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Es war bereits sechs Uhr und mehrere Gäste waren schon eingetroffen, als der Hausherr selbst erst anlangte. Er trat zusammen mit Sergey Iwanowitsch Koznyscheff und Peszoff ein, die mit ihm zu gleicher Zeit an der Einfahrt zusammengetroffen waren. Diese waren die zwei Hauptrepräsentanten der Moskauischen Intelligenz, wie sie Oblonskiy nannte. Beide, nach Charakter und Geist angesehene Männer, achteten sich auch gegenseitig, hegten aber fast in allem eine unversöhnliche Meinungsverschiedenheit, nicht deshalb, weil sie entgegengesetzten Richtungen gehuldigt hätten, sondern gerade deshalb, weil sie einem gemeinsamen Lager angehörten – ihre Feinde identifizierten sie – in diesem Lager aber ein jeder von ihnen seine eigene Schattierung besaß. Da nun indes nichts für eine gegenseitige Übereinstimmung weniger förderlich ist, als die Meinungsverschiedenheit in den fernerliegenden Dingen, so kamen sie in ihren Meinungen nicht nur niemals überein, sondern waren schon längst daran gewöhnt, ohne sich zu ereifern, über ihren unverbesserlichen Irrtum sich gegenseitig lustig zu machen.

Sie traten gerade durch die Thür, im Gespräch über das Wetter, als Stefan Arkadjewitsch sie einholte. Im Salon saß bereits der Fürst Aleksander Dmitrijewitsch Schtscherbazkiy, der junge Schtscherbazkiy, Turowzyn, Kity und Karenin.

Stefan Arkadjewitsch nahm sofort wahr, daß ohne ihn die Unterhaltung im Salon nicht in Fluß kam; Darja Aleksandrowna in einer grauseidenen Salonrobe, befand sich augenscheinlich in Sorge um ihre Kinder, welche in der Kinderstube allein speisen mußten, und um ihren Gatten, der noch nicht anwesend war. Sie verstand nicht recht, ohne dessen Hilfe diese ganze Gesellschaft in Fluß zu bringen.

Alle saßen wie „Popentöchter auf Besuch“, um mit den Worten des alten Fürsten zu reden, augenscheinlich in Unklarheit darüber, weshalb sie eigentlich hierher gekommen waren, und Worte machend, um nur nicht zu schweigen.

Der gutmütige Turowzyn fühlte sich offenbar nicht in seiner Sphäre, und das Lächeln seiner wulstigen Lippen, mit welchem er Stefan Arkadjewitsch begrüßte, schien zu sagen: „Da Bruderherz, du hast mich mit so verständigen Leuten zusammengesetzt! Laß uns lieber zechen, Château des fleurs, das ist etwas für mich!“ —

Der alte Fürst saß schweigsam, mit seinen blitzenden Augen Karenin von der Seite anblickend, und Stefan Arkadjewitsch erkannte, daß jener bereits ein Bonmot ersonnen hatte über diesen Amtsmenschen, der stumm wie ein Fisch zu Besuch war.

Kity blickte nach der Thür, ihre Kräfte zusammennehmend, um nicht zu erröten bei dem Eintritt Konstantin Lewins. Der junge Schtscherbazkiy, mit welchem man Karenin nicht bekannt gemacht hatte, bemühte sich zu zeigen, daß ihn dies durchaus nicht beengte; Karenin selbst, war nach seiner Petersburger Gepflogenheit zum Essen mit Damen im Frack und weißer Halsbinde erschienen. Stefan Arkadjewitsch erkannte an seinen Mienen, daß er nur gekommen war, das gegebene Wort zu erfüllen und durch seine Gegenwart in dieser Gesellschaft eine schwere Pflicht erfüllte. Er bildete die eigentliche Ursache der herrschenden Steifheit, vor welcher alle Gäste bis zur Ankunft Stefan Arkadjewitschs gefröstelt hatten.

Nachdem dieser in den Salon eingetreten war, entschuldigte er sich, teilte zur Aufklärung mit, daß er von jenem Fürsten zurückgehalten worden sei, der für ihn den Sündenbock für alle Verspätungen und jedes Ausbleiben abgeben mußte und in einem Augenblick hatte er alles miteinander bekannt gemacht. Aleksey Aleksandrowitsch mit Sergey Koznyscheff zusammenbringend, gab er diesen ein Thema über die Russifizierung Polens, in welches sie sich sogleich mit Peszoff vertieften. Turowzyn auf die Schulter klopfend, flüsterte er etwas Schelmisches dazu und setzte ihn zu seiner Frau und dem alten Fürsten. Darauf sagte er Kity, sie sehe heute so hübsch aus und machte Schtscherbazkiy mit Karenin bekannt. In einer Minute hatte er diesen gesellschaftlichen Teig so durchgeknetet, daß der Salon voller Leben war und das Stimmgewirr lebhaft durcheinandertönte.

Nur Konstantin Lewin war noch nicht anwesend. Stefan Arkadjewitsch hatte indessen, in das Speisezimmer tretend, zu seinem Schrecken bemerkt, daß der Portwein und Xeres von Depres und nicht von Löwe geliefert war und befohlen, den Kutscher so schnell als möglich zu Löwe zu schicken. Als er hierauf in den Salon zurückkehrte, traf er im Speisezimmer mit Konstantin Lewin zusammen.

„Ich habe mich doch nicht verspätet?“

„Könntest du nicht auch einmal zu spät kommen?“ antwortete Stefan Arkadjewitsch, ihn unter dem Arme nehmend.

„Du hast viel Besuch? Wer ist denn alles da?“ frug Lewin, unwillkürlich errötend und mit dem Handschuh den Schnee vom Hute entfernend.

„Alles Verwandte. Kity ist auch da. Komm, ich will dich mit Karenin bekannt machen.“

Stefan Arkadjewitsch wußte, daß ihm ungeachtet seiner freisinnigen Anschauungen, seine Bekanntschaft mit Karenin nur zur Ehre gereichen könnte und er regalierte daher seine besten Freunde mit derselben. Aber im gegenwärtigen Moment war Konstantin Lewin nicht imstande, die ganze Wonne über diese Bekanntschaft vollständig zu empfinden.

Er hatte Kity seit jenem denkwürdigen Abend, an welchem er Wronskiy begegnete, nicht wiedergesehen, wenn er nicht etwa jene Minute rechnen wollte, in der er sie auf der Landstraße erblickt hatte. Auf dem Grunde seiner Seele hatte er sich ja gesagt, daß er sie heute hier wiedersehen werde. Aber das freie Walten seiner Gedanken unterdrückend, bemühte er sich, sich selbst zu versichern, daß er es doch gar nicht wisse. Jetzt aber, nachdem er vernommen hatte, sie sei anwesend, fühlte er plötzlich eine so mächtige Freude und zugleich ein solches Erschrecken, daß ihm der Atem stockte und er nicht auszusprechen vermochte, was er sagen wollte.

„Wie mag sie aussehen? Ist sie noch so, wie sie früher war, oder so, wie sie im Wagen erschien? Wie, wenn Darja Aleksandrowna die Wahrheit gesagt hätte? Und weshalb sollte sie dies nicht gethan haben?“ dachte er.

„Bitte, mache mich mit Karenin bekannt,“ brachte er mit Anstrengung heraus und betrat dann mit verzweifelt entschlossenem Schritt den Salon, wo er ihrer ansichtig wurde.

Sie war nicht mehr die nämliche, als die sie ihm früher erschienen, auch nicht die mehr, welche er in der Kutsche gesehen – sie war eine vollständig andere geworden. —

Sie war erschreckt, verschüchtert, verwirrt, aber deswegen nur um so reizender. Sie hatte ihn sofort wahrgenommen, als er in den Salon trat; hatte seiner geharrt. Ein freudiges Gefühl überkam sie und ihre Verwirrung in dieser Freude ging soweit, daß es einen Moment, – als er zur Dame des Hauses schritt und sie nochmals anblickte, – sowohl ihr selbst, als Dolly die alles gesehen hatte, schien, als könne sie diese Freude nicht ertragen und müsse in Thränen ausbrechen. Kity errötete und erbleichte, errötete wieder und saß dann wie erstarrt, mit leise bebenden Lippen, ihn erwartend.

Er trat zu ihr, verbeugte sich und reichte ihr schweigend die Hand.

Wäre nicht das leichte Beben der Lippen, und die Feuchtigkeit, die ihr Auge überdeckte und es schimmern machte, gewesen, so würde das Lächeln fast ruhig gewesen sein, mit welchem sie sagte:

„Wie lange haben wir uns doch nicht gesehen!“ Mit verzweifelter Entschlossenheit drückte sie seine Hand mit ihrer kalten Rechten.

„Ihr habt mich nicht wieder gesehen, ich aber habe Euch nochmals gesehen,“ antwortete Lewin, von einem Lächeln des Glückes strahlend, „ich sah Euch, als Ihr von der Eisenbahn nach Jerguschowo fuhret.“

„Wann denn,“ frug sie erstaunt.

„Ihr fuhret nach Jerguschowo,“ sprach Lewin, welcher fühlte, daß er sich vor der Seligkeit verschluckte, die sein Inneres durchströmte. „Wie verwegen war es von mir, mit diesem rührenden Geschöpf etwas in Verbindung zu bringen, was nicht unschuldig hieße. Es scheint allerdings, als wäre wahr, was Darja Aleksandrowna gesagt hat,“ dachte er.

Stefan Arkadjewitsch nahm ihn am Arme und führte ihn zu Karenin.

„Gestattet mir, vorzustellen“ – er nannte beider Namen.

„Sehr angenehm, Euch wiederum zu begegnen,“ erwiderte Aleksey Aleksandrowitsch kühl, Lewin die Hand drückend.

„Ihr kennt Euch?“ frug Stefan Arkadjewitsch verwundert.

„Wir haben drei Stunden vereint im Waggon verlebt,“ lächelte Lewin, „und trennten uns dann wieder, nachdem wir, wie bei einer Maskerade, einander einen Streich gespielt hatten – wenigstens ging mir es so.“

„So, so! Darf ich denn nun bitten?“ fuhr Stefan Arkadjewitsch fort, in der Richtung nach dem Speisezimmer zeigend.

Die Herren betraten dasselbe und begaben sich zu dem Tisch mit einem Imbiß, der aus sechs Sorten Liqueuren, ebensoviel Sorten Käse, mit silbernen Löffelchen, Kaviar, Hering, verschiedenen Konserven bestand und Tellern voll Scheiben französischen Weißbrotes. Die Herren standen bei den duftenden Liqueuren und dem Imbiß, und die Unterhaltung über die Russifizierung Polens zwischen Sergey Iwanowitsch Koznyscheff, Karenin und Peszoff verstummte in der Erwartung der Tafel.

Sergey Iwanowitsch, der es wie keiner verstand, im Interesse der Beendigung eines ernsten Streitgesprächs ganz unvorhergesehenerweise ein wenig attisches Salz zu streuen und damit die Stimmung der Parteien zu ändern, that dies auch jetzt.

Aleksey Aleksandrowitsch hatte dargelegt, daß eine Russifizierung Polens nur auf Grund edelster Prinzipien zur Durchführung zu bringen sei, die von der russischen Verwaltung einzuführen wären.

Peszoff behauptete, ein Volk könne sich einem anderen nur dann assimilieren, wenn es dichter mit Kolonisten desselben durchsetzt würde.

Koznyscheff erkannte beides an, aber mit Beschränkungen. Als man den Salon verließ, sagte er, um das Gespräch zu schließen, lächelnd:

„Es giebt demnach für die Russifizierung der Ausländer nur ein Mittel – so viel als möglich Kinder dorthin zu exportieren. Auf diese Weise gehen wir mit unsern eigenen Leuten am wenigsten human um. Ihr aber als verheiratete Leute, ihr Herren, besonders Ihr, Stefan Arkadjewitsch, würdet so völlig patriotisch handeln. Wieviel Kinder habt Ihr?“ wandte er sich freundlich lächelnd an den Hausherrn, diesem ein kleines Gläschen hinreichend.

Alle lachten, am lustigsten Stefan Arkadjewitsch selbst.

„Ja, das ist das allerbeste Mittel!“ sagte er, Käse kauend und eine ganz besondere Sorte Liqueur in das dargebotene Gläschen gießend. Das Gespräch hatte in der That mit dem scherzhaften Einfall sein Ende erreicht. „Der Käse ist nicht übel. Befehlt Ihr?“ frug der Hausherr. „Hast du nicht wieder geturnt?“ wandte er sich dann an Lewin, mit der Linken dessen Armmuskel befühlend. Lewin lächelte, er spannte den Armmuskel und in den Fingern Stefan Arkadjewitschs hob sich wie ein runder Käse ein stahlharter Hügel unter dem dünnen Stoff des Überrockes. „Das ist der Biceps! Der reine Simson! Ich glaube, man muß viel Kraft haben für die Bärenjagd,“ fuhr Stefan Arkadjewitsch fort, der nur sehr dunkle Vorstellungen von der Jagd hatte, und strich sich Käse, eine Scheibe Brot, so dünn wie ein Spinnengewebe, brechend.

Lewin lächelte.

„Gar keine, im Gegenteil, ein Kind kann einen Bären töten,“ sagte er, mit leichter Verbeugung vor den Damen zur Seite tretend, welche mit der Dame des Hauses zu dem Büffet gingen.

„Ihr habt einen Bären erlegt, sagte man mir?“ frug Kity, sich aufmerksam bemühend, mit der Gabel einen widerspenstigen, beiseite schlüpfenden Pilz aufzuspießen, wobei sie die Spitzen schüttelte, aus welchen ihre weiße Hand hervorschimmerte. „Giebt es denn bei Euch Bären?“ fügte sie hinzu, halb abgewendet ihr reizendes Köpfchen nach ihm hin drehend und lächelnd.

Es schien nichts Ungewöhnliches in dem zu liegen, was sie gesagt hatte, aber eine gewisse für ihn mit Worten nicht auszudrückende Bedeutsamkeit, lag in jedem Ton, in jeder Bewegung ihrer Lippen, ihrer Augen und Hände, als sie dies sagte. Es lag selbst eine Bitte um Vergebung, ein Zutrauen zu ihm darin, eine Zärtlichkeit, eine weiche, schüchterne Zärtlichkeit und eine Verheißung, eine Hoffnungsseligkeit und Liebe zu ihm, an die er glauben mußte, und die ihn mit Glückseligkeit fast erdrückte.

„Nein, wir waren in das Gouvernement Twersk gefahren. Auf der Rückkehr von dort traf ich im Waggon mit Eurem Beau-frère, oder dem Schwager Eures Beau-frère zusammen,“ sagte er lächelnd. „Es war ein komisches Zusammentreffen.“

Heiter scherzend erzählte er nun, wie er, nachdem er eine ganze Nacht hindurch nicht geschlafen hatte, im Halbpelz, in das Coupé Aleksey Aleksandrowitschs geraten sei.

„Der Schaffner wollte mich meiner Garderobe halber wieder herausbringen, aber da begann ich, mich in der höheren Sprechweise auszudrücken, – und Ihr desgleichen,“ – wandte er sich an Karenin, dessen Namen er vergessen hatte, „man wollte mich anfangs des Halbpelzes halber herausbringen, aber dann tratet Ihr für mich ein, wofür ich Euch sehr dankbar bin.“

„Im allgemeinen sind die Rechte der Passagiere für die Auswahl der Plätze sehr unbestimmt,“ sagte Aleksey Aleksandrowitsch, sich mit dem Taschentuch die Fingerspitzen abwischend.

„Ich hatte gesehen, daß Ihr über meine Persönlichkeit in Ungewißheit waret,“ fuhr Lewin mit gutmütigem Lächeln fort, „aber ich beeilte mich, eine verständige Unterhaltung anzuspinnen, um den Eindruck meines Halbpelzes zu verwischen.“

Sergey Iwanowitsch, welcher ein Gespräch mit der Dame des Hauses führte, und dabei mit dem einen Ohr nach dem Bruder hinhörte, schielte diesen von seitwärts an. „Was hat er nur heute, er sieht so triumphierend aus,“ dachte er. Er wußte nicht, daß Lewin fühlte, wie ihm die Flügel gewachsen waren. Lewin wußte, daß sie seine Worte hörte und daß ihr es angenehm war, ihn zu hören; dies allein beschäftigte ihn. Nicht nur in diesem Zimmer, in der ganzen Welt waren für ihn nur er selbst, der jetzt für sich eine außerordentliche Bedeutung und Wichtigkeit gewonnen hatte, und sie vorhanden. Er fühlte sich auf einer Höhe, vor der ihm der Kopf wirbelte und ganz drunten, weit entfernt, befanden sich alle diese guten Leute da, die Karenin, Oblonskiy und die ganze Welt.

Ganz ohne Aufsehen, ohne einen Blick auf die beiden zu werfen, als ob eben eine andere Anordnung nicht möglich wäre, setzte Stefan Arkadjewitsch Lewin und Kity neben einander.

„Ach, du setzest dich doch hierher,“ wandte er sich an Lewin.

Das Essen war ebenso vorzüglich, wie das Geschirr, von welchem Stefan Arkadjewitsch großer Liebhaber war. Die Suppe à la Marie-Luise war ausgezeichnet gelungen, die Pasteten, welche im Munde zergingen, waren tadellos. Zwei Diener und Matwey in weißen Halsbinden erfüllten ihre Obliegenheiten mit den Speisen und dem Wein unmerklich, leise und flink.

Nach der materiellen Seite hin war das Essen gelungen, aber nicht weniger auch nach der nicht materiellen.

Die Unterhaltung, bald allgemein bald im Einzelgespräch sich bewegend, verstummte nicht und bei der Aufhebung der Tafel war die Stimmung so belebt geworden, daß sich die Herren vom Tische erhoben, ohne das Gespräch abzubrechen und selbst Aleksey Aleksandrowitsch animiert worden war.

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Peszoff liebte es, bis aufs Äußerste zu diskutieren und wurde nicht von den Worten Sergey Iwanowitschs befriedigt, umsoweniger, als er das Unrichtige in seiner eigenen Meinung fühlte.

„Ich habe durchaus nicht,“ sagte er bei der Suppe, zu Aleksey Aleksandrowitsch gewendet, „die Dichte der Bevölkerung allein gemeint, sondern diese in Verbindung mit gewissen Grundlagen, nicht mit Prinzipien.“

„Mir scheint,“ antwortete Aleksey Aleksandrowitsch langsam und nachlässig, „daß dies ein und dasselbe wäre. Nach meiner Meinung kann auf ein anderes Volk nur der einwirken, welcher den höheren Bildungsgrad besitzt, welcher“ —

„Und hierum dreht sich eben die Frage,“ fiel mit tiefem Baß Peszoff ein, der fortwährend ungeduldig zu Worte zu kommen gesucht hatte, und wie es schien, stets seine ganze Seele in das legte, worüber er sprach – „wo liegt die höchste Bildung? Die Engländer, Franzosen, Deutschen, wer von ihnen befindet sich auf dem höchsten Grade der Bildung? Wer soll den andern nationalisieren? Wir sehen, daß der Rhein sich gallisiert hat und die Deutschen stehen deshalb doch nicht weniger in Wert!“ rief er, „hier handelt es sich um ein anderes Gesetz!“

„Mir scheint, als ob der Einfluß stets auf seiten der wahren Bildung läge,“ bemerkte Aleksey Aleksandrowitsch, leicht die Brauen in die Höhe ziehend.

„Aber worin sollen wir die Kennzeichen wahrer Bildung suchen?“ frug Peszoff.

„Ich glaube, daß diese Kennzeichen bekannt sind,“ antwortete Aleksey Aleksandrowitsch.

„Sind sie vollständig bekannt?“ warf mit feinem Lächeln Sergey Iwanowitsch ein. „Es ist jetzt anerkannt, daß die echte Bildung nur die rein klassische sein kann, und doch sehen wir das verstockte Streiten von dieser und von jener Seite, und es läßt sich nicht leugnen, daß auch das gegnerische Lager starke Argumente zu seinen Gunsten aufführen kann.“

„Ihr seid Anhänger der klassischen Bildung, Sergey Iwanowitsch, – wollt Ihr Rotwein?“ sagte Stefan Arkadjewitsch.

„Ich spreche meine Meinung weder über diese noch über jene Bildung aus,“ antwortete Sergey Iwanowitsch mit einem Lächeln der Herablassung, wie man es einem Kinde gegenüber hat, und schob sein Glas hin, „ich sage nur, daß beide Richtungen gewichtige Argumente für sich haben,“ fuhr er dann fort, sich zu Aleksey Aleksandrowitsch wendend, „ich bin Anhänger der klassischen Bildung infolge meiner Erziehung, aber in diesem Streit über die Frage vermag ich persönlich keine Stellung für mich zu finden. Ich sehe keine klaren Beweise, weshalb der klassischen Bildung der Vorzug vor der realen gegeben wird.“

„Die Naturwissenschaften haben ebensoviel pädagogisch bildenden Einfluß!“ behauptete Peszoff. „Nehmt nur die Astronomie, nehmt die Botanik, die Zoologie mit ihrem System allgemeiner Gesetze!“

„Ich kann nicht völlig hiermit übereinstimmen,“ erwiderte Aleksey Aleksandrowitsch; „mir scheint, man muß unbedingt zugeben, daß schon der Prozeß der Erlernung der Sprachformen selbst besonders günstig auf die geistige Entwickelung einwirkt. Außerdem aber läßt sich auch nicht leugnen, daß der Einfluß der klassischen Schriftsteller ein im höchsten Grade ethischer ist, während sich leider mit dem Unterricht in den Naturwissenschaften jene schädlichen und irrigen Lehrmeinungen, die einen Krebsschaden unserer Zeit darstellen, verbinden.“

Sergey Iwanowitsch wollte etwas erwidern, allein Peszoff unterbrach ihn mit seinem tiefen Basse, und begann eifrig die Unrichtigkeit dieser Meinung nachzuweisen. Sergey Iwanowitsch wartete ruhig ab, bis er zu Worte kommen konnte, die siegreiche Entgegnung augenscheinlich schon in Bereitschaft haltend.

„Aber,“ begann er, sich mit feinem Lächeln an Karenin wendend, „man muß doch sicherlich damit einverstanden sein, daß es schwierig ist, alle Vorteile und Nachteile dieser und der anderen Wissenschaften abzuwägen, und daß die Frage, welche vorzuziehen sei, nicht so schnell und endgültig entschieden wäre, wenn nicht auf seiten der klassischen Bildung jener Vorzug bestände, den Ihr soeben genannt habt, der ethische oder – disons le mot – der antinihilistische Einfluß.“

„Ohne Zweifel.“

„Befände sich nicht dieser Vorzug des antinihilistischen Einflusses auf seiten der klassischen Wissenschaften, so müßten wir eher nachdenken, müßten die Argumente für beide Richtungen abwägen,“ sagte Sergey Iwanowitsch fein lächelnd, „und würden dieser und der anderen Richtung Spielraum lassen müssen. Nun aber wissen wir, daß in diesen Pillen der klassischen Bildung die Heilkraft des Antinihilismus liegt, und werden diese daher kühnlich unseren Patienten verschreiben. Und warum sollten sie eine Heilwirkung nicht besitzen?“ schloß er, sein attisches Salz streuend.

Bei der Erwähnung der Pillen Sergey Iwanowitschs lachte alles, und ausnehmend laut und lustig Turowzin, der nur auf den witzigen Punkt gewartet hatte, während er dem Gespräch zuhörte.

Stefan Arkadjewitsch hatte sich nicht verrechnet, als er Peszoff mit einlud. Wo dieser war, konnte die geistreiche Unterhaltung nicht für eine Minute verstummen und kaum hatte Sergey Iwanowitsch mit seinem Scherz das Thema erschöpft, als Peszoff schon sogleich ein neues aufstellte.

„Man kann aber auch nicht damit einverstanden sein,“ sagte er, „daß etwa die Regierung dieses Ziel verfolgen möchte. Die Regierung wird augenscheinlich von allgemeinen Erwägungen geleitet, und bleibt den Einflüssen gegenüber indifferent, welche die ergriffenen Maßregeln im Gefolge haben können. Zum Beispiel die Frage der Frauenemancipation müßte für höchst gefahrdrohend gehalten werden, und doch öffnet die Regierung die Studienkurse und Universitäten für das weibliche Geschlecht.“

Die Unterhaltung war nun sofort auf das neue Thema der Frauenemancipation übergesprungen.

Aleksey Aleksandrowitsch gab dem Gedanken Ausdruck, daß die Bildung des weiblichen Geschlechts gewöhnlich mit der Frage der Frauenemancipation vermengt würde und nur deshalb für schädlich erachtet werden könne.

„Ich glaube im Gegenteil, daß diese beiden Fragen untrennbar miteinander verbunden sind,“ bemerkte Peszoff, „hier liegt ein Trugschluß vor. Das Weib ist der Rechte beraubt wegen seines Mangels an Bildung, der Mangel an Bildung aber rührt her von seiner Rechtlosigkeit. Man darf es nicht vergessen, daß die Sklaverei des Weibes so mächtig und alt ist, daß wir oft nicht einmal den Abgrund erkennen wollen, der die Weiber von uns trennt.“

„Ihr habt da von Rechten gesprochen,“ meinte Sergey Iwanowitsch, welcher gewartet hatte, bis Peszoff schwieg, „wohl von den Rechten auf Arbeit in den Ämtern der Geschworenen, Polizeidirektoren, der Beamten, Parlamentsmitglieder“ —

„Ohne Zweifel.“

„Aber wenn die Frauen, in einem seltenen Ausnahmefall, auch diese Ämter erlangen sollten, so scheint mir dann immer noch, als hättet Ihr da den Ausdruck ‚Rechte‘ nicht richtig angewendet. Richtiger wäre dann, zu sagen ‚Pflicht‘. Jedermann wird zugeben, daß wir in der Ausübung irgend eines Amtes als Geschworene oder Telegraphenbeamte, empfinden, daß wir damit einer Pflicht Genüge leisten, und demnach ist es richtiger, sich dahin auszudrücken, daß die Frauen die Übernahme von Pflichten anstreben, und zwar auf vollständig gesetzmäßige Weise. Man kann sich zu diesem ihrem Wunsche, an der allgemeinen Wirksamkeit des Mannes mit hilfreich zu werden, nur zustimmend verhalten.“

„Vollständig richtig,“ bestätigte Aleksey Aleksandrowitsch, „die Frage ist, glaube ich, nur die, ob sie zur Erfüllung dieser Pflichten auch die Fähigkeit besitzen!“

„Wahrscheinlich werden sie sehr wohl fähig sein,“ behauptete Stefan Arkadjewitsch, „sobald einmal die Bildung unter ihnen verbreitet sein wird. Wir sahen dies“ —

„Ist mir's gestattet – ein Sprichwort?“ – frug jetzt der Fürst mit seinen kleinen schelmischen Augen blinzelnd, welcher schon lange dem Gespräch zugehört hatte; „in der Gegenwart meiner Töchter darf ich schon so sprechen: „Lange Haare“ —

„Ganz so hat man auch über die Neger gedacht, bevor sie befreit waren,“ rief Peszoff hitzig.

„Ich finde es nur seltsam, daß die Weiber neue Pflichten suchen,“ sagte Sergey Iwanowitsch, „da wir doch leider sehen, daß die Männer gewöhnlich den ihren aus dem Wege gehen.“

„Die Pflichten sind eben verknüpft mit Rechten: Macht, Reichtum und Würden – das suchen die Weiber,“ sagte Peszoff.

„So käme es also auf dasselbe heraus, daß ich das Recht beanspruchte, auch Amme zu sein und mich gekränkt fühlen könnte, daß man die Weiber dafür bezahlt und mich nicht,“ sagte der alte Fürst.

Turowzin schüttelte sich unter lautem Gelächter, und Sergey Iwanowitsch bedauerte, daß nicht er das gesagt hatte. Selbst Aleksey Aleksandrowitsch lächelte.

„Ja, aber der Mann kann doch nicht ein Kind nähren,“ bemerkte Peszoff, „sondern nur das Weib“ —

„O nein; ein Engländer hat einmal auf dem Schiffe sein Kind gesäugt,“ sagte der alte Fürst, welcher sich diese Ungezwungenheit in der Unterhaltung vor seinen Töchtern gestattete.

„So viele solcher Engländer es geben mag, so viele Beamte wird es wohl auch nur unter den Weibern geben,“ antwortete Sergey Iwanowitsch.

„Ja. Aber was soll ein Mädchen thun, welches nicht Familie hat,“ frug jetzt Stefan Arkadjewitsch, der an die Tschibisowa dachte, welche er die ganze Zeit über dabei im Auge gehabt hatte, und mit Peszoff übereinstimmte, so daß er diesem beistand.

„Wenn Ihr die Geschichte eines solchen Mädchens näher prüft, so werdet Ihr finden, daß dasselbe entweder seine Familie oder eine Schwester verließ, wo sie einen weiblichen Beruf hätte haben können!“ mischte sich hier plötzlich Darja Alexandrowna voll Erbitterung ins Gespräch; wahrscheinlich hatte sie erraten, welches Mädchen Stefan Arkadjewitsch im Sinn gehabt hatte.

„Aber wir treten doch für Grundsätze, für Ideale ein,“ rief mit tönendem Baß Peszoff, „das Weib hingegen will nur ein Recht auf Unabhängigkeit, das Recht auf Bildung haben, und es fühlt sich beengt, bedrückt durch das Bewußtsein der Unmöglichkeit einer Erfüllung dieses Wunsches.“

„Ich bin nur davon beengt und bedrückt, daß man mich nicht in die Kinderbewahranstalt als Amme aufnimmt,“ sagte der alte Fürst noch, zum großen Ergötzen Turowzins, der lachend einen Spargel mit dem dicken Ende in die Sauce fallen ließ.

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02 мая 2017
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