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Eine Garnison in den Bergen

Der lange Tagesritt verlief ereignislos, aber nicht die Nacht. Ich nächtigte in einem Bergdorf in einer sehr seltsamen Herberge, die von einem dicken einheimischen Christen namens Elias geführt wurde, der, wie es ein Schild behauptete, Mahlzeiten und Unterkunft alafranga bot – das heißt, nach moderner, europäischer Manier. Es gab einen großen Gastraum und nebenan ein ebenso geräumiges Schlafzimmer für rund dreißig Reisende. Einen Stall für mein Pferd musste ich anderswo suchen. Wir saßen auf Stühlen um einen Esstisch, doch die Zutaten der Mahlzeit waren keineswegs europäisch und die Zubereitung minderwertig griechisch. Vor allen Gästen lagen Messer, Gabel und Löffel, aber einige warfen das Besteck auf den Boden und aßen mit den Fingern. Im langen Schlafzimmer standen ein Dutzend Betten mit Matratzen. Indem ich einen kleinen Aufpreis bezahlte, sicherte ich mir eines für mich allein. In anderen lagen zwei, drei, sogar vier zusammen. Ein älterer armenischer Herr, der von seiner Frau begleitet wurde, bewachte sie die ganze Nacht mit Pistolen. Er war so töricht, jeden, der es wagte, in ihre Nähe zu kommen, lautstark zu bedrohen. Nachdem er dies mehrmals getan hatte, erhob sich ein Mann von meinem Nachbarbett, schlenderte zu ihm hinüber und packte ihn am Hals.

»O Mann«, schimpfte er, »bist du etwa von Sinnen, unsere Leidenschaft anzustacheln, indem du von Frauen sprichst? Schweig oder wir ehrlichen Männer hier drehen dir den Hals um und nehmen dir deine Frau weg. Verstehst du?« Er schüttelte den eifersüchtigen Gatten wie ein Terrier eine Ratte. »Schweig, hörst du? Männer wollen schlafen.«

»Habe ich nicht gut gesprochen, o Bruder?«, sagte der Ordnungshüter zu mir, als er sich wieder hinlegte.

»Bei Allah, gut«, erwiderte ich. Der Eifersüchtige blieb still. Doch es gab andere Geräusche. Einige Männer hielten sich immer noch im Gastraum auf und spielten Karten. Der Wirt, der für alles Europäische schwärmte, besaß eine Musikdose, welche die Kartenspieler die ganze Nacht klimpern ließen – Grammophone gab es glücklicherweise noch nicht. Ich hatte leichtes Fieber. Es gab Insekten. An Schlaf war nicht zu denken. Ich stand auf, als es noch finster war, ging ohne zu zahlen hinaus, da der Wirt sich nirgendwo blicken ließ, und suchte, Angriffe wilder Straßenköter riskierend, das Gewölbe, in dem mein Pferd stand. Zehn Minuten später hatte ich das Dorf verlassen und ritt an einem Berghang entlang, der im Licht der Sterne kaum zu sehen war. Der Pfad führte in eine tiefe Schlucht hinab und dann wieder endlos hinauf. Als ich den Bergkamm erreicht hatte, spürte ich die Morgendämmerung. Die Bergspitzen färbten sich weiß wie Wellenkämme, während all die Klüfte und Mulden von Nacht erfüllt blieben. Hinter mir, im Osten, sah man einen langen weißen Streifen, der die Umrisse der Berge kahl und scharf hervortreten ließ. Die Sterne wirkten fremd. Eine frische Brise fächelte meine Wange und raschelte im Gras und in den Sträuchern. Vor mir, auf einer einsamen Klippe, kam mein Ziel in Sicht: ein großes Dorf, viereckig gebaut wie eine Festung. Seine Gebäude färbten sich bald zart wie eine Wildrose und wurden dann flammend rot – ein herrlicher Anblick vor dem dunkelblauen Himmel, der immer noch von Sternen übersät war. Ein grelles Licht auf einer Fensterscheibe. Die Sonne war aufgegangen.

Einige Engländer, denen ich von meiner Absicht erzählte, einen Mann aus der türkischen Armee freizukaufen, hielten es für Irrsinn. Ich würde die Menschen in diesem Land nicht so kennen wie sie. Man werde mich ausplündern, ins Elend stürzen, vielleicht ermorden. Sie, die seit zwanzig, dreißig Jahren im Land lebten, wüssten besser Bescheid als ich. Um des lieben Friedens willen stimmte ich ihnen zum Schein zu und trieb meinen Plan heimlich voran. Als ich aufbrach, ohne irgendjemandem davon zu erzählen, fühlte ich mich fast, als würde ich die Schule schwänzen, und mit derselben Abenteuerlust näherte ich mich nun Karameyn. Zwei Soldaten, die sich auf einem Erdhaufen sonnten, sprangen auf, als ich vor ihnen stand. Einer der beiden war der Mann, den ich suchte, der Schurke Rashîd. Sie führten mich zum Haus ihres Hauptmanns – ein bescheidenes Gebäude mit einem einzigen, spärlich möblierten Zimmer. Zahlreiche Soldaten folgten uns.

Der Hauptmann – Hasan Agha –, ein alter Mann mit vernarbtem Gesicht und einem dicken, weißen Schnurrbart, trug eine komplette Uniform und zog, als ich eintrat, weiße Baumwollhandschuhe an. Er war einer der alten Alaïli, türkische Offiziere, die ihren Beruf während des Dienstes in einem Regiment oder Alaïl gelernt hatten statt in einer Militärschule, und seinen Männern gegenüber benahm er sich keineswegs wie ein Zuchtmeister. Er nannte sie liebevoll »meine Kinder«, und sie verhielten sich zwar respektvoll, aber unterhielten sich freimütig in seiner Gegenwart. Hasan Agha machte mir zahlreiche Komplimente und erkundigte sich immer wieder nach meinem Befinden. Von meinen geschäftlichen Anliegen wollte er nichts wissen, ehe ich nicht gefrühstückt hatte. Man habe ein Mittagessen für mich vorbereitet, sagte er, doch das sei erst in ein paar Stunden fertig. Ob ich so freundlich wäre, mit einem Ersatz vorliebzunehmen? Noch während er sprach, trat ein Soldat mit einem Tablett ein, darauf arabisches Fladenbrot, eine Schüssel saure Milch und Trauben. Ein anderer Soldat begann Kaffee zu mahlen, während ein dritter auf die Holzkohle in einer Kohlenpfanne blies. Ich weigerte mich, zu essen, wenn mein Gastgeber mir nicht Gesellschaft leistete, was er nach langem, höflichen Widerstand auch tat. Nach der Mahlzeit unterhielten wir uns, und die Soldaten beteiligten sich an unserem Gespräch. Sie erzählten mir von vergangenen Kriegen und mutigen Taten. Hasan Agha war anscheinend ein berühmter Kämpfer, und seine Männer bemühten sich sehr, ihn zu überreden, von seinen Schlachten zu erzählen. Sie holten einen alten Mann aus der Stadt, der im Krimkrieg gekämpft hatte und Englisch sprach. Bevor es zu heiß wurde, zeigten sie mir die Baracken und ein klappriges altes Feldgeschütz, das sie zu vergöttern schienen. Dann folgte das Mittagessen mit seiner langen Reihe arabischer Gerichte, von denen schließlich auch die Soldaten etwas abbekamen. Rashîd versicherte mir später, alle Speisen für diesen Anlass seien »geliehen«. Dies geschah in den glorreichen Tagen Abdul Hamids. Nach dem Essen gab es Kaffee und weitere Komplimente, und dann kamen wir endlich zum Geschäft.

Ein Amtsschreiber wurde hereingeführt. Er schrieb einen Beleg für mich und das von Rashîd benötigte Entlassungspapier. Hasan Agha stempelte beide Dokumente mit einem staatlichen Siegel und überreichte sie mir im Austausch für das Geld.

»Bismillah!«, rief er. »Ich bezeuge hiermit, dass Rashîd, der Sohn Alis, genannt der Schöne, von nun an frei ist und gehen kann, wohin er will.«

Zu mir sagte er: »Rashîd ist ein guter Junge und wird Euch nützlich sein. Sein größter Fehler ist, dass er beim Befolgen von Befehlen gerne nachdenkt und eine eigene Methode ersinnt, die nicht immer gut ist. Auch verfällt er leicht den Reizen der Frauen, ein Makel, der ihn schon oft in seltsame Situationen gebracht hat.«

Die letzte Bemerkung wurde mit lautem Gelächter quittiert und bezog sich offenbar auf einen mir unbekannten altbewährten Scherz. Rashîd wirkte ziemlich verlegen. Hasan Agha wandte sich an ihn und sprach: »Mein Sohn, preise Allah für dein großes Glück, dass ein so edler und gütiger Mensch wie unser geliebter Gast, der von nun an dein Herr ist, Gefallen an dir gefunden hat. Denk daran, dass er anders ist als ich … der einst wie du war und die Tricks kennt. Diene ihm freimütig mit deinem Verstand und deiner Seele und deinem Gewissen, warte nicht auf Befehle wie in der Armee. Möge Gott dich jetzt und immerdar begleiten! Vergiss nicht all die guten Lehren deiner Soldatenzeit. Sei gewiss, dass wir für deinen guten Herrn und für dich beten.«

Der Alte bekam feuchte Augen, ebenso Rashîd und alle ringsum hockenden Soldaten.

Der entlassene Rashîd ging fort, um seine Uniform gegen einen alten Anzug von mir zu tauschen, den ich ihm mitgebracht hatte, während Hasan Agha, der wie ein Vater über ihn sprach, mir seine Charakterzüge und seine kleinen Fehler erläuterte.

Schließlich verabschiedete ich mich. Rashîd wartete in meinen abgetragenen Kleidern, auf dem Kopf ein neuer Fez, wie ihn Zivilisten tragen. Er hielt meinen Steigbügel und sprang dann auf ein klappriges Vieh, das, so erklärte er mir, seine Freunde für ihn »geliehen« hatten. Später meinte er, es könne von Vorteil sein, es für ihn zu kaufen – für nur acht türkische Pfund, ein Spottpreis. Die ganze Garnison begleitete uns zu den letzten Häusern, wo sie lange stehenblieben und uns zum Abschied nachwinkten. Zwei Stunden später, auf dem Bergkamm hinter dem Wadi, drehten wir uns um und warfen einen letzten Blick auf Karameyn. Es stand in den Flammen des Sonnenuntergangs wie ein Schloss in den Wolken.

Dann kehrten wir zurück zur Herberge alafranga. Doch Rashîd, der die Geschichte meiner schlaflosen Nacht gehört hatte, ließ nicht zu, dass ich dort einkehrte. Ich beglich meine Schulden bei dem Besitzer, und dann fand Rashîd für mich ein leeres Haus, in das er eine Matratze und eine Decke brachte, jede Menge Kissen, eine Kohlenpfanne, das nötige Zubehör, um Kaffee zu kochen, dazu ein Tablett mit Abendessen – alles geborgt von den umliegenden Häusern. Vielleicht würde er mich ausplündern, ins Elend stürzen und schließlich ermorden, wie meine Freunde mich gewarnt hatten. Doch würde ich es dabei zumindest bequem haben.

Die Nashornpeitsche

»Wo ist die Peitsche?«, rief Rashîd plötzlich im Tor des Khan, den wir gerade erreicht hatten, und drehte sich zu mir um.

»Barmherziger Allah! Ich hab sie nicht bei mir. Ich muss sie in der Kutsche liegengelassen haben.«

Rashîd ließ die Satteltaschen fallen, die er getragen hatte, unser übliches Gepäck, und rannte um sein Leben. Die Kutsche war die schmale, zum Teil mit Sonnensegeln überdachte Straße zur Hälfte hinuntergefahren. Bei Rashîds wildem Schrei, »Warte, o mein Onkel! Wir haben unsere Peitsche vergessen!«, warf der Kutscher einen Blick zurück, doch anstatt anzuhalten, trieb er seine Pferde zum Galopp an. Rashîd lief noch schneller. Die Kutsche verschwand rasch und war bald nicht mehr zu sehen. Die Dämmerung brach an. Über den niedrigen, flachen Dächern im Westen hing der Sichelmond im Grün des Sonnenuntergangs hinter den Minaretten der großen Moschee. Da hob ich die Satteltaschen auf und bahnte mir vorsichtig meinen Weg zwischen schlafenden Kamelen und angebundenen Mauleseln und Pferden zum Hof des Khan, der eine Art Kloster war. Ich verhandelte mit dem Gastwirt, als Rashîd, der ein Bild der Verzweiflung bot, zurückkehrte. Er streckte seine Hände in die Luft, gestand sein Versagen ein und sank dann stöhnend zu Boden. Der Wirt, ein stämmiger Mann, fragte, was ihm Kummer bereite. Ich sagte es ihm, und er äußerte gerechte Urteile über Kutscher und die Vergänglichkeit weltlicher Güter. Wie ich sehen könne, sei Rashîd zi’lân – ein Opfer jener sonderbaren Mischung aus wahnsinniger Wut, Kummer und Verzweiflung, welche unter den Kindern der Araber eine regelrechte Krankheit darstellt. Ein englischer Diener hätte sich nicht so sehr um einen kleinen Gegenstand aus dem Besitz seines Herrn geschert, der nicht seinetwegen, sondern aufgrund der Nachlässigkeit seines Herrn verloren gegangen ist. Doch mein Besitz war Rashîds ganzes Glück, seine Ehre fußte darauf. Er prahlte damit vor jedermann. Besonders verehrte er mein Gewehr, meinen Dienstrevolver und diese Peitsche – ein harter Riemen aus Nashornleder mit einem ziemlich hübschen Silbergriff –, die mir ein betagter Araber als Dank für irgendeine eingebildete Gunst geschenkt hatte. Sie hatte sich als nützlich erwiesen, um Straßenköter zu vertreiben, wenn sie in Rudeln herbeiliefen, um dem Pferd in die Beine zu beißen, doch bevor Rashîd zu mir stieß, hatte ich sie nie als Ehrenabzeichen betrachtet. Für ihn war sie das Wertvollste unserer Besitztümer, ein Kennzeichen unseres höheren Rangs. Er drückte sie mir sogar in die Hand, wenn ich spazierenging, und als wir am selben Tag zu Mittag von unserem Haus in den Bergen aufgebrochen waren, hatte er sie ehrerbietig auf den Sitz neben mir gelegt, bevor er neben dem Kutscher auf den Bock geklettert war. Und nun war die Peitsche wegen meiner Nachlässigkeit verloren. Rashîds Niedergeschlagenheit beschämte mich fürchterlich.

»Allah! Allah!«, stöhnte er. »Was kann ich tun? Wir haben den Kutscher nur zufällig getroffen. Ich kenne sein Haus nicht, das Gott zerstören soll!«

Der Wirt bemerkte beschwichtigend, Fleisch sei Gras, alle Schätze vergänglich, und es sei die Pflicht eines Mannes, seine Wünsche auf höhere Dinge zu richten. Bei diesen Worten sprang Rashîd auf, als hätte er die Geduld verloren, und rannte fort, flitzte mit fast übernatürlicher Behendigkeit zwischen den Tieren im Hof hindurch. »Lasst ihn seine Wut allein abkühlen!«, riet mir der Wirt mit einem Schulterzucken.

Nachdem ich das Essen für die dritte Stunde des Abends bestellt hatte, ging ich ebenfalls hinaus, um meine Glieder zu strecken, die nach vier Stunden Rüttelei einer ungefederten Kutsche, die immer kurz vor dem Umkippen stand, steif und geschunden waren. Es wäre uns besser ergangen, wären wir wie üblich geritten, doch als Rashîd zufällig auf die Kutsche gestoßen war, eine Seltenheit, hatte er beschlossen, diese Art des Reisens sei vornehmer. Allerdings hatte er nicht bedacht, dass es keine Straße gab.

Der Himmel war voller Sterne. In den wenigen noch geöffneten Läden hingen Laternen, warfen Streifen gelben Lichts auf den unebenen Fußweg und ließen die Augen der Wanderer und streunenden Hunde schimmern. Viele Leute auf der Straße trugen ebenfalls Laternen, deren Schaukeln Dinge in ihrem Umkreis scheinbar hochspringen und fallen ließen. Schließlich erreichte ich einen offenen Platz, wo dichtes Gedränge herrschte – einen rechteckigen Platz, den man als Stadtzentrum bezeichnen könnte.

Verblüfft stellte ich fest, dass die Menschen stehenblieben und alle Gesichter in eine Richtung schauten. Ich hörte die Stimme eines Mannes laut klagen und wild rufen.

»Was ist los?«, fragte ich am Rand der Versammlung.

»Ein großes Unglück!«, antwortete jemand. »Ein armer Diener hat eine Peitsche im Wert von fünfzig türkischen Pfund verloren, das Eigentum seines Herrn. Ein Schurke hat sie ihm gestohlen – ein böser Kutscher. Sein Herr wird ihn töten, wenn er sie nicht wiederfindet.«

Von Neugier gepackt, drängte ich mich nach vorne. Da stand Rashîd an der Mauer einer großen Moschee und warf sich mit einem entsetzlichen Schrei dagegen. Eine Gruppe Soldaten mit hohen Fezen, die Polizei der Stadt, umringten ihn voll Mitgefühl und stellten Fragen. Zum Glück trug ich einen Fez, war also unauffällig.

»Fünfzig türkische Pfund!«, schrie er. »Für hundert könnte man nichts Gleichwertiges kaufen! Mein Herr, ein bedeutender Graf unter allen Engländern … ihr oberster Fürst, bei Allah! … liebt sie wie seine Seele. Er reißt mir Herz und Leber heraus und wird beides verschlingen. O großer Beschützer! O Allmächtiger!«

»Wie hat denn dieser Kutscher ausgesehen?«, fragte ein Wachtmeister.

Rashîd beschrieb schluchzend und mit manch frommer Zwischenbemerkung den Kutscher ziemlich klar als »einäugigen Mann mit Vollbart, die untere Körperhälfte aufgebläht. Sein Name, sagte er, sei Habib; aber weiß Allah!«

»Der Mann ist bekannt«, rief der Wachtmeister eifrig. »Sein Haus ist ganz in der Nähe. Komm, o du armer Misshandelter. Wir holen uns die Peitsche zurück.«

Bei diesen Worten verschwand Rashîds Kummer wie von Zauberhand. Er ergriff die Hand des Wachtmeisters und streichelte sie, als sie zusammen weggingen. Ich folgte der Menge bis vor die Tür des Kutschers, ein schmutziger Eingang in einer schmalen Gasse, wo ich mich abwandte und zurück zum Khan eilte, um nicht entdeckt zu werden.

Dort saß ich einige Minuten in meiner privaten Nische, als Rashîd triumphierend hereinkam und die berühmte Peitsche hochhielt. Der Wachtmeister begleitete ihn über den Hof. Zahllose Soldaten warteten am Tor, wie ich im Licht der großen Laterne erkennen konnte, die vom Bogen herabhing.

»Allah sei gepriesen, ich hab sie gefunden!«, rief Rashîd.

»Allah sei gepriesen, wir konnten Euer Ehren einen kleinen Gefallen tun«, rief der Wachtmeister. Dabei ergriff er meine Hand und küsste sie. Ich ließ beide Platz nehmen und bestellte Kaffee. Die beiden erzählten abwechselnd die Geschichte. Der Wachtmeister lobte Rashîds kluge Idee, hinauszugehen und auf einem öffentlichen Platz zu jammern, bis die Stadt und ihre gesamte Polizeimacht an seinem Kummer Anteil nahmen. Rashîd meinte hingegen, alles wäre vergeblich gewesen, hätte der Wachtmeister nicht das Haus des Kutschers gekannt. Der Wachtmeister räumte lachend ein, die Kenntnis hätte nichts genutzt, hätte Rashîd nicht erneut seinen scharfen Verstand bewiesen. Sie seien in das Haus eingedrungen – ein einziges Zimmer, beleuchtet nur von einer Öllampe auf dem Boden – und hätten es gründlich durchsucht, während der Kutscher ständig protestierte, seine Unschuld beteuerte und schwor, er habe noch nie im Leben eine Peitsche wie die beschriebene gesehen. Die Soldaten, die keine Peitsche finden konnten, neigten allmählich dazu, ihm zu glauben, als Rashîd, der alles aufmerksam beobachtete, bemerkte, dass die verschleierte Frau des Kutschers stocksteif dastand, und sie kräftig anrempelte, so dass sie quer durch das Zimmer stolperte. Da entdeckte man die Peitsche. Sie war unter ihren Unterröcken versteckt. Der Dieb bekam an Ort und Stelle eine ordentliche Tracht Prügel. Ob dies meiner Ansicht nach Strafe genug sei?, fragte der Wachtmeister.

Wir entschieden, dass die Prügel ausreichten. Ich gab dem Wachtmeister ein kleines Geschenk, als er fortging. Rashîd begleitete ihn, nachdem er die nunmehr weitbekannte Peitsche versteckt hatte. Vermutlich besuchten sie irgendeine Taverne, um das wunderbare Abenteuer ausführlich zu besprechen, denn ich speiste allein und hatte mich schon eine Weile auf meiner Matratze ausgestreckt, ehe Rashîd eintrat und seine Decke neben mir ausbreitete.

»Seid Ihr wach, o mein lieber Herr?«, flüsterte er. »Bei Allah, es war falsch, dem Wachtmeister Geld zu geben. Ich habe Euren Namen so berühmt gemacht, dass es für einen armen, dünnen Hund wie ihn schon genug gewesen wäre, Euch nur anzuschauen.«

Dann schwieg er so lange, dass ich glaubte, er sei eingeschlafen. Doch plötzlich flüsterte er noch etwas: »O mein lieber Herr, vergebt mir die Störung, aber habt Ihr Euren Revolver sicher verwahrt?«

»Bei Allah, ja! Hier, in Reichweite.«

»Gut. Aber in Zukunft wäre es besser, wenn ich Eure Peitsche und Euren Revolver trage. Ich habe Euren Namen so berühmt gemacht, dass Ihr nichts tragen solltet.«

Der höfliche Richter

An jenem Tag, als wir für ein halbes Dutzend türkischer Offiziere eine Dinnerparty gaben, brachte Rashîd mir morgens um sieben Uhr dreißig meine Tasse Tee mit der Nachricht, man habe unseren Koch verhaftet. Besagter Koch war ein anständiger Moslem, aber hitzköpfig und in seinem Privatleben etwas unbeherrscht. Um sechs Uhr früh, als er sich auf unserer Türschwelle sonnte, fiel sein Blick auf ein paar junge Christen auf dem Weg zum College, in europäischer Kleidung, mit neuen Kalbslederhandschuhen und Spazierstöcken mit Silberknauf. Da ihn dieser schreckliche Anblick empörte und seinen Zorn weckte, griff er die Jungen wutentbrannt mit einer hölzernen Schöpfkelle an, schlug sie in die Flucht und jagte sie die ganze Akazienallee hinunter, durch zwei Vorstädte ins Herz der Stadt, wo ihre jämmerlichen Hilferufe ihm die Polizei auf den Hals hetzten. Rashîd, der hinterherlief und vergeblich versuchte, den Heiligen Krieger zu beruhigen, sah, wie man ihn verhaftete, während er immer noch die Kelle schwang, konnte mir aber nichts über sein weiteres Schicksal sagen, denn er hatte es an diesem Punkt als klug erachtet, sich zurückzuziehen, damit er nicht auch noch aus Versehen im Gefängnis landete.

Ein trauriger Fall. Gleich nach dem Aufstehen und der Morgentoilette schrieb ich an Hamid Bey, den Vorgesetzten unserer geladenen Gäste, informierte ihn über das Missgeschick, das uns daran hinderte, ihm und seinen Kameraden ein Dinner auszurichten, das ihnen würdig sei. Bis ich fertig angezogen war, hatte Rashîd einen Boten gefunden, dem man die Nachricht mit der Anweisung überreichte, sich zu beeilen. Er musste die ganze Strecke hin und zurück gerannt sein, denn nach wenig mehr als einer halben Stunde stand er vor mir, außer Atem, mit schweißnasser Stirn, die nackten Beine dreckig bis zu den Knien. Rashîd tätigte gerade einige Einkäufe. Der Laufbursche gab mir eine Nachricht. Sie lautete:

»Warum sich über Kleinigkeiten den Kopf zerbrechen? Natürlich freuen wir uns über alles, was Ihr uns anbietet. Wir kommen aus Freundschaft, nicht wegen des Essens.«

Es gab ein Postskriptum:

»Möchtet Ihr nicht den Richter aufsuchen?«

Suleymân saß im Zimmer. Er war ein alter Bekannter, ein Mann von hoher Geburt, aber arm, ein professioneller Dragoman, der sich den Ruf erworben hatte, besonders weise zu sein. Hatte er sonst nichts zu tun, kam er unweigerlich zu mir, wo immer ich gerade wohnte oder lagerte. Er saß im Schneidersitz in einer Ecke, rauchte seine Narghîleh, umspielt von dünnen Lichtstrahlen, die durch die Jalousien fielen und in denen Staubkörnchen funkelten. Er nahm das Postskriptum beim Wort und rief: »Ein guter Rat. Warum also nicht? Lasst uns mit dem Richter reden.«

Sprach’s, rollte den Schlauch seiner Narghîleh sorgfältig um das Gefäß, stand ebenso behutsam auf, warf einen weißen Staubmantel über seine Schultern, sah mich an und fragte: »Seid Ihr bereit?«

»Aber ich kenne den Richter nicht.«

»Ich ebenso wenig. Doch dies, mein Lieber, ist ein Makel, der sich leicht beheben lässt.«

Wir fanden das Haus des Richters mühelos. Ein Diener teilte uns mit, der Ehrenwerte sei schon auf dem Weg zum Gericht. Wir nahmen eine Kutsche und verfolgten den Ehrenwerten. Beim Gericht fragten wir die zahlreichen Zeugen, die sich vor dem Eingang drängten; falsche Zeugen, die man kaufen konnte. Man sagte uns, der Richter habe seinen Platz noch nicht eingenommen. Wir würden den Ehrenwerten gewiss im Kaffeehaus auf der anderen Straßenseite antreffen. Einer der falschen Zeugen führte uns hin und zeigte uns den richtigen Mann. Zusammen mit seinem Sekretär und einigen Advokaten, von denen einer laut die Morgenzeitung vorlas, saß der Richter unter einer Weinlaube im angenehmen Schatten. Er lächelte. Seine Hände lagen auf seinem schönen, runden Bauch.

Suleymân trat mit wehendem Staubmantel gelassen an ihn heran und stellte mich als »eine der wichtigsten Persönlichkeiten unter den Franken« vor. Die Gesellschaft erhob sich, begrüßte uns, und man rückte Stühle zurecht, damit wir es bequem hatten.

»Seine Hoheit bittet Euch um Gerechtigkeit, o überaus rechtschaffener Richter. Ihm wurde übel mitgespielt«, bemerkte Suleymân ruhig.

Der Richter wirkte sehr betroffen. »Worum geht es?«, fragte er.

»Man hat uns den Koch weggenommen«, lautete die Antwort. »Und wir haben Freunde zum Dinner eingeladen.«

»Ist er ein guter Koch?«, fragte der Richter mitfühlend.

»Wenn Eure Exzellenz ihn zu uns zurückschickt und dann an dem Mahl teilnehmen möchte …«

»Wie kann ich Euch dienen?«

Ich gab Suleymân zu verstehen, er solle die Geschichte erzählen, was er so gut machte, dass bald die ganze Gesellschaft von Lachanfällen gebeutelt wurde.

Der Richter ging die Anklageliste durch, bis er den Fall fand, und markierte ihn.

»Wie können wir heute Abend ohne Koch speisen?«, seufzte ich verzweifelt.

»Keine Sorge«, sagte der Richter. »Er ist in einer Stunde bei Ihnen. Kommt, o meine Freunde, wir müssen an die Arbeit! Es wird spät.«

Der Richter verabschiedete sich sehr höflich von mir.

»Also«, sagte Suleymân, als sie fort waren. »Gehen wir zum Gericht und schauen zu, wie Recht gesprochen wird.«

Wir überquerten die Straße zu einem eindrucksvollen Portal. Suleymân flüsterte einem Soldaten, der dort Wache stand, etwas ins Ohr, woraufhin dieser lächelte und uns mit einer huldvollen Geste eintreten ließ.

Der Saal war überfüllt. Wir konnten nur mit viel Mühe das Podium erkennen. Dort saß der Richter, und dort stand der bedauernswerte Koch, ein Bild des Jammers. Ein Soldat neben ihm hielt die hölzerne Schöpfkelle hoch. Die christlichen Stutzer, die der Koch angegriffen hatte, durften ausführlich von dem Abenteuer berichten, bis der Ehrenwerte ihnen mit einem finsteren Stirnrunzeln zu schweigen gebot. Da duckten sie sich.

»Achtet auf eure Worte«, ermahnte der Richter. »Ihr habt nicht gezögert, den Zorn dieses Kochs religiösem Fanatismus zuzuschreiben. Die Nazarener sind allzu gern bereit, dies gegen einen Moslem vorzubringen, ohne in Betracht zu ziehen, dass es noch andere Gründe für Ärger geben mag. Ja, viele der vorgebrachten Anschuldigungen haben sich im Laufe der Ermittlung als völlig unbegründet erwiesen. Ihr Nazarener benehmt euch oft unverschämt. In die Gunst der ausländischen Konsule und Missionare vertrauend, verhöhnt, verärgert oder schmäht ihr sogar gelegentlich die Moslems. Also, selbst unter der Annahme, eure Schilderung der Ereignisse wäre korrekt – was ich stark bezweifle, denn auf der einen Seite sehe ich eine leichte Holzkelle, auf der anderen zwei gute Spazierstöcke mit Silberknauf, einer von euch hat seinen Stock vor Angst fallen gelassen, und ihr seid zwei, während dieser arme Koch allein ist. Selbst wenn das, was ihr berichtet habt, wahr wäre, seid ihr sicher, dass nichts an eurer Erscheinung, euren Worten oder eurem Verhalten ihn verärgert haben könnte? Ich neige zu der Annahme, dass ihr ihn verspottet oder vielleicht über seinen Glauben gelästert habt.«

Solche Worte von einem muslimischen Richter in einem Saal voller Moslems ließen die beiden Christen ängstlich zittern. »Er schlug uns grundlos und überaus heftig«, stöhnte einer der Angesprochenen.

»Wir haben ihn nicht einmal gesehen, bis er begann, uns zu schlagen. Bei Allah, mein armer Kopf ist wund, mein Rücken gebrochen von diesen furchtbaren Schlägen. Er war wie ein Irrer!« Der Sprecher und sein Mitkläger weinten laut.

»Hast du diese beiden Jungen geschlagen, so wie er es beschreibt?«, fragte der Richter und wandte sich ebenso streng an den Koch.

»Nein, o Exzellenz!«, lautete die bittere Antwort. »Man hat mir übel mitgespielt und mich verleumdet. Ich habe diese beiden Männer nie zuvor gesehen.« Auch er begann bitterlich zu weinen.

»Beide Parteien lügen mich an!«, rief der Richter erzürnt. »Denn du, o Koch, hast diese Jungen geschlagen. Die Tatsache ist bekannt, denn du wurdest verhaftet, während du auf sie einschlugst. Und ihr, o Nazarener, seid nicht schwer verletzt, denn jeder sieht, dass ihr vollkommen gesund seid und eure Kleidung heil ist. Eure Schande ist größer, denn es ist erwiesen, dass ihr diesen Moslem wegen religiösen Hasses angeklagt habt.«

»Bei Allah, nein, Eure Exzellenz. Wir wollen dem Mann nichts Böses. Wir haben nur gesagt, was geschehen ist.«

»Ihr seid allesamt Schurken«, brüllte der Richter. »Jede Partei soll einen ganzen Mejîdi an das Gericht zahlen. Die Parteien sollen sich jetzt sofort vor mir und für alle Zeiten Frieden und lebenslange Freundschaft schwören, und ich will nichts mehr von ihnen hören!«

Die jungen Christen umarmten den Koch, der Koch umarmte die jungen Christen immer wieder, und alle weinten vor Erleichterung, einer Bestrafung entkommen zu sein. Ich zahlte die Strafgebühr für unseren Mann, der uns nach Hause begleitete. Suleymân hielt unterwegs einen Vortrag von solch hoher Moral, in solch einer himmlischen Sprache, dass der arme, schlichte Bursche wieder zu weinen anfing und Allah um Vergebung bat.

»Es ist deine Pflicht, zu bereuen«, sagte Suleymân beifällig. »Doch auch gegenüber dieser Welt kannst du Wiedergutmachung leisten. Koche heute Abend so gut du nur kannst, denn der Richter ist unser Gast.«

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25 мая 2021
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9783958299429
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