Читать книгу: «Der Gesang des Sturms», страница 7

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»Was ist da?«, fragte Sirany verständnislos.

Elendar legte die Zügel auf den Hals der Stute und schlang die Arme um die junge Frau.

»Dort werden wir eines Tages zusammenkommen«, erzählte er ihr mit leiser Stimme und sein Atem kitzelte ihr im Ohr.

Er sprach leise und zärtlich und unwillkürlich stellten sich alle Härchen auf ihrer Haut auf. Er bemerkte es und fuhr ihr mit der Hand über die Arme.

»Wir werden das leise Plätschern des Teiches und das sanfte Rauschen des Waldes als Hochzeitsmusik erklingen hören. Die Grillen bringen uns ein Ständchen und die Libellen fliegen um uns herum, um uns zu beglückwünschen. Im Licht der Sonne werden wir den Regenbogen in ihren Flügeln wiederfinden und die goldenen Bienen werden wie Lichttupfen in der Luft schwirren. Das Ufer wird unser Bett sein und der Sand unsere weiche Unterlage. Vielleicht haben wir auch Glück und ein paar rote Wasserrosen blühen, und eine davon werde ich dir ins Haar stecken. Das Schilf am Rand wird uns vor fremden Blicken schützen. Sein Rascheln wird dich beruhigen, während unsere Herzen im Takt miteinander schlagen und während ich dich liebe, wirst du die Sonne und den strahlend blauen Himmel sehen können und die Wärme legt sich dir auf das Gesicht und den Rest deiner nackten Haut. Du wirst unter mir schmelzen und ich in dir und wir werden zusammen sein. Für immer. Das verspreche ich dir.«

Sirany standen Tränen in den Augen und es fiel ihr nichts ein, was sie hätte sagen können. Sie spürte Elendars Lippen an ihrem Hals und sog seine nächsten Worte wie eine Ertrinkende in sich auf.

»Noch ist diese Zeit nicht gekommen. Ich werde nicht bei dir bleiben können, Sirany. Der König wird uns sicherlich in den nächsten Tagen zu sich rufen. Das spüre ich und mein Gefühl ist untrüglich, was das angeht. Ich werde dich verlassen. Wenn wir uns jetzt lieben, hier und jetzt, ohne darüber nachzudenken, was die Zukunft bringt, wirst du mich hinterher dafür hassen. Ich müsste schon am nächsten Morgen fortgehen und du würdest nicht wissen, wo ich bin, was ich mache oder ob ich dich vergessen habe. Das kann ich dir nicht antun.«

Elendar schluckte hörbar. »Ich muss erst ein freier Mann sein, um dein Geliebter werden zu können, Sirany. Wenn du dann noch ungebunden bist, werden wir das erleben, was wir uns jetzt wünschen.«

»Ich werde auf dich warten«, sagte sie leise.


Kapitel 8

Als Elendar den Botschafter des Königs in sein Lager reiten sah, wusste er, dass sein Leben in diesem Wald vorüber war.

Es war später Abend, die Sonne war gerade hinter den letzten Baumwipfeln verschwunden und das Dämmerlicht war hereingebrochen. Die Geräusche des Tages verschwanden und machten den sanfteren, leiseren Tönen der Nacht Platz.

Mit dem Schwinden des Lichtes verging auch Elendars Freude, während er der zitternden Stimme des Reiters vor ihm lauschte.

»Der König wünscht Euch zu sehen. Sofort«, sagte der Mann.

»Brecht Euer Lager ab und kommt zu ihm so schnell es geht«, sagte der Mann außerdem.

»Eure Mission an diesem Ort ist vorüber«, sagte der Mann zuletzt.

Was er nicht sagte, waren die Worte zwischen den Zeilen. Die Worte, die Elendar zuflüsterten, dass er Sirany verlieren würde.

Der Botschafter verschwand so schnell, wie er konnte. Die Angst vor den Assaren trieb ihn zurück zu seinen Leuten und jede Sekunde, die er bei diesem finsteren Volk verlor, bedeutete für ihn eine Qual.

Nachdem die Hufschläge des davoneilenden Pferdes schon lange verklungen waren, sagte niemand ein Wort.

Die Zukunft der Assaren lag dunkel vor ihnen, entzog sich wieder einmal ihrer Beeinflussung. Was jetzt kommen mochte, konnten sie nicht ändern.

Normalerweise war es Elendar, der nach solch befehlenden Worten eines Fremden die Stimmung wieder aufheiterte. Er sprach Mut und Hoffnung zu, erzählte von einer Zukunft, die nicht mehr fern sein konnte. Von einer Zukunft, in der die Assaren wieder triumphieren würden.

Dieses Mal war Elendar derjenige, der diese Worte am dringendsten benötigte. Es war, als wäre mit einem Mal sein hoffnungsvolleres Leben vorüber. Obwohl er es innerlich bereits erwartet hatte, versank er tief in Zukunftsängsten.

Lange Zeit sagte niemand ein Wort. Die Männer starrten trostlos in das munter knackende Feuer. Die leisen Geräusche des Holzes in den Flammen waren für eine Ewigkeit das einzige Geräusch im ganzen Wald.

Irgendwann stand Elendar schweigend auf und ging hinüber zu seinem Zelt. Mit ruhigen, vielfach geübten Griffen begann er mit dessen Abbau. Seine Männer blickten ihm nach und folgten schließlich seinem Beispiel, während sie verzweifelt auf ein Wort aus dem Mund ihres Anführers warteten.

Elendar blieb selbst in Schweigen gehüllt, als die Assaren längst auf ihren Ponys saßen und den Wald durchquerten. Dumpfe Hufschläge erschütterten den Boden und schreckten die Tiere aus ihrem Schlaf, Leder knarrte in der Stille der Nacht, vermischte sich mit dem Klirren von Stahl und Eisen.

Erst als sie den Waldrand erreicht hatten, zügelte Elendar sein Pony. In der Finsternis konnte man Siranys Heimatdorf erkennen, das schlafend im Mondlicht lag.

Blicklos starrte Elendar hinüber, als suchte er Siranys Gestalt in der Ferne. Sein Herz war so schwer wie seit Jahren nicht. Doch um seiner Männer willen musste er nun stark sein.

»Wartet hier auf mich«, sagte er leise.

Er trieb die Stute hinunter zum Fluss und hielt dabei die Leine eines zweiten Ponys fest in der Hand. Er trug schwer unter einer nur ihm bekannten Angst und seine sonst stolze, Furcht einflößende Gestalt war zusammengefallen wie bei einem Greis.

Efnor blickte seinem Freund besorgt hinterher. Auch er rang mit seiner Trauer. Der Wald, obwohl er ihm anfangs fremd und unheimlich erschienen war, war ihm mittlerweile zur zweiten Heimat geworden. Hier fühlte er sich wohl. Die dunklen Bäume mit ihren bedrohlichen Schatten hatten für ihn Sicherheit bedeutet. Das alles wurde ihm nun wieder entrissen.

»Vielleicht ist es besser, wenn wir weiterziehen«, durchbrach Sheyn schließlich das dumpfe Schweigen. »Je eher er Sirany vergessen kann, desto besser.«

Keiner erwiderte darauf etwas. Sie warteten lediglich auf Elendars Rückkehr.

Elendar hingegen hatte mittlerweile Siranys Elternhaus erreicht. Hastig stieg er von Chuayas Rücken und band die alte Stute an die Veranda. Sie würde hier noch gute Dienste verrichten können und dem Mädchen mehr nützen als ihm.

Dankbar für ihre Treue klopfte er ihren Hals, bestieg den Rücken seines Zweitpferdes und blickte nur kurz zu Siranys Fenster hinauf.

Er würde ihr nicht Lebewohl sagen. Sein Herz würde daran zerspringen.

Daher zwang er den Wallach in einem engen Bogen herum und trieb ihn in einem harten Galopp zurück zu seinen Männern.


Sirany konnte nicht sagen, was sie geweckt hatte. Aber schon lange bevor Elendar ihr Haus erreicht hatte, saß sie reglos an ihrem Fenster und schaute hinaus in die Dunkelheit.

Ihr war, als hätte sie nicht mehr genug Luft zum Atmen. Das Herz schmerzte ihr mit jedem Schlag, ließ sich nur mühsam zu einem weiteren zwingen.

Als sie einen Reiter vom Felde heranreiten sah, wusste sie sofort, um wen es sich dabei handelte. Wie erstarrt beobachtete sie jede von Elendars Bewegungen, sah, wie er Chuaya an der Veranda festband und auf das andere Pony sprang.

Er sah nur kurz zu ihr hinauf, konnte sie jedoch in der Dunkelheit ihres Zimmers nicht entdecken. Sie hingegen sah auf seinem nur kurz vom Mondlicht beschienenem Gesicht die dunklen Furchen, die ihm der Abschied in die Haut gegraben hatte.

Dass er fortging, war für Sirany offensichtlich. Sie spürte auch seine Angst, ihr von Angesicht zu Angesicht Lebewohl sagen zu müssen. Daher blieb sie, wo sie war, bis er hinter der ersten Häuserzeile verschwunden war.

Erst danach stand sie auf und ging hinunter zu der Stute, die nervös an der Veranda auf sie wartete. Sirany band sie los und führte sie hinüber in den Stall, der fortan ihre neue Heimat sein würde.


Kapitel 9

Der König der Shari war ein mächtiger Mann und das wusste er sehr genau. Er war einer jener Männer, die genau über ihre Schwächen und Stärken Bescheid wussten und sich nicht der Illusion hingaben, unfehlbar zu sein.

Er wusste genau, wo er seine Schwachpunkte finden konnte. Über die Jahre hinweg hatte er es vermocht, einige Schwächen zu seinen Stärken zu formen. Andere versteckte er wohlweislich und arbeitete an ihnen.

Im Prinzip arbeitete er die ganze Zeit, egal was er machte. Ob er nun Schlachtpläne entwickelte, sich mit Frauen vergnügte oder nur still dalag, in dem Versuch, sich zu entspannen – stets arbeitete es wie ein nicht enden wollendes Uhrwerk in seinem Kopf.

Er entwickelte Pläne und verwarf sie wieder, hatte Ideen und setzte diese um, eroberte Länder und vernichtete Völker, immer in dem Glauben, sein Handeln sei richtig.

Der König der Shari hieß Alexej Karamu. Er war erst neunundvierzig Jahre alt, vielfach verheiratet und vielfach verwitwet. Keine seiner Frauen war an Altersschwäche gestorben und auch nie durch seine eigene Hand. War er ihrer überdrüssig geworden, so hatte er elegantere Methoden, um sie loszuwerden.

Drei seiner Frauen hatten ihm Kinder geschenkt. Drei Töchter, doch nur einen Sohn. Mochte sein Herz zu Eis erfroren sein, diesen einen Sohn wagte er tatsächlich zu lieben. Es ihm zu zeigen war allerdings ein zu hohes Risiko und so wuchs der Knabe mit dem stetigen Gedanken auf, seinem Vater ein Groll zu sein.

Von seinen Töchtern wusste Alexej nicht einmal ihre Namen und sie interessierten ihn auch nicht sonderlich.

Es gab wenige Dinge, die dem König Freude bereitete. Die Befriedigung seiner körperlichen Bedürfnisse vermochte es schon lange nicht mehr. Er versuchte es von Zeit zu Zeit, fand daran aber keine wirkliche Begeisterung mehr.

Das Einzige, woran sein Herz wirklich hing, waren Eroberungen. In jungen Jahren hatten sich diese Eroberungen nur auf Frauen bezogen, deren Herzen er nach und nach brach. Mit zunehmenden Alter und der Thronbesteigung hatten sich seine Eroberungen auf ganze Länder ausgedehnt.

Heute war er König über das größte Reich, das jemals in der Geschichte der Welt existiert hatte. Tausende von Hektar Land konnte er sein Eigen nennen, Millionen Menschen seine Untergebenen. Jeder blickte zu ihm auf, was ihm ein berauschendes Gefühl der Macht verlieh. Nur dieses eine Gefühl bereitete ihm wirklich wahre Freude.

Er war ein mächtiger Mann. Nicht unfehlbar, doch nah dran. Ein Mann, der über seine Fehler Bescheid wusste.

Über seine größte Schwäche dachte er jedoch, sie sei eine seiner Stärken.

Alexej Karamu hasste seine Feinde und verachtete sie, wenn er sie besiegt hatte. Es gab nur ein einziges Volk, bei dem es ihm nicht so ergangen war.

Die Assaren hatte er nie wirklich besiegt. Ja, er hatte sie vernichtet und ihre Oberhäupter in die Knie gezwungen, ja, er hatte sie an den Rand der Verzweiflung getrieben – aber er hatte nie wirklich über sie triumphiert.

Er hatte die Assaren vor knapp dreizehn Jahren überlistet. Sie waren betrogen worden von jemandem aus ihren eigenen Reihen, verraten und verkauft. Ohne diese List hätte Alexej den Kampf gegen dieses Volk verloren.

Diese Schmach lastete schwer auf ihm, reizte ihn tief in seinem Herzen und verleitete ihn dazu, dieses Volk zu schinden, wie es ihm beliebte.

Das war seine größte Schwäche, eine Schwäche, die er nie erkannte.

Vor vielen Jahren hatte Alexej das Land der Assaren überfallen. Es war nur ein kleines Volk und der König erwartete keine größere Auseinandersetzung.

Er hatte jedoch nicht mit der ungeheuren Willensstärke gerechnet, die den Assaren eigen war. Sie kämpften um ihre Freiheit mit einer Wut in ihren Herzen, die den Shari auf ihren langen Eroberungsfeldzügen nie begegnet war.

Mit ihren wilden Haaren und den grimmigen, meist bemalten Gesichtern erinnerten sie eher an Barbaren, die man mit Strategie und Kriegslist schnell in die Knie zwingen konnte. Der Schein trog.

Auf ihrem eigenen Land hatten die Assaren einen Vorteil, den sie gnadenlos gegen ihre Gegner ausspielten.

Sie begannen ein Katz-und-Maus-Spiel, traten im Dunkeln auf wie Geister und verschwanden wieder in ihren Hochebenen. Zurück ließen sie ein Blutbad ohne Vergleich.

Das träge Heer der Shari, geschult im Kampf auf offenem Feld, hatte den wenigen Assaren kaum etwas entgegenzusetzen. Suchtrupps, die man in die Berge geschickt hatte, um das fremde Volk hervorzutreiben, kehrten nie wieder zurück und wenn, dann niemals lebendig.

Alexej wusste, dass jeder Gegner eine Schwäche hatte. Es galt nun, die der Assaren herauszufinden. Das stellte sich bei einem Gegner, den man selten zu Gesicht bekam, als sehr schwierig heraus.

Bald entdeckte der kluge König ihre engen Familienbande. Frau und Kind standen für jeden Krieger der Assaren über alles.

Diese Schwäche ausnutzend, hatte er es geschafft, die Assaren kurz vor seiner eigenen Niederlage zu schlagen. Man hatte ihm verraten, wo die Männer ihre Frauen und Kinder zurückgelassen hatten. Das Blatt wendete sich zu seinen Gunsten, doch er selbst hatte an jenem Tag eine schwere persönliche Niederlage erlitten. Wohl die schwerste in seinem bisherigen Leben.

Um die Kampfmoral der assarischen Männer zu senken, hatte er befohlen, das Dorf zu überfallen und die meisten Frauen zu töten. Die Kinder sollten verschleppt und als Geiseln genommen werden.

Alexej hatte damals den Kampfgeist eines kleinen Jungen unterschätzt, der sich mit dem Mut der Verzweiflung wehrte, um seine Mutter und seine zwei Schwestern zu retten. Drei seiner Soldaten hatten durch ihn ihr Leben ausgehaucht, der König selbst wurde schwer verletzt.

Es war eine Schande, aber er hatte es überlebt – und er war vorsichtiger geworden.

Besiegte Gegner verachtete er und ließ selten Gnade walten. Dieser eine Junge hatte jedoch nicht verloren. Er hatte den König der Shari besiegt.

Das rettete ihm sein Leben.

Jetzt stand dieser Junge vor ihm. Die Jahre hatten ihn zu einem kräftigen jungen Mann heranreifen lassen und sein Geist war ungebrochen. Jede seiner Bewegungen erzählte von einer unbändigen Wildheit, die selbst durch jahrelange Knechtschaft nie zerstört werden konnte.

Sosehr der König dem Jungen auch zugesetzt hatte, hatte er ihn nicht zähmen können. Mittlerweile begnügte er sich mit dem Wissen, ihm wenigstens die Krallen gestutzt zu haben, und benutzte ihn als sein Werkzeug im Kampf.

»Ihr habt eure Arbeit gut gemacht«, sagte Alexej nun.

Er blickte auf Elendar herab, der vor der untersten Stufe des Königsthrons stehen geblieben war. Elendar machte sich nicht die Mühe, auf die Worte des Königs zu reagieren, sondern wartete lediglich ab.

Innerlich kochte Alexej vor Wut. Er hasste es, wenn er nicht mit dem ihm gebührenden Respekt begrüßt wurde. Elendar dafür zu bestrafen war jedoch müßig. Beim nächsten Mal würde es wieder dasselbe sein wie zuvor.

Alexej betrachtete den Krieger vor sich. Er war mager geworden, der Winter hatte ihm zugesetzt. Auch hielt er sich nicht mehr ganz so gerade wie bisher. Etwas musste vorgefallen sein. Etwas, was ihn bis in seine Grundfesten erschüttert hatte.

War es der Verlust seiner Männer gewesen? Alexej hatte Elendar absichtlich in eine Falle laufen lassen. Zu seiner Überraschung hatten die meisten Assaren seines Trupps überlebt. Oder war es etwas anderes?

Augenblicklich beschloss der König, den Grund für die Veränderung so schnell wie möglich herauszufinden.

»Ich habe eine weitere Aufgabe für euch«, sprach Alexej weiter.

Er zwang sich, sich wieder auf das eigentliche Thema zu konzentrieren. Noch immer rief er durch seine Worte keine Reaktion bei Elendar hervor.

»Ich möchte, dass die Assaren den Vorstoß meiner Truppen im Norden unterstützen. Rebellen überfallen dort ständig meine Versorgungstrupps. Ihr müsst sie schützen.«

»Nein.«

Elendar blickte auf. Hass loderte wie eine dunkle Flamme in seinen Augen. Sein Blick durchbohrte Alexej regelrecht.

»Nein? Mein lieber Elendar, mir scheint, du hast den Ernst der Lage weiterhin nicht begriffen.« Der König lächelte zuckersüß. »Du bist nicht in der Position, dich zu weigern.«

»Meine Männer wollen ihre Familien sehen. Sie kämpfen nicht mehr. Erst wollen sie Gewissheit darüber haben, dass ihre Liebsten am Leben sind.«

»Ihr habt die Familien vor zwei Jahren gesehen. Das muss reichen.«

Alexej war wütend aufgesprungen und einige der Stufen hinunter­gesprungen. Jetzt fiel ihm wieder ein, dass man einem Assaren niemals zu nahe kommen sollte.

Elendar wurde zu beiden Seiten von zwei schwer bewaffneten Kriegern flankiert und der König selbst war auch kein Schwächling, aber man konnte nie die Handlung eines Assaren voraussagen.

»Ich meine damit nicht unsere Angehörigen in deinem Schloss. Wir wollen in unser Land zurückkehren. Auch dort haben wir Familie.«

Elendar bat nicht, das spürte Alexej. Er stellte ihm lediglich seine Bedingungen vor. In den dreizehn Jahren seiner Gefangenschaft hatte Elendar nicht einmal um etwas gebeten. Er würde es auch jetzt nicht tun.

Der König überlegte. Er brauchte die Assaren im Norden, doch war ihm auch klar, dass er sie nicht ewig vertrösten konnte. Schließlich nickte er.

»Geht in den Norden, erledigt dort die Rebellen. Dann könnt ihr ohne Umwege zurück in euer Land kehren. Am zehnten des neunten Monats will ich euch wieder bei meinen südlichen Truppen sehen. Ein Teil von ihnen wird in den Norden aufbrechen, um dort die Eroberung fortzusetzen. Schließt euch ihnen an.«

Seine Augen wurden schmal, als er Elendar mahnend betrachtete.

»Wagt es nicht, zu spät zu kommen. Sonst würde es deine Schwester sehr bereuen.«

Elendar war diese Drohung so gewohnt, dass er sie ignorierte. Stattdessen nickte er lediglich, wandte sich grußlos ab und verließ den Saal.

Als die Tür hinter seinem Rücken ins Schloss gefallen war, fragte sich der König, ob er richtig gehandelt hatte. Einem Assaren sollte man niemals zu viel Spielraum geben. Er könnte auf falsche Gedanken kommen. Doch jetzt war es ohnehin zu spät, seine Entscheidung zurückzunehmen.


Elendar fiel auf wie ein bunter Hund, als er durch die Reihen sharischer Zelte hinüber zu seinen Männern ging. Die Soldaten hoben ihre Köpfe, sobald sie ihn bemerkten, und ihre Blicke folgten ihm.

Der Anblick eines Assaren erregte immer allgemeine Aufmerksamkeit. Es war schließlich selten, einen jener Männer zu Gesicht zu bekommen, um die sich so viele Geschichten rankten. Elendar war noch dazu ein ganz besonderer Assar. Der Assar, der beinahe den sharischen König getötet hätte. Ihm zu begegnen war beinahe ein Sakrileg.

Deshalb war Elendar froh, als er bei seinen Männern ankam. Er war das Starren und Wispern gewohnt und empfand es trotzdem als ausgesprochen unangenehm. Mit einer einzigen Kopfbewegung befahl er seine Männer zu sich. Dann erzählte er ihnen kurz und knapp vom Gespräch mit dem König. Als er zum Ende kam, begannen sie zu murren und Elendar musste sie erst einmal beruhigen.

»Wir übernachten heute hier. Weiterzuziehen wäre bei dem Wetter zu gefährlich und die Pferde sind erschöpft. Lasst die Waffen stets griffbereit und fangt um Himmels willen keinen Streit an.«

Die Männer taten wie geheißen, versorgten ihre Ponys und bereiteten ihr Nachtlager vor. Schließlich saßen sie um ein prasselndes Feuer herum und schwiegen sich an. Sie wussten, dass keiner von ihnen in dieser Nacht schlafen würde. Nicht, solange sie von ihren Feinden umzingelt waren.

Die Nacht zog sich dahin. In dem riesigen Armeelager kehrte schließlich Ruhe ein, unterbrochen von dem lauter werdenden Schnarchen zahlreicher Männer. Wie stille Wächter saßen die Assaren da und warteten auf den kommenden Morgen.

Plötzlich spürte Elendar mehr eine Bewegung, als dass er sie sehen konnte. Jemand ging zwischen den Pferden der Assaren umher.

Leise stand Elendar auf und hielt direkt auf den Schatten zu, den er neben einem braunen Hengst entdeckt hatte. Er wusste sehr genau, wen er gleich treffen würde und freute sich darüber.

»Ich habe dich erwartet, mein Freund«, begrüßte er den Mann, der sich abwartend auf den Widerrist eines Hengstes gelehnt hatte.

Als Elendar ihm seine Hand entgegenstreckte, ergriff der Fremde sie und schlug ein.

»Und ich habe auf dich gewartet, mein Freund«, erwiderte er.

Erleichtert umarmten sie einander, eine Geste, die beide in Todesgefahr bringen konnte. Dennoch gingen sie das Risiko ein. Vor Elendar stand niemand Geringeres als Raell Karamu, Sohn des sharischen Gottkönigs persönlich.

»Du warst bei meinem Vater. Ich hoffe, er hat dir nicht zu sehr zugesetzt.«

»Er war höflich wie immer.«

Elendar wusste, dass seine Männer hinter ihm verzweifelt versuchten, das Gespräch zu belauschen. Die kurzen Treffen mit dem Sohn des Königs waren für sie von höchster Bedeutung, um Neuigkeiten über ihre Familien zu erfahren. Zuerst musste er jedoch wichtigere Dinge besprechen.

»Dein Brief kam zu spät, Raell. Er erreichte uns erst, nachdem wir schon im Hinterhalt gefangen waren. Trotzdem danke, dass du uns warnen wolltest.«

»Es war einen Versuch wert. Tut mir leid um deine Männer. Mein Vater möchte dich dringender denn je loswerden. Dich öffentlich hinzurichten lässt sein Stolz nicht zu. Wenn du in einem einsamen Winkel seines Reiches von der Bildfläche verschwindest, würde ihm das sehr gefallen. Er steckt hinter dem Hinterhalt, nicht die angeblichen Rebellen. Du musst vorsichtiger sein!«

Elendar nickte ernst, bemerkte dann jedoch Raells seltsamen Blick. Er erstarrte. »Es gibt schlechte Neuigkeiten, nicht wahr?«

Raell wich seinem Blick aus. Seufzend nickte er. »Sag deinen Männern, dass bei ihren Familien alles in Ordnung ist. Efnors Tochter kümmert sich nach dem Tod von Sabrin um ihre Tochter.« Er verstummte, als er Elendar erblassen sah.

Die Panik in den Augen des Assaren schnürte seinem Freund die Kehle zu. »Was ist mit Caina?«, flüsterte Elendar. Seine Lippen zitterten, Schweiß trat auf seine Stirn. »Was ist mit meiner Schwester?«

Raell atmete tief durch. »Sie ist tot.«

Die Worte hallten Elendar im Kopf herum, als er Raell ungläubig anstarrte. Sie gruben sich unauslöschlich in jede Zelle seines Gehirns, brannten sich dort hinein wie glühendes Eisen. Ein körperlicher, stechender Schmerz glitt wie zischendes Licht durch seinen gesamten Körper und traf sein Herz mit tödlicher Wucht. Unwillkürlich krümmte er sich zusammen und schlug die Hände vor die Brust.

»Elendar«, war alles, was Raell hervorbrachte. Er stützte seinen Freund in der bittersten Stunde seines Lebens. »Es tut mir so leid.«

Efnor musste gespürt haben, was geschehen war, vielleicht hatte er Elendar auch zusammenbrechen sehen. Er kam heran, blickte erst zu Raell, dann zu Elendar und verstand.

»Caina?«

Raell nickte. »Allen anderen geht es gut.«

Für Efnor waren das die erlösenden Worte, aber als er seinen Anführer anblickte, trieb es ihm fast die Tränen in die Augen. Für Elendar war heute Abend zum zweiten Mal in Folge eine Welt zusammen­gebrochen.

Erst Sirany, jetzt Caina, dachte Efnor bekümmert. Er beugte sich zu Elendar hinunter und tätschelte ihm ungeschickt den Rücken. Efnor war kein Mann der großen Worte. Er vertraute darauf, dass allein seine Anwesenheit genügen mochte.

Unvermittelt richtete sich Elendar auf, gleichzeitig vernahmen Raell und Efnor das Geräusch von Stahl, der aus einer Scheide glitt.

Beide traten instinktiv zurück und blickten den Assaren an, der mit blank gezogenem Schwert vor ihnen stand. Seine Augen waren so dunkel wie die Mitternacht und glänzten unnatürlich im Schein des weit entfernten Feuers. Seine Miene spiegelte keinerlei Regung wider, sein Blick war auf einen nur für ihn sichtbaren Punkt auf der Erde gerichtet. Die Muskeln spannten sich unter seiner Kleidung, wirkten bedrohlich und gefährlich.

Hätte Efnor Elendar nicht schon ewig gekannt, so hätte er sich vor ihm gefürchtet.

»Mach jetzt keinen Fehler, Elendar«, warnte ihn Raell, doch der Assar wirbelte bereits herum und durchquerte mit riesigen Schritten das Lager der Shari. Ohne zu zögern, hasteten die beiden anderen hinter ihm her.

Raell ging ein großes Risiko ein, sich so offen zu zeigen. Niemand durfte von seinen heimlichen Treffen mit den Assaren erfahren. Um seinen Freund aufzuhalten, wagte er es trotzdem. Zum Glück trug er eine weite Kapuze, die sein Gesicht verdeckte.

»Elendar, bleib stehen.« Er packte den Assaren und zog ihn zu sich herum. Als er in dessen eisiges Gesicht blickte, bekam er eine Gänsehaut. »Wo willst du denn hin?«

»Ich will sie sehen.«

Elendars Stimme klang seltsam fremd, dunkel und verzerrt.

»Das kannst du nicht. Sei vernünftig, rein theoretisch weißt du gar nichts von ihrem Tod. Mein Vater glaubt weiterhin, er könne dich belügen.«

Seine Worte prallten an Elendar ab. Vor Kummer nahm der Assar seine Umwelt kaum noch wahr, starrte blicklos vor sich hin.

Schließlich strecke Efnor vorsichtig seine Hand aus, packte Elendars Schwert und zog es aus seiner Umklammerung. Dieser ließ es widerstandslos geschehen. Er wehrte sich auch nicht, als die beiden ihn zum Lager zurückbrachten. Dort angekommen, zwang Raell ihn, sich auf einen Stein vor das Feuer zu setzen, legte ihm eine Decke um und setzte sich neben ihn.

Elendar schloss die Augen und sah für einen winzigen Moment das Bild seiner Schwester aufblitzen. Sie lächelte – wie meistens. Ihre langen Haare flossen ihr in sanften Wellen über die schlanken Schultern, während ihre Augen vor Freude glänzten.

Dann verschwand das Bild und Elendar war wieder allein.

Er brauchte fünf Minuten, um sich zu sammeln. Fünf Minuten, in denen er seine Kraft sammelte und sich innerlich straffte. Sein Volk brauchte ihn jetzt und er musste stark sein. Er würde später zusammen­brechen. Nicht jetzt.

Mit einem Ruck stand er auf und sah einen Mann nach dem anderen streng an. »Wir brechen auf. Sofort. Packt eure Sachen. Ich will in einer Woche im Norden sein. Je eher wir mit den Rebellen fertig sind, desto schneller könnt ihr zu euren Familien.«

Kurz bückte Elendar sich, hob sein Schwert von der Erde auf und steckte es zurück in die Scheide. Dann ging er zu seinem Pony.

»Sag ihm zu einem späteren Zeitpunkt, dass Caina bereits beerdigt wurde. Sie ist vor drei Tagen im Morgengrauen von uns gegangen. Es wurde angemessen für sie gebetet«, sagte Raell leise zu Efnor, als Elendar ihn nicht mehr hören konnte.

»Er wird wissen wollen, wie sie gestorben ist.«

Raells Augen verdunkelten sich. »Sag ihm, sie sei an der Grippe gestorben.«

»Ist sie das?«

»Nein. Aber die Wahrheit sollte er nie erfahren. Sie würde ihn umbringen.«

399
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9783959913478
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