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Estella – Torres del Rio

Wolfgang hatte den Outdoor Reiseführer intensiv studiert. Die Strecke nach Villamayor de Monjardín ging 9 km immer bergauf und weiter nach Los Arcos 12,9 km ohne Wasserstelle, auf dieser Strecke würden die ersten fetten Blasen entstehen. Hieß natürlich auch ohne Bar - Käffchen für mich. Am Vortag hatten wir eine Bushaltestelle entdeckt und beschlossen einen Faul–, Bus-, Relax-, Fußschontag einzulegen. Pause – erst mal Pause – die ersten fetten Blasen wollten wir mal nicht.

Frühstückten in einer Bar. Leider gab es nur besonders süße Croissant, Wolfgang schüttelte sich, Jamòn (Schinken) schmeckte eben anders. Kauften Bustickets für unglaubliche 1,81 € pro Person. Der Bus fuhr erst um 10.45 Uhr. Gegenüber der Bushaltestelle gab es einen Park, wo wir uns auf eine Bank setzten und unsere Notizbücher (ich mit den ersten und letzten Zeilen) bearbeiteten. Die Sonne schien, eine gute Gelegenheit unsere noch nassen Bekleidungsstücke(außer den Höschen, die waren zum Glück trocken) auf der Bank auszubreiten, um sie vielleicht doch noch trocken zu bekommen. Der Weg kann ja so entspannend sein!

Zwei Bänke neben uns las eine ältere Frau ein Buch, durch Drehen in alle Richtungen bot sie Ihren Körper den Sonnenstrahlen zum Wärmen an. Man spürte den Genuss, den sie dabei empfand. Ihr Mann dachte bestimmt, sie ist nur einkaufen gegangen.

Es ist kaum möglich, hier in den falschen Bus einzusteigen. Jedes Ticket wird beim Einsteigen kontrolliert. Auf dem Ticket stehen der Zielort, die Busnummer, die Abfahrtszeit und auch eine Platznummer. Das hatten wir nach einer halben Stunde im Bus von Bilbao – Pamplona entdeckt. Wir wunderten uns, wieso schauten alle beim Einsteigen so intensiv erst auf ihr Ticket, betrachteten das Fenster und setzten sich erst dann? Na suppa, auf dem Ticket waren die Platznummern, die auch am Fenster angeschlagen waren. Ganz leise nahmen wir dann unsere richtigen Plätze ein.

In Los Arcos angekommen, klar, rein in die erste Bar. Wolfgang und ich aßen ein Bocadillo con jamón und tranken Café. Kauften uns noch Bananen und eine Orange auf dem kleinen Markt vor der Bar und mit frischem Mineralwasser naturell füllten wir unsere Getränkeflaschen. Wollten doch noch die 8 km nach Torres del Rio laufen. Es war ca. 12.00 Uhr, als zwei Pilger stöckelnd um die Ecke der Bar kamen. Holland. Sie hätten in der Albergue in Lorca geschlafen, seien am Morgen um 6.00 Uhr losgezogen und bereits 28 km gelaufen. Alles ganz – ganz toll. Sie waren überhaupt nicht verschwitzt und rechnen kann ich auch. Ich beschloss, kein Wort zu glauben, der Bus fuhr wohl stündlich.

Wir laufen gelassen bergauf an Sansol vorbei, beim Anblick des Dorfes war ich schon der irrigen Meinung, wir hätten unser Ziel erreicht. Nein, der Weg knickte ab und hatte noch einige kleine Wegspäßchen für uns in Petto. Extrem abschüssige Wege, wo ich noch dachte – für die nächsten Fahrradfahrer war´s das wohl – aber dann tauchten sie schon vor uns bei der nächsten Steigung wieder auf. Respekt.

Am Ortseingang prangt ein Werbeschild der Albergue Casa Mariela – es wurde auch Massage angeboten. Wir stiegen die Straßen des Dorfes Torres del Rio hinauf.

Unsere übliche Frage nach einem Doppelzimmer wurde verneint. Aber zwei Betten á 7,00 € wären noch frei. Mit ”Desayuno“ Frühstück? ja, 3,00 € pro Person, mit Menu? ja, 10,00 €. Also unsere Ernährung war schon mal abgesichert. Wanderschuhe ausziehen, ab nach oben. Uns wurden zwei Betten in einem 10-Bettzimmer (5 x 2 Etagenbetten)zugewiesen. In unserem Raum, er hatte eine Größe von ca. 18 qm, waren außer mir nur Männer, Spanier. Neben unserem Zimmer gab es noch einen 10-Bettraum. Das Stockwerk darüber war wohl identisch. Es gab eine Dusche, ein WC, davor zwei Waschbecken. Ich knotete zuerst unsere Wandersocken an die Wäscheleine vorm Fenster. Geduscht und Wäsche ausgewaschen. Upps, wo waren denn die Socken, die hingen vor dem anderen Raum, die Wäscheleine konnte man ziehen und war jetzt vollgehängt.

Wir sind durch den Ort gelaufen, denn es dauerte noch, bis es endlich 19.00 Uhr war und wir zum Essen gehen konnten. Fanden noch eine andere Albergue, sah viel netter aus. Mit Mini Pool, Terrasse und einer aus groben Steinen gebauten Bar. In der Bar, hinter der Theke stehend, erzählte uns eine junge Frau (Polin?) ihre Camino-Geschichte. Sie sei Studentin, wollte für ein Filmprojekt Material sammeln und hätte hier ihre Liebe gefunden. An der Wand über einer Tür hingen Wappen, ein Wappen wäre mit ihrem Ketten-Anhänger identisch, so war sie mit dem Besitzer der Bar ins Gespräch gekommen und wäre nicht weitergelaufen. Ich schaute ihn mir an, stellte fest, ich wäre weitergelaufen.

Auf dem Rückweg begegnet uns Paula, ooh, my name is Paula. Sie käme aus San Francisco. Paula ist sehr groß und schlank, hat blondes, gelocktes, halblanges Haar.

Ich schätzte sie auf ca. 45 Jahre. Sie hinterließ einen fröhlichen Eindruck bei uns, sie zog mit wehendem langen Rock weiter. Vor unserer Albergue kamen wir mit einer jungen Französin ins Gespräch. Nein, sie wohne nicht in der Albergue, sie würde hier nur ihre Wäsche waschen. Sie hätte kein Geld, würde nur draußen schlafen. Die ganze Wäsche auf dem Wäscheständer gehörte ihr. An Betracht der Masse, Schlafsack etc. kommen ja noch dazu, muss sie mit einem Handkarren durchs Land ziehen.

Oben im Raum pflegten die Spanier ihre von Blasen betroffenen Füße, es wurden Tape aufgeklebt, Blasen durchstochen, gecremt und natürlich gegenseitig massiert. Was die angebotene Massage auf dem Werbeplakat am Ortseingang betraf, war ernüchternd. Es handelte sich um einen ”Elektrischen Stuhl“ dabei wurden die Füße, nur die Füße, 10 Minuten in einer wabbelnden Plastik-Manschette hin und her bewegt. Paula tauchte auf, angelockt vom Massageangebot, das Wabbelgerät war bereits besetzt. Sie konnte in unser Zimmer sehen, schaute den Männern beim Durchwalken der Füße zu. Ooh yeah, das wolle sie auch. Zack, lag Paula auch schon auf einem der unteren Betten und hatte für jeden Fuß einen Spanier. Man sah, es war der pure Genuss.

Ab zum Restaurant Marie, setzten uns zu dem Schweizer aus unserer Albergue. Im März war er in der Schweiz losgegangen, laufe täglich 30 km und hatte so schon eine Strecke von 1.700 km hinter sich. Diese flachen Strecken mag er nicht so gerne. Suchte in meinem Gedächtnis, überlegte, welche flachen Wege meinte er eigentlich?

Na gut, ein Schweizer!! Seine Frau wollte auch etwas unternehmen und wäre für drei Monate zum Spanisch Kurs in Sevilla. Er meinte gegen Schlafstörungen helfe nur genügend Rotwein am Abend. Der sympathische Schweizer wird keine Probleme beim Einschlafen haben. Der Rotwein war alle. Von uns bekommt er noch ein ¡Buen camino! mit, wir wussten, dass wir ihn nicht wieder sehen.

Zurück in der Albergue nahmen wir unsere trockene Wäsche von der Leine. Ich kann sogar unsere Socken wieder an Land ziehen. Wolfgangs linkes Knie schmerzte, er bekam von mir Tanjas Wundermittel 5 Globuli Rhus toxicodendron verpasst. Schrieb noch schnell SMS an die Kinder, breitete meinen Schlafsack im oberen Bett aus, legte mein Seideninlett darauf, stopfte die Schachtel mit Ohrenstöpsel unter das Kopfkissen und hüselte mich über die ”Leiter“ in das obere Bett. Schlüpfte in das Inlett, gar nicht so einfach, schlafbereit. Es war 21.00 Uhr und wir waren todmüde.

Es begann die Pilgernacht. Ein Pilger nach dem anderen öffnete die Tür, holte etwas und ging wieder hinaus, kam wieder und legte sich ins Bett. Dies wiederholte sich 1/2–stündlich bis alle 10 Betten belegt waren. Der letzte Spanier machte etwas, was ich überhaupt nicht ab kann, er schloss die beiden Fenster. Einer schnarchte laut – sehr laut. Ich beugte mich zu Wolfgang hinunter: „Hey bist du das?“ Von unten kam nur: „Nein, ich bin das nicht!“ Es war der Spanier, der die Fenster geschlossen hatte. Na klasse, ich grabbelte nach meiner Packung Ohrenstöpsel, sie rutschte mir aus den Fingern und fiel hinab. Mist!! Oft hörte man, dass die Tür auf und zu ging. Pilger müssen auch in der Nacht auf die Toilette. Ich auch. Ich lag eingedrechselt in meinem Inlett und traute mich nicht, in dem stockdunklen Raum, das Bett über die Leiter zu verlassen. Irgendwann schlief auch ich ein.

Es war immer noch dunkel und es kam leise Leben in die Bude. Hier wurde gekruschelt, dort wurde gekruschelt. Ich pellte mich aus meinem Inlett, schnappte mir meinen bereitgelegten Wasch- und Zahnputzbeutel. Endlich auf die Toilette. Die Lichtquellen in der Dusche und dem WC gingen automatisch aus. Auf der Toilette musste man von dem Lichtschalter bis zur Toilettenschüssel 3 m gehen. Man war fast am WC, da ging das Licht aus. Dieses Spiel wiederholte man, bis man Toilettenpapier in der Hand hatte und sich gemerkt hatte, wo das WC stand. Oder natürlich feststellte, dass das Papier alle war. Es war keins da.

Ich war entnervt, unausgeschlafen raffte ich meinen Rucksack, Inlett und Schlafsack zusammen. Schmiss alles auf den Folterstuhl und packte ein. Wolfgang fragte mich, was den los wäre. Ich grummelte nur: „Fenster geschlossen, Schnarcher, Erstickungsanfall, ich will hier raus.“ Wolfgang sammelte seine Sachen auch ein, runter zum Frühstück.

Es gab ein halb volles Glas Orangensaft, einen plörrigen Kaffee, drei Zwieback und drei trockene Kekschen, Minibutter, Marmelade. Das machte mich auch nicht gelassener. Wolfgang trank nur Kaffee und Saft. Ich war immer noch auf 100+, schnallte mir den Rucksack auf. Wieso ist denn mein Gürtelfach offen? Fasste hinein, mein Handy ist weg. Na, das passte ja prima, nun hatte ich aber die 200+ erreicht.

Der Albergue Vater suchte mit mir verzweifelt das Zimmer ab. Nix. Er ließ sich meine Rufnummer geben und rief an. Nix. Bemerkte nur, es wäre eh ausgeschaltet. Gut das ich die Prepaid-Guthaben noch nicht aufgeladen hatte.

Torres del Rio - Logroño

Wir stiefelten am 18.05.2011 in Richtung Logroño los, zu laufende 21 km. Wolfgangs Knie war wieder friedlich. Es ging durch Weinberge über die üblichen Schotterpisten, immer schön rauf und runter. Ein kleiner verwilderter Park an einer Kirche mit Sitzgruppen aus Stein lud uns regelrecht zur Pause ein. Etwas entfernt saßen – ich nenn sie jetzt mal meine Chevaliers, – zwei Franzosen. Der Größere hatte volles weißes Haar und einen weißen Seidenschal um. Sein Compañero (Gefährte)ist etwas pummelig und hatte kaum Haare. Sie hatten nicht nur ihr Frühstück, sondern auch ihre Füße ausgepackt. Beim Anblick der mit Pflaster und Watte bestückten Füße wedelte ich mit der Hand und schickte ein internationales – oh haua haua ha – hinüber. Sie lachten uns an und wirkten sehr zufrieden. Wir stärkten uns mit Energiestangen (Bananen) und Wasser. Ein Ort zum Innehalten. Mit gegenseitig zugerufenem ¡Buen camino! verabschiedeten wir uns.

Weiter ging es zum belebten Ort Viana, endlich einen Café con leche und Bocadillo. Wir trafen Paula wieder, sie hatte ihre Sticks verloren und kaufte sich neue Stöcker. Wolfgangs Rucksack stand vor mir, komisch, was hatte er denn da in der vorderen Tasche? Ich tippte vorsichtig mit dem Finger auf die Tasche – ich glaubte es ja nicht – öffnete die Tasche und? - da war mein Handy. Manchmal bin ich eine ganz schön blöde Else.

Wolfgang ging noch Wasser besorgen. Mich lockte die gegenüber der Bar stehende Kirche Santa Maria an. Ich wollte für unsere Kinder drei Kerzen anzünden. Diese Kirche war so, wie ich sie mag, bescheiden, nicht wie sonst üblich mit Gold überladen. Neben dem Altar stand eine ca. 80 cm kleine Marienfigur, sie war angestrahlt. Von irgendwoher erklang leise klassische Musik. Ich setzte mich, schaute die Marienfigur an und hatte das Gefühl sie sah mich auch an. Ich schämte mich für meine schlechten Gedanken (Diebstahl?) am Morgen. Tränen liefen mir über die Wangen. Blieb noch einige Zeit in der Kirche, wollte auch noch niemanden sehen.

Wir füllten unsere Flaschen auf, den Rest nahmen wir in den Gekauften mit. Holland kam, es war Zeit zum Gehen. Schnell wurde es wärmer, kaum schattenspendende Bäume oder Sträucher. Auf einmal knallte es an meinem rechten Ohr. Erschrocken schaute ich mich um, was war das denn? Da war keiner. Nahm meinen Rucksack ab – aha – von meiner Trinkflasche war das obere Teil abgeflogen. Suchte noch eine Weile im Gras nach dem Verschluss. Ursachenforschung, das besorgte Wasser entpuppte sich als Energie-Limonade. Die ”Energie“ hatte sich schon mal entladen, das Zeug schmeckte fürchterlich. Bei jedem Pausentrank schüttelten wir uns – bäh!

Unter einer Brücke machten wir einen Schüttelstopp, da das einer der wenigen schattigen Stellen war, lagerten dort vier Frauen. Es waren Amerikanerinnen, zwei Junge und zwei Ältere. Sie schmierten sich mit einem Spork (vorne Löffel, hinten Gabel, an der Seite Messer) Brötchen mit in Tomatensoße eingelegtem Fisch.

Komisch, nur der Anblick der Brötchen signalisierte dem Magen: Ich will das auch. Viel schlimmer war der Durst. Unser Getränk klebte den ganzen Rachen zu. In der Ferne war Logroño schon zu sehen. Liefen dann noch über lange Teerwege bis wir endlich Maria unter dem Feigenbaum erreichten. Bei ihr holten wir uns schön gekühltes Wasser und den besonderen Stempel. Wasser, Genuss pur. Beidseitig der Teerpiste vor Logroño waren Wiesen, die fast nur aus leuchtend rotem Mohn bestanden.

Gleich auf der Brücke über dem Rio Ebro war die Informatión del peregrino. Da auch wir lernfähig waren, holten wir uns einen Stadtplan. Ich suchte nach Hostal**, wir hatten tatsächlich gleich das Hostal gefunden. Es war das La Numantina und ein Doppelzimmer war auch noch frei. Man das war ja diesmal ganz einfach. In einem gemütlichen, großzügigen Raum standen zwei große Betten. Ich schaute mir das Bad an, die grünen Kacheln kannte ich doch. Ich hatte dieses Hostal bereits zu Hause im Internet angeschaut. Wir fühlten uns auf Anhieb wohl.

Wolfgang packte mal wieder seinen ganzen Rucksack aus und verteilte überall seine Tütchen und Bekleidungsstücke. Ich suchte immer nur die Dinge aus dem Rucksack, die ich benötigte und packte den Rest gleich wieder ein. Auf dem Stadtplan stand, dass es in der Straße eine Markthalle gibt. Frisch geduscht erkundeten wir die Stadt. Schauten uns die Öffnungszeiten der Markthalle an, prima, sie öffnete um 7.30 Uhr. Wir wollten uns am nächsten Tag etwas zum Frühstücken für unterwegs besorgen.

Der Hunger trieb uns durch die Straßen. In Spanien wird aber erst ab ca. 20.00 Uhr gegessen. Endlich in einer kleinen Gasse entdeckten wir ein Restaurant, vor dem einige Spanier saßen. Altes Gesetz im Ausland, suche dir ein Restaurant, wo Einheimische essen. Diese Spanier hatten aber nur getrunken, das merkten wir aber zu spät. Wir setzten uns und wollten das Pilgermenu essen. Der Camarero (Kellner) trug ein helles Hemd und eine schwarze Hose an seinem dürren Körper. Seine Kleidung hatte sehr lange kein Wasser außer dem Schwitzwasser seiner Poren gesehen. Halblange Haare konnten sein gelangweiltes Gesicht nicht umwehen, denn sie waren fettig. Wieso hatten wir uns nicht einfach ein Getränk bestellt und sind wieder gegangen? Wir fragten nach dem Pilgermenu. Unfreundlich antwortete er gequält - Schneidezähne hatte er auch nicht - es würde erst ab 19.00 Uhr Essen geben. Es war 18.30 Uhr und wir blieben ungerührt sitzen. Wieder hatten wir den Moment verpasst, um zu gehen. Wütend stapfte er ins Lokal, kam wieder – ja, wir könnten essen. Das perlte so an uns ab. Das Essen war wie der Camarero, schlecht! Schon wieder etwas gelernt, wenn Spanier nur trinken, sollte man auch nur trinken.

Zurück im Zimmer schlüpften wir frühzeitig ins Bett. Es war kuschelig und bequem. Auch hier war eine Kirche in der Nähe, aber die Glocken klangen eher sanft wie Klangschalen und lullten mich in einen seligen Schlaf. Bei geöffnetem Fenster natürlich. Was für eine schöne Nacht.

Logroño - Nájera

Am 19.05.2011 hatten wir uns eine Strecke von Logroño bis Ventosa 19,2 km vorgenommen. Es war Zeit, gleich sollte die Markthalle öffnen. Wolfgang packte alles wieder in den Rucksack. Wir stiefelten über die Straße zur Markthalle.

Was versteht man unter einer Markthalle? Lebensmittel aller Art: Wurst, Käse, Obst, Gemüse, Brot frisch und dekorativ ausgelegt. Bei uns sind die Großmarkthändler Frühaufsteher, hier war es anders, die schliefen wohl noch. Außer einem Fleisch- und Wurstwarenstand gab es nur Kräuter. Also wieder raus, umkreisten die Halle und fanden einen Laden in dem wir uns Brot, Schinken und Wasser kauften. Nur ganz Mutige treiben mich ohne Kaffee, etwas Essbarem und Smoke durch die Stadt. Wolfgang wollte heute sehr - sehr mutig sein. Nach einem Kilometer gab er entnervt auf.

Trotz der gekauften Brote kehrten wir in das nächstbeste Café ein. Nachdem meine Mindestbedürfnisse gestillt waren, konnte es von mir aus losgehen.

Was ist das denn? Von rechter Seite kommend scherten Spanier, ganz – ganz viele Spanier, in den Weg ein. Nach Logroño folgt eine 2,8 km lange Parkanlage, die zum Naherholungsgebiet der Logroňer gehört. Das ist auch den Spaniern bekannt. Urplötzlich waren wir von über 100 Menschen umgeben. Schnatternd belegten sie, Junge und Ältere, in Fünfer- oder Sechserreihen den Weg. Wir versuchten mit ständigem ¡Hola! - ¡Buen camino! - ¡Buenos dias! - uns einen Weg durch die Massen zu bahnen. Vergiss es, sie waren eindeutig in der Überzahl. Wir machten ein Päuschen.

Es wurde ruhiger und wir konnten in dem uns angewöhntem Gleichschritt laufen, es war schon fast wie ”Paarlauf“. Kamen an dem Stausee Pantano de la Grajera vorbei. Schon hatten wir einen Teil der Gruppe eingeholt. Inzwischen waren auch die Fahrradfahrer aufgewacht. Oder hatten sie sich auf der Tour de France verfahren? In kurzen Abständen rief immer einer der Fußgänger von hinten – Bici –, man ging einen Schritt nach rechts und schon flogen drei oder vier Fahrradfahrer mit einem fröhlichen ¡Hola! – ¡Buen camino! – an einem vorbei. Ich möchte hier aber nicht den Eindruck erwecken, dass die Bicis rücksichtslos waren, das stimmt definitiv nicht.

Am Ende des Naherholungsgebietes unter einem Unterstand sitzt Marcelino, er trägt langes Rauschegrauhaar und ebensolchen Bart, der Wanderstäbe, Früchte und Wasser verschenkt. Bei ihm holten wir uns den besonderen Stempel, nun zieren Teodoro (sein Esel), Moru (sein Hund) und Marcelino unseren Pilgerpass. Wir liefen weiter bergauf, der Weg führt jetzt an der Autobahn lang. Unter einer Straßenüberführung knieten vier Fahrradfahrer um ein Bici. Schwitzend versuchten sie achthändig das Gefährt wieder fahrbereit zu machen. Ist doch auch mal nett Bicis zu überholen.

Der grobe Maschendrahtzaun an der Autobahn ist bestückt mit Kreuzen aus Holz, Blumen, Ästen, Tauen und Bändern. Den Grund weiß keiner, könnte mir aber vorstellen, dass es ein Ausdruck von Abschied – loslassen ist. Wir machten kein Kreuz, sondern gingen weiter und erreichten Navarrete.

Im unweigerlich angesteuertem Café, die übliche Bestellung und wir lernten ein Osnabrücker Paar kennen. Sie trägt immer um den Kopf geschlungene Tücher und ist eine der wenigen Frauen, die im kurzen Rock laufen. 2004 begannen sie von ihrem Heimatort aus mit dem Jakobsweg. Jedes Jahr laufen sie zwei bis drei Wochen. Innerhalb Deutschlands war es sehr schwer, eine Pilgerunterkunft zu bekommen. Sie würden nur in Herbergen übernachten. Ich denke nur - ach nö – ich lieber nicht!

An der Bushaltestelle am Ortsausgang stand ein junger Mann. Er trug Flip-Flops an den mit Blasen verzierten großen Füßen, die Blasen waren sichtbar entzündet. Nicht nur seine Füße sind groß, er klingelt bestimmt an der Zweimetermarke. Um seiner Größe noch mehr Ausdruck zu verleihen, trug er einen ledernen Stetson. Bekleidet war er mit einem ärmellosen Heavy Metal Shirt. Vom Ansehen würde man ihn eher in der Prärie vermuten und nicht auf dem Jakobsweg. Der junge Mann kam aus Hamburg, man ”riecht“ es, wenn jemand aus dem Norden kommt. Nein, er könnte nicht mehr laufen und würde sich vorerst mit den Bussen fortbewegen (oder weiterreiten?). Ob er denn keine Wanderstiefel habe. Doch – doch, er zeigte auf seine am Rucksack hängenden Stiefel. Eingelaufen? Ja, so 60 km. Und die Socken auch eingelaufen? Nein. Wir erklärten ihm, er müsse die Strümpfe erst tragen – waschen - tragen – waschen und so weiter. Meine Güte, was sind wir bloß für Wanderklugscheißer geworden!!

In Richtung Ventosa geht es weiter. Wir schottern bergauf und beginnen Wanderlieder zu singen. Bei: „Froh zu sein, bedarf es wenig“, hörte Wolfgang auf zu singen. Auf meine Frage, wieso er nicht weiter singt, meinte er nur: „Mensch das ist doch ein Canon.“ Na ja, mit zwei Personen. Überlegte noch krampfhaft, wo hatte ich die kopierten Liedertexte hingesteckt. Ach ja, sie lagen in dem ebenfalls ungenutztem Sprachführer. Immer wenn ich mich auf Spanisch verständigen musste, hatte ich keine Lust erst noch das Buch rauszukramen.

Die Schotterpiste führte lange an der Autobahn entlang. Schließlich erreichen wir unser gedachtes Etappenziel. Wir gingen an den auf der Straße sitzen- und liegenden Pilgern vorbei. Die Albergue öffnete erst um 13.00 Uhr und wir wollten dort ja sowieso nicht nächtigen. Wir schauten links, wir schauten rechts, es gab nichts außer dieser einen Herberge. Wir zuckelten zurück, just in diesem Moment war es 13.00 Uhr und die Herberge öffnete. Bekamen mit, dass die 42 Betten der Albergue schnell belegt waren. Gingen in die einzige Bar. Schauten in unserem Oberschlauführer, wie weit der nächste Ort entfernt sei. 10,3 km! Meine Füße quakten – nicht mit mir – Streik – nicht ein Schottersteinchen kommt uns heute noch unter die Sohle – ich stimmte ihnen zu.

An einem der Tische saß ein Hamburger, der Zweite heute. Nein, das war nicht nur ein Hamburger, er war die Personifizierung eines Hanseaten. Gepflegtes Aussehen, unterstrichen, durch ein locker um den Hals geschlungenes Paisley Tuch, sehr gerade Haltung, fleckenloses Shirt. Gesprächsmäßig kamen wir auch auf das Gewicht unserer Rucksäcke, seiner wiege 13 kg, er möchte schließlich ordentlich aussehen. Ja, so kann man das mal stehen lassen. Wir hatten weniger Gepäck, Wolfgang wollte sich auf der Tour nicht rasieren. Um Mund und Kinn breitete sich ein grauer Igel aus. Auf meinem Shirt, genau ”da!!zwischen“ prangte ein trotz Mühen nicht zu entfernender Fettfleck. Wieso eigentlich bei mir? Sonst hat Wolfgang immer diese sogenannten Fressflecken. Seine T-Shirts waren immer noch ohne Makel – beide T-Shirts – meine nicht – beide.

Der ältere Hamburger wartete auf ein Taxi das ihn in den nächsten Ort, Nájera, bringt sollte. Kurzer Blickkontakt unter Ehepartnern, leichtes Nicken, wir boten ihm die Teilung der Kosten durch drei an. Glücklich über diese Lösung tranken wir unseren Café. Wobei, Wolfgang jetzt immer öfter Coca Cola trank seitdem er bei Herrn Holland die Cola-Flaschen in dem ”Patronengurt“ gesehen hatte. Schlechter Einfluss. Vor der Bar saßen noch viele Pilger, die keine Übernachtungsmöglichkeit bekommen hatten.

Mit dem Taxi ging es nach Nájera, 10 km für 20,00 €. Der Fahrer hielt direkt vor einem Hotel. Zum Hotel gehörten eine Bar und ein Restaurant. Zimmer waren noch zu haben und angesichts der Bar gab es hier auch Frühstück. Na, geht doch. Wir hatten ein Zimmer mit drei Betten. Wolfgang packte mal wieder alles aus, stellte dabei fest, dass sein ganzer Rucksack voller Krümelchen war. Ich kluge Frau hatte das Brot - wieso hatten wir das nicht gegessen - in seinen Rucksack gepackt. Diesmal musste er auspacken.

Geduscht ließen wir uns auf der Wiese am Rio Najerilla nieder, wir mussten nur eine Straße überqueren, um diese Parkanlage zu erreichen. So richtig schön langmachen am Wasser, herrlich. Man sollte immer hinschauen, wo man sich niederlegt. Es war Frühling und die Wiese mit Blütenkerzen übersät. Nun sahen wir aus wie gefedert.

Es wurde Zeit, sich um die Ernährung zu kümmern. Vor einer Brücke,die über den Fluss führte, trafen wir die vier Amerikanerinnen wieder, eine der Jüngeren kam gerade im lockeren Jogger Stil - mit Rucksack – angelaufen. Sie waren auf Quartiersuche, ein Vierbettzimmer sollte es sein. Wolfgang erzählte von unserem Dreibettzimmer und dem Preis. Schon lief das Mädel wieder los, als wäre sie noch keinen Schritt gewandert, um in einem anderen Hotel Nachverhandlungen zu führen. Staunend folgte ich ihr, aber nur mit den Augen – och – meinte eine der Mädels, sie wär immer so.

Wir gingen über eine Brücke in das Viertel, wo ein Lokal neben dem anderen lag. Natürlich nahm ich das Restaurant, das draußen bestuhlt war. Der adrette Hamburger war gerade am Gehen. Essen ginge so, meinte er zu uns. Wind kam auf, viel Wind kam auf. Von einem Nachbartisch wehten schon Gläser herunter. Der Camarero schaute schon leicht verstimmt. Ich blieb so was von ungerührt sitzen, schließlich möchte ich zu meinem Käffchen nachher eine schmöken. Ich schaute in den Himmel, Vogelschwärme ließen sich vom Wind treiben. Wir rätselten, um was für große Vögel es sich handelte, Reiher? Kraniche?. Wolfgang meinte Störche, ich war der Überzeugung, es könnten keine Störche sein, die haben viel längere Beine. Es waren Störche, beschließe das Thema mit: „Spanische Störche haben eben kürzere Beine.“ Ach, sieh mal einer an, unsere ersten Pilger aus Pamplona saßen im Innenraum des Restaurants.

Zurück im Hotel möchte ich noch einen Café, Wolfgang verschwand nach oben. Beim Schlendern durch das Hotel entdeckte ich Zeitschriften, mal sehen, ob etwas Lesenswertes vorhanden ist. Nö, schaute hoch, dort hing ein kräftig gebauter Mann im Sessel, die Beine ausgestreckt, fast so als würde er gleich von der Sitzfläche fallen.

Ich rief dem Mann ein fröhliches Hola zu, er antwortete mit – Hallo -. Aha, ein Deutscher. Wir plauderten. Nachdem mein Mann sich genug gewundert hatte, wo ich denn bliebe, kam er auch in die Halle zurück. Marcus kam aus Essen und war alleine unterwegs. Er gehörte der Fraktion der Bicis an, würde auch zu Hause fast täglich große Strecken mit dem Mountainbike fahren. Aber das hier, diese Anstiege gingen über seine Kräfte. Ständig hätte er das Empfinden, als wenn es immer nur steil bergauf gehe. Seine Beine brennen und der Po schmerze entsetzlich. Daher wohl die etwas unwürdige Sitzhaltung. Er würde auch fast nur noch Landstraße fahren, die Schotterpisten sind ihm zu gefährlich. Marcus wird wohl mal nicht an uns vorbei fliegen.

Ich musste unbedingt noch einmal ”vor die Tür“, traf dort auf den Hanseaten. Sein Hinweis, dass der Wein köstlich sei und nur 0,70 € koste animierte mich zur Überprüfung. Es war wie auf der Mönckebergstraße im Straßenkaffee. Diverse Pilger flanierten umher, die Beiden aus Estella, man sollte sie ja an den hässlich blauen T-Shirts mit der gelben Muschel wiedererkennen, auch. Es waren diesmal nicht zwei Männer, sondern zwei Ehepaare. Alle trugen als Gruppenzeichen dieses Shirt. Einer ist der Wortführer, sie würden jeden Tag 30 km laufen – ohne Probleme. Ganz weit hinten in meinem Kopf schrillte eine Glocke, die Stimme kenn ich doch! Ja aber sicher doch, es musste der Zimmernachbar aus Estella, der die halbe Nacht mit meckern verbrachte, sein. Der Hanseat und ich überprüfen noch einmal den Preis und die Qualität des Weins.

Ab in Bett. Wir schliefen sehr gut.

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9783752962598
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