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Читать книгу: «Undercover Boss», страница 2

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Hannah

Die Montagabend-Schicht nimmt ihren Lauf. Am Anfang der Woche ist es immer besonders voll. Wahrscheinlich drückt die sowieso schon Schlanken das schlechte Gewissen, weil sie am Wochenende nur Joggen waren und ansonsten auf dem Sofa gechillt haben. Allerdings sehen sie nicht danach aus, als ob sie allein auf der Couch versauern würden.

Man darf eben nicht nur von sich auf andere schließen. Ich liebe es einfach, zu Hause zu sein. Einkäufe und Hausputz werden möglichst am Samstagvormittag erledigt. Danach gehört das Wochenende mir. Ich schließe die Haustür ab und igele mich in einer Wolldecke ein. Manchmal schalte ich sogar mein Handy aus, damit mich keiner stört. Meine Mutter hat die Angewohnheit und das Talent, in den unpassendsten Augenblicken anzurufen. Es ist ja nicht so, dass wir uns nie sehen. Jeden Mittwoch schaue ich bei ihr vorbei. Sie kocht dann was Schönes. Manchmal ist das meine einzige warme Mahlzeit unter der Woche.

Wir reden dann über die Ereignisse der letzten Tage. Natürlich könnte ich auch bei ihr wohnen. Das hat sie mir schon oft angeboten. Aber ich möchte unabhängig sein. Ich will es allein schaffen und ihr vor allem nicht auf der Tasche liegen. Sie hat schon genug Probleme.

Ich kann stundenlang auf der Couch liegen und in einem Buch versinken. Oder ich arbeite an meinem Roman. Ich liebe es, zu schreiben und auf den Flügeln der Fantasie davon zu fliegen.

Doch dann holt mich der Montag in die Realität zurück und schlägt voll zu. So wie heute. Zwischen dem Mixen von Eiweißshakes und Ausfegen der Umkleidekabinen esse ich mein Butterbrot, das ich mir heute früh geschmiert habe. Ich will mich nicht beschweren, denn wenn viel zu tun ist, vergeht wenigstens die Zeit schnell.

Da ich von den Aushilfen am längsten dabei bin, kenne ich mich mit vielen Dingen aus, die anfallen. Ich bin eben ein Mädchen für alles. Genauso wie in meinem Job im Verlag ist es gut, wenn man flexibel und ein Allrounder ist.

Es ist Kurswechsel. Step-Aerobic ist zu Ende. Bauch-Beine-Po fängt gleich im Anschluss an sowie Zumba und Spinning für Fortgeschrittene. Zwischen den vielen sportbegeisterten Menschen sammele ich die leeren Gläser ein, die auf den Tischen neben den Geräten stehen. Auf meinem Tablett stapeln sich die Trinkgefäße. Die Fitnessgeräte sind so gut wie alle belegt. Die Kursteilnehmer nutzen vorher die Gelegenheit, ihre Muskulatur aufzuwärmen.

Als hätte sich die Menschenmenge wie die Fluten des Roten Meeres geteilt, steht da plötzlich mein neuer Kollege. Vor Schreck werden meine Hände schwitzig. Das Tablett gerät in bedrohliche Schieflage. Manche Gläser rutschen und klirren laut gegeneinander. Einige kippen um. Im letzten Moment kann ich es gerade noch halten und eine Katastrophe abwenden.

Kann der mich nicht wenigstens in meinem Feierabend in Ruhe lassen? Dass er hier auftaucht, bringt mich völlig aus dem Konzept.

Er schaut in meine Richtung. O Gott! Hat er mich gesehen? Panik breitet sich in mir aus. So kenne ich mich überhaupt nicht.

Schnell tauche ich in der Menge unter, aber anscheinend nicht schnell genug, denn er erkennt mich. Er winkt und kommt auf mich zu. Ich beeile mich, das Tablett neben der Hantelbank hinter mir verschwinden zu lassen.

„Na, das ist ja eine Überraschung! Was machst du denn hier?“

Das ist wohl die blödeste Frage, die ihm hätte einfallen können. Jedes Mal, wenn er den Mund aufmacht, steigt Wut in mir auf. Ja, was mache ich hier wohl? Ich möchte ihm am liebsten mein Shirt mit der AufschriftRudi’s Fitnessbudean den Kopf werfen. Dabei schaut er so spöttisch, dass es mir in den Fingern juckt, ihm eine Ohrfeige zu verpassen.

„Ach, hallo! Hab’ dich gar nicht gesehen“, sage ich stattdessen. „Was ich hier mache? Tja, ich vermute, das gleiche wie alle anderen im Fitnessstudio.“

„Du läufst?“

„Wer? Ich?“ Erstaunt schaue ich mich um. Neben mir steht das Laufband, das wohl gerade frei geworden ist. „Ja, genau. Ich habe gewartet bis das, äh … Laufband frei wird. Voll heute.“ Mutig stelle ich mich auf die Tretmühle.

„Cool, habe ich dir gar nicht zugetraut.“

Die Blöße will ich mir jetzt nicht geben. Außerdem muss er nicht unbedingt checken, dass ich hier nur arbeite und nicht zum Vergnügen bin. Er scheint ja keine Geldsorgen zu kennen. Sein Auto mit dem Schwaben-Stern hat sicherlich Papi finanziert.

Ich streiche mir ein paar verirrte Strähnen aus dem Gesicht. Hier im Studio ist die Luft oft so trocken, dass sich meine Haare elektrisch aufladen und mir wirr um den Kopf schwirren. Mein Blick fällt auf das Display. Herrje, hierfür benötigt man ja ein technisches Studium! So viele Knöpfe und Einstellungen. Mehr aus Zufall finde ich den Einschaltknopf. Das Band fängt gleich an, zu rotieren. Schneller als erwartet. Durch den plötzlichen Ruck komme ich kurz ein wenig ins Straucheln, was ich aber gut überspielen kann. Instinktiv setze ich einen Fuß vor den anderen.

„Also dann …“, sage ich zu ihm als Zeichen, dass das Gespräch jetzt beendet ist. Lars bleibt aber unglücklicherweise neben mir stehen und schaut mir zu. Macht auch keine Anstalten, zu gehen. Ich hatte gedacht, er würde nur Höflichkeiten austauschen wollen und dann wieder verschwinden. Da habe ich mich wohl getäuscht. Apropos gehen. Je mehr ich auf dem Band laufe, umso schneller wird es. Inzwischen jogge ich, obwohl ich in meinem ganzen Leben noch nie gejoggt bin.

„Und du? Bist du nur zum Zuschauen hier?“, presse ich stoßweiße hervor. Die Puste geht mir langsam aus.

„Nein, ich wollte in den Indoor-Cycling-Kurs. Bin neu hier.“

Ach was!

„Der Kurs beginnt immer pünktlich. Darauf legt Joachim sehr viel wert. Raum fünf. Treppe hoch, dann links, dem Schweißgeruch hinterher.“

Ich habe das Gefühl, dass mir gleich die Lunge platzt. Inzwischen habe ich schon ein ordentliches Tempo drauf. Will der denn gar nicht gehen? Ich renne, was das Zeug hält. Darum halte ich mich krampfhaft am Griff fest.

„Na, dann will ich dich nicht länger stören. Du hast ja schon ein ordentliches Tempo drauf.“ Er gibt mir einen Klaps auf die Schulter. „Respekt!“

„Hannah?“, ruft Rudi. „Hannah!“

Ich kann Lars nur noch zunicken. Mir ist glühend heiß. Allerdings schwirren meine Haare nicht mehr. Die kleben mir nämlich jetzt klatschnass an Kopf fest.

„Es gibt doch nichts Schöneres als sich mal so richtig auszupowern, was?“

Ich lächele gequält. Meine volle Konzentration gilt dem Laufband, damit ich bloß nicht über meine eigenen Füße stolpere.

„Also, man sieht sich.“

Lars macht sich endlich auf den Weg zu seinem Kurs. Gott sei Dank, denke ich. Mein Problem mit dem Laufband ist aber noch nicht gelöst. Der Ausstellknopf ist in unerreichbarer Entfernung. Ich traue mich einfach nicht, die Hand vom Griff zu lösen. Das Band wird immer schneller. Plötzlich verlassen mich die Kräfte. Meine Beine knicken weg und sausen mit dem Band nach hinten weg.

Verzweifelt und mit letzter Kraft mache ich Vorwärtssprünge, um auf dem Band zu bleiben. Ich kann mich nicht mehr halten. Meine schwitzigen Hände rutschen vom Griff ab, mit denen ich jetzt panisch in der Luft rudere, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Irgendwann verliere ich auch diesen Kampf, der sich für mich wie eine Ewigkeit anfühlt, in Wirklichkeit aber nur Sekunden dauert.

Ich sause vom Laufband. Mit einem Angstschrei falle ich auf den Po, schlage einen filmreifen Purzelbaum rückwärts und komme auf dem Bauch zum Liegen. Meine Fußspitzen donnern in das Tablett mit den Gläsern, dass ich dort abgestellt habe. Es klirrt und scheppert gewaltig. Erschöpft bleibe ich auf dem müffelnden Teppich liegen.

„Hannah!“, ruft Rudi in der Ferne.

In meinen Ohren rauscht es, und mein Herz rast wie nach zwanzig Tassen Espresso. Bäuchlings bleibe ich erschöpft auf der blauen Auslegeware liegen. Mit letzter Anstrengung hebe ich den Kopf. Neben mir erblicke ich ein Paar weiße Turnschuhe.

„Hmmm?“ Ich blinzele nach oben.

Rudi steht neben mir mit Eimer und Wischmopp. „Was machst du denn da unten auf dem Fußboden?“

„Rudi, ich … ich liege einfach so hier rum. Der Teppich müsste übrigens dringend gesaugt werden“, versuche ich, zu scherzen. Ich habe zwar meine Würde verloren, aber meinen Humor offensichtlich nicht.

„Mensch, Hannah! Ausruhen kannst du dich zu Hause. Und wenn du schon Bodenexpertin bist – die Damendusche muss auch dringend gereinigt werden.“

Umständlich rappele ich mich auf.

Rudi drückt mir Eimer und Mopp in die Hände. „Und stell das Laufband aus, das irgendein Idiot angelassen hat.“

Hannah

Bevor ich mich der Gruppendusche mit vollem Einsatz widme, sammele ich die Glasscherben auf, die um das Tablett auf dem Teppich verstreut liegen. Scherben bringen ja bekanntlich Glück.

Von meinem Malheur hat anscheinend keiner so richtig etwas mitbekommen. Jedenfalls spricht mich niemand darauf an. Ich sehe auch keinen, der hinter vorgehaltener Hand etwas tuschelt oder mich komisch von der Seite ansieht. Was ich durchaus als positiv bewerte.

Herrje, war das peinlich! Aber so typisch für mich. Ich bin eine große Meisterin darin, mit solchen Aktionen unabsichtlich in den Mittelpunkt zu geraten.

Meine Beine fühlen sich wie Gummi an. Morgen werde ich mit Sicherheit einen ordentlichen Muskelkater haben plus einen blauen Fleck an meinen Rippen, den mir Nils heute Morgen verpasst hat.

Der Waschraum ist schnell wieder vorzeigbar. Dank der Musik, die durch die Lautsprecher in der Decke auf mich herabrieselt. Im Takt schwinge ich meinen Mopp von rechts nach links.

Ich schlappe in meinen Badelatschen pfeifend und gemächlich in Richtung Abstellkammer, um meine Putzutensilien zu verstauen. Gleich ist Feierabend.

Jonas steht hinter der Theke. Er halbiert Orangenscheiben für den letzten Saunagang, als ein Schrei aus seiner Richtung mich zusammenfahren lässt.

„Ahhhhhhh … verdammt, ich habe mich geschnitten!“ Jonas hält den Finger in die Höhe. „Ich blute!“

Eimer und Mopp lasse ich fallen und eile meinem Kollegen zu Hilfe. Ich mache mich auf das Schlimmste gefasst. Tatsächlich kann ich aber nur einen Tropfen Blut erkennen, den er sich aus der winzigen Wunde quetscht. Erleichtert atme ich auf.

„Ach, Jonas, so schlimm ist das gar nicht.“

„Doch!“, erwidert er wehleidig.

„Halte deinen Finger unter den Hahn und kühle ihn mit kaltem Wasser.“

Da er keine Anstalten macht, meiner Anweisung Folge zu leisten, nehme ich kurzentschlossen seine Hand und halte sie unter den Wasserstrahl.

„Mist …“

„Jonas, bitte! Es ist ein wirklich nicht schlimm.“

„Doch, es tut verflucht weh!“

„Es ist nur ein winziger Schnitt. Hier, sieh selber.“

„Nein, lieber nicht.“

„Trockne deinen Finger mit der Küchenrolle ab. Ich hole dir ein Pflaster.“

„Mir wird schlecht!“

„Ach, Quatsch! Doch nicht wegen so einem winzigen Schnitt.“ Ein klitzekleines Tröpfchen Blut sucht sich seinen Weg durch das Papier. Jonas wird blass um die Nase.

„Rudi!“, rufe ich in den Raum. „Ich brauche hier ganz dringend deine Hilfe!“

Da sackt Jonas auch schon zusammen. Gerade kann ich ihn noch halten, bevor er hart aufschlägt. Gemeinsam sinken wir zu Boden.

Dann steht Rudi neben mir. „Was ist denn hier los?“

„Jonas hat sich geschnitten. Nicht doll, aber er ist einfach in Ohnmacht gefallen.“

Rudi kniet sich neben mich. Er tätschelt ihm die Wangen, bis er wieder aufwacht. „Na, mein Junge? Ich glaube, du ruhst dich noch ein wenig aus.“ Er hebt Jonas auf, als wäre er leicht wie eine Feder, obwohl er ein breites Kreuz hat und mindestens 1,80 m groß ist. Rudi trägt ihn zu der Krankenliege im Büro. Über seine Schulter hinweg ruft er zu mir: „Kümmerst du dich um den Aufguss in der Sauna? Danach kannst du auch gern Feierabend machen.“

Feierabend! Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Schnell räume ich mein Putzzeug weg, das ich vorhin so unsanft fallengelassen habe.

Der letzte Aufguss ist immer sehr gut besucht. Zum Glück hat mir Jonas, unser Saunameister, gezeigt, wie man die Aufgusszeremonie korrekt durchführt. Einen Tag lang habe ich die richtige Handtuchwedel-Technik gelernt. Am Ende des Crashkurses war er zufrieden und ich erschöpft und klitschnass geschwitzt. Jetzt ist Premiere vor Publikum.

Mit dem Tablett Orangen und einem Holzbottich voll Wasser mache ich mich auf den Weg zur Sauna. Wäre doch gelacht, wenn ich die Nackedeis nicht zum Schwitzen bekommen würde.

Schon durch das kleine Fenster, das zum spärlich beleuchteten Raum führt, kann ich sehen, wie die Gäste dicht gedrängt, Pobacke an Pobacke, bis in die obere Reihe sitzen.

Bottich und Tablett stelle ich ab und öffne die Tür, um den Innenraum zu lüften. Heiße Luft schlägt mir entgegen.

Jetzt kommen die letzten Vorbereitungen. Jonas hat eine ganze Gefriertruhe voll Kunstschnee, daraus forme ich drei faustgroße Bälle, so wie er es mir gezeigt hat, lege sie in eine Holzschale und nehme die ätherischen Öle sowie das große Handtuch mit.

Nun habe ich alles beisammen. Jetzt ist Showtime. Ich gebe zu, ich bin sehr aufgeregt. Schließlich mache ich das zum ersten Mal. Mit klopfendem Herzen betrete ich die Sauna mit den Utensilien und schließe die Tür hinter mir. Nervös räuspere ich mich und hole tief Luft.

„Hallo, mein Name ist Hannah, und ich begrüße euch zu dem letzten Aufguss des heutigen Abends, den ich für euch mache. Es gibt insgesamt drei. Für die erste Runde habe ich euch Zitrone mitgebracht. Das Aroma ist frisch, fruchtig und wirkt desinfizierend. Für den zweiten Pfefferminze und zuletzt Kiefer. Beide Öle befreien die Atemwege. Wenn ihr euch nicht wohlfühlt, dürft ihr gern nach unten, sofern das möglich ist. Sollte es euch dennoch zu viel werden, könnt ihr die Sauna jederzeit verlassen. Ich wünsche euch gute Entspannung und ein angenehmes Schwitzen.“

Mit dem Schöpflöffel gieße ich zwei Kellen Wasser auf die Lavasteine, das sofort zischend verdampft. Die Lavasteine knacken. Ich beträufele die erste Schneekugel mit Zitronenöl und lege sie in die Glut. Danach gieße ich eine Kelle Wasser darüber und zerklopfe die Kugel. Langsam schmilzt das Eis. Der fruchtige, frische Duft der Zitrone entfaltet seine Wirkung. Ich falte mein Frotteehandtuch auf die halbe Größe, rolle es auf der einen Seite etwas ein und schwenke es mit Schwung nach hinten links, über den Kopf und dann nach vorn, ähnlich der Bewegung der Vorhand beim Tennis, und schlage die heiße Luft vom Ofen zu den Gästen. Ein Wohliges Ah und Oh kommt mir entgegen. Meine Augen haben sich inzwischen an das diffuse Licht gewöhnt. Mit einem Schlag wird mir heiß, und es liegt nicht an der steigenden Raumtemperatur.

Vor mir auf der untersten Stufe sitzt, natürlich splitterfasernackt, mein neuer Kollege und grinst wie ein Honigkuchenpferd. Den Impuls, ihn mit der Ecke des Handtuchs, selbstverständlich versehentlich, zu treffen, kann ich nur mit Mühe unterdrücken.

Muss das denn sein? Kann der mich nicht in Ruhe lassen? Der Kerl verfolgt mich schon den ganzen Tag! Kurz vor Feierabend muss ich ihn nun wirklich nicht auch noch hier in der Sauna sehen.

Oh. Mein. Gott!

Ich kann alles – aber auch wirklich alles – sehen, da er breitbeinig in einer typisch männlichen Pose vor mir sitzt. Sein Oberkörper mit seinen definierten Muskeln ist ja ein richtiger Hingucker. Und es scheint ihm überhaupt nicht peinlich zu sein, ganz im Gegensatz zu mir. Normalerweise macht es mir nichts aus, andere Menschen unbekleidet zu sehen, bei bekannten Gesichtern ist das jedoch etwas anderes. Es gibt eben Dinge, besonders von Kollegen und Eltern, die möchte man nicht sehen. Lars scheint das aber keineswegs etwas auszumachen. Anstatt sich anders hinzusetzen, bleibt er machomäßig so hocken und glotzt mich wie ein Mondkalb auf Ecstasy an.

Ich versuche, mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Was mir schwerfällt. Seine dominante Nähe bringt mich aus dem Konzept. Als ob es nichts Besonderes wäre, reiche ich jedem das Tablett mit den Orangenstücken an. Für die obere Reihe muss ich mich ein bisschen recken. Die meisten machen Platz, damit ich das Brett bis in die hinterste Reihe reichen kann. Hier nimmt man Rücksicht auf den anderen und übt sich in Diskretion, damit man den schwitzenden Nebenmann nicht unnötig berührt. Bis auf Lars. Pietätlos stoßen seine Knie gegen die der Sitznachbarn rechts und links neben ihm.

Mir bleibt tatsächlich nichts anderes übrig, als zwischen seinen Beinen nah an ihn heranzutreten, damit die obere Bank in den Genuss der Orangenstücke kommt. Kurz bleibt mir die Luft weg, als ich versehentlich seinen Oberkörper berühre. Er fühlt sich, zu meinem Leidwesen, fürchterlich angenehm an. Mir schwirrt ein Schwarm Schmetterlinge durch den Bauch. Beinahe lasse ich das Tablett fallen.

Zum Glück fange ich mich schnell wieder und fahre mit meiner Arbeit fort. Ich konzentriere mich auf den nächsten Durchgang.

Die zweite Schneekugel mit dem Pfefferminzöl kommt in die Glut. Darüber leere ich wieder zwei Kellen Wasser, ehe ich sie zerklopfe. Der frische Minzduft beißt in den Atemwegen und befreit sie. Ich rolle das Handtuch auf und wirbele mit der Propellerbewegung die heiße Luft vom Ofen zu den Gästen. Der Schweiß fließt in Strömen, nicht nur bei mir.

Puh, Ah, Boa, geht es durch die Reihen. Um den Effekt vor dem letzten Durchgang zu erhöhen, reiche ich nun den Eimer mit den Eiswürfeln herum. Damit können sich die Saunierenden abreiben, um abzukühlen.

Und wieder ist es Lars, der keinen Platz macht, damit ich an die hintere Bank komme. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als mich abermals dicht vor ihn zu stellen.

Als die obere Reihe fertig ist, kann ich den schweren Bottich mit den Eiswürfeln nicht länger halten. Er gleitet mir durch die rutschigen Hände, aber ich fange ihn noch gerade so auf. Dabei ist der Eimer jedoch in eine bedenkliche Schräglage gekommen, und die Gravitation erledigt den Rest. Die gefrorenen Wasserwürfel prasseln auf Lars herab und landen auf seine Körpermitte.

„Ups!“, entfleucht es mir.

Wie von der Tarantel gestochen springt Lars mit einem überhaupt nicht männlichen Schrei auf. Plötzlich ist er hellwach.

„Bist du total bescheuert? Kannst du nicht aufpassen?“, schimpft er, und ich stehe da wie ein begossener Pudel. Meine Haare kleben mir am Kopf, genauso wie das Shirt am Körper. Ich bin so perplex, dass ich kein Wort der Entschuldigung hervorbringe. Röte schießt mir ins Gesicht, die man in diesem schemenhaften Dunkel zum Glück nicht sieht.

Hämisches Gelächter hinter vorgehaltener Hand entspannt die Lage, und Lars verlässt fluchend die Sauna. Leichte Schadenfreude breitet sich in mir aus. Es gibt also doch noch Gerechtigkeit! Nicht, dass ich jemandem oder ihm etwas Schlechtes wünsche. Doch das hat er irgendwie verdient.

Als er endlich draußen ist, beginne ich mit der letzten Runde. Am Ende bekomme ich Applaus. Diese Anerkennung habe ich zum Abschluss dieses schrecklichen Tages wirklich gebraucht.

Lars

„War das peinlich, Marek!“ Ich sitze auf dem Sofa. Meine linke Hand ruht auf meinen geschlossenen Augen. Die Mansardenwohnung liegt im vierten Stock und hat einen tollen Ausblick auf die Innenstadt. Das Grün der Bäume ragt zwischen den Dächern hervor. Es erweckt den Eindruck, man wohne hier eher im Wald als in einer Großstadt. Die Wohnung ist nicht groß, aber sie gehört mir. Jedenfalls solange ich die Miete zahle. Meinem Vater war es zwar nicht recht, als ich hier eingezogen bin, da er es lieber gesehen hätte, ich wäre bei ihm in der Villa wohnen geblieben, aber er hat mich nicht umstimmen können. Ich bin immer noch stolz auf mich, sein Angebot für das Loft, das er mir kaufen wollte, ausgeschlagen zu haben. Hier bin ich mein eigener Herr und stehe nicht mehr unter seiner Fuchtel. Es reicht schon, dass ich ihm in anderen Dingen ausgeliefert bin.

Das Gelächter von meinem kleinen Bruder dringt aus dem Handy direkt an mein Ohr.

„Ich habe mich total bloßgestellt!“

„Du meinst wohl eher entblößt“, prustet Marek.

„Ha-ha, sehr witzig. Ich habe mich absolut zum Honk gemacht. Was soll sie denn jetzt von mir denken?“

„Sicherlich nur Gutes. Und süße Träume wird sie bestimmt auch von dir haben. Hi-hi-hi.“ Marek scheint sich auf der anderen Seite der Leitung köstlich zu amüsieren. Es macht ihm Spaß, mich damit aufzuziehen. Mein Bruder hat manchmal einen sonnigen Humor.

„Hoffentlich denkt sie nicht, dass ich ein Exhibitionist bin.“

„Ach komm, du stellst dich doch sonst auch mal gern zur Schau.“

„Ja, aber doch nicht so! Und schon gar nicht vor neuen Kolleginnen.“

„… die bald deine Angestellten werden, vergiss das nicht.“

„Hör bloß auf! Daran will ich überhaupt nicht denken. Das war die blödeste Schnapsidee aller Zeiten!“

„Wie ist es denn so weit gekommen? Ich meine, in der Sauna. Musstest du nicht damit rechnen, ihr eventuell dort zu begegnen?“

„Weiß auch nicht. Irgendwie war ich nicht ich selbst. Womöglich eine Fehlschaltung in meinen Synapsen. Eigentlich wollte ich gerade den Schwitzkasten verlassen. Die Sanduhr war schon durchgelaufen, und ich saß bereits ganz unten auf der untersten Bank, weil ich längst überhitzt war, als die Tür zur Sauna zum Lüften aufgemacht wurde. Das war sehr angenehm. Also bin ich sitzengeblieben. Ich hatte gerade an sie gedacht, wie sie auf dem Laufband so ein Tempo hingelegt hatte. Das habe ich ihr gar nicht zugetraut. Da stand sie auch schon vor mir. Zuerst habe ich das gar nicht geschnallt. Ich war noch so mit meinem Tagtraum beschäftigt …“ Aus dem Nichts taucht ihr hübsches Gesicht vor mir auf. Diese atemberaubenden Augen und ihr Blick gnadenloser Intensität, für den sie eigentlich einen Waffenschein benötigen sollte. Mit einem Blauton, den ich noch nie gesehen habe. Dunkelblau, und um die Iris ein grünlicher Farbkranz. Ihre Seelenfenster sind klar und unergründlich wie ein Bergsee und trotzdem warm wie ein Kaminfeuer und können sogar Funken sprühen. Und ihre geschwungenen, vollen Lippen …

„Erde an Lars! Bist du noch da oder schon eingeschlafen? Was ist dann passiert?“, holt mich Marek auf den Boden der Tatsachen zurück.

„Ach, was weiß ich“, erwidere ich verärgert. „Ich war wie hypnotisiert. Bin erst zu mir gekommen, als sie den Kübel mit den Eiswürfeln über mir ausgekippt hat. Das hat sie sicherlich absichtlich gemacht. Das Biest!“

„Na, das nenne ich mal eiskalt abserviert, mein Lieber!“

„Dann habe ich Hannah auch noch beschimpft, weil ich mich so erschrocken hatte. Wie soll ich ihr morgen nur unter die Augen treten?“

„Jedenfalls nicht nackt.“

„Sehr witzig, Marek. Das ist keine Hilfe. Ich muss das irgendwie wiedergutmachen, wo doch schon der Anfang so unterkühlt war. Dabei wollte ich doch nur mit meinem Spruch heute Morgen das Eis brechen.“

„Das hat offensichtlich schon sie übernommen. Es lebe die Emanzipation! Dafür hast du sie mit nackten Tatsachen konfrontiert“, erwidert mein Bruder, und ich höre über das Telefon, dass er schmunzelt.

„Ich muss unbedingt bei ihr punkten, sonst wird die Zusammenarbeit mit ihr der reinste Spießrutenlauf!“

„Okay, ich habe eine Idee. Wir machen Folgendes …“

300,67 ₽
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320 стр.
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9783754170502
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