Читать книгу: «Mails von Marge», страница 9

Шрифт:

Boadilla del Camino - León

Einigermaßen gut geschlafen, es war in der Nacht nur ein einzelner Brummbär im Zimmer, frisch geduscht und die Sachen wieder verpackt, machten wir uns auf zum Frühstück. Diesmal ging es nicht in den Privado. An den in U-Form gestellten Tischen des anderen Raumes, waren fast alle Plätze besetzt. Wir setzten uns auf die letzten freien Stühle am Ende des U`s. Na das konnte ich am Morgen besonders gut ab. Genau in meiner Blickrichtung, am gegenüberliegenden U-Ende, saß doch die Streifenbluse. Neben der Frau im grünen Fleece sitzend, legte sie lautstark, damit auch ja alle es hören konnten, los. Das war ja was letzte Nacht. Die alte Frau wäre völlig besoffen auf eine im Bett liegende Pilgerin gefallen und konnte nicht mehr aufstehen. Die Pilgerin unter ihr hätte sich erschreckt und zappelnd fürchterlich geschrien. Natürlich wussten wir, um wen es sich handelte. Bestimmt ist keiner auf die Idee gekommen, ihr einfach aufzuhelfen. Und am Morgen hatten die ersten Pilger schon um 4.00 Uhr im Speicher rumrumort, so früh muss das ja nun nicht sein. Sie fand, um 5.30 Uhr müssten aber alle ausgeschlafen haben und endlich aufstehen, schließlich gingen ja alle frühzeitig ins Bett. In Gedanken binde ich ihr ein orangenes Halstuch um und ziehe ganz fest zu. Stattdessen sage ich laut, dass es sie überhaupt nichts angeht, wann, wie, wo und warum jemand aufsteht. Das gehe sie einen feuchten Kehricht an. Nur leider hörte sie nur sich selber zu. Ich war seeehr wütend. Blöde Kuh.

Was hatten wir bisher für ein Glück mit den Pilgern. Nun war ich froh, dass wir mit dem Auto und Bus weiterfuhren. So werden wir diese Frau wohl weit hinter uns lassen – hoffentlich - . Wolfgang klärte noch mit Eduardo ab, wann wir mit dem Auto gefahren werden. Es sollte um 10.30 Uhr losgehen. Auf der Terrasse zeterte lautstark die Frau in Grün mit ihrer Freundin. Sie denke nicht daran bis Frómista zu laufen, die Strecke hatte sie schon hinter sich. Ihre Freundin sollte wohl das Taxi dorthin bezahlen und weigerte sich. Irgendwann hatten sie sich geeinigt und pilgerten wie die meisten Gäste davon. Ein früher neuer Gast kam, sprach mit Eduardo und setzte sich mit seinem Gepäck vor die Herberge. Er saß dort lange, sogar sehr – sehr lange. Er schaute immer zur Uhr, aber es kümmerte sich niemand um ihn. Lag es vielleicht daran, dass er neben dem Rucksack unter den Armen noch einen Schlafsack und weiteres Gepäck dabei hatte. Auf dem Camino sah man niemanden, der noch zusätzliches Gepäck unter den Armen trug – läuft sich auch ein büsschen schlecht – so bepackt.

Die Albergue leerte sich. Übrig blieben außer uns, eine Schweizerin in kanarienvogel Gelb und eine junge Französin mit blonden Zöpfen. Also eine Wagenladung. Die Französin setzte sich zu mir auf die weinumrankte Steinbank. Sie stand wieder auf, um Dehnübungen zu vollführen. Stretchte ihren Oberkörper ganz weit vor, bis die Hände den Boden berührten – kann ich auch. Sie setzte ein Bein seitwärts raus, senkte den Körper ab, bis ihr Po in einer Linie mit dem einen Bein den Boden berührte – kann ich nicht - so tief. Dachte nur: Yeah – Baby, zeig mir alles. Sollte ich ihr vielleicht ein büsschen Taiji vorführen? Die Schwertform vielleicht? Mir fiel dann ein, dass ich leider mein Schwert nicht mit eingepackt hatte. Tut auch nicht not, ich blieb lieber sitzen. Wieso lief sie eigentlich nicht, wo sie doch so geschmeidig war. Hm – hatte ich auf einmal eine Streifenbluse übergezogen – tz –tz –tz.

Später wanderte ich im Garten umher. Dabei musste mich Heinke entdeckt haben. Sie rief mir, sehen konnte ich sie durch das Fliegengitter vorm Fenster nicht, aus dem Duschraum zu, dass sie gleich fertig sei und kommen würde. Kurze Zeit später kam sie, sich liebevoll bei Eduardo einhakend, langsam durch den Garten gehend zur Terrasse. Freute sich uns noch zu sehen und berichtete von ihrer Nacht im Speicher. Ihr Kreislauf hatte ihr einen Streich gespielt und sie hatte das Gleichgewicht verloren. War auf eine im Bett liegende Pilgerin gefallen und konnte sich nicht alleine aufhelfen. Die unter ihr liegende Pilgerin hatte schrecklich geschrien und ihr war das nur peinlich. Eduardo musste wohl gespürt haben, dass sie Hilfe brauchte. Denn er stand unerwartet vor dem Bett und hat sie dann zu ihrer Schlafstatt getragen. Eduardo flachste mit ihr darüber und deutete an, wie er sie wie eine Feder getragen hatte. Eduardo dürfe das, er ist schließlich ihr Retter. Heinke fragte mich, wie viele denn mit dem Auto fahren und ob ein Plätzchen für sie frei sei. Zu gerne möchte sie etwas anderes sehen, die Albergue einfach mal verlassen. Bedauernd zählte ich die Mitfahrer auf. Es war leider kein Platz für Heinke mehr frei.

Endlich sollte es weiter gehen. Wir verabschiedeten uns herzlich von Heinke, wünschte ihr noch viele Jahre, in denen sie Urlaub bei Eduardo machen kann. Wir stiegen in einen PKW, den sich Eduardo geliehen hatte. Heinke hatte zuvor gemunkelt, dass Eduardo wohl nicht fahren dürfte. Er hatte wohl öfter die Fahrzeit reduziert.

Der Vater von Eduardo sollte den Wagen fahren. Schon ohne die Rucksäcke sah das Heck von dem älteren Fahrzeug tiefergelegt aus. Ab ins Auto und los ging die Fahrt 25,8 km nach Carrión de los Condes. In dem Ort angekommen, brachte uns der Vater zu einer Bar. Ob er sprechen konnte, weiß ich nicht. Ich habe auch auf der Fahrt kein Wörtchen von ihm gehört. In der Bar stolperte ich über Gerhard, den schnarchenden Wiener aus unserem Sechserzimmer. Er war jetzt in Begleitung seiner Frau. Sie sah nicht pilgermäßig aus. Na ja, die Füße schon. Die steckten in Flip-Flops und hatten einige Blasen in blutrot-bunter Färbung und standen im Kontrast zum Lack der Zehennägel. Ihre Anmerkung, dass sie für ihre 65 Jahre einfach Klasse aussehe, stimmte schon. Ihre Haare wirkten frisch gestylt und in ihrem Rucksack befand sich sicher auch ein Schminktäschchen. In der Albergue hatte ich sie nicht gesehen. Vielleicht schlief sie auch nicht mit ihrem Mann in einem Zimmer. Hö-hö, war er ihr in der Nacht zu laut?

Die Bar war zugleich Billete-Ausgabestelle für die Busfahrten. Gut das wir bis zur Abfahrt noch 1 ¼ Stunden Zeit hatten. Der Mann in der Bar benötigte davon schon einige Minuten, Eingabe in den PC, in einen anderen Raum laufen, nochmal Eingabe in den PC, wieder in den anderen Raum und zurück. Dann hielt ich endlich unsere Tickets in der Hand.

Wolfgang hatte eine Anzeigetafel zu einer Krankenstation für Pilger entdeckt und vertrieb sich die Zeit mit einem Arztbesuch. Ich blieb mit unseren Rucksäcken vor Ort und setzte mich mit meinem Café zu einer jungen Frau vor die Bar. Erst entstand ein Blickkontakt des gegenseitigen Abschätzens. Leise begann sie zu sprechen und erklärte, dass sie immer so tut, als wäre sie keine Deutsche und nichts verstehe. Einige Pilger, dabei deutete sie mit einer Kopfbewegung zum Nebentisch, seien ihr unangenehm. Statt eines Outdoor-Führers richtete sie sich nach minimalen Angaben auf DIN A4 Seiten. Übernachtungsmöglichkeiten mit Telefonnummern, Orte mit den Entfernungen und Höhenunterschiede. Kein: Und jetzt kommt eine ganz üble schwere 18 km lange ”Durststrecke” usw. Vor drei Tagen hatte sie sich in einer Herberge den Magen verdorben. Der anhaltende Durchfall hatte sie so geschwächt, dass sie nicht mehr laufen konnte. Mein auch nicht mehr so gut laufender Mann kam vom Arztbesuch zurück. Er hatte eine amtlich bestätigte Sehnenentzündung. Sollte nicht mehr so viel laufen, das Bein nach Möglichkeit ruhig halten. Na, tragen werde ich ihn nicht. Der Arzt hatte ihn untersucht, das Ergebnis unter Google ins Deutsche übersetzen lassen und Wolfgang am Bildschirm gezeigt. Neue Tabletten wurden ihm auch verschrieben. Wenn sein Rucksack am Flughafen untersucht wird, halten die ihn für einen Dealer oder verhaften ihn gleich wegen Drogenmissbrauchs.

Was hier wieder alles eintrudelte. Um die Ecke geschlichen kam der dünne Langschläfer aus Frankfurt mit seiner Frau. Die Beiden setzten sich zu uns. Er hatte wohl wieder nicht ausgeschlafen, grummelte vor sich hin: Blöde Strecke am Kanal entlang, gefiel ihm überhaupt nicht – brumm – brumm – langweilig – brumm - brumm. Weit waren sie in den zwei Etappentagen nicht gekommen. Nun wollten sie bis Sahagún mit dem Bus fahren. Sie übernachteten meistens in Mehrbettzimmern, aber in Sahagún habe er in einem schönen Hotel ein Zimmer reserviert. Die junge Frau an unserem Tisch, hatte sich wieder ”zurückgezogen” und nicht mehr gesprochen. Der Bus kam pünktlich und sehr viele Pilger nutzten diese Gelegenheit der Fortbewegung.

Wir nahmen unsere reservierten Plätze im Bus ein. Getrennt, Wolfgang saß auf der gegenüber liegenden Seite zwei Reihen vor mir. Ich nahm meinen Platz direkt hinter Gerhard und seiner Frau ein. Die Uhr zeigte 12.50 Uhr, pünktlich war der Bus abreisebereit. Da wuschten zwei ganz in (hä?) Weiß gekleidete Pilger am Bus und an der Bar vorbei, auf der Suche nach der Ticketstation. Der Busfahrer wartete. Das Paar kam wieder zurück, flitzte in die Bar. Der Busfahrer wartete immer noch. Mit den Tickets wedelnd, wieso ging das bei denen so schnell? Außer Atem liefen sie zu unserem Bus, der natürlich immer noch auf sie wartete. Hier sind auch die Busfahrer freundlich und geduldig.

Das Pilgerehepaar nahm in der Reihe hinter mir ihre Plätze ein. Nun ging es fast 100 km, 1 Stunde und 50 Minuten mit dem Bus nach León. Bei jedem Wanderer, der auf der Strecke zu sehen war, reckte ich meinen Hals, um ihn mit meinen Augen ein Stück zu begleiten. Der junge Spanier, der am Fenster neben mir saß, sagte nix. Prima. In Bus, Bahn oder Auto lass ich gerne meine Gedanken durch die Gegend kullern, während meine Augen die Außenwelt betrachten. Das ging in dem Bus mal gar nicht. Vor mir warfen sich Gerhard und seine Frau ununterbrochen ihre Wiener Schmalzgebäckwortsalvensätze zu. Die Pilger in ”noch” Weiß waren Spanier und suchten mit ihrem Handy – düüt – düüt – düüt – hablar – hablar – hablar – düüt – düüt – düüt – nach den Hotels, inklusive Preis, für die nächsten gefühlten 20 Etappen. Ich wünschte mir, dass der Busfahrer von der DB kommt und sich unnett verhalten hätte. Der Platz neben Wolfgang war inzwischen leer, er deutete an, dass ich mich zu ihm setzen sollte. Nö, dass wollte ich auch nicht. Ich zog die Bestrafung für die Busfahrt voll durch – ich saß sie ab.

Völlig español gedüütet plus Schmääääähhhh, durfte ich nach einer gefühlten Tagesreise den Bus in León verlassen. Puh! Mädels ”müssen” immer, ich auch - bin Mädel. Ich besuchte die ”Örtlichkeiten” des Busbahnhofs. Ging zurück vor die Tür, nein, ich hatte mich nicht geirrt. Es hing vor der Tür eindeutige die Kennung für Damentoilette. Versifft, ist ein Ausdruck, der für diese Toiletten zu sauber klingt. Von zehn Toiletten waren fünf verdrahtet, zuschließen ging wohl nicht mehr. Die Türen waren wohl aus den Verankerungen getreten worden. Benutzte die einzige Möglichkeit. Nur nichts anfassen. In Zukunft werde ich mit Freuden 70 Cent für die Nutzung von Toiletten bezahlen. Nie gab es auf dem Camino solche Ekelstätten. In den kleinsten, abgelegensten Bars waren die Sanitäreinrichtungen nicht nur heil, sondern auch sauber.

In der Busbahnhofshalle trafen wir den pummeligen Jungen, der die letzten 100 km laufen wollte, wieder. Weit ist er aber auch noch nicht gekommen. Wir verlassen das Gebäude und benutzen die Fußgängerbrücke über den Rio Bernesga. Wir fragten uns zur Kathedrale durch. Es scheint mehrere Wege dorthin zu geben. Mal links, mal rechts. Dann tauchten aber Hinweisschilder auf, denen wir folgen konnten. Kamen an einem 3-Sterne Hotel vorbei. Meine Bemerkung ein Hotel, schmetterte Wolfgang mit: „Ist doch viel zu teuer”, ab. Endlich erreichten wir die Kathedrale. Gegenüber befand sich die Información de Turistica. Dort holten wir uns das Wichtigste, einen Stadtplan. Man sollte die größeren Städte an den Wochenenden meiden. Mist, es war Sábado.

Samstag also. Wolfgang blickte auf den Plan, auf dem ganz viele hübsche blaue H´s in der ganzen Stadt verteilt sind. Sein Gesicht verwandelte sich wieder in das von mir über alles geliebte Fragezeichen. Wohin? Für die Hotel- oder Hostalsuche war es schon ziemlich spät. Wir umkurvten die Kathedrale, gingen an der Mauer entlang zum von mir ausgesuchten Hostal. Klar – komplete. Auf dem Rückweg stoßen wir auf ein Wellness- und Spa-Hotel. Es war warm und spät, jetzt sollte man nicht so wählerisch sein. Wir betraten den Wellnesstempel durch die große Glastür. Sie hatten nur noch einen Singleroom frei, das Bett hätte nur eine Breite von 1,20 m. 75,00 € würde die Übernachtung kosten. Bei der Mitteilung der Bettbreite sah uns die freundliche, junge Schöne etwas zweifelnd an. Hey Mädel, das ist nur der Rucksack, der uns so mollig wirken lässt. Na ja, nicht nur. Außerdem fand ich das Bett auch zu schmal für den Preis.

Immer mehr Menschen bevölkerten die Straßen von León. Schlug vor, außerhalb der Altstadt nach einer netten – vielleicht noch nicht entdeckten – Bleibe zu suchen. Vergiss es, wo kein H ist, gab es auch keine Unterkunft. Nun wurde ich aber ganz verwegen, ein P auf dem Plan wie Appartemento, las ich. Prima es war ein Parkhaus. Kein Appartementhaus, sondern da stand Aparcamiento. Es war wirklich sehr, sehr kleingeschrieben – Schriftgröße 4 vielleicht – fast nicht vorhanden. Um eine weitere Ecke gab es wirklich ein Schild Pensión und wir klingelten an der Haustür des mehrstöckigen Hauses. Verschiedene Essensgerüche schlugen mir in meine Nase. Sie wohnten hier wohl schon länger und luden täglich neue Geruchsfreunde dazu ein. Es war dunkel in dem Treppenhaus. Wir hatten schon zwei Stockwerke erklommen. Ich witterte noch andere Gerüche – Schimmel? – muffiger schwarzer Schimmel? – mir wurde schlecht und ich wisperte zu meinem Mann: „Ich geh hier keinen Schritt weiter.” Wir schlichen die Treppen hinunter und verließen dieses Etablissement.

Zurück in der Altstadt steuern wir das nächste H an. Ein Hotel mit la Confiteria, aber so was von Zuckerbäckerei, direkt mit Blick auf die Kathedrale. Im Vorbeigehen blieben meine Augen wie hypnotisiert an den Verkaufsvitrinen kleben. Hier will ich wohnen, schlemmen und mich wohlfühlen. Wir wohnten dort nicht und fühlten uns auch nicht wohl, klar, es war ausgebucht. Nun war es egal was, wie oder wo, alles außer P war in Ordnung. Wir gingen die Ancha hinunter und fragten im La Posada Regia ***Hotel nach. Freude, es gab noch ein Zimmer, weniger Freude, für lächerliche 97,20 €. Egal, wir waren von der Wärme und Suche so weichgeklopft, dass wir noch mehr gezahlt hätten.

Wir würden in einem Nebengebäude in einer Nebenstraße ein Zimmer haben. Na, da wird sich doch kein P verstecken? Nö, wir betraten ein mit wenig Antiquitäten, fast nobel aussehendes Untergeschoss. Der Fahrstuhl beförderte uns ins Obergeschoss. Ein gemütliches, sauberes, geräumiges Zimmer, auch gut zum ”Ausräumen” des Gepäcks, wartete auf uns. Endlich konnten wir unsere Rucksäcke loswerden. Fast möchte ich behaupten, dass die Pilgertage weniger anstrengten, als die sogenannten Ruhetage. Nach kurzem Durchschnaufer machten wir uns auf, um endlich unsere Getränkehaushalte aufzubessern und die Stadt zu erkunden. Natürlich schleppte ich meinen armen Mann zurück zur Confiteria, dorthin wo meine Augen noch klebten.

Wir fanden ein Plätzchen im Schatten vor dem Lecker-Café, mit Blick auf die Kathedrale. Ich ging in das Café, kratzte meine gierigen Augen von der Vitrine herunter und bestellte uns Café und zwei Kuchenstücke. Für mich war die Welt wieder in bester Ordnung. Ein Dach über dem Kopf für die Nacht, guten Café mit einer Nascherei und ”Kino” für die Augen. Der Vorhang ging auf. Ach nee, was sich hier alles in León in der Ancha tummelte. Die Ancha ist die Hauptstraße – eher Flanierstrecke – eines großen fast völlig für den Fahrzeugverkehr gesperrten Gebiets. Die Frau, aus dem abgelegenen Hotel in Isar, ging vorbei. Die Delfterkachelbluse sah ich um eine Ecke wehen. Auch die junge Frau, die den Mann begleitete, der beim Aufstieg auf den Alto de Mostelares an mir vorbei gehastet war, lief hier – alleine – durch die Gassen. Na wo war er denn, na wo war er denn – der kleine Angeber – hatte er Aua?

Wie erkennt man Pilger in einer größeren Stadt? Den ersten Blick lenke man auf die Schuhe. Als Beweis sieht man Sandalen, bestätigt wird die Annahme, dass es sich um Pilger handelt, wenn die Beine in Shorts oder Trekkinghosen stecken. Viele Ankömmlinge studierten noch mit irrigem Gesichtsausdruck den Stadtplan, auf der Suche nach einer Unterkunft - so wie es uns auch erging. Es war Samstag, Wochenende, ein Tag der Kommunion und Hochzeit. Festlich gekleidete Gesellschaften flanierten durch die Gassen. Die Mädchen, die wohl ihre Erstkommunion hatten, waren raus geputzt in Minibrautkleidern und trippelten vor ihren Gästen daher. Man zeigte sich der Stadt, denn sie querten die Straßen immer wieder. Wie die weiblichen Verwandten den Tag überstanden, möchte ich nicht wissen. Kopfsteinpflaster erschwerten das Gestöckel in den eleganten Pumps.

Nach unserer Erfrischung wollten wir die inzwischen geöffnete Kathedrale ansehen. Ich suchte vor der Kathedrale und in dem Eingang nach einer Kasse für den Eintritt. Nix, gab es nicht, kein Geld für die Besichtigung. Ungewöhnlich. Nicht nur das, hier konnte ich endlich wieder Kerzen für unsere drei Kinder anzünden und an sie denken. Richtige Kerzen. Mir gefiel diese nicht überladene im gotischen Stil erbaute Kathedrale sehr. Das einzige was mich hier störte, war ein Mann, der in einem Gang lauthals in sein Handy rief. Achtung und Anstand stecken immer seltener in Anzügen.

Wieder vor der Kathedrale setzten wir uns in den Schatten auf der Plaza Regla. Einige festlich Gekleidete standen auf dem Platz. Immer mehr Menschen in Abendgarderobe liefen hier zusammen. Richtig elegante Roben – geschmackvolle – nicht nur einfach Hauptsache lang oder so. Auch ich war neugierig geworden und dachte nicht daran mich zu entfernen – ich Spanner. Dann kam sie, die Braut, in einem rot-beigen Jaguar (Baujahr 1950-1957) angefahren. Beim Verlassen des Oldtimers lächelte sie freundlich den Menschen zu. Genau so muss eine Braut aussehen. Strahlend schön, in einem zarten Traum von Kleid schritt sie zur Kathedrale. Viele der Hochzeitsgesellschaft kamen verspätet an und hasteten zur Kirche. Bestimmt umkurvten sie stundenlang die Altstadt, auf der Suche nach einem Parkplatz. Als letzte ”Gäste?” betraten zwei Männer, mit großen Sonnenbrillen, grimmigem Gesicht, - lach – in lila und pinkigem Jackett die Kathedrale. Atmen durften sie wohl nicht, denn dann hätten ihre sich abzeichnenden Muckis die Jacken gesprengt. Mafiosi? Oder gefielen ihnen die Jacketts nicht? Beides? Ich weiß nicht.

Wir verließen den Platz und kabbelten uns derweil, was für eine Marke der Oldtimer hatte. Ich sagte Jaguar, sah man ja an dem Jaguar auf dem Kühler. Mein Mann behauptete, es sei ein Bentley gewesen. Er ist halt kein Autofreak und außerdem kann ich lesen. Wenn auf dem Heck Jaguar steht, wird es ja wohl auch einer sein - oder?

Es begegneten uns immer noch Schlafplatzsucher. Darunter auch viele Paare, mit und ohne Bici´s. Gut, dass keine Messer offen herumlagen, die Gesichter drückten den Bedarf einer Nutzung aus. Ob wir auf unserer Suche auch so aussahen? Ja, ja pilgern entspannt ja so – macht gelassen – zufrieden – auf die eine oder andere Weise glücklich! Zu unserem Glück fehlte ein gutes Essen. Wir wollten diesmal kein Pilgermenu einnehmen, nur ganz normal essen. In einer Gasse spielte eine Brass Band. Wir folgten der spaßigen Gruppe. Heute sollte das Endspiel der Champions League, zwischen FC Barcelona gegen Manchester United stattfinden. Die Brass Band hatte sich dafür verkleidet. Ein als Torwart Verkleideter ließ sich einen Filzball zuspielen und schmiss sich auf die Erde, um ihn zu fangen. Griff sich danach den Minipokal und die Band spielte tanzend weiter durch die Gasse, in der sich Bar an Bar reihte.

Wir betraten eine gemütlich aussende Pinte. Nur leider konnte man dort nicht speisen. Nein, in der ganzen Straße gab es nur Bar´s, die unserem Verständnis nach auch nur Bar´s waren und Getränke verabreichten. Ließen die Gasse und die Brass Band hinter uns und gelangten an einen Platz, an dem die Restaurants ihren Sitz hatten. Steuerten dann eines an, dass mit Spaniern bevölkert war. Ließ meine Augen über ihre Teller kreisen, hm – ja, sah gut aus und wir setzten uns. Der Camarero musste den Tag wohl noch lange arbeiten. Er schonte sich für die späteren Stunden und ließ uns lange warten. Wir waren aber wie immer zäh und blieben sitzen, bekamen dann doch die Karte zum Bestellen. Was ich essen wollte, war schnell klar, Pulpo und für Wolfgang sollte es die Spezialität des Hauses geben. Da tanzte auch schon die Brass Band an. Wenn sonst eine Truppe in Fußgängerzonen spielt, geht sie einem nach fünf Minuten auf den Keks. Diese Gruppe war aber so gut, dass man ihnen gerne weiter zuhörte und bei ihren Witzchen mit den flanierenden Menschen zusah.

Die Kommunionsgesellschaften stolzierten immer noch die Stadt ab. Auch ein Brautpaar, mit Anhang, bereicherte den Platz. Es musste nach dem prompt von der Band gespielten Hochzeitslied eine Tanzeinlage bieten, bevor sie weitergehen durften. Auch ein Junge in einem Matrosenanzug, wurde von seinen Kommunionsgästen begleitet. Nie und nimmer hätte ich meinen Sohn in diesen Anzug bekommen. Er hätte seine Fingernägel in einen Türrahmen festgerammt, um ja nicht auch nur ein Bein in so einen Anzug stecken zu müssen.

Weiter erfreute die Brass Band auch die Gäste der Restaurants. Gedankt wurde ihnen durch die Wirte, die ihnen Getränke und gebackene Rollen brachten, nicht damit sie aufhörten und weiterzogen, sondern blieben. Was mich wunderte, das Fußballspiel hatte doch schon begonnen, wieso sahen sie sich das nicht an? Lag es vielleicht daran, dass die Katalanen nicht so mit denen aus Kastilien können? Hui – unser Essen kam. Ein berauschender Duft nach Gewürzen und Knoblauch betäubte meine Nase und kurz darauf meinen Gaumen. Gut gewählt. Der arme Wuschi saß vor einem Teller mit in vier Quadraten aufgeteilter Mitschematsche. Traurig blickte er auf den Teller – schlecht gewählt? Hm - ja.

Ich glaube, ein Pilgermenu hätte ihm besser gefallen. Trotz der lustigen Stimmung verließen wir den Platz, um uns die zweite Halbzeit des Fußballspiels anzuschauen. Nach längerem Umsehen entdeckten wir einige Lokale, vor denen Fernseher aufgebaut waren. Setzten uns in eins, wo man noch einen Blick auf den Bildschirm erhaschen konnte. Was wollten wir denn hier, es war ein Irish Pub. Um uns herum saßen gelangweilte Jugendliche, aha, die gab es auch in Spanien. Es machte auch nix, dass der Schönling, der vor mir saß, sich ständig in den Kopf seiner Freundin verbiss oder an seinem Haar herumzuppelte. Wunderschönes Haar, schwarz, dicht gewachsen und so geschnitten, dass eine Turmfrisur entstanden war. Dieses Türmchen wackelte immer vor dem Bildschirm. Machte auch nicht wirklich etwas aus, denn das Spiel war so was von schlecht. Vor dem Ende, als klar war, dass die Brass Band nicht umsonst gespielt hatte und die Spanier gewinnen würden, gingen wir lieber in das Hotel.

Wolfgangs Bein erzählte noch keine, es geht mir wieder gut, Geschichten und so wollten wir auch noch den Sonntag in León verbringen. Ein weiterer ”Ruhetag”. Aus unserem Hotelfenster blickte man nur auf marode Dächer, keine Straße, also auch kein Lärm. Wieder zufrieden an der frischen Bettwäsche schnüffelnd, in der Ferne hörte man nur einige Böller knallen, schlief ich in dem prinzessinnengerechten, erbsenlosen Bett ein.

Gut ausgeschlafen wollte ich am nächsten Morgen auch den Luxus des Hotels in Anspruch nehmen. Den Föhn. Dazu meine Hair Conditioner – Sheets -, die meine Tochter mir für die Reise geschenkt hatte. Bisher hatte ich ab und an mal ein Blättchen über meine Haare gestrichen, war nicht so wirklich wirksam. Wir waren in einer Stadt und ich wollte ordentlicher aussehen. Sonntag war auch noch. Also ein fiseliges Blättchen versucht in der Hand aufzulösen und den Sabsch in die gewaschenen Haare geschmiert. Ich schaltete den Föhn an, er war heiß – sehr heiß. Leider zu heiß, denn ich hatte nicht nur eine Knallbirne, sondern auch einen Sonnenbrand auf der Kopfhaut. Nun hätte ich auch Grund zum Jammern gehabt, nicht nur weil die Haut brannte, auch weil die Spülung Erfolg hatte. Meine Frisur saß – eher nicht – die Haare hingen schlaff herunter. Denn eben keine positive Veränderung. Pah – Pilgerin.

Wir genossen ein ungewohnt gutes Frühstück. Packten danach unsere Bündel und wollten das Hotel wechseln. Wenn wir noch vier Wochen unterwegs sein wollten, kann man nicht immer so üppig wohnen. Suchten uns auf dem Plan das Boccalino **Hostal aus. War uns aber mit 67,50 € (ohne Frühstück und wahrscheinlich IVA) zu teuer. Für die geringe Einsparung hätten wir das Hotel nicht wechseln müssen. Landeten in einem *Hostal, konnte man ja auch mal probieren. 50,00 € ist in Ordnung. Na gut, es war karg, aber für eine Nacht. Wolfgang meint ja immer, er braucht keinen Luxus. Er konnte zufrieden sein, denn den gab es hier auch nicht. Egal.

Sehr träge verging dieser Tag. Sonne war am Morgen aus, viel laufen wollten wir auch nicht. Sonst kam dieses Bein ja nie zur Ruhe. So hüdelten wir von einem Café zu einer Bar in der Ancha. Es begann zu regnen. Die Polizei zeigte immer wieder ihre Präsenz in der Fußgängerzone. Manchmal rasten sie auch mit Ton und blinkendem Blaulicht durch die Gassen. Dann hüpften die sonntagsfein Gemachten schnell in einen Eingang.

Der Regen hatte aufgehört und wir machten uns auf die Suche nach ein büsschen Grün, der Parkanlage Jardines El Cid. Es war wirklich nur wenig Grün, dazu noch eingepfercht von einem Bauzaun. Toll, der Teil, der nicht eingegattert war, lud auch nicht zum Verweilen ein. Vor dem ”Park” trafen wir auf einen Rheinländer, der in dem gleichen Bus nach León gefahren war und setzten uns zum Schnacken auf eine Mauer. Er hatte das gleiche Leiden wie Wolfgang, trifft wohl nur die zartesten Männerbeine. Der Rheinländer will seinen Camino abbrechen und am nächsten Tag mit dem Zug bis Frankfurt fahren. 36 Stunden wird er unterwegs sein. Ich schielte auf Wolfgangs Bein, setzte dann den bösen Blick ein, unterstützt von dem Gedanken: Trau dich bloß nicht. Die Aussicht auf eine solange Bahntortur deprimierte mich. Wir verabschiedeten uns ohne ¡Buen camino!

Mir war langweilig, was unternimmt man dagegen? Man gönnt der Seele etwas Schönes, damit sie Ruhe gibt, füttert man sie. Schlenderten zurück zur Confiteria und bestellten uns dort die Leckerei meines Lebens. Ein ca. 8 cm langes, 5 cm hohes und breites ”Teilchen” aus Eiweißcreme. Diese Zuckerbäckerei hatte den idealen Standort, mit Sicht auf die Kathedrale. In Deutschland reicht die gute Lage, da muss man nicht auch noch gut schmeckende Ware anbieten. Anders in diesem Café, meine Geschmacksknospen plapperten zufrieden, besser geht einfach nicht. Wir orderten ständig Getränke nach, nur um an diesem Ort weiter verweilen zu können. Ließen nur die Augen umherwandern.

Auffällig viele Kinderwagen und –karren wurden durch die Stadt geschoben. Kaum eine Familie hielt sich nicht an einem Gestänge fest. Der Hightech Anhänger machte bestimmt Freudensprünge, wenn er diese bis ins kleine Detail durchdachten Transportmöglichkeiten sah. Überrascht hatte uns die Vielzahl von Spielwarengeschäften, da lagen auch mal zwei Geschäfte direkt nebeneinander. Und Süßwarenläden, die wurden auch mit Begeisterung besucht. Die dort gekauften Riesenchips wurden in große, durchsichtige Beutel verteilt und auf der Straße verzehrt. Man stellt ja Chips essen mit dick sein gleich. Stimmte hier aber nicht. Vielleicht weil das Sofa zum Drauflegen fehlte?

Die Frankfurter kamen um die Ecke spaziert und setzten sich zu uns. Der dünne Mann war von dem Hotel in Sahagún, das sie extra vorgebucht hatten, nicht begeistert. Ach, das Personal war nix, der Ort war nix, die nächste Etappe war auch nix und überhaupt war alles nix. So sind sie gleich am nächsten Tag wieder in den Bus gestiegen, um auch bis León durchzufahren. Ich verkniff mir die Frage, ob denn ausschlafen auch nix war. Sie waren nun im Boccalino untergekommen.

Die Beiden hatten Hunger und fragten uns, ob wir gemeinsam irgendwo essen gehen wollen. Ich war noch eiweißpappensatt und die Uhr an der Kathedrale zeigte erst 18.00 Uhr an. Wir stimmten aber zu und einigten uns darüber, das Pilgermenu den Tag mal nicht sein musste. Oberschlau erzählten wir, dass wir wüsten, wo sich die ganzen kleinen Restaurants befanden. Latschten gemeinsam durch die Gassen, bis wir den Platz, den wir am Vorabend besucht hatten, erreichten. Was war denn hier los? Nicht ein Stuhl oder Tisch stand dort. Wie leer gefegt war der Platz – Stille - das totale Nix!

Hm – war es zu früh – hm – ja. Der Frankfurter meinte, zu ihrem Hostel Boccalino gehöre auch ein italienisches Restaurant, das nur um die Ecke läge. So zuckelten wir in die andere Richtung zurück. Blickten auf dem Weg noch nach links und rechts. Alles noch geschlossen. Als wir an dem Lokal ankamen fing es an zu tröpfeln. Auf der Terrasse gemütlich sitzen war nun auch nix. Die Frankfurterin entdeckte einen anderen Pilger und meinte: Oh hoffentlich will er nicht auch hier essen, es würde schon reichen, dass er in dem gleichen Hostal seine Unterkunft hatte. Er würde sie immer dumm und dusselig reden, dazu hätte sie keine Lust. Vom Sehen kannten wir ihn auch. Er trug immer eine Kombination in Khaki, kurze Hose – kurzärmliges Hemd, dazu ein Tarnfarbenkäppi und einen passenden Bundeswehrrucksack. Zur Perfektion hatte er eine Deutschlandfahne an seinem Rucksack baumeln.

Wir betraten das Restaurant, wo schon einige Spanier ihre Getränke süffelten und setzten uns an einen im hinteren Teil stehenden Tisch. Die Bedienung erklärte, dass wir noch kein Essen bekommen könnten, es wäre schließlich noch nicht 19.00 Uhr. Diese Zeiten halten die ja so was von ein – es war nämlich 10 vor Sieben. So bestellten wir Getränke, die Männer Bier und wir Mädels Rotwein. Natürlich setzte sich der Lieblingspilger der Frankfurterin an den Nebentisch, er hielt aber die ganze Zeit den Mund. Vielleicht wollte er auch nur unseren Gesprächen lauschen.

382,08 ₽
Жанры и теги
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
780 стр.
ISBN:
9783752962598
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают