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Kapitel 5

Bum … buuumm … bumm, bumm, bumm …

Shanas Bewusstsein war abgetaucht in tiefes Schwarz. Nur ganz langsam kam sie wieder zu sich. Das erste, was sie wahrnahm, waren Kopfschmerzen. Es pochte hinter ihren Schläfen, dumpf und unregelmäßig. Als ihr Geist sich wieder an die Oberfläche gekämpft hatte und sie die ersten klaren Gedanken fassen konnte, verkrampfte sie sich unwillkürlich. Die Erinnerung schoss wie ein Sturzbach durch den Nebel der Benommenheit. Sie war in das Traumbild hineingezogen worden! Sie schluckte. Schlieren tanzten vor ihren geschlossenen Augen, und sie kämpfte mit sich, sie zu öffnen. Aber noch war sie nicht soweit. Ihr Herz pochte rasend schnell. Und dann kam ihr eine Erkenntnis.

Bum … bumm … bumm … bumm …

Was da pochte, waren keine Kopfschmerzen! Was war das? Und … wo war sie?

Shana nahm all ihren Mut zusammen und schlug die Augen auf. Ungläubig starrte sie auf ein geflochtenes Muster aus Draht, durch das sich eine schmuddelige Matratze abzeichnete. Das Ganze befand sich nicht mehr als 20 Zentimeter von ihrer Nase entfernt. Shanas Gedanken überschlugen sich. Das war ein Bett! Zweifellos lag auch sie auf einer Matratze. Also musste sie sich in einer Art Doppelstockbett befinden. Die andere Matratze war unangenehm nah über ihr und erzeugte ein beengendes Gefühl. Das war aber nicht das Schlimmste. Shana war kurz davor, Panik zu bekommen. Rufus Bild hatte sie einfach eingesaugt, so wie Belly vorher. Sie musste sich zwingen, die aufkommende Übelkeit zu unterdrücken. War sie noch Shana oder wie sah sie jetzt aus? Hatten sich alle ihre Moleküle wieder an die richtige Stelle gesetzt? Sie probierte, ihre Finger zu bewegen und stellte erleichtert fest, dass es ging. Sie konnte den Stoff der Matratze fühlen. Shana tat einen tiefen Atemzug und nahm einen merkwürdigen, aber nicht unangenehmen Geruch wahr. Ein wenig wie angegorenes Obst. Langsam, ganz langsam, drehte sie ihren Kopf nach rechts. Was sie erblickte, ließ sie verblüfft zusammenzucken. Das Doppelstockbett befand sich augenscheinlich in einem einfach gehaltenen Zimmer. Die Wände waren weiß getüncht, der Boden bestand aus Naturstein. Ein niedriger Tisch stand auf ihm, und um ihn herum drei Stühle. Auf dem Tisch stand eine Schale mit nicht mehr ganz frischem Obst, von dem offensichtlich der Geruch stammte, der den Raum beherrschte. Das alles war nicht außergewöhnlich, wenn man mal davon absah, dass alles irgendwie eine Nummer zu klein war. Aber es gab durchaus etwas Außergewöhnliches, und das saß in einem der drei Stühle und starrte Shana mit großen, neugierigen Augen an. Es war ein Tier. Es sah aus wie ein Schimpanse und war auch in etwa so groß wie einer. Nur … Shana musste unwillkürlich grinsen. Der Affe war nackt! Nicht ein Härchen bedeckte seinen Körper. Shanas Gedanken schwirrten. Sie lag in einem winzigen Bett in einem Haus, in dem ein nackter Affe hockte. Na toll. Vorsichtig und so langsam wie möglich hob Shana ihre Beine an und ließ sie über die Bettkante auf den Boden sinken. Unverwandt starrte der Affe sie an, und Shana schien es, als würde er schmunzeln. Als sie ihren Körper aus dem niedrigen Bett geschält hatte, ließ sie sich in die Hocke nieder und betrachtete das Tier. Sie musterte es von oben bis unten und entschied, dass keine Gefahr von ihm auszugehen schien. Plötzlich bemerkte sie, dass der Affe ein Männchen war und schaute schnell peinlich berührt weg. Es war zwar nur ein Tier, aber der guckte sie so komisch an, dass sie beinahe meinte, er könne Gedanken lesen.

„Ich finde das gar nicht lustig“, meinte der Affe. „Ich meine, ich hätte auch lieber was an, aber der große Schöpfer hat uns keine Klamotten gegeben. Und die Katongis fressen unsere Haare auf, sonst hätte ich ein Fell, und es müsste dir nicht peinlich sein, mich anzuschauen.“

Shana fuhr unwillkürlich zurück, verlor das Gleichgewicht und kippte aus der Hocke auf den Po.

Du kannst sprechen …?, flüsterte sie fassungslos. „Du bist kein Affe?“

„Was ist ein Affe?“, fragte ihr Gegenüber, erhob sich aus dem kleinen Sessel, machte einen Satz und kam federnd vor Shana auf dem Boden auf. Dann setzte sich dieses Wesen Shana direkt gegenüber und hielt den Kopf schief.

„Was ist ein Affe?“, fragte es noch einmal. „Ich bin kein Affe. Ich bin ein Goshi. Der große Schöpfer hat uns Goshis genannt. Also bin ich ein Goshi.“

Shana merkte gar nicht, dass ihr der Mund offenstand. Da saß ein nackter Affe und unterhielt sich mit ihr! Nein, korrigierte sie sich schnell. Das war ganz bestimmt kein Affe. Dieses Wesen sah einem Affen nur ähnlich. Genau betrachtet, besaß der Goshi auch nicht so lange Arme wie ein Schimpanse, und Hände und Füße ähnelten mehr denen eines Menschen als denen eines Affen.

„Du bist kein Affe“, murmelte sie. „Aber du bist lebendig und kannst reden. Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Ich bin in ein Traumbild gezogen worden, und jetzt träume ich wahrscheinlich. Wieso kannst du meine Sprache? Und wer ist der große Schöpfer? Und die Katongis? Und wo bin ich hier? Wie heißt eure Welt eigentlich?“

Der Goshi verzog nachdenklich das Gesicht, was bei einem Wesen wie diesem komisch aussah. Aber Shana war nicht zum Lachen zumute.

„Was ist eine Welt? Nennt ihr das, wo ihr lebt, so?“ Der Goshi machte eine umfassende Geste. „Das hier ist mein Haus, in dem ich mit meiner Frau Goshi lebe, da draußen gibt es Felder, einen Wald und einen Berg, in dem die Katongis leben. Und wenn man weiter läuft, kommt das große Schwarz. Da ist alles zu Ende.“

Shana schüttelte den Kopf. „Das glaub ich einfach nicht. Warum kannst du meine Sprache?“, wiederholte sie.

„Warum kannst du meine Sprache?“, antwortete der Goshi.

Darauf wusste Shana keine Antwort.

„Vielleicht haben wir denselben Schöpfer?“, murmelte ihr neuer Freund. Doch ehe Shana darüber nachdenken konnte, durchfuhr sie ein Gedanke, der weit wichtiger war.

„Hast du einen Jungen gesehen?“, entfuhr es ihr. „Ungefähr so groß wie ich, nur ein wenig … nun ja …“

„Dicker?“, grinste der Goshi.

„Hm, genau.“

„Dreh dich mal um.“

Shana fuhr herum und sprang auf die Füße. Belly lag auf der oberen Matratze des Doppelstockbettes und machte in eben dem Moment die Augen auf, als Shana einen glücklichen Schrei ausstieß und mit einem Satz bei ihm stand.

„Wa … wa … was … wo …?“

„Wach auf, Belly! Ich bin´s, Shana! Ich bin dir hinterher gesprungen! Du lebst noch! Es ist alles gut! Du bist in Goshihausen bei den Goshis!“

„Was bin ich? Wo bin ich? Bist du noch ganz dicht?“ Belly richtete sich vorsichtig auf und versuchte, seine Benommenheit abzuschütteln. Er ließ die Füße vom Bett baumeln, und dann fiel sein Blick auf den nackten Goshi.

„Hey, das ist eins der Monster aus dem Bild!“, entfuhr es ihm.

Der Goshi richtete sich zu seiner vollen Höhe von gut einem Meter dreißig auf und stemmte die Arme in die Seiten.

„Ich bin kein Monster, ich bin ein Goshi! Und wenn du weiter so unfreundlich bist, mach ich die Tür auf, und du kannst rausgehen zu den Katongis! Nicht zu glauben, da schleppen wir dich rein, um dich vor den Haarfressern zu retten, und dann nennst du mich zum Dank ein Monster!“

„Tschuldige“, grunzte Belly, der sich erstaunlich schnell erholte und nicht so lange wie Shana brauchte, um mit der Situation klarzukommen. Er ließ sich vorsichtig vom Bett herunter, gesellte sich zu Shana und dem Goshi und reichte diesem die Hand.

„Ich heiße Belly. Ich wollte dich nicht ärgern. Du bist bestimmt kein Monster. Ich finde dich nett. Wahrscheinlich hab ich die anderen auf dem Bild gesehen, wie hast du sie noch genannt … Kotangis?“

„Katongis!“, grinste der Goshi und schlug ein, was ein wenig merkwürdig aussah, weil die kleine Hand vollkommen von Bellys fleischiger Pranke verschluckt wurde. „Sie heißen Katongis, und sie fressen Haare.“ Der Goshi blickte verlegen an sich herunter. „Deswegen sehe ich auch so aus.“

Belly bekam große Augen. „Die fressen Haare?“

„Hm.“

„Aber warum? Gibt es sonst nichts zu fressen?“

Das kleine, verletzlich aussehende Wesen schien mit einem Mal unsicher. Doch ehe es antworten konnte, ertönte dasselbe Geräusch, das Shana gehört hatte, als sie erwacht war.

Bumm … bumm, bumm … bumm …

Belly und Shana fuhren gleichzeitig herum. Shana hielt den Atem an. Eine Gänsehaut strich ihren Rücken hinunter. Das Geräusch kam von einer etwa einen Meter fünfzig hohen Tür, die die Eingangstür des Hauses der Goshis zu sein schien.

„Was ist das?“, krächzte Belly.

„Sie wollen rein“, meinte der Goshi trocken. „Sie haben Hunger. Sie haben eure Haare gerochen, und wenn sie euch nur eine Minute zu fassen kriegen, seht ihr genauso aus wie ich.“

Shana trat einen Schritt zurück und fuhr sich unwillkürlich durch ihre dichten Locken.

„Seid froh, dass ihr nur da oben Haare habt und kein Fell wie ich! Ihr habt wenigstens was zum Anziehen, aber wir haben ja nur unser Fell. Mir ist ständig kalt, und bis mein Fell nachwächst, dauert es Monate!“

„Das tut mir leid“, murmelte Belly. „Dann könnt ihr ja nie rausgehen! Gibt es überhaupt noch welche von euch, die ein Fell haben?“

„Ja, ein paar, aber die müssen solange drin bleiben, bis es vollkommen dunkel ist. Im Dunkeln können die Katongis nicht gut sehen und ziehen sich in ihren Berg zurück. Nachts können wir raus und nach unseren Feldern sehen.“

„Ich verstehe das nicht“, sagte Shana. „Warum fressen die nur Haare? Ich meine, die wachsen doch nicht auf Bäumen und man kann sie nicht anbauen. Das macht doch keinen Sinn. Und wenn sie euch allen das Fell abgefressen haben, müssen sie doch verhungern.“

Bumm … bumm …

„Deswegen sind sie ja auch so wild.“ Der Goshi drohte wütend mit der Faust in Richtung Tür. „Nachdem sie fast alle von uns kahlgefressen haben, gibt es nicht mehr viel für sie.“

„Leben hier denn keine anderen Tiere?“, fragte Belly. „Wildschweine, Rehe oder so? Denen können sie doch auch das Fell abfressen.“

„Was sind Tiere?“, fragte der Goshi.

„Na … Lebewesen“, meinte Shana. „So wie du und wie wir.“

„Ach so. Nein, hier gibt es nur uns Goshis und die Katongis. Der große Schöpfer wollte halt nur uns und die Haarfresser erschaffen.“

„Aber das verstehe ich immer noch nicht.“ Shana schüttelte den Kopf. „Wo sollen sie denn dann die Haare herbekommen, wenn nicht von euch? Das ist ja gemein von diesem Schöpfer! Und was esst ihr denn eigentlich?“ Shana zeigte auf die Obstschale. „Das Obst hier?“

Bumm … bumm …

Der Goshi ignorierte das Geräusch der an die Tür bummernden Katongis und deutete auf die Stühle.

„Kommt, setzt euch. Ich erzähle euch das, was ich weiß. Ihr seht dem großen Schöpfer sehr ähnlich. Er war noch größer als ihr, aber ich glaube, er hat euch nach seinem Abbild geschaffen. Ich meine, ihr habt ebensolche Arme und Beine und auch Köpfe. Und ihr kamt ebenso wie er einfach aus dem Himmel.“

Shana setzte sich in einen der Stühle und musste ein Grinsen unterdrücken, als sich Belly mühsam in den seinen quetschte. Goshistühle waren eben nicht für die Statur eines Bellys gebaut. Aber wenn der Goshi es bemerkte, so ließ er es sich nicht anmerken. In einer fließenden Bewegung nahm er Platz und fuhr fort zu erzählen.

„Der große Schöpfer war plötzlich mitten unter uns. Er versammelte uns draußen auf dem Platz und zeigte uns die Felder, auf denen wir Früchte anbauen können, und die Katongis, die er ebenso wie uns erschaffen hatte.“

„Haben sie euch nicht gleich die Haare abgefressen?“, unterbrach Belly ihn.

„Nein.“ Der Goshi schüttelte heftig den Kopf. „Da lag ein ganzer Haufen Haare. Der große Schöpfer hat sie damit gefüttert. Und dann hat er uns den heiligen Gral geschenkt, damit wir uns unser Essen und Haare für die Haarfresser machen konnten, wenn er wieder weg war.“

Shana durchzuckte ein Gedanke. „Rufus …“, flüsterte sie.

Belly wollte aufspringen, aber sein Po blieb zwischen den Armlehnen des kleinen Stuhls kleben, dass er wieder zurückplumpste.

Mensch, ja!“, entfuhr es ihm. „Das alles hat Rufus gemalt!“

Der Goshi blickte ihn verständnislos an. „Wer sind die Rufus?“, fragte er mit großen Augen.

Shana beugte sich rüber zu Belly und drückte seinen Arm, damit er den Mund hielt. „Nicht die Rufus, sondern der Rufus. Rufus ist ein Mann, den wir kennen, und er malt gerne Bilder. Weißt du, was Bilder sind?“

Der Goshi nickte heftig, dann sprang er unvermittelt auf und verschwand durch eine Tür, die der Eingangstür direkt gegenüberlag. Offensichtlich grenzte ein weiteres Zimmer an das, in dem sie sich befanden. So sehr Shana auch ihren Hals verdrehte, sie konnte nicht erkennen, was sich in ihm verbarg. Schließlich kam der Goshi zurück, und was er in den Händen hielt, ließ Shana und Belly zusammenzucken.

Traumbilder!“, rutschte es Shana heraus, ehe sie sich auf die Zunge beißen konnte. Doch gleich darauf folgte die nächste Überraschung.

„Ja, Traumbilder“, sagte der Goshi seelenruhig, als ob er noch nie etwas anderes gesehen hätte.

„Du weißt, was Traumbilder sind?“, fragte Belly fassungslos.

„Ja, der große Schöpfer hat es uns erklärt. Wir haben zwei Bilder von ihm erhalten.“

Während er sprach, reichte er Shana das eine und Belly das andere.

„Das ist ja kaputt!“, entfuhr es Belly enttäuscht. Er hielt das Bild hoch, und jetzt sah auch Shana, dass die Leinwand nur noch aus zerfetzten Teilen bestand. Belly versuchte, die Einzelteile so zu fügen, dass man erkennen konnte, welches Motiv sich einst auf dem Bild befunden hatte. Es gelang ihm nicht ganz, aber es genügte.

„Hey, auf dem Bild sind ja lauter Haare!“

„Hm“, nickte der Goshi. „Das war das Nahrungsbild für die Katongis.“

So langsam fügte sich für Shana eins zum anderen. Sie betrachtete das andere Bild, das ihr der Goshi in die Hand gedrückt hatte. Dann lächelte sie und hielt es Belly vor die Nase.

„Na, was sagst du zu dem hier?“

Belly bekam große Augen. „Das … das ist ja das Bild, durch das wir …“

Shana unterbrach ihn beinahe unwirsch. „Ja, das ist das Bild oder wohl eher ein zweites, das genauso aussieht. Sag mal, Goshi, ich habe ziemlichen Durst. Hättest du vielleicht etwas zu trinken für mich und meinen Freund?“

Der Goshi machte ein bestürztes Gesicht. „Natürlich, natürlich. Wie konnte ich so unhöflich sein! Ich hol euch was. Und wenn ihr hungrig seid, bedient euch am Obst!“

Wieselflink eilte er erneut durch die kleine Tür und verschwand. Belly hob an, etwas zu sagen, aber Shana kam ihm zuvor.

„Hör mal, Belly, wir dürfen ihm nicht die Wahrheit sagen. Wenn er erfährt, dass er nur gemalt ist, würde er das vielleicht nicht verkraften.“

„Aber … aber …“, stotterte Belly. „Er ist doch echt! Ich meine, er lebt, er kann reden und er ist doch einfach wirklich da! Das träumen wir doch nicht, oder?“

Shana wand sich sichtlich. „Ich weiß das alles nicht, Belly. Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Du hast doch selbst so ein Bild gemalt, und es war so … echt. Und wir sind hier drin, und wir sind doch auch echt, oder nicht?“

Belly klopfte sich grinsend auf den Bauch. „Der hier ist jedenfalls echt, und der Rest auch. Vielleicht hat es mit den Molekülen zu tun, die irgendwie auseinandergenommen und dann wieder zusammengesetzt werden, oder so. Wir sind doch in das Bild gerutscht und klein geworden. Vielleicht sind das die Goshis ja auch. Und warum haben sie noch so ein Bild wie das, durch das wir gerutscht sind?“

„Belly …“, seufzte Shana. „Rufus hat diese Goshis gemalt, das weißt du so gut wie ich. Wie dieses magische Gel funktioniert, weiß ich nicht, aber Rufus muss verrückt geworden sein, die Welt hier zu erschaffen. Die Goshis leben und können denken. Ich weiß nicht, ob er das bedacht hat. Und warum sie auch so ein Bild haben … ich glaube, ich weiß es, aber dazu muss ich den Goshi noch was fragen.“

„Rufus lebt so einsam und hat bestimmt oft Langeweile“, grübelte Belly. „Aber ich glaube nicht, dass er verrückt geworden ist. Er wollte bestimmt nur seinen Spaß haben.“

„Und die Goshis müssen jetzt darunter leiden!“, entrüstete sich Shana.

„Das hat er bestimmt nicht gewollt“, sagte Belly bestimmt. „Du warst es doch, die mir erzählt hat, er ist harmlos!“

„Ja, aber …“ Shana hörte ein Geräusch aus dem Nebenzimmer und legte den Finger an die Lippen. „Wir müssen vorsichtig sein, was wir sagen. Stell dir vor, du erfährst, dass du nur gemalt bist!“

„Okay“, flüsterte Belly. „Einverstanden. Aber wenn mir einer so was sagen würde, würde ich es niemals glauben.“

In diesem Moment kehrte der Goshi mit zwei kleinen Gläsern mit Wasser zurück und reichte den beiden die Getränke.

„Wenn ihr mehr wollt, sagt Bescheid“, sagte er mit einem Lächeln.

„Danke, das ist lieb von dir.“ Shana nahm ihr Glas und trank es aus. Das Wasser war kühl und schmeckte beinahe süß. „Sag mal, Goshi … kann ich dich Goshi nennen?“

„Ja, natürlich, wir heißen alle Goshi.“

„Ähh …“, machte Belly. „Ihr heißt alle Goshi? Habt ihr denn keine eigenen Namen? So wie ich Belly heiße und meine Freundin Shana?“

Der Goshi wiegte nachdenklich den Kopf, dann setzte er sich in einen der Stühle, kratzte sich gedankenverloren und schien über die Frage nachzugrübeln.

„Ich weiß, was ein Name ist. Unser Name ist Goshi. Ich wusste nicht, dass es mehrere Namen gibt.“

„Kein Problem“, lachte Belly. „Der große Schöpfer hat wohl nicht daran gedacht, jedem von euch einen zu geben oder zu verraten, dass man sich selbst welche geben kann. Hm, darf ich dir einen Namen geben? Du kannst ja außer Goshi noch einen zweiten haben!“

Der Goshi setzte sich kerzengerade hin. „Das geht? Ja, ich möchte einen zweiten Namen! Wie lautet er?“

Belly war nun doch von seiner eigenen Idee überrascht. „Hm, warte, lass mich überlegen …“

„Ich finde, Adam passt gut zu ihm, findest du nicht?“, kam Shana ihm zuvor. „Der erste Mensch hieß Adam, da kann doch auch der erste Goshi, den wir treffen, Adam heißen, oder?“

„Adam …“ Der Goshi sprach den Namen ganz langsam aus und horchte auf seinen Klang. „Adam … das gefällt mir.“

„Okay“, sagte Shana und reichte dem Goshi die Hand. „Dann heißt du ab jetzt Adam Goshi. Adam ist dein Vorname und Goshi dein Nachname. Denn ein Goshi willst du ja weiterhin sein, oder?“

„Adam Goshi, ja, so will ich heißen!“ Sichtlich stolz ergriff Adam Shanas Hand und schüttelte sie. Dann schien ihm etwas einzufallen. „Könnt ihr meiner Frau Goshi und den anderen auch Namen geben? Ich meine … ich weiß doch keinen, aber ihr kennt sicher ganz viele!“

„Das machen wir!“, bekräftigte Belly. „Aber vorher musst du uns noch den Rest erzählen. Du hast gesagt, der große Schöpfer hat euch den heiligen Gral geschenkt? Was ist das?“

„So hat er es genannt. Das ist eine kleine Dose, voll mit einer dickflüssigen Farbe. Dazu gehört ein Pinsel, so jedenfalls nannte der große Schöpfer das lange Ding, das die Traumbilder malt.“

Shana und Belly blickten sich an. „Das Gel“, murmelte Shana. „Ich hätte es mir denken können.“ Leise fügte sie hinzu: „Rufus muss wirklich verrückt geworden sein! Heiliger Gral …!“

„Als wir alle zusammensaßen, malte der große Schöpfer zwei Bilder.“ Adam deutete auf die beiden Bilder in Bellys und Shanas Händen. „Diese beiden. Zuerst malte er das Bild mit unserem Dorf, und dann das mit den vielen Haaren. Er sagte, dass wir sehr vorsichtig mit ihnen umgehen sollten, und dass sie nur nachts ihre Magie entfalten. Als es dunkel wurde, zeigte er uns, wie sie funktionieren.“

Shana nickte. „Ich kann mir denken, was er gemacht hat“, lächelte sie. „Er verschwand in dem Bild mit den vielen Haaren und brachte euch genügend Haare für die Katongis mit, als er wieder rauskam.“

Adam lächelte ebenfalls. „Genau so war es.“

Bumm …

Shana zuckte zusammen. Wieder war ein Haarfresser gegen die Tür gebummert.

„Macht euch keine Sorgen“, winkte Adam ab. „Es wird gleich dunkel. Die meisten sind schon auf dem Weg zu ihrem Berg.“

Belly hatte dem Geräusch kaum Bedeutung geschenkt. Ihm ging noch ein Gedanke durch den Kopf.

„Aber wie ist er wieder zurückgekommen? Ich meine, aus dem Bild mit den Haaren?“

„Ist doch logisch, Belly“, meinte Shana ungeduldig. „Mit dem anderen Bild natürlich! Er hat es einfach mitgenommen, um von dort wieder hierher zu gelangen.“

„Das weiß ich auch“, meinte Belly spitz. „Aber wenn man ein Traumbild anfasst, wird man hineingezogen. Wenn er das Bild mitnimmt, muss er es doch anfassen!“

„Stimmt“, musste Shana zugeben. Daran hatte sie nicht gedacht.

„Kann man auch“, sagte der Goshi und lächelte. „Das hat uns der große Schöpfer erklärt. Das andere Bild zeigt doch unser Dorf, in dem wir ja sind, wenn wir zu den Haaren gehen. Wenn wir es anfassen, können wir hier zu Hause nicht noch dahin gezogen werden, wo wir sowieso schon sind. Aber man muss ein Tuch drüberlegen, sonst wird man in der Haarwelt gleich wieder zurückgezogen.“

„Okay“, nickte Shana. „Dann seid ihr also immer, wenn es Zeit wurde, die Katongis zu füttern, in das Traumbild mit den Haaren gegangen, habt die Haare besorgt und die Haarfresser waren wieder friedlich.“

„So war es“, bestätigte Adam.

Shana ging nachdenklich die wenigen Schritte hinüber zu einem der Fenster, die immer weniger Tageslicht in den Raum ließen. Es war tatsächlich merklich dunkler geworden. Komisch, dachte Shana, dass sie noch nicht auf die Idee gekommen waren, nach draußen zu schauen. Aber andererseits wollte sie auch gar nicht unbedingt wissen, wie diese Haarfresser denn eigentlich aussahen …

Doch ihre Neugier überwog. Sie stellte sich ans Fenster und lugte hinaus. Im Dämmerlicht erkannte sie einen gepflegten, ungepflasterten Hof, mehrere Laubbäume, einen Brunnen, und im Hintergrund das dunkle Band eines Waldes. So sehr sie sich auch reckte, eine Gestalt konnte sie nicht ausmachen.

„Ich glaube, sie sind weg“, murmelte sie.

„Sei dir da nicht so sicher“, kam Adams Stimme hinter ihrem Rücken. „Sie sind recht klein. Du siehst sie erst, wenn es zu spät ist.“

„Eigentlich tun sie mir leid“, sagte Belly. „Sie haben doch nur Hunger. Und wenn ich Hunger hab, werde ich auch ungemütlich!“

Shana lachte und wandte sich um. Da hast du recht! Aber sag mal, Adam …“, sie wies auf das zerstörte Bild, das Belly immer noch in der Hand hielt, „… was ist dann passiert? Ist euch das Bild kaputt gegangen, und ihr habt keine Haare mehr holen können?“

Der Goshi schüttelte den Kopf.

„Ja und nein. Das Bild ist uns tatsächlich kaputt gegangen. Aber wir hatten ja den heiligen Gral. Der große Schöpfer hat uns verboten, je ein Bild mit dieser heiligen Farbe zu malen, es sei denn, eines der beiden Bilder wird einmal zerstört. Dieser Fall war nun eingetreten. Also habe ich auf dem Dorfplatz ein neues gemalt.“

Adam hielt inne.

„Und wo ist es?“, fragte Shana.

„Ich war zu unvorsichtig“, murmelte der Goshi betrübt. „Ich dachte, es geht nur draußen, auf dem Platz, so wie es der große Schöpfer gemacht hatte. Natürlich habe ich es nachts gemalt, als kein Haarfresser da sein konnte. Aber dann hab ich gedacht, es muss erst trocknen …“

„Muss es gar nicht“, entfuhr es Belly. Shana hob den Arm. „Lass ihn doch erzählen!“

„Das wusste ich nicht. Jedenfalls dämmerte es schon, als ich in das Bild ging, und als ich wieder rauskam, waren die Haarfresser schon da. Sie haben gesehen, wie ich mit den Haaren aus dem Bild kam. Und obwohl sie reichlich dumm sind, haben sie mitbekommen, dass das Bild sie mit Haaren versorgen kann.“

„Sie haben’s geklaut!“, meinte Belly trocken.

„So ist es“, nickte Adam. „Und den heiligen Gral dazu. Ich konnte nichts machen, denn ich war allein draußen, als ich zurück aus dem Bild kam. Obwohl sie so klein sind … es waren einfach zu viele.“

„Aber wenn sie’s geklaut haben“, überlegte Shana, „dann haben sie doch jetzt so viele Haare wie sie wollen! Warum fressen sie dann euch die Haare vom Körper?“

Der Goshi lächelte. Dann zeigte er auf das zweite Bild, das Shana vorhin an den Tisch gelehnt hatte, als sie zum Fenster gegangen war.

„Erstens haben sie das zweite Bild nicht, das sie zurückbringt. Und dann habe ich den Verdacht, dass die Haarfresser nachts nicht aktiv sind. Aber nur nachts funktionieren die Traumbilder. Sie werden vergebens versucht haben, hineinzugelangen. So haben sie immer mehr Hunger bekommen und uns angefallen.“

„Na toll“, grunzte Belly. „Und was machen wir jetzt?“

„Ohne das Gel kommen wir nicht nach Hause“, erwiderte Shana leise. „Wir müssen in den Berg und es zurückholen.“

* * *

Shana lugte noch ein letztes Mal aus dem Fenster und verdrehte den Hals. Von seinem Standort aus konnte Belly nichts mehr draußen erkennen, so dunkel war es mittlerweile.

„Ich glaube, wir können gehen“, meinte Shana. „Sag mal, Adam, wo ist eigentlich deine Frau? Und wo sind die anderen Goshis?“

„Sie schläft noch. Eigentlich schlafen wir alle tagsüber, weil wir ja nur nachts auf die Felder können. Aber wir Männer stellen Wachen auf und achten darauf, dass keine Tür und kein Fenster offen bleibt. Ihr habt Glück gehabt. Ich hatte Wache, als ihr aus dem Himmel gefallen seid. Ich hab nach den anderen Wächtern gepfiffen und euch reingeholt. Keine zehn Sekunden später wärt ihr kahl gewesen.“

„Oh, danke!“, sagte Belly. „Wenn ich das nächste Mal zu euch komme, bring ich dir eine Perücke mit!“

„Was ist eine Perücke?“

„Das sind künstliche Haare, die man aufsetzt, wenn man keine eigenen mehr hat oder wenn man anders aussehen will. Ich glaube, die schmecken den Haarfressern nicht. Die würden sie wieder ausspucken.“

Adam lachte lauthals. „Na, wenn das so ist, dann bring mir eine Perücke mit!“

Shana stellte sich vor die Eingangstür und nahm den Knauf in die Hand. Sie würde sich etwas ducken müssen, wenn sie hindurchging, denn die Tür war auf die Größe der Goshis bemessen.

„Was ist, Belly, wollen wir?“

Bevor Belly antworten konnte, sprang Adam vor ans Fenster und schaute hinaus.

„Hm, ich glaube, ihr könnt gehen. Es ist noch nicht ganz finster, aber sie werden längst alle im Berg sein und schlafen. Wartet, ich werde euch eine Lampe mitgeben.“

Der Goshi drehte sich um und verschwand im Nebenzimmer. Nach kurzer Zeit kehrte er zurück und reichte Belly eine kleine Taschenlampe. Shana und Belly starrten die Lampe verblüfft an.

„Die hat uns der große Schöpfer dagelassen. Er meinte, sie bekommt ihre Kraft von der Sonne und wird ewig halten. Wir haben noch mehr davon und nehmen sie nachts mit auf die Felder. Aber ich werde heute nicht mitgehen. Ich warte, bis ihr wiederkommt.“

„Was für Ideen der große Schöpfer so hat ...“ murmelte Belly. „Aber vielen Dank! Ich hatte auch eine mit in meinem Rucksack“, meinte er. „Aber der steht ja jetzt bei Rufus in der Hütte.“

Er bemerkte Adams fragenden Blick. „Das mit Rufus ist eine lange Geschichte. Wir erzählen sie dir bestimmt einmal, aber erst müssen wir den heiligen Gral zurückholen. Ihr braucht ihn, und wir brauchen ihn auch.“

„Ihr wollt ein Traumbild malen“, stellte Adam fest.

„Hm“, machte Belly nur.

„Hat der große Schöpfer euch das erlaubt?“

Bevor Belly den Mund aufmachen konnte, antwortete Shana. „Ja, er hat ebenso wie euch Belly und mir eigene kleine Töpfe geschenkt, damit wir welche malen können. Man muss sehr vorsichtig damit umgehen. Aber das weißt du ja.“

Sie wechselte einen Blick mit Belly, der sie zu verstehen schien. Was hatte sich Rufus nur dabei gedacht, diesen liebenswerten Wesen die Traumfarbe zu geben? Wenn sie nicht wussten, was alles geschehen konnte, wenn man die falschen Bilder malte und in sie eintauchte, konnten sie für immer verloren gehen. So wie wir beide …, dachte Shana mit einem Frösteln.

„Los jetzt, Belly“, sagte Shana ungeduldig. „Lass uns endlich gehen.“

Sie drehte am Knauf und öffnete die Tür einen Spalt weit.

„Warte!“ Belly hob die Hand. „Adam, wie sehen die Katongis aus?“

Der Goshi formte mit der Hand einen Ball, der in etwa die Größe eines Handballs besaß. „Sie sind kugelrund und ausgewachsen ungefähr so groß. Ihre Haut ist derb und kaum verletzbar. Sie besitzen acht Augen, die über die ganze Kugel verteilt sind. Damit können sie in jede Richtung sehen. Ihnen entgeht nichts. Außer nachts, da sind sie fast blind. Aber passt mit der Taschenlampe auf! Der Lichtstrahl reicht aus, dass sie genug sehen können, um euch anzugreifen. Haltet den Strahl immer von euch weg und leuchtet euch nie ins Gesicht.“

„Hm“, machte Belly, und seine Zuversicht schmolz dahin.

„Ach, noch was!“, sagte der Goshi. „Sie haben acht Arme oder Beine, je nachdem, wie man das betrachtet. Damit können sie blitzschnell klettern. Aber auf dem Boden ziehen sie sie ein und rollen lieber. Nur für Richtungswechsel nehmen sie die Arme zu Hilfe.“

Shana hatte die Tür wieder zugedrückt. „Und wie … ich meine, wie …?“

„Wie sie fressen?“ Der Goshi machte den Mund auf uns ließ seine Zähne aufeinander klacken. „So, nur hundertmal schneller. Ihr Mund ist ein Schlitz, und in ihm stecken zwei Reihen messerscharfer kleiner Zähne, die rasend schnell aufeinander hacken. Der große Schöpfer sprach von einem Rasierapparat, aber ich weiß nicht, was das ist. Jedenfalls machen sie Geräusche beim Fressen, so wie dddrrrrttttttttt ….““

„Oh Mann!“, stöhnte Belly. „Rollende Rasierapparate! Ein Berg voller Rasierapparate! Und ich soll da rein? Nein, danke!“

„Willst du lieber für immer hierbleiben?“, sagte Shana ernst. „Denk dran, hier gibt es nur Obst!“

„Also gut“, grummelte ihr Freund. „Ich hab Hunger. Und du sagst, die schlafen jetzt alle?“

„Das tun sie. Ich war selbst einmal dort und hab mich hineingeschlichen, um den heiligen Gral zu holen. Ach ja, das hab ich vergessen, euch zu sagen.“

In Shanas Bauch begann es, zu rumoren. „Was hast du vergessen? Dass du im Berg warst? Und warum hast du den heiligen Gral nicht rausgeholt?“

„Das war es ja, was ich vergessen hab, euch zu sagen. Es gibt eine Königin.“

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9783738078831
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