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Kapitel 2


München-Altstadt, 23. Mai 2019, abends

Unvermittelt tritt eine gedrungene Gestalt in einem abgerissenen Mantel, einer Wollmütze und mit einem mottenzerfressenen Bart aus der überdachten Nische des Eingangsbereichs eines Delikatessengeschäfts und streckt mir ihre offene Hand entgegen. Ich zucke zusammen. »Kruzinesen, bleib bloß weg von mir!«

Angst habe ich keine vor dem verlausten Gesellen. Er ist auch nicht der Grund für meine miese Laune. Eher der Tropfen, der das Fass gleich zum Überlaufen bringt.

»Hau ab!«, fahre ich ihn an, und tatsächlich dreht er sich um und schlurft davon.

Normalerweise habe ich kein Problem damit, solche Typen loszuwerden, indem ich ihnen freundlich, aber bestimmt die Gemeinverfügung erkläre, die das Kreisverwaltungsreferat München für das Betteln erlassen hat. Aber nach diesem durch und durch beschissenen Tag habe sogar ich Schwierigkeiten, die Contenance zu bewahren.

Ich eile weiter, begleitet von dem Stakkato meiner Absätze auf dem Asphalt. Das ist doch wirklich zum Kotzen, da hat man endlich das Referendariat geschafft, das 2. Staatsexamen – mit Bestnote! – in der Tasche, ergattert einen Job in einer renommierten Kanzlei, und was darf man machen? Den Mist, den die lieben Kolleginnen nicht selbst erledigen wollen. Oder Mandate, auf die keiner Bock hat, weil es sich um Kleinigkeiten handelt, die entweder gähnend langweilig oder völlig aussichtslos sind.

Wenn ein Tag schon damit beginnt, dass ein Klient in mein Büro platzt, der normalerweise von der Chefin persönlich betreut wird - aber nicht etwa, weil man mir endlich etwas zutraut, nein, der Herr Professor regt sich über seine Nachbarin und deren bellenden Hund auf. Und wer darf sich um die hysterische Frau und die kläffende Töle kümmern? Ganz klar ein Job für mich. Dafür habe ich Jura studiert – nicht!

Die Krönung kam dann heute Abend. Hetzt mich die Chefin auf das nächste Polizeirevier und macht es auch noch superdringend. Und was erwartet mich: Eine verlebte Frau mit knallrot gefärbten Haaren, die zugedröhnt auf dem Boden einer Gewahrsamszelle hockt. Auf den ersten Blick war mir klar, dass sie wohl keine Unterstützung braucht, weil sie Steuern hinterzogen oder gegen ihre Buchführungspflichten verstoßen hat. Was eigentlich los war, erfuhr ich von den Polizeibeamten, sie selbst brachte ja kaum einen vernünftigen Satz raus. Nicht mal meinen Namen konnte sie sich länger als fünf Minuten merken. Gott, war das nervig! Ich habe wirklich keine Geduld für solche Leute und heute schon gleich gar nicht.

Wenigstens hatte ich genug Taschentücher dabei, um ihr vollgekotztes Nuttenoutfit notdürftig sauber zu machen. Nicht aus Mitleid, sie tat mir nicht leid. Als Anwältin bin ich nicht dafür da, mit irgendwem mitzufühlen, sondern meinen Klienten zu ihrem Recht zu verhelfen.

Also überzeugte ich den Beamten, dass von ihr keine Gefahr mehr ausging. Wir stolperten aus dem Revier, und wer erwartete uns schon? Der steinreiche Herr Papa! Das erklärte zumindest, wie dieser Auftrag in unserer Kanzlei gelandet war. Ich dachte gerade, dass aus dieser absurden Geschichte doch noch ein interessantes Mandat werden könnte, da stiegen meine potenziellen Klienten in ihren Scheiß-Luxuswagen und ließen mich wie bestellt und nicht abgeholt stehen. Gehts noch? Gott, kann dieser Tag noch beschissener werden? Halt – bloß nicht so was denken, am Ende werde ich noch vom Bus überfahren oder so.

Jetzt wäre definitiv der richtige Zeitpunkt für einen After-Work-Cocktail. Doch statt die nächste Bar anzusteuern, bin ich leise vor mich hin fluchend auf dem Weg zurück in die Kanzlei, um den Revisionsantrag fertig zu machen, den meine Chefin morgen früh auf dem Tisch haben will.

Ich sollte nach Hause gehen und ihr morgen sagen, dass ich nicht gleichzeitig den rettenden Engel für gefallene Prinzessinnen spielen und nebenbei ihren Papierkram erledigen kann. Außerdem bin ich Anwältin in einer Kanzlei für Wirtschaftsstrafrecht und kein verdammter Sozialklempner oder Hundeflüsterer. Wie kommt sie überhaupt auf die Idee, mir diesem Kram aufzuhalsen?

Einen Moment lang bin ich tatsächlich versucht, wieder umzukehren. Mir das nicht bieten zu lassen. Aber dann tragen meine engen Pumps mich um die nächste Straßenecke, und das altehrwürdige Gebäude, in dem unsere Kanzlei mehrere Stockwerke belegt, liegt direkt vor mir.

Ganz oben brennt noch Licht. Christine, meine Chefin, ist noch da. Ich zögere nur einen winzigen Moment, dann marschiere ich weiter auf meinen Arbeitsplatz zu. Noch liegt mein Büro ganz unten, direkt neben dem Empfangstresen. Aber eines Tages werde ich da oben einziehen, wenn ich Juniorpartnerin in dieser Kanzlei werde. Das setzt allerdings voraus, dass ich nicht herumzicke, wenn man mir eine Aufgabe gibt, sondern zeige, dass ich allen Anforderungen gewachsen bin. Aber obwohl mir das klar ist, nervt es mich trotzdem. Ich will endlich beweisen, was ich kann!

Zwei Stunden nachdem ich die Kanzlei wieder betreten habe, spuckt der Drucker einen perfekt formulierten Revisionsantrag aus. Ich schlüpfe aus den Pumps und bewege meine schmerzenden Zehen. Schultern und Nacken sind ebenfalls total verspannt, und mein Magen knurrt. Ich verwerfe den Gedanken an Salamipizza und Netflix. Nein. Heute habe ich mir eine richtige Belohnung verdient.

Ich sehe mich vorsichtig um, so als würde ich damit rechnen, dass jeden Augenblick eine meiner Kolleginnen aus meinem Papierkorb krabbeln könnte, bevor ich die App LonelyHearts auf meinem Smartphone öffne und meinen Status auf »unverbindliches Date gesucht« ändere.

Um ehrlich zu sein, habe ich mir Christines Kanzlei nicht bloß deshalb ausgesucht, weil sie in München die renommierteste Adresse ist, wenn es um Wirtschaftsstrafrecht geht. Sondern auch, weil Christines Partner und Angestellte ausschließlich Frauen sind.

Nicht nur, dass ich dadurch über jeden Verdacht erhaben sein werde, mich hochgeschlafen zu haben oder die Quotenfrau zu sein, wenn ich eines Tages Partnerin bin. Nein, ich bin davon ausgegangen, dass traditionelle Rollenbilder in dieser Kanzlei keine Bedeutung haben.

Vielleicht ist das auch so. Doch ich glaube, von der freien Liebe hält meine Chefin eher wenig.

Aber das ist genau das, was ich suche: einen Mann, einen Schwanz, einen Orgasmus. Ich will niemanden, der mir unrasiert und mit zerknautschtem Gesicht beim Frühstück gegenübersitzt. Ich will keine schmutzigen Socken auf meinem Schlafzimmerboden finden und keine halb geschlossene Zahnpastatube im Bad. Ich will das alles nicht sehen. Doch vor allem will ich nicht, dass jemand mir so nahekommt, dass er auch meine Fehler und Macken sehen kann. Ganz zu schweigen von dem, was hinter meiner beherrschten Fassade liegt. Denn das wird unweigerlich dazu führen, dass ich verletzt werde. Diese Lektion musste ich lernen, als ich noch nicht in der Lage war, Lust von anderen Gefühlen zu trennen.

Auf Strümpfen gehe ich zurück zu meinem Schreibtisch, nehme zwei Müsliriegel aus dem obersten Fach, beiße in den ersten hinein und behalte mein Smartphone im Auge. Mein Profil bei LonelyHearts enthält ein Foto, auf dem ich meine braunen Haare offen trage, sodass sie in sanften Wellen über meine Schultern fallen. Dazu hat die Fotografin einen perfekt schmachtenden Blick eingefangen. Indem sie mich erst stundenlang gequält und mir dann eine Packung Double-Chocolate-Eis gezeigt hat. Sie verstand eben ihr Handwerk.

Rasch klopfen die ersten Typen an, aber erst bei dem Profilbild des Nutzers »Nobbi« halte ich inne. Der sieht ganz süß aus. Ich tippe auf ein Herzchen, und schon bevor ich den zweiten Müsliriegel ausgewickelt habe, ploppt eine Nachricht auf.

»Hallo, schöne Frau, ganz allein in dieser riesigen Stadt?«

Ich rolle mit den Augen. Bisschen schmalzig. Andererseits habe ich schon schlimmere Eröffnungssätze gelesen.

»Die Nacht ist zu jung, um nach Hause zu gehen«, texte ich zurück. Schmalzig kann ich auch!

»Die Nacht in Gesellschaft einer Flasche Rotwein zu verbringen, ist nicht viel besser«, kommt von ihm.

In dem Stil geht es noch ein wenig weiter, bis mein Gefühl mir sagt, dass der Typ in Ordnung ist. Keine Serienkillervibes. Ich schlage vor, ihn bei der Konversation mit der Rotweinflasche zu unterstützen, schließlich ist die Vinothek, in der er sitzt, fast ums Eck.

Dass ich mich nicht getäuscht habe, sehe ich, als ich die Weinstube betrete. Meinen dezenten Hinweis, dass ich noch kein Abendessen hatte, hat er sehr wohl registriert und eine Vorspeisenplatte bestellt. Außerdem stehen ein frisches Weinglas sowie eine große Flasche Wasser bereit. Er will mich also nicht abfüllen. Bonuspunkte. Dass sein Profilbild entstanden sein muss, als er zehn Jahre jünger war, fällt da kaum ins Gewicht. Wer macht das nicht?

»Norbert?«

»Mayra?«

Wir sind beide entzückt. Setzen uns einander gegenüber, erzählen uns von unseren Jobs, reden über München und den Wein. Er trägt einen Ehering, aber er kennt die Regeln: Von seiner Frau und den süßen Kindern will ich ebenso wenig wissen wie er von meinen verflossenen Liebhabern. Ich habe kein schlechtes Gewissen – warum sollte ich auch? Oder vielleicht führt er ja eine offene Ehe? Wer weiß? Nicht meine Sache. Nach jedem Schluck aus seinem Glas landet seine Hand wie zufällig näher bei meiner, bis er sanft meine Finger streichelt.

»Ich habe heute wirklich zu lang am Schreibtisch gesessen, meine Schultern schmerzen wie die Hölle«, sage ich schließlich.

Er versteht den Wink mit dem Zaunpfahl sofort. »Ich würde dir ja gerne den Nacken massieren, aber hier sähe das wohl ein wenig komisch aus. Willst du mit auf mein Zimmer kommen?«

»Das wäre schön.«

Eine goldene Kreditkarte verschwindet dezent unter der Handserviette des Kellners und wenige Minuten später sind wir auf dem Weg zu seinem Hotel.

Im Aufzug küsst er mich behutsam auf den Mund. Seine Zunge tastet sich ganz vorsichtig vor. Ich schließe die Augen und gebe mich dieser sanften Zärtlichkeit hin. Fast bin ich enttäuscht, dass wir sein Stockwerk so schnell erreicht haben.

In seiner kleinen Suite angekommen will er sich tatsächlich erst um meinen schmerzenden Nacken kümmern. Ich setze mich auf einen Hocker, öffne die obersten Knöpfe meiner Bluse und lasse sie die Schultern hinabgleiten, da kommt er mit einer dieser kleinen Cremetuben an, die Hotels gerne in den Badezimmern platzieren. Er wärmt die Creme erst mit seinen Händen an, bevor er sie mir behutsam auf die Schultern streicht.

Wow, der Mann ist echt ein Treffer!

Seine Hände sind sanft und weich, wie es sich für einen Computerexperten gehört. Ich fange an zu schnurren, während sich meine Verspannungen langsam lösen, und höre auch nicht damit auf, als seine Hände hinunter zu meinen Brüsten wandern. Stattdessen greife ich hinter mich und öffne den Verschluss meines BHs. Norbert atmet schneller, lehnt sich an mich, und ich kann seine Erektion im Rücken spüren. Er liebkost meine Brüste, streicht zart über die Nippel und küsst mich dabei sanft auf den Hals.

Ich rutsche auf dem Hocker herum. Meine Erregung wächst. »Ich will dich auch anfassen«, seufze ich sehnsüchtig, und er zieht mich hoch in seine Arme. Meine Brüste reiben sich an seinem gestärkten Hemd, während meine Hände seinen Rücken erforschen. Unsere Lippen treffen wieder aufeinander, wir tauschen ungeschickte Küsse aus, als wir gleichzeitig versuchen, uns von den störenden Kleidungsstücken zu befreien. Dabei geraten wir ins Taumeln und plumpsen auf das Bett.

Ich lache ein wenig atemlos, während er mir tief in die Augen sieht.

»Willst du?« Ein echter Gentleman!

»Ja«, hauche ich. Das wird gut!

Noch ist hier und da ein Stück Stoff im Weg. Ohne große Umstände entledigen wir uns der restlichen Klamotten, werfen die Teile achtlos auf den Boden. Norbert trägt eine dünne Halskette mit einem goldenen Kompass daran um den Hals. Süß. Aber den braucht er gar nicht, um meine erogenen Zonen zielsicher zu finden. Er küsst mich wieder, auf den Hals, auf das Schlüsselbein, die Brüste. Mit den Fingerspitzen erkunde ich seinen Bauch, der ein ganz kleines bisschen rundlich ist. Meine Hand wandert nach unten und liebkost seine Eier, was ihm ein erregtes Stöhnen entlockt, während sein Mund sich ausgiebig mit meinen Nippeln beschäftigt. Dann taste ich nach seinem Schwanz. Wie seine Hände fühlt er sich weich, fast samtig an. Ich umschließe seinen Schaft, bewege die Hand langsam auf und ab. Er keucht. Seine Finger finden meine Pussy, streicheln darüber.

»Kondom«, krächze ich.

Worauf sollen wir warten? Wir sind beide bereit.

Er holt einen Gummi aus dem Nachttisch, streift ihn über. Eifrig spreize ich die Beine, und er legt sich auf mich. Ich dränge die Hüften gegen seine, ich spüre die Erektion schon an meiner empfindlichsten Stelle, dann gleitet er sanft in mich hinein.

Gut. Er ist gut. Ich wusste das. Er verwöhnt meine Brüste mit seinem Mund, während er langsam das Tempo steigert. Ein guter Liebhaber, erfahren und rücksichtsvoll.

Dennoch weiß ich in dem Moment, als er in mich eindringt, dass ich nicht kommen werde.

Wieder einmal.

Er wird langsamer, will mich mitnehmen. Natürlich will er das. Es ist nicht seine Schuld. Aber auch ich habe Erfahrung. Weil er ein lieber Kerl ist, tue ich ihm den Gefallen. Beschleunige meinen Atem. Stöhne unter seinen wieder schneller werdenden Bewegungen. »Oh ja, das ist gut!«

Ist es auch. Aber es wird mich nicht über die Klippe stoßen. Nicht heute. Ich klammere mich an seine Schultern, keuche und wimmere gespielt aufgeregt. Es wird nicht mehr lange dauern.

Als er kommt, schreie ich ebenfalls auf, nicht zu laut, um seine Zimmernachbarn nicht aufzuwecken, aber laut genug, damit er sich als ganzer Mann fühlen kann.

»Oh Mayra«, stöhnt er, fällt neben mir auf das Bett und entsorgt das Kondom. »Das war großartig!«

»Ja«, sage ich.

Wir liegen wie ein Ehepaar nebeneinander, und die Minuten, bis er endlich einschläft, ziehen sich endlos hin. Dann stehe ich leise auf, sammle meine Sachen ein. Ich fühle mich schmutzig und würde gerne duschen, fürchte aber, dass Norbert dann aufwachen und Lust auf eine zweite Runde kriegen könnte. Dafür fehlt mir aber der Nerv. Na ja, wenigstens habe ich eine tolle Massage bekommen, besser als nichts.

Also schleiche ich mich raus, als ich wieder angezogen bin. Wann werde ich es endlich lernen und mich für die Salamipizza entscheiden?

Kapitel 3


München-Nymphenburg, 23. Mai 2019, abends

Gelassen steuert Marco den SUV durch die einsetzende Dunkelheit nach Nymphenburg zum Restaurant La Viala, in dem das Treffen mit dem Boss stattfinden soll, während ich immer noch mit Hugo telefoniere.

»Kannst du mir das erklären?«

Hugo räuspert sich mehrmals, ehe er damit rausrückt, dass er Herrn Hinrich, den Anwalt, zwar erreicht hätte, aber als er ihn dann abholen wollte, musste der noch ewig telefonieren, und als sie endlich am Revier angekommen seien, war Minnie weg.

Was ist denn das schon wieder für eine idiotische Nummer? Hugo wird doch in der Lage sein, diesem schmierigen Anwalt das Telefon aus der Hand zu nehmen, wenn der nicht zu Potte kommt.

»Ihre Anwältin sei schon dagewesen, haben die Beamten gesagt«, gesteht Hugo.

»Was für eine beschissene Anwältin? Seit wann hat Minnie eine Anwältin?«

»Ich … ich weiß ihren Namen.«

»Ja dann spuck ihn schon aus!« Muss ich Hugo heute eigentlich alles aus der Nase ziehen?

»Mayra … Jennings«, stammelt er.

Wer? Sagt mir gar nix.

»Georg wird sich darum kümmern. Dich erwarte ich in meinem Büro«, antworte ich gefährlich ruhig, lege auf und wähle Georgs Nummer.

Mobilbox? Gehts noch?

Ach ja, ich habe ihm ja gesagt, er soll es sich von dieser Anna besorgen lassen. Das kann doch nicht wahr sein, ausgerechnet jetzt ist er tatsächlich mal am Vögeln.

»Georg, zieh deinen Schwanz aus ihrer Muschi. Ich brauch ein paar Infos. Sag ihr, es kann nachher weitergehen.«

Ich gebe ihm noch den Namen der Anwältin durch, als Marco auch schon auf den Parkplatz des Restaurants einbiegt. Zeit für das Treffen mit dem Boss.

Ich reiche Luca, dem feisten Wirt des La Viala meine Waffe, die ich überhaupt nur deshalb mitgenommen habe, um sie nun ablegen zu können. Manchmal sind die Rituale der Famiglia wirklich ein bisschen albern.

Ernster ist es mir schon mit dem nächsten Schritt: Ich ziehe alle acht Ringe von den Fingern und lege sie in eine Schublade unter Lucas Tresen. Ein Zeichen des Respekts gegenüber Carlo, das nur er versteht. Ein Insider sozusagen.

In den letzten Jahren habe ich in Carlos Windschatten eine beeindruckende Karriere hingelegt, beeindruckender, als es einem adottivo, einem Mann, der erst durch ein Aufnahmeritual Teil der Famiglia wurde, normalerweise möglich ist. Aber seine Gunst ist nicht umsonst. Es reicht dem Boss nicht, dass ich dafür sorge, dass er jeden Tag reicher wird. Nein, ich muss immer wieder beweisen, dass ich mit Haut und Haaren ihm gehöre. Was ich also tun kann, um ihm meine Loyalität zu zeigen, bevor er irgendwelche unschönen Treuebeweise fordert, tue ich. Es geht hierbei nicht um meinen Stolz, sondern um mein Leben, oder wenigstens meine körperliche Unversehrtheit. Bisher hat sich der Boss damit begnügt, mir den ein- oder anderen Knochen zu brechen. Aber trotz meiner Stellung kann ich mich nicht darauf verlassen, dass das so bleibt, sollte ich einen Fehler machen. Und obwohl ich echt gut in dem bin, was ich tue – auch ich mache manchmal Fehler. Die Sache mit Minnie ist zum Beispiel ein Fehler. Zwar strenggenommen nicht meiner, aber er fällt auf mich zurück.

Ich steige eine schmale Treppe hinunter. Das Treffen findet wie immer im ehemaligen Weinkeller des Restaurants statt. Seit Carlo hier residiert, ist der riesige Raum mit der Bogenkonstruktion ausgeräumt und mit allerlei aufwendigen Wandmalereien verziert worden. Dicke Perserteppiche und mehrere opulente Kristallleuchter tragen dazu bei, dass der Keller nun wie ein Thronsaal wirkt.

Der Boss trifft kurz nach mir ein und begrüßt leutselig seine Unterbosse. Aber ich kenne ihn lange genug. Da ist ein harter Zug um seinen Mund, der nach Ärger aussieht. Ich straffe reflexartig die Schultern und schiebe jeden Gedanken an Minnie beiseite. Bei einem Treffen mit Carlo nicht ganz bei der Sache zu sein, empfiehlt sich nicht wirklich.

»Silvers, gut dich zu sehen.« Carlo starrt mich einen Augenblick durchdringend an, und unwillkürlich frage ich mich, ob er bereits von der Geschichte gehört hat. Gut möglich.

»Boss.« Ich senke respektvoll den Blick, und er klopft mir kurz auf die Schulter.

Okay, ich bin es nicht, den er auf dem Kieker hat.

Dann würde ich auf Domenico tippen, der ist nämlich mal wieder unpünktlich.

Ich bewundere Carlo immer noch dafür, dass er es geschafft hat, den alten Padre zu überreden, seinen geliebten Enkel Domenico nicht zu seinem Nachfolger zu machen. Natürlich hatte niemand in München den Jungspund für einen besseren Boss gehalten als Carlo, aber das Problem mit Domenico ist, dass er mächtige Unterstützer im italienischen Teil der Famiglia hat. Mit dem Capo in Padolfi will sich hier niemand anlegen, auch Carlo nicht.

Deswegen ist Carlo nun auch nicht der Padre, sondern unser Boss, während Domenico jetzt die Drogenkuriere und -händler unter sich hat. Offiziell so lange, bis Domenico erfahren genug ist, um die Geschäfte zu übernehmen. Was hoffentlich nie der Fall sein wird, denn als Domenico endlich das Gewölbe betritt, frage ich mich nicht zum ersten Mal, wie viel von den Drogen, die er eigentlich unter die Leute bringen soll, in seinem eigenen Körper landet. Ziemlich viel scheinbar.

Heute sieht Domenico besonders beschissen aus, sein Gesicht hat eine ungesunde, gräuliche Farbe, und auf seiner Stirn glitzern Schweißtropfen. »Bin ich zu spät, Onkel? Tut mir so sehr leid!«

Wir setzen uns an die hölzerne Tafel, die König Artus alle Ehre machen würde. Wobei unser Tisch natürlich nicht rund ist. Von Gleichberechtigung hält der Boss nämlich gar nichts. Warum sollte er auch? Er ist der Boss. So wie ich der Boss meiner Männer bin. Respekt verdient man sich nicht, man nimmt ihn sich und ringt ihn anderen ab.

»Da du uns endlich mit deiner Anwesenheit beehrst, lieber Neffe, kannst du uns gleich mal deine Zahlen nennen«, ätzt Carlo.

»Äh … wie? Jetzt? Ähm … ach so. Ja, klar. Dann … hm … mach ich das.«

Bähm, Überraschung! Als wäre es etwas Neues, dass wir uns einmal im Monat treffen, um Carlo Bericht zu erstatten. Verfluchter Junkie! Stammelnd präsentiert Domenico die Umsätze und muss dabei mehr als einmal sein Handy zurate ziehen. Idiot!

»Che merda! Das hört sich beschissen an!«, knurrt Carlo.

Zwei Prozent minus zum letzten Monat, denke ich, ich rechne gerne mit. Hört sich wenig an, aber die fünfzehn Prozent Miese im Vergleich zum letzten Jahr sind schon bedenklich. Wäre die Famiglia eine Firma, würde ich ihr raten, diese unrentable Sparte abzustoßen oder umzustrukturieren.

»Da kann ich nichts dafür, Onkel! Alle kaufen nur noch im Darknet ein, der Straßenhandel ist fast tot!«

»Und wessen Schuld ist es, dass wir im Darknet nicht besser vertreten sind?«, blafft Carlo ihn an.

Scheinbar ist Domenicos Computerspezialist nicht unbedingt die hellste Kerze am Leuchter. Ich würde Domenico selbstverständlich sofort Georg ausleihen, damit der seinem Mann ein bisschen unter die Arme greift. Die Sache ist nur die, dass Carlo das nicht befohlen hat, und deshalb rühre ich keinen Finger, solange Domenico mich nicht sehr nett um Georg bittet.

Domenico schluckt allerdings lieber seine eigene Zunge, als mich um irgendwas zu bitten. Tja, nicht mein Problem. Dann muss er sich halt jetzt Carlos Anschiss anhören. Hat er eh noch Glück gehabt, jeder andere von uns würde es wahrscheinlich nicht mehr ohne Hilfe die Treppe hochschaffen, wenn seine Geschäfte seit Monaten derart mies liefen, oder würde direkt auf Nimmerwiedersehen verschwinden.

»Silvers, du hast was Neues ausgeheckt?«, fährt Carlo mich unvermittelt an, nachdem er mit Domenico fertig ist.

Ich umreiße kurz den geplanten Deal, bei dem es um Subventionsbetrug, verbotene Pestizide, falsche Biosiegel und illegale Schlachthöfe geht. Nicht gerade unser Kerngeschäft, obwohl sie in Padolfi auch einiges mit gefälschtem Olivenöl und gepanschtem Wein machen. Mein Trumpf ist allerdings Gieseke, dieser Moralapostel, der den Kram dann völlig überteuert in seinen Bioläden anbieten will.

»Das System ist perfekt zur Geldwäsche geeignet, wenn es aber einmal angelaufen ist, können wir monatelang nur die Gewinne einstreichen.«

In unserer Branche gibt es leider keinen geregelten Cashflow, wenn die Bullen mal wieder eine Drogenlieferung abgefangen haben oder es Probleme in Italien gibt, gerät der Geldfluss schon mal ins Stocken.

Domenico ist wie erwartet der Erste, der etwas zu meckern hat. »Der Gieseke«, mault er, »das ist doch dieser vegane Superöko aus’m Fernsehen. Der soll da mitmachen?«

»Ich würde Gieseke nicht ins Spiel bringen, wenn er nicht ein paar Leichen im Keller hätte«, versichere ich. »Er war übrigens heute im Blue Parrot. Hat ein Ossobuco bestellt – nachdem er sich davon überzeugt hat, dass wir nicht in seinen Läden einkaufen.«

Allgemeines Gelächter.

»Subventionsbetrug in Osteuropa?«, fragt Carlo skeptisch. »Muss das sein? Ich will da keinen Ärger.«

»Serge war so nett, mir ein paar Kontakte zu vermitteln«, erkläre ich.

Serge ist Carlos Capo Crimine und mit seinen Jungs für die eher handfesten Aspekte unseres Geschäfts zuständig, was von einer nachdrücklichen Drohung über schwere Körperverletzung bis hin zu einer hübschen Explosion alles Mögliche sein kann. Nichts davon würde mir in diesem Fall helfen. Aber Serge ist auch mit einer Rumänin verheiratet.

Die Lovestory der beiden begann vor einigen Jahren wenig vielversprechend, als die Brüder von Serges Flamme ihm ein Auge ausstachen, weil Serge die Ehre ihrer Schwester beschmutzt hätte. Statt einer unschönen Blutfehde gab es jedoch eine rauschende Hochzeit, und seitdem sorgen er und seine Frau jedes Jahr mit einem neuen Balg für die italienisch-rumänische Völkerverständigung in München.

»Das geht klar, Silvers«, bestätigt Serge grinsend, und zwinkert mir mit dem vorhandenen Auge zu.

»Okay. Wir werden sehen«, beendet Carlo das Thema.

Ich werde also warten müssen. Ohne Carlos Zustimmung passiert rein gar nichts innerhalb der Münchner Famiglia, so ist das nun mal.

Natürlich sind der Drogenhandel und die Schwarzgelder aus Padolfi nicht unsere einzige Einnahmequelle. Zum Glück läuft es sonst recht gut. Meine Aufgabe ist es, aus einem Teil der Einnahmen hübsch gewaschene Scheinchen zu machen. Wie immer notiere ich nichts, sondern merke mir, wie viel Kohle die Laufburschen der anderen demnächst im Blue Parrot vorbeibringen werden.

Es ist nicht viel mehr als ein Taschenspielertrick, alle Zahlen im Kopf zu behalten, der mir jedoch den Ruf eingebracht hat, ein Genie zu sein. Ein einziges Mal hat jemand versucht, weniger Geld abzuliefern, als er dem Boss angekündigt hatte. In der irrigen Annahme, dass ich mir eh nicht alles merken könne. Carlo fertigt Aufzeichnungen von allen Treffen an, aber die waren gar nicht nötig. Der Betrüger hat sich ganz schön verhaspelt, als ich ihn darauf angesprochen habe, und Carlos Reaktion hat dafür gesorgt, dass so etwas nie wieder vorgekommen ist.

»Cazzo, Filippo, im Leben hätte ich nicht gedacht, dass du aus dieser Bruchbude so einen Profit rausschlägst!«, kommentiere ich die Ausführungen des Mannes, der mit seinen Schwarzarbeitern die Baubranche in München aufmischt.

»Bringe ich dich in Verlegenheit, Silvers?«, grinst der Angesprochene. »Ich behalte das Geld gerne, wenn es dir zu viel wird.«

»Nicht nötig. Ich habe schon ein paar nette Ideen für deine Scheinchen.«

Carlo knurrt unwillig, aber im Gegensatz zum Boss habe ich kein Problem damit, es jemandem zu sagen, wenn er seinen Job gut macht. Zumal Carlos schlechte Laune sich zunehmend zu legen scheint, während Filippo von einigen leerstehenden Objekten berichtet, bei denen sich ein Einsatz seiner Truppe lohnen würde.

Als das Treffen endet, stürmt Domenico nach draußen, die anderen folgen gelassener. Minnie ist Privatsache, weshalb ich hoffe, Carlo kurz unter vier Augen sprechen zu können. Als würde er das ahnen, ruft er mich zu sich.

»Tosh, mein Junge, setz dich einen Moment zu mir.«

Mit einem Kribbeln im Nacken gehe ich zu ihm. »Boss.«

»Stimmt etwas nicht? Du wirkst ein wenig verkrampft.«

Perbacco, er kennt mich einfach zu gut. Ich verzichte darauf, Platz zu nehmen, sondern gestehe lieber unumwunden, was heute vorgefallen ist. »Ich habe einen Fehler gemacht, Boss. Minnie ist weg.«

Er zieht die Augenbrauen hoch. »Minnie? Kann die sich überhaupt noch alleine die Schuhe zubinden?«

Ich verschränke die Hände hinter dem Rücken und erzähle Carlo von Minnies Auftritt. Was ihn seltsam kalt lässt. Schließlich war sie mal sein Mädchen.

»Jetzt steh da nicht herum wie ein Ölgötze, setz dich schon«, sagt er jovial und ich ziehe mir einen Stuhl heran. »Minnie taucht bestimmt wieder auf. Ich weiß, du kannst es nicht ausstehen, wenn du irgendwas nicht unter Kontrolle hast, aber die Nutte ist doch allein gar nicht lebensfähig, die muss zurückkommen.«

»Ja, aber da ist ja jetzt diese Anwältin. Ich versteh gar nicht, wo sie die herhat.«

»Warst wohl schon länger nicht mehr auf dem Straßenstrich, eh?«, spottet der Boss.

»Nein danke, kein Bedarf.«

»Tja, dann wüsstest du aber, dass diese Rechtsverdreher schlimmer sind als die Heilsarmee. Verteilen überall ihre Kärtchen an die Huren, erzählen ihnen was von wegen ›Sexarbeiterinnen haben auch Rechte‹ und interessieren sich am Ende doch nur dafür, wie sie den Zuhältern eins auswischen können.«

Ich denke kurz nach. Zwar bin ich mir sicher, dass Wladimir Minnie nicht draußen herumspazieren lässt. Aber natürlich könnte eine andere Schlampe so ein Kärtchen in seinen Puff eingeschleppt haben. »So muss es gewesen sein«, gebe ich zu. »Hätte ich selber draufkommen können.«

»Ja, es hat durchaus einen Grund, warum ich hier der Boss bin.«

Ich neige anerkennend den Kopf. »Die Anwältin wird mir schon verraten, wo Minnie steckt. Eine Nacht in einem der Kellerräume unter dem Blue Parrot sollte sie ausreichend weichkochen«, verspreche ich.

»Das geht auch etwas eleganter, eh?«, schlägt Carlo vor. »Du hast doch einen Schlag bei den Damen. Setz ihr ein bisschen zu, bis sie dir freiwillig ins Ohr haucht, wo Minnie ist.«

»Nicht dein Ernst«, stöhne ich. »Das ist doch sicher so ein vertrockneter Blaustrumpf mit fettigen Haaren und Hornbrille in total unerotischen Klamotten.«

»Die wollen auch gefickt werden. Dir wird schon nicht gleich der Schwanz abfaulen. Engagier sie halt einfach. Dann hast du sie schön unter Beobachtung, das müsste dir doch gefallen.«

»Eine Hüterin von Sitte und Anstand bei Alpha Salvage

Carlo grinst.

»Lass sie die Scheinverträge mit dem Gieseke ausarbeiten. Damit sie nicht zu neugierig wird, besorgst du es ihr zwischendurch, und irgendwann präsentiert sie dir Minnie schon auf dem Silbertablett.«

Genau Carlos Humor. Er gibt mir eine völlig absurde Anweisung und genehmigt mir im Nebensatz meinen neuen Deal. Aber ich hätte nie damit gerechnet, dass Carlo es mir einfach so durchgehen lässt, dass Minnie mal wieder Ärger macht. So gesehen komme ich eigentlich ziemlich glimpflich davon. Außer natürlich, es kommt noch ein Nachspiel aus heiterem Himmel.

»Betrachte es als erledigt, Boss.«

Er nickt huldvoll und wedelt lässig mit der Hand. Ich bin entlassen.

Aber als ich schon fast draußen bin, ruft er mir noch hinterher: »Tosh, warum beseitigst du das Problem Minnie nicht endgültig, sobald du sie gefunden hast? Das Mädel ist doch sowieso die meiste Zeit eher tot als lebendig.«

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9783754919729
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