Читать книгу: «Shana», страница 11

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„Wie ein Halunke siehst du nicht aus“, brummte Black Sam. „Und wie ein Engländer oder ein Spanier auch nicht. Also, was bist du dann? Wo kommst du her?“

„Ich bin …“, krächzte Rufus und hustete. „Ich bin ein Weltenbummler. Mein Name ist Rufus. Ich wohne mal hier, mal dort und reise am liebsten umher. Ich will auch kein Engländer oder Spanier sein, sondern einfach nur Rufus.“

„Aha“, meinte der Käptn belustigt. „Du treibst am liebsten durchs Meer. Mal hierhin, mal dorthin. Und heute an den Strand von Death Island. Sehr interessant. Ich glaube eher, du hast zuviel Meerwasser geschluckt, und die Sonne hat dein Gehirn verdörrt. Soviel Blödsinn habe ich zuletzt von dem jungen Mann mit der komischen Frisur gehört.“

Er zwinkerte Belly zu. „Schon komisch, erst taucht ihr mit einer wirren Geschichte auf, und dann dieser lustige Vogel hier. Man könnte meinen, irgendwo da draußen auf dem Meer gibt es ein Nest von eurer Sorte.“

Rufus trank das Wasser aus und reichte Shana die Nuss zurück. „Mein Schiff ist untergegangen. Ich habe mich einen Tag und eine Nacht lang an einem Brett festgehalten, bis mich die Kräfte verließen. Und dann … habt ihr mich rausgezogen.“

Bellamy zog die Stirn in Falten. „Hm, dein Schiff ist also untergegangen. Wie hieß denn dein Schiff?“

„Ähh … das weiß ich nicht.“

„So, das weißt du nicht. Ich fürchte, du hast ganz schön was abgekriegt. Siehst ja auch ein bisschen aus wie ein Weichei. Aber ich bin kein Unmensch. Die beiden Kinder hier werden dir etwas zu essen und zu trinken besorgen und sich ein wenig um dich kümmern. Mehr kann ich nicht für dich tun. Wir müssen selbst sehen, wie wir überleben. Und, Männer, steht hier nicht so rum! Zurück an die Arbeit! In spätestens fünf Tagen will ich hier weg sein.“

„Käptn …“ Der Bengale ergriff das Wort. „Wir können nicht noch einen Esser mehr gebrauchen. Die beiden Gören sind schon eine Last. Aber der hier …“ Er blickte abschätzig auf Rufus hinab. „… wird außer essen nichts können. Der hat so feine Hände wie ´ne Frau. Der kann ja nicht mal ´ne Axt halten!“

Die anderen Männer lachten zustimmend. „Bengale hat recht“, sagte der Pirat mit dem Klaviergebiss. Sein Gesicht verwandelte sich in eine hinterlistige Fratze. „Wenn wir den durchfüttern, schwächen wir uns selbst. Und das Beiboot ist auch zu klein für uns alle.“

Shana und Belly spürten, dass die Stimmung feindselig wurde. Rufus saß da und schwieg. Er ahnte, dass alles, was er sagen würde, vielleicht das Falsche gewesen wäre. Der Käptn stemmte die Arme in die Seiten, die rechte Hand dicht an dem Vorderlader, der in seinem Hosenbund steckte.

„Männer, ihr wisst, wie ich mit meinen Freunden und meinen Feinden umgehe. Ich behandele sie mit Respekt. Aber wer mich verrät oder betrügt oder ärgert …“ Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Dann trat er einen Schritt auf den Bengalen zu und führte sein Gesicht bis auf wenige Zentimeter an das des aufsässigen Mannes heran.

„Was, lieber Bengale, hättest du getan, wenn du einen Tag später als wir anderen an diesen Strand gespült worden wärst? Wärst du zurück ins Meer gegangen, weil du ja ein weiterer Esser wärst, den niemand gebrauchen kann?“

Der Bengale wich zurück. „N … nein, nein. Ich kann ja arbeiten. Ich bin stark und hab keine Weiberhände wie der da!“

Der Käptn blieb hartnäckig. Bennie merkte, dass die Luft auch für ihn dünn wurde und trat unauffällig hinter die anderen Männer, die angespannt dem Wortwechsel ihres Anführers mit dem Bengalen zuhörten.

„Na, noch schlimmer!“, lachte Bellamy. „Ein starker Kerl mit einem Riesenhunger! So einer frisst doch den anderen die Haare vom Kopf! Wenn so einer hier angeschwemmt wird, würden die meisten Halunken ihn ins Meer zurückwerfen, meinst du nicht?“

Dem Angesprochenen blieb nichts anderes übrig, als zu nicken.

„Siehst du“, meinte Black Sam zufrieden und trat einen Schritt zurück, was den Bengalen sichtlich aufatmen ließ. „Ich werfe niemanden zurück ins Meer. Ich will, dass alle durchkommen. Freund wie Feind. Und wenn du dich recht erinnerst, warst auch du einmal ein Feind, als ich dich aus der Knechtschaft von diesem Samuel Hook befreit habe. Oder hast du das schon vergessen?“

Der Bengale schüttelte heftig den Kopf. „Nein, Käptn, das werde ich nie vergessen!“

„Das will ich auch hoffen. Denn so wie du damals fühlt sich dieser Rufus jetzt. Und nur, weil einer feine Hände hat, heißt das noch lange nicht, dass er uns nicht nützlich sein kann. Vielleicht stammt er aus gutem Haus und gibt eine schöne Geisel ab, wer weiß?“

Der Bengale sackte sichtlich in sich zusammen. „Ich meinte ja nur …“

„Lassen wir es gut sein“, beendete der Käptn die Auseinandersetzung. „Ich mach euch einen Vorschlag. Ihr werdet nichts mit diesem Rufus zu tun haben. Die Kinder können sich um ihn kümmern. Und wenn er kräftig genug ist, kann er fischen gehen oder Holz sammeln. Seid ihr damit einverstanden?“

Zustimmendes Gemurmel.

„Gut. Dann zurück an die Arbeit. Ich will den Mast bis heute abend fertig haben. Bennie und Bengale, ihr könnt das Segeltuch und festen Zwirn aus dem Lager holen.“

Die Männer hatten die Autorität ihres Anführers anerkannt. Die feindselige Stimmung war gewichen. Bennie und der Bengale zogen los, um die Sachen zu holen, und die übrigen Männer begaben sich zu einem neben dem Beiboot liegenden Holzstamm, um einen Mast aus ihm zu fertigen.

Der Käptn schaute ihnen befriedigt nach. Dann wandte er sich an Rufus. „Das, was ich gesagt habe, meine ich auch so. Aber du wirst dich hier einbringen und arbeiten, was du eben kannst. Genau wie die Kinder, haben wir uns verstanden?“

Rufus nickte.

„Gut. Also, Kinder, päppelt den Kerl hier ein wenig auf. Und wenn er sich erholt hat, könnt ihr versuchen, ein paar Langusten zu fangen.“ Er warf einen anerkennenden Blick auf die zwei Reusen, die Shana geflochten hatte. „Gute Arbeit, junge Frau! Weißt du, wie man sie benutzt?“

Shana schüttelte den Kopf.

„Such dir die Reste von unserem Abendessen von gestern und leg sie in die Reusen. Am besten kratzt du das Fleisch von den Knochen oder legst die Knochen gleich ganz rein. Aber klemm das Zeug ein bisschen fest, sonst wird es wieder rausgeschwemmt. Du kannst dir von den Männern zwei Seile geben lassen, die du an den Reusen festmachst. Dann brauchst du sie nur noch ins Wasser legen. Am besten beschwerst du sie mit ein paar Steinen, sonst bleiben sie nicht unter Wasser. Oder du kannst sie auch am Riff zwischen die Korallen klemmen. Vielleicht brauchst du die Seile dann gar nicht. Die besten Stellen für Hummer und Krebse sind draußen am Riff. Die Lagune ist flach, du kannst bis dahin waten. Aber pass bei den Felsen auf, die sind scharfkantig. Alles klar?“

Shana wusste es nicht genau, aber sie nickte.

„Gut, dann lass ich euch jetzt allein. Wenn ein Käptn seinen Männern nicht hilft, kriegt er Ärger. Und damit hätte der Bengale tatsächlich einmal recht.“

Der Käptn grinste, drehte sich um und stapfte am Ufer entlang zu seinen Männern. Shana zappelte vor Ungeduld, aber sie wartete, bis sich der Käptn außer Hörweite befand.

„Rufus, bin ich froh, dich zu sehen! Was ist passiert? Wie kommst du auf diese Insel? Woher weißt du überhaupt, dass wir hier sind? Hast du ein Traumbild gemalt? Warst du bei den Goshis? Und warum …“

„Hey, halt, halt!“ Rufus hob in gespielter Verzweiflung die Hände. „Nun warte doch. Ich erzähl euch ja alles. Aber willst du mir nicht erstmal deinen Begleiter vorstellen?“ Er besah sich belustigt die Glatzenspur auf Bellys Kopf. „Ich glaube, ich weiß, wer du bist, denn ich hab deinen Rasierapparat getroffen!“

Belly verzog das Gesicht. „Es war nur ein kleiner Katongi, aber er hat mich voll erwischt.“

„Na ja“, lächelte Rufus, „nicht mal halb, würde ich sagen. Aber wer weiß, vielleicht wird das ja die neue angesagte Frisur bei den Jugendlichen. Du heißt Belly, nicht wahr?“

Belly nickte. Rufus setzte sich in den Schneidersitz und beobachtete nachdenklich das Treiben der Männer am Strand.

„Es tut mir leid, dass ihr soviel durchgemacht habt. Das ist alles meine Schuld. Ich hätte euch nicht erlauben sollen, ein Bild zu malen.“

Shana wurde wütend. „Das, lieber Rufus, war nicht das Problem. Unsere Bilder waren harmlos.“ Sie warf einen Seitenblick auf Belly. „Na ja, bis auf Bellys zweites Bild. Aber das hat er ja erst später gemalt. Das Bild mit den Goshis hat uns reingezogen. Du hättest mir doch sagen können, was wirklich passiert, wenn man den Bildern zu nahe kommt.“

Rufus wand sich sichtlich. „Ich hab euch doch gewarnt. Auf den Zetteln.“

Belly schaltete sich ein. „Mein Vater sagt immer, wenn man Kindern was verbietet, reizt es sie umso mehr.“

„Ich hab leider keine Kinder“, meinte Rufus leise. „Aber da ist wohl was dran. Jedenfalls tut es mir sehr, sehr leid. Aber das hier …“ Er machte eine ausladende Handbewegung in die Runde. „… hab ich nicht gemalt.“

„Nein, das ist ganz allein meine Schuld“, gab Belly betreten zu. „Ich wollte unbedingt auf ein Schiff.“

„Jetzt erzähl doch endlich, wie du uns gefunden hast!“, fuhr Shana dazwischen.

„Ich hab mir gedacht, dass du wiederkommst“, begann Rufus. „Und dass du einen Freund oder eine Freundin mitbringen würdest. Als ich zurück in meine Hütte kam, um nach euch zu schauen, wart ihr nicht da. Aber dein Rucksack stand einsam in meinem Wohnzimmer. Ich hab mir gedacht, was passiert war. Das Dumme war nur, dass ich nicht wusste, in welchem Bild ihr verschwunden wart. Es hat ewig gedauert, bis ich gemerkt habe, dass ihr zu den Goshis gegangen seid. Ich bin in einige Bilder eingetaucht und hab euch wie verrückt gesucht. Dann hab ich mir aber gedacht, dass die kleinen Kugelwesen und die Goshis euch sicher gereizt haben und hab es da versucht.“

„Dann hast du unsere beiden Freunde getroffen, und die haben dir alles erzählt“, ergänzte Shana.

„Richtig.“ Rufus grinste. „Adam und Eva. Das war ja eine verrückte Idee von euch, den Goshis Namen zu geben.“ Als er sah, dass Shana aufbrausen wollte, winkte er beschwichtigend ab. „Das war toll! Ich habe einiges falsch gemacht, und erst ihr habt mir die Augen geöffnet. Es war nicht richtig, meine Träume auf Kosten anderer auszuleben. Ich habe darüber nie richtig nachgedacht, und ausgerechnet die Goshis haben mich daran erinnert, dass es noch andere Wesen auf der Welt gibt, die Träume haben.“

„Das stimmt“, meinte Shana ernst. „Du hast die Goshis und die Katongis erschaffen, aber nicht damit gerechnet, dass sie klug sein konnten.“

„Na ja, die Katongis sind und bleiben doof“, lachte Rufus. „Adam hat mir die ganze Geschichte erzählt. Ich konnte ihm natürlich nicht sagen, dass ich ihn mir nur erträumt habe, aber ich habe ihm versprochen, dass ich sie viel öfter besuchen und höllisch aufpassen werde, dass die Katongis nicht wieder das Traumgel klauen.“

„Du hättest sie einfach Gras fressen lassen sollen“, murmelte Belly.

„Wieso denn das?“, fragte Rufus erstaunt.

„Na, sieh mich doch an!“ Belly zeigte auf die Schneise in seinen Haaren.

Rufus unterdrückte mit Mühe ein Lachen. „Entschuldige, aber ich konnte beim besten Willen nicht voraussehen, dass ein Junge namens Belly zu den Katongis reist.“

„Nein“, sagte Shana schärfer, als sie wollte. „Aber du hättest voraussehen können, dass das Gel oder das Haarbild verloren gehen können, und dass Wesen, die sich nur von Haaren ernähren, dann über die lieben Goshis herfallen. Was hast du dir dabei nur gedacht?“

Rufus nahm eine Handvoll Sand auf und ließ ihn durch die Finger rieseln. „Das weiß ich heute auch nicht mehr“, gab er zu. „Ich hab die Stadt gehasst. Ich bin im Childrens Garden aufgewachsen. Ihr wisst ja, was das ist. Da, wo man die Waisenkinder erzieht. Meine Eltern sind früh gestorben, und Freunde findest du dort nicht unbedingt. Das einzige, was ich hatte, waren die Ausflüge in den Wald. Ich bin heimlich durch die Multiwand der Erzieher abgehauen.“

„Und dann hast du dir Traumbilder gemalt?“, fragte Belly drängend.

„Ja.“

„Aber woher hast du das Traumgel? Das kannst du doch nicht erfunden haben.“

„Ich habe es genauso erhalten wie du“, antwortete Rufus und schaute in Shanas verblüfftes Gesicht. „Auf der Lichtung saß ein Mann und malte. Er hat mir seinen Namen nie verraten. Eines Tages entdeckten die Erzieher, dass ich ihren Beamer benutzte. Ich hab gelauscht, als sie darüber sprachen, was sie mit mir machen wollten. In jedem Fall wollten sie mir den Zugang zur Außenwelt für immer verwehren.“

„Und dann bist du abgehauen“, stellte Belly fest.

„Ja, noch am selben Tag. Bevor sie das Planquadrat sperren konnten.“

Eine Zeitlang sagte niemand ein Wort. Shana scharrte nachdenklich mit den Füßen im Sand. Dann ging ihr ein Gedanke durch den Kopf. „Ich glaube, ich weiß, was dann passiert ist. Du hast über Jahre allein gelebt und dir alles nur erträumt. Du hattest keine Eltern und keine Freunde mehr. Alles, was dich getröstet hat, waren die Bilder. Aber Rufus … man kann nicht ohne Freunde leben. Da wird man verrückt!“

Rufus sah sie nachdenklich an. „Vielleicht hast du recht. Ich hab immer gedacht, allein ist es viel besser. Und wenn ich Freunde brauchte, hab ich mir halt welche gemalt.“

„Man kann sich keine Freunde malen“, grunzte Belly. „Die muss man sich verdienen.“

Einen Moment lang war Rufus sprachlos. Irgendwo hinter ihnen fiel eine Kokosnuss zu Boden, aber niemand nahm Notiz davon. Schließlich brach Shana den Bann.

„Rufus, du hast jetzt zwei Freunde. Belly und mich. Wir werden dich ganz oft besuchen. Und wenn du uns brauchst, sind wir sofort bei dir.“

„Shana … was soll ich sagen … danke!“ Rufus war sichtlich verlegen und wusste nicht, wohin er schauen sollte, aber Belly half ihm aus der Patsche.

„Du hast noch nicht alles erzählt! Wie hast du uns denn dann gefunden?“

„Na, das Bild, das du von dem Schiff gemalt hattest, stand immer noch am Fensterbrett der Goshis. Die beiden haben mir ja erzählt, dass ihr da reingegangen seid. Ich musste nur warten, bis es wieder dunkel wurde. Dann bin ich euch gefolgt. Ich kam im Bauch dieses Piratenschiffes heraus, gerade, als der Kampf losging. Eine Kanonenkugel flog direkt an mir vorbei durch den Laderaum. Als das Schiff dann unterging, hab ich mich verzweifelt an irgendeine Holzplanke geklammert und bin einen Tag und eine Nacht auf dem Meer getrieben. Na, den Rest der Geschichte kennt ihr ja.“

Shana und Belly schwiegen. Irgendeine sehr wichtige Frage ging in Shanas Kopf herum, aber sie konnte sie nicht einfangen. Dann lenkte Rufus sie ab.

„Ich hab furchtbaren Hunger!“

Belly musste lachen. „Mensch, ich auch! Ich hab den ganzen Tag lang noch nichts gegessen und hab´s noch nicht mal gemerkt! Aber jetzt, wo du´s sagst, könnte ich ein Dutzend Gigantoburger auf einmal essen!

Jetzt musste auch Shana lachen. „Hey, Belly, ich bin stolz auf dich! Ich hätte nie gedacht, dass du so lange durchhältst. Und auch nicht, dass du so mutig bist.“

„Echt?“

„Echt. Tja, Rufus, viel zu essen gibt es hier nicht. Belly, hol mal die eine Machete, und ich besorg uns ein paar Kokosnüsse. Das muss fürs erste reichen. Und dann sollten wir zusehen, dass wir die Reusen auslegen, sonst kriegen wir mächtigen Ärger. Die Männer werden noch hungriger sein als wir.“

Belly zog los, um die Machete zu holen, und Shana und Rufus sammelten ein halbes Dutzend Kokosnüsse. Nachdem sie den ärgsten Hunger und Durst gestillt hatten, ging Shana rüber zu den Piraten und besorgte sich zwei Seile, wie der Käptn es ihr aufgegeben hatte. Damit kehrte sie zurück und befestigte sie an den Reusen. Belly bekam die Aufgabe, die Essensreste vom Vorabend zusammenzukratzen. Dann steckten sie die unansehnlichen Leguanknochen in die Reusen und versicherten sich, dass sie nicht wieder rausgeschwemmt werden konnten.

„Okay“, meinte Shana schließlich zufrieden. „Dann lasst uns mal sehen, ob wir was fangen.“

Das grüne Wasser der Lagune war relativ flach. Wie ein Halbkreis rahmte der Strand die kleine Bucht. Shana, Belly und Rufus wateten immer weiter ins Meer hinein, bis es nach etwa dreißig Metern tiefer wurde. Ein Stück weiter rollten die Wellen gegen das Riff, das der Bucht vorgelagert war.

„Passt auf!“, rief Rufus. „An den Korallen zerschneidet man sich ganz schnell die Füße!“

Belly ergriff Shana am Arm. „Sieh mal, da ist eine Lücke im Riff.“

Shana folgte Bellys Blick und erkannte, dass es eine etwa fünf Meter breite Stelle gab, die frei von Felsen war. Zumindest an dieser Bucht war es die einzige Stelle, an der man gefahrlos anlanden konnte.

„Rufus hat Riesenglück gehabt, dass er ausgerechnet durch diese Lücke getrieben wurde“, meinte Belly. Shana nickte und schaute sich suchend um.

„Wo soll ich denn die Reusen festmachen?“, rief sie rüber zu Rufus, der den Meeresboden nach einer geeigneten Stelle absuchte, wo man die Reusen ablegen konnte.

„Ich glaube, das Beste wird sein, wir klemmen sie einfach zwischen die Felsen. Hier gibt es ja nichts, woran wir sie festbinden könnten. Kommt mal hier rüber! Ich glaube, die Stelle hier ist gut!“

Ihre Hosen waren mittlerweile vollkommen durchnässt, aber das war völlig egal, so wie sie inzwischen aussahen. Außerdem gab es nun mal keine Sachen zum Wechseln. Das einzige, was Shana Sorgen machte, war die Tatsache, dass sie sich einen gehörigen Sonnenbrand einfangen würden, wenn sie nicht bald wieder im Schatten waren. Gemeinsam mit Belly kämpfte sie sich gegen die Strömung hin zu Rufus. Das Wasser war glasklar, dass man beinahe jede Einzelheit erkennen konnte, die sich unter der Oberfläche befand. Die Korallen streckten hier viele Ableger dicht am Boden aus. Rufus hatte recht. Hier müsste es möglich sein, die Reusen festzuklemmen.

„Wer kann tauchen?“, fragte Belly in die Runde. Als Rufus nichts sagte, traf Shana die Entscheidung.

„Ich. Ich bin die Beste in unserem Jahrgang, wie du weißt, Belly. Also mach ich es.“

„Stehen kannst du ja“, meinte Belly. „Also kannst du nicht ertrinken. Und ich pass auf Haie auf.“

Shana starrte Belly mit großen Augen an. Dann fuhr sie herum zu Rufus. „Gibt es hier Haie?“

„Was weiß ich?“ Rufus grinste. „Belly hat das Bild mit dem Piratenschiff gemalt.“

„Es war ein Handelsschiff“, sagte Belly lahm. Aber dann wollte er Shana doch die Angst nehmen. „Hier ist es doch viel zu flach für Haie.“

Shana war halbwegs beruhigt. Aber sie schaute doch noch eingehend in die Runde, bevor sie tief Luft holte, die erste Reuse fest packte und sich dann unter Wasser gleiten ließ. Dass Belly sagte: „Aber Barracudas gibt´s hier schon, oder, Rufus?“, hörte sie Gott sei Dank nicht mehr.

Shana machte ihre Sache gut. Es war nicht sonderlich schwer, die Reusen zwischen die Korallen zu klemmen. Da es an der Wasseroberfläche nichts gab, woran man die Seile fixieren konnte, kam Shana auf die Idee, sie unter Wasser um starke Korallenäste zu schlingen. Als sie auch die zweite Reuse sicher befestigt hatte, schüttelte sie sich die nassen Haare aus. Triefend stand sie neben Rufus und Belly und betrachtete befriedigt ihr Werk.

„Wenn ihr mich fragt, dann gehen wir in zwei Stunden wieder nachschauen. Wenn wir hierbleiben und warten, werden wir uns höllisch verbrennen.“

Rufus hob die Hand vor die Augen und schaute nach dem Sonnenstand.

„Du hast recht. Aber nicht länger als zwei Stunden. Die Sonne geht in der Nähe des Äquators verdammt schnell unter. Ich schätze, wir haben nicht viel mehr als drei Stunden, bis es dunkel wird. Im Dunkeln will ich mir nicht von einem Hummer den Zeh abbeißen lassen.“

„Okay, dann lasst uns zu Black Sam gehen und nachschauen, wie weit sie mit dem Mast sind.“

Sie überließen die Reusen ihrem Schicksal und wateten zurück zum Strand. Die Sonne brannte auf ihren Rücken. Als Shana auf den seltsamen feinen Bellamy zuging, kam ihr in den Sinn, was ihre Eltern und ihr Bruder jetzt wohl taten. Sie würden sich unendliche Sorgen machen, das wusste sie. Aber wenn sie ehrlich war, dann musste sie sich selbst gestehen, dass sie nicht mehr nach Hause wollte. Jedenfalls heute noch nicht.

*

Es stellte sich heraus, dass Shana tatsächlich gute Reusen gebaut hatte, denn es hatten sich sechs fette Langusten in ihnen angefunden. Zusammen mit weiteren drei Leguanen, die die Männer gefangen hatten, Kokosnüssen und sogar Bananen ergab das ein zwar kleines, aber sehr leckeres Abendbrot. Die Piraten waren an diesem zweiten Abend recht wortkarg, nur der Käptn berichtete begeistert von der Kaperung der Whyla und schmückte das Ereignis gestenreich aus. Shana nahm an, dass die Männer müde von ihrer schweren Arbeit waren. Es dauerte nicht lange, und einer nach dem anderen zog sich zum Schlafen zurück. Diesmal hielt es auch Bellamy nicht lange am Feuer.

„Kinder und Weltenbummler, ich geh Krabben abhorchen. Seid so gut und schüttet Sand über die Glut, wenn ihr fertig seid.“

„Machen wir“, meinte Belly. Auch Rufus gähnte bereits, aber Belly wollte unbedingt noch etwas loswerden.

„Leute, ich hab den Schatz der Whyla gefunden!“

Rufus wollte gerade den letzten Knochen eines Leguanbeins in hohem Bogen ins Meer werfen, als er Bellys Worte vernahm, und hielt mitten in der Bewegung inne.

Du hast was?“

„Ich hab den Schatz der Whyla gefunden.“

„Red leiser“, zischte Shana. „Ich hab keine Lust, morgen als Leguan zu enden!“

„Ja, ist ja schon gut. Ich wollte es euch die ganze Zeit schon sagen. Ich war doch gestern den Pfad erkunden, den du gefunden hast.“

„Du wolltest zehn Minuten wegbleiben“, fauchte Shana. „Und du warst fast eine Stunde weg!“

„Nicht viel mehr als ´ne halbe“, grummelte Belly.

„Leute, könnten wir jetzt mal zur Sache kommen?“, seufzte Rufus. „Belly findet den Schatz der Whyla, und ihr fangt an zu streiten.“

Belly zuckte grinsend die Schultern. „Na ja, der Pfad ging eben weiter hoch, als ich dachte. Da oben gibt es eine Felswand, an der es nicht mehr weitergeht. Erst wollte ich zurückgehen, aber dann hab ich was gefunden.“

„Und was?“, drängte Shana.

Belly kramte in seiner Hosentasche und zog eine der Goldmünzen hervor.

„Das hier!“

Er ließ die Münze herumgehen. Shana konnte sich eine Bemerkung nicht verkneifen.

Das ist der Schatz der Whyla?“

„Nein, liebe Shana, das ist nur eine Münze aus dem Schatz der Whyla.“ Belly setzte sich in den Schneidersitz und genoss den Moment seines Triumphes. „Ich hab die Höhle gefunden, die sich hinter Dornenbüschen versteckt. Da drin sind Wandmalereien und …“

„Und was?“, fragte Rufus und reichte Belly die Münze zurück.

„Kisten“, grinste Belly. „Kisten, Kisten und noch mehr Kisten. Und jede von ihnen ist randvoll gefüllt mit diesen Münzen hier. Jedenfalls hab ich eine aufgemacht und die war bis obenhin voll.“

Er langte nochmals in seine Tasche und fummelte die zweite Münze hervor. Sie besaß die gleiche Gravur und das gleiche Portrait wie die erste. Rufus warf einen wachsamen Blick zu den Piraten hinüber, von denen aber niemand mehr wach zu sein schien.

„Du sagst, du hast die eine Münze vor der Höhle gefunden?“

„Ja. Sie lag am Rand des Gestrüpps. Wenn sie nicht in der Sonne geblinkt hätte, hätte ich die Höhle nie gefunden.“

„Hm“, machte Rufus. „Das ist nicht gut.“

„Wieso nicht?“, fragte Shana verständnislos.

„Weil es Ärger bedeuten könnte. Käptn Black Sam Bellamy ist ein ehrenwerter Mann, soweit man das von einem Piraten sagen kann. Aber nicht jeder seiner Männer teilt seinen Charakter. Wenn es um Gold geht, hört jede Loyalität irgendwann auf. Seht ihr, die Whyla ist untergegangen. Und nun auch die Adventure. Der Käptn hat kein Schiff mehr. Und die meisten Männer sind tot. Der Rest ist keine Mannschaft mehr, wozu auch, ohne Schiff? Sie werden darüber nachdenken, wie es weitergeht, wenn sie hier tatsächlich wegkommen. Ohne Geld ist das beinahe unmöglich. Ich wette mit euch, dass der eine Kerl … wie heißt noch der mit den Zahnlücken?“

„Bennie“, sagte Shana.

„Also, dieser Bennie sollte Äxte und Wasser holen. Ich wette, dass er nicht widerstehen konnte und einige Münzen hat mitgehen lassen.“

„Und eine davon hat er auf dem Rückweg verloren“, sagte Belly leise.

„Hm.“

„Vielleicht hat ihn derselbe Affe erschreckt wie mich“, grinste Belly.

„Da war ein Affe?“, staunte Shana.

„Eine ganze Horde. Gesehen hab ich nur einen. Der sprang genau vor meine Füße.“

„Schade, dass ich nicht dabei war. Aber was ist daran so schlimm, wenn sie ein wenig von dem Schatz mitnehmen? Er gehört doch allen.“

„Schlimm ist, dass sie es heimlich tun.“ Rufus kratzte sich am Kopf. „Wahrscheinlich hätte Bellamy nicht mal etwas dagegen. Aber wenn er rauskriegt, dass einer oder mehrere klauen, dann gibt´s Probleme. Wir sollten zusehen, dass wir von hier verschwinden.“

„Wo willst du denn hin?“, fragte Belly und breitete die Arme aus. „Das Beiboot klauen und alleine aufs Meer raussegeln?“

„Nein“, lächelte Rufus. „Ihr wisst doch, wie ich mir aus so einer Welt heraushelfe.“

Shana lächelte spöttisch und musterte Rufus von oben bis unten. „Ja, du malst dich sonst immer einfach aus deinen Problemen raus, die du selbst geschaffen hast. Aber diesmal geht das nicht. Du trägst nur zerrissene Hosen und ein zerlumptes Hemd. Traumfarbe sehe ich jedenfalls nicht.“

„Ich hab das Gel mitgenommen“, lächelte Rufus und ergötzte sich an den verblüfften Gesichtern der Kinder. „Aber es ist bei dem Untergang der Whyla im Meer versunken.“

Sekundenlang starrten Shana und Belly Rufus an. Der saß da, grinste und zuckte die Schultern. „Nicht zu ändern. Vielleicht malt sich jetzt ein Tintenfisch eine Traumwelt. Die sollen ja sehr intelligent sein.“

Shana wurde fuchsteufelswild. „Wie kannst du da grinsen? Erst sagst du, du hast das Gel mitgenommen, damit wir uns freuen, hier wegzukommen, und dann sagst du, es ist im Meer versunken? Das ist nicht lustig! Das Gel liegt auf dem Grund des Meeres! Das findest du niemals wieder!“

Rufus lächelte verschmitzt. „Ja, das eine Gel ist verloren. Aber das andere hier nicht!“

Mit diesen Worten nestelte er unter seinem Hemd herum und zog eine Kette hervor, an der eine kleine Kapsel baumelte. Er hielt sie zwischen Daumen und Zeigefinger und ließ sie hin und her baumeln.

„Da ist Traumfarbe drin?“, flüsterte Belly. „Das ist doch viel zu wenig.“

„Von der Traumfarbe braucht man nicht viel. Es sind die Gedanken, die das Bild formen. Das Gel ist nur das Medium, das die Bilder auf Leinwand überträgt. Die Menge hier drin reicht für zwei bis drei Bilder.“

„Uff“, machte Shana. „Gott sei Dank. Wir können wieder nach Hause.“

„Na ja“, meinte Rufus. „Ganz so leicht wird es nicht gehen. Mein Pinsel ist auch verloren gegangen. Es muss einer aus Tierhaaren sein, künstliche Borsten übertragen die Gedanken nicht. Und außerdem haben wir keine Leinwand. Wir werden uns etwas einfallen lassen müssen.“

Belly warf wieder einen Blick zu den Piraten. „Die werden weder Pinsel noch Leinwand haben. Aber vielleicht Segeltuch.“

„Das werden sie hüten wie ihren Augapfel“, warf Rufus ein. „Aber lasst uns das morgen überlegen. Die Kapsel hier hat mich schon manches Mal aus einer schwierigen Situation gerettet. Ohne sie gehe ich niemals in die Traumwelten.“

„Siehst du“, meinte Shana schnippisch zu Belly. „Er denkt wenigstens nach, bevor er in ein Bild geht.“

„Ich hab gewusst, dass er nachkommt“, grinste Belly. „Ich mach jetzt das Feuer aus. Irgendwas zum Malen werden wir schon finden. Und wenn´s ein Leguanbauch ist.“

Rufus und Shana lachten und halfen Belly dabei, Sand auf die Glut zu schütten. Danach legten sie sich etwas abseits der Piraten in den Sand. Einige Minuten flüsterten sie noch miteinander, aber da jeder von ihnen todmüde war, kam ihnen keine zündende Idee mehr, woher man einen Pinsel und eine Leinwand bekommen konnte. Dann übermannte sie der Schlaf. Keiner von ihnen bemerkte, wie von Zeit zu Zeit ein nachtaktives Tier aus den Büschen schlich und an ihnen schnüffelte. Nur die kleinen Spuren am nächsten Morgen verrieten ihren Besuch. Aber darauf achtete niemand. Sie hatten andere Sorgen.

*

Das Frühstück war karg. Außer Nüssen und Bananen gab es nichts. Bellamy verteilte die Aufgaben für den Tag. Rufus, Belly und Shana sollten sich wieder ums Fischen kümmern, während die Truppe von Black Sam den Mast vollenden und im Beiboot fixieren wollte. Rufus fragte den Käptn wie beiläufig, ob er mit den Kindern nach dem Reusen legen in den Dschungel gehen und nach etwas Essbarem suchen dürfe.

„Warum nicht?“, knurrte Bellamy. „Wie kommt es, dass du dich damit auskennst?“

„Ich bin viel gereist und ich habe viel gelesen.“

„Siehst du“, meinte der Käptn und grinste Bennie an. „Wenn du belesen bist, brauchst du keine Muskeln.“

„Lesen macht noch nicht satt“, kam die brummige Antwort.

„Arbeiten allein auch nicht!“; lachte Bellamy. „Und je eher wir weitermachen, desto eher können wir Death Island den Rücken kehren. Also, los Jungs, an die Arbeit!“

Shana hatte beschlossen, zwei weitere Reusen zu flechten, damit sie noch größere Chancen hatten, satt zu werden. Bellamy hatte zugestimmt, und so saßen Rufus und Belly neben Shana im Schatten der größten Palme und schauten zu, wie Shana geschickt mit den Palmenfasern umging.

„Nicht schlecht für ein Mädchen, das alle Sachen nur von einem Bildschirm lernt“, lächelte Rufus.

„Ganz so ist es nicht“, meinte Shana ohne aufzusehen. „Die praktischen Dinge lernen wir gemeinsam bei echten Lehrern. Ich weiß zwar nicht, wozu man das noch braucht, wenn einem die Multiwand alles herstellen kann, aber Spaß macht es schon.“

Rufus hob eine der Reusen hoch, die am Vortag zum Einsatz gekommen waren und grinste.

„Also ich weiß schon, wozu man das braucht. Wenn du das nicht gekonnt hättest, hätte ich gestern keine köstliche Languste essen können.“

„Stimmt!“, strahlte Shana. „Vielleicht wissen unsere Lehrer, dass wir ab und zu in die verbotene Zone gehen.“

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