Читать книгу: «Fallsucht», страница 6

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»Dann hoffe ich, daß Sie nicht sein vorschnelles Urteil übernommen haben und auch in andere Richtungen ermitteln als ausschließlich den Ehemann zu drangsalieren«, sagte Professor Krüger.

»Soweit ich weiß, waren Sie nicht verheiratet?«, fragte Jakob.

»Meine Frau wollte das nicht. Sie sagte, sie habe schlechte Erfahrungen. Ich hatte keinen Grund, ihr zu mißtrauen.«

»Mit ihrem gefälschten Ausweis wäre es auch schwierig geworden auf dem Standesamt«, sagte Tanja trocken.

»Davon habe ich nichts gewußt.«

»Warum steht sie nicht auf dem Klingelschild?«, fragte Jakob.

»Auch das entsprach ihren Wünschen. Sie hatte meine Initialen vorgeschlagen, aber das war mir zu albern.«

»Klingt, als wollte sie sich verstecken«, sagte Tanja.

»Jetzt kommen Sie mir nicht wieder mit der Prostituiertengeschichte, das ist Unfug.«

»Hat Sie Ihnen den Zustand ihres Körpers erklärt?«, fragte Jakob.

Der Professor schwieg.

»Das muß doch ein Schock gewesen sein.«

»Wir haben enthaltsam gelebt, bis wir nach Berlin zogen.«

»Sie hat sie nicht rangelassen?«, fragte Tanja. Jakob zog die Augenbrauen zusammen.

»Wenn Sie so wollen, ja.«

»Wie schrecklich«, sagte Tanja.

Der Professor sah Jakob an. »Keineswegs.«

»Die unerreichbaren Trauben«, sagte Jakob.

»Wie lange ging das?«, fragte Tanja.

»Wir haben uns bei ihrer Arbeit kennengelernt. Ich war in jenem Sommer mit meinem Motorrad unterwegs in Dänemark und hatte auf der Heimreise einen schweren Unfall. Ein komplizierter Trümmerbruch von Schien- und Wadenbein. Ich lag etliche Wochen in Hamburg im Krankenhaus. Als ich entlassen wurde, ging ich an Krücken und hatte mir vorgenommen, mit dem Motorrad zurück nach Berlin zu fahren. Bis zum Semesterbeginn waren es noch über zwei Monate, ich wollte die Rekonvaleszenzzeit in Hamburg verbringen. Für die erforderliche Physiotherapie fand ich eine Praxis in Blankenese und mir wurde Sarah zugeteilt. Wir haben uns täglich gesehen, ein halbes Jahr darauf kam sie zu mir nach Berlin.«

»Und Ihr Semester?«, fragte Tanja.

»Ich habe mich freistellen lassen.«

»Für Ihre neue Freundin?«

»Das finden Sie erstaunlich, nicht wahr? Ich habe meine Frau geliebt, da war alles andere nebensächlich.«

»Wie lange wohnen Sie schon in diesem Haus?«, fragte Jakob.

»Das habe ich für uns gekauft. Als sie herkam, war alles gerichtet.«

»Ohne sie zu fragen?«, fragte Tanja.

»Wir waren glücklich hier.«

»Und dann haben Sie ihren Körper kennengelernt«, sagte Jakob.

Professor Krüger schwieg. Jakob wartete.

»Das war furchtbar, wie Sie sich sicher vorstellen können.«

»Hat Sie gesagt, wie sie zu den Verletzungen gekommen ist?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nichts? Keine Andeutungen, keine Klagen?«

»Sie hat nichts von ihrem Vorleben erzählt. Seit dem Mord frage ich mich, ob ich sie mehr hätte bedrängen müssen. Sie sagte nur, sie sei Einzelkind und ihre Angehörigen tot. Es war mir, glaube ich, recht so. Mit so etwas wollte ich nichts zu tun haben.«

Jakob beugte sich vor. »Etliche dieser Verletzungen scheinen jüngeren Datums zu sein, wie erklären Sie sich das?«

»Gar nicht, davon weiß ich nichts.«

Jakob sah ihn fragend an.

»Ganz einfach, wir hatten keinen Sex.«

»So schlimm war sie nun auch nicht zugerichtet«, sagte Tanja.

Der Professor sah sie an. »Zu schlimm für mich auf jeden Fall. Mir verging es, um es in Ihrer Terminologie auszudrücken. Ich habe mich kaum getraut, sie anzufassen.«

»Sie hatten nie Sex mit ihr?«

»Ich weiß nichts über diese Verletzungen. Mein Beruf bringt es mit sich, daß ich oft lange verreist bin. Ich besuche Kongresse, nehme Gastprofessuren an. Was meine Frau in der Zeit getan hat, weiß ich nicht. Es ist natürlich möglich, daß sie sich prostituiert hat. Vermutlich gibt es genügend Männer, die nicht so empfindlich sind wie ich und zufrieden, wenn sie ihren Schwanz irgendwo plazieren können.«

»Aber Sie müssen doch gesehen haben, wie ihr Körper immer schlimmer zugerichtet wurde.«

Der Professor schlug ein Bein über. Das Licht spiegelte sich auf seinem kahlen Kopf. »Wir hatten ein Agreement. Sie hat mich vom Anblick ihres Körpers befreit und ich habe nicht nachgefragt.«

»Sie haben sie nie nackt gesehen?«, fragte Tanja.

»Wenn ich hier war, habe ich in meinem Arbeitszimmer übernachtet.« Er deutete auf die zwei Türen zur Rechten. »Ihr Reich war oben.«

»Dürfen wir uns dort etwas umsehen?«, fragte Jakob. »Nur, um uns ein Bild vom Zuhause Ihrer Frau zu machen.«

»Sie werden nichts mehr von ihr finden«, sagte der Mann. »Das Obergeschoß ist leer.«

»Sie haben renoviert?«, fragte Jakob.

»Ein Jahr nach ihrem Tod. Je länger die Ermittlungen ergebnislos blieben, desto unerträglicher wurden mir ihre Spuren.« Er sah Jakob an. »Außerdem hatte ich immer das Gefühl, hier war ein Fremder.«

»Warum?«, fragte Tanja.

»Einige Wochen nach ihrem Tod fand ich in einer Sesselritze Holzschnipsel. Ich konnte mir das nicht erklären, hier gibt es kein Holz. Meine Putzfrau verkündete auf Befragen, daß sie zwei Tage nach dem Tod meiner Frau – sie kommt immer mittwochs, was ich sehr unpraktisch finde, da das mein vorlesungsfreier Tag ist, aber diskutieren Sie mal mit einer Polin –, also sie fand ähnliche Holzschnipsel vor dem Kamin und auf der Fensterbank in der Küche. Da mir das bemerkenswert schien, habe ich sie den ermittelnden Beamten übergeben, zusammen mit den fremden Unterlagen.«

»Könnten wir mit ihr sprechen?«, fragte Jakob.

»Mit wem?«

»Ihrer Putzfrau. Wenn sie das Haus gereinigt hat, ist ihr vielleicht noch etwas anderes aufgefallen.«

»Sie arbeitet nicht mehr für mich. Es war nicht zu klären, wo fünfhundert Euro aus meinem Schreibtisch geblieben sind.«

»Sie bewahren fünfhundert Euro in Ihrem Schreibtisch auf?«, fragte Tanja.

»Für Notfälle, unvorhergesehene Ausgaben, Stromausfälle. Erscheint Ihnen das viel?«

»Daß Sie die Frau nicht mehr beschäftigen, ändert nichts daran, daß wir sie sprechen wollen«, sagte Jakob.

»Das wird nicht gehen. Ich habe sie auf Empfehlung eingestellt und weiß nicht mal ihren Nachnamen. Maria heißt sie, mehr ist mir nicht bekannt. Leider habe ich sie schwarz beschäftigt.«

»Und wer hat sie empfohlen?«

»Auch das erinnere ich nicht mehr. Ein Kollege, ein Nachbar, tut mir leid.«

»Haben Sie wenigstens eine Handynummer?«

»Nein, leider. Sie kam jede Woche mittwochs um neun, dröhnte durch das Haus und verschwand nachmittags um vier. Letzteres sehnlichst von mir erwartet.«

»Haben Sie schon eine Nachfolgerin?«

»So etwas braucht Zeit, das Vertrauensverhältnis, Sie wissen schon. Im Nachhinein schien es mir auch, daß mein Geld schon länger etwas zu schnell dahinschmolz. Aber ich will eine Abwesende nicht leichtfertig verdächtigen, das hat den Beigeschmack des Vorurteils.«

»Und die Unterlagen?«, fragte Jakob.

»Bitte?«

»Sie erwähnten vorhin, daß Sie den Kollegen auch Unterlagen übergeben haben.«

»Ach so, das waren Lehrbücher für einen Bootsführerschein. Sie lagen auf dem Küchentisch, als ich nach Ostern zurückkam. Und unter der Treppe auf der Kommode lag Knotenübungsmaterial.«

»Und was war daran so außergewöhnlich?«, fragte die Kollegin.

»Meine Frau konnte nicht schwimmen. Sie wäre nie auf ein Boot gestiegen. In Hamburg damals wollte ich sie mit einer Hafenrundfahrt überraschen, kreidebleich wurde sie.« Er lachte. »Nein, das Zeug war nicht von ihr, das hat ihr Mörder, ihr Liebhaber, Kunde oder was weiß ich, mitgebracht. Aber ihr Kollege fand das alles irrelevant. Nein, warten Sie, scheißegal hat er gesagt, weil, ich hätte meine Alte abgestochen und er würde mich schon garkochen.« Er lachte wieder. »Krank ist er, haben Sie gesagt, schon länger, das freut mich zu hören.«

»Haben Sie die Schlösser eigentlich ausgetauscht?«, fragte Jakob.

»Das erschien mir sicherer, ich weiß ja nicht, wem meine Frau hier Zugang verschafft hat.«

»Und die Renovierung, wie umfangreich war die?«

»Ich bin ein gründlicher Mensch, warum fragen Sie?«

»Das Haus war ja erst aufwendig verändert worden. So fünf, sechs Jahre müßten das sein. Sie haben es doch umgebaut?«

»Oh ja, das war stillos vorher. Alle Wände raus, die Fenster völlig neu konzipiert, das war das Mindeste.«

»War wenigstens der Keller trocken?«

»Da spricht der Sachverstand. Ausgerechnet kurz nach dem Tod meiner Frau hatte ich einen massiven Schaden. Irgendetwas mit Sickerwasser und dann der späte Kälteeinbruch, fragen Sie mich nicht, ich habe nur die Hälfte verstanden von dem, was der Handwerker gesagt hat. Die Physik ist ein weites Feld.«

»Und, war es kostenintensiv?«, fragte Jakob.

»Das kann man wohl sagen. Keller ist ein Alptraum. Man sollte ebenerdig bauen, das spart viel Ärger.«

»Aber wohin dann mit den Kartoffeln, der Waschmaschine und der Vergangenheit?«

»Eben, zumal es ja auch keine Dachböden mehr gibt.«

»Die Adresse von den Handwerkern wäre beizeiten von Vorteil«, sagte Jakob. »Falls es nicht wieder ein abgedunkeltes Beschäftigungsverhältnis war.«

»Ich lasse Sie Ihnen zukommen. Anständige Arbeit zu einem fairen Preis, durchaus empfehlenswert.«

Jakob stand auf und nickte Tanja zu. »Wir haben dann auch genug von Ihrer kostbaren Zeit in Anspruch genommen. Vielen Dank für Ihr Entgegenkommen. Wenn wir dürfen, würden wir uns gern noch mit der einen oder anderen Frage an Sie wenden.«

Professor Krüger stand auf. »Aber gern. Ich habe noch Hoffnung, daß Sie herausfinden, wer mir meine Frau genommen hat.«

Sie gingen zur Tür inmitten der tanzend fröhlichen Buchrücken.

»Eine Frage hätte ich noch«, sagte Tanja. »Hat Ihre Frau irgendwann angedeutet, woher sie stammt?«

»Nachdem wir damals in Hamburg unsere Hafenrundfahrt nicht antreten konnten, sagte sie, sie verstünde mehr von Bergen als vom Wasser. Außerdem hatte sie einen süddeutschen Akzent, zumindest, wenn sie übermüdet war. Badisch würde ich sagen.«

Sie bedankten sich und verließen das Haus, verfolgt vom schmatzend wiederhergestellten Vakuum der Haustür.

»Und was jetzt?«, fragte Tanja am Wagen.

Jakob schwieg und sah ins Nichts.

»Kommissar Hagedorn?«

»Fahren Sie erst mal los und setzen mich an der nächsten U-Bahnstation ab. Krumme Lanke, ich zeige Ihnen den Weg.«

»Und was mache ich?«

Jakob schwieg wieder lange. »Kollege Schuman hat Notizen zum Vorleben von Peter Krüger gemacht. Überprüfen Sie das, und seien Sie genau, Schuman neigt dazu, nur jene Dinge zu sehen, die da sind.«

»Wollen Sie etwas Bestimmtes wissen?«

»Stochern Sie einfach und schauen, was an die Oberfläche aufsteigt. Und recherchieren sie, ob Sarah Schubert Vorgängerinnen beim Professor hatte, Schuman hat keine gefunden. Ach ja, besorgen Sie die Baugenehmigung von damals und den Kaufvertrag.«

Jakob wies sie durch die Nebenstraßen. Er wirkte weiter abwesend und antwortete so einsilbig auf Tanjas Fragen, daß sie sich bald anschwiegen. An der U-Bahnstation ließ sie den Roadster so butterweich ausrollen, als wäre sie seit Jahren mit ihm verwachsen.

»Darf ich Sie mal was fragen, Kommissar?«

»Hmmh.«

»Warum wollten Sie das über den Keller wissen?«

»Sie sind sehr aufmerksam, Kollegin.« Er sah sie an, ruhig und ernst. »Mir ist aufgetragen worden, eine Folterkammer zu suchen.«

VII

Neben dem Eingang lehnte rauchend ein Mann an der Hauswand und fixierte Jakob, der sich, beidseitig mit einer Einkaufstasche beladen, seiner Wohnung näherte. Jakob sah die Straße runter. Weit und breit nur gedankenverlorene Nachbarn auf dem Weg in den Feierabend. Bepackt und abgespannt strahlten sie jene gleichgültige Erschöpfung aus, die nur Metropolen auf den Schultern ihrer Bewohner ablegen. Ein paar Stunden Schlaf hinter all den Wohnungstüren und der neue Tag durfte ihnen wieder entgegenprasseln. Was kein Schlaf zu vertreiben vermochte, waren die Schatten um die Augen, die angeschärften Züge um die Münder. Dafür bedurfte es kleiner Fluchten. Zwei Wochen bayrische Kuhglocken, Ostseesand zwischen den Zehen, eine Prise Mark in der Nese.

Auch Jakob war müde. Es half nichts, wer immer der ihn mit Blicken aus schmalen Augen verfolgende Mann war, er stand neben dem Eingang zu seinem Bett. Jakob nahm die Taschen in eine Hand und zog den Schlüssel aus der Jacke. Er stieß die Tür mit Fuß und Schulter auf und schlüpfte in den Flur. Der Mann folgte ihm. Jakob ging zur Treppe, in seinem Rücken verharrte der Mann. Jakob nahm vorsichtig die erste Stufe.

»Hagedorn?«

Jakob drehte sich um.

»Der Briefkasten«, sagte der Mann. Seine Sporthose glänzte im trüben Licht der klickernden Flurbeleuchtung. Die breitgestellten Beine nahmen den Flur in Besitz wie eingepflockte Grenzpfähle. »Du hast Post, Hagedorn.«

Jakob stellte seine Einkäufe auf der Treppe ab und sah in den Briefkasten. Ein winzigklein gefalteter Zettel lag darin, kariert, ohne Umschlag. Jakob zog ihn heraus, nahm die Taschen und machte sich an den Aufstieg zu seiner Wohnung. Auf dem ersten Treppenabsatz hörte er die Haustür ächzend ins Schloß fallen. Er drehte sich um, glaubte eine knisternde Hose und quietschende Turnschuhe zu hören, aber der Hausflur war leer. Er schüttelte den Kopf über den neuen Hang seines Gehirns zu Langatmigkeit. Vor seiner Wohnung stand eine schwere Wolke aus Schweiß und einem großblütigen Rasierwasser. Jakob rief sein Gehirn zur Ordnung. Unwillkürlich schnupperte er beim Schließen der Tür, roch aber nur die übliche Mischung aus Holz und alten Büchern. Er stellte die Einkäufe auf den Küchentisch, warf den karierten Zettel daneben, füllte den Wasserkessel, bereitete die Teekanne vor, setzte sich und las. Der Zettel war mit einer akkuraten Schrift gefüllt, die die vorgegebenen Quadrate als Richtschnur nutzte.

Geehrter Kommissar. Entschuldigung, wenn mein Kumpel aussieht, als will er Sie ausrauben. Ich kenne nur solche Leute, obwohl ich noch nie eine Vorstrafe auf mich geladen habe. Ist aber echt zuverlässig. Was wichtig ist, wie Sie gleich verstehen. Im Gericht waren Sie bei meiner Verhandlung. Das fand ich gut. Wo Sie doch krank sind. Deshalb glaube ich, Sie sind ein guter Mensch, wollten gucken, was denn jetzt wird aus mir. Hier im Knast sprechen auch alle gut über Sie, schon wegen der Sache mit Ihrem Kollegen damals. Sind natürlich auch keine Mörder. Kann sein, die sehen das anders. Egal. Sie sind der einzige Bulle, der mir jetzt helfen kann. Da läuft ein Komplott. Nicht, daß Sie denken, ich spinne, ist hundertprozentig sicher. Wenn Sie mir helfen wollen, sagen Sie meinem Kumpel Bescheid, der wartet auf Antwort. Ist auch gut für Sie, Sie werden schon sehen.

Hochachtungsvoll W. (Übrigens hasse ich Salamipizza, so deutsch werde ich nie. Habe ich nur gegessen für Sie.)

Jakob ging zum Wohnzimmerfenster. Der Bote stand auf der anderen Straßenseite, einen Fuß gegen die Hauswand gestemmt, und sah zu ihm hoch. Jakob öffnete das Fenster und winkte ihn in die Wohnung. Der Mann zog an seiner Zigarette und schüttelte den Kopf. Er deutete auf Jakob und vor sich auf die Füße.

Jakob grinste, holte den Wasserkocher, hielt ihn schaukelnd aus dem Fenster und winkte erneut. Er öffnete die Wohnungstür einen Spalt, füllte zwei Teeschalen und packte seine Einkäufe aus. Als er die letzten Äpfel vom Taschenboden pflückte, hörte er, wie die Wohnungstür leise geschlossen wurde. Er verstaute das Obst, nachdem er daran gerochen hatte, im Kühlschrank. Als er weiterhin allein blieb, setzte er sich zum Spargelschälen an den Küchentisch. Bei der dritten Stange erschien die Sporthose in der Küchentür.

»Magst Du Spargel?«, fragte Jakob.

Der Mann starrte ihn an. Den Spargel, die Schüssel, den Tee.

»Setz Dich doch, ich habe Tee gemacht. Milch und Zucker?«

Der Mann schob sich an Jakob vorbei, ohne ihn aus den Augen zu lassen und setzte sich auf den Rand eines Stuhls.

»Das ist Assam, echt lecker. Hier aus dem Teeladen eine Straße weiter. Gehört einem ehemaligen Kunden von mir. Hat seine Frau abgemurkst. Genau genommen aus dem Fenster geworfen. Nicht aus dem Laden natürlich, sondern aus dem vierten Stock bei sich zuhause in Tegel. Jetzt verkauft er wieder Tee, zwölf Jahre später. Gibt eben immer ein Leben danach, das vergißt man gerne. Schön kräftig. Das Aroma, meine ich. Müßte was für Dich sein. Nun koste schon, sei nicht unhöflich.«

Der Mann trank einen Schluck.

»Zu stark, was?« Jakob legte den Spargelschäler weg und holte einen Zuckerstreuer. Der Mann ließ ihn nicht aus den Augen.

»Nimm Zucker.« Der Mann süßte seinen Tee. Zwei Schwule bei der feierabendlichen Küchenarbeit, dachte Jakob.

»Ich soll den Zettel wieder mitnehmen.«

»Aber gerne.« Jakob faltete das Karo und hielt es ihm hin.

Der Mann griff zu und versenkte ihn in der Hosentasche. »Und eine Antwort brauche ich auch.«

»Wie war noch mal die Frage?«

»Ob Du Wladimir hilfst oder nicht.«

»Das überlege ich noch«, sagte Jakob und schälte weiter.

»Aber nicht zu lange.«

Jakob sah auf. »Was sonst? Sitzt in meiner Küche, trinkst meinen Tee und willst mir drohen? Was für eine Kinderstube.«

»Entschuldigung, ist mir so rausgerutscht.« Der Mann sah auf seine Hände. »Wladi hat schon gesagt, das hier wird ein ganz anderes Ding als was ich sonst immer mache.«

»Recht hat er.« Jakob war mit dem Spargel fertig, schraubte seinen langen Körper vom Küchenstuhl und räumte auf. »Willst Du nun was mitessen oder nicht?«

»Eine Antwort will ich.«

»Was schlägt er denn vor, wie es jetzt weitergeht, Dein Wladi?«

»Er will Sie treffen, und dann sagt er Ihnen, was Sie machen sollen.«

»Wenn ich mich nicht irre, sitzt er in Untersuchungshaft. Soll ich ihn da etwa besuchen?«

»Auf dem Klo will er Sie treffen, bei Gericht. Montag geht seine Verhandlung weiter. Die wird aber schnell unterbrochen, weil er ein Attest hat und danach, sagt er, muß er aufs Klo.«

»Na, dann sag Deinem Kumpel, ich geh' im Gericht gern aufs Klo und nächsten Montag ganz bestimmt.« Jakob grinste. »Mit Wladimir wollte ich schon immer mal da hin.«

Der Mann lief feuerrrot an, gab Jakob linkisch die Hand und stolperte aus der Wohnung.

Jakob blieb vor dem Schaufenster stehen und sah in den Friseursalon. MM fuhr durch das Haar einer blondierten Kundin tapferen späten Mittelalters, als sei es das zottige Fell eines Straßenköters. Die Frau gestikulierte beidhändig, schwer bereift und beringt. Sogar die Füße zappelten. MM stand hinter ihr, hielt Blickkontakt über den Spiegel, legte zwei perfekt manikürte Hände auf ihre Schultern und unterbrach sie. Auf ein Winken näherte sich ein schmaler Jüngling in hautengen Jeans, den MM in das Blickfeld der Kundin schob. Der Lehrling knipste ein professionell blitzblankes Lächeln an, die Frau sank tief in den Stuhl. Ihre Füße stellten das Zappeln ein.

Jakob betrat den Laden. Hitze aus Fönen und Hauben schlug ihm entgegen. Er schnappte nach Luft, lange genug, um von MMs Umarmung überrascht zu werden.

»Jakob, kleiner Schlaumeier, wo warst Du denn so lang?« Sie gab ihm zwei parfümgesättigte Schmatzer auf die Wangen. »Sonders gut schaust nicht aus. Hast wieder nirgends eine anständige Frau gehabt, die sich kümmert. Na, jetzt bist ja bei mir.«

Jakob grinste.

»Stimmt, hab’ ich geredet Blödsinn. Wenn Maria Magdalena eins nicht ist, ist es anständig.«

»Du bist der anständigste Mensch, den ich kenne.« Jakob lachte.

»Du kennst eben viel zu wenig Leut’.« Sie ging zum Pausenraum voraus, streichelte ihren schnarchenden Mops, der zuckend auf einem mit Leopardenimitat bezogenen Sessel von gewonnenen Schlachten träumte und goß Kaffee aus einer Thermoskanne ein.

»Einen neuen Lehrling hast Du«, sagte Jakob. »Hübscher Junge.«

»Seine Schwester läuft auf der Potsdamer und hat Sorge, daß er sich was abguckt. Ich soll ihm Anständiges beibringen.«

»Das kannst Du.«

»Na klar.« Sie lachten. »Aber süß ist er, oder?«

»Hauptsache, Deine Kundschaft findet das.«

»Meinst Du die Zehlendorfer Tucke?« Sie seufzte. »Die hat mir Samuel geschickt.«

»Er meint es gut.«

»Soll er mich besuchen, wenn er es gut will meinen. Verfluchte Brut.« Sie schniefte.

Jakob strich ihr über die Wange.

»Finger weg, der Putz kostet ein Vermögen.« Sie schneuzte sich.

»Vor kurzem hat er einen großen Fall gewonnen«, sagte Jakob.

»In der Abendschau war er. Mein Junge. Alle konnten ihn sehen.«

»Er ist ein guter Staatsanwalt, meistens.«

»Dünn hat er ausgeschaut, findest Du nicht? Seine Schickse kocht nicht richtig für ihn.« Sie zog sich im Sitzen den Rock herunter. Die Knie blieben unerreichbar. »Was führt Dich denn nun her? Warst wirklich lange nicht bei mir.«

»Ich hatte eine Auszeit. Jetzt könnte ich Deine Hilfe brauchen.«

»Immer, mein Süßer, das weißt Du.«

»Es geht um Deine alten Kontakte.«

»Sag’ nicht, daß Du unter die Freier gehen willst. Ich nenne Dir zwanzig Frauen, die für eine Nacht mit dir zahlen würden.«

»Ich komme darauf zurück, vielleicht kann ich demnächst eine Einnahmequelle gebrauchen«, sagte Jakob lachend. Er zog Photos aus der Jackentasche. »Es geht um eine Tätowierung.«

MM sah sie sich an. »Sagt mir nix. Sieht altmodisch aus, wie eine Markierung. Zugehörigkeit, bestandene Prüfung, so was. Auf alle Fälle nichts Schmückendes.« Sie reichte die Photos zurück.

Jakob wehrte ab. »Ich möchte, daß Du sie behältst und im Milieu rumzeigst.«

»Das kann ich nicht, Schatz, ich bin Friseurmeisterin in Schöneberg. Aber ich könnte Erwin und Tülle fragen.«

»Gute Idee, wie geht es denen?«

»Wie soll es schon gehen, wenn man nichts im Hirn hat und auf dem Altenteil sitzt. Hin und wieder gebe ich ihnen zu tun. Sonst waschen sie ja nur noch ihr Auto.«

Erwin und Tülle waren Überbleibsel aus MMs Vergangenheit. Ihr verstorbener Mann war Besitzer einer Bar in Charlottenburg gewesen, in der es neben Alkohol Ausblick auf viel Busen und andere Rundungen gab, auf denen auch klebrige Männerhände landen durften. Das Hauptgericht mußte man sich jedoch woanders holen. Da das niemand im Kiez glaubte und wechselnde Machthaber des Bordsteins immer wieder ihre explosiven Muckis in der Bar von Siegfried Herzl spazieren trugen, hatte das Eigentümerpaar sich durchgerungen, einen Türsteher zu engagieren. Nach einigen flachschädeligen, halbdebilen Fehlversuchen ihres Mannes nahm MM das Ganze in die Hand und tat den Zuhälter Erwin auf, den es allerdings nur im Paket mit Tülle gab.

Erwin mochten die Mädchen, er hatte als eine Art kostenpflichtiger großer Bruder, dem es nie eingefallen wäre, leistungslos von der horizontalen Knochenarbeit seiner Schwestern zu profitieren, so etwas wie Berufsehre. Es sprach sich schnell herum, daß es bei ihm gewaltlosen Schutz und gute Rendite gab, und so standen die Unabhängigen Schlange, um in seine Familie aufgenommen zu werden. Erwin wußte um seine in mancher Hinsicht begrenzten Kapazitäten, beließ die Hühnerschar im einstelligen Bereich, akzeptierte fremde Reviere und Gehege, ignorierte Brutalitäten und Ungerechtigkeiten außerhalb seines Radius’ und hatte so Auskommen und Frieden.

Bis er eines Nachts einen sterbenden Kollegen im Rinnstein fand.

Dieser Kollege nahm, wozu er Lust hatte, prügelte sich beeindruckend erfolgreich Konkurrenten vom Hals, zog seine Mädchen an Haaren von erigierenden Nebenverdiensten und soff halb Berlin unter den Tisch. In jener Nacht war er auf einen Kollegen getroffen, der gar nicht erst versuchte, seine Gitti mit schmalen Fäusten gegen den legendären Boxer zu verteidigen, sondern gleich ein Messer zog und es, da er ein sicherheitsverliebter Mensch war, gleich zwölf Mal in des Konkurrenten Männlichkeit rammte. Er sah auf den zusammengesunkenen, ehemals starken Mann, dachte an Gittis monatlichen Durchschnittsverdienst, rotzte auf den Besiegten und ging seiner Wege.

Erwin rief, als er vier Minuten später den Blutenden fand, den Notarzt, war sich sicher, der Mann stürbe in seinen Armen und nahm ihm seine unverständliche Lebensbeichte ab. Im Notarztwagen hielt er seine Hand, lauschte schweigend den stotternd hektischen Anweisungen des Sterbenden, entließ ihn fast leergeblutet in den OP und wartete besudelt auf die Nachricht seines Ablebens.

Die Ärzte entfernten seinen völlig zerhackten Hoden, flickten den Penis notdürftig zusammen, so daß er wenigstens zum Pinkeln hielt, kippten literweise Blutplasma in ihn hinein und baten Erwin, als seinen Angehörigen, um seelische Unterstützung beim Klammern an das Restleben des Kastrierten.

So bekam Erwin anstatt kleiner Schwestern einen hilfsbedürftigen Bruder ohne Einkommen. Der Mann erholte sich, sank in sentimentale Anfälle und wurde vorübergehend weibisch. Sie gaben seinem schlaffen Schwanz und ihm den Namen Tülle, bewarben sich mit Erwins Kopf und Tülles immer noch starker Faust bei MM als Türsteher und wurden genommen.

Über die Jahre wurden sie zu Mitgliedern der Familie Herzl, fuhren in ihrer pinkfarbenen Corvette den kleinen Samuel zu Kindergarten und Schule, wiesen breitschultrig finstere Gesellen von der Tür, gewährten Mädchen der Umgebung nach Feierabend Schutz und Erholung in der Bar und wurden zu Charlottenburger Legenden.

»Haben sie denn noch Kontakt zu den Mädchen?«, fragte Jakob.

»Sicher, das ist eine richtige Fangemeinde. Ich werde ihnen sagen, daß der Auftrag von Dir ist, das wird sie freuen.«

»Aber das ist nicht so richtig offiziell.«

»Lad’ sie zum Essen ein und der Fall ist erledigt.«

Jakob zog ein weiteres Photo hervor. »Und noch was. Ich möchte wissen, ob ein Mädchen diesen Typen kennt.«

MM nahm das Photo. »Schönes Gesicht. Sieht gebildet aus.«

»Professor für Teilchenphysik.«

»Und deshalb sollen die Mädchen ihn kennen?«

»Seine Frau sieht aus, als wäre sie beteiligt gewesen an Versuchsreihen. Jahrelang. Als physikalisches Objekt.«

MM zog eine Augenbraue hoch.

»Zigaretten, eine Peitsche, Drahtschlingen.«

MM sah erneut auf das Photo. »Ein schöner Sadist also. Man weiß nie, was sich zeigt, wenn die Pelle ab ist von dem Früchtchen.«

Sie legte das Photo zu den anderen. »Ich leite es weiter. Das wird aber dauern. Mädchen, die sich quälen lassen, waren nie in unserer Nähe. Völlig andere Liga. Harte Aufpasser, hoher Durchlauf. Aber wir versuchen es. Schließlich muß er da erst mal rangekommen sein.«

»Und hat auf dem Weg vielleicht Spuren hinterlassen.«

Sie sah Jakob an. »Was ist mit seiner Frau, ich nehme an, sie ist tot, wenn Du das bearbeitest, sollen wir da auch nachfragen?«

Jakob nickte. »Vielleicht kennst Du den Fall, schließlich ist Informiertsein Dein Beruf. Letztes Jahr Ostern hat jemand ihr Leben in einer Havelhütte ausgepustet.«

»Ach, die Geschichte, war das nicht in Schlachtensee? Ich erinnere mich, ziemlich blutige Angelegenheit. Davon war dann verdächtig schnell nichts mehr zu hören. Und jetzt sollst Du ran, der Geisterseher?«

Jakob verdrehte die Augen.

»Laß den Leuten ihren Gruselschauer. Gibt’s ja sonst nicht viel in unserer braven Gegenwart. Nebenbei, wenn sie das alles klaglos ertragen hat, fragt sich, ob es eine Vorgeschichte gibt.«

»Sicher. Und das deutet auf das Milieu, obwohl sie mir nicht aussieht wie eine Ex-Prostituierte.«

»Ach, Jakob, was glaubt ihr bloß immer. Ein paar Jahre und Du siehst nix mehr.«

»Trotzdem.« Jakob stand auf.

»Aber gehen darfst Du noch nicht. Deine Haare sehen kriminell aus, Kommissar. Du bist eine Schande für meinen Berufsstand.«

»Ich verwechsle in letzter Zeit öfter mal oben und unten. Kann sein, meine Haare vertragen die Richtungswechsel nicht«,sagteJakob und ließ sich wehrlos zum nächsten Stuhl führen.

Auf dem Deckel eines Gerichtsklos hatte Jakob schon lange nicht mehr gesessen. Noch dazu mit angezogenen Beinen. Pubertäre Erinnerungen stiegen in ihm auf.

»Komm’ schon, Alter, verdienst was besseres, als mir beim Kacken zuzusehen. Das Fenster ist auch vergittert, wir sind ja schließlich nicht im Kino. Außerdem ist meine Klappe viel zu groß für den Untergrund, also mach’ die Handschellen auf und geh’ eine rauchen.«

Jakob hörte sich öffnende Handschellen und eine zufallende Tür.

»Kommissar, bist Du da?«

»Du hast mich schließlich eingeladen«, sagte Jakob.

»Kannst rauskommen, mein Kumpel bewacht die Tür.«

Jakob ging in den Vorraum und lehnte sich an den eiskalten Heizkörper unter dem vergitterten Fenster.

»Den hast Du total beeindruckt. So still war er lange nicht. Stimmt das, daß Du den ganzen Flur voller Bücher hast, bis unter die Decke? Und für schwul hält er Dich auch, vielleicht wegen der Bücher. Bist Du schwul, Kommissar?«

Jakob lachte. »Wieso, willst Du mit mir was anfangen?«

»Nix für ungut, aber ich sehe neuerdings überall Schwule. Man denkt ja, man war jahrelang blind, wenn es die Familie trifft«, sagte Wladimir. »Aber jetzt mal zum Ernst des Lebens, Kommissar. Ich fürchte, da läuft ein ganz mieses Ding, Du mußt mir helfen.«

»Erzähl, was ist los?«

»Die Szene, in der wir uns netterweise kennengelernt haben ...«

»Deine Geiselnahme.«

»Meinetwegen. Davon gibt es einen Film.«

»Wie meinst Du das?«

»Wie ich es sage. Ich habe das alles gefilmt, mit meinem Handy.«

»Warum das denn?«

»Keine Ahnung, einfach so.«

»Wolltest Du Deine Heldentaten für die Nachwelt erhalten? Du spinnst doch.«

»Darum geht es jetzt nicht, sondern darum, daß die meisten der feinen Lehrer Scheiße erzählen, ich hätte mit einem Messer hantiert und Dich gewürgt und so, und der Film das beweist.«

»Dein Handy ist ein Beweisstück.«

»Genau.«

»Und wo ist das Problem? Das kann Dich doch nur entlasten.«

»Es ist nicht da.«

»Verstehe ich nicht.«

»Kein Handy, weit und breit.«

»Das gibt’s doch nicht.«

»Und ob.«

»Hast Du es vielleicht verloren?«

»Blödsinn, es war ja noch an, als die Bullerei, ich meine, Deine Kollegen kamen. Und danach waren mir sozusagen die Hände gebunden. Das mußt Du doch noch wissen, Du warst doch dabei.«

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22 декабря 2023
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9783945611012
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