promo_banner

Реклама

Читать книгу: «Naturphilosophische Emergenz», страница 7

Шрифт:

183 Vgl. Stephan (1999b). S. 131. Vgl. auch Butler, Nicholas Murray/A. C. Armstrong (1926). „Notes. Sixth International Congress of Philosophy [First Circular]“. Mind. Vol. 35. No. 137. S. 130-131.

184 Vgl. Stephan (1999b). S. 131. Vgl. auch Blake, Ralph M. (1927). „Review“. The Philosophical Review. Vol. 36. No. 3. S. 270.

185 Vgl Stephan (1999b). S. 131-155.

186 Siehe Abschnitt 9.3.

187 McLaughlin (1992). S. 56-57.

188 McLaughlin (1992). S. 57.

189 Kim, Jaegwon (1999). „Making Sense of Emergence“. Philosophical Studies. Vol. 95. No. 1-2. S. 3-4.

190 Vgl. Eronen, Markus (2004). Emergence in the Philosophy of Mind. URL:http://ethesis.helsinki.fi/julkaisut/hum/filos/pg/eronen/emergenc.pdf (Stand: 14. März 2010). S. 19-20.

191 Vgl Stephan (1999b). S. 131.

192 Kim (1999). S. 4.

193 Kim (1999). S. 5.

5 Wiederkehr des Emergenzbegriffs in die Philosophie

Den Beginn der vierten Phase des Emergentismus – und damit den Start-punkt für die Wiederkehr des Emergenzbegriffs in die Philosophie – bildeten Karl Poppers „The Self and its Brain“ (1977) und Mario Bunges „The Mind-Body Problem“ (1980). Sie entwickelten Ende der 1970er Jahre als erste Philosophen wieder eigene Konzeptionen der Emergenz. Doch gibt es gute Gründe dafür, diese hier nicht näher zu betrachten: Karl Poppers Ansatz weist in verschiedenen Punkten gravierende Schwächen auf. Diese haben ihre Ursache vor allem darin, dass er mit den Werken der Britischen Emergentisten sowie ihrer kritischen Rezeption in keiner Weise vertraut zu sein scheint. Nirgends in Poppers Werk wird – weder inhaltlich, noch durch Zitate oder Rückbezüge – deutlich, dass er die klassische Emergenzdiskussion kennt. Dies führt jedoch zu erheblichen inhaltlichen Schwächen. Stephan hat deshalb ein hartes Urteil über Poppers Emergenztheorie gefällt: So habe Popper offensichtlich völlig unbeeinflusst von der älteren Emergenzdebatte einen eigenen Ansatz verfasst, der sich in keiner Weise in Subtilität und Klarheit mit den klassischen Ansätzen messen könne.194 Es ist zwar davon auszugehen, dass einige der Schwächen der Popperschen Emergenzkonzeption hätten vermieden werden können, wenn er die klassischen Emergenztheorien und die emergenzkritische Literatur in irgendeiner Weise zur Kenntnis genommen hätte. Da er dies jedoch nicht getan hat, ist seine Emergenzkonzeption so problematisch, dass sich für die moderne geistesphilosophische Diskussion nicht daran anschließen lässt.

Ebenso kann auch Mario Bunges Emergenzkonzeption nicht als Anknüpfungspunkt dienen: Er sieht in seinem „rational emergentism“195 einen Mittelweg zwischen dem – von ihm als irrational empfundenen196 – klassischen Emergentismus und dem Reduktionismus. Doch hat Stephan diese Einschätzung scharf kritisiert: Zum einen ist es sehr weit hergeholt, die sorgfältig ausgearbeiteten Theorien der Britischen Emergentisten als ‚irrational‘ zu bezeichnen. Zum anderen geht Bunge von einem sehr schlichten Begriff des Reduktionismus aus: So behauptet er unter anderem, dass Reduktionisten in der Reduktion nicht die Struktur des Systems berücksichtigen würden, und ferner, dass kollektive Eigenschaften schon dann reduziert seien, wenn nur einige Bestandteile des Systems Eigenschaften dieses Typs hätten.197 Würde er von einem angemesseneren Begriff des Reduktionismus ausgehen, so müsste er einsehen, dass seine Theorie – entgegen seiner eigenen Überzeugung – keine mittlere Position einnimmt, sondern als Form eines reduktiven Materialismus zu sehen ist. Seine Konzeption der Emergenz ist nämlich zu schwach formuliert, um zwischen der explanatorischen Realisierung einer mentalen Eigenschaft und ihrer Emergenz unterscheiden zu können. Für Stephan steht jedoch außer Frage, dass eine mentale Eigenschaft im schwachen Sinne Bunges emergent ist.198

194 Vgl. Stephan (1999b). S. 178-182.

195 Bunge (1977). „Emergence and the Mind“. Neuroscience. Vol. 2. Oxford/New York/Frankfurt: Pergamon Press. S. 503.

196 Vgl. Bunge (1977). S. 502.

197 Vgl. Stephan (1999b). S. 184-185 und Bunge (1977). S. 503-506.

198 Vgl. Stephan (1999b). S. 184-185.

II EMERGENZ IN DER PHILOSOPHIE DES GEISTES

6 Das Körper-Geist-Problem

Wenn über den jüngeren Teil der Wiederkehr des Emergenzbegriffs in die Philosophie gesprochen wird, so bezieht sich dies auf die Philosophie des Geistes. Hier kommt dem Emergenzbegriff in den letzten Jahren wieder vermehrt Aufmerksamkeit als nicht-reduktiv-physikalistischer Lösungsansatz zum Körper-Geist-Problem zu.199 Dieses Problem besteht darin, dass es unter Bedingungen eines naturwissenschaftlich geprägten Weltverständnisses – in dessen Rahmen die Welt als ein komplexes physikalisches System verstanden wird, dessen Grundstrukturen sich mittels der Physik und der auf ihr aufbauenden Naturwissenschaften beschreiben lassen – rätselhaft ist, wo hier der menschliche Geist zu verorten ist und wie dieser kausal wirksam sein soll.

6.1 Dualität von Physischem und Mentalem in der Erfahrung

Nach Godehard Brüntrup, mit dem das Körper-Geist-Problem im Folgenden ausführlicher dargestellt wird200, ist es eine fundamentale Grundannahme der Naturwissenschaften, dass der physische Bereich grundsätzlich durch Gesetzmäßigkeiten strukturiert ist. Diese lassen sich in physikalischer Terminologie formulieren und haben ihre Gültigkeit unabhängig von Zeit, Ort oder anderen Umständen. Sie gelten demnach universal. Dies bedeutet auch, dass gesetzmäßige Zusammenhänge lückenlos sind, da sie durch keinen ‚Bruch‘ in Raum und Zeit gekennzeichnet sein können. Gilt es nun, die Kausalerklä- rung eines physischen Vorgangs zu geben, so kann die Naturwissenschaft dies allein unter Bezugnahme auf Kausalgesetze leisten. Entsprechend ist jedes physische Ereignis allein mittels Kausalgesetzen erklärbar. Dies bedeutet, dass der Bereich des Physischen kausal abgeschlossen ist, da es für die Erklärung nur physischer Ursachen bedarf. Wenn der Bereich des Physischen kausal abgeschlossen ist, dann kann es keine nicht-physischen Ursachen geben, die physische Ereignisse bewirken. Und auch der menschliche Geist scheint in den Augen der Naturwissenschaften prinzipiell durch naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten erklärbar zu sein: So hat sich eine regelrechte ‚Naturwissenschaft des Geistes‘201 herausgebildet, die sich darum bemüht, den menschlichen Geist ebenso zu erforschen und zu erklären wie physische Körper. Unter den Wissenschaften, die hierbei eine Rolle spielen, hat in der letzten Zeit besonders die Neurobiologie – mit ihren zahlreichen neuro-wissenschaftlichen Ablegern – mit spektakulären Veröffentlichungen auf sich aufmerksam gemacht. Die entscheidende Frage ist, ob man davon überzeugt ist, dass es den menschlichen Geist gibt, und wenn ja, ob er zum physischen Bereich gerechnet wird oder nicht. Dafür, dass es den menschlichen Geist gibt, finden sich in unserer Alltagserfahrung überwältigende Indizien: Wir erfahren uns nicht nur als physische Körper, sondern auch als Träger von Emotionen, Gedanken, Wünschen und Erlebnissen. Doch kommt dieser Sphäre eine Besonderheit zu: So ist sie nicht nur subjektiv, sondern auch privilegiert. Sie kann nur aus der Perspektive der ersten Person erfahren werden und ist keinem Dritten in derselben Weise von außen zugänglich. Entsprechend kann keine noch so gründliche naturwissenschaftliche Beschreibung, die den mentalen Zustand einer Person in physikalischer Terminologie als neurobiologischen (d.h. physiko-chemischen) Zustand zu beschreiben versucht, sagen, wie sich die Person fühlt, was sie fühlt, was sie denkt. Der Bereich des Mentalen bleibt in physikalischen Beschreibungen offenbar in wesentlicher Form unberücksichtigt. Dass mentale und physische Beschreibungen tatsächlich von jeweils völlig unterschiedlichen Dingen sprechen, zeigt sich in solchen Überlegungen, in denen der eine Bereich zugunsten des anderen gedanklich eliminiert wird: Gäbe es keine physischen Objekte, so gäbe es nichts außer dem eigenen Bewusstsein, und die Welt würde zum Traum, zum bloßen Gedanken. Gäbe es dagegen keine mentalen, sondern nur physische Objekte, so würde die Welt nur aus Robotern bestehen, die kein eigenes Bewusstsein haben. Niemand würde diese Welt wahrnehmen. Diese Überlegungen – so absurd sie auch erscheinen mögen – zeigen, wie verschieden die Bereiche des Physischen und des Mentalen sind. Sie scheinen an sich nicht aufeinander angewiesen zu sein, bzw. ist zumindest die Terminologie der beiden Bereiche völlig verschieden voneinander. Andererseits erleben wir jeden Tag aufs Neue, dass beide Bereiche eng miteinander verknüpft sind: So können wir durch mentale Ereignisse Veränderungen in der physischen Welt hervorrufen. Außerdem können wir unseren eigenen Körper willentlich bewegen und über ihn in die Welt der physischen Objekte eingreifen. Umgekehrt verändern auch physische Gegenstände die mentalen Zustände: Dies geschieht vor allem in der Art und Weise, auf die die physische Welt über die Sinne auf unser Empfinden und Denken einwirkt.202

6.2 Formulierung des Körper-Geist-Problems

In der vorangegangenen Darstellung zeigt sich ein Widerspruch, der auf eine Spannung in unserem alltäglichen Weltbild hindeutet: Zum einen trennen wir die Bereiche des Physischen und des Mentalen voneinander und behaupten die kausale Abgeschlossenheit des physischen Bereichs. Zum anderen ist uns eine vielfältige Wechselwirkung zwischen diesen Bereichen bewusst, bzw. nehmen wir diese als gegeben hin. Dieser Widerspruch lässt sich als Körper-Geist-Problem in einer Trias in Form dreier Prinzipien formulieren:

1. Der Bereich des Physischen ist kausal lückenlos abgeschlossen.

2. Aus der kausalen Abgeschlossenheit des physischen Bereichs folgt die kausale Wirkungslosigkeit mentaler Entitäten.

3. Mentale Entitäten sind kausal wirksam.

Der Widerspruch, der sich ergibt, wenn alle drei Prinzipien gleichermaßen gültig sein sollen, ist offenkundig. Sie können daher nicht alle zusammen wahr sein. Die philosophischen Ansätze, die das Problem des Verhältnisses von Körper und Geist zu lösen versuchen, beruhen deshalb in der Regel darauf, dass sie eines oder mehrere dieser Prinzipien aufgeben, denn nur so lassen sich die verbleibenden ohne Widerspruch für wahr halten. Entsprechend lassen sich die gängigen Lösungsstrategien zum Körper-Geist-Problem danach, welches der Prinzipien der Trias sie fallenlassen, grob in verschiedene Gruppen einteilen. Hieraus ergibt sich wiederum eine zweite Gliederung, gemäß der sich mit Brüntrup vier philosophische Hauptpositionen zum ontologischen Status des Mentalen in der Welt unterscheiden lassen203:

1. Es gibt mentale Entitäten. Sie sind vom Bereich des Physischen unabhängig. (Dualismus)

2. Es gibt mentale Entitäten. Sie sind nicht vom Bereich des Physischen unabhängig. Sie sind von den ihnen zugrunde liegenden physischen Entitäten abhängig, ohne auf diese reduzierbar zu sein. (Nicht-reduktiver Physikalismus)

3. Es gibt mentale Entitäten. Sie sind nicht vom Bereich des Physischen unabhängig. Sie sind von den ihnen zugrunde liegenden physischen Entitäten abhängig und können vollständig auf diese reduziert werden. (Reduktiver Physikalismus)

4. Es gibt keine mentalen Entitäten. (Eliminativer Materialismus204)

Auch diese zweite Gliederung ist nur sehr grob. Sie ist nicht deckungsgleich mit jener aus der Trias. Doch zusammen ermöglichen beide Einteilungen eine differenziertere Einordnung geistesphilosophischer Theorien. Unter den vier Hauptpositionen zum ontologischen Status des Mentalen sind dabei besonders jene von Interesse, die sich als Spielarten des Physikalismus deuten lassen, der Basisontologie für den größten Teil der geistesphilosophischen Theorien des 20. Jahrhunderts. Seine große Attraktivität und weite Verbreitung genießt der Physikalismus dabei nicht zuletzt aufgrund seines Selbstbilds als adäquate philosophische Umsetzung eines naturwissenschaftlich geprägten und fundierten Weltverständnisses. In seinem Rahmen findet auch die Emergenz in der zeitgenössischen Philosophie wieder ihren Ort.

199 Aufgrund verschiedener Schwierigkeiten, die mit den Begriffen ‚Leib‘ und ‚Seele‘ verbunden sind und auf die besonders Heiner Hastedt hingewiesen hat, wird in der Terminologie – wie es heutzutage zunehmend üblich ist – nicht vom Leib-Seele-Problem, sondern vom Körper-Geist-Problem gesprochen und versucht, die problematischen Begriffe zu vermeiden. Dabei werden die Begriffe ‚Körper‘ oder ‚Physisches‘ auf der einen, die Begriffe ‚Geist‘, ‚Psychisches‘ oder ‚Mentales‘ auf der anderen Seite verwendet. [Vgl. Hastedt, Heiner (1988). Das Leib-Seele-Problem. Zwischen Naturwissenschaft des Geistes und kultureller Eindimensionalität. Frankfurt: Suhrkamp. S. 42-61 und auch Brüntrup (1996). S. 13.]

200 Die Ausführungen in diesem Abschnitt sind im Wesentlichen ein Destillat der besonders geeigneten Problembeschreibung durch Brüntrup [Vgl. Brüntrup (1996). S. 9-22. Besonders S. 9-11 und S. 18-20.].

201 Hier sind neben der Neurobiologie exemplarisch Neurolinguistik, Neuroinformatik, Neurophilosophie, Neurotheologie, Neuropsychologie und Neuropädagogik sowie auch die Künstliche-Intelligenz-Forschung zu nennen.

202 Vgl. Brüntrup (1996). S. 9-22. Besonders S. 9-11 und S. 18-20.

203 Vgl. Brüntrup (1996). S. 21.

204 Bei Brüntrup ist der ‚Eliminative Materialismus‘ als ‚Eliminativer Physikalismus‘ bezeichnet.

7 Exkurs: Modelle der Reduktion

An dieser Stelle ist ein Exkurs zur Frage, auf welchem Modell eine adäquate Reduktion beruhen muss, vorzunehmen205. Dies ist aus zwei Gründen für den weiteren Verlauf unabdingbar: So lässt sich hierdurch nicht nur erhellen, unter welchen Bedingungen geistesphilosophische Theorien als reduktionistisch oder nicht-reduktionistisch gelten können, sondern auch eine unverzichtbare Grundlage für die weiteren Betrachtungen zum Emergenzbegriff legen: Denn Eigenschaften werden in der Regel vor allem deshalb als emergent ausgezeichnet, weil sie nicht reduzierbar sind. Zunächst wird kurz das klassische Modell der Reduktion von Ernest Nagel vorgestellt, das sowohl für Vertreter eines reduktionistischen wie auch eines nicht-reduktionistischen Physikalismus lange Zeit das vorherrschende Modell der Reduktion war.

7.1 Das klassische Modell der Reduktion von Ernest Nagel

Ernest Nagel beschreibt sein Modell der Reduktion in seinem Werk „The Structure of Science“ (1961). Den Begriff der Reduktion definiert er dabei folgendermaßen:

„Reduction, in the sense in which the word is here employed, is the explanation of a theory or a set of experimental laws established in one area of inquiry, by a theory usually though not invariably formulated for some other domain.“206

Nach Nagel ist eine erste Theorie („primary science“207) dann auf eine zweite Theorie („secondary science“208) reduzierbar, wenn sich die Gesetze der zu reduzierenden Theorie entweder direkt oder aber, so dies nicht möglich ist, mittels sogenannter Brückengesetze aus den Gesetzen der Basistheorie ableiten lassen. Brückengesetze übernehmen insofern eine entscheidende Rolle, als sie als nomologische Bikonditionale die – in der Regel voneinander abweichenden – Terminologien der verschiedenen Theorien miteinander verbinden.209 Als Hauptbeispiel für sein Modell führt Nagel die Reduktion der Thermodynamik auf die statistische Mechanik an. Hierbei geht es ihm besonders um die Ableitung des von Boyle-Charles formulierten Gesetzes für ideale Gase (p * V = N * k * T210), welches er mit Hilfe von zwei Brückengesetzen (‚p = M‘ und ‚2/3 * E = k * T‘) aus einem aus den Gesetzen der statistischen Mechanik – genauer: der kinetischen Theorie der Gase – abgeleiteten Gesetz (‚M * V = 2/3 * N * E‘) deduziert. Da weder der Begriff ‚p‘ (Druck) noch der Begriff ‚T‘ (Temperatur) zur Terminologie der statistischen Mechanik gehören, bedarf es der beiden Brückengesetze, um die Verbindung zwischen den Begriffen ‚p‘ (Druck) und ‚V ‘ (Volumen) aus der Thermodynamik und den Begriffen ‚M‘ (Durchschnitt der von den Molekülen des Gases auf die Wände des Containers übertragenen Momente) und ‚E‘ (durchschnittliche kinetische Energie dieser Moleküle) aus der statistischen Mechanik herzustellen und somit die Ableitung möglich zu machen.211

7.2 Probleme des Nagelschen Reduktionsbegriffs

So weit verbreitet das Nagelsche Modell der Reduktion seit seiner Entstehung sowohl in der wissenschaftstheoretischen als auch der geistesphilosophischen Diskussion war, haben sich über die Zeit doch verschiedene Kritikpunkte daran ergeben212: So zeigt schon das obige Beispiel der Reduktion der Thermodynamik auf die statistische Mechanik, dass Nagel seinen Reduktionsbegriff vornehmlich für die Reduktion von Theorien entwickelt hat. Dies macht ihn jedoch für die geistesphilosophische Diskussion ungeeignet, da es hier ausschließlich um die Reduktion von Eigenschaften geht.213 John Dupré kritisiert außerdem, dass die Reduktion selbst im Fall von Nagels Hauptbeispiel sehr viel komplexer und diskussionswürdiger sei, als von diesem gedacht.214 Darüber hinaus lässt sich mit Lawrence Sklar feststellen, dass es in der Wissenschaftsgeschichte kaum Beispiele von Reduktionen im Sinne des Nagelschen Modells gibt.215 Das vielleicht gravierendste Problem des Nagelschen Reduktionsmodells hat jedoch Jaegwon Kim aufgezeigt. Er weist darauf hin, dass die Existenz von Brückengesetzen mit einer Reihe nicht-reduktionistischer Theorien kompatibel ist:

„The philosophical emptiness of Nagel reduction, at least in contexts like mind-body reduction, if it isn‘t already evident, can be plainly seen from the following fact: a Nagel reduction of the mental to the physical is consistent with, and sometimes even entailed by, many dualist mind-body theories, such as the double- aspect theory, the theory of preestablished harmony, occasionalism, and epiphenomenalism. It is not even excluded by the dualism of mental and physical substances (although Descartes‘ own interactionist version probably excludes it). This amply shows that the antireductionist argument based on the unavailability of mind-body bridge laws – most importantly, the multiple realization argument of Putnam and Fodor – is irrelevant to the real issue of mind-body reduction or the possibility of giving a reductive explanation of mentality. Much of the debate over the past two decades about reductionism has been carried on in terms of an inappropriate model of reduction […].“216

Aufgrund ihrer Kompatibilität mit nicht-reduktionistischen Ansätzen sind Brückengesetze somit keine notwendige Bedingung für einen Reduktionsbegriff. Außerdem unterliegen sie einem weiteren gravierenden Problem: Wenn sie nicht weiter erklärt werden, sind sie ontologisch und explanatorischleer‘, denn sie sagen uns weder etwas über die Relation zwischen dem Mentalen und dem Physischen, noch etwas über die jeweiligen funktionalen oder kausalen Rollen dessen, was sie reduzieren.217 Wie jedoch Joseph Levine betont hat, ist eine Reduktion nur unter bestimmten Bedingungen wirklich explanatorisch zufriedenstellend und damit vollständig: Nämlich nur dann, wenn durch die Reduktion einer Eigenschaft oder eines Gegenstandes die Mechanismen erklärt werden, durch welche die kausale Rolle realisiert wird, welche für die Eigenschaft oder den Gegenstand konstitutiv ist.218 Eine gerade in diesem Hinblick geeignetere Alternative zum Nagelschen Reduktionsbegriff stellt das funktionale Modell der Reduktion dar.

7.3 Das funktionale Modell der Reduktion

Der bekannteste Vertreter eines funktionalen Modells der Reduktion ist Jaegwon Kim. Wie Kim selbst betont hat, finden sich die zentralen Ideen dieses Konzepts – ohne dass sie explizit im Zusammenhang mit Modellen der Reduktion formuliert worden wären – schon in den Schriften von David Lewis (1966)219 und David Armstrong (1968)220.221 Aus der Zahl weiterer Autoren, die laut Kim ähnliche Überlegungen zu seinem funktionalen Modell der Reduktion aufweisen222, ist besonders Joseph Levine von Interesse, da er, wie Eronen schreibt, die entsprechenden Ideen als vielleicht erster Autor in seinem Artikel „On Leaving Out What It Is Like“223 (1993) in einem umfassenden Modell der Reduktion umgesetzt hat.224

Levine ist Verfechter einer explanatorischen Reduktion. Diese gilt Levine dann als erreicht, wenn man – unter Berücksichtigung der Fakten, die in der Reduktion beschrieben werden – verstehen kann, warum sich die reduzierten Dinge so verhalten, wie sie es tun:

„The basic idea is that a reduction should explain what is reduced, and the way we tell whether this has been accomplished is to see whether the phenomenon to be reduced is epistemologically necessitated by the reducing phenomenon, i.e. whether we can see why, given the facts cited in the reduction, things must be the way they seem on the surface.“225

Levine verwendet als Beispiel die Reduktion einiger Eigenschaften von Wasser: Wenn man bestimmte Eigenschaften von Wasser erklären will, wie z.B., dass es bei Raumtemperatur flüssig ist, am Gefrier- bzw. Siedepunkt jedoch zu gefrieren bzw. zu kochen beginnt, so geschieht dies unter Bezug auf die chemischen Eigenschaften des Wassers. Der Grund hierfür liegt darin, dass die chemischen Eigenschaften kausal verantwortlich für die entsprechenden oberflächlichen Eigenschaften („superficial properties“226) des Flüssigseins, Frierens oder Kochens des Wassers sind. Interessant ist hierbei, dass Levine zwar keine Brückengesetze, so doch in manchen Fällen terminologische Brückenprinzipien („bridge principles“227) für nötig hält: Sind nämlich das Vokabular, in dem die zu erklärende Eigenschaft (z.B. die Durchsichtigkeit von Wasser) beschrieben wird und das Vokabular der erklärenden Theorie verschieden, so bedarf es Brückenprinzipien, welche die zu erklärende Eigenschaft in das Vokabular bringen, das den Theorien eigen ist, auf die sich die Erklärung bezieht. Entsprechend muss, um z.B. die Eigenschaft der Farblosigkeit von Wasser zu reduzieren, erst einmal eine Reduktion der Farblosigkeit auf die Eigenschaft erfolgen, eine spezifische spektrale Reflexion von Licht zu sein, da Farblosigkeit keine chemische Eigenschaft ist. Erst danach lässt sich die Farblosigkeit von Wasser in Bezug auf die molekulare Struktur des Wassers und die Art und Weise, wie diese Strukturen mit Lichtwellen interagieren, erklären.228 Levine fasst die Idee der explanatorischen Reduktion folgendermaßen zusammen:

„Our concepts of substances and properties like water and liquidity can be thought of as representations of nodes in a network of causal relations, each node itself capable of further reduction to yet another network, until we get down to the fundamental causal determinants of nature. We get bottom-up necessity, and thereby explanatory force, from the identification of the macroproperties with the microproperties because the network of causal relations constitutive of the micro level realizes the network of causal relations constitutive of the macro level. Any concept that can be analysed in this way will yield to explanatory reduction. Notice that on this view explanatory reduction is, in a way, a two-stage process. Stage 1 involves the (relatively? quasi?) a priori process of working the concept of the property to be reduced ‘into shape’ for reduction by identifying the causal role for which we are seeking the underlying mechanisms. Stage 2 involves the empirical work of discovering just what those underlying mechanisms are.“229

Den sich aus diesem Modell ergebenden engeren Gehalt eines Konzepts – wie z.B. das des Wassers –, bezeichnet Levine auch als „‘functional role’ view“230, da es durch die inferentiellen Beziehungen zwischen der Gruppe an Auffassungen determiniert ist, die man über das jeweilige Konzept hat.231

Kims funktionales Modell der Reduktion weist große Ähnlichkeit zu diesen Überlegungen auf. Als Hauptbeispiel – wobei die Wiedergabe hier eng an der Originalpassage orientiert ist – verwendet er die Reduktion von Genen auf DNA-Moleküle: So schreibt er, dass man, um das Gen zu reduzieren, zuerst einmal eine funktionale Interpretation von ihm geben, das heißt, es in Bezug auf seine kausale Rolle beschreiben muss. Demnach ist die Eigenschaft, ein Gen zu sein, die Eigenschaft, eine bestimmte Eigenschaft zu haben (oder ein bestimmer Mechanismus zu sein), welche eine bestimmte kausale Rolle erfüllt. Die kausale Rolle der Gene ist die Übertragung von Informationen über phänotypische Charakteristika von Eltern auf ihre Nachkommen. Diese kausale Rolle wird durch DNA erfüllt, und da Theorien existieren, die besagen, wie genau DNA-Moleküle dieses bewirken, lässt sich mit gutem Grund sagen, dass das Gen auf DNA reduziert wurde.232 Im Detail beschreibt Kim die funktionale Reduktion einer Eigenschaft E auf ihre Realisierungsbasis B als einen Dreischritt. Dabei gilt es zuerst einmal E funktional zu beschreiben:

„Step 1: E must be functionalized – that is, E must be construed, or reconstrued, as a property defined by its causal/nomic relations to other properties, specifically properties in the reduction base B.“233

Kim schreibt in diesem Zusammenhang, dass ein wichtiger Aspekt der Funktionalisierung darin besteht zu entscheiden, welche Aspekte der kausalen/nomischen Rollen von E für ihre funktionale Beschreibung entscheidend sind, und was ausgelassen werden kann. Solche Entscheidungen basierten meist auf empirischem Wissen und könnten zusätzlich durch verschiedene theoretische Überlegungen eingeengt werden.234 Eine funktionale Beschreibung von E dürfte üblicherweise diese Form annehmen:

„Having E = def Having some property P in B such that (i) C1, …, Cn cause P to be instantiated, and (ii) P causes F1, …, Fm to be instantiated.“235

Jede Eigenschaft P in B, welche die kausalen Spezifikationen (i) und (ii) erfüllt – wobei entweder (i) oder (ii) leer sein darf –, kann als Realisierer oder Implementierer von E bezeichnet werden.236 Sind die Realisierer physischer Natur, dann ist E physisch realisiert. Dies lässt die Möglichkeit zu, dass es multiple Realisierer für eine Eigenschaft geben kann, was mit der multiplen Realisierbarkeit von Eigenschaften kompatibel ist.237 Entsprechend ist es der zweite Schritt der Reduktion, die Realisierer von E zu finden:

„Step 2: Find realizers of E in B. If the reduction, or reductive explanation, of a particular instance of E in a given system is wanted, find the particular realizing property P in virtue of which E is instantiated on this occasion in this system; similarly, for classes of systems belonging to the same species or structure types.“238

Wie Kim betont, ist dies ist ein Schritt in der Reduktion, der in der Regel wissenschaftlicher Forschung bedarf. So habe es in Bezug auf das Beispiel der DNA lange gedauert, die DNA als Realisierer der Gene zu identifizieren.239 Der nächste und letzte Schritt der Reduktion besteht darin, eine Theorie zu finden, die erklärt, wie die Realisierer die kausalen Rollen erfüllen, die konstitutiv für E sind. Im Falle der DNA bedeutet dies eine Theorie zu entwickeln, die auf mikrobiologischer Ebene zeigen kann, wie DNA-Moleküle genetische Informationen kodieren und übertragen:240

„Step 3: Find a theory (at the level of B) that explains how realizers of E perform the causal task that is constitutive of E (i.e., the causal role specified in Step 1). Such a theory may also explain other significant causal/nomic relations in which E plays a role.“241

Das funktionale Modell der Reduktion ist vor allem deshalb ein adäquates Modell der Reduktion, weil es Levines Forderung nach explanatorischer Reduktion erfüllt. Das, was reduziert wird, muss nicht länger als etwas unabhängig Existierendes betrachtet werden. Somit bleibt – anders als im Fall der Nagelschen Brückengesetze – nicht etwas übrig, das nicht weiter erklärt werden kann und somit ontologisch und explanatorisch ‚leer‘ ist. Dabei ist das funktionale Modell der Reduktion von herausgehobener Bedeutung für die Diskussion um den Emergenzbegriff: Insofern emergente Eigenschaften in der Regel deshalb emergent genannt werden, weil sie irreduzibel sind, dürften sie sich gemäß des funktionalen Modells der Reduktion nicht funktionalisieren lassen.242

205 Der Hinweis auf die entsprechenden Modelle der Reduktion, die im Exkurs diskutiert werden, geht auf Stephan [Vgl. Stephan (1999b). S. 165-174.] und Eronen [Vgl. Eronen (2004). S. 45-46 und 59-64.] zurück. Letzterer hat besonders den Abschnitt zum funktionalen Modell der Reduktion – Levines explanatorische Reduktion eingeschlossen – beeinflusst.

206 Nagel, Ernest 1961). The Structure of Science – Problems in the Logic of Scientific Explanation. New York (et al.): Harcourt, Brace & World, Inc. S. 338.

207 Nagel (1961). S. 338.

208 Nagel (1961). S. 338.

209 Vgl. Nagel (1961). S. 336-345, Beckermann, Ansgar (1992b). „Supervenience, Emergence and Reduction“ in: Ansgar Beckermann/Hans Flohr/Jaegwon Kim (eds.). Emergence or Reduction? – Essays on the Prospects of Nonreductive Physicalism. Berlin/New York: Walter de Gruyter. S. 107-108 und Stephan (1999b). S. 167.

210 Nach Beckermann ist N die Zahl der Moleküle des idealen Gases unter Betrachtung im Volumen V, k ist die Boltzmann-Konstante und T die absolute Temperatur des Gases [Vgl. Beckermann (1992b). S. 107. Fußnote 13.].

211 Vgl. Nagel (1961) S. 338-345. Vgl. für die vorliegende Zusammenfassung besonders Beckermann (1992b). S. 107-108 und Stephan (1999b). S. 167.

212 Der Hinweis auf die Einwände von Dupré und Kim stammt von Eronen [Vgl. Eronen (2004). S. 59.].

213 Beckermann sieht in diesem Umstand eher einen Grund für Kritik an den Teilnehmern der Debatte um die Supervenienz: So kritisiert er, dass diese den Nagelschen Ansatz nicht adäquat aufgenommen hätten. In der Debatte um die Supervenienz würde Reduktion oder Reduzierbarkeit nämlich nahezu vollständig mit der Existenz von Brückengesetzen – in diesem Zusammenhang: nomologischen Bikonditionalen – identifiziert. Doch selbst im klassischen Reduktionsmodell von Nagel würde die bloße Existenz solcher Brückengesetze für eine adäquate Reduktion nicht ausreichen. Dort müssten die Brückengesetze es außerdem ermöglichen, die Gesetze der einen Theorie aus den Gesetzen der anderen Theorie abzuleiten. Dieser Aspekt des Nagelschen Reduktionsmodells sei aber in der Debatte um die Supervenienz verlorengegangen, weil Supervenienz sich nur mit den Beziehungen zwischen Familien von Eigenschaften oder Aussagen und nicht mit den Beziehungen zwischen verschiedenen Theorien beschäftige. Trotz dieser Kritik an einer unvollständigen Umsetzung des Nagelschen Modells in der Supervenienzdebatte betont Beckermann ausdrücklich, dass sein Modell letztendlich inadäquat sei und zu Recht seinen Einfluss in der wissenschaftstheoretischen und geistesphilosophischen Diskussion verloren habe. [Vgl. Beckermann (1992b). S. 108-117.] Vgl. auch Eronen (2004). S. 60.

Бесплатный фрагмент закончился.

2 934,19 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
482 стр. 4 иллюстрации
ISBN:
9783429060459
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают