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Shana schaute Belly mit großen Augen an. Der nickte unmerklich mit dem Kopf und formte mit den Lippen lautlos zwei Wörter.

Du musst!“

Widerstrebend nahm Shana einen der Schenkel und roch vorsichtig daran. Der Käptn grinste von einem Ohr zum anderen.

„Keine Sorge, frischeres Fleisch hast du noch nie gegessen! Nur zu, du wirst sehen, du willst nie wieder was anderes haben!“

Shana fand, dass es gar nicht schlecht roch. Und wenn man das Bein ohne den Rest des Tieres in der Hand hatte, sah es beinahe so aus wie eine große Hühnerkeule. Sie gab sich einen Ruck und biss hinein. Verblüfft bemerkte sie, dass es beileibe kein zähes Fleisch war, sondern richtig zart und saftig schmeckte. Irgendwie tatsächlich wie Hühnchen. Jetzt war der Bann gebrochen, und hungrig machte sie sich über den Leguan her.

„Siehst du“, machte der Käptn zufrieden. „Es geht doch nichts über einen knusprigen Leguan!“ Mit diesen Worten reichte er Belly die zweite Keule. Seufzend nahm er sie entgegen.

Shana grinste Belly an und formte nun ihrerseits lautlos zwei Wörter.

Du musst!“

Belly lächelte gezwungen, aber jetzt blieb ihm nichts anderes übrig. Und auch er stellte fest, dass das exotische Tier gar nicht so schlecht schmeckte. Der Käptn griff sich die letzten beiden Schenkel und begann, sie genussvoll abzunagen.

Als die fünf Echsen verputzt waren, ließen die Männer den Wasserschlauch herumgehen. Das Wasser schmeckte angenehm kühl und beinahe süß. Shana fand, dass es besser schmeckte als alles, was die Multiwand je produziert hatte.

Zum Schluss köpften die Piraten mit ihren Macheten Kokosnüsse, und die Milch in ihnen und das weiße Fruchtfleisch standen dem Wasser in nichts nach. Während die sechs Männer und die zwei Kinder dieses ungewöhnliche Mahl zu sich nahmen, senkte sich die Nacht über Death Island. Es ging blitzschnell. Gerade eben hatte Shana bemerkt, dass es dunkler wurde, und Minuten später war die Sonne bereits im Meer versunken und hatte einer stahlblauen Nacht Platz gemacht. Millionen Sterne wölbten sich über ihren Köpfen. Es war ein Anblick, den Shana und Belly noch nie erlebt hatten. Stumm vor Staunen starrten sie mit in den Nacken gelegten Köpfen in den Himmel.

„Die Sterne sind unser Schicksal“, sagte der Käptn leise. „Sie führen uns meistens auf den rechten Weg, manchmal aber auch ins Verderben. Wenn sie keine Lust haben, uns zu führen und sich Wolken überziehen, fahren wir in die Irre oder auf Grund. Aber trauen kann man ihnen.“ Er grinste. „Jedenfalls mehr als Bennie.“

Belly bemerkte, dass sich die anderen Männer vom Feuer zurückzogen und sich etwas abseits zum Schlafen hinlegten. Der Käptn folgte Bellys Blick.

„Lass sie schlafen. Morgen gibt es genug Arbeit. Wir müssen sehen, dass wir aus dem Beiboot ein kleines Segelboot machen. Und wenn das Wetter günstig ist, hauen wir von hier ab.“

„Und … und …“, stammelte Belly.

„Und euch nehmen wir mit!“, grinste der Käptn. „Ich bin kein Unmensch. Ihr denkt, weil ich ein Piratenkapitän bin, schneide ich jedem die Kehle durch? Da seid ihr auf dem Holzweg. Käptn Black Sam Bellamy hat noch niemanden einfach so ermordet.“

Belly fuhr hoch. „Black Sam Bellamy? Der feine Bellamy?“

Der Käptn zog die Brauen hoch. Im ersten Moment dachte Belly, der Mann würde wütend auffahren, aber dann grinste Bellamy von einem Ohr zum anderen.

Der Feine? So nennen sie mich?“

„Na ja“, wand sich Belly. „In den alten Aufzeichnungen steht, dass Käptn Black Sam Bellamy anders war als andere Piraten. Er soll seine Leute gleichberechtigt behandelt haben, egal, welche Hautfarbe sie hatten. Und er hat nur Jagd auf Schiffe gemacht, die Gold aus dem Sklavenhandel transportierten. Es heißt, er hasste die Sklaverei, und auf seinem Schiff waren Schwarze genauso viel wert wie Weiße. Und …“ Belly grinste nun ebenfalls. „… na ja, er soll feine Klamotten getragen haben. Deswegen hieß er wohl der feine Bellamy.“

„Was heißt hier hieß?“, grunzte der Käptn. „Ich lebe noch! Und was meinst du mit alte Aufzeichnungen? Der Untergang meines Schiffes ist erst drei Monate her. Und woher weißt du soviel über mich? Kaum jemand kennt mich.“ Bellamy beugte sich vor und fixierte Belly, der dem Blick aber standhielt. „Sag mal, bist du ein Spion?“

„Ich bin kein Spion!“, entfuhr es Belly empört. „Ich weiß nur alles über Piraten und Schiffe. Ich wollte immer übers Meer fahren. Davon hab ich schon als kleiner Junge geträumt. Aber es gibt bei uns keine Schiffe, also hab ich alles über die Piraten und Entdecker gelesen, was ich kriegen konnte.“

„Hm“, machte Bellamy und kratzte sich gedankenverloren am Kopf. „Und wieso wart ihr auf der Adventure? Du siehst nicht aus wie ein Matrose. Und du schon gar nicht!“, meinte er zu Shana gewandt.

„Wir …“, wollte Belly beginnen, doch Shana fuhr ihm ins Wort, ehe er etwas Falsches sagen konnte.

„Wir waren so etwas wie blinde Passagiere. Wir … wir sind von zu Hause abgehauen. Wir dachten, wenn wir erst weit genug auf dem Meer sind, wird man uns nicht zurückbringen.“

„Und ihr habt geglaubt, wir würden euch schon durchfüttern?“, fragte Black Sam verblüfft. „Ausgerechnet auf einem Piratenschiff müsst ihr euch verstecken?“

„Die Adventure ist kein Piratenschiff“, sagte Belly mit fester Stimme. „Sie ist ein englisches Handelsschiff. Wir wussten doch gar nicht, dass ihr auf der Adventure seid.“

Der Käptn schüttelte belustigt den Kopf. „Du kannst besser lügen als Bennie! Mein lieber … wie war noch dein Name … Belly, du kannst mir doch nicht erzählen, dass ihr euch an Bord der Adventure geschlichen, mindestens zwei Wochen unter Deck ausgeharrt, und euch dann erst gezeigt habt, als wir untergingen! Junge, das glaubt dir keiner. Wir haben die Adventure vorgestern auf hoher See gekapert. Und zwar nachts.“ Er grinste. „Mit unserem uralten wurmstichigen Kahn aus Jamaika haben wir diese phlegmatischen Aristokraten überrascht. Es gab keine Gegenwehr. Unsere englischen Freunde waren ein bisschen … sagen wir … verschlafen. Dann haben wir den alten Kahn gegen die Adventure getauscht. Die Engländer werden sich bis an ihr Lebensende schämen, dass sie mit der alten Buddelkiste statt der Adventure zurückkommen. Und die Adventure war kein englisches Handelsschiff, mein Junge mit der komischen Frisur, sondern ein englisches Kriegsschiff. Also, was ist jetzt, erzählst du mir die wirkliche Geschichte?“

Shana sah, wie Belly sich wand und nicht wusste, was er sagen sollte. Sie beschloss, das Heft in die Hand zu nehmen.

„Käptn Bellamy“, sagte sie fest, „was er sagt, ist wahr. Es ist schwer zu glauben, aber von zu Hause fort sind wir wirklich. Wir wollten ja zurück, aber mit einem Mal ging es nicht mehr. Ich darf nicht alles erzählen, aber auf die Adventure sind wir wirklich heimlich gekommen. Wir gehören nicht zu den Engländern, ganz bestimmt nicht. Bitte glauben Sie mir, dass wir nicht lügen, aber manche Sachen darf man einfach nicht erzählen. Das ist so wie ein Piratenschwur.“

Der Käptn streckte die Beine im Sand aus, lehnte sich auf beide Ellenbogen und schaute hinauf in die Sterne. Das Feuer brannte langsam herunter, und je weniger Licht es verbreitete, desto mehr Sterne erschienen am Himmel. Shana hätte nie für möglich gehalten, dass es tatsächlich so viele gab. Eine Weile schwieg der Pirat. Im Dickicht am Saum des Ufers ertönten unheimliche Tierstimmen, die Shana und Belly eine Gänsehaut verursachten, aber Black Sam achtete nicht darauf.

„Ich glaube dir“, sagte er schließlich leise, und obwohl sie ihn nicht genau wahrnehmen konnte, meinte Shana, ihn lächeln zu sehen. „Jemandem, der mich den feinen Bellamy nennt, kann ich nicht böse sein. „Es klingt zwar alles unlogisch, aber irgendwie müsst ihr ja auf das Schiff gekommen sein. Und meine Feinde seid ihr wahrlich nicht. Ihr seid gute Kinder, das spürt man.“

Darauf wussten Shana und Belly nichts zu antworten. Shana gähnte herzhaft, und sofort fiel Belly ein.

„Zeit zum Krabben abhorchen!“, lachte der Käptn. „Lasst uns ein weiches Plätzchen suchen. Morgen müssen wir uns ranhalten. Ich will nicht ewig auf dieser Insel hocken.“

Bellamy erhob sich und begann, Sand auf das Feuer zu schütten, das in einer Rauchwolke erstarb. Shana und Belly standen ebenfalls auf, aber Belly hatte noch etwas auf dem Herzen.

„Sagen Sie, Käptn Bellamy …“

„Ja?“

„Was ist aus der Whyla geworden?“

Der Käptn schnaufte belustigt. „Du weißt doch alles über mich! Sag du es mir!“

Shana sah im Dunkeln irritiert von einem zum anderen. „Wer oder was ist die Whyla?“

„Das ist das Schiff, mit dem Black Sam Bellamy berühmt wurde.“ Belly war hörbar stolz zu erzählen, was er wusste. „Die Whyla war ein Dreimaster, der bis oben hin mit Gold aus dem Sklavenhandel gefüllt war. Und Black Sam hat sie gekapert. Das muss so 1716 gewesen sein. Aber dann soll die Whyla in einen schweren Hurrikane geraten und gesunken sein. Danach hat man nie mehr etwas von Bellamy gehört.“

„Na ja“, grinste der Käptn. „So lange ist das ja nun auch noch nicht her. Ich weiß zwar nicht, woher du das hast, aber es stimmt. Unser bestes Schiff, das wir je hatten, ist in dem Sturm untergegangen. Das war übrigens nicht weit von hier. Gott sei Dank, sonst wäre es mit dem feinen Bellamy tatsächlich zu Ende gegangen.“

Nach diesen Worten stapfte der Käptn den Sand hoch zu seinen Leuten, die schon längst tief und fest schliefen. Shana und Belly blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Sie ließen sich im weichen Sand nieder, der immer noch warm war. Shana hoffte, dass es nachts nicht kalt wurde, denn sie hatten nichts, womit sie sich hätten zudecken können. Der Käptn rollte sich in eine bequeme Lage, aber Belly hatte noch eine letzte Frage.

„Und was ist … was ist mit dem Gold passiert?“

„Doch ein Spion?“, grunzte der Käptn.

„Nein, ich bin kein Spion!“, rief Belly. „Aber alle Welt will wissen, ob es mit der Whyla untergegangen ist oder ob …“

„Oder ob ich’s noch habe?“

„Sie müssen’s ja nicht sagen“, meinte Belly und legte sich ebenfalls wohlig seufzend in den Sand. „Ich will ja gar nicht wissen, wo es ist, nur, ob es versunken ist oder nicht.“

Der Käptn antwortete nicht. Minuten verstrichen, und Belly hatte sich damit abgefunden, dass er keine Antwort bekam. Gerade, als er in den Schlaf hinüberdämmerte, sprach der Käptn doch noch.

„Keine Sorge, lieber Freund mit der komischen Frisur“, kam seine Stimme aus dem Dunkeln. „Black Sam Bellamy bringt seine Beute in Sicherheit, bevor er untergeht.“

*

Shana erwachte vom rhythmischen Rauschen der Wellen. Sie spürte die Sonne auf ihrem Rücken brennen, und als sie sich vorsichtig bewegte, registrierte sie, wie verkrustet ihre Kleidung war. Kein Wunder, hatte sie doch eine Seeschlacht und Meerwasser überstehen müssen. Sicher sahen ihre schönen Sachen jetzt nicht viel anders aus als die der übriggebliebenen Mannschaft von Käptn Bellamy.

Shana blinzelte durch die verschlafenen Lider und schaute direkt in ein paar glotzende Stielaugen. Mit einem Aufschrei fuhr sie hoch. Im Bruchteil einer Sekunde waren die Stielaugen mitsamt ihrem Besitzer in einem kleinen Sandloch verschwunden.

Neben sich hörte Shana jemanden kichern. „Das sind Winkerkrabben!“, lachte Belly. „Schau dich mal um, hier gibt’s Hunderte davon!“

Verblüfft sah Shana, dass Belly recht hatte. Neben ihr, hinter ihr, vor ihr, einfach überall guckten Stielaugen aus dem Sand. Da, wo keine Gefahr drohte, waren die Krabben aus ihren Löchern gekrabbelt und stolzierten umher. Viele von ihnen wedelten mit einer großen Schere in der Luft umher, dass es tatsächlich so aussah, als würden sie winken.

Shana musste nun auch lachen. „Das sieht ja lustig aus! Woher weißt du, dass sie Winkerkrabben heißen?“

„Hat mir Black Sam gesagt. Hier, schau, er hat uns ein paar Kokosnüsse gebracht. Die anderen Männer bauen Ausleger für das Beiboot und einen Mast. Und wenn wir fertig sind mit frühstücken, sollen wir die Reusen bauen.“

„Und womit?“

Belly deutete auf ein paar Palmwedel, die wenige Meter von ihnen entfernt im Sand lagen.

„Damit. Und wenn es nicht reicht oder wir noch Äste brauchen, können wir ein paar aus dem Busch schlagen. Der Käptn hat uns sogar zwei Buschmesser dagelassen.“

„Ich muss erstmal“, sagte Shana und stand auf. Sie wunderte sich, wie unternehmungslustig ihr dicker Freund war. Schließlich hatte er noch vor drei Tagen nahezu bewegungslos zu Hause oder bei McBeam rumgehangen. Aber vielleicht war das Abenteuer genau das, was Belly gebraucht hatte. Sie bemerkte, dass Belly barfuß lief und schaute an sich herunter. Ihre Schuhe hatten alle Farbe eingebüßt. Vollkommen zerkratzt, fleckig und unansehnlich passten sie zwar zum Rest ihres Outfits, aber hier auf dieser Insel waren sie so nutzlos wie Nagellack. Sie streifte sie von den Füßen und genoss das Gefühl des warmen Sands zwischen den Zehen. Dann begab sie sich zum Saum des Buschwerks, suchte sich eine Lücke und verschwand darin, um das zu machen, was man eben auch auf einer Insel machen muss.

Als sie fertig war, bemerkte sie einen Pfad, der ins Innere der Insel führte. Den musste gestern der Typ mit dem Klaviergebiss benutzt haben, als er den Wasserschlauch und Äxte besorgt hatte. Irgendwo hier mussten die Piraten ein Lager angelegt haben.

Sie beschloss, Belly von dem Pfad zu erzählen. Der hatte sich bereits in den Schatten einer Palme gesetzt und bearbeitete die Kokosnüsse mit einer Machete.

„Gar nicht so einfach“, murmelte er und versuchte, eine der harten Nüsse zu knacken ohne sich dabei einen Finger abzuhacken. Shana setzte sich neben ihn und warf einen Blick in den Wipfel der Palme, an der eine Menge Kokosnüsse hingen.

„Lass uns ein Stück beiseite rücken“, sagte sie und stieß ihren Freund an. „Sieh mal da hoch. Wenn uns eine von denen auf den Kopf fällt …“

Als Belly die Gefahr entdeckt hatte, rückte er hastig ein Stück zur Seite. Endlich schaffte er es, ein Stück der Kokosnuss abzuschlagen und hielt Shana die Nuss strahlend hin.

„Hier, für dich. Frühstück und Saft zugleich!“

„Danke. Belly. Da hinten führt übrigens ein Weg ins Innere der Insel.“

Bellys Augen blitzten auf. „Der führt bestimmt zu der Stelle, von der dieser Bennie gestern die Sachen geholt hat. Das muss ich mir ansehen!“

Kaum hatte er ausgesprochen, war er schon auf den Beinen und schickte sich an, seine Ankündigung in die Tat umzusetzen. Aber Shana hielt ihn zurück.

„Warte! Die Männer werden sauer, wenn du ihren Geheimweg benutzt! Ich glaube, das würde auch Bellamy nicht gefallen.“

„Da liegt doch kein Schatz“, brummte Belly. „Das ist doch nur ein Lager. Sieh mal, Shana, die sind alle total beschäftigt. Das merkt doch keiner, wenn ich mal weg bin. Ich bleibe nur zehn Minuten, okay? Wenn jemand fragt, bin ich halt auch auf dem Klo, so wie du.“

Shana sah hinüber zu den Männern, die kleinere Baumstämme aus dem Busch schleppten und am Strand ablegten. Es sah wirklich so aus, als würden sie die nächste Zeit alles andere zu tun haben, als sich um Kinder zu kümmern.

„Zehn Minuten, mehr nicht, okay?“

„Okay.“

Belly versicherte sich, dass niemand auf ihn achtete und schlenderte dann hinüber zu der Stelle, an der Shana vorhin verschwunden war. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, bog er das Buschwerk beiseite, schwenkte die Machete, die er mitgenommen hatte, und tauchte in das Dickicht ein.

Shana blickte ihm mit einem mulmigen Gefühl hinterher. Dann nahm sie die zweite Machete auf, die der Käptn ihnen dagelassen hatte und versuchte, noch eine Kokosnuss aufzukriegen. Sie hatte immer noch Hunger und vor allem Durst. Sie schüttelte den Kopf. Belly hatte nicht einmal von seiner Nuss gekostet. Dabei müsste er doch eigentlich vor Hunger umkommen. Anscheinend ging er völlig in seiner Piratenrolle auf. Zu ihrer Überraschung gelang es Shana, die Nuss mit dem ersten Hieb zu spalten, und gierig fing sie die Kokosmilch mit dem Mund auf. Dann betrachtete sie die Palmwedel und fragte sich, wie man daraus wohl Reusen herstellte. Aber als sie schließlich mit dieser Arbeit begann, war sie vollkommen gefangen davon. Sehne für Sehne trennte sie aus den Blättern und legte sie auf einen Haufen. Sie wusste, wie man einen Korb flocht, komischerweise brachten sie einem das immer noch im Unterricht bei. Das müsste doch bei einer Reuse so ähnlich gehen. Konzentriert arbeitete sie weiter und vergaß für den Moment Belly, der schon weit länger als zehn Minuten im Busch herumwanderte.

*

Belly lief, die Machete krampfhaft umklammert, den Pfad entlang. Konzentriert achtete er darauf, wo er hintrat. Er genoss es, barfuß zu laufen, da ihm seine wunden Stellen dann nicht mehr so wehtaten, aber andererseits war er das Laufen ja gar nicht gewohnt. Der Pfad war zwar gut ausgetreten, aber dennoch musste man scharf aufpassen, dass man nicht in Dornen oder etwas anderes Unangenehmes trat.

Der schmale Weg führte stetig bergan. Nach ein paar Minuten lichtete sich das Dickicht, und Belly hatte einen wunderbaren Ausblick aufs Meer und die Bucht, die unter ihm lag. Befriedigt stellte er fest, dass die Männer immer noch beschäftigt waren. Er musste kurz verschnaufen und schaute sich um. In der Richtung, in die der Pfad führte, erhob sich ein Felsmassiv drohend in die Höhe. Bei dem Anblick schwand sein Forscherdrang beträchtlich. Er wusste, dass er es nie schaffen würde, einen Berg zu erklimmen. Jetzt spürte er auch gewaltigen Hunger. In seinem Bauch rumorte es unablässig. Aber er wollte noch nicht aufgeben. Er gab sich einen Ruck und folgte dem Pfad zu den Felsen.

Nach wenigen Metern wurde der Untergrund fester, um schließlich Felsgestein Platz zu machen, das den Pfad verschluckte. Belly blieb stehen. Hier konnte man unmöglich sehen, wohin sich der Pirat mit dem Klaviergebiss gewendet hatte. Am Ende des kleinen felsigen Plateaus stieg eine Wand aus Gestein empor, die niemand ohne Ausrüstung ersteigen konnte. Mit zusammengekniffenen Augen ließ Belly seinen Blick von links nach rechts wandern. Nichts als Gestein. Nur am Fuße der Felsen dichtes Buschwerk, das wohl Nahrung in Ritzen fand und sich Wasser holte, das von oben heruntertropfte. Belly drehte sich einmal im Kreis. Nichts deutete darauf hin, dass die Piraten einen zweiten Pfad benutzt hatten, der vom Plateau wieder wegführte. Hinter ihm und zu den Seiten hin befand sich nur undurchdringliches Gestrüpp.

Mit einem Mal durchdrang ein Kreischen die Umgebung, und Belly zuckte zusammen. Das war kein Vogel. Das war etwas Größeres. Aber was? Wieder ertönte das Kreischen, dann setzte ein zweites ein, und schließlich schien eine ganze Gruppe von Tieren zu schreien, ehe der Lärm schlagartig aufhörte. Bellys Nackenhaare richteten sich auf. Was zum Teufel war das?

Er zählte bis dreißig, aber es blieb ruhig. Belly beschloss, von hier zu verschwinden. Er war bald eine halbe Stunde weg, und das war für einen Klobesuch bei weitem zu lange. Shana würde schon wütend sein. Gerade wollte er sich umdrehen, um den Pfad zurückzuwandern, als er aus dem Augenwinkel heraus etwas blinken sah. Sein Kopf fuhr herum. Aber die Bewegung war zu schnell. Langsam drehte er den Kopf wieder zurück, und dann sah er es. Nahe der Felsen, dicht vor dem dichten, beinahe mannshohen Gestrüpp lag etwas auf dem Boden, das das Sonnenlicht reflektierte. Neugierig ging Belly darauf zu und hob es auf.

„Oh Mann!“, entfuhr es ihm. Staunend hielt er eine kleine Goldmünze in die Luft und drehte sie nach allen Seiten. Das Portrait eines Mannes war auf der einen Seite zu sehen, während auf der Rückseite etwas eingraviert war. Die Sprache, in der die Schrift gehalten war, kannte Belly nicht. Aber eines war klar: diese Münze bestand aus massivem Gold.

Belly befiel auf einmal eine unglaubliche Anspannung. Er ließ die Münze in einer seiner Hosentaschen verschwinden und blickte sich mit neuer Aufmerksamkeit um. Dann kam ihm eine Idee. Mit Hilfe der Machete schob er die dornigen Büsche beiseite.

„Na, wer sagt’s denn?“, murmelte er zufrieden. „Hier kommt Käptn Black Sam Belly! Ich sollte echt Pirat werden!“

Ein schwarzes Loch gähnte hinter den Büschen im Felsen. Belly überlegte. Er hatte niemanden dabei, der ihm das Buschwerk beiseite biegen und festhalten konnte. Im ersten Moment wollte er die Büsche mit der Machete abschlagen, aber er besann sich eines Besseren. Dies war ein Versteck der Piraten, und sie würden ihn aufknüpfen, wenn sie herausbekämen, dass er die Höhle, die sich offensichtlich hinter den Büschen verbarg, freigelegt hatte. Er musste es anders versuchen.

Mit der flachen Seite der Machete bog er die Dornen soweit zur Seite, dass er sich vorsichtig seitwärts in die entstehende Lücke zwängen konnte. Er musste sich etwas ducken, um in die Öffnung einzutauchen und einen Fuß hineinzustellen. Ächzend beugte er seinen Rücken und schrammte am Felsen entlang. Mit einem Ruck holte er den anderen Fuß nach und zog die Machete zurück. Sofort schloss sich das Gestrüpp wieder hinter ihm.

Vorsichtig richtete er sich auf und starrte in die fahle Dunkelheit. Er atmete tief ein und aus, um sich zu beruhigen. Jetzt schlug ihm das Herz doch bis zum Hals, und der Klumpen im Magen nahm bedrohliche Ausmaße an. Aber er wollte nicht zurück. Niemals. Wie lange hatte er davon geträumt, ein Abenteurer zu sein, hatte sich von der Multiwand all die Ausrüstung machen lassen und im Schrank verstaut. Alles für einen Moment wie diesen. Allerdings hatte er nicht im Traum daran gedacht, was jetzt alles tatsächlich auf ihn zugekommen war.

Langsam gewöhnten sich seine Augen an das wenige Licht, das durch das Buschwerk ins Innere drang. Er erkannte, dass die Höhle hoch genug war, dass er sich aufrichten konnte. Gleich darauf sah er, dass es eine große Höhle war. Und er entdeckte noch etwas. Rechts von ihm steckten zwei Fackeln in einer Halterung.

„Schade“, murmelte er. „Wenn ich ein Feuerzeug dabei hätte …“

Er überlegte nicht lange. Er war schon viel zu lange weg. Andererseits würde sich kaum noch einmal so eine Gelegenheit bieten. Entweder er schaute sich jetzt schnell um oder nie. Langsam die Luft aus den Lungen lassend setzte er einen Fuß vor den anderen und tastete sich in die Höhle hinein. Verblüfft ging ihm auf, dass die Wände bemalt waren. Er trat dichter heran und betrachtete staunend die einfachen Zeichnungen, die unbekannte Künstler vor langer Zeit hier hinterlassen hatten. Es waren Jagdszenen. Offensichtlich jagten Männer mit langen Speeren riesige Antilopen. Belly pfiff leise durch die Zähne. Diese Zeichnungen mussten Tausende von Jahren alt sein.

„Interessiert die Piraten sicher nicht“, murmelte er. „Okay“, fügte er halblaut hinzu. „Noch fünf Schritte in die Höhle rein, dann geh ich zurück.“

Leise zählend ging er weiter in die Höhle hinein. „Eins … zwei … drei … vier … auu!“

Mit dem letzten Schritt war er mit dem nackten Fuß gegen ein Hindernis gestoßen und hatte sich den großen Zeh geprellt. Fluchend bückte sich Belly und rieb gegen den Schmerz an. Gleichzeitig versuchte er zu ergründen, wogegen er gestoßen war. Ein rechteckiger Umriss schälte sich aus dem Dunkel. Dann noch einer. Und noch einer. Vorsichtig tatstete Belly die Umrisse des Gegenstandes ab, gegen den er gestoßen war.

„Eine Kiste!“, flüsterte er ungläubig. „Das sind alles Kisten!“ Er ließ sich auf die Knie nieder und befühlte die Kiste von allen Seiten. An der vorderen befanden sich zwei große Schnappverschlüsse. Belly zögerte nicht und ließ sie aufschnappen. Bei den hallenden Geräuschen zuckte er zusammen und lauschte einige Sekunden. Aber hier drin war niemand, und er war sich auch sicher, dass ihm niemand hierher gefolgt war. Bis jetzt nicht.

Behutsam hob Belly den schweren Holzdeckel an, der quietschend zurückschwang. Er unterdrückte einen Fluch, denn es war zu dunkel, dass er erkennen konnte, was die Kiste enthielt. Notgedrungen langte er mit der Hand hinein. Ein merkwürdiges metallisches Geräusch erklang. Im selben Moment, als seine Finger den Inhalt berührten und dieses Geräusch verursachten, wusste Belly, was sich in der Kiste befand.

„Dreimal gesegnete Affenkacke!“, flüsterte Belly vollkommen baff. „Das sind Münzen!“

Drei, vier Sekunden saß er da, hielt eine Handvoll Münzen in der Hand und dachte fieberhaft nach. Wenn diese Kiste voller Münzen war, dann barg die Höhle nicht nur ein Lager für Decken und Äxte, sondern …

Der Schatz der Whyla!“

Belly fuhr elektrisiert zurück und ließ die Münzen zurück in die Kiste fallen. Wenn das wirklich das Gold der Whyla war, und die Piraten merken würden, dass er es entdeckt hatte, würden sie ihn von der nächsten Klippe werfen. Da half auch ein gutherziger Käptn namens Black Sam Bellamy nicht mehr. Einen Mitwisser würden die Piraten niemals dulden. Er musste zurück. Sofort.

Doch dann fiel ihm siedendheiß ein, dass er den Deckel der Kiste wieder schließen musste. Ein Gedanke zuckte durch seinen Kopf, und er konnte ihm nicht widerstehen. Noch einmal langte er in die Kiste, fingerte eine der Münzen heraus und ließ sie zu der anderen in seine Hosentasche gleiten. Erst danach schloss er den Deckel behutsam und ließ die Verschlüsse sorgfältig wieder einrasten.

„Nichts wie weg!“

Belly griff sich die Machete, die er vorhin auf dem Boden vor der Kiste abgelegt hatte, und machte sich auf den Rückweg. Am Ausgang lauschte er ein paar Sekunden, aber außer einigen Tierstimmen war nichts zu hören. Vorsichtig schob er mit der Machete das Gestrüpp zur Seite und lugte durch die entstehende Lücke. Niemand zu sehen. Als er sich etwas zu hastig durch das Gebüsch zwängte, rutschte die Machete ab und die dornigen Sträucher zerkratzten ihm die Beine.

„Verflucht, verflucht!“, entfuhr es Belly, aber er unterdrückte das Bedürfnis, laut aufzuschreien. Einige der Dornen steckten noch in seiner Haut. Sie besaßen gemeine Widerhaken, und Belly biss die Zähne zusammen, als er einen nach dem anderen rauszog.

Mit blutigen Schrammen übersät machte er sich auf den Rückweg. Er würde sich eine gute Ausrede ausdenken müssen, wenn Bellamy das auffiel. Am besten, er ginge gleich ins Meer baden, um sich das Blut abzuwaschen. Mit allen Sinnen angespannt folgte er dem Pfad zurück, bereit, jeden Moment an einer Biegung ein grimmiges Piratengesicht entgegenkommen zu sehen. Aber mit demjenigen, der dann erschien, hatte Belly zu allerletzt gerechnet.

Beinahe war er am Strand angelangt, da sprang ein braunbehaartes Wesen kreischend direkt vor seine Füße. Belly fuhr der Schrecken in alle Glieder. Aber in der gleichen Sekunde, in der er selbst schreiend davonlaufen wollte, erkannte er, was da vor ihm hockte.

Ein Affe!“

Da war tatsächlich ein kleiner Affe vor ihm auf den Weg gesprungen. Neugierig hockte er vor ihm und schaute ihn mit wachen Augen an.

Belly lächelte. „Na, hast du dich genauso erschreckt wie ich?“

Als er Bellys Stimme hörte, schrak der kleine Kerl zusammen und schoss wie der Blitz wieder zurück ins Unterholz. Belly hörte es rascheln, und dann sah er, wie das Äffchen eine Art Gummibaum erklomm und flink in die Höhe kletterte.

„Schade“, sagte Belly bedauernd. „Das wär doch der Hammer gewesen, wenn ich einen Affen auf meiner Schulter mitgebracht hätte.“

Er warf noch einen letzten Blick in die Wipfel der Bäume, dann machte er, dass er zurück zu Shana kam. Als er den Saum des Buschwerks erreichte, hielt er einen Moment inne, um die Lage zu sondieren. Hatte man sein Verschwinden bemerkt? Und was war mit Shana? Oh Mann, die würde verdammt wütend sein. Doch Bellys Gedanken wurden jäh in eine andere Richtung gelenkt, als er sah, was sich am Strand abspielte.

Die Piraten und auch Shana standen laut diskutierend am Strand und betrachteten offensichtlich etwas, was ans Ufer gespült worden war. Es sah aus wie ein Bündel alter Sachen. Shana schien unbedingt zu dem Bündel zu wollen, aber zwei der Männer hielten sie zurück. Belly konnte erkennen, dass Black Sam Bellamy sich hinunterbeugte und versuchte, das Ding anzuheben. Es schien jedoch zu schwer. Klaviergebiss sprang hinzu und half seinem Käptn, den Sack vollends an Land zu ziehen.

Belly beschloss, dass das der beste Moment war, um unbemerkt aus dem Gebüsch zu treten und sich wieder unter die Leute zu mischen. Mit bemüht unbeteiligtem Gesicht kam er aus dem Dickicht hervor und schlenderte zum Ufer. An der Palme, unter der sie vorhin gesessen hatten, hielt er kurz an und warf die Machete in den Sand. Er registrierte, dass es Shana tatsächlich geschafft hatte, zwei ganz passable Reusen zu flechten, bevor er sich zu den heftig diskutierenden Männern ans Ufer begab. Weder Shana noch die Männer nahmen Notiz von ihm. Sie standen allesamt um den merkwürdigen Lumpensack herum, und zu Bellys Erstaunen redeten sie unentwegt auf ihn ein.

Und dann sah er, dass sich das Bündel bewegte. Das war kein Lumpensack. Das war ein Mensch! Jemand war ans Ufer gespült worden. Und er war ganz offensichtlich noch lebendig. Voller Neugier drängte sich Belly neben Shana, die ihn heftig am Handgelenk packte, als sie erkannte, wer da neben sie trat. Belly wollte zu einer Entschuldigung ansetzen, aber Shana schüttelte nur unwirsch den Kopf und deutete wortlos auf denjenigen, der da vor ihnen im Sand lag und mühsam versuchte, auf die Beine zu kommen. Belly betrachtete den Mann und konnte nichts Besonderes an ihm finden.

„Was ist denn?“, fragte er Shana. „Ist doch nur `n weiterer Pirat.“

„Nein“, zischte Shana, und Belly merkte, wie aufgeregt sie war. Sie zog Belly zu sich heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Das ist kein weiterer Pirat. Das ist Rufus. Der Maler der Traumbilder!“

*

Rufus lag mit dem Rücken an den Stamm einer Palme gelehnt im Sand und schlürfte begierig das Wasser aus der ausgehöhlten Kokosnuss, die Shana ihm hinhielt. Käptn Black Sam Bellamy, der Rest seiner Mannschaft und auch Belly standen im Halbkreis um ihn herum und musterten ihn neugierig. Rufus sah wahrhaft mitleiderregend aus. Seine eingefallenen Wangen waren mit Bartstoppeln übersät, Arme und Beine salzverkrustet, und seine Haare klebten im Gesicht. Sein Hemd und die halblange Hose hingen in Fetzen an ihm. Wenn man ein paar Schritte zurückging, konnte man ihn tatsächlich für ein lebloses Bündel halten. Aber je mehr Wasser er trank, desto mehr Farbe kehrte in sein Gesicht zurück. Seine Augen wurden klar, und schließlich richtete er sich auf und lehnte sich bequemer an den Stamm.

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9783738078831
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