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Читать книгу: «Naturphilosophische Emergenz», страница 5

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4.4.3 Hierarchie der Existenzstufen

Die Hierarchiethese beschreibt die Auffassung, dass die Vielfalt im Universum in eine bestimmte Anzahl hierarchisch angeordneter Existenzstufen108 einzuteilen ist. Demnach gehören die in der Natur vorkommenden und entstehenden Dinge – entsprechend ihren charakteristischen Merkmalen – zu einer der verschiedenen Existenzstufen. Diese sind, gemäß der Reihenfolge ihrer Herausbildung in der Evolution, hierarchisch angeordnet. Dabei werden besonders die Bereiche des Anorganischen (Unbelebten), des Biologischen (Belebten) und des Geistigen (Mentalen) unterschieden. Die ‚höheren‘ Stufen gehen aus den ‚niederen‘ Stufen durch einen Zuwachs an Komplexität hervor, wodurch sie als komplexere Phänomene in der Natur eine höhere Stufe in der Hierarchie einnehmen:109

„Higher in what sense? […] When two or more kinds of events, such as I spoke of before as A, B and C, co-exist on one complex system in such wise that the C kind involves the co-existence of B, and B in like manner involves A, whereas the A-kind does not involve the co-existence of B, nor B that of C, we may speak of C, as, in this sense, higher than B, and B than A. Thus, for emergent evolution, conscious events at level C (mind) involve specific physiological events at level B (life), and these involve specific physico-chemical events at level A (matter).“110

Wie Stephan schreibt, vertreten Alexander und Morgan, nicht aber Broad, hierbei die These, dass die Bausteine der komplexeren Dinge zeitlich früher da waren als die komplexeren Dinge selbst. Er kritisiert dabei zu Recht, dass hier die Schwierigkeit besteht zu bestimmen, welche Bausteine eines komplexen Systems in diesem Zusammenhang als die relevanten Bestandteile angesehen werden sollen. So könne man nicht davon ausgehen, dass ein Organ eines komplexen Organismus (z.B. die Leber) bereits vor seinem Auftreten in besagtem Organismus für sich existiert hätte. Dagegen könne aber davon ausgegangen werden, dass die Makromoleküle, welche in allen Organismen vorkommen, bereits vor den ersten Lebensformen existierten. Makromoleküle sind entsprechend diesem Verständnis als Bausteine für komplexere Organismen anzusehen, die diesen zeitlich vorangehen, Organe hingegen nicht, da sie sich erst in dem komplexen Organismus konstituieren.111 Die Hierarchie der Existenzstufen ist bei den Britischen Emergentisten somit durch zwei Merkmale charakterisiert: Einmal ein qualitatives Merkmal, da höherstufige Dinge in der Evolution komplexer sind als niederstufige. Zum anderen (mit Ausnahme von Broad) durch ein zeitliches Merkmal, da die Bausteine der komplexeren Dinge diesen selbst zeitlich vorangehen.112

Doch Stephan weist mit Charles Baylis auf ein grundlegendes Problem der Hierarchie der Existenzstufen hin: Geht man – wie es die Definition der Britischen Emergentisten nahelegt – von einer durchgängigen Hierarchie der Existenzstufen in der Evolution aus, also davon, dass in der Evolution die Entwicklung linear von einfachen zu komplexeren Dingen verläuft, so läuft man Gefahr, eine unüberschaubare Zahl von Existenzstufen zu erhalten. Es ist nämlich nicht nur so, dass die Bestandteile eines komplexen Systems eine niedrigere Existenzstufe darstellen als besagtes System und diese Hierarchie sich in zahllose ‚niedere‘ Stufen fortsetzt, sondern es kommen noch zusätzliche Fälle hinzu, nämlich solche der Submergenz von Eigenschaften.113 In den Ausführungen über Mill wurde bereits beschrieben, dass heteropathische Gesetze in einem komplexen System in einer ersten Variante die alten Gleichförmigkeiten und Gesetze ‚ablösen‘ und somit ersetzen können. In einer zweiten Variante hingegen können die alten Gesetze auch innerhalb des komplexen Systems neben den neuen heteropathischen Gesetzen fortbestehen.114 Um Submergenz handelt es sich nach Stephan in Fällen der ersten Variante, weil hier Entitäten einige ihrer Eigenschaften verlieren, wenn sie Bestandteil eines komplexeren Ganzen werden. Die Fälle der Submergenz von Eigenschaften bilden somit wiederum weitere ‚niedere‘ Existenzstufen neben den ‚niederen‘ Existenzstufen der Bestandteile eines komplexen Systems und wiederum deren Bestandteilen und submergenten Eigenschaften und so fort. Wendet man diese Betrachtung auf eine durchgängige Hierarchie, also die Stellung eines komplexen Systems – wie z.B. des menschlichen Organismus – auf die gesamte evolutionäre Entwicklung, an, so kommt es zwangsläufig zu einer unübersehbaren Anzahl von Existenzstufen. Nach Stephan ist es daher sinnvoller, von einer relativen Hierarchie auszugehen, die nur die Hierarchie innerhalb eines zu untersuchenden Systems thematisiert. Dieses Konzept wird von den Britischen Emergentisten jedoch nicht vertreten.115

4.4.4 Diachrone und synchrone Determiniertheit

Die These der Determiniertheit und Unvorhersagbarkeit ist besonders für die evolutionären Emergenztheorien charakteristisch. Zur Zeit der Britischen Emergentisten galt häufig, dass ein Sachverhalt nur dann als determiniert gelten kann, wenn er prinzipiell vorhersagbar ist. Es ist jedoch vorstellbar, dass ein Sachverhalt determiniert ist, aber dennoch das Wissen des Betrachters nicht ausreicht, seinen Verlauf vorherzusagen. In diesem Fall wäre er, obwohl determiniert, unvorhersagbar. Da Lloyd Morgan und Alexander jeweils eine evolutionäre Emergenztheorie vertreten und im Rahmen dieser an der Determiniertheit emergenter Phänomene festhalten, gleichzeitig aber die Unvorhersagbarkeit emergenter Phänomene behaupten, ist die Gleichzeitigkeit von Determiniertheit und Unvorhersagbarkeit ein signifikanter Standpunkt emergentistischer Theorien.116 So schreibt Alexander in Bezug auf mentale Prozesse als emergente Phänomene:

„[D]eterminism is compatible with unpredictability […]. Not only may mental action be determined and yet unpredictable, it may be free and yet necessary.“117

Die Unvorhersagbarkeit emergenter Phänomene liegt dabei nicht in mangelnder Kenntnis des Betrachters begründet, sondern darin, dass es keine allgemeine Theorie geben kann, die das Entstehen neuartiger (emergenter) Phänomene vorhersagen kann.118

Spricht man im Rahmen emergentistischer Theorien von Determiniertheit, so lässt sich nach Stephan darunter zweierlei verstehen119:

1. Unter gleichen Bedingungen entstehen gleiche Strukturen und Systeme.

2. Baugleiche Systeme weisen dieselben Dispositionen und Eigenschaften auf.

Für den ersten Fall hat Stephan den Begriff der diachronen, für den zweiten Fall den der synchronen Determiniertheit vorgeschlagen.120 Dieser begrifflichen Unterscheidung soll hier weiterhin gefolgt werden, da sie, wie sich im Fortgang zeigen wird, für die weitere Diskussion um den Emergenzbegriff besonders geeignet ist.

4.4.4.1 Diachrone Determiniertheit

Als diachrone Determiniertheit wird der Umstand bezeichnet, dass zwei Systeme, die sich im gleichen Ausgangszustand befinden, unter gleichen Bedingungen auch genau gleiche Strukturen ausbilden. Es ist somit nicht vorstellbar, dass in zwei Welten, in denen der gleiche Ausgangszustand und gleiche Naturgesetze herrschen, aus zwei Systemen unterschiedliche Strukturen hervorgehen.121 Diesem Verständnis zufolge sind emergente Eigenschaften in ihrer Ausbildung nicht beliebig, sondern Ausdruck einer ‚Geordnetheit‘ in der natürlichen Entwicklung. Lloyd Morgan umschreibt dies folgendermaßen:

„Is emergent evolution itself the expression of an orderly and progressive development? If so (and such is my contention), then emergence itself takes rank, as Mill and Lewes also contended, among the "laws of nature." […] May we, then, say: […] That, if there be a natural plan of emergence, then every effect is strictly determinate in accordance with the nature of that plan; […].“122

Nach Lloyd Morgan ist die Ausbildung emergenter Eigenschaften determiniert im Sinne eines Plans der Natur („natural plan of emergence“123). Dieser Plan bezeichnet nichts anderes als die Determiniertheit emergenter Prozesse im Rahmen der Evolution. Hierbei muss jedoch Erwähnung finden, dass Lloyd Morgan wenige Jahre später seine Meinung zur Determiniertheit emergenter Prozesse radikal änderte:124

„An argument for freedom is that no choice is predetermined. The argument for emergence is that no emergent is predetermined. Freedom and emergence have at least this in common. They stand for indeterminism when and where they obtain.“125

4.4.4.2 Synchrone Determiniertheit

Synchrone Determiniertheit bedeutet, dass die Eigenschaften der Teile eines Systems (Mikroeigenschaften) die Eigenschaften eines Systems als Ganzes (Makroeigenschaften) bestimmen. Die Eigenschaften und Verhaltensdispositionen eines Systems sind also durch seine Mikrostruktur determiniert.126 Zwei Systeme, die sich in den Mikroeigenschaften nicht unterscheiden, unterscheiden sich auch nicht in den Makroeigenschaften. Verändern sich aber die Mikroeigenschaften, verändern sich folglich auch die Makroeigenschaften. Hier zeigt sich noch einmal, dass emergente Eigenschaften nicht neue, nicht-physische Entitäten sind, sondern im Sinne des emergentistischen Naturalismus aus natürlichen Bestandteilen und deren (Neu-)Kombinationen bestehen.127

Der Begriff der synchronen Determiniertheit ist auch in Bezug auf das Merkmal des Naturalismus von Interesse, in welchem Stephan anführt, dass der schwächere Naturalismus der Britischen Emergentisten nicht von einer Reduzierbarkeit mentaler Eigenschaften, sondern von ihrer Supervenienz über physischen Eigenschaften ausgeht. Um dies zu erläutern, ist eine kurze Betrachtung der möglichen Verwendung des Begriffs der Supervenienz im Zusammenhang mit dem Britischen Emergentismus erforderlich: Der Begriff ‚supervenient‘ wird nur von Lloyd Morgan verwendet, doch mehr als sprachliche Umschreibung für ‚etwas Zusätzliches‘, denn als philosophischer Fachbegriff. Dies wird exemplarisch an folgenden Stellen deutlich:

„[W]hat is supervenient at any emergent stage of evolutionary progress is a new kind of relatedness […].“128

„Consciousness as supervenient is a late product of emergent evolution.“129

Die Grundidee eines philosophisch gehaltvollen Supervenienzbegriffs scheint zunächst der Determiniertheit der Makro- durch die Mikrostruktur im Merkmal der synchronen Determiniertheit bei Stephan sehr ähnlich zu sein. Supervenienz bedeutet in einer – vor dem Hintergrund der vielfältigen modernen, kontrovers diskutierten Supervenienzbegriffe – neutralen Formulierung: Eigenschaft A superveniert genau dann über Eigenschaft B, wenn es nicht möglich ist, A zu ändern, ohne B zu ändern. Supervenienz in diesem Sinne scheint bei den Britischen Emergentisten nicht nur dazu geeignet zu sein, den emergentistischen Naturalismusbegriff zu sichern, sondern sich zudem auch implizit aus ihren Betrachtungen zu emergenten Phänomenen zu ergeben. Denn durch die Annahme von Supervenienz lässt sich die Relation zwischen der supervenienten (emergenten) und der subvenienten (physischen) Ebene auf einfache Weise ausdrücken. Dies ist ohne einen solchen Begriff nicht möglich, da emergente Eigenschaften aufgrund des Umstands, dass sie nicht-reduzierbar130 sind, andernfalls nicht auf die sie ausbildenden physischen Eigenschaften bezogen werden können. Vor dem Hintergrund dieser Betrachtungen lässt sich eine Definition der Supervenienz emergenter Eigenschaften bei den Britischen Emergentisten formulieren: Emergente Eigenschaften supervenieren über den sie konstituierenden physischen Eigenschaften, ohne dabei auf sie reduzierbar zu sein.

Die Supervenienz emergenter Eigenschaften über physischen Eigenschaften scheint zunächst aus zwei Gründen für Emergenztheorien geeignet: Einmal, da sie einen emergentistischen Naturalismus im Sinne eines schwachen Naturalismus garantieren kann, in dessen Rahmen emergente Phänomene nicht gemäß eines starken Naturalismus naturalisierbar und damit reduzierbar sind. Zweitens, da sich über die Supervenienz emergenter Eigenschaften die Relation zwischen der emergenten und der basalen Ebene herstellen lässt, was aufgrund der Irreduzibilität emergenter Eigenschaften andernfalls nicht möglich wäre. Auch wenn der Begriff der Supervenienz für diese Aspekte zunächst ausreicht, macht Stephan auf eine Problematik aufmerksam, die mit der Supervenienzthese verbunden ist: So ist der Begriff der Supervenienz schwächer als jener der synchronen Determiniertheit.131 Er verweist hierbei auf Thomas R. Grimes, der herausgearbeitet hat, dass der Begriff der Supervenienz nicht die Abhängigkeit der Systemeigenschaften von der Mikrostruktur des Systems, sondern bloß ihre Kovarianz behauptet.132 Der stärkere Begriff der Abhängigkeit der emergenten von der physischen Ebene entspricht jedoch mehr als die Behauptung ihrer Kovarianz der Konzeption der Britischen Emergentisten. Dies lässt sich am nachdrücklichsten bei Broad, wenn auch hier in funktionalistischer Terminologie, ersehen:

„The properties of compounds133 […] are doubtless functions of their structure and the motion of their atoms, and of the peculiar properties of the atoms themselves.“134

Daraus folgt, dass in Bezug auf die Abhängigkeitsbeziehung zwischen emergenter und physischer Ebene von der synchronen Determiniertheit emergenter Eigenschaften – und nicht von ihrer Supervenienz – ausgegangen werden muss. Und auch im Fall der Sicherung des emergentistischen Naturalismus sollte, auch wenn hier die Behauptung der Supervenienz emergenter über physischen Eigenschaften ausreicht, der stärkere Begriff der synchronen Determiniertheit emergenter Eigenschaften verwendet werden. Denn es ist wenig sinnvoll, für den Naturalismus einen schwachen Begriff (Supervenienz) und in Bezug auf die Abhängigkeitsbeziehung einen starken Begriff (synchrone Determiniertheit) zu verwenden, wenn die synchrone Determiniertheit beide Fälle einschließen und den einen davon in geeigneterer Weise erfassen kann.

4.4.5 Nicht-Deduzierbarkeit und Irreduzibilität

Obwohl die Britischen Emergentisten aus ihrem naturalistischen Verständnis heraus auf ontologischer Ebene nur physische Bestandteile annehmen und zudem Gesetze zulassen, welche die mentale und die physische Ebene miteinander verbinden, gelten für sie emergente Phänomene als nicht-reduzierbar. Der Grund hierfür liegt darin, dass selbst eine vollständige Kenntnis der Bestandteile eines komplexen Systems keinerlei Aufschluss über seine emergenten Eigenschaften geben kann, die emergenten Eigenschaften also nicht-deduzierbar sind.135 Hierzu das bereits bekannte Zitat Broads:136

„Put in abstract terms the emergent theory asserts that there are certain wholes, composed (say) of constituents A, B, and C in a relation R to each other; that all wholes composed of constituents of the same kind as A, B, and C in relations of the same kind as R have certain characteristic properties; that A, B, and C are capable of occurring in other kinds of complex where the relation is not of the same kind as R; and that the characteristic properties of the whole R(A, B, C) cannot, even in theory, be deduced from the most complete knowledge of the properties of A, B, and C in isolation or in other wholes which are not of the form R(A, B, C).“137

Nach Stephan gibt es zwei verschiedene Formen der Irreduzibilität im Britischen Emergentismus: „Eine systemische Eigenschaft ist irreduzibel, wenn sie (i) weder mikro- noch makroskopisch behavioral analysierbar ist, oder wenn sich (ii) das spezifische Verhalten der Systemkomponenten, über dem die systemische Eigenschaft superveniert, nicht aus dem Verhalten ergibt, das jene Komponenten ‚isoliert‘ oder in anderen Konstellationen zeigen.“138

Während für Broad die Irreduzibilität einer Eigenschaft das wesentliche Merkmal ihrer Emergenz ist, betonen die Theorien Alexanders und Lloyd Morgans die prinzipielle Unvorhersagbarkeit emergenter Eigenschaften.139

4.4.6 Prinzipielle Unvorhersagbarkeit

Die Nicht-Deduzierbarkeit und die Unvorhersagbarkeit einer emergenten Eigenschaft stehen in einem engen Zusammenhang miteinander: So ist eine systemische Eigenschaft, die irreduzibel ist, vor ihrem ersten Auftreten nicht vorhersagbar, und zwar im Prinzip nicht.140

Im Rahmen der evolutionären Kosmologien von Alexander und Lloyd Morgan steht die Frage im Vordergrund, was in einem früheren Stadium der Entwicklung des Kosmos über die in der evolutionären Entwicklung entstehenden Systeme und ihre Eigenschaften im Prinzip vorhergesagt werden kann. Deshalb ist die Frage nach der Reduzierbarkeit von systemischen Eigenschaften hier weniger wichtig als die nach ihrer Vorhersagbarkeit.141 So schreibt Lloyd Morgan:

„If it be asked: What is it that you claim to be emergent? – the brief reply is: Some new kind of relation. […] It may still be asked in what distinctive sense the relations are new. The reply is that their specific nature could not be predicted before they appear in the evidence, or prior to their occurrence.“142

Broad hingegen geht in einer systematischen Untersuchung von den charakteristischen Eigenschaften der in unserer Welt befindlichen Systeme aus. Er untersucht dabei besonders, ob sich die charakteristischen Unterschiede im Verhalten chemischer, vitaler und mentaler Systeme reduzieren lassen oder ob sie irreduzibel sind. Daher steht für ihn die Frage nach der Reduzierbarkeit dieser Eigenschaften im Vordergrund.143 Doch auch er vertritt die Unvorhersagbarkeit emergenter Phänomene, wie sich am Beispiel des Verhaltens eines lebenden Organismus ersehen lässt:

„And no amount of knowledge about how the constituents of a living body behave in isolation or in other and non-living wholes might suffice to enable us to predict the characteristic behaviour of a living organism.“144

Aufgrund der starken Betonung des Merkmals der Unvorhersagbarkeit bei Alexander145, Lloyd Morgan146 und Broad147 soll es hier noch einmal mit Stephan in einer konkreten Definition wiedergegeben werden: „Eine systemische Eigenschaft ist vor ihrem erstmaligen Auftreten prinzipiell unvorhersagbar, (i) wenn sie irreduzibel ist; oder (ii) wenn die Struktur, die sie instantiiert, vor ihrem ersten Entstehen prinzipiell unvorhersagbar ist.“148

4.4.7 Abwärts gerichtete Verursachung

Das vielleicht kontroverseste Merkmal von Emergenztheorien ist die abwärts gerichtete Verursachung149. Um das Merkmal der abwärts gerichteten Verursachung postulieren zu können, muss man annehmen, dass emergente Phänomene zum kausal wirksamen Bereich der Welt gehören. So schreibt Lloyd Morgan:

„That novelty itself is […] caught up in the web of causal nexus […].“150

Dabei gilt, dass emergente Phänomene einen Platz im kausalen Netz der Welt einnehmen müssen. Würde man sie als kausal unwirksam ansehen, so wären sie Epiphänomene, da sie eine oder mehrere Ursachen, aber keine (kausale) Wirkung hätten. Die Existenz solcher Epiphänomene wäre äußerst rätselhaft. Da sie nichts bewirken, gäbe es keine evolutiven Gründe für ihre Entstehung und Erhaltung. Brüntrup fragt in diesem Zusammenhang, wie wir emergente Phänomene überhaupt erkennen könnten, wenn sie von keinerlei kausaler Rückwirkung auf die Welt wären. Schließlich hinterließen sie in diesem Fall keine nachvollziehbaren ‚Spuren‘ in der Welt. Emergente Phänomene müssten daher allein schon deshalb kausal wirksam sein, weil sonst ihre Realität selbst in Frage gestellt werden könnte. Denn real sein, schreibt Brüntrup, heißt kausal wirksam sein.151

Das Merkmal der abwärts gerichteten Verursachung bei den Britischen Emergentisten besagt, dass die in der Evolution neu entstandenen Strukturen dann abwärts gerichtet kausal wirksam sind, „wenn sie das Verhalten der in ihnen vorkommenden Bestandteile derart mitbestimmen, daß es nicht mehr auf ihr Verhalten in weniger komplexen Systemen zurückgeführt werden kann“152. Explizit wird ein Konzept der abwärts gerichteten Verursachung nur von Lloyd Morgan vertreten. Während es bei Broad indirekt durch das Irreduzibilitätskriterium impliziert ist, ist abwärts gerichtete Verursachung in der Konzeption Alexanders ausgeschlossen. So nimmt Alexander an, dass neue Konstellationen und die in ihnen ablaufenden Prozesse sowohl der Existenzstufe, aus der sie entstammen, als auch der nächsthöheren Existenzstufe angehören, die durch ihre neuen Qualitäten erst begründet wird. Durch diese identitätstheoretische Annahme werden stufenübergreifende Kausalbeziehungen ausgeschlossen:153

„[N]o brain process shall be understood to cause its corresponding mental process and no mental process its corresponding brain process. Let large letters denote the psychical and small ones the neural series. What we have then in fact is a series, Aa, Bb, Cc, etc., where some of the small letters may have no corresponding large letter at all. Now A does not cause a but is identical with it […].“154

Lloyd Morgan hingegen vertritt nachdrücklich das Konzept einer abwärts gerichteten Verursachung. Für ihn sind es dabei allein die neuen Beziehungsgebilde („kinds of relatedness“155), nicht aber irgendwie geartete Kräfte („forces“156), denen der abwärts gerichtete kausale Einfluss zugesprochen werden kann:

„Here someone may intervene and ask: Why this cumbrous and pedantic phraseology? Why relatedness? Why not this or that force as the cause of such and such change in what you call the manner of go of events? I seek only to avoid ambiguity. […] There is, […], some ambiguity in the word, "force." And this I seek to avoid by using the word "relatedness," which is meant to exclude the concept of "agency," or "activity," from any place in scientific interpretation.“157

Lloyd Morgans Konzept der abwärts gerichteten Verursachung ist so zu verstehen, dass die neuen (emergenten) Beziehungsgebilde – wie Stephan es ausdrückt – „einen Unterschied für den Ablauf der Ereignisse auf der tieferen Stufe machen“158:

„The go of physico-chemical events at the level of life is not the same as that which obtains at the level of materiality only; the go of organic events at the level of effective consciousness is not the same as that which obtains at the level of vitality only. I speak of this alteration in the manner of go at any given level as "dependent on" the new and emergent kind of relatedness which there supervenes in the course of emergent evolution. So long as the words are used in a purely naturalistic sense, one may say that the higher kinds of relatedness guide or control the go of lower-level events.“159

Bei Broad ergibt sich die Möglichkeit einer abwärts gerichteten Verursachung implizit aus seiner Formulierung des Merkmals der Irreduzibilität: In Broads Definition ist eine neue Struktur dann irreduzibel, wenn sich das spezifische Verhalten ihrer Strukturkomponenten nicht aus dem Verhalten ergibt, das diese Komponenten in anderen Konstellationen zeigen:160

„[S]ome part of the behaviour of the second order complex could be neither deduced nor suspected from a knowledge of the behaviour of its parts in other surroundings.“161

Da sich hier das Verhalten, das die Komponenten zeigen, weder aus ihrer Anordnung ergibt noch auf das von ihnen in anderen Systemen gezeigte Verhalten zurückführen lässt, muss die neue Struktur einen kausalen Einfluss ausüben: Denn nur durch den abwärts gerichteten kausalen Einfluss, der nicht nachvollziehbar ist, wird der Umstand begreiflich, dass sich das Verhalten der Strukturbestandteile hier nicht aus ihrem Verhalten in anderen Konstellationen erklären lässt.162

Das Konzept der abwärts gerichteten Verursachung wird von Lloyd Morgan und Broad in schwachen Formulierungen vertreten, da die abwärts gerichtete kausale Wirkmächtigkeit hier der Struktur des neuen Systems, also der spezifischen Anordnung der beteiligten Komponenten, zugeschrieben wird. Eine starke Formulierung der abwärts gerichteten Verursachung hingegen wäre dann gegeben, wenn die kausale Wirkung irreduziblen systemischen Eigenschaften, die unter Umständen gar nicht mehr dem physischen Bereich angehören, zugesprochen würde.163 Die – im Hinblick auf die abwärts gerichtete Verursachung – wichtige Frage, wie es die emergente Ebene anstellt, kausal auf die ihr zugrunde liegenden physischen Bestandteile Einfluss zu nehmen, wird von keinem der Britischen Emergentisten beantwortet. Es wird nur postuliert, dass die emergente Ebene kausal wirksam ist, das ‚Wie‘ findet aber keine Erklärung.164

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482 стр. 4 иллюстрации
ISBN:
9783429060459
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