Читать книгу: «Shana», страница 5

Шрифт:

„Nimm du das linke, ich das rechte.“

Sie mussten sich langsam bewegen, um keines der Bilder umzustoßen. Als Shana an ihrem Fenster angelangt war, prüfte sie, ob es fest verschlossen war. Es war alles in Ordnung.

„Meins ist zu!“, kam es von Belly.

„Meins auch!“, rief sie zurück. „Sehen wir hinten auch noch nach.“

Auch das Fenster auf der Rückseite war zu. Es besaß nicht einmal einen Riegel. Behutsam tasteten sie sich durch das Spalier aus Bildern zurück zum Wohnzimmer. Belly ging voraus und stellte seine Kerze auf dem kleinen Tisch ab, der zwischen den ausladenden Sesseln stand. Shana wollte eben die Verbindungstür schließen, als sie ein Pferd wiehern hörte. Wie erstarrt blieb sie stehen.

Hast du das gehört?“, flüsterte sie.

„Was denn?“, fragte Belly, der sich auf einem der Sessel niedergelassen hatte.

„Na, das Pferd! Da hat ein Pferd gewiehert!“

Belly verdrehte die Augen. „Mann, du denkst echt zu viel an Pferde! Du bist ja noch schlimmer als ich! Mach die Tür zu, sonst kommt’s noch rausgaloppiert!“

„Du bist manchmal richtig blöd!“, erwiderte Shana wütend. Zwei, drei Sekunden lauschte sie noch in die Galerie hinein, aber es blieb still. Ehe Belly noch weiter sticheln konnte, zog sie die Tür hinter sich zu. Dann ging sie hinüber, stellte ihre Kerze neben der von Belly ab und ließ sich in den zweiten Sessel fallen.

„Also, was machen wir jetzt außer warten?“

„Was essen?“

Shana lachte lauthals. „Wir haben doch gerade gegessen! Massenweise! Der arme Rufus! Wenn wir hier noch länger bleiben, ist sein Kühlschrank leer! Ich mach mir was zu trinken. Willst du auch was?“

Belly nickte und erhob sich schwerfällig aus seinem Sessel. „Ich schau mal, was es hier sonst noch so gibt. Vielleicht finde ich eine Karte von der Umgebung.“

Während Shana einen Fruchtsaft aus dem Kühlschrank holte und in zwei Gläser einschenkte, hörte sie Belly im Raum umhergehen. Hier und da nahm er etwas heraus oder hob etwas an. Ab und zu kam ein unterdrückter Fluch. Dann setzte er sich wieder in seinen Sessel und nahm das Glas entgegen, das Shana ihm reichte.

„Nix. Der hat nur Bücher und Kerzen.“

„Und magische Farbe, Pinsel und Leinwände“, ergänzte Shana.

„Ich versteh das nicht“, meinte Belly. „Man kann doch nicht nur lesen und malen. Was macht der die ganze Zeit hier?“

„Ich glaube …“, sagte Shana gedehnt, „… dass er gar nicht oft hier ist. Vielleicht sogar nur, wenn er malt.“

„Und wo steckt er sonst?“

Shana zuckte die Schultern. „Frag ihn, wenn er zurück ist.“

„Und wenn er in diesem Jahr nicht mehr zurückkommt?“

„Dann müssen wir selbst einen Weg aus dem Wald suchen.“

„Ohne Beamer kommst du nicht weit. Du weißt ja noch nicht einmal, in welche Richtung wir gehen müssen.“

Shana lehnte sich zurück und grinste. „Doch, das weiß ich. Ich hab uns ins Planquadrat C4 beamen lassen. Und in der Übersicht auf der Umgebungskarte war das nicht weit von der Stadt. Im Plan auf dem Monitor war das Planquadrat C4 oben links. Und das ist nordwestlich zu unserer Wohnung. Wenn wir uns nach der Sonne richten, müssen wir also nach Südosten gehen.“

„Warum hast du das nicht gleich gesagt?“, fragte Belly verblüfft. „Dann hätten wir noch im Hellen zurückgehen können!“

„Es sind mehr als 40 Kilometer“, entgegnete Shana.

40 Kilometer?“, rief Belly entsetzt. „Oh Gott! Wie weit war es heute bis hierher?“

„Vielleicht 300 Meter.“

„Jesus, 40 Kilometer! Das schaff ich nie!“

„Siehst du“, sagte Shana ironisch. „Deswegen hab ich das nicht gleich gesagt. Und dann wäre da noch das Problem, dass ich nicht weiß, wie wir überhaupt in unsere Zone reinkommen, sollten wir sie denn wieder finden. Mein Vater sagt, da ist so ein Energiefeld, um die Vegetation fernzuhalten. Keine Ahnung, ob sie auch Menschen fernhält.“

„Toll. Super. Einfach fantastisch!“, meinte Belly und hievte sich umständlich aus seinem Sessel.

„Was hast du denn jetzt vor?“, fragte Shana neugierig.

„Ich mach mir was zu essen“, grinste Belly. „Das einzige, was wir jetzt tun können. Willst du nun auch was oder nicht?“

Shana winkte lachend ab. „Nein, danke. Mir reicht mein Saft. Aber wenn wir dann doch die 40 Kilometer laufen müssen, solltest du ab sofort nur noch Obst essen. Tragen kann ich dich nicht.“

Schlagt euch allein durch!“, rief Belly theatralisch. „Nehmt keine Rücksicht auf mich!“

Shana spürte, dass er mit seinen Scherzen nur seine Angst und Nervosität überspielte. Belly dezimierte Rufus Vorrat bedenklich, aber irgendwann war selbst er satt. Stundenlang saßen die beiden Kinder in den schweren Sesseln und redeten pausenlos. Ständig warteten sie darauf, dass jemand an die Tür klopfte. Bei jedem Knacken im Gebälk des Blockhauses zuckten sie zusammen. Die Kerzen brannten langsam, aber stetig herunter, aber wenigstens in der Hinsicht brauchten sie sich keine Gedanken zu machen, denn Belly hatte vorhin in einer Schublade einen großen Vorrat davon gefunden. Die Zeit verstrich, und je länger Belly und Shana miteinander redeten, desto mehr schlich sich die Müdigkeit ein. Sie bemühten sich, dagegen anzukämpfen, aber der Tag und all das, was sie erlebt hatten, forderten ihren Tribut. Es musste mittlerweile weit nach Mitternacht sein. Belly besaß weniger Durchhaltevermögen. Irgendwann sackte sein Kopf zur Seite und er begann zu schnarchen.

„Ich hätte doch lieber Krissa mitnehmen sollen“, murmelte Shana. Obwohl, so richtig ernst meinte sie das nicht. Verbissen kämpfte sie gegen die bleierne Müdigkeit an. Doch schließlich behielt der Schlaf die Oberhand. Ohne es zu wollen, glitt Shana in einen unruhigen Schlaf.

Kapitel 4

Irgendwann in der Nacht erwachte sie. Die Müdigkeit hing bleiern über ihren Lidern, und es fiel ihr schwer, die Augen zu öffnen. Augenblicke später spürte sie tausend beißende Ameisen in ihrem rechten Arm. Er war eingeschlafen, was bei der unmöglichen Haltung, die Shana in dem großen Sessel eingenommen hatte, kein Wunder war. Mühsam richtete sie sich auf und rieb ihren Arm. Im matten Licht der letzten drei Kerzen, die noch nicht heruntergebrannt waren, konnte sie Belly in seinem Sessel erkennen. Ihr Freund war im Sitzen eingeschlafen. Sein Kopf war zur Seite gekippt. Er würde fürchterliche Nackenschmerzen haben, wenn er aufwachte. Ab und zu grunzte er beim Einatmen. Shana musste lächeln, aber dann wurde ihr die fremde Umgebung bewusst. Siedendheiß fiel ihr ein, dass sie zu Hause außer sich vor Sorge sein mussten. Vielleicht hatten ihre Eltern längst die Polizei alarmiert. Vielleicht war das gar nicht so schlecht, denn die würde die Multiwand checken und rauskriegen, welches das letzte Ziel des Beamers gewesen war. Dann müssten sie sie eigentlich finden. Dieser Gedanke beruhigte Shana ein wenig. Sie lehnte sich wieder zurück und schloss die Augen. Vielleicht konnte sie ja doch wieder einschlafen.

Nach einigen Minuten musste sie feststellen, dass das unmöglich war. Das Haus machte Geräusche. Neben Bellys Grunzen und leisem Schnarchen knackte es im Gebälk. Außerdem schienen von draußen Laute hereinzudringen. Shana wollte auf ihr Handgelenk schauen und sehen, wie spät es war, musste aber feststellen, dass sie ihr Portable ja zu Hause vergessen hatte.

Was konnten das für Geräusche sein, die leise an ihr Ohr drangen? Vögel? Dämmerte es bereits? Shana stand leise auf und stellte sich an eines der beiden Fenster, die links und rechts neben der Eingangstür auf die Veranda hinausgingen. Stockdunkel. Die Vögel müssten eigentlich noch so fest schlummern wie Belly.

Da! Shana zuckte zusammen. Da war wieder etwas! Sie fuhr herum. Das Geräusch war nicht von draußen gekommen. Und es erinnerte sie an etwas. An ein Tier. An einen … Elefanten! In Shanas Magen bildete sich ein Klumpen. Sie spitzte die Ohren. Das hatte sich tatsächlich angehört wie ein leise trötender Elefant. Am Tage hätte sie den Laut vermutlich nicht wahrgenommen, aber abgesehen von Bellys Schnaufen und dem Knacken der Balken war es hier drin leise genug, um eine auf dem Boden trappelnde Maus hören zu können. Wo war das hergekommen? Sekundenlang stand Shana wie festgewurzelt da und lauschte. Gerade, als sie sich wieder entspannen und alles als Einbildung abtun wollte, wiederholte sich das leise Trompeten. Dann mischte sich ein weiteres Geräusch darunter. Der leise Ton eines Rennwagenmotors! Auf- und abschwellend, als würde der Wagen eine kurvige Strecke entlang fahren. Auf dem Rücken von Shana jagte eine Gänsehaut die andere. Zwei Dinge waren jetzt sicher: Sie hatte sich das nicht eingebildet und die Geräusche kamen nicht von draußen. Sie kamen aus der Galerie!

Shana fixierte die Tür zu dem Raum, in dem Dutzende, vielleicht sogar Hunderte von Bildern standen, hingen und lagen. Die Tür war verschlossen. Aber das war nicht sonderlich tröstlich. Denn sie war nicht abgeschlossen. Wenn dort drin etwas lebte, konnte es jederzeit rauskommen. Shanas Puls raste. Belly! Sie musste Belly wecken!

Mit ein paar Trippelschritten war sie bei ihm und rüttelte ihn an der Schulter. Belly schreckte wie von der Tarantel gestochen hoch. Er schrie auf und packte Shanas Unterarm so schmerzhaft, dass auch sie einen Schrei ausstieß.

Lass los! Ich bin’s, Shana!“

Sh … Sh … Shana? Was soll das? Bist du übergeschnappt? Ist Rufus zurück?“

Nein, nein!“ Shanas Blicke irrten zwischen Belly und der Tür zur Galerie hin und her. „Da … da sind Geräusche! Ein Elefant! Ein Rennwagen! Aus der Galerie!“

Belly sank stöhnend zurück in den Sessel. „Mann! Hast du schlecht geträumt? Ein Elefant! Ein Rennwagen! Hey, ich bin’s, Belly! Leg dich wieder hin und schlaf weiter!“

Shanas Augen funkelten wütend. „Hey, ich bin’s, Shana! Und wenn du mal einen Moment ruhig bist und hinhören würdest, könntest du’s auch hören!“

Belly ließ Shanas Arm los, den er immer noch festgehalten hatte und setzte sich in seinem Sessel auf. Mit verdrehten Augen, die ausdrückten, was er von Shanas Worten hielt, hielt er den Kopf schräg, um zu lauschen.

„Da ist doch gar ni…“

Pssssst! Da! Hör doch mal länger!“

Belly verzog säuerlich den Mund, tat aber Shana den Gefallen. Einige Sekunden verstrichen ohne dass ein fremder Laut zu vernehmen war. Schon wollte Belly eine dumme Bemerkung machen, da erklang aus dem Nebenraum ein merkwürdiges Geräusch. Diesmal jedoch kein Elefantengetröte oder das Brummen eines Motors.

„Das …“, sagte Belly mit einer Mischung aus Verblüffung und Unbehagen, „… hört sich an wie ein Karussell!“

Shanas Freund hing wie ein nasser Sack in seinem Sessel und horchte angestrengt.

„Ich hab’s dir ja gesagt!“ Obwohl ihr Herz bis zum Hals klopfte, konnte sich Shana die spitze Bemerkung nicht verkneifen.

Pssssst!“, machte Belly.

„Ach ja, jetzt auf einmal!“

Belly wuchtete sich aus dem Sessel und ging langsam auf die Zwischentür zu. Den Kopf schräg haltend lauschte er angestrengt. Shana folgte ihm. Einen halben Meter vor der Tür zur Galerie blieben sie stehen. Ganz deutlich klang jetzt die blecherne Musik eines Kinderkarussells durch das Türblatt. Aber nicht nur das. Aus der Galerie kam eine ganze Geräuschkulisse unterschiedlichster Laute. Das Läuten von Kirchenglocken. Das Pfeifen von Wind. Ein rhythmisch an- und abschwellendes Geräusch ähnlich einer entfernten Brandung. Wieder der Elefant. Motorengeräusch, diesmal von mehreren Wagen, die um die Wette zu fahren schienen. Darunter mischte sich Rockmusik, und Shana meinte, das undeutliche Gemurmel sich miteinander unterhaltender Leute zu vernehmen.

Shana und Belly wandten nahezu gleichzeitig den Kopf und schauten sich an.

Was zum Teufel geht da drin vor?“, flüsterte Belly.

„Ich bin also übergeschnappt, ja?“, funkelte Shana.

„Mann, das ist doch jetzt egal! Ich will wissen, was da los ist!“

„Hast du keine Angst?“

Belly schluckte und starrte die Maserung der schweren Holztür an. Dann schüttelte er den Kopf. „Vorhin schon. Aber das hört sich irgendwie nicht gefährlich an. Ich glaub, da drin läuft ein Fernseher.“

„Ach ja?“, machte Shana. „Und wer hat ihn eingeschaltet?“

„Vielleicht hat er ein Zeitprogramm, das sich automatisch einschaltet, wenn Rufus nach Hause kommt.“

„Mitten in der Nacht?“ Shana verzog den Mund. „Es muss mindestens drei Uhr sein. Außerdem hat Rufus keinen Strom.“

Belly straffte sich. „Egal. Gucken wir nach oder nicht?“

Shana lauschte der mittlerweile unglaublichen Geräuschkulisse hinter der Tür. Es war nicht sonderlich laut, aber es schien ihr beinahe, als würden da drin sämtliche Geräusche dieser Welt aufeinandertreffen. Sie blickte Belly von der Seite her an. Niemals hätte sie von ihm gedacht, dass er so wagemutig sein konnte. Ob Krissa sich das wohl getraut hätte? Nein. Und sie selbst, wenn sie ganz allein hier gestanden hätte? Auch nicht. Auf der einen Seite war sie froh, Belly bei sich zu haben, denn er beschützte sie auf seine Weise. Andererseits konnte er sie durch sein Handeln auch in Gefahr bringen. Wer wusste schon, was hinter der Tür auf sie wartete?

Was ist nun?“, flüsterte Belly. „Ja oder nein?“

„Okay.“ Mehr als ein heiseres Krächzen kam nicht aus Shanas Kehle. Belly nickte grimmig.

„Dann mach ich mal.“

„Aber langsam!“

„Was dachtest du denn?“

Langsam führte Belly seine Hand an die Messingklinke heran. Noch einmal trafen sich Bellys und Shanas Blicke, dann berührten seine Finger das glänzende Metall. Shana kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum, als Belly die Klinke Millimeter für Millimeter herunterdrückte. Die Tür ging nach innen auf. Shana machte sich beinahe in ihre nagelneuen Hosen, als ein Spalt entstand. Sofort drangen all die merkwürdigen Geräusche lauter an ihr Ohr. Belly hielt atemlos inne.

Da drin flimmert es!“, flüsterte Shana.

„Ich hab’s doch gesagt, da ist ein Fernseher an!“

Durch den zwei Zentimeter breiten Spalt sickerte flackerndes Licht hindurch. Shana musste zugeben, dass es so aussah, als würde sich jemand in einem dunklen Raum einen Film anschauen. So einen altmodischen. Keinen Anifilm, der flimmerte nicht.

„Weiter?“, fragte Belly.

„Hm.“

Behutsam drückte Belly die Tür so weit auf, dass man sich hätte hindurchquetschen können. Jetzt konnten sie in die Galerie hineinblicken. Und was sie sahen, überraschte sie derart, dass sie sprachlos dastanden und in den Raum hineinstarrten. Die Galerie war erfüllt von vielfarbenem Licht, das zuckende und flackernde Ableger an die Decke, die Wände und zu Belly und Shana ins Wohnzimmer sandte. Doch das Licht kam nicht aus einem Fernseher. Es kam … aus den Bildern!

Uff!“, machte Belly. „Es sind nur die Bilder!“

„Nur die Bilder?“, murmelte Shana. „Aber die Bilder leben!“

„Quatsch!“ Belly gab der Tür einen Stoß, dass sie ganz zur Seite schwang und ging in die Galerie hinein. „Das sind alles digitale Bilderrahmen, die Filme zeigen! Mann, und davor haben wir uns erschreckt!“

Shana antwortete nicht. Solche Bilderrahmen gab es wirklich. Sie waren ein beliebtes Geburtstagsgeschenk. Aber die hier …

Belly!“, flüsterte sie eindringlich. „Das sind Rufus Traumbilder! Die hat er gemalt! Die kann man nicht kaufen!“

Belly schien ihr gar nicht zuzuhören. Er lief vor bis zum Podest und drehte sich einmal im Kreis.

„Komm her und sieh dir das an! Das ist irre! Jeder Digirahmen zeigt einen anderen Film!“

„Es sind keine Digirahmen!“, murrte Shana, aber sie stellte sich neben Belly und nahm den fantastischen Anblick in sich auf. Ungläubig schaute sie sich um. Auf jedem der Bilder war Bewegung. Dazu die Geräuschkulisse, als würden hundert Filme gleichzeitig gezeigt. Wurden sie ja auch!, schoss es Shana durch den Kopf.

Da!“, rief Belly und ging ein paar Schritte vor zur Wand, an der ein besonders großes Bild lehnte. „Da ist der Elefant! Ein ganzer Zirkus!“ Dann drehte er sich nach links und zeigte aufgeregt auf ein weiteres Bild. „Und da ist ein Bild mit einer Rennstrecke! Mann, ist das scharf! Wie so ein Rennspiel auf meinem Portable! Jetzt komm doch endlich!“

Shana löste sich aus ihrem Bann und ging zu Belly hinüber. Staunend ging sie in die Hocke und betrachtete das Bild, aus dem eben gerade das Trompeten des Elefanten klang. Das Gemälde zeigte einen Zirkus. Ein großes Zirkuszelt befand sich in der Mitte einer Wiese, die Wagen der fahrenden Leute standen links und rechts daneben. In manchen von ihnen befanden sich exotische Tiere. An der Kasse standen Leute, um Karten zu kaufen, und Shana entdeckte einen kleinen Jungen, der vordrängelte. Am Eingang des Zeltes stand ein großer Elefant, der jeden, der hinein wollte, mit einem Trompeten begrüßte.

„Cool!“, meinte Shana, bei der sich der Klumpen im Magen langsam auflöste.

„Sieh dir erstmal das hier an!“, rief Belly, der sich jetzt das Bild mit dem Autorennen anschaute. Shana gesellte sich zu ihm und sah, wie auf dem Bild ein Dutzend Fahrzeuge auf einer Rennstrecke ein Rennen austrugen. Das Motorengeräusch klang ein wenig nach Spielzeugautos, aber die Szene wirkte so echt, als würde es sich um eine Übertragung eines Rennens handeln. Gerade schien sich einer der winzigen Fahrer beim Ansteuern einer Kurve verschätzt zu haben, denn er geriet auf den Sandstreifen, schleuderte mit seinem Wagen einmal um die eigene Achse und wirbelte mächtig Sand auf, ehe er das Fahrzeug wieder unter Kontrolle bekam und zurück auf die Strecke steuern konnte.

„Da würde ich echt gern mal mitfahren!“, schwärmte Belly. „Mann, dein Rufus hat tolle Filme hier. Jetzt weiß ich, warum er sich nicht langweilt!“

Shana hatte keine Angst mehr, aber trotzdem war ihr nicht geheuer. Das waren Rufus Traumbilder. Er hatte sie gemalt. Das waren keine Digirahmen. Oder doch?

„Aber ich hab auch eins gemalt“, murmelte sie. „Und die Farbe war magisch …“ Sie schaute Belly dabei zu, wie er von einem Bild zum anderen hüpfte und dabei vor sich hin plapperte.

„Hey, Shana, hier ist das Karussell! Das ist ein Bild mit einem Rummel drauf, mit Schießbuden, Zuckerwatte und dem kleinen Kinderkarussell, das so ´ne Babymusik macht!“

Dann war er schon beim nächsten und entdeckte eine einsame Insel mit einem unglaublichen Sandstrand und Kokospalmen.

„Du kannst die Wellen hören, wie sie an den Strand schwappen!“, rief er begeistert.

Shana hörte nicht mehr richtig hin. Auch sie war fasziniert vom Anblick der lebendigen Bilder. Wenn es nur Digirahmen waren, war ja alles okay. Aber sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Rufus so viele davon hatte. Er war Maler. Er malte seine Traumbilder, hatte er gesagt. Und Belly und sie hatten ihre eigenen Traumbilder malen dürfen. Das ging auf Digirahmen nicht. Belly schien das ganz vergessen zu haben. Shana schnupperte. Sie roch … Elefantenkacke! Sie fuhr herum. Sie stand noch immer vor dem Bild mit den Rennwagen. Langsam begab sie sich zurück zu dem mit dem Zirkus. Sie hockte sich dicht davor und sah, wie ein Mann gerade dabei war, einen gigantischen Haufen Kacke wegzuschaufeln, den das große Tier direkt vor den Eingang des Zeltes gemacht hatte. Der Mann schimpfte vor sich hin, aber Shana konnte heraushören, dass er es nicht böse meinte.

„Puuhhh!“, machte sie und rümpfte die Nase. Das roch wie im Elefantenhaus im Zoo. Es war zwar auf dem Bild nur ein kleiner Haufen, aber der Geruch war unverkennbar.

„Belly!“, rief sie über ihre Schulter. „Können Digirahmen Gerüche produzieren?“

„Weiß nicht“, kam es zurück. „Vielleicht die neuesten Modelle?“

„Der hier kann Elefantenkacke!“

„Und hier riecht´s nach Sonnenmilch! Da liegt einer am Strand und cremt sich ein!“

Shana schüttelte den Kopf. Das hier waren keine Digirahmen. Da konnte Belly noch so sehr drauf beharren. Das waren magische Bilder. Sie spürte es. Das Leben in ihnen wirkte einfach … echt. Mit einemmal durchzuckte Shana ein Gedanke. Sie erhob sich aus der Hocke und erklomm das Podest, wo die beiden Traumbilder, die Belly und sie am Nachmittag gemalt hatten, immer noch standen. Sie warf einen kurzen Blick auf die Nachricht von Rufus, aber da stand immer noch die alte. Dann schaute sie auf ihr Bild. Ihre Augen weiteten sich. Der Hengst, den sie sich erträumt hatte, stand inmitten seiner Herde und graste friedlich in der Sonne. Die Sonne stand mitten am Himmel! Aber sie hatte sich die Szene im Licht der untergehenden Sonne erträumt! Es schien ganz so, als wäre es auf dem Bild mittlerweile Tag geworden. Verblüfft betrachtete sie die Szene. Sie sah die Tiere grasen und auch, wie der Wind das Gras in Wellenbewegungen versetzte. Ihr Traumbild lebte!

Belly! Unsere Traumbilder! Sie bewegen sich auch! Sie leben!“

Belly stand fasziniert vor einem weiteren sehr großen Bild und schüttelte fortwährend den Kopf.

„Ey, Shana, das glaubst du nicht! Hier sind die schärfsten Typen drauf! Lauter verrückte Wesen! Manche sind ganz nackt und flitzen dauernd durch die Gegend. Und dann gibt es kleine Monster, die aussehen wie Bälle! Eine ganze Stadt voller Außerirdischer! Das musst du sehen!“

Belly!“, versuchte es Shana noch einmal, diesmal eindringlicher. „Das sind keine Digirahmen! Die Bilder sind magisch!“ Dann kam ihr ein Gedanke, der sie durchzuckte wie ein Blitz.

Du darfst sie nicht anfassen! Hörst du, Belly, nicht anfassen!“

Aber Belly plapperte weiter vor sich hin. Er war so fasziniert von dem kuriosen Bild, dass er seine Umgebung völlig vergaß. Und was dann passierte, würde Shana ihr Lebtag nicht mehr vergessen. Belly hob die Hand, um eine der kleinen Wollkugeln in dem Bild zu berühren, als ein Lichtstrahl unglaublicher Intensität aus dem Bild schoss, seinen Arm wie eine Lichtschlange umschloss und dann seinen ganzen Körper erfasste. Es ging so schnell, dass Belly nicht mal schreien konnte. Dann schien er sich aufzulösen, zu einer formlosen Masse zu werden, die immer mehr schrumpfte und in den Lichtfinger gesogen wurde. Innerhalb von ein, zwei Sekunden war Belly eins mit dem zuckenden Lichtstrahl. Einen Wimpernschlag später machte es Schhhlllluurrrrpp, und das Licht floss samt Belly oder was von ihm übrig war, zurück ins Bild. Der dicke Junge war verschwunden.

Neiiiin!“, schrie Shana und stürzte vom Podest herunter. Im Abstand von einem Meter kniete sie sich vor dem Traumbild nieder und starrte hinein. Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Jetzt erblickte auch sie diese kuriosen, teils witzigen, teils gruselig aussehenden Wesen. Shana konnte es nicht glauben. Warum nur hatte sie ihren Freund nicht früher gewarnt? Sie hatte doch gewusst, wie sehr Rufus vor dem Berühren der Bilder gewarnt hatte. Völlig verzweifelt betrachtete sie das Bild, auf dem plötzlich viele dieser Wesen aufgeregt durcheinander liefen. Durch tränenverschleierte Augen bemerkte Shana, dass sie alle auf ein einzelnes Wesen zuliefen, das mitten auf einer Art Vorplatz lag. Kurz vor der zusammengekrümmten Gestalt blieben sie stehen und bildeten einen Halbkreis. Shana stockte das Blut in den Adern. Die Gestalt wirkte merkwürdig vertraut zwischen all den fremdartigen Wesen. Sie führte ihr Gesicht so nahe wie möglich an das Bild heran. Nur nicht berühren! Dann zwinkerte sie ein paar Mal, um klarer sehen zu können. Jetzt erkannte sie, was dort lag. Die Gestalt, die auf dem Platz ruhte, war gekleidet wie ein kleiner Forscher und trug eine Weste!

Mein Gott! Belly!“, flüsterte Shana verzweifelt. Eine eiskalte Hand griff nach Shanas Herzen. Belly war bei diesen Monstern gelandet, und sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie ihn da wieder rausholen konnte. Würden ihn diese Wesen womöglich auffressen? Bellys Gestalt verschwamm vor ihren Augen, und in der Galerie der Träume mischte sich ein weiteres Geräusch unter die vielen aus den Traumbildern, nämlich das verzweifelte Weinen eines dreizehnjährigen Mädchens. Mit zuckenden Schultern und hängendem Kopf kniete sie vor dem Traumbild und fühlte sich schuldig und hilflos. Gedanken wirbelten durch ihren Kopf, und keinen von ihnen konnte sie richtig fassen. Was passierte in dem Bild? War es jetzt ein Traum oder waren da drin alle so lebendig wie Belly? Wie kam man da wieder raus? Rufus! Rufus müsste es doch wissen! Aber es war mitten in der Nacht, und um diese Zeit würde Rufus nicht nach Hause kommen. Mit tränenverschleierten Augen blickte sie auf. Sie traute sich kaum, hinzuschauen. Doch sie musste. Und was sie erblickte, erschreckte sie noch mehr. Die merkwürdigen Wesen waren dabei, Belly vom Boden aufzuheben und in eines ihrer Häuser zu tragen!

Nein!“, schrie sie und griff mit ihrer Hand reflexartig nach vorn, um ihren Freund zu retten. Im Bruchteil einer Sekunde erkannte sie, dass das ein Fehler gewesen war. Ein Lichtstrahl schoss aus dem Bild, umwickelte ihren Arm, griff blitzschnell auf ihren Körper über und hüllte sie ein. Für einen winzigen Augenblick ging ihr auf, dass sie dabei war, Belly in das Traumbild zu folgen. Dann blendete sie das Licht in einer unglaublichen Intensität. Eine Millisekunde später fühlte sie, dass sie schwerelos wurde. Dann wurde es schwarz um sie herum.

Zurück blieb die Galerie der Träume mit ihren wispernden Stimmen, flackernden Lichtern und magischen Gemälden.

Возрастное ограничение:
0+
Объем:
270 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783738078831
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают