Читать книгу: «Anna Karenina, 1. Band», страница 44

Шрифт:

11

Jedermann hatte an der allgemeinen Unterhaltung teil genommen, mit Ausnahme von Kity und Lewin. Als man anfangs von dem Einfluß sprach, den ein Volk auf das andere habe, kam Lewin unwillkürlich das in den Kopf, was er über den Gegenstand zu sagen hatte; aber, diese Ideen, welche für ihn früher so wichtig gewesen waren, schimmerten jetzt nur noch wie Traumbilder in seinem Kopf und hatten auch nicht das geringste Interesse mehr für ihn. Es schien ihm sogar seltsam, weshalb die Leute hier sich so emsig mühten, über etwas zu reden, was niemand nützen konnte. Für Kity hätte doch ganz ebenso, wie es schien, das was man über die Rechte und die Bildung der Frauen sprach, von Interesse sein müssen; wie oft hatte sie darüber nachgesonnen, wenn sie ihrer Freundin Warenka im Ausland gedachte, und an deren drückende Abhängigkeit; wie oft hatte sie selbst daran gedacht, was mit ihr geschehen würde, wenn sie nicht heiratete und wie oft hatte sie hierüber mit der Schwester gestritten. Jetzt aber interessierte sie dies nicht im geringsten mehr. Sie hatte ihre eigene Unterhaltung mit Lewin, nicht eine eigentliche Unterhaltung, sondern eine gewisse geheime Korrespondenz, die beide mit jeder Minute mehr näherte und in ihnen die Empfindung eines süßen Erschreckens vor dem noch Unbekannten, in das sie eintraten, erzeugte.

Lewin erzählte zuerst auf die Frage Kitys, wie er sie im vergangenen Jahre hätte im Wagen sehen können, da er von der Heuernte gekommen und ihr auf der Landstraße begegnet sei.

„Es war früh, sehr früh am Morgen und Ihr waret wohl so eben erwacht. Maman schlief noch in ihrer Ecke. Es war ein wundervoller Morgen. Ich ging und dachte, wer mag denn das sein, dort im Wagen. Eine herrliche Tschetwjorka mit Schellen; – in einem Augenblick kamet Ihr vorüber; ich sah durch das Fenster – da saßet Ihr, mit beiden Händen die Bänder des Häubchens haltend und schienet über irgend Etwas in tiefem Nachdenken zu sein,“ erzählte er lächelnd. „Wie gern wüßte ich, woran Ihr damals gedacht habt. An etwas Wichtiges?“

„Sollte ich nicht sehr unordentlich ausgesehen haben?“ dachte Kity; als sie indessen das entzückte Lächeln gewahrte, welches die Erinnerung an diese Einzelheiten auf seinen Zügen hervorrief, da empfand sie, daß im Gegenteil der Eindruck, den sie hervorgebracht, nur ein sehr guter gewesen sei. Sie errötete und lächelte freudig.

„Ich entsinne mich wirklich nicht mehr.“

„Wie herzlich lacht doch dieser Turowzin!“ sagte Lewin, freundlich dessen feuchtschimmernde Augen und den sich schüttelnden Körper betrachtend.

„Ihr kennt ihn seit langem?“ frug Kity.

„Wer sollte ihn nicht kennen?“

„Ich sehe, daß Ihr glaubt, er sei ein garstiger Mensch.“

„Nicht schlecht; aber unbedeutend.“

„Das ist nicht wahr! Und Ihr dürft fortan nicht mehr so über ihn denken;“ sagte Kity, „ich selbst hegte nur eine sehr geringe Meinung von ihm, aber er ist ein äußerst lieber und wunderbar gutmütiger Mensch. Sein Herz ist – wie Gold.“ —

„Wie habt Ihr denn sein Herz erkennen können?“

„Ich bin mit ihm sehr befreundet und kenne ihn recht gut. Im vergangenen Sommer, bald darnach, als Ihr bei uns gewesen waret,“ sagte sie mit schuldbewußtem und zugleich treuherzigem Lächeln, „lagen bei Dolly sämtliche Kinder am Scharlach darnieder und da hat er sie doch besucht. Und stellt Euch vor,“ sprach sie flüsternd, „so sehr hat sie ihm leid gethan, daß er dort geblieben ist und ihr in der Pflege der Kinder beigestanden hat! Ja; drei Wochen hat er so bei uns verlebt und ist wie eine gute Wärterin mit den Kindern gewesen. – Ich erzähle Konstantin Dmitritsch von Turowzin beim Scharlachfieber,“ sagte sie, sich nach ihrer Schwester hinbeugend.

„Ja; das war wunderbar, reizend!“ versetzte Dolly, nach Turowzin schauend und diesem freundlich zulächelnd, welcher merkte, daß man von ihm sprach. Lewin blickte noch einmal nach Turowzin und geriet in Erstaunen, daß er vorher nicht all den Reiz dieses Mannes wahrgenommen hatte.

„Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, aber ich werde niemals wieder übel über die Menschen denken,“ sagte er alsdann heiter, und sprach dabei aufrichtig aus, was er jetzt fühlte.

12

In dem angeregten Gespräch über die Frauenrechte tauchten auch Fragen über die Ungleichheit der Rechte in der Ehe auf, welche in Gegenwart der Damen heikler Natur waren. Peszoff hatte im Verlauf des Essens diese Fragen mehrmals gestreift, aber Sergey Iwanowitsch und Stefan Arkadjewitsch wichen demselben vorsichtig aus.

Als man sich vom Tische erhob und die Damen hinausgegangen waren, wandte sich Peszoff, der ihnen nicht folgte, an Aleksey Aleksandrowitsch und begann, diesem die wichtigste Ursache dieser Ungleichheit darzulegen. Die Ungleichheit unter Gatten bestand nach seiner Meinung darin, daß die Untreue des Weibes und die des Mannes von dem Gesetz und von der gesellschaftlichen Meinung nicht in gleichem Maße bestraft würden.

Stefan Arkadjewitsch trat schnell zu Aleksey Aleksandrowitsch, und lud ihn zum Rauchen ein.

„Danke, ich rauche nicht,“ antwortete Aleksey Aleksandrowitsch ruhig und wandte sich, als ob er absichtlich zu zeigen wünschte, daß er dieses Thema nicht fürchte, mit kühlem Lächeln wieder an Peszoff.

„Ich glaube, daß die Gründe für diese Anschauung in der natürlichen Beschaffenheit der Dinge selbst liegen,“ sagte er und wollte sich in den Salon begeben, aber da sprach ihn plötzlich Turowzin an, der sich zu ihm wandte.

„Habt Ihr denn von Prjatschnikoff gehört?“ frug Turowzin, lebhaft geworden von dem genossenen Champagner und schon lange auf die Gelegenheit wartend, das ihn beengende Schweigen brechen zu können, „Wasja Prjatschnikoff,“ fuhr er mit seinem gutmütigen Lächeln auf den feuchten roten Lippen, sich vorzugsweise an den bedeutendsten der Gäste, Aleksey Aleksandrowitsch wendend fort, „man hat mir erzählt, daß er sich in Twer mit Kwytskiy geschlagen und diesen getötet hat.“

Wie es stets scheinen will, als ob man gerade an eine wunde Stelle nur gleichsam absichtlich stoße, so fühlte Stefan Arkadjewitsch, daß die Unterhaltung jetzt unglücklicherweise jeden Augenblick eine wunde Stelle in Aleksey Aleksandrowitsch berührte. Er wollte den Schwager deshalb abermals wegführen, allein Aleksey Aleksandrowitsch frug selbst voll Neugier weiter.

„Weshalb hat sich Prjatschnikoff geschlagen?“

„Wegen seines Weibes. Er hat mannhaft gehandelt, jenen gefordert, und ihn ins Jenseits befördert!“

„Ah,“ machte Aleksey Aleksandrowitsch gleichmütig und begab sich alsdann, die Brauen in die Höhe ziehend, in den Salon.

„Wie freue ich mich, daß Ihr gekommen seid,“ sagte Dolly zu ihm mit ängstlichem Lächeln, indem sie ihm in dem Zwischensalon entgegentrat, „ich habe etwas mit Euch zu sprechen, nehmen wir hier ein wenig Platz.“

Aleksey Aleksandrowitsch ließ sich mit dem nämlichen Ausdruck von Gleichgültigkeit, welchen ihm die emporgezogenen Brauen verliehen, neben Darja Aleksandrowna nieder und lächelte gezwungen.

„Um so angenehmer,“ – sagte er, „als auch ich Euch um Entschuldigung bitten und mich zugleich verabschieden wollte. Ich muß morgen früh reisen.“

Darja Aleksandrowna war fest überzeugt von der Unschuld Annas und sie fühlte, wie sie bleich wurde und ihr die Lippen vor Zorn über diesen kalten gefühllosen Menschen zu beben begannen, der so ruhig entschlossen war, ihre unschuldige Freundin dem Verderben zu übergeben.

„Aleksey Aleksandrowitsch,“ sagte sie, mit verzweifelter Entschlossenheit ihm ins Auge blickend, „ich habe Euch nach Anna gefragt und Ihr habt mir nicht geantwortet. Wie befindet sie sich?“

„Sie scheint sich wohl zu befinden, Darja Aleksandrowna,“ antwortete Aleksey Aleksandrowitsch, ohne sie anzublicken.

„Aleksey Aleksandrowitsch, verzeiht mir, ich habe nicht das Recht – aber ich liebe und achte Anna wie eine Schwester; ich bitte und beschwöre Euch, mir zu sagen, was zwischen Euch beiden vorgefallen ist? Wessen beschuldigt Ihr sie?“

Aleksey Aleksandrowitsch runzelte die Stirn und senkte den Kopf, das Auge fest geschlossen.

„Ich glaube, Euer Gatte hat Euch die Ursachen mitgeteilt, wegen deren ich es für erforderlich erachte, meine bisherigen Beziehungen zu Anna Arkadjewna zu ändern,“ sagte er, ohne ihr ins Auge zu blicken und mürrisch nach dem durch den Salon schreitenden Schtscherbazkiy schauend.

„Ich glaube es nicht; glaube es nicht und kann es nicht glauben!“ fuhr Dolly mit energischer Gebärde, ihre knöchernen Finger vor sich hin ringend, dann erhob sie sich schnell und legte ihre Hand auf den Ärmel Aleksey Aleksandrowitschs. „Man stört uns hier. Kommt doch gefälligst mit hierher!“

Die Erregung Dollys wirkte auch auf Aleksey Aleksandrowitsch ein. Dieser stand auf und folgte ihr gehorsam in das Unterrichtszimmer. Hier ließen sie sich an einem Tische nieder, dessen Wachstuchüberzug von Federmessern zerschnitten war.

„Ich glaube es nicht, glaube es nicht!“ fuhr Dolly fort, indem sie sich bemühte, seinen Blick, der sie mied, aufzufangen.

„Es ist unmöglich, an Thatsachen nicht zu glauben, Darja Aleksandrowna,“ antwortete er, das Wort Thatsachen betonend.

„Aber was hat sie denn gethan?“ frug Dolly, „was hat sie denn eigentlich gethan?“

„Sie hat ihre Pflicht vernachlässigt und ihren Gatten verraten. Das hat sie gethan,“ sagte er.

„Nein, nein, das kann nicht sein! Nein, bei Gott, Ihr irrt,“ fuhr Dolly fort, mit den Händen an ihre Schläfen fühlend und die Augen schließend.

Aleksey Aleksandrowitsch lächelte kalt, nur mit den Lippen, mit der Absicht, ihr und sich selbst damit die Festigkeit seiner Überzeugung zu beweisen; diese glühende Verteidigung öffnete die Wunde in ihm nur weiter, ohne daß sie ihn irre zu machen vermochte. Er begann mit großer Lebhaftigkeit:

„Es ist sehr schwierig, sich zu irren, wenn ein Weib selbst ihrem Manne die Mitteilung davon macht; wenn sie erklärt, daß acht Jahre ihres Lebens und ein Sohn – daß alles das ein Irrtum gewesen sei, und daß sie von neuem zu leben beginnen will,“ sagte er erbittert, durch die Nase schluchzend.

„Anna und das Laster, – das kann ich nicht vereinen, das vermag ich nicht zu glauben!“

„Darja Aleksandrowna,“ fuhr er fort, jetzt voll in ihr erregtes, gutes Antlitz blickend, und fühlend, daß ihm die Zunge unwillkürlich freier wurde, „gar viel hätte ich darum gegeben, einen Zweifel noch möglich bleiben zu lassen. So lange ich noch zweifelte, da war es mir zwar schwer ums Herz, aber doch leichter, als jetzt. Als ich noch zweifelte, hatte ich noch die Hoffnung, jetzt aber giebt es keine Hoffnung mehr, und doch zweifle ich noch an allem. Ich zweifle so an allem, daß ich meinen Sohn hasse und bisweilen nicht glaube, er sei mein Kind. Ich bin sehr unglücklich.“

Er hätte dies nicht noch zu sagen brauchen. Darja Aleksandrowna erkannte es, sobald sie ihm ins Gesicht geblickt hatte und er begann ihr leid zu thun. Ihr Glaube an die Unschuld ihrer Freundin war erschüttert.

„Ach, das ist schrecklich, schrecklich! Aber solltet Ihr Euch wirklich zur Ehescheidung entschlossen haben?“

„Ich bin zum letzten Schritt entschlossen, mir bleibt weiter nichts übrig.“

„Weiter nichts übrig, nichts übrig,“ wiederholte sie mit Thränen in den Augen. „Nein, o nein,“ sagte sie.

„Es ist furchtbar gerade bei dieser Art von Leid, daß man hier nicht, wie bei jedem anderen, bei einem Verlust oder Todesfall, sein Kreuz tragen kann, sondern handeln muß,“ sagte er, gleichsam ihre Gedanken erratend. „Man muß sich aus dieser erniedrigenden Lage losmachen, in die man versetzt worden ist, denn es geht nicht an, zu Dreien zu leben.“

„Ich verstehe, ich verstehe recht wohl,“ sagte Dolly und senkte das Haupt. Sie schwieg und dachte an sich selbst, an ihre unglückliche Ehe; dann erhob sie plötzlich wieder den Kopf mit energischer Gebärde und faltete beschwörend die Hände „aber wartet noch; Ihr seid doch ein Christ, denkt an sie selbst, was soll aus ihr werden, wenn Ihr sie verlaßt?“

„Ich habe schon gedacht, Darja Aleksandrowna; ich habe viel gedacht,“ antwortete Aleksey Aleksandrowitsch. Auf seinem Gesicht waren rote Flecken erschienen und die trüben Augen richteten sich voll auf sie. Darja Aleksandrowna empfand jetzt aus voller Seele Mitleid mit ihm. „Ich habe es gethan, nachdem mir durch sie selbst meine Schande offenbart worden war – ich hatte noch alles beim Alten gelassen. – Ich hatte ihr die Möglichkeit zur Besserung gegeben und bemühte mich, sie zu retten. Aber was geschah? Nicht einmal die leichteste Bedingung hat sie erfüllt – die Beobachtung des Anstandes“ – sagte er voll Erbitterung. „Man kann aber nur einen Menschen retten, welcher nicht untergehen will; ist nun die ganze Natur so verderbt, so ausschweifend, daß der Untergang selbst ihr noch als Rettung erscheint, – was ist dann noch zu thun?“ —

„Alles; aber nicht die Scheidung!“ antwortete Darja Aleksandrowna.

„Was denn dann – Alles?“

„Nein! Das wäre zu entsetzlich! Sie würde ein verlorenes Weib sein und untergehen.“

„Aber was kann ich thun?“ sagte Aleksey Aleksandrowitsch, die Schultern und die Brauen hochziehend. Die Erinnerung an den letzten Fehltritt seines Weibes hatte ihn so aufgebracht, daß er wieder kalt wurde, wie er es im Anfang des Gesprächs gewesen war. „Ich danke Euch sehr für Eure Teilnahme, allein es wird Zeit für mich“ – er erhob sich bei diesen Worten.

„Ach, bleibt doch noch! Ihr dürft sie nicht verderben! Wartet noch, ich will Euch von mir erzählen. Ich habe geheiratet und mein Mann hat mich betrogen; in Zorn und Eifersucht wollte ich alles verlassen, und wollte selbst – aber ich bin zur Besinnung gekommen. Und wer hatte dies erreicht? Anna hat mich gerettet. Meine Kinder gedeihen nun, mein Mann ist seiner Familie zurückgegeben und fühlt sein Unrecht, er wird sittenreiner, besser und ich lebe. – Ich habe ihm vergeben, und auch Ihr müßt vergeben!“

Aleksey Aleksandrowitsch hörte ihr wohl zu, aber ihre Worte wirkten nicht mehr auf ihn. In seiner Seele hatte sich wiederum der ganze Groll von jenem Tage geregt, an welchem er sich zur Scheidung entschlossen. Er schüttelte sich und begann mit durchdringender lauter Stimme:

„Vergeben kann ich nicht – will ich auch nicht – denn ich halte es für widerrechtlich. Alles habe ich für dieses Weib gethan, und alles hat es in den Kot getreten, der ihr nicht fremd ist. Ich bin kein böser Mensch, ich habe nie jemand gehaßt, sie aber hasse ich mit aller Kraft meiner Seele und ich kann ihr schon deshalb nicht vergeben, weil ich sie zu sehr hasse wegen all des Bösen, das sie mir gethan!“ Thränen der Wut lagen in seiner Stimme, als er dies sagte.

„Liebet, die Euch hassen,“ flüsterte Darja Aleksandrowna. Aleksey Aleksandrowitsch lächelte verächtlich. Er hatte das längst gewußt, aber es konnte auf seinen Fall nicht angewendet werden.

„Liebet, die Euch hassen, – aber diejenigen, die man selbst haßt, kann man doch nicht lieben! Verzeiht, wenn ich Euch verstimmt haben sollte, wir haben ja ein jeder genug des Leides!“

Wieder in Besitz seiner Selbstbeherrschung gelangt, verabschiedete sich Aleksey Aleksandrowitsch ruhig und ging.

13

Als man sich von der Tafel erhoben hatte, wollte Lewin Kity in den Salon folgen, doch fürchtete er, ihr könne dies nicht angenehm sein als eine allzugroße Offenheit in seinen Aufmerksamkeiten für sie. Er blieb also im Kreise der Männer zurück, an dem allgemeinen Gespräch teilnehmend. Gleichwohl aber fühlte er, ohne Kity zu sehen, ihre Bewegungen, ihre Blicke und den Platz, an welchem sie sich im Salon befinden mochte.

Sofort und ohne die geringste Selbstüberwindung erfüllte er das Versprechen, welches er ihr gegeben hatte, stets gut über alle Menschen denken und alle lieben zu wollen.

Das Gespräch drehte sich um das Gemeingutwesen, in welchem Peszoff eine gewisse besondere Basis erblickte. Lewin war weder mit Peszoff, noch mit seinem Bruder im Einverständnis, welcher letztere wieder nach seiner Weise die Bedeutung der russischen Obschtschina zugleich anerkannte wie verwarf, allein er sprach mit, um sie zu versöhnen und ihre gegenseitigen Einwände zu mildern. Er interessierte sich ganz und gar nicht für das, was er selbst sprach, und noch weniger für das, was jene äußerten, er wünschte nur das Eine – daß es ihnen und Allen überhaupt wohl und angenehm sein möchte. Er wußte jetzt, was allein für ihn von Bedeutung war, und dieses Eine war anfangs dort drüben im Salon gewesen, hatte sich aber dann genähert und war in der Thür stehen geblieben. Ohne sich umzuwenden, fühlte er den auf sich gerichteten Blick und ein Lächeln, und nun mußte er sich umwenden. Sie stand in der Thür mit Schtscherbazkiy und blickte ihn an.

„Ich dachte, Ihr wolltet zum Klavier gehen?“ sagte er, zu ihr hintretend. „Das fehlt mir freilich auf dem Lande, die Musik.“

„Ach nein; wir kamen nur mit der Absicht, Euch zu rufen, und ich danke Euch,“ sagte sie, ihn mit einem Lächeln, als wäre dies ein Geschenk, belohnend, „daß Ihr gekommen seid. Was ist es doch für ein Vergnügen, zu debattieren? Es überzeugt doch einmal keiner den andern!“

„Es ist wahr,“ versetzte Lewin, „pflegt es doch meistenteils so zu sein, daß man gerade über das am heftigsten streitet, was man nicht zu begreifen vermag, und was doch gerade unser Gegner beweisen will.“

Lewin hatte auch bei Debatten zwischen den klügsten Geistern häufig bemerkt, daß nach außerordentlichen Anstrengungen, einem mächtigen Aufwand von logischen Feinheiten und Worten, die Streitenden schließlich zu der Einsicht gekommen waren, daß das, was sie lange einander zu beweisen gestrebt hatten, ihnen längst schon, bereits von Anfang der Diskussion an, bekannt gewesen war, daß sie aber den Unterschied liebten und deswegen nicht nennen wollten, was sie vertraten, um eben nicht niederdebattiert zu werden. Er hatte oft die Erfahrung gemacht, daß man im Lauf einer Debatte das erfaßt, was der Gegner vertritt, und dieses selbst ebenfalls vertritt; man räumt dann ein und alle Argumente werden, als unnütz, hinfällig; er hatte aber auch bisweilen umgekehrt erfahren, daß man schließlich ausspricht, was man selbst vertritt und für das man auf Argumente sann. Wenn dieser Fall eintrat, und man sich gut und offen ausdrückte, da gab plötzlich der Gegner nach und stand von der weiteren Debatte ab. Dies eben wollte er sagen.

Sie legte die Stirn in Falten und bemühte sich, ihn zu verstehen, doch kaum hatte er begonnen, zu erklären, da hatte sie ihn schon begriffen.

„Ich verstehe; man muß erkannt haben, wofür man streitet, was man vertritt; dann erst ist es möglich“ —

Sie hatte seinen schlecht ausgedrückten Gedanken vollständig erfaßt. Lewin lächelte freudig; dieser Übergang aus dem verwickelten wortreichen Kampfe mit Peszoff und seinem Bruder zu dieser lakonischen und klaren, fast ohne Worte gegebenen Mitteilung der kompliziertesten Ideen war ihm überraschend.

Schtscherbazkiy verließ die beiden und Kity ging zu einem aufgestellten Spieltisch, ließ sich hier nieder, nahm ein Stück Kreide zur Hand und begann damit auf dem neuen grünen Tuch Kreise zu zeichnen.

Man hatte die bei Tisch gepflogene Unterhaltung über die Freiheit und die Arbeit der Frauen wieder aufgenommen. Lewin war der Meinung Darja Aleksandrownas, daß ein Mädchen, welches nicht heiratete, für sich einen weiblichen Wirkungskreis in der Familie finde. Er stützte dies damit, daß keine einzige Familie der Dienste einer Helferin entraten könne, daß in jeder unbemittelten oder bemittelten Familie Ammen wären und auch sein müßten, gleichviel ob sie gemietet ist, oder der Familie angehört.

„Nun,“ antwortete Kity, errötend, aber nur um so freier mit ihren treuherzigen Augen auf ihn blickend, „das Mädchen kann doch auch so gestellt sein, daß sie nicht ohne Erniedrigung in eine Familie geht; ich selbst“ —

Er verstand ihren Wink.

„Ja, ja,“ erwiderte er, „ja, ja, Ihr habt recht, Ihr habt recht!“

Und er hatte jetzt alles verstanden, was Peszoff bei Tische über die Freiheit der Frauen auseinandergesetzt hatte, allein dadurch, daß er in dem Herzen Kitys noch die Furcht vor dem Mägdedienst und der Erniedrigung sah und in seiner Liebe zu ihr diese Furcht vor der Erniedrigung mit empfand und so mit einem Schlage von seinen Einwürfen Abstand nahm.

Eine Pause trat ein; Kity zeichnete noch immer mit der Kreide auf dem Tische. Ihre Augen schimmerten in stillem Glanze, und indem er ihre Stimmung zu teilen suchte, empfand er in seinem ganzen Wesen eine mehr und mehr wachsende, beglückende Aufregung.

„Ah, da habe ich den ganzen Tisch vollgemalt!“ sagte Kity und machte, die Kreide niederlegend, eine Bewegung, als wollte sie aufstehen.

„Wie, soll ich jetzt allein hier bleiben ohne sie?“ dachte er mit Schrecken und ergriff nun seinerseits die Kreide; „bleibt doch,“ sagte er, sich an den Tisch setzend. „Schon lange habe ich Euch nach etwas fragen wollen!“

Er blickte ihr offen in die freundlichen, wenn auch erschreckten Augen.

„Bitte schön, fragt.“

„Nun,“ begann er, und schrieb mit Kreide eine Anzahl Anfangsbuchstaben auf den Tisch: „A. I. M. A. E. K. N. S. H. D. O. D.“ – Diese Buchstaben bedeuteten: „Als Ihr mir antwortetet ‚es kann nicht sein‘, so hieß das, ‚niemals‘ oder nur ‚damals‘?“ —

Es war höchst unwahrscheinlich, daß sie diesen verwickelten Satz hätte verstehen können, aber er schaute sie mit einem Ausdruck an, der bewies, daß sein Leben davon abhinge, ob sie diese Worte verstehe oder nicht.

Sie blickte ihn ernst an; dann stemmte sie die gerunzelte Stirn auf die Hand und begann zu lesen. Bisweilen blickte sie auf ihn, ihn mit ihrem Blick befragend „ist es das, was ich mir denke?“

„Ich habe verstanden,“ sagte sie errötend.

„Was ist dies für ein Wort?“ frug er, auf das N weisend, mit welchem er das Wort „niemals“ bezeichnet hatte.

„Dieses Wort bedeutet ‚niemals‘,“ sagte sie – „aber das ist nicht wahr!“

Schnell wischte er das Geschriebene hinweg, reichte ihr die Kreide und stand auf. Sie schrieb: „I. K. D. N. A. A.“ —

Dolly hatte sich völlig über den Schmerz, der ihr durch das Gespräch mit Aleksey Aleksandrowitsch verursacht worden war, getröstet, als sie die beiden da bemerkte; Kity, die Kreide in der Hand mit schämigem, glücklichem Lächeln zu Lewin aufblickend und zu dessen schöner Gestalt, wie er über den Tisch gebeugt stand, seinen flammenden Blick bald auf den Tisch, bald auf sie richtend. Plötzlich erhellten sich seine Züge; er hatte verstanden; das Geschriebene bedeutete: „Ich konnte damals nicht anders antworten.“

Er blickte sie scheu und fragend an.

„Nur damals?“

„Ja,“ antwortete ihm ihr Lächeln.

„Und – jetzt?“ frug er.

„Lest hier. Ich werde sagen, was ich wünsche; sehr wünsche!“

Sie schrieb die Anfangsbuchstaben: „D. W. D. V. U. V. K. W. G. I.“, das sollte bedeuten: „Daß wir doch vergeben und vergessen könnten, was gewesen ist!“

Er nahm die Kreide mit zitternden Fingern, zerbrach sie und schrieb die Anfangsbuchstaben des folgenden: „Ich habe weder zu vergessen, noch zu vergeben; ich habe nie aufgehört, Euch zu lieben!“

Sie blickte ihn an mit unverändertem Lächeln.

„Ich habe verstanden,“ antwortete sie flüsternd.

Er setzte sich nieder und schrieb einen langen Satz. Sie verstand alles und frug ihn nicht, ob sie richtig verstanden habe; sie nahm die Kreide und antwortete sogleich.

Lange Zeit vermochte er nicht zu erkennen, was sie geschrieben hatte, und er blickte ihr häufig in die Augen. Es wurde ihm dunkel vor Glück. Es gelang ihm nicht, die Worte zu interpretieren, die sie meinte, aber in ihren wunderschönen, von Seligkeit schimmernden Augen erkannte er alles, was ihm zu wissen nötig war, und er schrieb drei Buchstaben, war aber noch nicht fertig damit, als sie schon seiner Hand nachgelesen hatte und selbst vollendete, indem sie als Antwort ein „Ja“ niederschrieb.

„Spielt Ihr da ‚Sekretär‘?“ frug jetzt herantretend der alte Fürst. „Wir müssen nun fort, wenn du rechtzeitig ins Theater willst.“

Lewin erhob sich und begleitete Kity bis zur Thür.

In ihrer Unterhaltung war alles gesagt worden; es war nun ausgesprochen, daß sie ihn liebte, und ihren Eltern mitteilen wolle, daß er morgen früh zu ihnen kommen würde.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
02 мая 2017
Объем:
760 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, html, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают