Читать книгу: «Die Taube auf der Moschee», страница 4

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Der klappernde Sack

Der Sand, vorher in einem dunklen Ockerton, färbte sich cremig weiß, das Blau des Meeres wechselte in ein fahles Grün, das Gras auf den Sanddünen schwärzte und bog sich unter einer plötzlichen Windböe. Die Veränderung kam unvermittelt, so schien es mir. Ich hatte bemerkt, dass Wolken über den Berggipfeln im Landesinneren aufzogen, aber ich war unter einer heißen Sonne geritten, die nur ein klein wenig schwächer schien als zur Mittagsstunde, als plötzlich die Kälte und der Schatten mich trafen. Dann sah ich den Himmel bedeckt von einer riesigen purpurnen Wolke, die sich zu Land und Meer hinabwölbte. Die Wellen, die den ganzen Tag gelispelt hatten, ließen ein unheilvolles dumpfes Brüllen vernehmen. Weiße Pferde bäumten sich auf und schlugen nach vorne aus. Ein Wind sang zwischen dem Gras und den Disteln der Dünen, blies mir Sand ins Gesicht.

Rashîd, der weit hinter mir ritt und mit dem Maultiertreiber plauderte, raste herbei, und ich hörte die Schreie des Mukâri, der seine zwei Tiere zur Eile antrieb.

»Dort auf der Landzunge liegt ein Dorf … ein Dorf von zirkassischen Siedlern«, rief mein Diener atemlos. »Es hat einen schlechten Ruf, und ich hätte ungern dort übernachtet. Doch in solch einem Sturm ist jedes Dach gut. Reitet schnell! Vielleicht kommen wir an, bevor es schüttet.«

Mein Pferd lief bereits aus eigenem Antrieb im Kanter. Ich spornte es zum Galopp an. Wir umrundeten die Bucht wie im Flug. Das Dorf auf der Landzunge nahm rasch Gestalt an – ein paar würfelförmige, weißgetünchte Häuser, die zwischen etwas kauerten, das zunächst wie große Felsen aussah, sich aber beim Näherkommen als Blöcke von Mauerwerk herausstellte, die Ruinen einer uralten Stadt. Gelegentlich spritzte die Gischt über sie hinweg, weiß wie Lilien im Dämmerlicht. Die Flut kam. Ich erkannte ein altes Tor, das sich zum Strand öffnete, und lenkte mein Pferd dorthin, während der Regen herabprasselte. Ich sah nichts mehr, bis die Ruinen dicht vor mir emporragten, eine lückenlose Mauer.

»Zu Eurer Rechten!«, rief Rashîd, und als ich mich nach rechts wandte, fand ich das Tor. Wir warteten unter dem Torbogen, bis der Maultiertreiber, eine tropfnasse Gestalt, gehüllt in einen Sack, mit den beiden Mauleseln erschien; und dann tauchten wir erneut in die Sintflut. Der Pfad, der sehr uneben war, schlängelte sich durch die Ruinen auf und ab, hinein und hinaus. Es gab ungefähr ein Dutzend verstreuter Häuser ohne Gärten oder andere Anzeichen von Bewirtschaftung ringsum. Nur eines hatte ein oberes Stockwerk, und da wir es für den Gasthof hielten, gingen wir darauf zu. Es stand allein auf dem Vorgebirge, umgeben von Gischtwolken.

Ein kleiner Hof bot ein wenig Schutz, während Rashîd eine grobe Steintreppe hinaufeilte, an die Tür hämmerte und rief: »Friede diesem Hause! Mein Herr braucht dringend Essen und Obdach, und wir, seine Diener, erbitten von Eurer Güte dieselbe Gunst. O Herr des Hauses, Gott wird Euch für Eure Gastfreundschaft belohnen!«

Die Tür wurde geöffnet, und ein Mann erschien, der uns alle im Namen Allahs hereinbat. Er war mittelgroß, stämmig gebaut und hatte einen buschigen grauen Schnurrbart. Ein altmodischer flacher Fez mit einer großen blauen Quaste war mit einem bestickten Turban um seine Stirn gebunden. Eine blaue Zuavenjacke, eine karmesinrote Weste und dunkelblaue Pluderhosen vervollständigten sein Gewand, doch Schuhe trug er keine. In seinem Gürtel steckten zwei Pistolen und ein Krummsäbel.

Er hieß uns in schlechtem Arabisch willkommen und führte uns in ein großes Zimmer – das obere Stockwerk, das wir aus der Ferne gesehen hatten. Die Fenster wussten nichts von Glas, sondern waren grob mit Fensterläden aus Holz verschlossen und verriegelt, die im Sturm knirschten und klapperten. Ein sehr vornehm aussehender alter Mann erhob sich vom Diwan, um uns zu begrüßen.

»Woher kommt Ihr? Seid Ihr ein Türke oder einer von uns?«, fragte er, als ich meinen Schal abnahm. »Ein Engländer, sagt Ihr?« Er ergriff meine Hand und drückte sie. »Ein Engländer … jeder Engländer ist gut, und sein Wort gilt. Doch die englische Regierung ist sehr übel. In Kars benahmen sich drei Engländer wie Kriegerengel, kämpften wie Teufel. Und während sie für uns kämpften, betrog ihre Regierung unser Land. Wie? Ihr habt davon gehört? Allah sei gepriesen! Endlich treffe ich jemanden, der die Geschichte bestätigt. Mein Sohn hier meint, ich hätte sie erfunden.«

Zufällig hatte ich über die Verteidigung von Kars unter Führung dreier heldenhafter Engländer gelesen – General Williams, Captain Teesdale und Doktor Sandwith – und über den Verrat an dem zirkassischen Aufstand unter Shamyl während des Krimkriegs.

Der Alte war hocherfreut. »Höre, o mein Sohn!«, rief er dem Mann zu, der uns hereingelassen hatte. »Was ich so oft erzählt habe, ist wahr. Dieser Engländer weiß alles darüber. Ebenso die ganze Welt, bis auf solche Dummköpfe wie du und deine Freunde.«

Sein Sohn bat darum, sich kurz entfernen zu dürfen, um seine Ernte in die Scheune zu bringen. Daraufhin schleppte er einen Sack aus dem Zimmer. Welche Früchte er geerntet hatte, weiß ich nicht, aber eines weiß ich: Der Inhalt des Sacks klapperte, als er ihn hinauszog.

Bei seiner Rückkehr brachte er eine Schale mit in klarer Butter gebratenen Eiern, zwei Scheiben Brot und einen großen Krug Wasser und entschuldigte sich für die schlichte Kost. Wir aßen alle zusammen, der Alte plapperte ganz aufgeregt über alte Zeiten. Sein Sohn starrte mich an, ohne zu blinzeln. Schließlich sagte er: »Ich mag Euch, o Khawâjah. Einst hatte ich einen Sohn in Eurem Alter. Sag, o mein Vater, sieht er ihm nicht sehr ähnlich?«

Hernach redete er fast so viel wie der Alte, schilderte mir, wie sie aus dem Kaukasus ausgewandert waren, um dem Joch der verfluchten Moskoviten zu entrinnen, und zählte all die Schwierigkeiten auf, mit denen sie sich hatten herumschlagen müssen, seit sie nach Syrien gekommen waren.

»Wir sind keine Untertanen der Regierung«, erklärte er mir, »sondern Verbündete, und wir genießen besondere Privilegien. Doch die ehrlosen Hunde in dieser Gegend vergessen alte Bündnisse und wollen, dass wir Steuern zahlen wie gewöhnliche Fellâhîn

Wir plauderten bis spät in die Nacht, während draußen der Sturm tobte und Regen und Gischt gegen die Fensterläden prasselten; ich bin noch nie freundlicher behandelt worden. Es war üblich, dass Zufallsgäste nur abends eine Mahlzeit bekamen und früh am nächsten Morgen abreisten. Doch als ich bei strahlendem Sonnenschein erwachte, hatte unser Gastgeber bereits das Frühstück zubereitet – saure Milch, arabisches Brot und duftenden Kaffee –, und als ich zu meinem Pferd hinausging, folgte er mir, stopfte zwei Brathühner in meine Satteltaschen und rief: »Zâd!« – das bedeutet »Reiseproviant«. Und zu meiner Verlegenheit fielen er und der Alte mir um den Hals und küssten mich auf beide Wangen.

»Gute Leute! Die Allerbesten! Sie wollen kein Geld. Gott möge sie belohnen«, jubelte Rashîd, als wir aus den Ruinen heraus landeinwärts durch einen Garten aus Wildblumen ritten. Der Sturm war abgezogen. Keine Wolke blieb zurück.

Nach einer Stunde kamen wir in Sichtweite eines großen Khan, außerhalb eines Lehmhüttendorfes an der Küste. Davor hatten sich eine Menschenmenge sowie einige Soldaten versammelt. Als wir uns der Menge näherten, fragte Rashîd, was der Grund für das Gewimmel sei.

»Ein schreckliches Unglück«, sagte man ihm. »Ein Mann, ein Fremder, liegt im Sterben, Wegelagerer haben ihn tödlich verwundet. Einer seiner Gefährten, ein armer Diener, ist schon tot.«

Wir stiegen ab, und Rashîd drängte sich nach vorn, um mehr zu erfahren. Bald trat ein Soldat an mich heran.

»Euer Ehren seid Engländer?«, fragte er. »Allah sei gepriesen! Ich bin sehr erleichtert. Der andere ist offenbar ebenfalls Engländer. Er ist schwer verletzt, an der Schwelle des Todes.«

Ich begleitete ihn sofort zu dem Verwundeten, der froh zu sein schien, mich reden zu hören, aber nicht antworten konnte. Rashîd und ich taten, was wir konnten, damit er es bequem hatte, und befahlen den Soldaten, die Menge fernzuhalten. Wir beschlossen, weiterzureiten und einen Arzt zu schicken, um dann die Angelegenheit einem britischen Konsul zu berichten.

»Er wollte irgendein Geschäft in der Stadt dort drüben eröffnen«, erklärte mir der Anführer der Soldaten und nickte in Richtung Süden. »Er hatte eine ziemlich große Karawane mit vielen Kamelen. Doch nahe des Dorfes —— wurde er von den Zirkassen überfallen und war so dumm, Widerstand zu leisten. Sie raubten ihm all seine Wertsachen – seine Waffen, sein Geld –, töteten einen seiner Kameltreiber und verwundeten ihn. Es geschah gestern, vor dem Sturm. Sie sagen, ich solle ihn rächen. Wer bin ich – ein Unteroffizier mit sechs Mann –, dass ich gegen Huseyn Agha und seine Kavallerie kämpfe! Dazu braucht es ein Regiment!«

Er zog schimpfend ab. Rashîd und ich sahen einander fest in die Augen, denn das genannte Dorf war jenes, in dem wir übernachtet hatten, und Huseyn Aghas Brathühner steckten in unseren Satteltaschen.

Ich merkte, dass Rashîd meinetwegen beunruhigt war. Er schwieg eine Zeitlang. Schließlich sagte er zu mir: »Es ist so, mein Herr. Jeder muss mit seinen eigenen Augen sehen, nicht mit denen eines anderen. Leute sind, wie man sie gerade sieht, gut oder böse. Sie ändern sich aus dem Blickwinkel eines jeden Menschen und bleiben doch dieselben. Für uns sind diese Straßenräuber gute Leute, wir müssen sie segnen, wir haben Grund dazu. Dieser andere Mann kann sie freimütig verfluchen, wenn er das möchte. Gut zu ihren Freunden, böse zu ihren Feinden. Wer unter den Söhnen Adams kann sie gänzlich verdammen?«

Polizeiarbeit

Als ich mich einmal zum Abendessen umziehen musste, legte ich meinen Geldgürtel ab und vergaß, ihn wieder anzulegen. Darin befanden sich zwölf Pfund. Ich ließ ihn auf dem Tisch im Hotelschlafzimmer liegen. Bei meiner Rückkehr in den frühen Morgenstunden war er verschwunden. Rashîd – der in einem Khan übernachtete, um unsere beiden Pferde zu versorgen – erschien um acht Uhr und weckte mich. Wie er von meinem Verlust erfuhr, hielt er mir die schlimmste Strafpredigt meines Lebens und ging dann hinaus, um dem Hotelbesitzer den Marsch zu blasen.

Diesmal war es ein richtiges Hotel mit table d’hôte, Portier und Palmenlounge – tatsächlich gab es alles, bis auf Abflussrohre. Der Besitzer war ein dicker, brauner Kerl, den ich meist auf dem Sofa in seinem Büro hatte liegen sehen, während einer seiner vielen Söhne die ganze Arbeit erledigte. Nun stellte ich fest, dass er notfalls auch Tatkraft zeigen konnte. Als er von Rashîd erfuhr, dass ich, ein Gast seines Hotels, bestohlen worden war, sprang er auf und tobte vor Wut.

Als ich den Schauplatz betrat – die Palmenlounge, ein offener Hof mit Sonnensegel –, schwang der Hotelier unter schrecklichen Flüchen eine Peitsche und hatte buchstäblich Schaum vor dem Mund. Ich bat ihn, nichts Unüberlegtes zu tun, doch er schien mich nicht zu hören. Mit dem Schrei eines Schlachtrosses eilte er zu den Quartieren der Diener, von wo man bald herzzereißendes Kreischen und lautes Betteln um Gnade vernahm. Seine Söhne, die befürchteten, es könnte ein Mord geschehen, folgten ihm und vergrößerten den allgemeinen Aufruhr mit ihren Protestrufen. Die Frauen seines Hauses erschienen an den Türschwellen, weinten und rangen die Hände.

Rashîd schien zufrieden mit diesem Durcheinander, betrachtete es als Anerkennung unserer Bedeutsamkeit, seiner und meiner.

»Seid so gut und geht fort«, sagte er zu mir. »Die Szene ist Eurer nicht würdig. Ich achte darauf, dass alles dafür getan wird, um Eurem Namen Ehre zu machen.«

Ich blieb trotzdem. Bald kehrte der Gastwirt zurück. Er schwitzte stark und wischte sich mit einem karmesinroten Taschentuch übers Gesicht. Er lächelte wie jemand, der sich mit Leibesübungen erfrischt hat.

»Es ist zwecklos«, sagte er mit einem Achselzucken. »Ich habe sie ordentlich verprügelt, und jeder Einzelne hat zugegeben, dass er allein und kein anderer der Dieb sei. Jeder, der an die Reihe kam, wollte um jeden Preis mein Diener bleiben.«

Er sank auf ein Sofa nieder, das im Hof stand. »Wie soll ich weiter vorgehen, Euer Ehren?«, fragte er. »Ich verprügle jeden. Der Vorfall ist so schlecht für das Hotel. Ich bin ruiniert, wenn Cook oder Baedeker davon hören.«

Da mich die Schreie der unglückseligen Diener beschämt hatten, sagte ich ihm, ich würde lieber das Geld verloren geben als mit anzusehen, wie harmlose Leute wegen meiner Schlampigkeit leiden mussten. Rashîd erhob Einspruch, zwölf Pfund seien keine Kleinigkeit, auch wenn ich in meiner jugendlichen Torheit diese Meinung verträte. Er, mein Diener, müsse über meinen Besitz wachen.

»Das Gold ist verloren. Es ist Allahs Wille. Lass es gut sein«, antwortete ich gereizt.

»Ihr werdet es nicht dem englischen Konsul erzählen?«, rief der Gastwirt mit plötzlichem Eifer. »Ihr werdet kein Wort an Cook oder Baedeker richten, um meinem Hotel einen schlechten Ruf zu bescheren und es zu ruinieren? Möge unser Herrgott Euren Reichtum vergrößern und Euch immer beschützen! Mögen Eure Nachkommen noch mehr Ehre erlangen, bis sie die Welt beherrschen!«

»Aber man muss etwas unternehmen«, protestierte Rashîd. »Ein Verbrechen wurde begangen. Wir müssen den Täter finden.«

»Richtig«, sagte der Gastwirt, »und ich werde helfen so gut ich kann. Der Konsul wäre keine Hilfe. Er würde nur die Polizei aufschrecken, die dann ein oder zwei Männer foltern oder sogar hängen würde, aber nicht den Mann, der Euren Geldgürtel gestohlen hat. Unsere Polizisten sind klug, wenn man sie nicht aufscheucht. Geht zu ihnen und gebt ihnen etwas Geld. Sie finden den Dieb.«

»Ich gehe sofort«, sagte Rashîd.

Ich bat ihn, zu warten. Da ich wusste, wie gern er mich und meinen Besitz übertrieben darstellte, hielt ich es für besser, bei dem Gespräch anwesend zu sein, damit er die Polizisten nicht ebenso aufschreckte, wie es das Einschreiten des Konsuls getan hätte.

Wir gingen zusammen durch die schattigen Märkte, kreuzten hier und da eine Stelle im blendenden Sonnenlicht, fragten gelegentlich nach dem Weg, bis wir schließlich zu einem weißgetünchten Raum kamen, in dem Soldaten herumlungerten und ein Beamter im Gehrock und mit Fez auf dem Kopf hinter einem Schreibtisch saß. Letztgenannter zeigte großes Mitgefühl.

»Zwölf Pfund!«, rief er. »Das ist eine beträchtliche Summe. Zunächst muss man den Tatort besichtigen. Wartet, ich schicke Euch jemanden, der sich auskennt.«

Er rief einen der Soldaten, der vortrat und salutierte, und übertrug ihm die Angelegenheit.

»Ihr könnt ihm vertrauen. Er versteht sein Handwerk«, versicherte er mir und verbeugte sich überaus höflich, als wir uns verabschiedeten.

Mit dem uns zugeteilten Soldaten schlenderten wir zurück zum Hotel. Der Mann hatte reichlich Mitleid mit mir. Er meinte, es sei der schlimmste Fall, von dem er je gehört habe – einem so ausgesprochen guten und liebenswürdigen Menschen eine so große Summe zu stehlen. Ach! Die Schlechtigkeit mancher Leute. Sie verdunkle die Sonne!

Im Hotel blieb er lange Zeit in meinem Zimmer, um, so sagte er, nach »Spuren« zu suchen. Rashîd, der Wirt, seine ganze Familie und fast alle Diener drängten sich an der Tür. Nachdem er in jeden Schrank gesehen hatte und unter das Bett gekrochen war, das er komplett durcheinandergebracht hatte, überlegte er eine Weile, ob der Dieb durch das Fenster oder die Tür gekommen sei. Als er sich schließlich für die Tür entschieden hatte, wandte er sich an mich und fragte, ob ich jemanden verdächtigte. Ich sagte »Nein« und sah, wie er Rashîd einen Seitenblick zuwarf, als schätze er ihn glücklich, einen derart begriffsstutzigen Herrn zu haben. Auf meinen Befehl hin gab Rashîd ihm eine Silbermünze zum Abschied, worauf er meine Hand küsste und sagte: »Ich kenne einen klugen Mann, den besten für solch einen Fall. Ich schicke ihn Euch in einer Stunde.«

Drei Stunden verstrichen. Ich hatte gegessen und trank Kaffee in der Lounge, da stellte man mir einen eleganten Mann in prachtvollen Roben vor. Er schielte ständig an seiner Nase entlang auf seinen Schnurrbart, den er mit einem sanften Lächeln streichelte.

»Eure Exzellenz wurden bestohlen«, murmelte er heimlichtuerisch, »und Ihr wollt wissen, wer dahintersteckt? Nichts einfacher als das. Ich habe viele Diebe entlarvt. Gut möglich, dass ich den Mann kenne. Ich verkleide mich als alte Frau oder bettelnder Derwisch. Es gibt viele Möglichkeiten. Doch zunächst muss ich Euer Ehren um ein englisches Pfund ersuchen. Das ist meine Gebühr. Es ist wenig für solche Dienste.«

Ich erwiderte matt, die Sache langweile mich inzwischen; ich wollte von dem Geld oder dem Dieb nichts mehr hören. Er blieb lange, schmeichelte und protestierte, pries seine Geschicklichkeit in glühenden Worten an, zog aber letztlich mit verzweifeltem Achselzucken und Blicken über die Schulter von dannen, in der Hoffnung, dass ich mich doch noch erweichen ließ.

Rashîd, der fortgegangen war, um die Pferde zu versorgen, kehrte bald zurück und fragte, ob ich den großen Detektiv getroffen hätte. Als ich unser Gespräch schilderte, kamen ihm fast die Tränen.

»Die Leute hier halten mich für den Dieb«, erklärte er mir. »Sie sagen nichts, aber ich spüre es in ihrer Haltung mir gegenüber. Und nun gebt Ihr die Suche nach dem Täter auf! Muss ich ewig diese Schande tragen?«

Hier ergab sich eine neue Zwickmühle! Ich konnte keinen Ausweg erkennen, denn selbst wenn wir den großen Detektiv eingestellt hätten, erschienen unsere Chancen, den Verbrecher zu finden, verschwindend gering. Ich überlegte gerade, was man tun könnte, um Rashîd von dem Verdacht zu befreien, da betrat eine vertraute Gestalt den Hof und schlenderte zu uns herüber. Es war Suleymân! Ich hatte geglaubt, er wäre dreihundert Meilen entfernt in Gaza, im Süden Palästinas. Wir begrüßten ihn lautstark, doch durch seine Gelassenheit wies er uns zurecht. Ich habe ihn nie aufgeregt oder überrascht gesehen.

Er lauschte aufmerksam unserer Geschichte und schüttelte den Kopf über die Polizei und den Detektiv.

»Die taugen nichts«, spottete er. »Wir wenden uns lieber an den Anführer der Diebe. Ich kenne ihn sehr gut.«

»Ma sh’Allah! Gibt es eine Zunft der Diebe?«

»Die gibt es.«

»Der Sheykh der Diebe muss der größte Gauner sein. Mit ihm möchte ich nichts zu tun haben.«

»Ihr irrt Euch«, bemerkte Suleymân würdevoll. »Euer Irrtum beruht auf der Überzeugung, dass ein Dieb böse ist. Er mag als Einzelperson böse sein. Alle Menschen, die nach Gewinn streben, können es sein, doch als Mitglied einer Zunft besitzt er Stolz und Ehre. Bei den Europäern ist es genau das Gegenteil. Einzeln sind sie ehrenhafter als ihre Regierungen und Zünfte. Ich versichere Euch, der Sheykh der Diebe ist die Seele der Ehre. Ich gehe sofort zu ihm. Er kann Rashîd von dem Verdacht befreien.«

»Gelingt ihm das, ist er der Beste!«, rief mein Diener.

Eine Stunde später erschien einer der Hotelangestellten und teilte mir sehr aufgeregt mit, dass einige Soldaten sich näherten, die den Dieb gefangen hätten. Der Wirt und seine ganze Familie liefen ins Foyer. Rashîd und alle Diener kamen aus Richtung Küche. Vier Soldaten traten mit triumphierenden Ausrufen ein, sie zerrten und stießen jemanden vor sich her – Suleymân!

Der Gefangene blieb wie immer seelenruhig.

»Ich habe den Gürtel zurückbekommen«, rief er. »Diese Männer lauerten in der Nähe des Hauses und entdeckten ihn bei mir. Mit ihnen kann man nicht vernünftig reden. Der Mann, der den Gürtel stahl – ein Grieche –, hat die Stadt verlassen. Er gab dem Sheykh den Gürtel, behielt jedoch das Geld.«

Die Soldaten ließen ihn enttäuscht frei.

»Woher wisst Ihr das alles?«, fragte ihr Anführer.

»Der Anführer der Diebe hat es mir erzählt.«

»Ah, dann ist es wahr«, sagte der Soldat nickend. »Er ist ein Ehrenmann. Er würde Euch nicht betrügen.«

Ich behaupte nicht, diese Vorgänge zu verstehen, aber ich berichte von ihnen.

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25 мая 2021
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