen, denn der Käptn gab seinen Männern Anweisungen.

„Dimitri, Bengale, schnitzt ein paar Spieße und macht dann Feuer. Bennie, du gehst zu unserer … na, du weißt schon, und holst zwei Äxte und ein paar Decken. Nimm Alex mit. Und ihr beide nehmt die Echsen aus und köpft die Kokosnüsse. Aber verschüttet nicht die Hälfte! Der eine Weinschlauch fasst nicht gerade viel Wasser. Da kommt die Milch gerade recht.“

„Und was können wir machen?“, fragte Shana.

„Hm“, grunzte der Käptn. „Heute hab ich nichts mehr für euch. Aber morgen könnt ihr die Reusen machen. Setzt euch einfach irgendwo hin und ruht euch aus. Niemand soll sagen, ich wäre ein böser Pirat!“

Er lachte lauthals und stapfte dann den Strand hoch, um dem Klaviergebiss zu folgen. Kurze Zeit später verschluckte ihn das Dickicht.

„Was meinst du, wo er hingeht?“, fragte Belly leise.

„Ich weiß nicht“, grübelte Shana. „Die müssen hier ein Versteck haben, wo sie ein paar Sachen lagern. Das wär ihm vorhin beinahe rausgerutscht. Irgendwo muss der dicke Blödmann ja diesen Weinschlauch und die Äxte herhaben. Was soll’s, ist mir auch egal. Komm, lass uns hinsetzen. Ich bin total kaputt. Und Belly …“

„Ja?“

„Ich hab auch Hunger!“

Die beiden lachten und ließen sich etwas abseits der mit ihren Aufgaben beschäftigten Piraten im warmen Sand nieder. Shana schlang die Arme um ihre Knie und betrachtete das Treiben der Männer. Belly wollte etwas sagen, aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass es wohl besser wäre, jetzt den Mund zu halten. Schließlich war er es gewesen, der sie in diese fatale Situation gebracht hatte. Obwohl er lang ausgestreckt im Sand lag, merkte er, wie seine Beine leicht zitterten. Aber er konnte nicht dagegen ankämpfen. Die Erschöpfung war zu groß. Shana und er hatten Todesangst ausgestanden. Nein, verbesserte er sich. Eigentlich waren sie schon tot gewesen. Nur hatte der Himmel wohl Mitleid gehabt und sie noch mal zurückgeschickt. Und das alles war seine Schuld. Niemals wieder würden sie nach Hause kommen. Vielleicht würden sie auf der Insel verrecken oder sie mussten als Piraten bis zu ihrem Tod mit diesem Käptn Schiffe überfallen und kämpfen. Belly sackte in sich zusammen. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Teilnahmslos sah er zu, wie die Piraten am Strand einen Haufen Reisig auftürmten und dickere Äste darüber häuften. Einer der Männer griff sich ein paar zurechtgeschnitzte Holzspieße und begann, die Echsen aufzuspießen.

„Uhärrrgss!“, machte Shana und schüttelte sich.

„So machen’s halt Piraten“, schniefte Belly.

Shana wandte den Kopf und schaute Belly prüfend an. „Du zitterst ja! Alles okay?“

„Nein, ich bin nicht okay.“ Belly stützte sich auf den Ellenbogen und zog geräuschvoll die Nase hoch. „Ich bin Schuld, dass du beinahe gestorben wärst. Und ich habe die Traumfarbe vergessen. Ich bin ein Idiot. Ich hätte lieber im Meer ertrinken sollen.“

Shana löste ihre Arme von den Knien und gab Belly einen liebevollen Klaps. „Belly, du bist wirklich ein Idiot! Aber nicht, weil du die Traumfarbe vergessen hast, sondern weil du so einen Blödsinn redest! Ich war so froh, dich vorhin in dem Boot zu sehen, dass …“

Belly wischte sich verlegen mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen. „Du warst echt froh, mich zu sehen?“

„Hm.“

„Aber ich bin trotzdem ein Idiot.“

„Bist du!“

Beide grinsten sich an. Dann zeigte Belly auf die Piraten, denen es mittlerweile gelungen war, ein Feuer zu entfachen. „Und was meinst du, was die mit uns machen?“

Shana zögerte. „Ich glaube nicht, dass sie uns etwas tun werden. Dieser Käptn ist in Ordnung.“

„Er ist `n Pirat“, brummte Belly.

„Aber er hat ein gutes Herz“, beharrte Shana.

„Leute, die andere überfallen und ausrauben, haben kein gutes Herz.“

„Und was ist mit Robin Hood?“

„Das ist was anderes.“

„Belly …“

„Schon gut. Ich weiß, ich bin ein Idiot!“

Shana lachte schallend. Doch gleich darauf wurde sie wieder ernst. „Belly, wir können es nicht mehr ändern, dass du die Traumfarbe vergessen hast. Aber wir leben. Ist doch immer noch besser, als tot zu sein, oder?“

Belly nickte heftig. Im gleichen Moment ertönten laute Rufe. Die Köpfe der beiden Kinder flogen herum. Die Piraten hatten sich rund um das Lagerfeuer niedergelassen, und der Käptn, der wieder zu seinen Männern gestoßen war, winkte sie zu sich.

„Los, kommt, Kinder! Hier gibt’s was zu futtern!“

Die beiden schauten sich kurz in die Augen. Dann stand Shana auf, klopfte sich den Sand aus den mitgenommenen Kleidern, und reichte Belly die Hand.

„Na, los, komm!“, grinste sie ihren Freund an. „Es geht zu McStrand! Keine Lust auf einen Piccolosaurierburger?“

Belly verzog den Mund zu einem säuerlichen Grinsen und hievte sich hoch. „Ohne Ketchup und Mayo?“

Der Käptn ließ Shana und Belly neben sich im warmen Sand Platz nehmen. Dann schlug er Belly freundschaftlich auf die Schulter, dass der erschrocken zusammenzuckte.

„Na, mein Junge, so richtig satt werden wirst du wohl heute nicht. Du stammst sicher von feinen Leuten ab, so wohlgenährt, wie du aussiehst, hab ich recht?“

Eine Antwort schien er nicht zu erwarten, denn noch während er sprach, griff er sich den Spieß, den Klaviergebiss ins Feuer gehalten hatte und betrachtete ihn prüfend.

„Gut durch“, brummte er. „Schade, wir haben leider kein Salz, aber wenn man Hunger hat, geht alles rein. Und ein Leguan am Spieß ist eine leckere Sache.“

Belly hatte soviel Hunger wie noch nie in seinem Leben, aber der Anblick des Monsters am Spieß ließ ihn schaudern. Trotzdem konnte er sich eine Bemerkung nicht verkneifen.

„Salz kann man aus Meerwasser gewinnen. Man braucht nur ein paar Liter in einen Topf zu geben und von der Sonne verdunsten zu lassen.“

Der Typ mit dem Klaviergebiss war sichtlich sauer, dass er seinen Braten hatte abgeben müssen und ließ seinen Ärger an Belly aus.

„Ach ja, du Schlaumeier? Siehst du hier vielleicht irgendwo einen Topf? Du feiner Pinkel hast doch noch nie in deinem Leben richtig geschuftet, hab ich recht? Du bist rundgefuttert wie ein Mastschwein, trägst Klamotten, die ich noch nie gesehen hab und eine dämliche Frisur, die sich nur Reiche einfallen lassen können. Wenn du so schlau bist, dann mach doch Salz!“

„Bennie, lass ihn in Ruhe“, sagte der Käptn gefährlich leise. „Du kriegst ja ein Stück ab, hier wird gerecht geteilt. Das tun wir doch immer. Oder, Männer?“

Die übrigen Männer murmelten zustimmend. Der Käptn grunzte zufrieden. Dann zog er einen Dolch aus seinem Gürtel und machte sich daran, den Leguan zu zerlegen. Mit großen Augen sahen Shana und Belly zu, wie er mit einem schnellen Schnitt den Kopf vom Rumpf abtrennte und weit hinter sich ins Meer warf. Dann löste er die Beine ab und legte sie nacheinander auf einen flachen Stein. Schließlich blieb nur der makabre Körper des Tieres übrig. Der Käptn stieß den Spieß hinein und gab den Rumpf Bennie zurück.

„Hier, bedien dich. Das ist mehr als gerecht, findest du nicht?“

Der Pirat grummelte ein paar Dankesworte, die er dem Käptn schuldig war, nahm den Spieß entgegen, schlug die Zähne in das Fleisch und riss ein Stück heraus. Shana schluckte, denn sie ahnte, was gleich kommen würde. Der Käptn beugte sich zu ihr herunter und flüsterte ihr ins Ohr.

„Der ist nun mal etwas einfältig, was soll ich machen? Aber er hat starke Arme. Ich brauche ihn. So, und jetzt kriegst du auch was!“

Ehe Shana sich versah, langte der Käptn hinüber und griff sich zwei der Leguanschenkel. Freudestrahlend hielt er sie den Kindern hin. „Los, langt zu! Morgen gibt es viel Arbeit, da müsst ihr Kraft haben!“

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9783738078831
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