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Aleksey Aleksandrowitsch erlangte einen glänzenden Sieg in der Kommissionssitzung vom siebzehnten August, aber die Folgen dieses Sieges untergruben seine Stellung. Eine neue Kommission zur allseitigen Untersuchung der Lage der Ausländer wurde eingesetzt und ging mit einem ungewöhnlichen, von Aleksey Aleksandrowitsch erweckten Eifer schnell nach den Örtlichkeiten ab. Binnen drei Monaten wurde der Bericht vorgelegt. Die Lage der Fremden war nach der politischen, administrativen, ökonomischen, ethnographischen, materiellen und religiösen Seite hin untersucht, und auf alle Fragen waren wohlgesetzte Antworten gegeben, Antworten, die keinen Zweifel mehr zuließen, da sie nicht das Ergebnis einer stets dem Irrtum ausgesetzten menschlichen Gedankenarbeit, sondern sämtlich das Resultat amtlicher Pflichterfüllung waren.

Die Bescheide waren sämtlich das Resultat offizieller Daten, von Gouverneuren und Bischöfen, die sich ihrerseits stützten auf die Darlegungen der Kreisoberhäupter und Inspektoren, die auch wieder erst auf den Berichten der Bezirksleitungen und Pfarroberhäupter beruhten, erstattet und infolge dessen keine Anzweiflung duldend. Alle diese Fragen, zum Beispiel die, weshalb Mißernten eintreten, weshalb die Bewohner an ihrem Glauben festhalten &c., Fragen, welche nicht ohne einen glatten Gang der Maschine der amtlichen Thätigkeit zu lösen sind, und in Jahrhunderten nicht gelöst werden können, erhielten eine deutliche unanfechtbare Klarstellung. Diese Klarstellung aber lag zu Gunsten der Meinung Aleksey Aleksandrowitschs. Stremoff indessen, der sich in der letzten Sitzung bei seiner schwachen Seite getroffen gefühlt hatte, wendete bei dem Eingang der Darlegungen der Kommision eine für Aleksey Aleksandrowitsch unerwartete Taktik an.

Stremoff, seinerseits gestützt auf einen Anhang von mehreren Mitgliedern, trat plötzlich zu der Richtung Aleksey Aleksandrowitschs über und verteidigte nicht nur die Einführung der von Karenin vorgetragenen Maßregeln, sondern er schlug sogar noch weitgehendere in dem nämlichen Sinne vor. Diese Maßregeln, welche im Gegensatz zu der Grundidee Alekseys noch stärker waren, wurden angenommen und nun zeigte sich die Taktik Stremoffs, denn bis aufs Äußerste gespannt, erwiesen sie sich plötzlich als so thöricht, daß zu gleicher Zeit die Beamten, wie die öffentliche Meinung, die klugen Damen und die Zeitungen alle über sie herfielen, ihren Unwillen darüber ausdrückten und gegen die Maßnahmen selbst und den anerkannten Urheber derselben, Aleksey Aleksandrowitsch, zu Felde zogen, während Stremoff auf die Seite trat und sich den Anschein gab, als ob er nur dem Plane Karenins blind gefolgt, jetzt aber verwundert und bestürzt sei über das, was angerichtet worden wäre.

Dies untergrub Karenins Stellung; aber trotz seiner sich mehr und mehr verschlechternden Gesundheit, und der traurigen Verhältnisse in der Familie, ergab er sich nicht. In der Kommission entstand eine Spaltung. Einige Mitglieder derselben, Stremoff an der Spitze, entschuldigten ihren Irrtum damit, daß sie der von Aleksey Aleksandrowitsch geleiteten Revisionskommission, welche den Vortrag vorgelegt habe, vertraut hätten, und sagten, daß der Bericht dieser Kommission Unsinn sei und nur unnütz Papier vollgeschrieben worden wäre.

Karenin mit der Partei derjenigen, welche die Gefahr einer solchen revolutionären Stellungnahme zum Aktenwesen erkannten, fuhr fort, die von der Revisionskommission ausgearbeiteten Daten aufrecht zu erhalten, und infolge dessen geriet in den höchsten Kreisen wie in der Gesellschaft alles in Verwirrung. Obwohl jedermann im höchsten Maße von der Frage interessiert war, vermochte niemand mehr zu erkennen, ob die Fremden denn in der That Not litten und untergingen, oder ob sie sich in günstigen Verhältnissen befänden. Die Stellung Karenins wurde infolge hiervon und teilweise auch infolge der durch die Ehrvergessenheit seines Weibes auf ihn fallende Geringschätzung, eine sehr erschütterte. In dieser Lage aber faßte er einen wichtigen Entschluß. Zur Verwunderung der Kommission erklärte er, daß er persönlich sich Urlaub erbitten werde, um nach Ort und Stelle zur Verfolgung der Angelegenheit abzureisen. In der That reiste er nach erlangtem Dispens nach den fernen Gouvernements ab.

Die Abreise Karenins verursachte viel Aufsehen, umsomehr, als er bei dieser selbst offiziell die Vorspanngelder, die ihm für zwölf Pferde bis an den Ort seiner Bestimmung ausgesetzt worden waren, zurücklieferte.

„Ich finde das sehr vornehm,“ sagte hierüber Bezzy zur Fürstin Mjachkaja; „wozu Vorspanngelder geben, da doch jedermann weiß, daß es jetzt überall Eisenbahnen giebt?“

Die Fürstin Mjagkaja jedoch war hiermit nicht einverstanden, ja die Meinung der Twerskaja erzürnte sie sogar.

„Ihr habt gut reden,“ antwortete sie, „da Ihr Millionen besitzt, ich weiß nicht einmal wie viele; ich aber habe es sehr gern, wenn mein Mann im Sommer auf Revision reist. Er befindet sich dabei sehr wohl und es reist sich angenehm. Bei mir ist es so eingerichtet, daß von diesem Gelde die Equipage und der Kutscher bestritten wird.“

Auf der Reise in jene entfernten Gouvernements blieb Karenin drei Tage in Moskau. Am zweiten Tage nach seiner Ankunft begab er sich zur Visite zum Generalgouverneur. An einem Straßenübergang, an dem sich stets Equipagen und Mietkutschen drängten, hörte Aleksey Aleksandrowitsch plötzlich seinen Namen mit so lauter und heiterer Stimme rufen, daß er nicht umhin konnte, sich umzuwenden. An der Ecke des Trottoirs, im kurzen modernen Überrock mit ebensolchem Krempenhut stand mit feinem Lächeln und den schimmernden weißen Zähnen zwischen den roten Lippen, heiter, jugendlich, strahlend, Stefan Arkadjewitsch, energisch und beharrlich rufend und zum Stehenbleiben auffordernd.

Er hielt sich mit der einen Hand an eine an der Ecke stehende Kutsche an, aus welcher ein weiblicher Kopf im Samthut mit zwei Kinderköpfchen erschien; er lächelte und winkte dem Schwager mit der Hand. Die Dame lächelte gleichfalls freundlich und winkte ebenfalls Aleksey Aleksandrowitsch; es war Dolly mit ihren Kindern.

Karenin hatte niemand in Moskau besuchen wollen, am allerwenigsten den Bruder seines Weibes. Er lüftete den Hut und wollte weiter fahren, allein Stefan Arkadjewitsch befahl seinem Kutscher zu halten und lief selbst zu Karenin durch den Schnee hin.

„Aber welches Verbrechen, Euch nicht einmal anzumelden! Schon lange da? War ich da gestern bei Dussot und sehe wohl am Brett ‚Karenin‘; daß du das aber wärest, habe ich nicht vermutet“ – sagte Stefan Arkadjewitsch, den Kopf in das Wagenfenster hineinsteckend. „Sonst wäre ich ja zu dir gekommen. Wie ich mich freue, dich zu sehen,“ sagte er, mit den Füßen aneinanderklappend, um den Schnee von ihnen zu entfernen, „aber welch ein Verbrechen, mich nichts wissen zu lassen!“ wiederholte er dann.

„Ich hatte gar keine Zeit übrig und bin sehr in Anspruch genommen,“ versetzte Aleksey Aleksandrowitsch mürrisch.

„Aber komm doch einmal mit zu meiner Frau; sie möchte dich so gern einmal sehen.“

Karenin schlug sein Plaid zurück, unter dem seine kalten Füße eingewickelt waren und begab sich, den Wagen verlassend, durch den Schnee zu Darja Aleksandrowna.

„Was ist das, Aleksey Aleksandrowitsch, warum umgeht Ihr uns so?“ frug ihn Dolly lächelnd.

„Ich bin sehr beschäftigt gewesen; freue mich aber sehr, Euch wiederzusehen,“ antwortete er in einem Tone, der deutlich verriet, daß er über das Zusammentreffen mißgelaunt war. „Wie befindet Ihr Euch?“

„Nun; was macht meine liebe Anna?“

Karenin murmelte einige Worte und wollte dann gehen, doch Stefan Arkadjewitsch hielt ihn zurück.

„Was machen wir morgen? Dolly, bitte Karenin doch zum Essen! Wir wollen Koznyscheff und Peszoff noch einladen, damit wir ihn mit Moskauischer Intelligenz bewirten können.“

„Also kommt, bitte,“ sagte Dolly, „wir werden Euch für fünf Uhr oder sechs Uhr erwarten, wenn Ihr wollt. Aber was macht denn meine gute Anna? Wie lange“ —

„Sie befindet sich wohl,“ murmelte Aleksey Aleksandrowitsch verbittert. „Sehr angenehm gewesen!“ Mit diesen Worten wandte er sich nach seinem Wagen um.

„Kommt Ihr denn?“ rief Dolly noch nach.

Aleksey Aleksandrowitsch sagte etwas, was Dolly im Lärm der rollenden Equipagen nicht verstehen konnte.

„Morgen werde ich dich besuchen!“ rief Stefan Arkadjewitsch.

Karenin ließ sich in seinem Wagen nieder und beugte sich tief in ihm herab, um niemand zu sehen und von niemand gesehen zu werden.

„Ein seltsamer Kauz,“ sagte Stefan Arkadjewitsch zu seiner Frau, und nachdem er nach der Uhr geschaut, machte vor seinem Gesicht eine Handbewegung, welche seiner Frau und den Kindern gelten und sie grüßen sollte und schritt elastisch auf dem Trottoir hinweg.

„Stefan, Stefan!“ rief Dolly errötend.

Er wandte sich um.

„Ich brauche aber doch neue Paletots für Grischa und Tanja. Gieb mir Geld!“

„Nicht nötig, daß ich dir Geld gebe. Du brauchst nur zu sagen, daß ich zahle!“ Er ging hinweg, einem vorüberfahrenden Bekannten mit dem Kopfe zunickend.

7

Am nächsten Tage war Sonntag. Stefan Arkadjewitsch fuhr in das Große Theater zur Wiederholung des Balletts und schenkte Mascha Tschibisowa, einer sehr hübschen, durch seine Protektion neu angetretenen Tänzerin die am Abend vorher versprochenen Korallen: hinter der Coulisse, im Halbdunkel des Theaterbodens, küßte er das hübsche, über das Geschenk freudig errötete Gesichtchen. Außer der Überreichung der Korallen hatte er aber auch noch ein Tete-a-tete nach dem Ballett mit ihr zu verabreden. Da er ihr erklärt hatte, daß er im Anfang der Vorstellung nicht anwesend sein könne, hatte er ihr versprochen, im letzten Akte kommen zu wollen, um sie dann zum Souper mit sich zu nehmen. Vom Theater fuhr er hierauf nach dem Wildmarkt, wo er selbst Fisch und Spargel zu dem Essen einkaufte, und um zwölf Uhr war er bei Dussot, wo er sich mit drei Bekannten treffen wollte, die wie zu seinem Glück in dem nämlichen Hotel wohnten – mit Lewin, welcher hier abgestiegen und erst unlängst aus dem Ausland wieder angekommen war, ferner mit seinem neuen Vorgesetzten, der erst vor kurzem auf seinen hohen Posten gekommen, Moskau revidierte und seinem Schwager Karenin, den er auf jeden Fall zum Essen mit heim nehmen wollte.

Stefan Arkadjewitsch liebte das Essen, noch mehr liebte er es aber, ein Essen zu geben, ein kleines, aber feines, sowohl nach dem Menü, als nach der Wahl der Gäste. Das Programm des heutigen Essens gefiel ihm sehr, es gab Barsche, Spargel, und als pièce de résistance ein wundervolles Roastbeef und verschiedene Weinsorten; soviel vom Essen und Trinken. Was die Gäste anbetraf, so sollten unter diesen Kity und Lewin sein, und damit der Anschein der Unbefangenheit dabei gewahrt bliebe, noch eine junge Cousine und der junge Schtscherbazkiy, und hier ebenfalls als pièce de résistance unter den Gästen, Koznyscheff, Sergey und Aleksey Aleksandrowitsch.

Sergey Iwanowitsch war ein echter Moskoviter und Philosoph, Aleksey Aleksandrowitsch, ein echter Petersburger und Praktikus, dann aber wollte er auch noch den bekannten Sonderling und Enthusiasten Peszoff, einen liberaldenkenden redseligen Menschen, welcher Musiker, Historiker und ein liebenswürdiger, fünfzigjähriger Jüngling war, und zu Koznyscheff und Karenin die Sauce oder Garnierung bilden sollte.

Das Geld für den losgeschlagenen Wald war in der ersten Rate vom Kaufmann erhalten und noch nicht aufgebraucht worden. Dolly zeigte sich jetzt sehr gut und freundlich, und die Idee, welche dem Essen zu Grunde lag, verursachte Stefan Arkadjewitsch in jeder Beziehung Freude. Derselbe befand sich in der heitersten Stimmung, zwei Umstände waren allerdings etwas unangenehm, doch diese versanken in dem Meere der vergnügten Laune, von welcher die Seele Stefan Arkadjewitschs erfüllt war. Diese beiden Umstände waren, erstens, daß er gestern bei dem Zusammentreffen auf der Straße mit Aleksey Aleksandrowitsch bemerkt hatte, daß dieser nüchtern und ernst gegen ihn gewesen war, und indem er nun diesen Ausdruck Karenins sowie, daß derselbe nicht zu ihm gekommen war und ihm auch keine Nachricht von seiner Ankunft hatte zugehen lassen, mit den Gerüchten zusammenhielt, welche er über Anna und Wronskiy gehört hatte, vermutete er, daß hier etwas zwischen Mann und Frau nicht richtig sei.

Dies war die eine Unannehmlichkeit; die andere war, daß der neue Vorgesetzte, wie alle neuen Vorgesetzten, schon den Ruf eines furchtbaren Beamten besaß, der um sechs Uhr früh aufstehe, wie ein Pferd arbeite, und die gleiche Arbeitsleistung auch von seinen Untergebenen verlange. Außerdem aber stand der neue Vorgesetzte auch noch im Rufe, er sei ein Bär im Umgang und den Gerüchten zufolge ein Mensch von ganz anderer Richtung, als wie sie der frühere Vorgesetzte befolgt hatte, und wie sie Stefan Arkadjewitsch selbst befolgte.

Gestern nun war letzterer in Uniform im Dienst erschienen und der neue Vorgesetzte hatte sich äußerst liebenswürdig gegen ihn gezeigt, sich auch mit ihm unterhalten, als wäre Oblonskiy ein Bekannter von ihm.

Stefan Arkadjewitsch hielt es infolge dessen für seine Pflicht, ihm einen kurzen Besuch zu machen, und der Gedanke, daß der neue Vorgesetzte ihn nun nicht freundlich aufnehmen könnte, bildete den zweiten unangenehmen Umstand.

Er fühlte indessen, daß sich alles „schon machen“ werde. „Sie sind alle Menschen, und haben ihre Fehler wie wir; weshalb also soll es Mißgunst und Hader geben?“ dachte er, als er das Hotel betrat.

„Wie geht's, Wasiliy,“ sagte er, im Kremphut durch den Korridor schreitend und sich an den ihm bekannten Lakaien wendend, „hast dir ja den Backenbart stehen lassen? Lewin wohnt in Nummer sieben, nicht wahr? Führe mich doch dahin! Empfängt denn Graf Anitschkin?“ – so hieß der neue Vorgesetzte. —

„Zu Diensten,“ antwortete Wasiliy lächelnd, „der Herr haben uns lange nicht beehrt.“

„War erst gestern hier, nur durch die andere Einfahrt gekommen. Das ist Nummer sieben?“

Lewin stand mit einem twerskischen Bauer in der Mitte seines Zimmers und maß gerade mit einem Ellenmaß eine frische Bärenhaut, als Stefan Arkadjewitsch eintrat.

„Ah, habt Ihr den geschossen?“ rief dieser, „ein vorzügliches Stückchen; eine Bärin, nicht wahr? Guten Tag Archip!“

Er reichte dem Bauern die Hand und setzte sich auf einen Stuhl, ohne Überrock und Hut abzulegen.

„Lege doch ab und bleibe ein wenig da!“ sagte Lewin, ihm den Hut abnehmend.

„Nein, ich habe keine Zeit und komme nur auf eine Sekunde,“ antwortete Stefan Arkadjewitsch; er öffnete nur seinen Überrock, legte ihn dann aber doch noch ab und blieb eine ganze Stunde im Geplauder mit Lewin über die Jagd und sonstige Steckenpferde sitzen. „Aber sage mir nur, was du eigentlich im Ausland gemacht hast?“ frug er, als der Bauer gegangen war.

„Ich war in Deutschland; in Preußen, Frankreich und England, doch nicht in den Residenzen, sondern in den Fabrikstädten, und habe dort viel Neues gesehen. Und ich freue mich, dort gewesen zu sein.“

„Ich kenne deine Ideen über die Arbeiterfrage.“

„Weit gefehlt. In Rußland kann es keine Arbeiterfrage geben. In Rußland heißt diese Frage nur das Verhältnis des arbeitenden Volkes zu seinem Boden. Man hat sie auch drüben, aber dort ist sie nur ein Flicken auf einem Lumpen. Bei uns“ —

Stefan Arkadjewitsch hatte Lewin aufmerksam zugehört.

„Ja, ja,“ begann er darauf, „es ist sehr wohl möglich, daß du recht hast, aber ich bin nur froh, daß du wieder mutigeren Sinnes geworden bist; du jagst jetzt Bären, arbeitest und zerstreust dich: mir hatte ja Schtscherbazkiy erzählt, – er ist dir wohl begegnet – daß du dich in einer gewissen Niedergeschlagenheit befunden und immer nur vom Tode gesprochen hättest.“

„Was soll das? Ich höre nicht auf, an den Tod zu denken,“ sagte Lewin. „Und es ist wahr, es wird auch Zeit zum Sterben. Alles ist eitel. Ich sage dir und glaube das, ich halte in meinen Gedanken die Arbeit sehr hoch, aber in Wirklichkeit – denke nur einmal nach – ist diese unsere ganze Welt doch nur ein kleiner Schimmel, der auf einem winzigen Planeten gewachsen ist. Wir aber meinen immer, es könne bei uns etwas Erhabenes existieren, im Geiste oder in der That, während alles nur eitel Staub ist!“

„Ja Bruderherz, das ist aber eine Geschichte, so alt wie die Welt!“

„Gewiß, aber weißt du, wenn du dies klar erfassest, dann ist alles nichtig. Wenn du erkennst, daß du heute oder morgen sterben kannst, und nichts mehr von dir bleibt, dann ist eben alles nichts! Ich halte meinen Gedanken für sehr bedeutend, aber er erscheint ebenso nichtig, sobald ich ihn zur Ausführung bringen will – wie etwa wenn ich dieses Bärenfell erjage. So verbringst auch du dein Leben, dich an Jagd und Arbeit zerstreuend, nur um nicht des Todes gedenken zu müssen.“

Stefan Arkadjewitsch lächelte fein und freundlich bei den Worten Lewins.

„Natürlich kommst du nur zu mir um mich zu tadeln, daß ich im Leben Zerstreuungen suche? Sei nicht zu streng, o Moralist.“

„Nein, nein; doch im Leben ist ganz gut“ – Lewin hatte sich jetzt plötzlich verwickelt, „ich weiß nicht, ich weiß nur, daß wir bald sterben werden.“

„Warum denn bald?“

„Es giebt im Leben weniger Reize, wenn man des Todes gedenken muß, aber man wird dabei ruhiger.“

„Im Gegenteil, immer lustiger! – Doch meine Zeit ist jetzt gekommen;“ Stefan Arkadjewitsch stand zum zehntenmale vom Platze auf.

„Ach bleib doch noch ein wenig sitzen,“ sagte Lewin, ihn haltend. „Wann werden wir uns wiedersehen? Ich fahre morgen.“

„Deshalb bin ich hergekommen. Du kommst doch sicher heute zu mir, zu einem Essen. Dein Bruder wird mit da sein, und Karenin, mein Schwager.“

„Ist er denn hier?“ frug Lewin und wollte nach Kity fragen. Er hörte, daß sie im Beginn des Winters in Petersburg bei ihrer Schwester gewesen sei, der Frau eines Diplomaten, und wußte nicht, ob sie wieder zurückgekehrt war oder nicht; doch gab er es auf, zu fragen. Mochte sie da sein oder nicht, es war ihm gleich.

„Also du kommst?“

„Gewiß.“

„Um fünf Uhr!“

Stefan Arkadjewitsch erhob sich und ging hinunter nach dem Zimmer seines neuen Vorgesetzten. Sein Instinkt hatte ihn nicht betrogen; der neue, so gefürchtete Beamte zeigte sich als ein höchst umgänglicher Mensch und Stefan Arkadjewitsch frühstückte mit ihm und blieb lange mit ihm zusammen, so daß er erst um vier Uhr zu Aleksey Aleksandrowitsch kam.

8

Aleksey Aleksandrowitsch verbrachte, aus der Messe zurückgekommen, den ganzen Morgen im Hause. Es lagen ihm zwei Geschäfte ob, deren erstes im Empfang und in der Dirigierung einer nach Petersburg abgehenden, gegenwärtig noch in Moskau befindlichen Deputation der Ausländer bestand, während das zweite die Aufsetzung des dem Rechtsanwalt zugesagten Briefes betraf.

Die Deputation, wenngleich durch die Initiative Aleksey Aleksandrowitschs zu Stande gebracht, konnte viele Unannehmlichkeiten und selbst Gefahren im Gefolge haben, und Aleksey Aleksandrowitsch war daher sehr froh, daß er sie in Moskau vorher antraf.

Die Mitglieder derselben besaßen nicht den geringsten Begriff von ihrer Rolle und ihren Obliegenheiten. Sie waren aufrichtig überzeugt, daß ihre Aufgabe darin bestehe, ihre Bedürfnisse und den thatsächlichen Stand der Dinge darzulegen und um die Hilfe der Regierung zu bitten, wußten aber durchaus nicht, daß mehrfache Erklärungen und Forderungen ihrerseits nur die feindliche Partei unterstützen mußten und daher die ganze Angelegenheit zu nichte machen konnten.

Aleksey Aleksandrowitsch beschäftigte sich lange Zeit mit ihnen, setzte ihnen ein Programm auf, außerhalb dessen sie sich nicht bewegen möchten und schrieb Briefe im Interesse der Dirigierung der Deputation nach Petersburg.

Die hauptsächlichste Helferin in dieser Angelegenheit sollte die Gräfin Lydia Iwanowna sein. Sie war Spezialistin im Deputationswesen und niemand verstand es so wie sie, den Deputationen eine präcise Richtung zu geben.

Als Aleksey Aleksandrowitsch mit der Deputation fertig war, schrieb er den Brief an den Rechtsanwalt, und gab demselben ohne Besinnen den Bescheid, nach seinem Ermessen handeln zu wollen. Dem Schreiben legte er noch drei Briefe Wronskiys an Anna bei, die sich in der konfiscierten Brieftasche befunden hatten.

Seit Aleksey Aleksandrowitsch sein Haus verlassen hatte, mit dem Vorsatz nicht wieder zur Familie zurückzukehren, seit er bei dem Rechtsanwalt gewesen war und nun wenigstens einem Menschen von seinen Absichten Mitteilung gemacht hatte, seit der Zeit besonders, seit welcher er jenes Ereignis in seinem Leben zu einer Sache der Akten gemacht hatte, hatte er sich mehr und mehr an seinen Entschluß gewöhnt, und er sah jetzt auch die Möglichkeit, ihn auszuführen.

Er siegelte soeben das Couvert an den Rechtsanwalt, als der laute Klang der Stimme Stefan Arkadjewitschs vernehmbar wurde. Dieser stritt mit dem Diener Aleksey Aleksandrowitschs und bestand darauf, gemeldet zu werden.

„Gleichviel,“ dachte Aleksey Aleksandrowitsch, „um so besser, ich werde sofort Aufklärungen über meine Lage in Bezug auf seine Schwester geben und auseinandersetzen, weshalb ich nicht bei ihm speisen kann.“

„Laß eintreten,“ sprach er laut, seine Papiere zusammennehmend und sie in eine Mappe steckend.

„Nun siehst du doch, daß du gelogen hast; er ist ja zu Haus?“ antwortete die Stimme Stefan Arkadjewitschs dem Diener, der ihn nicht hatte einlassen wollen, und im Gehen den Überzieher abnehmend, trat Oblonskiy in das Zimmer.

„Ich bin sehr erfreut, daß ich dich angetroffen habe; so darf ich also wohl hoffen,“ begann Stefan Arkadjewitsch heiter.

„Ich kann nicht kommen,“ versetzte Aleksey Aleksandrowitsch kalt, stehend, und ohne den Besuch zum Niedersetzen einzuladen. Er gedachte sogleich in jene kühlen Beziehungen zu treten, die er dem Bruder des Weibes gegenüber zu beobachten hatte, gegen welches er den Ehescheidungsprozeß angestrengt hatte; allein er hatte nicht mit jenem Ocean von Gutherzigkeit gerechnet, der in der Seele Stefan Arkadjewitschs über die Ufer trat.

Dieser riß seine glänzenden, hellen Augen weit auf.

„Weshalb kannst du denn nicht? Was willst du damit sagen?“ frug er schwankend auf französisch. „Nein; du hattest es doch schon versprochen. Wir alle rechnen ja auf dich!“

„Ich will damit sagen, daß ich deshalb nicht bei Euch sein kann, weil die verwandtschaftlichen Beziehungen, welche zwischen uns bestanden haben, abgebrochen werden müssen.“

„Wie? Gewiß? Warum denn?“ fuhr Stefan Arkadjewitsch lächelnd fort.

„Weil ich den Ehescheidungsprozeß gegen Eure Schwester, mein Weib, anstrenge. Ich war gezwungen“ —

Aleksey Aleksandrowitsch hatte seine Rede noch nicht geendet, als Stefan Arkadjewitsch bereits ganz anders gehandelt hatte, als er erwartete. Oblonskiy hatte sich ächzend in einen Lehnstuhl fallen lassen.

„O nein, Aleksey Aleksandrowitsch, was sagst du da?“ rief Oblonskiy und Schmerz malte sich auf seinen Zügen.

„So ist es.“

„Entschuldige, aber ich kann und kann es nicht glauben“ —

Aleksey Aleksandrowitsch setzte sich, in der Empfindung, daß seine Worte nicht die Wirkung gehabt hatten, welche er erwartete, und daß es unumgänglich nötig sein würde, sich zu erklären, daß aber auch, mochten seine Erklärungen lauten wie sie wollten, die Beziehungen zwischen ihm und dem Schwager die nämlichen bleiben würden.

„Ja; ich bin in die drückende Notwendigkeit versetzt worden, die Scheidung zu fordern,“ sagte er.

„Ich kann nur Eines darauf sagen, Aleksey Aleksandrowitsch; ich kenne dich als einen Menschen von ausgezeichneter Gerechtigkeit; ich kenne Anna, – entschuldige mich, ich kann meine Meinung über sie nicht ändern – als herrliches, ausgezeichnetes Weib und infolge dessen – nimm mir es nicht übel – kann ich dies nicht glauben. Hier liegt ein Mißverständnis vor,“ – sagte er.

„Ja; wäre es nur ein Mißverständnis“ —

– „Entschuldige; ich verstehe“ – unterbrach ihn Stefan Arkadjewitsch, „aber natürlich – doch Eines muß man im Auge behalten – man soll sich nicht übereilen. Es ist nicht nötig, durchaus nicht nötig, sich zu übereilen!“

„Ich habe mich nicht übereilt,“ antwortete Aleksey Aleksandrowitsch kühl, „und konnte mich auch in einer solchen Angelegenheit mit niemandem beraten. Ich bin fest entschlossen.“

„Das ist ja entsetzlich!“ erwiderte Stefan Arkadjewitsch schwer seufzend. „Ich würde Eines gethan haben, Aleksey Aleksandrowitsch, und ich beschwöre dich, thue das!“ sagte er, „der Prozeß ist noch nicht begonnen, so weit ich verstanden habe. Sprich doch, bevor du denselben eröffnest, einmal mit meiner Frau, sprich mit ihr. Sie liebt Anna wie ihre Schwester, sie liebt auch dich, und sie ist ein bewundernswürdiges Weib. Um Gott, sprich mit ihr! Erweise mir diesen Freundschaftsdienst, ich beschwöre dich!“

Aleksey Aleksandrowitsch begann nachzudenken und Stefan Arkadjewitsch schaute mit Teilnahme auf ihn, ohne sein Schweigen zu unterbrechen.

„Wirst du dich zu ihr begeben?“

„Ich weiß nicht; eben deshalb bin ich ja nicht zu Euch gekommen. Ich glaube, unsere Beziehungen werden sich verändern müssen.“

„Weshalb? Das sehe ich nicht ein. Laß mich der Meinung bleiben, daß du, abgesehen von unseren verwandtschaftlichen Beziehungen, mir gegenüber wenigstens zum Teil dieselben freundschaftlichen Empfindungen hegst, die ich stets für dich empfunden habe. Meine aufrichtige Hochachtung,“ sagte Stefan Arkadjewitsch, ihm die Hand drückend. „Selbst für den Fall, daß deine schlimmsten Annahmen gerechtfertigt wären, werde ich mir nie erlauben, werde ich es nie auf mich nehmen, die eine oder die andere Partei zu richten, und ich sehe daher keinen Grund, weshalb unsere Beziehungen eine Änderung erleiden sollten. Jetzt aber erweise mir diesen Dienst; fahre mit zu meiner Frau.“

„Wir betrachten eben von verschiedenen Standpunkten aus diese Angelegenheit,“ versetzte Aleksey Aleksandrowitsch kalt, „doch sprechen wir nicht mehr davon.“

„Aber warum könntest du nicht kommen? Wenigstens heute mit uns essen? Meine Frau erwartet dich; bitte komm mit. Und was die Hauptsache ist, sprich mit ihr! Sie ist ein bewundernswürdiges Weib. Um Gottes willen und auf meinen Knieen beschwöre ich dich!“

„Wenn Ihr es denn so sehr wünscht – will ich mitkommen,“ antwortete Aleksey Aleksandrowitsch seufzend.

Um das Thema zu ändern, frug er nach etwas, was sie beide interessierte – über den neuen Vorgesetzten Stefan Arkadjewitschs, einen noch jungen Mann, welcher plötzlich zu einer so hohen Stellung gelangt war.

Aleksey Aleksandrowitsch hatte schon früher den Grafen Anitschkin nicht geliebt und war stets in Meinungsverschiedenheit mit jenem gewesen, jetzt aber konnte er sich eines für Beamte verständlichen Hasses nicht erwehren, wie ihn ein Mann, der im Dienst eine Schlappe erlitt, gegen einen anderen empfindet, welcher eine Beförderung erhalten hat.

„Hast du ihn denn schon gesehen?“ frug Aleksey Aleksandrowitsch mit boshaftem Lächeln.

„Gewiß; er war gestern bei uns im Gericht. Es scheint, als ob er die Geschäfte ausgezeichnet verstände und sehr thätig wäre.“

„Allerdings, doch worauf richtet sich seine Thätigkeit?“ sagte Aleksey Aleksandrowitsch, „darauf etwa, etwas auszuführen, oder darauf, das noch einmal zu thun, was schon ausgeführt ist? Das Unglück unseres Staates ist dessen Aktenwirtschaft in der Verwaltung, deren würdiger Repräsentant er ist.“

„Nein, wahrhaftig, ich wüßte nicht, was ich an ihm zu verurteilen hätte. Seine Richtung kenne ich nicht, nur Eines weiß ich, daß er ein vorzüglicher Mensch ist,“ antwortete Stefan Arkadjewitsch. „Wir haben zusammen gefrühstückt und ich habe ihm dabei gezeigt, weißt du, wie man jenes Getränk, Wein mit Apfelsine bereitet. Es erfrischt außerordentlich und ich wunderte mich nur, daß er es noch nicht kannte, es gefiel ihm sehr. Nein, es ist wahr, er ist ein ganz vortrefflicher Mensch.“ Stefan Arkadjewitsch schaute nach der Uhr. „Herr Gott, schon fünf, und ich muß noch zu Dolgowuschin! Also bitte komm doch zum Essen; du kannst dir nicht vorstellen, wie du meine Frau und mich kränken würdest“ —

Aleksey Aleksandrowitsch begleitete seinen Schwager schon nicht mehr ganz in derselben Stimmung hinaus, in der er denselben begrüßt hatte.

„Ich habe es versprochen und werde kommen,“ antwortete er düster.

„Sei überzeugt, daß ich dies zu schätzen weiß und, daß ich hoffe, du wirst es nicht bereuen,“ versetzte Stefan Arkadjewitsch lächelnd. Im Gehen seinen Paletot anziehend, tippte er den Diener mit der Hand auf den Kopf, lachte und ging hinaus.

„Um fünf Uhr also, bitte!“ rief er noch einmal, sich an der Thür zurückwendend.

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02 мая 2017
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