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Belorado - Atapuerca

Am nächsten Morgen pieselte es. Irgendwie wussten wir noch nicht wie wir weiter vorankommen. Wolfgang packte mal wieder alles ein, muss ein Spiel sein, komme noch dahinter. Beim Frühstück beobachteten wir die Pilger, die sich ihre Regenjacken anzogen oder in widerspenstige Regencapes pellten. Der Rucksack wurde mit der Regenhülle bedacht und mürrisch verließen sie die Herberge. Nur ein älterer Herr ging nicht. Es war Josef, er sei so kaputt von der gestrigen Strecke, schlug die Hände vors Gesicht und meinte, er könne heute einfach nicht laufen. Er hätte ein Taxi bestellt. Taxi? – Taxi?, bei diesem Wort funkte mein Gehirn: Mitfahren!! Wir boten Josef gern eine Dreierteilung des Fahrpreises an. Nach einiger Wartezeit kam ein Wagen und wir verstauten glücklich unsere Rucksäcke. Nun sollte es von Belorado bis San Juan de Ortega 24,8 km mit dem Auto vorwärtsgehen.

Bevor wir losfuhren, tauchte noch ein Frankfurter Ehepaar, auch so um und bei sechzig, auf. Das Paar und Josef hatten in Domingo de la Calzada mit den jungen Frauen an dem Nebentisch gesessen. Sie hatte kurze dunkelrot gefärbte Haare und ungefähr meine ”Figur“. Er trug Schnurrbart und hatte kein Gramm Fett zu viel auf den Rippen, der wusste überhaupt nicht, was Speckröllchen sind, na doch - vom Anschauen. Die Frankfurterin beklagte sich darüber, dass er nie vor 8.30 Uhr aus dem Bett findet. So kämen sie immer viel zu spät los und würden dann immer über die Mittagszeit hinaus laufen. Sie war den Camino schon einmal alleine gelaufen und wollte jetzt mit ihrem Mann gehen. So richtig Lust hatte er aber sowieso nicht, auch täten ihm die Schultern vom Rucksack weh. Er schnallte sich frustriert sein Gepäck um. Jetzt sah man auch, warum sein Körper jammerte. Er zog die Bauchriegel nicht richtig fest, so trug er das Gewicht nicht auf den Hüften, sondern die Belastung lag auf den armen mageren Schultern. Na ja, Hüften hatte er ja auch nicht. Josef und wir machen ihn darauf aufmerksam, dass er die Gurte festziehen muss. Wir schickten sie mit dem üblichen Buen camino auf den nassen Weg.

Nun aber zurück zum Taxi. Es ging mit dem Auto hinauf und hinunter, hier eine kurvige Straße, dort ein büsschen Serpentinen und wir fuhren lange – längere – noch längere Zeit. Im Kopf zählte ich schon mal das Geld, was wir noch übrig hatten. Na, ob das reichte? Für eine 10 Minutenfahrt hatten wir ja 20,-- € gezahlt. Beschließe ein gelassenes Gesicht aufzulegen und die Aussicht zu genießen. Wir landeten an der Kirche San Juan de Ortega. Der Taxifahrer nennt den Preis, ich fragte sicherheitshalber noch einmal nach – 35,00 €? Durch die Fahrt hatten wir uns nicht nur die 24,8 km, sondern auch einen Anstieg von 770 m auf 1.160 m erspart.

Die kleine Kirche lud mich zum Eintreten ein, gerne nahm ich die Gelegenheit für unsere drei Kinder je eine Kerze anzuzünden wahr. Endlich wieder warmes flackerndes Licht. Draußen war es aber noch recht kühl, der Regen hatte sich verzogen. Josef meinte, er würde noch eine kleine Strecke laufen. Das taten wir auch. Es ging erst über Waldwege und später durch eine Weidelandschaft mit vielen Bäumen. Hatte mir oft auf dem Weg Bäume als Schattenspender gewünscht, die Sonne schien aber nicht und man brauchte keinen Schatten. Dafür waren die Bäume heute mal da.

Wir pilgerten locker die 3,7 km nach Agés und weitere 2,6 km bis Atapuerca. Auf diesem Stück schoss Wolfgang ein heftiger Schmerz in das linke Bein. Bei jedem Abwärtslaufen fragte ich ihn, ob es noch ginge. Er erwiderte nur – ja, es geht. Gut, dass wir den Tag nur so wenig gelaufen waren.

In Atapuerca angekommen liefen wir an einem Restaurant vorbei, dass ungewohnt nobel aussieht und stießen dann auf die Albergue El Peregrino (natürlich nicht nobel). Es warteten schon mehrere Pilger auf die Öffnung der Herberge, es ist erst 11.30 Uhr und sie würden um 14.00 Uhr öffnen. Habitatión doble war auch im Angebot. Josef kam um die Ecke, er möchte auch ein Zimmer für sich und nicht in ein Sechserzimmer. Josef und ich beschlossen den Ort nach anderen Unterkünften, Hostals oder Hotels, zu durchstreifen. Wolfgang blieb dort als ”Platzhalter“ an der Albergue sitzen.

Versteckt hinter der Kirche entdeckten wir das Papasol, ein Hotel mit Restaurant. Drückten unsere Nasen an den Butzenscheiben platt, sah nett aus. Im Inneren wuselte eine Frau herum, auf dem Schild war die Öffnungszeit 13.30 Uhr angegeben, ich ließ meinen Rucksack bei Josef vor dem Hotel liegen um Wolfgang zu holen. Gemeinsam trabten wir zum Hotel, da saß Josef am Spielplatz vor der Kirche. Ihm war es oben zu kalt geworden. Die Sonne hatte immer noch ihre Auszeit und es wehte ein kalter Wind.

Wolfgang gesellte seinen Rucksack zu Josefs und meinem Gepäck vor dem Eingang. Auf einer Holzbank ließen wir uns nieder, ich schaute zur Seite. Dort gab es einen Bretterverschlag mit dem Hinweis Albergue, da möchte ich nicht hinein. Nach längerer Zeit kam ein Auto vorgefahren und lud Gepäckstücke aus. Das war bestimmt das Gepäck der französischen Luxuspilger. Ich nutzte die Gelegenheit, um nach freien Zimmern zu fragen. Die Frau, die uns bereits vor einer Stunde gesehen hatte meinte nur ”Komplete“, aber Albergue wäre noch frei. Och – nö.

Wir liefen mit Josefs Rucksack bewaffnet zurück, sammelten ihn auf dem Weg ein und stellten fest, dass die Frau uns das ja gleich hätte mitteilen können, als sie uns kommen sah. Wieder an der Herberge angelangt, quakte gerade eine Frau: Wer ist denn hier der Letzte, aber man muss doch sagen können, wer der Letzte war. Das ginge hier schließlich nach Reihenfolge. Inzwischen sind die beiden Blondies (nenn sie ab jetzt so, habe vergessen woher sie kamen und ich habe nur einen Namen gehört, innerlich waren sie nicht ”blond“) die in S.D.d.l.Calzada mit Josef am Tisch saßen, auch hier gelandet. Sie wären in einen Bus gestiegen (also fuhr doch ein Bus), mitten in der Pampa mussten sie aussteigen, warum wussten sie auch nicht. Hatten telefonisch ein Taxi geordert und mussten nur für die Anfahrt des Taxis schon 17,00 € bezahlen.

Mit der Öffnungszeit der Albergue schob auch die Sonne ihre Wolkengardinen beiseite und holte nach, was sie bisher verschlafen hatte. Mit dem Schlüsselrasseln sprangen alle auf, um ja einen Schlafplatz zu bekommen. Geduldig warteten Josef und ich bis wir als Letzte dran sind. Wir bekamen unser Doppelzimmer, Josef nutzte die Kunst des Überredens und erhielt auch alleine ein Doppelzimmer. Wir kamen in ein Extrahaus, wo es nicht nur fünf Doppelzimmer, sondern auch eine Küche und ein Esszimmer gab. Das Zimmer von uns war groß genug zum ”Auspacken“, leider gab es in der Albergue weder Essen noch Trinken.

Schnell waren die üblichen Ankommrituale, duschen – waschen, erledigt und wir durchstreiften den Ort. In einer Bar, gemeinsam mit den Blondies, erfrischten wir uns auch innerlich. Zurück im Garten der Albergue, in der Zwischenzeit ausgebucht, waren die Sitzmöglichkeiten knapp. Setzte mich in den Schatten hinter dem Haus zu Josef auf die Holzbank. Er trug die üblichen Pilgersandalen und meinte, nun täten ihm nicht nur die Beine weh, nein, er hatte auch an der Spitze des mittleren Zehs eine fiese Blase. Er hätte den Fehler gemacht und war vorm Pilgern bei der Fußpflegerin gewesen. Das sah man, seine Zehennägel waren tief im Nagelbett abgefräst. Die dicke Blase scheuerte bestimmt bei jedem Schritt.

Ich erzählte ihm, dass ich bei einer Pilgersendung im Fernsehen gesehen hätte, wie eine Blase mit einer Nadel und Faden durchstochen worden war. Ich fragte Josef, ob ich das bei seinem Fuß machen soll. Seine sanften Augen unter dem gewellten Silberhaar schauten mich bittend an: „Ja tu es.“ Yippie, ich hatte ein Opfer. Geschwind holte ich mein Peregrino-Besteck. Desinfizierte Nadel und Faden und bat Josef mich in den Arm zu kneifen, wenn ich jetzt sage. Das lenke den Schmerz ab, hätte bei meinen Kindern auch immer geklappt. ”Jetzt“, ich durchstach den Zeh, schnitt den Faden ab und wir beobachteten mit zwischen den Beinen herunterhängenden Köpfen, wie der Suppsch am Faden aus der Blase tropfte. Josef sah mich zufrieden an und meinte, er hätte nichts gespürt.

Da wir uns nun schon mal im Krankenlager befanden, erzählte Wolfgang, dass seine Wade ab und an schmerzen würde. Nun war Josef dran, er habe von seinem Arzt extra dafür Pillen mitbekommen, denn seine Beine würden auch immer wehtun. Er holte für Wolfgang eine dunkelrote Kapsel, die er dann schluckte. Ein junger Kölner mit kurzen gekringelten Löckchen berichtete, er hätte auch Probleme mit seinem einen Bein. Er hätte seine Mutter, die Ärztin sei, angerufen und sie habe ihm gesagt er solle sich Diclofinac besorgen. Genau das hatte Josef Wolfgang gegeben. Ich schrieb mir den Namen des Medikaments auf, damit wir es am nächsten Tag besorgen könnten.

Da die Herberge ein sogenanntes Trockendock war, beschlossen die Blondies, Josef und wir, noch in das Lokal am Anfang des Ortes zu gehen. Die Blondies trugen immer einheitliche T-Shirts, hatten längere, ”natürlich“ blonde Haare und waren so ca. 35 Jahre jung. Die schlankere Blondie hatte ein stark geschwollenes, bandagiertes Knie. Sie meinte, ihr Meniskus mache ihr schwer zu schaffen. Wir zogen zu dem Nobellokal, um dort unseren Flüssigkeitshaushalt aufzufüllen. Auf der Terrasse bediente El Camarero freundlichst eine italienische Familie am Nebentisch, sie hatten zuvor im Innenraum gesessen und gegessen. Wir hatten nicht gegessen, wollten nur trinken und wurden unfreundlichst eher nicht bedient. Unsere Störung, wir wollten bezahlen, empfand er wohl als Dreistigkeit. Nach uns knallte er die Glastür zu und schloss ab. Hatte er Angst, wir würden in der Albergue von dem Lokal erzählen und es kämen noch mehr Pilger? Da konnte er völlig sorgenfrei den Abend erwarten, denn in diesem Lokal würden wir bestimmt nicht essen wollen.

In der Albergue waren auch die ”Brünetties“, vom Nebentisch in S.D.d.l.Calzada, gelandet, fehlten nur noch die Frankfurter, aber die kamen nicht. Wir wollten gemeinsam ein Pilgermenu einnehmen. Beim Verlassen der Herberge meinte die schlanke Blondie irgendetwas von föhnen. Mein Unterkiefer ruckte tiefer: Du schleppst einen Föhn mit? Ja, im letzten Jahr wären sie auch einen Teil des Jakobsweges gelaufen, es war immer kalt und hätte ständig geregnet. Das verstand ich schon, aber ich hatte sogar auf Haarfestiger verzichtet, was man meiner Pusteblume schon ansah.

Josef, die Blondies, die Brünetties und wir landeten vor einem nett aussehenden, rustikalen Lokal, eine einzelne Frau schloss sich uns an. Es war 18.50 Uhr, das Lokal sollte um 19.00 Uhr öffnen. Wir, ich hatte endlich Smoke-Gefährtinnen, rauchten eine.

Plötzlich kam ein Pilger, er nächtigte auch in der Albergue, aus dem Restaurant gestürmt und regte sich darüber auf, dass er zehn Minuten gewartet hatte und keiner ihn bediente. Er zog wütend ab und wir um 19.00 Uhr in das Lokal. Tja, wer lesen kann, ist im Vorteil. Es war klein und gemütlich, aus großen Steinen gemauert und mit viel Nippes dekoriert. Schauten uns im Gastraum um, es standen zwei Vierertische und ein größerer Tisch im vorderen Raum. Der Größere war mit Coca-Cola Flaschen und Gläser, Brot und Brotkrümel belegt. Artig warteten wir, bis uns eine Sitzgelegenheit zugewiesen wurde. In Sekundenschnelle hatte der junge - äh, gut aussehende Camarero – eine sogenannte Rarität – den großen Tisch abgeräumt, mit neuer Tischdecke, Gläsern, Tellern und Besteck eingedeckt. Sie hatten ihren eigenen Tisch für uns geräumt.

Mit acht Personen nahmen wir Platz, nett, wenn nur dieses wie überall übliche Riesen-LED-TV-Gerät nicht so laut plärren würde. Als außer uns keiner im Raum war, bog ich meinen Oberkörper zur Seite um an die Fernbedienung zu kommen und das Gerät etwas leiser zu stellen. Schade, leider kam doch einer, guckte mich in meiner schiefen Haltung und dann die Fernbedienung an. Nahm sie und stellte den Fernseher aus. So konnten wir uns doch unterhalten.

Der gut beleibte Besitzer kam, um die Bestellungen aufzunehmen, er erklärte den Pollo mit Hahnenkamm und Pogewackel, den Stier mit den Metal-Hörnern und schwamm eine Runde für den Fisch, bei dem letzten zur Auswahl stehenden Essen war er ratlos. Fast alle entschieden sich für die Suppe als Vorspeise. Wir erfuhren, dass der Josef 71 Jahre alt ist und aus München kommt und verheiratet ist. Er war in Saint-Pied-de-Port gestartet und möchte den ganzen Weg gehen. Die Blondies, hatten jetzt beide ein Glitzer-Shirt an, wollten bis León gehen. Die Brünetties sind verheiratet und liefen immer 14 Tage, mehr würden die Familien nicht zulassen.

Ich warf in den Raum, was sie denn dazu bringen würde zu laufen, mich hätte dieser Zwang noch nicht wirklich erreicht. Oh – da hatte ich ja was gesagt, es ging ein Ruck durch die Körper und sechs Augenpaare starrten mich an. Nur Wolfgang betrachtete seinen Teller. Josef begann, wenn er morgens startet, ist sein Körper voller Freude und will los. Die Brünetties gingen immer getrennt und fühlen sich während des Pilgerns völlig frei. Die Blondies gingen zusammen und fühlten wie Energie in sie ströme. Die Frau, die sich uns angeschlossen hatte, ca. Mitte der Vierzig, meinte, sie wäre im vorigen Jahr mit Ihrem Mann den Weg gegangen, hätte viel abgenommen und ginge jetzt alleine. Sie war so voller Traurigkeit, keiner fragte weiter nach.

Es wurde uns eine kräftige Bohnensuppe serviert. Der Wirt zeigte uns gestenreich, dass wir für den nächsten Tag nun eine Portion Extra-Speed hätten. Die schlanke Frau meinte nur, das könne sie nicht essen und löffelte nur die Brühe. Wir anderen hauten rein, schöpften pure Energie. Das nicht mit dem Körper erklärbare Hauptgericht entpuppte sich als Cordon bleu. Das Gespräch ging weiter übers Wandern, alle stellten fest, dass sie entweder morgens oder abends Magnesium zu sich nahmen. Ach nee, nun war ja alles klar, sie pfiffen sich täglich die Drogen rein und ich nahm nämlich nix. Da hatten wir den feinen Unterschied der Motivation auch geklärt.

Die allein reisende Frau, war schon frühzeitig zur Albergue gegangen. Wir zahlten, es wurde eine Klingel herausgesucht und damit geläutet, denn Trinkgeld ist hier nicht üblich. Josef, die Blondies und wir wollten noch einen Absacker in einer Bar zu uns nehmen. Die Brünetties gingen lieber schon schlafen. In der Bar hatte sich der ganze Ort mit Kind und Kegel versammelt. Der übliche Fernseher war hier nicht ausgeschaltet und trug zur Geräuschkulisse bei. Wir bestellten uns fünf Pacharan und erhielten in rasantem Tempo die gut gefüllten Gläser. Eine Frau schob ihren Kinderwagen hinter der Theke in einen Raum, gefiel ihr wohl nicht so, kam mit dem Wagen wieder heraus und versuchte es auf der anderen Seite. Vielleicht sollte ich noch anmerken, dass es in der Bar ziemlich eng war.

Der Wirt bediente alleine, er hatte die üblichen – ich arbeite viel und oft die Nacht durch Triefaugen – er litt an ausgedehnten Geheimratsecken, als Ausgleich trug er einen spitteligen Zopf. Fröhlich tanzte er mit den Gläsern und Flaschen hinter der Theke, wischte sich kurz die Schweißperlen von der Stirn und wedelte mit den Händen nach dem Motto – hey, will hier keiner mehr etwas zu trinken? Lachte witzelte dabei fortwährend mit seinen Gästen. Die pure Lebenslust quirlte nur so durch den vollen Raum. Da wir ja am nächsten Tag wieder ein Date mit unseren Wanderschuhen hatten, bezahlten wir unsere Longdrinks. Oh man, nun hüpfte der Wirt aber erst richtig und haute kräftig gegen die Glocke über der Theke. Er hatte 50 Cent Trinkgeld bekommen. Nun aber ab in Bett. War es der Wein oder der Pacharan, ich schlief sehr gut.

Atapuerca – Burgos

Am Morgen des 23.05.2011 sollte es von Atapuerca bis nach Burgos 20,8 km gehen. Bevor wir uns auf den Weg machten, wurden jetzt nicht nur die Füße mit Hirschtalg getätschelt, wie üblich wieder der Rucksack eingepackt, sondern auch noch ein Tütchen Magnesium gezogen. Die Bäckerei, Panaderia las Cuevas, hatten wir schon am Vortag besucht, hier könne man gut Frühstücken. Stimmte. Nachdem man sich durch den Dschungel der Rucksäcke vor der Eingangstür gezwängt hatte, betrat man einen Ort der köstlichen Gerüche. Zwei nette junge Frauen in weißen Schürzen bedienten die hungrigen Pilger. Wir bestellen, ach schon wieder, Bocadillo con jamón und erhielten nicht wirklich belegte Brötchen, es waren zwei ca. 30 cm lange und 8 cm hohe dick mit Schinken belegte Brote. Fein, so war auch gleich die Zwischenmahlzeit geklärt.

Es war angenehm kühl und der Hochnebel hielt die Sonne in Zaum. Die erste Strecke zur Matagrande Hochebene, ich möchte damit andeuten, dass es 2,1 km bergauf ging, liefen wir durch Wald und der Boden bestand aus grasbewachsenen größeren Steinen. Wolfgangs Bein erzählte keine Krankengeschichten, alles war gut. Fast oben angekommen liefen wir an einer mit Stacheldraht eingezäunten Schafweide vorbei. Überall lag Fell herum, vor mir auf dem Weg liegt ein kleines schwarz-weiß geflecktes Bein, an der Seite vor dem Zaun liegt ein heller Hund, alle Viere von sich gestreckt. Ich war geschockt, überlegte, was kann es hier nur für große bösartige Tiere geben, die hier so ein Massaker veranstaltet hatten. Kann sich ein Hund nicht besser wehren als ein Mensch. Hoffentlich sehen es die anderen nicht, sie haben alle Hunde.

Kurz vor der Hochebene rasten Millionen winzige Tröpfchen auf mich zu, ich muss unbedingt später nachsehen, was auf den Magnesiumtütchen steht. Liegt es an den Drops? Oder dass man heute nicht über Schottergestein walzte, ohne größere Anstrengungen erreichten wir die Matagrande Hochebene. Hier oben gab es über uns keine Wolken mehr. Wär auch ein blödes Foto für den Japaner, der sich von Wolfgang am mit Steinen umlegten Gipfelkreuz knipsen ließ. Der Dunst lag jetzt über dem Tal, in weiter Entfernung sah man nur die Flügel von Windkrafträdern, als wenn sie Watte durchmischen würden.

Mache am Kreuz von Wuschi das zweite Stelzfoto, der Fotograf brauchte ja auch Beweise, dass er gelaufen war. Der Japaner hatte sich aus einem Hackenporsche und seinem Rucksack eine Konstruktion gebaut. Bei Bedarf konnte er sein Gepäck auch ziehen. Wer in Dänemark mit Kleinkind und Schirmbuggy (mit auch so hübschen kleinen Rädern) Urlaub gemacht hatte, weiß, das kann nicht wirklich funktionieren, es sei denn, man ist wild darauf eine Tonne Kies oder Schotter vor oder hinter sich herzuschieben.

Es ging nun steil bergab, der Nebel zog sich mehr und mehr zurück und gab den Blick auf den nächsten Ort Cardeňuela de Ríopico frei. Die Steine wurden wieder zu Schotter, die Wege hatten meist eine Breite von 1,5 bis 2 m. Oft war eine Spur von ca. 30 cm (eine Bocadillobreite) steinfrei gelaufen, die man natürlich auch nutzte. Meine Befürchtung war zwar, dass über Nacht neue Steinchen auf den Wegen verteilt wurden. Es war ja schließlich ein Pilgerweg und kein Spazierweg.

Zügig erreichten wir den Ort für unser ausgedehntes Päuschen. Da auch die Blondies hier Station machten, wurden gleich zwei Zigaretten geraucht, schlechter Einfluss. Bei der schlankeren Blondie quetschte sich eine riesige Beule, war wohl das Knie, aus ihrer Beinbandage. Mit Buen camino zogen wir weiter Richtung Burgos.

Wir pilgerten ziemlich entspannt weiter bis wir unter einer Brücke hindurch, über eine Brücke und damit die Autobahn überquerten. Man konnte schon mal einen Blick nach Burgos werfen. Die ganze Zeit waren Pilger vor oder hinter uns. Es sollte um den Flughafen herum gehen. Alle Läufer bogen links ab, wir nicht, der Pfeil zeigte die Richtung geradeaus. Wir wanderten an der Landstraße um den Flughafen herum. Weit und breit keine Menschenseele, sonst hatte man ja selten die Möglichkeit alleine zu pilgern, aber diesmal gab es so ein – hä? - Gefühl. Hier stimmte doch irgendetwas nicht, das Flughafengelände nahm kein Ende.

Am Horizont tauchte nicht nur eine Brücke, sondern auch etwas Helles und Rotes auf ihr auf. Ich beobachtete, wo die Punkte sich hinbewegten, sie hoben sich dann gut von den dunkelgrünen Wiesen durch die sie liefen ab. Wir legten dann einen Schlag zu, um zu verfolgen, wo sie abblieben. Wir hatten den Vorort Villafria und das Pilgerpärchen, die sich gerade bei einem Spanier nach dem Bus der nach Burgos hineinfährt erkundigten, erreicht. Mit einem verschmitzten Lächeln und Handzeichen, forderte uns der kleine ältere Pilger auf, ihnen zu folgen.

Wir landeten an der Busstation vor einer Kirche. Bis zur Abfahrt dauerte es noch 20 Minuten. Wir suchten ein Schattenplätzchen immer mit Blick auf die Bushaltestelle, denn durch das Industriegebiet von Burgos wollten wir nicht laufen. Die Kirche, ich durfte nur einen Blick durch die geschlossenen Gitterstäbe werfen, war mit einem Storchennest an der Spitze belegt. Vielleicht bauen sie ja ihre Nester nicht wegen der guten Aussicht, sondern weil das vibrierende Gefühl im Bauch, wenn die Glocken – sie hatte Fünf davon - bimmeln, so eierfördernd ist.

Da kamen auch die Blondies, das Knie sah noch schlimmer aus, angelaufen und auch der Bus. Es war ein Linienbus, der alle 100 Meter hielt. Wenn ich wissen wollte, ob wir schon aussteigen mussten, brauchte ich mich nur zu dem älteren Pilgerpärchen, es waren Franzosen, umdrehen. Er machte mir durch absenken der Handflächen vor dem Bauch klar, dass wir noch nicht aussteigen sollten. Wir fuhren an vielen Pilgern vorbei. Na und.

Fuhren bis zur Endstation und landete im Centrum von Burgos, überquerten die Brücke über den Río Arlanzón. Dort bot sich uns gleich ein **Hostal das Hotel Espana an, die Blondies stiefelten hinein und wir hinterher. Die Frage nach freien Zimmern und dem Preis wurde mit ja und Kostenpunkt 50,-- € geklärt. Das ging aber mal schnell. Die Zimmer seien aber noch nicht fertig. Machte nix, den wir hatten einen größeren Einkaufszettel.

Diclofinac, eine Bandage für Wolfgangs Bein und Briefmarken für den ersten Postkartenschwung mussten unbedingt besorgt werden. Mein Koffein Haushalt war auf die Grenze des Erträglichen abgesunken. Gegenüber des Hotels ist das Teatro Principal mit Café im weitläufigen Paseo (Park) del Espanóla. Bei der Bestellung im Café, sah innen sehr schnieke aus, schaute ich vor der Theke nach unten. Auf dem Fußboden lagen überall leere Zuckertütchen, muss ein Ritual sein, das ich noch nicht kannte. Nach dem Genuss von Cerveza (Bier) und Latte konnte unsere Shoppingtour beginnen.

Ein grünleuchtendes Kreuz bedeutet hier Apotheke. Erste Apotheke. Ich ziehe meinen Zettel mit dem notierten Namen – Diclofinac – heraus. Der Apotheker kommt mit einer Pillenpackung. Ich öffne Sie, es sind keine Kapseln, sondern kleine beige Pillen. Ich schüttelte den Kopf, das wäre nicht richtig, es müssten dunkelrote Kapseln sein, deutete mit den Fingern 1,5 cm an, außerdem hießen die Pillen Diclofenaco. Nein, die wollte ich nicht, lass mir hier doch nicht irgendein Medikament andrehen. Wolfgang bestellte nun eine Bandage, packte sie aus, zog sie einmal in die Breite, probierte sie an und meinte: Passt. Ich kenn ja seine ”strammen“ Waden, würde eher sagen, passt nicht.

Inzwischen war es bereits 14.00 Uhr und das Zimmer war wohl fertig. Zurück im Hostal schnappten wir uns den Schlüssel, warfen uns die Rucksäcke über und zwängten uns in den schlank gebauten Fahrstuhl. Die Fliege blieb draußen, sie hatte im Fahrstuhl keinen Platz mehr gehabt. Wir liefen den langen Flur zu unserem Zimmer.

Das Hotel muss früher – viel früher – sehr exquisite gewesen sein. Als es noch Etagenbadezimmer gab. Man hatte aus dem begehbaren Schrank ein Badezimmer gefertigt. Irgendwo musste die Feuchtigkeit des Duschdunstes bleiben, hier versammelte sie sich an der Decke und gedachte nicht diesen Platz zu verlassen, es war eher die Jahreshauptversammlung der Deutsche Bank Aktionäre, eine schwarze Sippe. Die Wäsche trocken zu bekommen wird ein ”kleines“ Problem. Die Fenster bildeten einen Halbkreis, hatten davor eine balkonähnliche Eisenverzierung, nur leider fehlte der Balkon dazu. Wir hätten uns im Theater erkundigen können, ob sie zurzeit ein modernes Stück aufführen. Dann hätten wir ja unsere Höschen zur Schau stellen können. Ziehen sich ja in den meisten Stücken sowieso aus. Statt der Theaterplakate unsere Wäsche, wenn`s an die Wäsche geht.

Das Zimmer hatte eine großzügige Fläche, breite Betten, ein Sessel, ein Sekretär mit Stuhl und ein Schrank überfüllten nicht den Raum. Suppa, genug Platz zum ”Auspacken“. Nach dem Duschen drapierten wir unsere nassen Kleidungsstücke an diversen von der Wand abstehenden Badezimmergegenständen, sodass sie so wenig ”Feindberührung“ wie möglich hatten. Die Fenster sahen von außen ja nett aus, bei näherer Betrachtung musste man erkennen, dass Eisenfensterrahmen nicht so eisern durchhalten. Der Rost wechselte sich mit grünen Stellen ab, könnte ehemals Farbe gewesen sein oder ich hoffte, dass es alte Farbe war. Nein, ich prüfte es lieber nicht nach. Der verranzte Teppichboden passte zum Rest.

Unser Einkaufszettel musste noch verkürzt werden und wir verließen unser ”Nest“. Die Post lag auf der anderen Seite des Flusses. Wir landeten in einem riesigen Saal mit ca. 20 nummerierten Schaltern. Über den Schaltern leuchteten Hinweise, wir waren irritiert, holländisches Hightech, überall Blinkerblinker. Eine Anzeige wechselte die Zahl, aha, die musste etwas bedeuten. Ganz klar, Nummernvergabe, hier musste irgendwo ein Apparat stehen. Hatte ich erwähnt, dass wir nur popelige Briefmarken holen wollten? Wir fanden im Entree einen Automaten, ich drückte das Feld, von dem man annehmen könnte, dass es sich um Postwertzeichen handelte. Mit einer empfangenen Nummer in der Hand gingen wir zurück in den saalartigen Raum. Zügig wurde unsere Nummer mit der Angabe des Schalters angezeigt. Ich hatte eine Postkarte mit, zeigte auf das Briefmarkenfeld und sagte once (11). Sie nahm mir die Postkarte aus der Hand, holt umständlich eine Mappe aus einer Schublade, schaute sich interessiert die zur Auswahl stehenden Marken an, vielleicht kannte sie die noch nicht und klebte nach dem sie sich entschieden hatte, eine Schmetterlingsmarke auf die Karte und nannte den Preis. Stur wiederholte ich noch mal once por favor. Sie rückte dann doch noch zehn weitere Briefmarken aus der Mappe. Ob Postmitarbeiter überall gleich sind?

Wir benötigten auch noch Bares und neben der Post gab es auch die Deutsche Bank, wie sinnig, mit einem Automaten, der von der Straße nicht beobachtet werden konnte. Als wir in einem anderen Ort uns Geld gezogen hatten, durften wir nicht mehr als 300,-- € abheben. Die Deutsche Bank war großzügiger, wir bekamen sogar 600,00 €. Die folgenden Tage ging es durch kleinere Orte und die einzige Bank die sie haben wird eine Sitzbank sein.

Zurück im Centrum beäugten wir, welche Apotheke denn nun kompetent sein könnte. Es gab ja auch welche mit rotem Kreuz, hinein ins Vergnügen. Der nächste Apotheker sah in seinem Computer nach dem Medikament, nein, das würde es nicht geben. Er wollte mir partout auch solche kleinen beigen Pillen andrehen. Sind wir hier auf dem Basar? Ab in die Nächste. Nun hatten wir eine Frau Apothekerin, ich beschreibe zu dem Namen Diclofinac auch die Größe und Farbe. Sie kommt mit einer Packung, ich öffnete sie, siehste, es waren dunkelrote Kapseln. Ach und Magnesium brauchte ich auch noch, sie schaute mich verwirrt an, holte dann noch eine dunkelgrüne Röhre mit Tabletten, Magnogene. Wir zahlten für die Pillen sage und schreibe 2,85 € und zogen ab.

Auf der Plaza Mayor, in jeder Stadt und auch im kleinsten Ort wurde der Name für einen Platz vergeben, hatten sich junge Leute versammelt und Plakate ausgehängt. Wir mussten nur noch zweimal um die Ecke und landeten vor der Kathedrale von Burgos. Bevor wir austrockneten wollten wir doch lieber Getränke zu uns nehmen. Mein allerbester Mann brachte nicht nur Cerveza, sondern auch eine Schale Tapas mit. Eingelegter Pulpo mit in Rauten geschnittenen Paprika. Eine kleine Gaumenfreude zwischendurch. Ich holte die Pillenpackungen aus der Tüte und überprüfte unseren Einkauf. Das Röllchen Magnogene, klar und deutlich stand da Magnésico. OK, meine gewünschten dunkelroten Kapseln, Notosil cásulas, was stand denn auf dieser Packung – oh – Metamizol Magnésico. Fein, nun hatten wir für den Rest des Caminos genügend Magnesium aber nix für schmerzendes Bein.

Wir freuten uns, als Josef zu uns stieß, sich auch für die gleichen Tapas entschied und ein Bierchen mit uns trank. Er verstand nicht, dass wir Diclofinac nicht bekamen. Josef und ich sahen mitleidig auf Wolfgangs Bein. Ich erzählte Josef, dass ich im Vorbeigehen auf einem Stellplakat einer Bar Ossobuco gelesen hätte. So schön in Rotwein geschmort, oh ja, meinte Josef, mit Zwiebeln, ich fügte noch rote Paprika hinzu. Dabei schauten wir unentwegt auf Wolfgangs stramme Wade. Ungehalten meinte Wuschi, wir sollten doch den Förster holen. Josef und ich sahen uns an und wir brachen in einen exzessiven Lachkrampf aus, bis die Tränen kullerten. Zum Verständnis, eine Magersüchtige würde Wolfgangs Wadenumfang bei ihrer Taille nicht dulden.

Die beiden Witwen, die wir zuvor getroffen hatten, setzten sich auch zu uns an den Tisch. Tief in den letzten Gehirnwindungen fällt mir ein, dass die mit den halblangen Haaren Marianne und die andere mit den dunkelroten Haaren Carola heißt. Sie kamen noch mit den Rucksäcken beladen und suchten noch eine Unterkunft. Die beiden fröhlichen Frauen kommen aus Aachen. Eine hatte halblanges mittelblondes Haar und einen ausgeprägte breiten Mund, der sich auch gerne bewegte, zwischendurch fuhr beim Sprechen des Öfteren die Zunge über die kräftigen Lippen. Burgos sei ihre letzte Station, den nächsten Tag wollten sie irgendwie durch Spanien nach Frankreich, um von dort aus mit ihrem Auto zurück nach Hause zu fahren. Wir erzählten ihnen, ein Bus würde bis nach Bilbao fahren, von dort fuhr die Bahn bis nach Frankreich. Die Idee gefällt ihnen. Die Aachenerin mit den kürzeren rötlichen Haaren blieb mit dem Gepäck bei uns sitzen. Die Zweite wollte eine Übernachtungsmöglichkeit suchen. Sie bevorzugten Refugien im Kloster oder in der einfachsten Herberge.

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9783752962598
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