Читать книгу: «Mails von Marge», страница 10

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Die Getränke wurden aufgetischt. Für uns Frauen gab es sehr schöne große Rotweingläser, in denen sich das Aroma voll entfalten konnte, denn das rote Pfützchen am Boden nahm nicht besonders viel Platz weg. Ach, eine Flasche, so wie bisher, hätte es auch getan. Der innere Gong des Lokals schlug zur vollen Stunde und wir bekamen auch die Speisekarten. Schnell hatten Wolfgang und ich gewählt. Klar, Pulpo als Vorspeise zum Teilen mit Wolfgang und danach nahm ich die Tagliatelle mit Käse-Walnuss-Soße. Der Frankfurter entschied sich für Pulpo als Hauptspeise. Vier Brötchen landeten in einem Korb auf dem Tisch für die Vorspeisen. Bevor das Essen kam, hatten wir unsere Gläser geleert und nachgeordert. Zwei Pfützchen mussten schon sein, damit man den Wein überhaupt schmecken konnte. Mit den Vorspeisen waren alle zufrieden, auch der Frankfurter. Vor meinem Mann und mir stand ein großer Teller mit sehr leckerem Pulposalat – schlemm.

Beide Frankfurter arbeiteten nicht mehr, mein Mann ja auch momentan nicht wirklich. Der Betrieb, in dem der Frankfurter tätig war, wurde geschlossen und so sein Arbeitsplatz vernichtet. Und dann kam die Frage an mich oder die Bemerkung zu mir, die mich den ganzen Camino schon so was von geärgert hatte. Ich würde ja wohl auch nicht mehr arbeiten. Doch – doch, ich arbeitete noch. Musste ganz schön die Hacken in den Teer hauen, um die sechs Wochen Urlaub herauszuholen. Mit Urlaubsverzicht im Vorjahr bis hin zu immensen Vorarbeiten. Außerdem machten mich diese Randbemerkungen alt – noch älter – pah.

Die Hauptspeisen landeten an. Meine Tagliatelle lagen in der Soße fast wie einzementiert. Schmeckte zwar, wurde aber der Vorspeise nicht gerecht. Mein Magen wunderte sich den Tag bestimmt über diese Überfütterung in Weiß. Beim Anblick seines Tellers rümpfte der Frankfurter sein Näschen. Piekte mit der Gabel hinein und stellte fest, es schmeckte ihm nicht. Der Pulpo sei nicht richtig zubereitet, noch gummiartig, also das war mal wieder nix.

Die Bedienung räumte nicht nur die Teller, sondern auch gleich mein Rotweinglas mit dem Arm ab. Nun erkundete das rote Pfützchen die Tischdecke. Ich hatte aber eine neue Glasbodenbedeckung bekommen, die ich mir mit der Frankfurterin teilte. Die zwei Brötchen im Korb, die Wolfgang und ich nicht angerührt hatten, verschwanden auch. Wir orderten mit der Rechnung noch Espresso oder Kaffee. Es kam die Rechnung. Ich warf einen ersten Blick auf den Preis – Donnerwetter – das war wahrlich kein Pilgermenu. Sah mich noch kurz in dem Lokal um, nö, edel war hier nix – außer der Rechnung. Ganz gewöhnliche Kneipeneinrichtung. Normal wäre ja fifty-fifty, aber so gut kannten wir uns nicht. Ich zückte meinen Stift und rechnete unsere Werte zusammen. Auch zwei Brötchen rechnete ich dazu. Sie standen mit 1,20 € pro Stück x 4 auf dem Zettel. Schaute mir den Endbetrag an, irgendetwas stimmte hier nicht. Der Frankfurter griff zu dem Beleg und rechnete die Speisen und Getränke zusammen, die er und seine Frau konsumiert hatten. Summierten die errechneten Beträge – es stimmte nicht. Wiederholung war angesagt – wir hatten uns nicht verrechnet. Ich schaute mir die Rechnung genauer an. Ganz klein stand da mein Freund IVA, die Umsatzsteuer.

Italiener, alles Mafiosi, da hatten sie auf der Speisekarte die Nettobeträge aufgeführt. Diese Entdeckung forderte eine Smoketime, eine Pause um den inneren Grummel ab zu lassen. Der dünne Mann und ich gingen vor die Tür. Nein ich ging nicht erst in die Küche, um wenigstens einmal meine Zähne in das Brötchen zu hauen. Der Khakimann tarnte unseren Weg, er folgte uns auffällig. Vor dem Restaurant fragte ich den dünnen Frankfurter, was er denn von Beruf ist. Ich hatte es schon geahnt, er war Bilanzbuchhalter. Man erschnuppert Berufsähnliche. Der dünne Mann war ein trauriger Mann, da saß er nun mit hängendem Oberkörper und fand alles blöd. Der Khakimann wollte auch mitmischen und stellte fest, die Leute haben selber Schuld, wenn ihre Beine wehtun, man dürfte die Stiefel eben nicht zu stramm binden, sondern die letzte Öse frei lassen. Und er fährt lieber Bus, als dass er ohne Urkunde nach Hause kommt. Was sollen denn seine Kameraden von ihm denken. War ja klar, dass er unsere Gespräche belauscht hatte – der Klugscheißer.

Zurück im Restaurant schlürften wir den jetzt lauwarmen Espresso, zahlten die überhöhte Zeche und mit der Einsicht, nie wieder Italiener in Spanien zu besuchen, zogen wir ab. Verabschiedeten uns und huschten durch den wieder pieselnden Regen zum Hostel.

Ruckzuck waren wir im Zimmer und bettfertig – schlaffertig. Einer von uns, hörbar. Saß vielleicht jemand auf dem Bauch und drückte darauf, wie bei einem Teddybären. Nur war es kein zartes, kinderbegeisterndes Brummen. Aus dem Nebenbett erschwoll ein tiefes, gefährlich klingendes ”Sägen”. Der Prinz wollte die Prinzessin nur verteidigen.

Neben meinem Bett war das Fenster, ein nicht feststellbares Schiebefenster. Das Fenster führte zu einem Laubengang. Jeder, der das Nebenhaus betrat, konnte über diesen Gang einsteigen, bei mir direkt in mein Bett. Das machte mich nicht schläfrig. Das um die Wolldecke geschlagene Laken war dünn. Die Prinzessin spürte die Erbsen, nur fühlte es sich an, als wenn die Erbsen klitzekleine, kratzepikse Krabbelbeine hatten. Die Geräuschkulisse wurde kräftiger ”geschoben”. Entnervt stand ich auf, pulte mein Seideninlett aus dem Rucksack heraus und wröngelte mich darin ein. Aber die Prinzessin schlief einfach nicht ein.

León - Abmarsch

Von einem gefühlten Nichtschlaf war ich am nächsten Morgen aufgewacht. Gereizt blickte ich umher und erkundigte mich nach dem Bein. Noch keinen Deut besser. Alle Gereiztstoffe versammelten sich in meinem Hirn und brüllen in meinem Kopf: Es gibt keinen weiteren Ruhetag – Ruhetage machen mich ”unruhig”. Sprang aus dem Kratzebett und entblößte zornig das Bein. Das Ossobuco schlug zurück. Eine am Knöchel befindliche straußeneigroße Beule leuchtete mir entgegen. Das ganze Bein und der Fuß waren aufgequollen, trotz Pillen.

Meine in diesem Moment nicht mehr denkfähigen Kopfimpulse rasten auf der falschen Seite der Autobahn. Ungebremst tobte ich zu meinem Rucksack, riss mein Notizbuch heraus, griff mir die gefüllten Seiten, zerfetzte sie mittig und schmiss sie in den Mülleimer. Schluss – aus, sagte ich, wir fahren nach Hause. Da saß er nun, mein unglücklicher Mann. Sehr – sehr traurig meinte er, er hätte mir alles verdorben. Nun hätte er begriffen, warum ich alleine gehen wollte. Ich hätte es ihm eindringlicher sagen sollen, dass ich alleine laufen möchte. So anstrengend hatte er sich den Camino nie vorgestellt. Ich könnte doch alleine weitergehen. Oder wir könnten ja so ungefähr 6 km laufen und dann wieder mit dem Bus weiterfahren. Das war für mich aber kein Pilgern, das funktioniert einfach nicht. Wir heulten uns gemeinsam aus.

Der nüchterne Verstand in mir meldete – hey – die Rucksäcke sind so gepackt, dass wenn einer von uns nicht mehr kann, der andere seinen Weg weiterläuft. Wie oft hattest du ihm bei den Vorbereitungen gesagt, du willst alleine laufen, er hat einfach nicht zugehört. Lauf weiter. Das Herz mischte sich ein – hast du nicht ein beneidenswertes Leben? Geht ihr nicht seit vielen Jahren gemeinsame Wege? War nicht immer der eine für den anderen da? Was ist wichtig? Hättest du all diese Erlebnisse gehabt, wenn du alleine gepilgert wärst? Erinnere dich an das wundervolle gemeinsame Schweigen auf dem Weg, den Gleichklang der Schritte und Gedanken. Wolltest du auf dem Camino nicht das Wichtige von dem Unwichtigen trennen? Kann man auch anders ankommen? Der Verstand nickte nur bei den Fragen – genau – genauso ist es.

Friedlich schweigend packten wir unsere ”Päckchen”. Frühstückten erst in einer Bar und machten uns auf, Richtung Busbahnhof. An einer Bushaltestelle für Linienbusse, trafen wir die junge Stretching-Französin, sie wollte die nächste Strecke weiter mit dem Bus. Also Stretching macht auch nicht fitter. Sie meinte, wir müssten uns unbedingt noch das *****Paradorhotel, dass in einem Teil des Klosters San Marcos ist, ansehen. Wir liefen die Gran Via de San Marcos hinunter. Sicher, die Straße führte zum Kloster San Marcos. Sie erinnerte aber eher an Imelda Marcos, hier gab es fast nur Schuhläden. Oder hatten sie sich alle hier niedergelassen, weil Imelda so gerne in ”ihrer Straße” die Schuhe kaufte?

Wir wollten aber zuerst am Busbahnhof wissen, wann denn ein Bus nach Bilbao fährt. Landeten am Plaza de la Inmaculada, ein Kreisverkehr. Von diesem Kreis zweigten viele kleine Straßen ab. Wir überquerten die Straßen an diesem Rund. Noch eine Ampel, die nächste Querstraße und weiter ging es. Ich stutzte – komisch. Die Leute, die in einem Café saßen, kannte ich schon. Vom Sehen oder Vorbeigehen.

So hatten wir auch unseren ”Kreisverkehr” erledigt. Das Erkennen von Straßennamen war in Spanien nicht so einfach. Manchmal war ein Keramikschild am Haus an der Straßenecke angebracht oder auch nicht. Um es lesen zu können, musste man direkt davor stehen, dann seine Augen in 3 Meter Höhe beamen, um den Namen zu erkennen. Wir sahen aber dann am Ende der Avenida de Roma die Fontäne des Springbrunnens, der von Blumenbeeten umrankt, den nächsten Kreisel schmückt. Taperten auch durch diesen Kreisverkehr und weiter über die Brücke des Rio Bernesga zum Busbahnhof.

Um 8.30 Uhr lösten wir unsere Billete nach Bilbao für 24.33 € pro Person. Ich staunte immer wieder über die günstigen Fahrpreise. Hm – der Bus fuhr erst um 15.15 Uhr. Da blieb uns noch eine Menge Zeit zum Vertrödeln. In dem Bahnhof gab es auch Schließfächer. Stopften unsere Rucksäcke hinein und versuchten den Nutzungs-Anweisungen zu folgen. Na ja, soweit wir sie verstanden. Ach man - wir hatten sie nicht verstanden und konnten das Gepäck wieder herauszerren. Dinge die man nicht mehr braucht können ganz schön lästig werden.

Nichts erinnerte mehr an den nächtlichen Regen und die angenehme Kühle des Morgens. Die Sonne brutzelte die Temperaturen wieder schön hoch. Liefen zurück über die Brücke um uns vor einer Bar am Springbrunnen-Kreisel einen Café zu gönnen. Na und? Wer lief dort ohne Gepäck über die Brücke? Der Khakimann. Wir beschlossen am Fluss entlang zum Parador bzw. Kloster San Marcos zu laufen. In dem Fluss sind kleine Stufen angebracht, bestimmt um das Wasser in Bewegung zu halten. Nach einigen Metern war die Luft aber wieder raus und das Wasser dümpelte nur noch. Viel Unrat blieb vor der nächsten Stufe gefangen.

An der Plaza San Marcos vor dem Parador angekommen, will ich aber nicht hinein. Ich habe keine Lust, mir den Luxus von innen anzusehen. Denn ich hatte noch eine neue Begleitung – von den Mafiosi – einen noch dickeren Fettfleck – genau dazwischen. Der Platz San Marcos ist riesig und so was von adrett. Die Büsche in Kastenform geschnitten, die Blumen in Reih und Glied, elegante Pflasterung mit eingelegten Minispringbrunnen. Das steht alles vor diesen wunderschönen Klostergemäuern und hat für mich eine HafenCity-Ausstrahlung. Also keine - außer Kälte - nix. Die Uhr bewegte sich nur schleppend vorwärts, wir uns auch, wieder zurück zur Bar an den Kreisverkehr. Wir hatten keine Lust mehr durch die Stadt zu laufen.

Kaum hatten wir bestellt, erkannten wir jemanden, der über die Brücke lief. Na klar, der Khakimann. Er zeigte wieder Flagge, denn die Deutschlandfahne wehte von seinem Rucksack. Sein Bus fuhr wohl eher – es ging ja auch in die andere Richtung. Wir hatten noch so viel Zeit. Hier beobachtete ich etwas, was mich schon oft in León irritiert hatte. Sehr viele Frauen rauchten im Gehen auf der Straße, auch die Elegantesten, so als wollten sie mitteilen: Wir lassen uns hier nichts verbieten.

An den Ampeln wurde immer angezeigt, wie lange die Fußgänger warten mussten und auch, wie lange sie laufen konnten. Darunter ein Ampelmännchen. Bei 60 Sekunden trabte das grüne Männchen ganz - ganz gemütlich und wurde dann immer schneller. Während der letzten 20 Sekunden rannte es richtig. Mit Rollator ging dann aber nix mehr.

Die Kinderkarren wurden an diesem Montag teilweise leer transportiert. Eine, war vorne gebaut wie ein Dreirad, in hellblau, wurde so schnell geschoben, dass mir vom Betrachten der sich drehenden Pedalen fast schummerig wurde. Spinning für Kleinkinder. Ach, wenn die Uhr sich doch auch so schnell drehte, aber sie schlich nur um das Ziffernblatt. Und wir schlichen zum Fluss, wo es recht wenig Plätzchen gibt. Nur vor einem interessant angelegten Spielplatz gab es Bänke in der Nähe des Wassers. Ein zartes, junges Mädchen trainierte Basketball, geschmeidig umrundete sie sich selbst und brillierte mit gelungen Korbwürfen. Ihr Minioberteil ließ den Blick frei, auf die durchtrainierte Bauchmuskulatur. Ein ca. vierjähriger Junge ließ sein großes Auto mit Rückziehmotor über eine Mauer flitzen, dann versuchte er es am Mauerende aufzufangen. Meistens war das Auto aber schneller und fiel hinunter. Beide spielten ihr Spiel, fast wie selbstvergessen. Dann drehte sich der kleine Junge zur Basketballspielerin um und rief Mama ……… (den Rest hatte ich natürlich nicht verstanden)sie antwortete und beide setzten ihr Spiel fort. Donnerwetter – Mama!

Wir spazierten weiter, über eine Fußgängerbrücke, die über den Fluss direkt zum Busbahnhof führt. Dort angekommen, musste ich schon wieder und dachte, dass es bei Restaurants vielleicht ja bessere Toiletten gibt. Ein schwerer Irrtum, leider genauso versifft wie die auf der anderen Seite. Hin zum Abfahrtsgate, der Bus kam endlich und ich fragte den Busfahrer, wie lange wir denn nach Bilbao fahren. Oh – och nee – unglaubliche sechs Stunden.

Wir hatten Plätze an der rechten Seite, super, ich mag das. Nahm natürlich den Fensterplatz ein. Pünktlich startete der gut gefüllte Bus. Wir waren wohl die einzigen Pilger. Es war ja auch die falsche Richtung. Kein Gesabbel – eine herrliche Stille. Auf der Fahrt konnte man nur ganz wenige Pilger noch ihren Camino ziehen sehen. Klar, es war ja schon Nachmittag. Immer wenn einer in Sicht kam, ruckte ich hoch, um ihm so lange wie möglich mit den Augen zu folgen. In Carrión de los Condes, wo wir vor zwei Tagen in den Bus eingestiegen waren, machte der Busfahrer 5 Minuten Pause. Ich nutzte die Gelegenheit, um auch den Bus zu verlassen – Smoketime – das brachte mir einen bösen Blick des Busfahrers ein – pah – war mir wurscht.

Nun begann die Strecke, die wir gepilgert waren. Ich betrachtete im Vorbeifahren Wege, Orte, Besonderheiten, die wir zu Fuß abgestiefelt waren. Es machte mich auf der einen Seite stolz, aber auch traurig. Meine linke Hand wurde gegriffen und zart gestreichelt, es ging mir nicht alleine so. Auch darüber mussten wir nicht reden.

In Burgos legte der Busfahrer eine 30-minütige Pause ein und alle mussten – hüstel oder durften – den Bus verlassen. Schoben uns dort in einem Café ein mäßiges Bocadillo zwischen die Zähne und warteten. Blasen sind nicht gut, habe zwar keine an den Füßen, aber eine andere. Suchte wieder ein WC. Hatte ich erzählt, dass die sanitären Einrichtungen in León unter aller Würde sind? Bis dahin hatte ich in Burgos in dem Busbahnhof noch keines betreten. Es gab in dem Bahnhof nur ein WC. Oh my Good, schlimmer geht immer. Es gibt sonst in jeder Einrichtung ein kleines Eimerchen für die weiblichen ”Hinterlassenschaften”. Hier nicht, sie wurden einfach in die Ecke geschmissen und nicht nur eine – brech!! Wo ist meine Pippirinne und ein Wald?

Wolfgang erzählte von dem Besuch des Herren-WC´s auch nichts Nettes. Endlich konnten wir wieder in den Bus steigen und ab ging die Post Richtung Bilbao. Kurz hinter Burgos verließen wir die Strecke des Caminos – schade. Es war immer noch entspannend ruhig im Bus. Wir machten ein kleines Nickerchen. Als ich vom Dösen aufwachte, beobachtete ich in dem Rückspiegel den Busfahrer. Auch er war müde, gähnte, schaute auf die Uhr, blickte zu Boden und sah dann wieder auf die Straße. Da sein Hinuntersehen auch verwechselt werden konnte, mit kurzem Einschlafen – war ich spontan so was von hellwach. Mit der Dämmerung setzte Regen ein, an den Bergen hingen tiefschwarze Wolken, die noch größere Wassermassen ankündigten.

Zum Glück hielt der Busfahrer durch und befuhr sicher die Straßen von Bilbao. Auf dem Weg zum Busbahnhof versuchte ich Hotels zu entdecken. Meinte dort – dort ist eines. Na ja, ob wir das wieder finden. Wir landeten um kurz vor 21.00 Uhr in Bilbao. Ergatterten an dem Bahnhof noch einen Stadtplan. Diskutierten noch nicht einmal darüber, ob wir um diese Uhrzeit noch eine Unterkunft bekommen. Das war auch neu! Verließen den Bahnhof. Wir mussten nur einen Zebrastreifen überqueren und standen genau vor dem Hotel, dass ich aus dem Busfenster gesehen hatte. Prima.

Es winkte uns mit der schön anzusehenden Glasfassade zu. Sie gab auch den Blick in die dazugehörige Bar frei. Entspannt fragten wir nach einem Zimmer, noch besser, wir bekamen ein Doppelzimmer und liefen mit dem Schlüssel in die obere Etage. Hm - *** für dieses Hotel? Für die Eingangsfassade vielleicht? Seit 1960 war wohl an diesem Zimmer nichts verändert worden. Egal, morgen sind wir hier weg. Ab in Bett. Stopp – sprang locker zu meinem Rucksack und pulte meine Ohrstöpsel aus den Utensilien. Stopfte sie tief in meine Ohren und schlummerte ganz schnell ein. Man, was war ich die ganze Zeit dusselig gewesen, dass ich die völlig vergessen hatte.

Am nächsten Morgen, ich hatte sehr gut geschlafen, sammelten wir wieder alles ein und wollten in dem Hotel frühstücken. Ja, wir sollten in die Bar gehen. Auf dem Tresen stand eine durchsichtige Tortenhaube, unter der sich zwei Bocadillo mit Jamón befanden. Es war unser Frühstück. Sie wurden uns auf einer Untertasse, mit einem Café serviert. Diese Brötchen mit Schinken, waren so klitzeklitzeklein, dass noch fünf ”Geschwister” auf dem Teller Platz gehabt hätten. Aber dafür steckte noch ein Zahnstocher in ihnen, vielleicht, damit Fehlsichtige sie besser ertasten konnten. Außer uns als Gäste, schien dieses Hotel unbewohnt zu sein. Als Krönung durften wir für dieses ”sättigende Frühstück” auch noch 9,60 € extra bezahlen. Dieses Hotel Estadio werden wir wohl nicht noch einmal besuchen und wenn, bestimmt ohne Frühstück.

Ein trüber Regentag begrüßte uns, als wir das Hotel verließen. Für den kurzen Weg zum Busbahnhof wurde ich lieber nass, als dass ich ausgerechnet am letzten Tag, meine weiße super Extremsportjacke opferte. So huschten wir über den Zebrastreifen zum Busbahnhof. Schnell hatte ich in perfektem Spanisch die Billete bestellt. Der Bus zum Flughafen fuhr kurze Zeit später mit uns zum Airport. Im Flughafen rauschten wir sofort zum Lufthansa-Schalter und legten unsere Tickets auf den Tresen, um sie stornieren zu lassen und uns neue Tickets Bilbao – Hamburg zu kaufen. Die Dame am Schalter tippte auf der Tastatur und schaute auf den Monitor, tippte und tippte.

Während sie die Tastatur intensiv beschäftigte, scherzte sie mit ihren Kolleginnen. Leider konnten wir nicht sehen, was auf dem Monitor so lustig war. Dann wurde sie ernst und erzählte uns eine Menge. Wir verstanden nix. Eine Lufthansa-Mitarbeiterin, die ein büsschen Deutsch sprach, erklärte uns, dass wir den Flug nicht umbuchen könnten. Nur in Santiago de Compostela hätten wir umbuchen können. War uns schon klar, wir wollten nur diese Rückflüge freigeben und neue Flüge nach Hamburg buchen. Nach langem Gewese hielten wir unsere Tickets, mit Start um 13.30 Uhr, in den Händen. Bei der Gepäckaufgabe mussten wir unsere Stick´s wieder aus den Seitentaschen nehmen. So was lässt man nicht zurück. Jeder bekam einen Gepäckanhänger, meine Bemerkung: Wenn das man gut geht, wurde mit einem Lächeln und der Erwiderung: „Bei der Lufthansa geht nichts verloren”, beantwortet. Da lagen unsere “Camino-Stützen“, einsam und jeder für sich alleine, auf dem Rollband und folgten den Rucksäcken.

Mein Freund ”Warten” schlich mit uns um die Uhr, schon fast ein treuer Begleiter. Der Flughafen von Bilbao liegt sehr abseits und auch in dem Gebäude, das zurzeit umgebaut wird, gab es nichts Sehenswertes – noch nicht einmal einen Schuhladen oder so. So blieb nur das Abfluggate und da waren sie, die Geschäftsreisenden. Nicht ein Fluggast hatte unser legeres Outfit. Überwiegend waren sie in der Dressman-Version, bis in die blankgewienerten Edelschuhspitzen – eben Willi-Wichtig. Dieser Hinweis: Sie können nur ein Handgepäckstück mitnehmen, prallte an ihnen ab. Jeder schleppte einen Trolley und eine übergroße Laptop-Tasche mit sich. Wir brauchten nur unsere, in den Wanderklamotten steckenden Körper, in das Flugzeug bugsieren.

Es wurde Zeit, ab in den Flieger. Gar nicht sooo einfach. Da standen sie nun, schwitzend, bei den Versuchen ihr ”Handgepäck” in den Fächern unterzubringen. Die Stewardess schüttelte ihr hübsches Köpfchen, nein, mehr passe nicht hinein. Einige Schuhe konnten ihre Ledergerüche mit den zwischen ihnen stehenden Trolleys während des Fluges vermischen. Start mit 15 Minuten Verspätung. Der Steward meldet sich über das Bordmikro. Leider wäre in Frankfurt ein Fehler bei der Bestückung der Snacks entstanden. Sie hätten für 120 Gäste nur 80 Snacks. Er bat darum, dass diejenigen, die ein gutes Geschäftsessen oder so eingenommen hatten, doch bitte auf den Snack zu verzichten. Sie würden vorne mit der Austeilung beginnen und wenn die Snacks alle sind – dann sind sie eben alle. Basta. Trotz unseres üppigen Frühstücks verzichteten wir. Der Amerikaner neben uns, der sich eine DVD auf einem Player ansah, auch. Die Fluggäste auf der anderen Gangseite nicht. Einer packte den Snack aus, sah ihn sich an und legte ihn auf das Tablett, ließ ihn liegen. Hey – für Leute wie dich, hatten wir verzichtet.

Zwischen der Landung in Frankfurt und dem Weiterflug nach Hamburg, hatten wir nur 25 Minuten – laut Ticket. Durch die Verspätung in Bilbao schrumpfte die Zeit auf 15 Minuten bei der Landung. Ich konnte das Gate A 20 erkennen, na, das schaffen wir noch, mussten wir doch zum Gate A24, kann doch nicht so weit sein. Die Busse kamen und luden uns ein. Wir wollten weiterfliegen und keine Flughafenbesichtigungstour machen. Das wusste der Busfahrer aber nicht. Wir durften am Gate C 160 den Bus verlassen und rannten wie die Besengten durch diesen Riesenflughafen.

Wir jagten durch Gänge und über Laufbänder, auf ”Beinweh” wurde keine Rücksicht genommen, später vielleicht, werde ich mein Bedauern aussprechen – oder auch nicht. Abgehetzt landeten wir am Gate A 24. Bei unserem Tempo konnten die Trolley-Besitzer nicht folgen, sie werden wohl den Flieger verpassen, falls sie nach Hamburg weiterfliegen wollten. Harndrang. Vor dem Gate, einsteigebereit, stehen nur noch vier Personen. Ich überlegte rechts zum WC oder ab zum Einsteigen. Mit dem Gedanken, ach wir fliegen ja gleich, lasse ich die Toilette rechts liegen und wir stiegen in das Flugzeug ein.

Bei der Begrüßung der Stewardess bekommen wir noch einen Minischokoriegel in die Hand gedrückt. Angeschnallt und nun aber ab. Da erklang über das Bordmikro, die wie üblich, leicht näselnde Stimme des Stewards: „Meine Damen und Herren, da der Luftraum über Deutschland überfüllt ist, werden wir mit einer Stunde Verspätung starten”. Wie blöd war das denn, dann hätten sie uns ja nicht schon festschnallen müssen. Man hätte in Ruhe die Örtlichkeiten besuchen, sich etwas zum Essen holen können und so saßen wir sinnlos herum. Toll. Ein Passagier stand auf und ging zur Toilette. Ich beneidete ihn. Ich möchte auch, traute mich nicht und verzehrte den Schokoriegel. Mein Magen meldete den Eingang des Nahrungsersatzes nicht. Schleppend bewegte sich der Zeiger der Uhr vorwärts. Nach einer halben Stunde waren meine Blase und ich so fertig, dass ich aufstand und zum WC ging. Als ich wieder heraus kam, schauten mich viele Passagiere wütend an. Mit dem ”Rückblick”, Leute ihr seid mir so was von wurscht, setzte ich mich erleichtert wieder auf meinen Platz.

Nach dieser sehr langen Stunde hoben wir ab. Landeten in einer gefühlt kürzeren Stunde in Hamburg. Raus aus dem Flieger, hin zum Gepäckband. Unsere Rucksäcke kamen schnell und natürlich verdreckt an. Wer meint Schutzsäcke für den Flug seien unnütz der irrt sich. Haben die Flughäfen vielleicht extra einen Raum, wo das Gepäck durch eine mit Schmiere gefüllte Pfütze geschleift wird? Ein Stick kommt an. Wir warten, wir warten lange. Wollten auch nicht einfach gehen, nachher vermutete man, bei einem einsamen Stick, einen terroristischen Hintergrund. Außer uns und einigen einsamen Koffern, rührte sich hier nix mehr. Wir trollten uns zum Lufthansa-Schalter, um unseren ”Verlust” zu melden. Von wegen bei Lufthansa geht nix verloren. Ha!

Endlich konnten wir in der Ankunftshalle in die Arme unserer lange wartenden Kinder fliegen. Ins saubere Auto steigen und wieder ”landen”, in unserem Wohnort – in diesem ”Hüstel-Revier”. Jaul!!!

Anmerkungen

Bici-Marcus (den wir in Nájera getroffen hatten) hatte sich telefonisch gemeldet. Er konnte die Euphorie nicht beschreiben, die ihn in Santiago de Compostela ergriffen hatte. Was mich ganz besonders freute, auch der Josef hat es bis Santiago de Compostela geschafft. Bei ihm stellte sich das Glücksgefühl nicht so spontan ein. Er sei zuerst völlig fertig gewesen. Seine Fuß-, Bein- und Hüft/Wirbelsäulenprobleme überwogen. Er brauchte wohl einige Zeit um ”anzukommen”. Ach ja, oft hatte ich einen: Du wirst den Camino schaffen, Gedanken an ihn gesandt.

Nun bin ich den Camino, bzw. den Teil des Caminos, zwei Mal ”abgepilgert”. Erst in den Stiefeln und nun mit meinen Erinnerungen, die durch meine Fingerspitzen flossen. Jede Person existiert, jeder Gedanke so gedacht. Kein Blümchenkaffee, wo man sich das Aroma zusammenfantasiert. Selbst meine manchmal unnetten Gedanken habe ich nicht ”verschönert”. Ich hatte zwar meine Aufzeichnungen zerrissen, die paar Blättchen aber wieder aus dem sonst leeren Mülleimer gefischt und zusammen geklebt. Stand nicht wirklich viel darauf. Hallo, meine letzte längere Eintragung war in Estella verfasst worden. So habe ich meinen Kopf ”pilgern” lassen.

Meine inneren Augen sehen immer noch den Mohn, das Getreide, die Wiesen, auch die Schotterpisten, werfe entsetzte Blicke den Anstieg hinauf, rieche den Morgenduft, spüre die Hitze der Sonne, höre Gesabbel und das Klingeln der Bici´s, schmecke den Jamón auf dem Bocadillo, auch die Würze des Weins auf der Zunge spüre ich. Unvergessen, die Köstlichkeit von frischem kühlen Wasser. Sehe die Störche und höre die Vögel, besonders das Tschirpen der Schwalben. Die Gesichter und Stimmen der Menschen, der unterschiedliche Rhythmus der klickernden Stick´s, sogar an ihrem Gang würde ich die Pilger erkennen. Nichts hat seine Präsenz verloren.

Ich wollte auf dem Camino Wichtiges von Unwichtigem trennen. Muss man nicht erst wissen, was für einen wichtig ist? Ist das ganze Leben nicht ein Camino, laufen wir nicht unsere Lebensstrecke ab. Kommen wir nicht oft an einem ”Lebens-Ziel” an und stellen fest, dass wir uns verlaufen haben. Wieder einmal verrannt haben?

Auf dem Camino ist mir das Wichtigste begegnet. Die Begegnung mit der Natur und den Menschen. Ob mit den sehr reizenden jungen oder älteren Pilgern (natürlich waren für mich auch sehr ”aufreizende” dabei) – völlig gleich. Mir ist viel Wärme, Freude und auch seelisches und körperliches Leid begegnet. Einfach das Leben.

Das waren die intensivsten 18 Tage meines Lebens. So bleibt mir nur noch Danke zu sagen, allen, die mir begegnet sind und wenn es auch nur ein kurzes zugerufenes ¡Buen camino! war. Jeder war und bleibt für mich sehr – sehr wichtig!

Einkaufszettel: Neue Regenjacke (kein weiß), bequeme Sandalen, Trinkschlauch.

Natürlich möchte ich Euch, die diese Zeilen lesen mussten, auch ein dickes fettes Danke schicken – für Eure Geduld. Ich umarme Euch – wieso heul ich jetzt?

2012

382,08 ₽
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780 стр.
ISBN:
9783752962598
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