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Читать книгу: «Befreite Schöpfung», страница 9

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11 Viele der statistischen Daten in diesem Abschnitt sind entnommen aus Brown 1991 und Sale 1985, wobei Aktualisierungen anhand des Berichts des World Watch Institute von 2007, anhand von Suzuki/McConnel 1997 und weiterer Quellen wie etwa der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO) vorgenommen wurden.

12 Und einigen Schätzungen zufolge beträgt der durchschnittliche ökologische Fußabdruck 3,1 Hektar. Vgl. z. B.: http://www.nationmaster/graph/env_eco-foo-environment-ecological-footprint.

13 Ein älterer, leicht davon abweichender Indikator ist das Bruttonationalprodukt (BNP). Es teilt mit dem BIP grundsätzlich die gleichen Beschränkungen.

14 Die deutsche Übersetzung dieses Buches von Vandana Shiva ist eine gekürzte Fassung. Deshalb finden sich viele Zitate nicht in dieser deutschen Ausgabe und müssen aus dem englischen Original rückübersetzt werden. Die Quellenangabe verweist jeweils auf die deutsche oder englische Fassung (Shiva 1989 a bzw. b); d. Übers.

15 Ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie diese Forderungen wahrhaft groteske Ausmaße annehmen können, findet sich in einem Artikel des venezolanischen Forschers Luis Britto García (1990) in Form eines fiktiven Briefes eines Indiohäuptlings namens Guaicaipuro Cuautémoc an die politischen Lenker Europas. Der Brief zeigt auf: Wenn Europa versuchen würde, den „freundlichen Kredit“ von 185.000 kg Gold und 16 Millionen kg Silber, den es vor mehr als dreihundert Jahren von den amerikanischen Völkern erhalten hat, zu „marktüblichen“ Zinsen zurückzuzahlen, dann würde Europa als erste Abzahlung 185.000 kg Gold und 16 Millionen kg Silber zur 300. Potenz (also hoch 300) schulden. Das kommt einer Zahl gleich, die mehr als 300 Ziffern umfasst, und das Gewicht würde das des Planeten Erde deutlich übertreffen. Die 300. Potenz scheint eine Übertreibung zu sein, doch es stimmt, dass bei einem Zinssatz von 13,5 % die Menge an Gold und Silber, die erforderlich ist, um die Schuld nach 300 Jahren zurückzuzahlen, das Gewicht der Erde übertreffen würde.

16 Glücklicherweise wurde nach einem Rechtsstreit das Patent auf den Neembaum jetzt zurückgewiesen und der Patentanspruch auf Basmati-Reis eingeschränkt. Das ist allerdings weitgehend darauf zurückzuführen, dass diese Beispiele durch viele Publikationen öffentliche Aufmerksamkeit erregten. Leider werden viele solcher Patente der Öffentlichkeit niemals bekannt.

3. Jenseits der Herrschaft

Das Tao des Himmels ist wie ein Bogen:

Es drückt das Hohe hinab und hebt das Niedrige empor.

Es nimmt von denen, die zu viel haben,

und gibt denen, die zu wenig haben.

Der meisten Menschen Weg verläuft umgekehrt:

Sie benutzen ihre Macht dazu, von dem zu nehmen, was zur Neige geht,

und von denen, die zu wenig haben,

um denen geben zu können, die zu viel haben.

Die Weisen, die dem Tao folgen, können immerfort geben,

denn sie bringen ohne Mühe Frucht.

Sie handeln, ohne etwas zu erwarten,

sie haben Erfolg, ohne das Verdienst für sich in Anspruch zu nehmen,

und sie haben es nicht nötig, irgendjemandem ihren Wert zu beweisen.

(Tao Te King, § 77)

Diejenigen, die andere in Einklang mit dem Tao leiten,

wenden keinen Zwang an, um andere zu unterwerfen,

und sie versuchen nicht, die Welt mit Waffengewalt zu beherrschen.

Denn jede Kraft hat ihre Gegenkraft,

Gewalt, selbst wenn in guter Absicht angewandt,

fällt auf einen selbst zurück.

(Tao Te King § 30)

Wie konnte ein System, das so irrational und zerstörerisch ist wie unsere gegenwärtige krankhafte (Un-)Ordnung, überhaupt entstehen? Der Ökopsychologe Theodore Roszak meint, dass unsere derzeitige ökologische und soziale Krise als „mehr als eine Anzahl von Irrtümern, Fehlkalkulationen und Fehlentscheidungen“ angesehen werden muss, „die durch etwas mehr Sachkenntnis am richtigen Ort leicht wieder ausgebügelt werden könnten“. Wie wir gesehen haben, sind die Werte, Grundüberzeugungen und Grundannahmen, die das innere Wesen der Herrschaftssysteme bilden, bereits in sich verkehrt: Sie gebären aus sich heraus eine Gewalt, die das Leben attackiert. Deshalb „ist nichts Geringeres notwendig als ein verändertes Bewusstsein, ein radikal neuer Begriff von Vernunft und geistig-seelischer Gesundheit, der die wissenschaftliche Rationalität entthront und die zentralen Paradigmen des industriellen Lebens [wir fügen hinzu: auch die Globalisierung unter der Herrschaft der Konzerne] an der Wurzel ausreißt“ (Roszak 1994, 319–320).

In diesem Abschnitt möchten wir die Perspektiven der Tiefenökologie und des Ökofeminismus erkunden; sie können uns helfen, die Grundüberzeugungen infrage zu stellen, die dem zugrunde liegen, was wir die „Ideologie der Herrschaft“ nennen können. Dann wollen wir von diesem Blickwinkel her die historische Entstehung dieser Ideologie betrachten und näher prüfen, wie sie innerhalb des derzeitigen globalen Kapitalismus Gestalt angenommen hat. Schließlich wollen wir die gewonnenen Einsichten dazu nutzen, um den Begriff der Macht selbst zu analysieren und ihn einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.

Tiefenökologie

Die Tiefenökologie beschäftigt sich wie andere ökologische Denkansätze auch mit der gegenwärtigen Zerstörung der Biosphäre der Erde und mit den Möglichkeiten einer Wiederherstellung der Lebenssysteme des Planeten. Doch sie geht deutlich über manche „oberflächlichen“ Formen ökologischen Denkens hinaus, welche die Leute dazu motivieren wollen, die „Umwelt“ zu retten, weil diese irgendwie nützlich für den Menschen sei. In der Sichtweise der Tiefenökologie haben andere Arten oder Ökosysteme einen Wert in sich, unabhängig vom Nutzen oder ästhetischen Wert für die Menschen. Die Tiefenökologie meint in der Tat, dass viele Arten des Engagements für die Umwelt insofern anthropozentrisch, d. h. auf den Menschen als Mittelpunkt ausgerichtet, sind, als sie die Welt immer noch so betrachten, als wären die Menschen der Maßstab aller Werte, die Spitze einer hierarchisch vorgestellten Schöpfung. Der Psychologe Warwick Fox bringt dies folgendermaßen zum Ausdruck: „Selbst viele von denen, die sehr direkt mit Umweltthemen zu tun haben, verfestigen weiterhin, wenn auch unwissentlich, die überhebliche Haltung, dass wir Menschen im Zentrum des kosmischen Dramas stünden, dass die Welt im Wesentlichen für uns gemacht wurde.“ (1990, 10–11)

Die Tiefenökologie stellt tatsächlich bereits die Vorstellung von einer „Umwelt“ unabhängig von der Menschheit infrage. Die Menschheit wird als ein Teil der Welt der Natur betrachtet, als ein Teil des umfassenderen „Netzes des Lebens“. Dies gilt sowohl für eine physikalische als auch für eine eher spirituelle oder psychologische Ebene. Wenn wir die Luft, das Wasser und den Boden vergiften, dann vergiften wir uns selbst. Wenn wir die Schönheit und Vielfalt der planetarischen Gemeinschaft verkommen lassen, dann machen wir auch unser Menschsein ärmer. Wendel Berry schreibt: „Die Welt, die uns umgibt, die um uns ist, ist auch in uns. Wir sind aus ihr gemacht; wir essen, trinken und atmen sie; sie ist Bein von unserem Bein und Fleisch von unserem Fleisch.“ (zitiert bei Hawken 1993, 215)

Die Tiefenökologie versucht, über die symptomatische Herangehensweise einiger Varianten des Umweltdenkens hinauszugehen und die tiefer liegenden Wurzeln der ökologischen Krise aufzuspüren: „Die Tiefenökologie erkennt, dass nichts weniger als eine vollständige Revolution in unserem Bewusstsein dauerhaft von Nutzen sein wird, um die Lebenssysteme unseres Planeten zu erhalten.“ (Seed et. al. 1988)

Das Bewusstsein revolutionieren

Und worin besteht nun diese „Revolution im Bewusstsein“? Arne Naess (1912–2009), von dem die Idee der Tiefenökologie ursprünglich stammt, behauptet, ihre beiden entscheidenden Elemente seien Selbstverwirklichung und biosphärische Gleichheit.17

Selbstverwirklichung behauptet, dass die Menschen mit der gesamten Ökosphäre zutiefst verbunden sind. Menschen stehen nicht neben oder über dem umfassenderen Netz des Lebens. Alle Organismen, auch die Menschen, werden als „Knotenpunkte im biosphärischen Netz oder Feld intrinsischer Beziehungen“ betrachtet (Arne Naess, zitiert bei Roszack 1994, 320). Selbstverwirklichung entspringt daher einer tiefen Empathie und dem Mitleid, das uns mit allen Lebewesen verbindet. Naess bringt es folgendermaßen zum Ausdruck: „Im Stadium der Reife werden Menschen Freude erleben, wenn andere Lebensformen Freude erleben, und Kummer, wenn andere Lebensformen Kummer erleben.“ (zitiert bei Kheel 1990, 135) Gleichzeitig werden wir aufgrund dieser tiefen Verbundenheit durch die Vielfalt und Mannigfaltigkeit der Arten und Ökosysteme der Erde bereichert:

„Die Selbstverwirklichung, die wir erfahren, wenn wir uns mit dem Universum identifizieren, wird noch verstärkt durch die Vermehrung der Weisen, wie Individuen, Gesellschaften und sogar Arten und Lebensformen sich selbst verwirklichen. Je größer also die Vielfalt, umso größer die Selbstverwirklichung […]. Die meisten Menschen, die sich mit Tiefenökologie beschäftigen, hatten – gewöhnlich, aber nicht immer, in der Natur – das Gefühl, dass sie mit etwas Größerem als ihrem eigenen Ego, ihrem eigenen Namen, ihrer Familie, ihren besonderen Eigenschaften als Individuum in Verbindung stehen […] Ohne diese Identifikation wird jemand nicht leicht dazu gelangen, sich auf Tiefenökologie einzulassen.“ (Devall/Sessions 1985, 76)

Biosphärische Gleichheit entspringt einer ähnlichen Weltauffassung. Jedes Lebewesen und jedes Ökosystem haben ein unveräußerliches Daseinsrecht, das nicht von der Nützlichkeit für die Menschheit abhängt. Natürlich kann es sein, dass ein Organismus den anderen töten muss, um selbst zu überleben, doch kein Organismus (auch nicht der Mensch) hat das Recht, andere ohne einen Grund zu zerstören, und kein Organismus hat das Recht, eine ganze Art auszurotten. Die Menschen mögen deshalb töten, um Grundbedürfnisse zu befriedigen, sie mögen der Erde entnehmen, was nötig ist, um ihre Gesundheit und Würde sicherzustellen, aber sie haben nicht das Recht, die Artenvielfalt zu zerstören, um Kapital und Reichtümer anzuhäufen oder unnötigen Luxus zu produzieren. Letztlich bedeutet dies auch, dass Menschen davon absehen müssen, andere Arten und andere Menschen beherrschen zu wollen:

„Ökologisches Bewusstsein und Tiefenökologie stehen in scharfem Widerspruch zur herrschenden Weltsicht der technisch-industriellen Gesellschaften, die die Menschen als isoliert und in grundlegender Weise getrennt vom Rest der Natur, als ihr überlegen und für den Rest der Schöpfung zuständig betrachtet. Doch die Auffassung, dass die Menschen getrennt von der übrigen Natur sind und über ihr stehen, ist lediglich Teil von umfassenderen kulturellen Denkmustern. Tausende Jahre lang war die westliche Kultur vom Gedanken der Herrschaft besessen: der Herrschaft der Menschen über die nichtmenschliche Natur, der Männer über die Frauen, der Reichen und Mächtigen über die Armen, des Westens über die nichtwestlichen Kulturen. Ein tiefenökologisches Bewusstsein macht es uns möglich, diese falschen und gefährlichen Illusionen zu durchschauen.“ (Devall/Sessions 1985, 65–66)

Kritik am Anthropozentrismus

Vom Standpunkt der Tiefenpsychologie aus gesehen ist die Grundhaltung des Anthropozentrismus die Wurzel der ökologischen Krise. Der Anthropozentrismus kann als die Überzeugung definiert werden, dass nur der Mensch einen Wert in sich habe. Alles andere auf der Welt ist dagegen von relativem Wert und nur insofern von Bedeutung, als es den Interessen des Menschen dient.

Der Anthropozentrismus trennt uns vom Rest der planetarischen Gemeinschaft. Wir betrachten uns als über den anderen Kreaturen stehend. Den Res der Biosphäre reduzieren wir auf eine Umwelt, die von uns getrennt ist.

Der Anthropozentrismus bildet das innere Wesen unseres derzeitigen antiökologischen theoretischen und praktischen Verhältnisses zur Wirtschaft. Bereits unsere Sprache – wir sprechen von „Rohmaterial“, „natürlichen Ressourcen“, ja sogar von „Sorge um die Umwelt“ ‒ verrät uns, da sie unser Grundverständnis bestätigt, dass die nichtmenschliche Welt dem Menschen zu Diensten ist und ihm zur Verfügung steht.

Die meisten von uns haben diese Auffassung nie ernsthaft infrage gestellt. Es kommt uns ganz selbstverständlich vor, die Menschheit als irgendwie oberhalb oder außerhalb des Rests der Erdgemeinschaft anzusiedeln. Wir meinen, das Recht zu haben, die Erde zu gebrauchen, auch wenn dies anderen Arten schadet oder sie tatsächlich ausrottet.

Einige bestehen natürlich darauf, dass wir anthropozentrisch sein und dabei trotzdem andere Lebensformen schützen können. Und es liegt tatsächlich auf der Hand: Um die Gattung Mensch zu erhalten, müssen wir die Natur wenigstens zum Teil schützen. Doch es erhebt sich unmittelbar die Frage: Wie viel Natur muss erhalten werden, und den Verlust welcher Arten können wir uns leisten? Dies führt letztlich zu einer „Rutschbahn“; wir kommen damit in ein Fahrwasser, das zusammen mit vielen anderen Teilen der Erdgemeinschaft die Menschheit bedroht.

Und mehr noch: Was ausreichend sein mag, um ein begrenztes Überleben der Menschheit zu ermöglichen, könnte dennoch nicht genug sein, um Liebe, Schönheit und die Pflege des Geisteslebens aufrechtzuerhalten. Der ökologische Kulturhistoriker (oder „Geologe“) Thomas Berry (1914–2009) betont, dass die Menschen nur auf einem Planeten in die Evolutionsgeschichte eintreten konnten, der so schön ist wie der unsere. Auf die Schönheit der Erde scheint es wesentlich anzukommen, wenn wir das bewahren sollen, was wir an der Menschheit am meisten schätzen.

In gewisser Hinsicht mögen einige der oben angeführten Argumente selbst anthropozentrisch erscheinen. Doch auf einer anderen Ebene ist es auch eine Anerkennung unserer gegenseitigen Verbundenheit mit allem Leben, wenn wir den Standpunkt vertreten, dass Menschen andere Arten im weitesten und umfassendsten Sinne brauchen. Letztlich aber ist der Anthropozentrismus, so erläutert Warwick Fox (1990), sowohl irrational als auch einengend, und zwar aus folgenden Gründen:

Er stimmt mit der naturwissenschaftlichen Realität nicht überein. Weder unser Planet noch die Menschheit können als das Zentrum des Universums betrachtet werden. Die Biosphäre der Erde stellt ein dynamisches Ganzes dar, innerhalb dessen die Menschen in Abhängigkeit von allen anderen Arten existieren. Wir können uns auch nicht als die Krone der Schöpfung betrachten. Die Evolution ist ein Phänomen, das sich in Verzweigungen ausbreitet, und keine hierarchische Pyramide.

Anthropozentrische Einstellungen haben sich in der Praxis als katastrophal erwiesen. Sie haben uns dazu geführt, Arten und Ökosysteme im schnellsten Tempo seit der kosmischen Katastrophe, die das Verschwinden der Dinosaurier bewirkte, zu zerstören.

Er ist keine logisch stringente Auffassung, denn es gibt keine scharfe Trennlinie zwischen uns und anderen Arten – weder in evolutionärer noch in physischer Hinsicht. Unser eigener Leib ist in Wahrheit eine symbiotische Gemeinschaft: Fast die Hälfte unseres Trockengewichts stammt von anderen Organismen wie etwa von Hefepilzen und Bakterien in unserem Darm, die uns helfen, unsere Nahrung zu verstoffwechseln, und die wichtige Vitamine erzeugen.

Er ist moralisch verwerflich, weil er nicht mit einer wirklich offenen Einstellung gegenüber der Erfahrung vereinbar ist. Er ist im Kern eine egoistische Haltung, die uns in einer Illusion gefangen hält und uns gegenüber der Wahrheit blind macht.

Der Anthropozentrismus mag uns „natürlich“ erscheinen, doch er verleugnet die ökologische Einsicht, dass wir in grundlegender Weise auf das ganze Netz des Lebens bezogen und von diesem abhängig sind. Wir können nicht ohne die Erde existieren; wir sind Teil eines größeren Ganzen. Es gibt keine „Umwelt“ außerhalb von uns. Wir tauschen ständig Materie mit unserer Umgebung aus, atmen Sauerstoff ein und nehmen Wasser und Nährstoffe auf, die einstmals Teil anderer Kreaturen waren. Alles Leben auf Erden hat denselben genetischen Kodierungsmechanismus gemeinsam. Alle anderen Lebewesen sind „unsere Beziehungen“.

Wir sind also dazu aufgerufen, von einem Anthropozentrismus zu einer „biozentrischen“ oder „ökozentrischen“ Perspektive überzugehen. Der Anthropozentrismus ist von seinem Wesen her eine egozentrische Geisteshaltung. Doch wir sind dazu aufgerufen, unser Empathievermögen auf alle Lebewesen auszudehnen, ja sogar auf den Boden, die Luft und das Wasser, die ebenfalls ein Teil von uns sind.

Eine anthropoharmonische Alternative

Stephen Scharper (1997) schlägt als Alternative zur anthropozentrischen Geisteshaltung eine „anthropoharmonische“ vor. Anstatt die „Natur zu erobern“, müssen sich die Menschen in Harmonie mit der umfassenderen Ökosphäre entwickeln. Das heißt nicht, dass wir bestreiten müssten, dass der Mensch in gewisser Hinsicht einzigartig auf Erden ist. Wir sollten unsere Einzigartigkeit feiern und dabei unsere Abhängigkeit von allen anderen Kreaturen anerkennen. Es heiß auch nicht, dass die Menschen niemals andere Lebensformen töten können, denn es gibt tatsächlich keine andere Möglichkeit zu überleben, als andere Organismen aufzuzehren.

Doch eine anthropoharmonische Ethik leben meint, einen tiefen Respekt und Liebe gegenüber allem Leben zu entwickeln. Es heißt, damit aufzuhören, Herrschaft auszuüben, zu manipulieren und die Erde zu verbrauchen und zu verschmutzen, als ob sie unser Privateigentum wäre. Und es heißt, nicht mehr zu verbrauchen, als für ein Leben in Würde und Gesundheit nötig ist – und folglich damit aufzuhören, nach grenzenloser Akkumulation zu streben.

Arne Naess behauptet, dass uns die Tiefenökologie letztlich dazu herausfordert, neu zu definieren, was es heißt, Mensch zu sein. Dabei geht es nicht darum, dass wir unsere Identität verleugnen (sie ist ja der einzigartige Anteil, den wir an der sich entfaltenden Evolution haben), sondern vielmehr darum, sie in den umfassenderen Kontext des „ökologischen Selbst“ zu stellen. Eine solche Umorientierung muss weit über die Ebene der bloß verstandesmäßigen Akzeptanz hinausgehen, sie muss jede Facette unseres Seins und Handelns durchdringen. Insbesondere fordert sie die Menschheit dazu auf, das Streben nach Erwerb, Konsum und Herrschaft aufzugeben, da dieser Weg niemals zur echten Verwirklichung der Menschheit führen kann. Stattdessen müssen wir Sicherheit, Liebe und Gemeinschaft in Harmonie mit der umfassenderen Ökosphäre anstreben. Diese Art von Bekehrung zu einer neuen Ethik ist eine sehr tiefgehende Herausforderung, und dennoch eine, die die Menschheit zu einer erfüllteren Lebensweise hinführen könnte.

Ökofeminismus

Der Ökofeminismus vertieft in vielerlei Hinsicht noch die Kritik der Tiefenökologie am Umweltdenken. Gleichzeitig stellt er uns eine breitere Analyse zur Verfügung, die auch das Problem der zwischenmenschlichen Ungerechtigkeit mit berücksichtigt. Eine Art, den Ökofeminismus zu verstehen, ist es, ihn als eine Integration der Perspektiven des Feminismus und der Tiefenökologie zu begreifen, obwohl die Synthese, die daraus entsteht, wahrscheinlich radikaler (im ursprünglichen Sinne des Wortes, das heißt stärker an die Wurzel gehend) und umfassender ist als die Summe ihrer beiden Komponenten.

Der Feminismus für sich genommen ist eine vielfältige und vielgestaltige Bewegung, die man nicht mit einer einzigen Definition angemessen erfassen kann. Für unseren Zusammenhang jedoch können wir Feminismus als eine tiefgehende Kritik am Patriarchat verstehen, wobei Patriarchat hier das System ist, vermittels dessen die Männer die Frauen beherrschen. Radikale Spielarten des Feminismus stellen jedoch einen Kausalzusammenhang zwischen der Herrschaft und Ausbeutung auf der Grundlage von gesellschaftlichen Klassen, Rassen, Ethnien und unterschiedlicher sexueller Orientierung her. Das Patriarchat wird so in einem sehr weiten Sinne verstanden. Ein radikaler Feminismus ist also nicht einfach das Streben nach Gleichheit zwischen Männern und Frauen innerhalb der herrschenden (Un-)Ordnung (was ohnehin nicht möglich wäre); er ist vielmehr eine Kritik aller Systeme, die Unterdrückung und Ausbeutung verstetigen.

Vandana Shiva (1989 a und b) behauptet denn auch, dass der Feminismus letztlich eine Philosophie und Bewegung jenseits der Geschlechtergrenzen sei. Er erkennt an, dass Männlichkeit und Weiblichkeit gesellschaftlich und ideologisch konstruiert sind und dass sich das weibliche Prinzip der Kreativität in den Frauen, den Männern und der Natur verwirklicht findet. Die Wiederaneignung dieses Prinzips als eine Herausforderung für das Patriarchat beruht auf einer Integrationskraft, welche die Frauen dazu aufruft, produktiv und aktiv zu sein, und Männer dazu motiviert, ihre Aktivitäten auf die Möglichkeiten der Lebensförderung hin neu zu orientieren. Während Frauen in Gestalt der feministischen Bewegung die Führung übernommen haben – was insofern nicht mehr als recht ist, als Befreiung normalerweise bei den Unterdrückten ihren Anfang nimmt ‒, müssen auch die Männer aktiv für den Feminismus und dessen Herausforderung des Patriarchats Partei ergreifen.

Der Feminismus ist wahrscheinlich eine der wichtigsten und originellsten Bewegungen aller Zeiten. Fritjof Capra (2004) schreibt, dass das Patriarchat bis vor Kurzem als so alles durchdringend und tief verwurzelt erschien, dass es selten, wenn überhaupt, ernsthaft infrage gestellt wurde. Dabei prägte es alle menschlichen Beziehungen und unsere Beziehung mit der Welt um uns zutiefst. Dennoch ist die feministische Bewegung heute eine der stärksten kulturellen Strömungen unserer Zeit geworden. Sie hat nun tatsächlich alle Grenzen und Klassenschranken überschritten und ist in ihrer Reichweite wahrhaftig global geworden.

Die Verbindung von Patriarchat und Anthropozentrismus

Der Ökofeminismus verbindet die Einsichten aus Feminismus und Tiefenökologie zu einer neuen Synthese und behauptet eine dynamische Verschränktheit von Patriarchat und Anthropozentrismus. Aus einer ökofeministischen Perspektive ist es kein purer Zufall, dass das westliche patriarchalische Denken die Frauen mit der Natur identifizierte: Diese gesellschaftliche Konstruktion diente dazu, beide gleichzeitig auszubeuten und zu beherrschen, da sie beide als den Männern unterlegen aufgefasst werden. Vandana Shiva schreibt: Die Metaphern und Begriffe eines Verstandes, der von der feministischen Perspektive unbeeinflusst ist, hatten zur Grundlage, dass Natur und Frauen als wertlos, passiv und letztlich verzichtbar betrachtet wurden.“ (1989 b, 223) Sowohl die Frauen als auch die Natur werden als passiv betrachtet, während die Männer als rational, stark und emotionslos gelten. In einer patriarchalischen Gesellschaft wird die gesellschaftlich konstruierte Rolle des Mannes als überlegen gewertet, während die Frauen und die Natur grundsätzlich als Ausbeutungsobjekte angesehen werden. Deshalb behaupten Ökofeministinnen, dass es weitaus zutreffender ist, von Androzentrismus (Männerzentriertheit) anstelle von Anthropozentrismus zu sprechen. Charlene Spretnak meint:

„Die moderne technokratische Gesellschaft ist vom patriarchalischen Herrschafts- und Kontrollwahn durchdrungen. Beide (stützen) ein Managerethos, welches Produktionseffektivität und kurzfristige Gewinne über alles andere setzt: über ethische und moralische Standards, über die Gesundheit des Gemeinwesens, und über die Intaktheit aller biologischer Prozesse, besonders derer, welche die grundlegende Kraft des Weiblichen ausmachen. Die Experten, die unsere Gesellschaft lenken, wollen sich ihrer Ängste vor der Natur entledigen, mit der sie keine echte Beziehung oder tiefe Verbindung haben […]. Der Ökofeminismus sagt, dass uns dieses System zum Ökozid und zur Selbstvernichtung der Gattung Mensch hinführt, da es auf Dummheit, Angst, Wahnvorstellung und Gier gründet.“ (1990, 9,8)

Für den Ökofeminismus ist daher der Schlüssel für die Befreiung der Frau und der umfassenderen planetarischen Gemeinschaft die Beseitigung der Grundlagen von Patriarchat und Androzentrismus selbst und damit die Beendigung aller Arten von Herrschaft, insbesondere derjenigen der Männer über die Frauen und die außermenschliche Welt. Damit will er den inneren Wert aller Natur ins Recht setzen und gleichzeitig „die Kultur und das Handeln der Frauen aufwerten“ (T. Berman 1993, 16)

Die Analyse erweitern

Zugleich behauptet der Ökofeminismus, dass dieselbe Logik, die der Unterdrückung der Frauen und der Natur zugrunde liegt, mit leichten Abwandlungen auch dazu dient, Unterdrückung aufgrund von Rasse, Klasse und sexueller Orientierung zu rechtfertigen. Genauso wie die Frauen und die Natur als schwach, passiv und von niedrigerem Wert angesehen werden, werden auch „Nichtweiße“ als dem Tierreich näherstehender und weniger „zivilisiert“ als Weiße dargestellt. In ähnlicher Weise werden Menschen aus der Arbeiterklasse in die Nähe von „primitiven“ tierischen Instinkten gerückt und als solche beschrieben, die sehr schnell „Proletarier“ produzieren (das Wort „Proletarier“ leitet sich vom lateinischen „proles“, Nachkommen, her; Proletarier waren ursprünglich die besitzlosen Klassen, die nichts anderes hatten als ihre proles, ihren Nachwuchs; d. Übers.). Schwule Männer werden dafür verurteilt, dass sie „feminine“ Verhaltensweisen annehmen, während lesbische Frauen ihrerseits dafür verurteilt werden, dass sie in männliche Rollen schlüpfen. In all diesen Fällen ist dieselbe Logik des herrschenden patriarchalischen Geistes bestimmend.

In vieler Hinsicht erweitert also der Ökofeminismus den Blickwinkel der Tiefenökologie, indem er die Verbindungslinien zwischen allen Systemen von Herrschaft und Kontrolle zieht. Gleichzeitig versucht der Ökofeminismus einen Abstraktionsgrad zu überwinden, den man bei so mancher tiefenökologischer Vorstellung einer allgemeinen Identifikation mit der Natur vorfindet. Ökofeministinnen zeichnet insbesondere aus, dass sie betonen, es sei eine emotionale Bindung an reale Orte und reale Menschen nötig, um das Handeln für Gerechtigkeit und ökologische Harmonie zu inspirieren. Wir müssen in wirklichen Erfahrungen verwurzelt sein und dürfen uns nicht einfach mit einer Abstraktion identifizieren, wenn wir uns selbst der Ehrfurcht, dem Wunder und dem Einfühlungsvermögen öffnen, die uns tragen können. „Die Gefahr einer abstrakten Identifizierung mit dem ‚Ganzen‘ besteht darin, dass sie die Existenz unabhängiger Lebewesen nicht wahrnehmen oder respektieren kann […]. Unser tiefes, ganzheitliches Bewusstsein von der gegenseitigen Verbundenheit allen Lebens muss ein gelebtes Bewusstsein sein, das wir sowohl im Verhältnis zu einzelnen Seinsformen als auch zum größeren Ganzen erfahren.“ (Kheel 1990, 136–137)

Die Ursprünge von Patriarchat und Anthropozentrismus

Eine ökofeministische Perspektive kann Einsichten vermitteln, die uns helfen können zu erklären, wie Gier, Ausbeutung und Herrschaft einen so gewaltigen Einfluss auf das wirtschaftliche, politische und kulturelle System gewinnen konnten, dem die meisten Gesellschaften unterworfen sind. Insbesondere verhelfen uns diese Einsichten zum Verständnis dessen, wie die Grundüberzeugungen, Grundannahmen und „Werte“ der herrschenden globalen (Un-)Ordnung aus der Dynamik von Patriarchat und Anthropozentrismus (bzw. Androzentrismus) hervorgehen.

Für ein solches Verständnis ist es hilfreich, die historischen Ursprünge und die Entwicklung von Patriarchat und Anthropozentrismus zu betrachten. Dies wiederum macht den Prozess sichtbar, in dessen Verlauf diese gesellschaftlichen Konstrukte entstanden, und es liefert Anhaltspunkte dafür, wie von Gerechtigkeit, Gleichheit und Nachhaltigkeit geprägte Alternativen geschaffen werden können, um sie abzulösen.

Viele alte und moderne ursprüngliche Kulturen haben ein hohes Maß an Geschlechtergerechtigkeit und zugleich ein harmonisches Verhältnis zur Natur verwirklicht. Oftmals weisen diese Kulturen eine vom Geschlechterverhältnis bestimmte Arbeitsteilung auf, doch das deutet nicht unbedingt auf eine Ausbeutungsbeziehung zwischen den Geschlechtern hin. Tatsächlich waren in frühen Zeiten, noch vor Ackerbau und Viehzucht in großem Maßstab, die meisten Kulturen vermutlich recht egalitär, und viele waren „matrizentrisch“, das heißt um die Frau als Mittelpunkt organisiert. Das heißt, sie hatten weibliche Hauptgottheiten, und Frauen genossen in ihren Gesellschaften ein hohes Ansehen. Die meisten Stämme von Jägern und Sammlern, die jungsteinzeitlichen Gesellschaften Europas und Anatoliens und die frühen andinen Kulturen scheinen diesem matrizentrischen Muster zu gehorchen.18

Die Anfänge des Patriarchats

Um das Jahr 5000 v. Chr. jedoch drang das Patriarchat allem Anschein nach in Europa und den Mittleren Osten ein. In Zentralasien könnte es möglicherweise schon früher entstanden sein, in vielen anderen Gesellschafen der Welt erst wesentlich später, oftmals vermittels Invasion und Kolonisierung. (Es gibt jedoch auch Gesellschaften, wie zum Beispiel die balinesische oder die der Kung-San in der Kalahari-Wüste im südlichen Afrika, die sich bis heute weitgehend ein von Gleichheit geprägtes Beziehungsgefüge zwischen den Geschlechtern bewahrt haben.)

Maria Mies geht davon aus, dass das Patriarchat zuerst unter Hirtengesellschaften Fuß fasste. Als die Männer die Reproduktionsprozesse bei Tieren zu beobachten und zu verstehen begannen, wurden sie sich ihrer eigenen Rolle im Zeugungsprozess bewusst. Dies führte zu einer Veränderung in ihrem Verhältnis zur Natur und zu einer neuen sexuell bestimmten Arbeitsteilung. Innerhalb einer Nomadengesellschaft in häufig trockenen Regionen wurde die traditionelle Rolle der Frau als Sammlerin von Nahrungsmitteln zweitrangig. Deshalb wurde den Frauen eine untergeordnete Stellung als Hüterinnen der Kinder zugewiesen. Eine neue Produktionsweise, die auf Zwang, Kontrolle und Manipulation beruhte, entstand.

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