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Читать книгу: «Undercover Boss», страница 3

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Hannah

Ich werde vom fröhlichen Geschepper der Mülltonnen geweckt. Mit einem Auge schiele ich auf den Wecker. Zehn vor sieben! Mit einem Ruck sitze ich senkrecht im Bett. Verschlafen, na super! Der Dienstag scheint da anzufangen, wo der Montag aufgehört hat.

Reflexartig springe ich aus dem Bett, und meine Füße landen auf meinem Flokatiteppich. Offensichtlich gefällt ihm das nicht, denn er versucht, mich abzuwerfen. Vor Schreck strauchele ich. Mit schmerzverzerrtem Gesicht komme ich zum Stehen. Der Muskelkater in den Oberschenkeln ist unbeschreiblich und zieht bis in die Pobacken. Dennoch husche ich so schnell wie möglich ins Bad und mache mich fertig. Frühstück muss heute ausfallen. Das kann ich gleich im Büro nachholen.

Paul und Gisbert bekommen noch frisches Wasser und ihr Futter. Streicheleinheiten müssen bis nachher warten.

Ein anderes unerwartetes Problem taucht auf. Was ziehe ich an? Die Frage hat sich mir sonst noch nie aufgedrängt. Ich durchforste meine Sachen und muss feststellen, dass ich nichts Vernünftiges zum Anziehen habe. Demnächst muss ich dringend shoppen gehen. Nach zu langem Hin und Her, was mir die Uhr bestätigt, entscheide ich mich für eine Jeans und eine geblümte, taillierte Bluse. Im Schlafzimmer sieht es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen.

Der knappen Zeit wegen verzichte ich darauf, meine leichte Naturkrause mit dem Glätteisen aus den Haaren zu ziehen. Noch ein bisschen Lipgloss, und fertig. Im Vorbeigehen schlüpfe ich in meine Sneaker und schnappe mir Tasche, Jacke und Fahrradhelm. In großen Sätzen haste ich die Treppen nach unten. Das Fahrradschloss klemmt natürlich. Der Verkehr ist heute Morgen enorm. Überall Gehupe und Geklingel. Liegt wahrscheinlich daran, dass ich eine halbe Stunde später als sonst auf der Piste bin. Schüler kommen mir in Scharen aus allen Gassen in die Quere und verlangsamen meine Fahrt.

Extrem genervt komme ich beim Verlag an. Der Eingangsbereich bremst mich kurzfristig aus, bevor ich die Stufen zur zweiten Etage hochhaste. Als Warnung an alle, die das Foyer ahnungslos betreten, steht ein gelbes Warnschild mit einem schwarzen Strichmännchen, das hilflos die Arme in die Luft reißt und ausrutscht. Unsere Reinigungskraft pflegt den Marmorboden mit äußerster Hingabe und stundenlang mit Bohnerwachs. Bei Regenwetter ist der Eingangsbereich besonders unfallträchtig. Die Eintretenden fallen regelrecht wie die Kastanien beim ersten Herbststurm zu Boden.

Mit dem Glockenschlag um acht Uhr klickt die Stechuhr meine Karte ab. Geschafft! Später als sonst, aber nicht zu spät. Ich atme tief durch und gehe zu meinem Büro.

„Na, gerade noch geschafft?“, ruft Nils von seinem Platz aus quer durchs Büro.

Klar, muss ja auch jeder mitbekommen, dass man mal etwas später dran ist als sonst.

Er sitzt mit überkreuzten Beinen, die auf der Tischplatte liegen, weit nach hinten gelehnt in seinem Bürostuhl und pult sich den Dreck mit einer verbogenen Büroklammer unter den Nägeln weg. Hmm, lecker.

Ich zucke nur entschuldigend mit den Achseln. „Der Verkehr heute Morgen. Ging nicht schneller.“

„Ich war auch mal jung, hi-hi.“ Bei seinem dreckigen Lachen dreht sich mir der Margen um. Zum Glück ist er noch leer, sonst müsste ich mich jetzt übergeben. „Merk’ dir eins, Dickerchen. Wenn du schon auf deinem Freund rumhüpfst, mach schneller oder verschiebe es auf den Feierabend. Montags bis freitags von acht bis siebzehn Uhr gehört dein Arsch mir. So, und nun schieb’ deinen dicken Hintern hierher. Ich habe Einiges, was du bis zwölf Uhr erledigt haben musst – und zwar zack, zack. Deadline läuft. Ach ja, heute Mittag hätte ich gern was vom Chinesen.“

Ich verdrehe die Augen. Nils hat ja eine super Laune. Widerrede ist da zwecklos. Ich schnappe mir wortlos die Liste, die Nils mir mit einem schmierigen Grinsen entgegenhält.

„Ja, ja. Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, schiebt er süffisant hinterher. Er versucht offensichtlich, mich zu provozieren. Aber Auflehnung führt zu nichts, und er sitzt am längeren Hebel, daher halte ich die Klappe und würdige ihn keines Blickes. Beim Gang zu meinem Kabuff schiele ich auf die Liste. Dabei entgleisen mir meine Gesichtszüge.

„Und schick mir die College-Pfeife!“, höre ich Nils krähen.

Frustriert reiße ich die Tür meines Minibüros auf, das nur ein Fenster zum Großraumbüro hat. Da es an Tageslicht mangelt, wollte keiner ‚im Schaukasten‘ sitzen. Mir macht das nichts aus. Es ist zwar extrem klein und ein wenig muffig, aber man kann wenigstens die Tür hinter sich schließen. In der Ruhe und Abgeschiedenheit kann ich mich voll und ganz auf meine Arbeit konzentrieren.

Beirrt bleibe ich an der Schwelle stehen. „Entschuldigung, hab’ mich in der Tür geirrt.“ Irritiert schließe ich sie wieder hinter mir. Irgendetwas stimmt da nicht. Etwas ist anders als sonst. Lars saß dort. Okay, ich versuche, meine Gedanken zu ordnen.

Verunsichert öffne ich die Tür erneut und spähe in den Raum. Im ersten Moment kann ich es noch nicht erfassen, aber nach und nach lichtet sich der Nebel.

„Ich habe Tageslicht!“, platzt es erstaunt aus mir heraus. Tatsächlich ist gegenüber ein geputztes Fenster mit knallroten Vorhängen und einer Topfpflanze davor. Auf dem beigefarbenen Teppich liegt ein weinroter Perserteppich, der, zugegeben, etwas abgetreten aussieht – was ihm jedoch nichts abtut. Im Gegenteil, der Vintage-Look verleiht dem historischen Knüpfwerk Charme und passt gut in diesen Raum. An der Decke baumelt statt der einsamen, verstaubten Glühbirne ein kleiner Kronleuchter aus dem Möbelladen mit den vier gelben Buchstaben. Lars sitzt an seinem Schreibtisch gegenüber von meinem.

„Guten Morgen!“, grüßt er fröhlich.

„Morgen … Was ist denn hier passiert?“

„Du wolltest ja, dass ich hier mal ein bisschen klar Schiff mache. Und das habe ich erfolgreich umgesetzt. Ist irgendwie gemütlicher. Findest du nicht?“

„Doch, doch“, bringe ich verdattert hervor. Er hat recht. Es ist heimeliger und lädt zum Verweilen ein. Staunend schaue ich mich weiter um. In der einen Ecke steht eine Stehlampe, die garantiert aus den Fünfzigerjahren stammt. Hier passt sie aber gut zum Ambiente. Sogar einen Garderobenständer haben wir hier. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht.

Vergessen sind Nils blöde Laberei, der morgendliche Ärger mit dem Wecker und der peinliche gestrige Tag.

Wie ein Bumerang kehrt die Erinnerung an gestern, insbesondere an den Abend, in mein Gedächtnis zurück, als ich auf meinem Schreibtisch eine Apfelsine liegen sehe. „Eine Orange?“

„Wir hatten gestern ja nicht so einen guten Start, und da wollte ich mich entschuldigen.“

„Mit einer Orange?“ Ungläubig schaue ich ihn an.

„Nun ja, ich habe mich echt blöd benommen. Ich wollte alles perfekt machen. Hat wohl nicht geklappt.“ Lars kratzt sich verlegen im Nacken. „Ich wollte es wiedergutmachen …“

„Mit Obst?!“

„Ja … nein … Ich meine … Okay … entschuldige. Mit der Orange konnte ich nicht widerstehen, als ich sie heute Morgen am Obststand gesehen habe.“ Ein schiefes Lächeln liegt auf seinen Lippen, als er Prinz Charming heraushängen lässt. Fehlt nur noch, dass er mir zuzwinkert. Automatisch verengen sich meine Augen zu Schlitzen. Seine Reue scheint ja von sehr kurzer Dauer zu sein.

„Also, in der Sauna …“, er räuspert sich, schaut verlegen nach unten, „… du musst zugeben, die Begegnung in der Sauna war …“

„Unpassend? Unangemessen? Fehl am Platz?“

„Nun ja, ungewöhnlich, wollte ich sagen.“

„Du bist der arroganteste, aufgeblasenste Macho, den ich kenne! Schenkst mir einfach eine Apfelsine und weist damit direkt auf dein sexistisches, taktloses, peinliches Verhalten hin.“

„So habe ich das gar nicht gemeint! Es ist mir ausgesprochen unangenehm, was gestern in der Sauna passiert ist. Ich wusste nicht, wie ich das ansprechen sollte. Die Orange ist nur eine Brücke, ein Stichwort, damit ich nicht alles sagen muss. Ich wollte unsere Beziehung glätten.“

„Beziehung, so, so. Ich wusste gar nicht, dass wir ein Paar sind! Was so ein bisschen nackte Haut alles ausmachen kann.“

Inzwischen stützen wir uns beide mit den Fäusten auf der Tischplatte ab und kläffen uns an wie Köter in einer Arena, die gleich aufeinander losgehen.

„Weißt du was? Eigentlich wollte ich die Wogen glätten, indem ich das Büro aufhübsche, weil mir ein gutes Arbeitsverhältnis sehr wichtig ist. Das geht aber nicht, solange der Vorfall in der Sauna zwischen uns steht. Aber du musst mir ja jedes Wort im Mund umdrehen. Du bist eine kratzbürstige Zicke!“

„Das sagt ausgerechnet Mister Unwiderstehlich. Du aufgeblasener Popanz!“

„Xanthippe!“

„Du kannst es nur nicht ertragen, mit jemandem wie mir zusammenzuarbeiten!“

„Nein, das stimmt nicht!“

„Du würdest sicherlich lieber mit Lisa oder den anderen Kolleginnen zusammensitzen als mit mir!“

„Wie kommst du jetzt darauf?“

„Wir sind eben sehr unterschiedlich. Du siehst aus, als wärst du aus einem Modekatalog gestiegen, und ich, als wäre ich in einen Stromkreis geraten.“

„Ich finde deine Frisur heute sehr hübsch. Solltest du öfters so tragen.“

Er versucht tatsächlich, mich mit schönen Worten einzulullen. Ich fass es nicht! Wenn ich nicht schon verärgert wäre, würde ich es jetzt garantiert sein. Sein Spruch wirft mich kurz aus der Bahn. Die Worte sind Balsam auf meiner Seele. Schmiegen sich an mein Ego wie Öl an einen Motor. Gleichzeitig kann ich nicht glauben, dass er es ernst meint. Ich möchte es ja gern. Es wäre nur zu schön. Verunsichert fahre ich fort.

„Ja, witzig“, sage ich spitz. „Ich lache später darüber, wenn ich mal Zeit habe. Außerdem lenkst du ab! Wenn du meinst, dass …“

„Stopp!“, ruft er mir entgegen. Verdutzt halte ich inne. „Okay, wie gesagt, gestern hatte ich einen schlechten Tag und wollte mich einfach nur mit einer netten Geste bei dir entschuldigen. Nicht mehr und nicht weniger. Wir arbeiten jetzt zusammen, damit musst du leben, auch wenn du mich offensichtlich nicht leiden kannst. Mein Vorschlag ist, wir fangen ganz von vorn an.“

Ungläubig sehe ich ihn an. Meine Zunge ist wie gelähmt. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.

Er streckt mir seine Hand entgegen. „Hallo, ich bin Lars und arbeite seit gestern hier.“

„Hallo.“ Ich gebe zu, damit habe ich nicht gerechnet. Mein schlechtes Gewissen meldet sich sofort, denn normalerweise bin ich nicht so. Nur er reizt mich bis aufs Blut, sobald er den Mund aufmacht. Das kenne ich sonst nicht. Umständlich räuspere ich mich. „Ich bin Hannah und total ungerecht. Tut mir leid.“ Versöhnend reiche ich ihm meine Hand. Bei der Berührung bekommen wir einen ordentlichen elektrischen Schlag. Es knallt, und wir reißen unsere Hände wieder auseinander.

„Huch, es hat zwischen uns gefunkt“, zwinkert er mir zu.

„Das hat gar nichts zu bedeuten. Der Teppich ist schuld. Das passiert mir ständig. Gewöhn’ dich besser daran.“

„Wie wäre es mit Essen?“

„Jetzt?“ Mein Magen sieht den Anlass als Bestätigung und fängt an, zu grummeln. Schnell lege ich meine Hand auf den Verräter, um das verdächtige Geräusch zu dämmen

„Nein, ich wollte dich zum Essen einladen.“

Meine inneren Alarmglocken schrillen schon wieder. Achtung, Hannah, Einlulltechnik! Wenn er glaubt, ich würde das nicht merken, ist er schiefgewickelt. Misstrauisch schaue ich ihn an. „Kantine oder Pommesbude?“

„Weder noch. Ich wollte dich zum Abendessen einladen. Ein Versöhnungsessen, sozusagen.“

Ich traue dem Braten noch nicht. Argwöhnisch blicke ich ihn an. Rechne jeden Moment damit, dass er mit einer schrägen Antwort um die Ecke kommt. Mich auslacht, dass ich darauf hereingefallen bin. Spielt er vielleicht auf meine Figur an?

„Was ist? Isst du nicht gern?“, fragt er erstaunt.

Also doch!

„Ich jedenfalls esse für mein Leben gern, und ich koche auch sehr gut.“

Aha, daher weht der Wind! Essen bei ihm zu Hause. Ich habe ihn und seine kuriosen Machenschaften durchschaut. Das zieht bei mir nicht. Da kann er Gift drauf nehmen.

„Was ist? Traust du dich nicht?“ Da ist es wieder. Ich habe es doch gewusst. Mein Handy summt. Eindeutig eine Nachricht von meiner Mutter.

„Klar traue ich mich! Wann?“

„Samstag?“

„Abgemacht!“

„Cool!“

Die Tür wird aufgerissen, und Lisa prescht herein.

„Hallo, Hannah. Hast du das von Nils schon gehört?“

Nils! Es fällt mir wie Schuppen von den Augen.

„Oh, apropos Nils. Lars, du solltest zu ihm kommen. Hab’ ich total vergessen. Du wärst gut beraten, wenn du das schnellstmöglich nachholst. Er ist heute echt mies drauf.“

„Na gut! Wenn du das sagst, werde ich es tun. Entschuldigt mich, Ladys.“ Lars verlässt das Büro.

Lisa seufzt und sieht ihm verträumt hinterher, dann schaut sie mich verblüfft an. „Hab’ ich irgendetwas nicht mitbekommen?“

„Nee, alles in Ordnung. Wir raufen uns gerade zusammen. Andererseits … ach, ich weiß nicht. Er hat mich zum Essen eingeladen.“

„Oh, ein Date!“ Freudig klatscht Lisa in die Hände.

„Nein, kein Date!“, streite ich ab, und doch hat es den faden Beigeschmack einer Verabredung. Mein Magen flattert. Ich muss unbedingt etwas essen, bevor ich ohnmächtig werde.

„Es ist ein Versöhnungsessen unter Kollegen. Ein Neubeginn. Eine Teambuilding-Maßnahme, sozusagen“, versuche ich es Lisa, aber vor allem mir schönzureden, doch plötzlich wird mir das eigentliche Ausmaß dieser Situation bewusst. Ich Schaf bin doch tatsächlich in die Dating-Falle getappt!

„Was ist?“, fragt Lisa besorgt. „Du bist ja ganz blass im Gesicht! Magst du etwa keine Dates?“

„Natürlich, aber doch nicht mit ihm – und schon gar nicht jetzt! Ich muss mich auf meinen Job konzentrieren. Und überhaupt … Lisa, ich hab’ ein Problem. Gehst du mit mir shoppen?“

„Ja klar!“, ruft sie freudig aus. „Morgen nach Feierabend?“

„Gern. Danke, Lisa“, erwidere ich erleichtert. „Und was ist jetzt mit Nils?“

Hannah

„Klasse von der Peschke, Nils den Urlaub nicht zu genehmigen“, nehme ich noch mal das Gesprächsthema Nummer eins vom internen Firmenklatsch auf. Zusammen schlendern wir vom Parkplatz zur Innenstadt. Ich freue mich riesig, dass Lisa mich begleitet.

„Ja, ausgerechnet unserem Brückentagkönig.“

„Das hätte ich der Personalchefin gar nicht zugetraut.“

„Die beiden können sich nicht leiden. Jedenfalls nicht mehr.“

„Wie das?“

„Na, man munkelt, dass die beiden ein Verhältnis hatten.“

Verdattert bleibe ich stehen. „Liselotte Peschke und Nils Förster? Bist du sicher?“

„Und ob! Es wurde zwar nie an die große Glocke gehängt, und keiner weiß etwas Genaues darüber, aber Frau Peschke plaudert gern auf Betriebsfeiern aus dem Nähkästchen, wenn sie etwas mehr getrunken hat.“

„Ich kann das überhaupt nicht fassen!“

Langsam schlendern wir weiter.

„Nils bandelt doch mit jeder an, von der er sich einen Vorteil verspricht.“

„Das kann ich mir bei ihm sehr gut vorstellen. Der hat Arme wie ein Oktopus. Ständig tätschelt und grabbelt er herum. Einfach widerlich!“

„Du musst dich wehren, Hannah. Wenn es zu viel wird, musst du es Frau Peschke melden.“

„Ja, hätte ich schon lange. Ich kann ihm aber nichts nachweisen. Wir sind immer allein, wenn er das tut. Ich habe überhaupt nichts in der Hand gegen ihn. Er würde alles abstreiten. Außerdem brauche ich seine Beurteilung und sein Empfehlungsschreiben.“

„Ach, Hannah, Nils ist ein Schwein! Er weiß genau, dass er am längeren Hebel sitzt. Da bist du nicht die Einzige. Das macht er mit jeder, zumindest fast.“

Ich seufze und bemitleide mich etwas selber, denn eine Lösung für diese unangenehme Situation habe ich noch nicht gefunden. „Frau Peschke sehe ich jetzt mit ganz anderen Augen.“

„Du hättest sehen sollen, wie er auf unserem Flur vor ihrem Büro getobt hat.“

„Kann ich mir gut vorstellen. Daher hatte er gestern Morgen so schlechte Laune. Jetzt wundert es mich gar nicht mehr.“

„Oh, schau mal hier! Das wäre doch was für dich.“ Lisa zieht mich am Arm zu einem Schaufenster.

„Meinst du?“ Ungläubig schaue ich auf die Auslegeware. Jetzt bin ich mir doch nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee war, Lisa zu fragen und mich ihrem Geschmack anzuvertrauen.

„Na klar, komm!“ Widerspruch ist zwecklos. Lisa zieht mich schon am Arm in die Boutique.

***

In der Umkleidekabine stapeln sich die Kleidungsstücke. Hosen, Röcke, Blusen, Shirts. Lisa ist in ihrem Element. Während ich nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht, läuft Lisa mit der Verkäuferin um die Wette und schleppt immer mehr an.

In einem quietschgelben Kleid mit floralem Aufdruck stehe ich vor dem Spiegel im Laden.

„Ist das nicht ein Traum? Das hätte ich auch noch eine Nummer größer und in anderen Farben da.“

Es ist wirklich ein Traum, aber kein schöner, sondern einer, aus dem ich gern sofort aufwachen würde. Die Person im Spiegel ist mir völlig fremd. Das bin nicht ich.

An meinem Gesichtsausdruck erkennt die geschulte Verkäuferin, dass noch jede Menge Überzeugungsarbeit an mir geleistet werden muss. „Der Retro-Look steht Ihnen ausgezeichnet. Das trägt man jetzt in allen großen Metropolen der Welt. Den tiefen Ausschnitt könnten Sie auch mit einem Tuch kaschieren oder mit einer langen Kette betonen. Je nach Anlass.“

Hilfesuchend schaue ich zu Lisa.

„Also, ich finde es traumhaft!“ Danke, Lisa, für die Unterstützung. „Kann ich das bitte in Größe sechsunddreißig anprobieren?“

„Aber sicher doch! Ich hole es Ihnen.“

Als sich die Verkäuferin entfernt hat, platzt mir fast der Kragen. „Ich werde dieses Kanarien–Flowerpower–Faschingskleid auf gar keinen Fall kaufen. Ich trage sonst Jeans und Shirts. Das passt nicht zu mir.“ Mein Blick erhascht das Preisschild. „Und definitiv nicht zu meinem Geldbeutel.“

„Gerade weil du dich sonst so schlicht kleidest …“

„Praktisch. Ich trage praktische Sachen. Das machen Fahrradfahrer so.“

„Genau. Deswegen musst du ja nicht wie eine Vogelscheuche herumlaufen.“

Der Schlag saß. „Danke!“ Beleidigt rette ich mich in die Umkleidekabine, um das scheußliche Stück Stoff mit den Prilblumen auszuziehen.

„Hannah, das habe ich nicht so gemeint. Ich finde nur, du könntest ein wenig mehr Farbe vertragen und deinen Kleidungsstil überdenken. Das ist alles.“

Ich kann ihr nicht böse sein, denn sie hat recht.

„Ja, okay. Ich weiß, was du meinst. Aber ich bin nun mal kein Modepüppchen. Dieses Kleid ist wirklich …“ Ich suche nach dem richtigen Wort. „Speziell.“

Die Verkäuferin kommt zu uns zurück. „So, hier ist das Kleid in der gewünschten Größe.“

„Danke. Ich probiere es gleich an.“

„Und Sie?“, spricht sie mich durch den dicken Samtvorhang an. „Alles in Ordnung bei Ihnen? Kann ich Ihnen noch etwas bringen? Ich habe da noch einen Plisseerock in einem wunderbaren Zimtton.“

„Nein, danke. Ich habe mich entschieden.“ Entschlossen schiebe ich den Vorhang beiseite, froh darüber, wieder in meinen vertrauten Sachen zu stecken.

Lisa kommt aus der Kabine, und wow – an ihr sieht der Zwirn absolut umwerfend aus.

***

Eingehakt schlendern wir durch die Fußgängerzone. An unseren Ellenbogen baumeln schicke Einkaufstüten, die viel zu schade zum Wegwerfen sind.

Ich habe mich für eine Hose und einen Rock entschieden. Dazu für eine Bluse und zwei farbenfrohe Shirts, die mit beiden Teilen kombinierbar sind. In meinem Kleiderschrank hängt noch eine Strickjacke, die ich schon ausgemustert habe, aber bislang noch nicht dazu gekommen bin, sie in die Altkleidersammlung zu geben. Sie harmoniert perfekt mit den neuen Sachen. Manchmal lohnt es sich eben doch, sich nicht gleich von Dingen zu trennen.

Lisa hat logischerweise das ausgefallene Kleid gekauft, das an ihr einfach fantastisch aussieht.

„Wollen wir noch etwas zusammen essen? Eine Stärkung könnten wir jetzt gut gebrauchen!“

Ein Blick auf die Armbanduhr verrät mir, dass die Verabredung mit meiner Mutter unmittelbar bevorsteht. Ich mag sie nicht enttäuschen, weil sie mit Sicherheit etwas Leckeres für uns gekocht hat.

„Sorry, ich hab’ gleich eine Verabredung. Aber für einen Cappuccino reicht noch die Zeit.“

„Gut! Dort drüben ist ein schönes Café.“ Sie deutet nach links.

„In Ordnung. Lass uns draußen hinsetzen. Das Wetter ist noch so schön.“

„Auf jeden Fall, ich liebe es, Leute zu beobachten, die vorbeischlendern. “

Ich knuffte ihr in die Seite. „Wusste gar nicht, dass du voyeuristische Züge hast.“

Wir gackern wie zwei Teenager.

***

Zucker rieselt in die dampfende Tasse, die vor mir steht. Das kunstvolle Blütenmuster vom Barista-Meister versickert langsam. Beim Anblick des Amaretti läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Ich liebe italienische Kekse.

„Du kommst doch auch zum Presseball, oder?“

„Ich?“ Ertappt versuche ich, wie Lisa den Keks zu ignorieren.

Sie rührt versonnen in ihrem Cappuccino. „Hast du schon jemanden, der dich begleitet? Oder kommst du allein?“

„Äh … weiß nicht.“

„Ist doch eine Firmenveranstaltung.“

„Schon, aber das ist das reinste Schaulaufen.“

„Nun ja, jeder bringt seinen Partner mit. Das ist Verlagstradition. Außerdem, wenn der Chef einlädt, geht man hin, ob man will oder nicht. Und die Atmosphäre ist ja auch besonders. Abendkleidung, Orchester, sagenhaft gutes Essen …“

„Aha! Dann muss ich mir bis dahin noch einen Mann schnitzen.“ Langsam schlürfe ich die Kaffeevariation. Im letzten Jahr habe ich eine Magen-Darm-Infektion vorgetäuscht. Es gibt nichts Schlimmeres als partnerlos unter Paaren zu sein.

„Du könntest doch Lars fragen!“

Geschockt verschlucke ich mich an dem heißen, koffeinhaltigen Wachmacher. Lisa klopft mir auf den Rücken.

„Wie kommst du denn darauf?“, frage ich sie, als ich wieder sprechen kann und die Tränen, die der heftige Husten heraufbeschworen hat, mit der Serviette wegwische.

„Er ist neu im Verlag, und du bist allein. Ergo?“

„Meinst du, Lars würde ausgerechnet mit mir dahin gehen? Mit Sicherheit hat er eine Freundin. Er wird sich kaputtlachen, wenn ich ihn frage. Außerdem, wer sagt denn, dass ich ausgerechnet mit ihm zu dieser oder einer anderen Veranstaltung gehen will?“

„Hmm … wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“

„Ja, ja, und wer nicht heiratet, kriegt doch ein Kind. Ich kenne den Spruch. So wie er aussieht, ist er mit Sicherheit liiert.“

„Kommt darauf an, mit wem.“

„Verstehe ich nicht!“

„Schau mal da rüber. Wenn man von der Sonne spricht, geht sie auf.“

Ich folge ihrem Fingerzeig. Mir kommt da eher der Spruch ‚Wenn man vom Teufel‘ spricht in den Sinn.

Wir haben von unserem Platz einen herrlichen Blick auf den Marktplatz und das Wasserspiel vom Springbrunnen. Keine dreißig Meter entfernt von uns, auf den Stufen zum Brunnen, steht Lars zusammen mit einem dunkelhaarigen Mann. Sie albern herum. Lachen und boxen sich. Sie sehen sehr vertraut in ihrem Umgang miteinander aus.

„Und?“, frage ich verwirrt.

„Da steht deine Lösung!“

Ich runzele die Stirn und starre sie fragend an.

„Mann, stehst du auf der langen Leitung! Alle Männer, die zu gut aussehen, haben gar keine Freundin, weil sie einen Freund haben.“

„Du meinst?“

„Wäre doch möglich? Immerhin zeigt er kein Interesse an mir oder den anderen Kolleginnen“, schiebt sie den zweiten Teil betont hinterher, als ob sie etwas beleidigt wäre.

Mir fällt unser Büro ein, das er so wohnlich hergerichtet hat. Alles ist farblich abgestimmt. Der Kronleuchter, die Blume auf dem Fensterbrett, der Teppich. Welcher Mann würde schon auf so kleine Details achten?

„Hmmm. Weiß nicht. Er sieht doch so männlich aus …“ In diesem Moment umarmen sich die beiden. Nach nur Freundschaft sieht das nicht aus. Dann gehen sie in verschiedene Richtungen davon. „ Obwohl? Kann man sich in jemandem so täuschen?“

Lisa macht eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, wer weiß! Keine Ahnung. Aber irgendetwas stimmt nicht mit ihm, und ich werde es herausbekommen.“

Lisa ist eine liebe Freundin und Kollegin, dennoch spielt sie mit Vorliebe die erste Geige. Sie quatscht gern und ist immer über jeden Tratsch im Verlag bestens informiert. Es macht sie wahnsinnig, wenn sie mal nichts brühwarm mitbekommt oder dem Wahrheitsgehalt eines Gerüchts nicht auf die Schliche kommt.

„Wie dem auch sei, Lisa. Heute werden wir das jedenfalls nicht klären. Wenn du Näheres weißt, wirst du mir sicherlich berichten. Ich für meinen Teil muss jetzt los.“

300,67 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
320 стр.
ISBN:
9783754170502
Издатель:
Правообладатель:
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